Computerhystorien. Szenarios der Digitalisierung und ihre Bühnen in
den 80er-Jahren
Narrative und Rhetoriken sind für die Durchsetzung neuer Technologien
auf mehreren Ebenen von Belang: Als Leitideen oder Rahmenerzählungen
fungieren sie sowohl für EntwicklerInnen als auch für zukünftige
BenutzerInnen der technischen Artefakte als Sinnstifter und Übersetzer.
Implizit oder explizit importieren TechnikerInnen und NaturwissenschaftlerInnen
aus populären Romanen, Filmen und Computerspielen interessensleitende
Ideen, identitätsstiftende Rollenmodelle (z.b. der Hacker als moderner
Robin Hood) aber auch handlungslegitimierende Argumentationsschemata in Form
"Großer Erzählungen" (Fortschrittsparadigma, Evolution, Kosmologien,
Apokalypse). Eine besondere Rolle kommt dabei dem Genre Science Fiction zu.
Wechselweise wird ihm deskriptives bzw. prophetisches Potential zugesprochen
und gerade unter ComputerwissenschafterInnen und ProgrammiererInnen werden
seine verschiedensten medialen Erscheinungsformen in verschworenen Fan-Gemeinden
als eine Art "Geheimwissen" rezipiert. Der computerwissenschaftliche Diskurs
greift spektakuläre und innovative Metaphern und Motive der SF auf,
und bedient sich gleichzeitig ihrer häufig traditionell-linearen Erzähllogik,
um abstrakte, mathematische Modelle und technische Standards (die immer auch
sozial bedeutsam sind) intern wie auch in einer breiten Öffentlichkeit
zu etablieren (z.b. im Betriebssystemkampf Linux gegen Windows).
SF-Romane und Filme können deshalb in einer massenmedial geprägten
modernen Öffentlichkeit als mythologische Wegweiser mit Werbecharakter
(F. Jameson) charakterisiert werden. Keineswegs kann aber von einer nur passiven
Rezeption dieser Narrative durch entfremdete und verblendete KonsumentInnen
ausgegangen werden (wie es die Kritische Theorie tat), es sind im Gegenteil
im Kontext von Poststrukturalismus und Feminismus der 80er und 90er-Jahre
gerade auf diesem Gebiet vermehrt Lektüren gegen den Strich beobachtbar:
Fortschrittsoptimistische, männlich codierte Narrative konnten, einer
feministischen Lektüre unterzogen, wichtige Impulse für eine radikale
Identitätspolitik á la Donna Haraways Cyborg-Manifest geben.
Außerdem mehren sich die Befunde, dass Fangemeinden einen nicht unerheblichen
Einfluss auf die Weiterentwicklung des Genres haben: Beispielsweise ist die
Serie Star Trek seit geraumer Zeit eines der Lieblingsobjekte von Studien
aus dem Umfeld der Cultural Studies, weil sie auf frappierende Weise einer
ständigen Umgestaltung durch ihre Fangemeinde unterliegt und deshalb
besonders schnell auf (akademische) Diskurse (Gender, Multikulturalismus,
Postkolonialismus) zu reagieren im Stande ist.
Narrative der Science Fiction scheinen derzeit eine Drehscheibe und einen
Motivpool für multiple, miteinander verflochtene Diskurse abzugeben:
An SF-Szenarien und ihren suggestiven Bildern partizipieren Medientheorien
(Baudrillard, Virillo), Computerwissenschaften, Firmenprofile, Online-Communities,
Werbestrategen, populäre Wissenschaftmagazine, PolitikerInnen jeglicher
Couleur aber auch das Medium Computer als solches. Die Szenarios der SF sind
also Bühnen bzw. Arenen zu verstehen, auf/in denen technische Innovationen
verhandelt und umkämpft und Identitätspolitik betrieben wird.
Mein Ziel ist es, narratologische Text- und Filmanalysen zu technikgeschichtlichen
Arbeiten (insbesondere den Science and Technology Studies, Latour) in Relation
zu setzten, um das komplexe Verhältnis von technischen Artefakten, ihren
sozialen Rahmenbedingungen und ihren Repräsentationen/Narrativen, über
die Feststellung einer allgemeinen Strukturhomologie hinaus, bestimmen zu
können. Denn die Art der sozialen und kulturellen Konstruktion von Technologien
ist weitgehend abhängig von ihren Rahmenerzählungen. Technische
Artefakte verfügen nicht von sich aus über Semiotiken, diese entstehen
im Kontext ihrer technischen Konstruktion und anschließenden Distribution.
Die Orte, an denen die Übersetzungen von Repräsentationen in Praktiken
am besten zu erfassen sind, waren und sind wohl Computerzeitschriften und
diverse Internet-Foren, die einerseits der Selbstvergewisserung der sozialen
Gruppe der EntwicklerInnen und BenutzerInnen dienen, aber in denen auch technische
und rechtliche Standards präfiguriert werden.
Der Terminus Hystorie ist von Elaine Showalter entlehnt, die mit Hystorien
massenmediale Erzählungen meint, die auf soziale Befindlichkeiten verweisen,
diese jedoch nach spezifischen Schemata überformen. Analog dazu verweisen
viele Science Fiction-Produkte auf gesellschaftliche und/oder technologische
Realitäten überformen diese aber nach den Konventionen des Genres
und versehen diese dadurch mit Bedeutung. Erzählerische Autorität
wird typischerweise durch die Transposition des Erzählten in die Zukunft
hergestellt: Der Erzähler, die Erzählerin suggeriert mit seiner/ihrer
Extrapolation trotz der eindeutig fiktionalen Markierung der Erzählung
ein Vermögen zur Antizipation – ein Gestus, der aus den Avantgarden
des 20. Jahrhunderts wohl bekannt ist – und beerbt damit diese mit ihrem
gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch. Waren jedoch die klassischen Avantgarden
durch eine relative Unabhängigkeit von den Feldern der Ökonomie
und der Technologie geprägt, verbinden sich in den neuen Technoavantgarden,
deren bevorzugtes Genre die SF ist, ästhetisch-gesellschaftlicher Gestaltungswille
mit der Verfügungsgewalt über die Produktivkräfte.
Im Fall der Digitalisierung stellt sich die Sachlage noch einmal anders dar,
da der Computer bekanntlich nicht nur irgendeine Maschine ist: Als Universale
Maschine (Turing) ist er unter anderem auch ein sprachliches und ein Bild-Medium.
Durch seinen Gebrauch verändern sich Lese- und Schreibprozesse. Oft
ist z.B. die Rede davon, dass die Hypertext-Struktur des World Wide Web die
Linearität der Buchkultur (ergo auch des schriftlichen Erzählens)
und damit deren Verfasstheit als eine eurozentrisch-männliche sprengen
würde. Computerspiele erreichen durch ihre Interaktivität ebenfalls
zunehmend „vernetzende“ Erzählstrukturen. Trotzdem scheint sich
auf der Makroebene der Narration nicht wirklich viel zu ändern: Immer
noch sind die allermeisten SF-Produkte in eschatologische Metaerzählungen
eingebunden. Lediglich auf der Mikroebene sind Alinearität, Multiperspektivität
und Ironie zu Kennzeichen einer „digitalen Kultur“ geworden, die jedoch auch
in ihrer liberal-emanzipativsten Form die einer männlichen, weißen
Elite geblieben ist. Zu fragen ist an dieser Stelle deshalb, warum alternative
Diskurse (wie beispielsweise der des Cyberfeminismus, der nicht nur auf der
Mikroebene innovativ war, sondern ganz neue „Große Erzählungen“
einforderte) nicht eine ähnliche Wirkmächtigkeit entfalten konnten,
wie der des (männlich geprägten) Cyberpunk. Eine Antwort könnte
lauten, dass erzählerische Autorität an den sozialen Status und
Habitus des Erzählers, der Erzählerin gebunden ist. Ein Sachverhalt,
der sich als äußerst resistent gegenüber der ästhetischen
und technischen Innovationsnorm entpuppt hat.