FREIHEIT DES AUSDRUCKS

Zwei sprachphilosophische Annäherungen an ein Menschenrecht

Florian Oppitz

Wien 2002

Inhalt

I. Einleitung 03

II. „Freiheit des Ausdrucks“ als Grundrecht 07

III. Wittgenstein 21

IV. Die Theorie der Sprechakte 61

V. Zusammenfassung 93

Literaturverzeichnis 95

I. Einleitung

„Freiheit des Ausdrucks“ ist kein vertrauter juristischer Begriff, könnte es aber werden. Was im Englischen „freedom of expression“ und im Französischen „liberté d'expression“ heißt und zum Standard des menschenrechtlichen Vokabulars gehört, wird in den deutschen Rechtstexten meist nur „Meinungsfreiheit“ oder „Kommunikationsfreiheit“ genannt. Der Umfang eines Grundrechts auf „Meinungsfreiheit“ wird gegenüber einem Recht auf „Freiheit des Ausdrucks“ jedoch offensichtlich eingeschränkt sein. Was kann nun ein Recht auf „Ausdrucksfreiheit“ beinhalten?

Als Gründe für einen Schutz dieser Freiheit werden - vor allem in der englischsprachigen Literatur - drei Funktionen eines von staatlicher Ingerenz freien „Ausdrucks“ angeführt:

Das beste Mittel zur Wahrheitsfindung sei es, die verschiedenen Meinungen auf dem „freien Marktplatz der Ideen“ in Konkurrenz treten zu lassen. Dort werde sich die Auffassung mit der stärksten Kraft - also die, die der Wahrheit am Nächsten kommt - gegen schwächere Gedanken durchsetzen.

Der ungehinderte Ausdruck der eigenen Gedanken sei die Grundlage für eine demokratische Gesellschaftsordnung. Die Beteiligung der Bürgerinnen am politischen Prozess setze die Möglichkeit freier Meinungsbildung und -äußerung voraus. So besagt nach Habermas das „Prinzip der Volkssouveränität, daß sich alle politische Macht aus der kommunikativen Macht der Staatsbürger herleitet. Die Ausübung politischer Herrschaft richtet sich nach und legitimiert sich an den Gesetzen, die sich die Staatsbürger in einer diskursiv strukturierten Meinungs- und Willensbildung selber geben“.

Auch jenseits ihres Nutzens für Demokratie und Pluralismus erlange eine Äußerungsfreiheit unter dem Aspekt einer freien Entfaltung der Persönlichkeit besonderes Gewicht. Sie rücke damit in die Nähe von Überlegungen zur Menschenwürde, da sie die Anerkennung einer je autonomen Bildung des eigenen Willens und eines daraus folgenden Handelns einschließe.

Mit diesem dritten Gesichtspunkt des Schutzes von „Ausdrucks-freiheit“ oder „freedom of expression“ will sich die vorliegende Arbeit beschäftigen. Allerdings nähert sie sich dem Begriff des „Ausdrucks“ nicht über eine Auseinandersetzung mit den Theorien der Persönlichkeit und des menschlichen Handelns als „Ausdruck“ dieser Persönlichkeit, wie sie etwa von Spinoza oder Herder in die philosophische Diskussion eingeführt worden sind. Mein Zugang zu einem Grundrecht der „Ausdrucksfreiheit“ wird darin bestehen, an Hand zweier sprachphilosophischer Theorien den Begriff „Ausdruck“ und die damit zusammenhängende Vorstellung einer Vermittlung des „Innen“ eines Menschen mit seinem „Außen“ darzustellen.

Die Begriffe „Ausdruck“ bzw. „expression“, wie sie in den von mir bereits erwähnten juristischen Kontexten verwendet werden, implizieren nämlich meiner Meinung nach einen solchen Dualismus von „Innen“ und „Außen“. Frei sollen nicht nur die Gedanken (das Innen) sein, sondern auch ihre Manifestationen in Sprache oder Bildern (das Außen). Frei soll nicht nur der Wille (das Innen) sein, sondern auch seine Verwirklichung im menschlichen Handeln (das Außen). In Freiheit sollen sich unsere Gefühle (das Innen) entwickeln können, aber auch unser gesamtes soziales Verhalten (das Außen) soll ohne Zwang vor sich gehen können. Unser Sprechen als „Ausdruck“ unserer Gedanken; unsere Handlungen als „Ausdruck“ unseres Willens; unser Verhalten als „Ausdruck“ unserer Gefühle oder Stimmungen: immer beziehen wir uns auf einen Übergang von menschlichem „Inneren“ zu verschiedenen, sinnfälligen menschlichen „Äußerungen“.

Diesen Innen-Außen-Dualismus und seine Überwindung haben nun Wittgenstein einerseits und die Theorie der Sprechakte andererseits zum Gegenstand philosophischer Behandlung gemacht. Meine Arbeit stellt deshalb zuerst kurz die Rechtslage in Bezug auf eine „Freiheit des Ausdrucks“ in den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention vor (II.). Darauf folgt eine Untersuchung der Gedanken Wittgensteins zu unseren psychologischen Kategorien des menschlichen Innenlebens und der menschlichen Äußerungen (III.). Schließlich analysiere ich die Ansätze, die im Rahmen der Theorie der Sprechakte von Austin und Searle zur Problematik des Zusammenhanges psychischer Zustände und Intentionen mit sprachlichem Handeln entwickelt worden sind (IV.).

II. „Freiheit des Ausdrucks“ als Grundrecht

1. Die Vereinigten Staaten

Die Amerikanische Bundesverfassung von 1787 enthielt noch keinen Grundrechte-Katalog. Da der Bundesgewalt in dieser Verfassung nur bestimmte, fest umrissene Kompetenzen übertragen worden waren (der größere Teil der Staatsgewalt sollte bei den einzelnen Staaten der Union bleiben, die für ihren Bereich selbst wiederum Grundrechte einräumen konnten), wurde die Normierung von Individual-Rechten vorerst als unnötig angesehen: jeder Eingriff in solche Rechte stellte eo ipso eine Überschreitung der Bundes-Kompetenzen dar. „Warum muß zum Beispiel gesagt werden, daß die Freiheit der Presse nicht eingeschränkt werden dürfe, wenn keine Vollmacht vorhanden ist, auf die man sich zu ihrer Einschränkung berufen könnte?“ fasste Alexander Hamilton diesen Standpunkt zusammen.

Dagegen betonten Kritiker dieses Vorgehens die Gefahren eines Verzichts auf positivierte Grundrechte. Zum einen könnten die Bundes-Kompetenzen auf interpretativem Wege erweitert werden, zum anderen müssten, so argumentierte Thomas Jefferson, die bürgerlichen Freiheiten, um wirksam zu werden, genau bestimmt sein. Da die Ratifikation der Verfassung in einigen Staaten an der Grundrechts-Frage zu scheitern drohte, wurde im Kongress im September 1789 eine „Bill of Rights“ in Form von zwölf Zusatzartikeln („Amendments“) zur Bundes-Verfassung beschlossen, von denen schließlich zehn im Jahre 1791 durch die Staaten ratifiziert wurden.

Der erste dieser Zusatzartikel lautet: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Mißständen zu ersuchen“. Durch den 14. Zusatzartikel wurde 1868 dieses Grundrecht auch auf den internen Rechtsbereich der einzelnen Staaten anwendbar gemacht.

In der Rechtsprechung des Supreme Court spielten die Rechte der Rede- und der Pressefreiheit lange Zeit eine untergeordnete Rolle neben den Rechten auf Eigentum und Erwerbsfreiheit. Erst nach dem ersten Weltkrieg, insbesondere als anarchistische und kommunistische Aktivitäten zum politischen Problem wurden, entwickelte sich ein ausdifferenziertes case-law zu diesem Aspekt des Ersten Zusatzartikels. Heute zählen „freedom of speech“ und „freedom of the press“ gemäß der Judikatur des Supreme Court zu den „fundamental rights essential to the preservation of a constitutional democracy“.

Eine staatliche Maßnahme, die die freie Rede beschränkt, verletzt dieses Recht grundsätzlich nur dann nicht, wenn sie dazu dient, eine eindeutige und unmittelbare Gefahr („clear and present danger“) abzuwehren, die von einer nahe bevorstehenden gesetzlosen Handlung („imminent lawless action“) ausgeht. Ein Führer des Ku Klux Klan durfte deshalb nicht bestraft werden, als er öffentlich zur „Rache“ an den „Feinden der kaukasischen Rasse“ aufrief, ohne dass dieser Aufruf direkt zu einer gewalttätigen Handlung geführt hätte.

In der US-amerikanischen Literatur hat es sich eingebürgert, auf die Rede- und die Pressefreiheit unter der gemeinsamen Bezeichnung „freedom of expression“ zu referieren. Diese Nomenklatur hat auch in die Judikatur Eingang gefunden. Justice Harlan etwa erklärte 1971 im Fall Cohen v. California, in dem es um die Verurteilung eines Mannes ging, der in einem Gerichtsgebäude eine Jacke mit der Aufschrift „Fuck the Draft“ trug: „The constitutional right of free expression is a powerful medicine in a society as diverse and populous as ours“. In einem bekannten Fall, der das Problem der Zensur des Internet zum Gegenstand hatte, schloss der Gerichtshof sein Urteil in diesem Sinne mit dem Satz: „The interest in encouraging freedom of expression in a democratic society outweighs any theoretical but unproven benefit of censorship“

Um festzustellen, ob ein bestimmtes Verhalten den Schutz des Ersten Zusatzartikels genießt, wird nunmehr überhaupt darauf abgestellt, ob es sich bei diesem Verhalten um „expressive conduct“ handelt oder nicht. Als „expressive“ wird dabei nicht jedes Verhalten angesehen, mit dem der Ausdruck eines Gedankens („idea“) verbunden ist, sondern nur, was auch mit genügend Kommunikations-Elementen einher geht. „We cannot accept the view that an apparently limitless variety of conduct can be labelled speech` whenever the person engaging in the conduct intends thereby to express an idea“. Das öffentliche Verbrennen der National-Fahne war ein Fall für den Ersten Zusatzartikel, weil es gerade wegen der damit verbundenen politischen Aussage unter Strafe gestellt war. Bei Nackttanz-Shows scheint das weniger klar zu sein: ein Gesetz, das Tänzerinnen in Bars gebot, zumindest einen String-Tanga zu tragen, war unter anderem deshalb verfassungskonform, da es sich bei diesen Aufführungen nur um „expressive conduct within the outer perimeters of the First Amendment“ handelte.

In der Rechtsprechung des Supreme Court kommt somit dem Recht auf „freedom of expression“ und der Qualifikation einer Handlung als „expressive conduct“ besondere Bedeutung zu.

2. Frankreich

Die Verfassung der (Fünften) Französischen Republik stammt aus dem Jahre 1958. Ihre Präambel verweist jedoch, unter anderem, auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, welche dadurch ebenfalls als Verfassungsgesetz gilt.

Artikel 10 dieser Erklärung bestimmt: „Niemand darf wegen seiner Meinungen, seien sie auch religiösen Inhalts, verfolgt werden, wenn ihre Äußerung nicht der vom Gesetz bestimmten öffentlichen Ordnung zuwiderläuft“. Artikel 11 lautet: „Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der wertvollsten Rechte des Menschen; jeder Bürger darf deshalb in freier Weise sprechen, schreiben und drucken, außer in den Fällen, in denen eine Beschränkung wegen eines Missbrauchs dieser Freiheit nötig und vom Gesetz angeordnet ist“.

Diese Unterscheidung zwischen dem bloßen „eine Meinung haben“ in Artikel 10 und dem „Gedanken und Meinungen mitteilen“ in Artikel 11 hat in der Literatur zum Versuch geführt, zwischen einer liberté d'opinion einerseits und einer liberté d'expression andererseits zu unterscheiden. Erstere sei absolut geschützt, letztere hingegen beschränkbar. Gründe für eine solche Beschränkung sind gemäß der Rechtsprechung die Aufrechterhaltung des ordre public, die Achtung der Freiheiten und Rechte anderer sowie die Sicherung des Pluralismus

Auch in Frankreich wird also von einem Grundrechte auf freie „expression“ gesprochen. Derieux etwa beschreibt die Entwicklung der Pressefreiheit als Abfolge der „liberté de la presse“ über die „liberté d'expression“ zu einem „droit d'information“. Morange wiederum nennt die durch Artikel 11 der Menschenrechts-Erklärung von 1789 geschützte Freiheits-Sphäre jene einer „liberté d'expression“ und konstatiert: „La liberté d'expression fait partie intégrante de la tradition française“.

Diese Begrifflichkeit findet sich gleichermaßen in der Rechtsprechung. In seiner Entscheidung vom 18. 9. 1986 über die Rundfunkfreiheit bemerkt der Conseil Constitutionel: „In Anbetracht der Tatsache, dass der Pluralismus der soziokulturellen Ausdrucksformen (le pluralisme des courants d'expression socioculturels) an sich schon ein Verfassungsziel ist und dass die Anerkennung dieses Pluralismus` eine Bedingung der Demokratie ist ...“. Der Conseil d'Etat, das höchste französische Verwaltungs-Gericht, hob die Entscheidung von Schulbehörden auf, mit denen drei Schülerinnen wegen des Tragens eines Schleiers von ihrer Schule verwiesen worden waren und berief sich dabei, unter anderem, auf eine Verletzung ihrer „liberté d'expression“.

Auch in die neuere Gesetzgebung hat dieser Begriff Eingang gefunden. So bestimmt das Gesetz vom 10 Juli 1989: „In den Colleges und Lyceen genießen die Schüler, unter Berücksichtigung von Pluralismus und Neutralitäts-Prinzip, die Freiheit der Information und des Ausdrucks (la liberté d'information et la liberté d'expression). Die Ausübung dieser Freiheiten darf die Durchführung des Unterrichts nicht beeinträchtigen“.

3. Bundesrepublik Deutschland

Das deutsche Grundgesetz (GG) aus dem Jahr 1949 kennt vor allem zwei für eine „Freiheit des Ausdrucks“ einschlägige Bestimmungen. Artikel 2 Absatz 1 lautet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“. Artikel 5 Absatz 1 normiert: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt“.

a. Artikel 5 GG wird in der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) und von einem großen Teil der deutschen Lehre in dem Sinne verstanden, dass durch ihn „nicht die Äußerung schlechthin, sondern die Meinungsäußerung“ geschützt wird. Das kennzeichnende Merkmal von Meinungen sei der „subjektive Bezug zwischen dem einzelnen und dem Gegenstand seiner Äußerung“, wohingegen bei Tatsachenbehauptungen - die grundsätzlich nicht geschützt sind - „die Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund“ stehe. Nicht wesentlich für diese Unterscheidung sind dagegen der Inhalt und die (geistige) Qualität der Äußerung. Soweit Aussagen über Tatsachen jedoch Teil einer Meinungsäußerung sind oder zur Meinungsbildung beitragen, fallen sie ebenfalls unter Art 5 GG. Tatsachenbehauptungen jedoch, „deren Unwahrheit der sich Äußernde kennt, also die bewußte Lüge, oder deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung evident ist“, fallen aus dem Schutzbereich des Grundrechts heraus.

In einer für die deutsche Grundrechts-Dogmatik grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1958 sah das BVerfG den Sinn des Artikels 5 GG in einem doppelten Schutz: Einerseits begründe er die Möglichkeit einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung, denn das in ihm verbürgte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung „ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr [der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung; F. O.] Lebenselement ist“. Neben dieser politischen Dimension stellt das Gericht aber auch eine Dimension, die von der Privatsphäre der einzelnen Menschen ausgeht, weshalb dieses Recht als „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft“ bezeichnet werden kann. Diese individualistische Seite der Meinungsfreiheit ist in der Rechtsprechung des deutschen Höchstgerichtes aber in den Hintergrund getreten, und ihr sozialer, politischer Aspekt wird in den Entscheidungen stärker hervorgehoben.

Die Freiheit der Meinungsäußerung genießt auch in Deutschland, wie in den USA und in Frankreich, nicht absoluten Schutz, sondern kann beschränkt werden. Als Gründe für solche Schranken nennt Art 5 GG allgemeine Gesetze, den Jugendschutz und den Schutz der persönlichen Ehre. Jugend- und Ehrenschutz bezeichnen relativ klar umrissene Möglichkeiten der Gesetzgebung zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, wobei angemerkt werden soll, dass diese Möglichkeit in Deutschland zu einer weiter gehenden Verengung des Bereichs freier Äußerung geführt hat, als es in den USA der Fall ist. Dort ist „free speech“, wie gesagt, fast unbeschränkbar und „im Konflikt mit Persönlichkeitsrechten genießt die Meinungsfreiheit den generellen Vorrang“: Ein amerikanischer Fernsehprediger musste sich deshalb eine im Pornomagazin „Hustler“ veröffentlichte, satirische „Werbeanzeige“ gefallen lassen, in dem ihm ein sexuelles Verhältnis mit seiner Mutter nachgesagt wurde. Ein bayerischer Ministerpräsident, der in einem satirischen Magazin als Schwein dargestellt wurde, das mit anderen Schweinen in Richterroben kopuliert, hat hingegen seinen Prozess vor dem BVerfG gewonnen.

Die Schranke der „allgemeinen Gesetze“ ist nach der Rechtsprechung des Karlsruher Gerichtshofes so zu verstehen, dass nur solche Gesetze im Sinne des Art 5 GG als „allgemeine“ gelten, „die sich weder gegen bestimmte Meinungen als solche richten, noch Sonderrecht gegen den Prozeß freier Meinungsbildung darstellen“, sondern „den Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsgutes dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat“. Deswegen - weil sie dem Schutz des öffentlichen Friedens dient - ist die Bestrafung der „Auschwitz-Lüge“ zulässig, nicht aber eine Genehmigungspflicht für die Veröffentlichung von Stellenangeboten für die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen im Ausland.

b. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art 2 Abs 1 GG) wird als Verbürgung der allgemeinen Handlungsfreiheit und als allgemeines Persönlichkeitsrecht verstanden. Als allgemeine Handlungsfreiheit schützt es jedes Verhalten, das nicht in den Schutzbereich eines anderen Grundrechts fällt; als Persönlichkeitsrecht verpflichtet es den Staat, die „Selbstbestimmung, Selbstbewahrung und Selbstdarstellung“ jedes Menschen zu achten: dadurch schützt es unter anderem das Recht, seine Geschlechterrolle zu bestimmen, die Vertraulichkeit des Tagebuches und das Recht am eigenen Bild.

Beschränkungen dieser Rechte sind insbesondere nur dann zulässig, wenn sie „verhältnismäßig“ sind, also - vereinfacht gesagt - das „Übermaßverbot“ beachten. Das BVerfG hat dazu folgenden Grundsatz aufgestellt: „Je mehr dabei der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden“. Die Idee des „Ausdrucks“, das vom Menschen Erzeugte, Sinnfällige in gewisser Weise als Verlängerung seiner Persönlichkeit anzuerkennen, dürfte also auch im deutschen System der Grundrechte, das über keine explizite „Freiheit des Ausdrucks“ verfügt, anerkannt sein.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (MRK)

Die MRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dem alle 43 Mitgliedstaaten des Europarates beigetreten sind. Sie stammt aus dem Jahre 1950 und enthält (ergänzt durch inzwischen zwölf Zusatzprotokolle) eine umfassende Charta von Grundrechten, vom Recht auf Leben über das Recht auf ein faires Verfahren bis zum Recht auf Gleichbehandlung. Zu ihrer Durchsetzung wurde in Strasbourg der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gegründet, den alle Menschen anrufen könne, wenn sie sich von einem Mitgliedstaat des Europarates in ihren MRK-Rechten verletzt erachten. Die Urteile des Gerichtshofes sind für die einzelnen Staaten bindend und werden auch in der Praxis innerstaatlich durchwegs umgesetzt.

Neben ihrer völkerrechtlichen (zwischenstaatlichen) Geltung wurde die MRK auch verschiedentlich in staatliches Recht umgesetzt, sodass sie von nationalen Gerichten und Behörden direkt angewendet werden kann. In Deutschland genießt die MRK etwa den Rang eines einfachen Bundesgesetzes, in Österreich sogar den Rang eines Verfassungsgesetzes des Bundes.

Die ersten beiden Sätze des Artikel 10 dieser Konvention lauten in ihrer englischen Fassung: „Everyone has the right to freedom of expression. This right shall include freedom to hold opinions and to receive and impart information and ideas without interference by public authority and regardless of frontiers“; in der französischen: „Toute personne a droit à la liberté d'expression. Ce droit comprend la liberté d'opinion et la liberté de recevoir ou de communiquer des informations ou des idées sans qu'il puisse y avoir ingerence d'autorités publiques et sans considération de frontière“; in der deutschen Übersetzung: „Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein“.

Der Straßburger Gerichtshof versteht diese Bestimmung als „one of the essential foundations of a democratic society and one of the basic conditions for its progress and for the development of every man“ bzw. als „one of the basic conditions for each individual's self-fulfilment“. Das Grundrecht umfasst somit beide Aspekte der „Ausdrucksfreiheit“, den politischen und den individualistischen. Eine Beschränkung auf „Meinungs“-Äußerungen im Gegensatz zu „Tatsachen“-Behauptungen, wie es sie in Deutschland gibt, kommt im Rahmen der MRK nicht in Frage. Der Inhalt eines „Ausdrucks“ ist für seinen Schutz irrelevant, Artikel 10 ist auch anwendbar auf Äußerungen „that offend, shock or disturb“, auf künstlerisches Schaffen oder auf kommerzielle Werbung.

Allerdings wird eine Unterscheidung getroffen zwischen Tatsachen- und Werturteilen, wenn es um die (in bestimmtem Rahmen zulässige) Beschränkung der Meinungsfreiheit geht. Da Werturteile („value judgments“) der Ansicht des Gerichtshofes nach keines Beweises ihrer Wahrheit zugänglich sind, darf ihre Äußerung nur dann untersagt oder eingeschränkt werden, wenn es sich um Fälle bloßer Beschimpfung oder Verleumdung, die jeder Tatsachen-Grundlage entbehren, handelt. Der Journalist Oberschlick durfte Jörg Haider deswegen in einem Zeitungs-Artikel als „Trottel“ bezeichnen, weil er dafür gute Gründe angeben konnte. Wer dagegen unrichtige Tatsachen verbreitet, muss es sich gefallen lassen, dass ihr dies von der staatlichen Autorität untersagt wird.

Eingriffe in die „Ausdrucksfreiheit“ sind nur im Rahmen der Schranken des Absatz 2 von Artikel 10 zulässig, nämlich dann, wenn sie gesetzlich vorgesehen und „in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten“. Der Gerichtshof verfolgt bei seiner Beurteilung dieser „Unentbehrlichkeit“ eine eher strenge, freiheitsfreundliche Linie.

Österreich

Der österreichische Grundrechts-Fundus speist sich vor allem aus zwei Quellen. Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus dem Jahre 1867, das heute im Rang eines Verfassungsgesetzes gilt und einen Katalog von Grundrechten enthält, der in Artikel 13 auch die Meinungsfreiheit umfasst: „Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern“. Sowie die Europäische Menschenrechtskonvention, die auch - wie erwähnt - Bestandteil der Verfassung ist, womit ihr Artikel 10 zu den von österreichischen staatlichen Organen zu beachtenden Menschenrechten zählt.

Da sich Probleme der „Freiheit des Ausdrucks“ in jüngster Zeit vor allem in den Bereichen des Hörfunks und Fernsehens und ihrer Privatisierung sowie im Bereich der Presse gestellt haben, fasst Berka, der beste Kenner dieser Rechtsmaterie, diese grundrechtlichen Garantien als „Kommunikationsfreiheit“ zusammen.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof folgt in seiner Judikatur zu diesen Rechten in aller Regel dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Deshalb kann bezüglich des Inhalts der in Österreich existierenden Garantien einer „Ausdrucksfreiheit“ auf die Ausführungen zur MRK verwiesen werden. Der Gerichtshof am Judenplatz hat - im Anschluss an Strasbourg - etwa ausgesprochen, dass „auch wirtschaftliche Werbung durch Anzeigen den Schutz von Art 10 Abs 1 genießt, allerdings schärferen Einschränkungen unterstellt werden kann als der Ausdruck politischer Ideen“, oder gemeint, es stelle „nicht jede Überschreitung der in anderen Zusammenhängen üblichen Grenzen den Ausdrucks schon eine Verletzung des öffentlichen Anstandes dar. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung fordert besondere Zurückhaltung in der Beurteilung einer Äußerung als strafbare Anstandsverletzung“.

III. Wittgenstein

1. Etwas Äußeres ist Ausdruck von etwas Innerem. Eine Äußerung oder eine Handlung drücken ein Gefühl oder eine Intention, einen Seelenzustand aus. Die Beschäftigung mit dieser Sprachfigur des „Ausdrucks“ macht einen großen Teil der Texte Wittgensteins über Psychologie und psychologische Begriffe aus. Dabei trägt das, was ich in dieser Arbeit als das Konzept des „Ausdrucks“ entwickle, bei Wittgenstein nicht immer diesen Namen.

Zum einen bedeutet „Ausdruck“ in seinen Schriften oft genauso viel wie „Begriff“, „Wort“ oder „Satz“. So schreibt Wittgenstein etwa: „Was eine vollständige und eine unvollständige Beschreibung ist, wissen wir allerdings in anderem Zusammenhang. Frage dich: Wie verwendet man die Ausdrücke vollständige` und unvollständige Beschreibung`?“; oder: „Der Ausdruck Das ist alles, was geschieht` grenzt ab, was wir geschehen` nennen.“; oder: „Man kann auch einen Ausdruck, während man ihn ausspricht, auf eine Weise meinen und gleich darauf retrospektiv auf eine andere.“; oder: „Was heißt es, ein Bild, eine Zeichnung zu verstehen? Auch dann gibt es Verstehen und Nichtverstehen: Und auch dann können diese Ausdrücke verschiedenerlei bedeuten.“. In diesen Verwendungsweisen steht der Begriff des „Ausdrucks“ also nicht für die Beziehung eines Inneren, Seelischen, zu einem Äußeren, sinnlich Wahrnehmbaren.

Zum anderen kann „Ausdruck“ bei Wittgenstein auch so viel wie „charakteristisches Merkmal“ oder „Besonderheit“ bedeuten, vor allem, wenn es in Sätzen des Typs „etwas hat einen bestimmten Ausdruck“ gebraucht wird: „`Dieser Kaffee hat gar keinen Geschmack`. Dieses Gesicht hat gar keinen Ausdruck` (obwohl ich nicht sagen könnte, welchen).“; oder: „Es gibt so etwas wie ein Aufflackern des Aspekts. So wie man etwas mit intensiverem und weniger intensivem Ausdruck spielen kann.“; oder: „Sing dieses Lied mit Ausdruck!“. In diesen Fällen verweist das Wort „Ausdruck“ nicht auf ein anderes, auf eine noch dahinter oder darunter liegende Eigenschaft, sondern wird zum Attribut der Sache selbst.

In den meisten Fällen verwendet Wittgenstein jedoch „Ausdruck“ genau in dem von mir intendierten Sinn der Verbindung eines Innen mit einem Außen: „Zorn. Ich hasse...` ist offenbar der Ausdruck des Hasses, Ich bin zornig` selten der Ausdruck des Zorns.“; oder: „Denke, Einer wüßte, erriete: daß ein Kind Empfindungen hätte, aber keinerlei Ausdruck für sie. Und nun wollte er das Kind lehren, die Empfindungen auszudrücken. Wie muß es eine Handlung mit einer Empfindung verbinden, damit sie ihr Ausdruck wird?“; oder: „Der Ausdruck, das Benehmen des Überlegens. Wovon sagen wir: Es überlege sich etwas?“; oder: „Aber dies Wort kann ebenso leicht der Ausdruck eines Mißverständnisses sein...“; oder: „Ich schließe auf die Folgen seiner Überzeugung aus dem Ausdruck seiner Überzeugung...“; oder: „Woran erkennt man, daß der Ausdruck der Freude nicht der Ausdruck eines Körperschmerzes ist?“; oder: „Ja, das Charakteristikum aller Gefühle` ist, daß es einen Ausdruck, d. i. eine Miene, Gebärde, des Gefühls gibt.“; oder: „So wie zwar der Gram wesentlich einen Ausdruck in der Miene hat...“; oder: „Der Schrei, ein Ausdruck des Schmerzes...“; oder: „Die Worte Es liegt mir auf der Zunge` sind so wenig der Ausdruck eines Erlebnisses wie die: Jetzt weiß ich weiter!`.“

Derselbe Sachverhalt eines Weges von Innen nach Außen wird von Wittgenstein aber auch mit der Verwendung des Wortes „Äußerung“ gekennzeichnet: „Die Liebe, also das Wichtigste, ist nicht ein Gefühl, sondern etwas tieferes, das nur in dem Gefühl sich äußert.“; oder: „Ist Ich tue mein Möglichstes` die Äußerung eines Erlebnisses?“; oder: „Verstellung, Schmerzen heucheln. Es besteht nicht einfach darin, daß man die Äußerung des Schmerzes von sich gibt, ohne Schmerzen zu haben.“; oder: „Die Äußerungen von Furcht, Hoffnung, Wunsch, sind keine Beschreibungen.“; oder: „Die Äußerungen meiner Gefühle können unecht sein.“; oder: „Wenn man sagt, das Wissen des ABC sei ein Zustand der Seele, so denkt man an den Zustand eines Seelengegenstandes (etwa unseres Gehirns), mittels welches wir die Äußerungen dieses Wissens erklären.“.

Mit „Ausdruck“ oder „Äußerung“, in den gerade dargestellten Gebrauchsweisen der Worte, benennt Wittgenstein also einen Vorgang, der sich beschreiben lässt als Übersetzung von etwas Innerem, Seelischem, in etwas Äußeres, Sinnfälliges. Das Innere soll im Äußeren eine - wie immer geartete - Entsprechung haben.

2. An diesem Innen-Außen-Dualismus nimmt nun das Äußere auf den ersten Blick die unproblematische Seite ein. Unproblematisch deswegen, weil Worte, Gesten, Mienen, Gebärden, Handlungen und so weiter allgemein wahrnehmbar sind. Wir können hören, was jemand sagt, sehen, wenn jemand das Gesicht verzieht. Aber wir können nicht hören, was jemand denkt oder sehen, was sie fühlt. Wir können in die anderen nicht hineinschauen. - Aber wir wissen doch, was es heißt, Schmerzen zu empfinden, sich eine Situation vorzustellen, an einen anderen Menschen zu denken, sich an vergangene Ereignisse zu erinnern, glücklich zu sein, die Hoffnung nicht aufzugeben: wir haben das ja oft genug erlebt! Wir wissen, was in uns vorgeht. Und wir wissen das besser als alle anderen. Wir wehren uns gegen alle, die sich anmaßen, über unser Inneres anders urteilen zu wollen, als wir selbst: „Du hast ja keine Ahnung, wer ich wirklich bin!“.

In diesem Sinn ist uns unser Inneres, unser Seelenleben noch viel vertrauter als das, was wir von der „Außenwelt“ wahrnehmen. Das Innere liegt uns näher, ist uns zugänglicher. Aber ist das auch wahr? „Ich weiß, was in mir vorgeht.“ - So trivial wie dieser Satz klingt, so wenig sagt er in Wirklichkeit aus. Wittgenstein wendet sich vor allem mit zwei Argumenten gegen eine Auffassung, die von einem „privilegierten Zugang“ in unser Inneres ausgeht und daraus Schlüsse über die Bedeutung psychologischer Begriffe ziehen will. Er meint, Sätze wie „Ich weiß, was ich gerade fühle“ oder „Ich weiß, was ich jetzt denke“ seien sinnlos (3.), und er meint, dass wir über unsere Empfindungen, Gefühle, Gedanken, kurz: über unsere Seele überhaupt nur dann sprechen können, wenn wir auch die Empfindungen, Gefühle und Gedanken anderer kennen (4.).

3. Beginnen wir bei den Schmerzen. Was wird mit der Aussage „Ich habe Schmerzen“ im Regelfall gesagt? Behaupte ich damit, in meinen Körper gleichsam einen Blick geworfen zu haben und dabei auf Schmerzen gestoßen zu sein; hätte es bei diesem „einen Blick werfen“ auch passieren können, dass ich die Schmerzen, die ich in Wirklichkeit habe, nicht finde, oder dass ich Schmerzen finde, die ich in Wirklichkeit nicht habe? Das ist offensichtlich absurd. Anders verhält sich die Sache natürlich, wenn ich nicht die Aussage „Ich habe Schmerzen“ analysiere, sondern etwa die Aussage „Ich bin krank“. Hier ist es denkbar, dass ich (oder die Ärztin) bei der Untersuchung meines Körpers feststellen, dass ich krank bin, ohne dass ich mich krank fühle; oder umgekehrt, dass ich mich krank fühle, mir aber in Wahrheit gar nichts fehlt. Aber Schmerzen haben und sie nicht fühlen, ist ein Unding.

Wenn mir die Ärztin sagt: „Sie haben Diabetes“, dann weiß ich, dass ich krank bin. Vorher wusste ich es nicht, ich habe es vielleicht vermutet oder befürchtet. Beim „Schmerzen haben“ ist so ein Unterschied zwischen Wissen und Nicht-Wissen, oder eine Vermutung, dass ich Schmerzen habe, oder ein Zweifel, ob ich Schmerzen habe, fehl am Platz: „Das ist richtig: es hat Sinn, von Anderen zu sagen, sie seien im Zweifel darüber, ob ich Schmerzen habe; aber nicht, es von mir selbst zu sagen“. Wittgenstein meint, dass wir normalerweise nur dann von „Wissen“ reden, wenn bezüglich des Gewussten auch Unsicherheit oder Zweifel möglich wären: „Man sagt Ich weiß`, wo man auch sagen kann Ich glaube`, oder Ich vermute`; wo man sich überzeugen kann“.

Die Bedeutung des Wortes „wissen“ oder seine „Grammatik“, wie Wittgenstein sagen würde, impliziert also zwei Merkmale: Erstens kann ich nur von dem sagen, ich wisse es, was mir auch verborgen bleiben könnte; Irrtum oder Zweifel müssen im Anwendungsbereich von „wissen“ also logisch möglich sein. Zweitens muss die Möglichkeit bestehen zu überprüfen, ob das, was ich weiß, auch richtig ist. Ich muss mein Wissen oder das, was ich zu wissen behaupte, also grundsätzlich auch zu verifizieren (oder zu falsifizieren) fähig sein. Wenn auch Sätze wie „Ich muss doch wissen, ob ich Schmerzen habe!“ unter besonderen Umständen sinnvoll gebraucht werden können, lässt sich doch leicht zeigen, dass dies deswegen möglich ist, weil vorher schon ein Irrtum über die eigenen Schmerzen behauptet worden war („Das kann dir doch gar nicht weh tun!“), der eben als absurd zurück gewiesen wird.

Wie mit den Schmerzen, so verhält es sich aber auch mit den übrigen Begriffen, mittels derer wir über unser Inneres sprechen. Sätze wie „Ich weiß, was ich will“, „Ich weiß, was in mir vorgeht“ oder „Was ich fühle, kann nur ich selbst wissen“ sind Sätzen wie „Ich weiß, dass Rom die Hauptstadt Italiens ist“, „Ich weiß, dass sie morgen nach Hause kommt“ oder „Was weiß denn ich über seine Machenschaften“ nur scheinbar analog. Wenn wir uns beim Versuch, das im „Ausdruck“ gelegene Innen-Außen-Verhältnis näher zu beschreiben, auf eine besondere Kenntnis, auf ein Wissen unseres eigenen Inneren berufen wollen, lassen wir uns von der doppelten Möglichkeit, das Wort „wissen“ zu gebrauchen, täuschen. „The problem is not that the Inner is hidden, but that the language-game it involves is very different frome those where we normally talk about knowledge“, fasst Johnston zusammen

Zur Aufklärung der Struktur des „Ausdrucks“ wäre von uns ein Wissen gefordert, das mit dem Wissen der Wissenschaften vergleichbar ist: Irrtum und Überprüfung müssten möglich sein. Mit Bezug auf unser Seelenleben verwenden wir „wissen“ im Regelfall aber in einem anderen Sinn: „Ich weiß, was ich will“ bedeutet deshalb nicht, dass ich gesucht und endlich (in mir) gefunden habe, was ich will (so wie „Ich weiß, was sie will“ zu umschreiben wäre), sondern meint nur ein besonders festes Vorhaben oder eine besonders feste Überzeugung. „Ich weiß, was in mir vorgeht“ setzt nicht die Möglichkeit voraus, dass mir meine Gefühle, Gedanken und so weiter auch unbekannt sein könnten (was bei „Ich weiß, was in dir vorgeht“ der Fall wäre), sondern äußert zum Beispiel die Ablehnung einer Aussage Dritter über meine Motive oder Absichten.

4. Diesen Befund bestätigt Wittgenstein zusätzlich mit seinem bekannten Privatsprache-Argument. In den „Philosophischen Untersuchungen“ wird folgende Situation konstruiert:

„Ich will über das Wiederkehren einer bestimmten Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem Zeichen E` und schreibe in einen Kalender zu jedem Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. - Ich will zuerst bemerken, daß sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt“.

Dieses „E“ soll sich demnach „auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten Empfindungen. Ein Anderer kann diese Sprache also nicht verstehen“. Hier haben wir die einfachste Form einer rein privaten „Sprache“ vor uns. Zwei Aspekte daran sind von besonderer Bedeutung: Erstens dient diese „Sprache“ nur dazu, eine persönliche „Empfindung“ aufzuzeichnen, also etwas, das sich nur in meinem Inneren abspielt, das nur ich selbst bemerken kann. Zweitens besteht die „Sprache“ aus einem einzigen Zeichen („E“), dessen Bedeutung nur ich selbst kenne und das ich auch anderen gar nicht mitteilen will. Wittgenstein zeigt nun, dass diese Art, über das Innere Tagebuch zu führen, aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt ist:

a. Ich kann nicht einmal sinnvollerweise behaupten, dass das, was ich mit „E“ bezeichne, eine Empfindung ist. Um die Bedeutung von „E“ zu erklären, müsste ich nämlich nähere Angaben über die Beschaffenheit dessen machen, was ich so nenne. Das, was wir als „Empfindung“ bezeichnen, lässt sich nämlich als entweder angenehm, neutral oder unangenehm beschreiben, oder es lässt sich davon eine bestimmte Intensität, ein bestimmter Ort oder ein bestimmter Einfluss auf unser Tun angeben. Somit bleibt als „Übersetzung“ von „E“ nur ein Etwas, das ich habe. „Aber haben` und etwas` gehören auch zur allgemeinen Sprache“. Da nun aber „nur der Sprechende wissen kann“, worauf sich „E“ bezieht, wegen dieser völligen Privatheit von „E“ ist es nicht einmal möglich, es in derartiger Abstraktheit verständlich zu machen.

b. Es ist durch nichts gesichert, dass die verschiedenen „E“-Eintragungen in meinem Tagebuch sich immer auf dasselbe beziehen, also immer die gleiche Bedeutung haben. „Die Empfindung, die ich ursprünglich E` genannt habe, und die damit die Bedeutung des Zeichens festlegen sollte, ist binnen kurzem unwiederbringlich vergangen. (...) Es ist einfach unmöglich, die ursprüngliche Empfindung als Vergleichsmuster neben eine spätere Empfindung zu halten“. Wenn ich nach einiger Zeit dazu übergehe, eine ganz andere „Empfindung“ „E“ zu nennen, verfüge ich über keine Möglichkeit, mich zu korrigieren. Was immer ich für die „E-Empfindung“ halten werde, werde ich mit „E“ bezeichnen. „[R]ichtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier von richtig` nicht geredet werden kann“.

Wittgenstein illustriert die Sinnlosigkeit des Zeichens „E“ auch durch sein Beispiel vom Käfer in der Schachtel:

„Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir Käfer` nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Anderen schauen; und jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. - Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte“.

Wie das „E“ ist auch der „Käfer“ keiner intersubjektiven Überprüfung zugänglich. So wie niemand in die Schachteln der anderen schauen kann, so kann niemand in mich hinein schauen. Dadurch bleibt alles, was nur privat sein soll, für die Sprache und für das soziale Leben, in dem die Sprache gesprochen wird, sinnlos:

„Aber wenn nun das Wort Käfer` dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? - So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein“. Budd schreibt deshalb: „At the heart of Wittgenstein's philosophy of psychology is his rejection of introspection as a means of obtaining information about everyday psychological concepts“

5. Die Berufung auf das, was „in uns vorgeht“, auf unser Inneres, liefert somit keine feste Basis, von der aus das Verhältnis von Innen und Außen, das wir mit dem Begriff des „Ausdrucks“ voraussetzen, genauer bestimmt werden könnte. Ist daraus nun der Schluss zu ziehen, dass das Konzept des „Ausdrucks“ von einer falschen Voraussetzung ausgeht, also, wenn überhaupt, dann nur in einem indirekten, übertragenen Sinn vernünftig gebraucht werden kann?

Wittgenstein stellt diese Frage in den „Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie“: „Aber wenn wir so mit dem inneren Vorgang aufräumen, - bleibt nun nur noch der äußere?“, oder anders formuliert: „Aber sagst du nicht doch, daß alles, was man durch das Wort Seele` ausdrücken kann, irgendwie auch durch Worte für Körperliches sich ausdrücken läßt?“. Auf beide Fragen gibt er keine direkte Antwort, sondern verweist auf die Art und Weise, wie die Begriffe des Inneren und des Äußeren, der „Äußerung“ oder des „Ausdrucks“ gebraucht werden. Er verweist auf die damit zusammen hängenden Sprachspiele. Nach der ersten Frage fährt Wittgenstein fort: „Es bleibt nicht das Sprachspiel der Beschreibung des äußeren Vorgangs allein, sondern auch das, welches von der Äußerung ausgeht“. Und die zweite Frage, ob er der Auffassung sei, dass alles durch „Worte für Körperliches“ beschreibbar sei, beantwortet er mit: „Ich sage es nicht. Aber wenn es auch so wäre, - was würde es besagen? Die Worte, so wie auch das, worauf wir bei ihrer Erklärung weisen, sind ja nur die Instrumente, und nun kommt's auf ihren Gebrauch an“.

Um zu verstehen, was mit dem „Ausdruck“ als einer Brücke von Innen nach Außen gesagt wird, sollen wir also die Anlässe näher betrachten, zu denen wir uns dieses Begriffes bedienen. Wittgenstein meint nun, dass sich dabei zwei grundsätzlich verschiedene Sprachspiele feststellen lassen, die getrennt untersucht werden müssen:

1. Das Sprachspiel von Äußerungen in der ersten Person Singular.

2. Das Sprachspiel von Aussagen über die psychischen Vorgänge Dritter.

6. Äußerungen in der ersten Person, mit denen wir etwas „ausdrücken“, sind sehr häufig. Wittgenstein selbst führt beispielsweise an: „Ich hoffe, er wird kommen“, „Ich erwarte ihn schon den ganzen Tag“, „Ich fühle mich bedrückt“, „Ich habe Schmerzen“, „Ich bin glücklich“, „Ich wünsche Wein zu trinken“, „Ich glaube, es regnet“, „Ich fürchte mich“, oder „Es liegt mir auf der Zunge“.

Alle diese Sätze verstehen wir gewöhnlich in dem Sinn, dass sie auf Empfindungen, Gefühle, Gedanken, kurz: auf psychische Vorgänge oder Zustände der Sprecherinnen verweisen, auf ihr Inneres. Diese Sätze gelten für uns als „Ausdruck“ ihrer Hoffnung oder Angst, ihrer Wünsche und Vorstellungen, ihrer seelischen Verfassung. Derartige Sätze in erster Person dienen also offensichtlich dazu, etwas über das Innenleben der Sprecherinnen mitzuteilen, das, was in ihnen vorgeht, zu beschreiben.

Sind solche Äußerungen aber tatsächlich rekonstruierbar als deskriptive Sätze über psychologische Phänomene? Handeln sie von irgendeinem „Etwas in uns“? Es ist ein zentrales Anliegen Wittgensteins, Gründe anzuführen, die uns diese Fragen verneinen lassen. Seine These lautet: Sätze mit „psychologischen“ Verben in der ersten Person sind im Regelfall keine Aussagen über etwas Inneres, über Tatsachen der Psychologie. Er verdeutlicht diese These unter anderem an Hand von Sätzen mit der Struktur „Ich glaube, dass p“ (a.) und an Hand von Aussagen über das Aspektsehen (b.).

a. Wittgenstein widmet sich in seinen psychologischen Schriften des Öfteren der Analyse von Sätzen der Art von „Ich glaube, es wird regnen“ oder „Ich glaube, er wird kommen“. Er stellt sich die Frage, ob diese Aussagen dazu dienen, über innere Vorgänge oder Zustände der Sprecherin Auskunft zu geben, also etwa ihre Disposition beschreiben, etwas zu tun oder zu lassen: „Ist Ich glaube ...` eine Beschreibung meines Seelenzustandes?“. Dabei bemerkt er, dass der Satz „Ich glaube, es wird regnen“ meistens nicht anders gebraucht wird als die Aussage „Es wird regnen“, und letztere könne doch nur schwerlich als ein deskriptiver Satz über ein psychologisches Phänomen gedeutet werden: ich sage damit nichts über mich selbst aus, sondern etwas über die Wetterlage.

In gleicher Weise verbietet sich eine Parallelisierung der Sicht der Sprecherin dieser Äußerung in der ersten Person mit der Auffassung Dritter, die diesen Satz hören. Eine andere Person schließt aus meiner Aussage „Ich glaube, es wird regnen“ auf mein zukünftiges Verhalten, sie wird sich also beispielsweise nicht wundern, wenn ich mich auf die Suche nach einem Regenschirm mache. Bei mir hingegen kann nicht gesagt werden, ich schließe aus meiner Äußerung auf meine „wahrscheinlichen Handlungen“. Denn was ich zu tun geneigt bin, weiß ich ohnehin und muss es nicht erst meinen Aussagen entnehmen.

Weiters unterscheidet sich ein Satz wie „Ich glaube, es regnet“ in grundlegender Weise von Sätzen, mit denen ich mein Innenleben beschreibe, also etwa eine Erinnerung wiedergebe, wie „Der Pullover, den du gestern getragen hast, war grün“. Hier besteht nämlich die Möglichkeit, dass ich mich irre, vielleicht war der Pullover nämlich rot. Die Möglichkeit eines Irrtums ist aber ausgeschlossen, wenn ich meinen Glauben äußere. Ich kann mich nicht darüber täuschen, dass ich jetzt glaube, es regnet. „Man kann den eigenen Sinnen mißtrauen, aber nicht dem eigenen Glauben“.

Die Besonderheit von Äußerungen in der ersten Person thematisiert Wittgenstein auch in seiner Behandlung des sogenannten Moore'schen Paradoxes. In einem Vortrag im Jahr 1944 hatte Moore die Logik von Sätzen des Typs „Es regnet, aber ich glaube es nicht“ analysiert. Moore hatte gemeint, „Sätze wie In diesem Zimmer brennt ein Feuer, und ich glaube es nicht` seien aus psychologischen Gründen absurd. Denn: Falls ich jemanden frage: `Ist das Feuer im Nebenzimmer an?', und er antwortet: `Ich glaube, ja', so kann ich nicht sagen: `Schweifen Sie nicht ab. Ich habe sie nach dem Feuer gefragt, nicht nach ihrem Gemütszustand!''“.

Die Annahme einer Absurdität aus psychologischen Gründen beruht dabei auf der Auffassung, eine Aussage des Typs „Ich glaube, dass p“ sei eine Beschreibung des eigenen Geisteszustandes, also in etwa gleichbedeutend mit „Mir schwebt gerade vor dem inneren Auge das Faktum p (dass es regnet) vor“. In dieser Betrachtungsweise setze ich aber auch voraus, dass mir, wenn ich die einfache Behauptung „Es regnet“ aufstelle, in gleicher Weise dieser Fall „vorschwebt“, womit ich mit dem Satz „Es regnet, und ich glaube es nicht“ das Vorhandensein desselben Geisteszustandes in mir gleichzeitig bejahe und verneine.

Wittgenstein meint nun, die Absurdität dieses Satzes habe keine psychologischen, sondern sprachlogische oder grammatische Ursachen: Die Äußerung psychologischer Verben in der ersten Person („Ich glaube ...“) hat eine andere Grammatik, umfasst andere Bedeutungen als die Äußerung in der dritten Person („Sie glaubt ...“), was aber bei anderen Verben (wie „schneiden“, „kommen“ oder „laufen“) nicht der Fall ist. Die Aussagen „Ich schneide ...“ und „Sie schneidet ...“ lassen sich in paralleler Weise ergänzen oder abwandeln, ohne dass es zu Sinnstörungen kommt; was ich über ihr Schneiden sagen kann, kann ich in gleicher Weise über mein Schneiden sagen: „Ich schneide ein Brot“ - „Sie schneidet ein Brot“, „Ich schneide daneben“ - „Sie schneidet daneben“, „Ich habe noch nie Zwiebeln geschnitten“ - „Sie hat noch nie Zwiebeln geschnitten“, „Nehmen wir an, ich schneide gerade ein Brot“ - „Nehmen wir an, sie schneidet gerade ein Brot“. In allen Fällen herrscht genaue Parallelität. Anders beim „glauben“: „Ich glaube, es regnet“ und „Sie glaubt, es regnet“ mögen noch im Wesentlichen gleichbedeutend erscheinen. Aber was entspricht dem Satz: „Sie glaubt fälschlich, es regnet“ in der ersten Person? „Ich glaube fälschlich, es regnet“ ist offensichtlich sinnlos. Genauso gibt es zu „Es regnet, und sie glaubt es nicht“ eben keine sinnvolle Parallele in der ersten Person.

Wittgenstein ist der Ansicht, die Grammatik des Wortes „glauben“, also die Logik der verschiedenen Sprachspiele, in denen wir dieses Wort gebrauchen, ist der Grund dafür, warum Moore's Satz paradox oder absurd ist: „Moore's Paradox läßt sich so aussprechen: Die Äußerung Ich glaube, es verhält sich so` wird ähnlich verwendet wie die Behauptung Es verhält sich so`; und doch die Annahme, ich glaube, es verhalte sich so, nicht ähnlich der Annahme, es verhalte sich so“. Es bedarf zur Analyse der damit verbundenen Widersprüchlichkeit keines Verweises auf das, was beim Aussprechen solcher Sätze in uns vorgeht, keines Verweises auf ein Inneres der Sprecherinnen.

Wittgenstein weist auch darauf hin, dass es selbst für Sätze wie „Ich glaube, dass p“ verschiedene Gebrauchsmöglichkeiten gibt, dass ich mit diesem Satz also eventuell eine Selbstbeobachtung mitteilen möchte. Ein großer Teil solcher Äußerungen wird aber einen anderen Sinn haben:

„Und sagt Einer Ich war all diese Zeit im Glauben ...`, Ich hegte Zeit meines Lebens den Wunsch ...` etc., so berichtet er von einem Zustand, einer Einstellung. - Sagt er aber Ich glaube, er kommt` (oder einfach Da kommt er`) oder Ich wünsche, daß du kommst` (oder einfach Bitte komm!`), dann handelt er, spricht er, jenem Zustand gemäß, berichtet nicht, er befinde sich in ihm.

Aber wenn das richtig wäre, dann sollte es doch eine gegenwärtige Form jener Berichte geben, also einerseits, z. B., die Äußerung Ich glaube ...`, andererseits einen Bericht Ich bin im Glauben ...` Und Ähnliches für den Wunsch, die Absicht, Furcht etc.“.

b. Was stellt dieses Bild dar?

Vielleicht denken wir zuerst, es sei das Bild eines Hasen, der nach rechts schaut. Betrachten wir die Figur aber unter dem Aspekt, dass sie nach links blickt, verwandelt sie sich plötzlich in eine Ente, die Hasenohren werden zum Schnabel. Wir sagen: „Vorher habe ich es als Hase gesehen, jetzt sehe ich es als Ente“. Ein Aspektwechsel hat stattgefunden.

Was ist nun bei diesem Aspektwechsel vor sich gegangen? Das Bild selbst hat sich natürlich nicht geändert. Wir sind aber geneigt zu sagen, unser „inneres“ Bild der Figur habe sich geändert, zuerst haben wir uns einen Hasen vorgestellt, dann eine Ente. Den Wechsel haben wir erlebt als ein Umspringen des inneren Bildes. Aber diese Betrachtungsweise kann nicht stimmen, da das Bild, das wir sehen, der Gegenstand unserer Wahrnehmung und damit auch unsere Vorstellung davon als Resultat dieser Wahrnehmung, ja die ganze Zeit hindurch gleich geblieben sind. Die Figur ist dieselbe, egal ob wir sie als Hase oder als Ente sehen.

Dennoch möchten wir sagen, beim Aspektwechsel hat sich etwas in uns geändert. Der Wechsel war für uns ein Erlebnis mit einem bestimmten Inhalt und der Folge, der Figur einen anderen Namen zu geben. Und dieses Erlebnis bezeichneten wir mit dem Satz: „Ich sehe es jetzt als Ente“. Nun lässt sich der „Inhalt“ dieses Erlebnisses (dessen, was in uns beim Aspektwechsel vor sich geht) aber nicht allein mit Blick auf unsere Vorstellung, auf das „innere Bild“ beschreiben, das eben gleich geblieben ist. Alles, was wir darüber sagen können, ist eben die Äußerung: „Ich sehe es jetzt als Ente“. Und dieser Satz kann nicht in sinnvoller Weise als Beschreibung eines Erlebnisses gedeutet werde: er beschreibt nichts, er äußert etwas.

Genau so, wie „Ich glaube, es regnet“ keine Beschreibung meines Geisteszustandes zu einem bestimmten Zeitpunkt ist, genau so berichtet „Ich sehe es jetzt als Ente“ von keiner Erfahrung, von keiner Wahrnehmung eines Gegenstandes: Wir können uns nicht darüber täuschen, dass der Aspekt des Bildes für uns gewechselt hat, ein Unterschied zwischen dem Innen (Erlebnis des Aspektwechsels) und dem Außen (Äußerung des „Sehen-als“) ist undenkbar.

7. Dass Äußerungen in der ersten Person nicht als Beschreibungen psychischer Vorgänge oder Zustände zu verstehen sind, wird noch deutlicher, wenn wir nicht-sprachliche Äußerungen betrachten, die uns als „Ausdruck“ von etwas Innerem gelten.

Jemand schreit vor Schmerzen. Natürlich fiele es uns nicht ein, das Schreien als Beschreibung des Schmerzes anzusehen, so, als würde der Schmerz zuerst durch Introspektion beobachtet und dann nach außen „übersetzt“. Eine solche Unterscheidung ist absurd. Der Schrei „entringt“ sich uns genau so, wie sich uns der Schmerz aufdrängt: Wenn wir einen starken Schmerz fühlen, schreien wir spontan auf.

In gleicher Weise lächeln wir etwa, wenn wir einen lieben Menschen oder ein kleines Kind sehen. Es ist nicht so, dass wir feststellen, dass uns diese Begegnung innerlich Freude bereitet, und deshalb entschließen wir uns zu lächeln. Oder wir blicken mürrisch drein, wenn wir zornig sind, oder weinen, wenn wir traurig sind.

Wittgenstein nennt diese wortlosen Verhaltensweisen ein „primitives Benehmen“ oder eine „primitive Reaktion“ und erklärt: „Was aber will hier das Wort primitiv` sagen? Doch wohl, daß die Verhaltensweise vorsprachlich ist: daß ein Sprachspiel auf ihr beruht, daß sie der Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens“. Es gibt also „primitives“ oder „instinktives“ „Schmerzbenehmen“, wie es ein „Freude-Benehmen“, ein Zorn-Benehmen oder ein Trauer-Benehmen gibt. Diese Arten des Sich-Verhaltens sind jedenfalls nicht durch Sprache, durch Erklärungen oder Beschreibungen, gelernt worden. Wittgenstein geht sogar so weit, sie als „natürliche Art des Verhaltens zu anderen Menschen“ zu bezeichnen.

In einem wichtigen Schritt verbindet er nun das vorsprachliche Benehmen mit dem sprachlichen, indem er sagt. „[U]nsere Sprache ist nur ein Hilfsmittel und ein weiterer Ausbau dieses Verhaltens. Ich meine: unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benehmens“. Wenn wir also an Stelle des wortlosen Aufschreis wegen eines Schmerzes laut: „Mein Fuß!“ rufen, ist dieser Ausruf genau so Schmerzbenehmen wie der Schrei und nicht Bericht über einen wahrgenommenen Schmerz: „[D]er Wortausdruck des Schmerzes ersetzt das Schreien und beschreibt es nicht“. In diesem Sinn berichten wir durch unser Lachen nicht von unserer Freude und auch nicht durch ein erleichtertes „Endlich geschafft!“ oder „Sie ist wieder da!“. Und „Dieser Trottel!“ rufen wir nicht, weil wir uns geärgert haben, sondern wenn wir uns ärgern. Schroeder fasst Wittgensteins Auffassung zusammen: „Das Fundament unserer Empfindungssprache sind keine Urteile über innere Vorkommnisse, sondern instinktive Reaktionen, die dann verbal erweitert werden“.

8. Die zu Beginn dieser Arbeit vorgestellte Verständnisweise des Wortes „Ausdruck“ stößt somit auf eine unvermutete Grenze. Der „Ausdruck“ als Gemeinsames des Übergangs vom Innen zum Außen passt nicht mehr für die Erklärung eines weiten Bereichs unseres Sprachgebrauchs, der aber auf den ersten Blick gerade als Paradigma der Verwendung dieses Begriffs gegolten hatte. Die „Empfindungssprache“ beziehungsweise die Verwendung „psychologischer Verben“ in der ersten Person Singular Präsens („Ich habe Schmerzen“, „Ich glaube, es regnet“, „Hoffentlich kommen sie!“, „Ich fürchte mich“ etc.) sind nicht sinnvoll rekonstruierbar als Anwendungsfälle eines Dualismus von Innen und Außen, sondern lassen sich viel eher verstehen als Segmente der Sprache, in denen Innen und Außen in eins fallen.

Wittgenstein greift zur Erklärung dieses Phänomens auf etwas zurück, was er als das Gemeinsame nicht-sprachlicher und sprachlicher menschlicher Äußerungen ansieht: das „Benehmen“. Dieses „Benehmen“ steht seinem Ursprung nach natürlich im Gegensatz zur Kulturleistung der menschlichen Sprache, es ist „Reaktion“ oder Reflex. Der Schrei, wenn mir Schmerz zugefügt wird, ist ein sehr einfaches Ereignis. Diese und andere wortlose Äußerungen nimmt Wittgenstein deshalb als Basis unseres Sprechens an, als Ausgangspunkt, von dem aus unsere sprachlichen Äußerungsformen entwickelt worden sind.

Mit dieser Betrachtungsweise wird die gewöhnliche umgekehrt: Sprache erscheint nicht zuerst als System von Zeichen, die etwas bedeuten, also auf ein anderes hindeuten, sondern hat ursprünglich eine Funktion jenseits des Zeichen-Gegenstand Dualismus`. Würden wir nur die typischen Äußerungen der Empfindungssprache in erster Person betrachten, die Idee eines vom Außen (den sinnlich wahrnehmbaren Lauten) unterschiedenen Innen (den Gefühlen im weitesten Sinn) käme uns gar nicht: „Haben Hilfe!` und Ich brauche Hilfe` verschiedenen Sinn; ist es nur eine Rohheit unserer Auffassung, daß wir sie als gleichbedeutend betrachten? (...) Der schlimmste Feind unseres Verständnisses ist hier die Idee, das Bild, eines „Sinnes“ dessen, was wir reden, in unserem Geiste“.

Wittgenstein radikalisiert diese These noch, indem er bestreitet, ein und dasselbe Wort hätte in jeder seiner grammatischen Formen dieselbe Bedeutung. Was oben schon im Rahmen der Behandlung des Moore'schen Paradoxes angesprochen worden ist, lässt sich verallgemeinern: „Sieh's nicht als selbstverständlich an, sondern als etwas sehr Bemerkenswertes, daß die Verben glauben`, hoffen`, wünschen`, beabsichtigen` u.s.w. alle grammatischen Formen aufweisen, die, essen`, reden`, schneiden` auch haben“.

Weil zwischen dem Gebrauch der ersteren Verben in der ersten und in der dritten Person ein großer Unterschied besteht, weil die Äußerung eines Wunsches keine Beschreibung eines „Wunschgefühls“ ist, der Ausruf „Ich habe Angst!“ nicht den Zweck hat, etwas über mein Seelenleben zu berichten (sondern getröstet zu werden), meint er: „Es könnte nun sein, daß Leute ein Verb hätten, dessen dritte Person sich genau mit unserem: Er fürchtet sich` deckt; dessen erste Person aber nicht mit unserem Ich fürchte mich`. Denn die Behauptung in der ersten Person würde sich auf Selbstbeobachtung stützen. Sie wäre nicht die Äußerung der Furcht (...). Diese erste Person hätte nun, so scheint es, keine, oder nur eine sehr seltene Verwendung“. Ein Gebrauch der psychologischen Verben in der ersten Person mit dem Zweck, eine Selbstbeobachtung mitzuteilen, ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, entspricht aber jedenfalls nicht dem Normalfall. Normalerweise dient ein derartiger Gebrauch nämlich dazu, eine „Äußerung“ zu machen, also sich in bestimmter Weise zu benehmen.

Die Funktion der Sprache, etwas zu beschreiben, als Zeichen zu dienen, ist somit nach Wittgenstein bloß eine sekundäre, abgeleitete. Damit verliert aber auch die Differenz von Zeichen und Bezeichnetem oder - in unserem Zusammenhang - von Äußerem und Innerem im Bereich der „Äußerungen“ ihren Sinn. Glock spricht deshalb vom „expressiven Charakter“ psychologischer Aussagen in der ersten Person Singular, ihrer „expressiven Funktion“, die sich insbesondere darin zeige, dass „der Sprecher mit ihr keinen Wissensanspruch erhebt“.

Auf unserer Suche nach der Bedeutung des „Ausdrucks“ sind wir auf eine Gebrauchsweise dieses Wortes gestoßen, die sich nur scheinbar in das Schema „etwas Äußeres ist Ausdruck von etwas Innerem“ fügen lässt. Versuche, „Äußerungen“ unter Anwendung der Innen-Außen-Matrix zu erklären, führen deshalb in „unüberwindliche Schwierigkeiten“. Was wir mit einem „Ausdruck“ sagen, sollte mit Blick auf andere Sprachspiele geklärt werden.

9. Ganz geläufig sind uns Sätze wie „In seinen Worten kam große Dankbarkeit zum Ausdruck“, „Sie wollte damit zum Ausdruck bringen, dass sie sich auch für das Projekt einsetzen werde“, „Er fand nicht die rechten Worte, seiner steigenden Verwunderung Ausdruck zu verleihen“, „Sie küsste ihn mit dem lebhaftesten Ausdrucke des Verlangens“ (Goethe) oder „Ihren bedeutendsten Ausdruck gewinnt diese Geistesverfassung in einem Ideal, das man das Ideal eines Lebenswerks nennen möchte“ (Musil). Darin wird „Ausdruck“ ganz klar in dem in dieser Arbeit intendierten Sinn eines Zusammenhangs von Innerem, Seelischem mit Äußerem, Sinnfälligem.

Es fällt aber auch auf, dass das Innen und das Außen in ihnen nicht identisch gesetzt sind, sondern ihre Verbindung gleichzeitig eine Differenz anzeigt: Dankbarkeit kann auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommen, „seine Worte“ sind dazu nur eine Möglichkeit; das Innere (die Einstellung, dankbar zu sein) wird als umfassender, allgemeiner angesehen als die Äußerung. Gleiches gilt für das Vorhaben, sich „für das Projekt einzusetzen“, das „damit“ kann sich auf Worte, Handlungen, Blicke und so weiter beziehen: Der „Ausdruck des Verlangens“ wiederum kann echt sein, sie kann sich dabei aber auch verstellt haben. Und eine „Geistesverfassung“ oder Ideologie lässt sich zu verschiedenen Gelegenheiten auch vortäuschen, heucheln; der Schluss von ihrem „Ausdruck“ auf die innere Einstellung bleibt oft prekär.

Anders als bei Äußerungen in der ersten Person umfasst der Gebrauch von „Ausdruck“ in der eben beschriebenen Weise somit neben der Referenz auf eine Gleichheit von Innerem und Äußerem auch einen Verweis auf eine mögliche Differenz zwischen ihnen. Diese Differenz kann darin bestehen, dass die einzelnen Handlungen oder Aussagen als Folge einer allgemeinen Disposition, einer Einstellung gesehen werden; oder das konkrete Benehmen mag die Frage aufwerfen, ob wir es dabei nicht mit Heuchelei oder Verstellung zu tun haben: wir können in die anderen eben nicht hineinschauen...

Das würde uns aber regelmäßig interessieren. „Was geht nur in ihm vor?“ fragen wir, wenn wir aus seinem Verhalten nicht schlau werden, wenn seinen Äußerungen ein kohärentes Bild seines Innenlebens nicht zuzuordnen ist. „Ist sie ehrlich zu mir?“ wirft genauso das Problem der Differenz zwischen Innen und Außen auf. In seiner letzten niedergeschriebenen Bemerkung, kurz vor seinem Tod, widmet sich Wittgenstein noch einmal der Behandlung dieses Verhältnisses.

„Ist die Unmöglichkeit zu wissen, was im Anderen vorgeht, eine physische oder logische? Und wenn beides, - wie hängen die beiden zusammen?“ lässt er seinen imaginären Gesprächspartner fragen und gibt sogleich eine Antwort zur ersten Alternative: „Vorerst: es ließen sich Möglichkeiten der Erforschung des Anderen denken, die in Wirklichkeit nicht bestehen. Also gibt es eine physische Unmöglichkeit“. Vielleicht ließe sich nämlich einmal ein universeller Lügendetektor einsetzen, der uns der diesbezüglichen Schwierigkeiten entheben könnte. Oder Liebe wäre als ganz bestimmte emotionale Energie erkennbar, und „Amorometer“ stellten unser soziales Verhalten auf eine ganz neue Stufe. Bis dahin besteht aber die „physische Unmöglichkeit“, die Differenz von Innen und Außen aufzuheben.

Was meint Wittgenstein aber mit einer „logischen“ Unmöglichkeit, die neben der „physischen“ bestehen können soll? „Die logische Unmöglichkeit liegt in dem Fehlen exakter Regeln der Evidenz. (Daher drücken wir uns manchmal so aus: Wir können uns immer irren; wir können nie sicher sein; was wir beobachten, kann immer noch Verstellung sein.` Obgleich Verstellung nur eine von vielen möglichen Ursachen eines falschen Urteils ist.)“. Die auf den ersten Blick etwas eigenartige Rede von einer „logischen“ Unmöglichkeit zu wissen, was „im Anderen vorgeht“, gehört nun zu den Kunstgriffen, die uns einen der Kerngedanken der Philosophie Wittgensteins offenlegen.

Wittgenstein dreht nämlich die traditionelle Betrachtungsweise um. Normalerweise sind wir geneigt, uns auf die Frage nach dem Inneren mit der Antwort über die „physische“ Unmöglichkeit zufrieden zu geben: Solange die biochemischen Prozesse im Gehirn nicht vollständig erforscht sind, gehört es zur conditio humana, in Ungewissheit über das Seelenleben der Mitmenschen zu bleiben. Wittgenstein schlägt einen anderen Zugang zur Lösung dieses Problems vor, er fragt: Was tun wir eigentlich, wenn wir uns über das Innere eines anderen Menschen Gedanken machen? Welche Konzepte über dieses Innere setzen wir mit so einer Fragestellung schon immer voraus? Welchen Regeln folgt das Sprachspiel, das vom Seelenleben des Menschen und von der „Unmöglichkeit zu wissen, was im Anderen vorgeht“ handelt?

Seine Antwort darauf lautet: Das, was als die Seele oder das Innere eines Menschen angesprochen wird, ist erst durch dieses Sprachspiel konstituiert worden und unabhängig davon gar nicht erfassbar. Wir haben deshalb keinen unmittelbaren, naturwissenschaftlichen Zugriff auf dieses „Phänomen“, der uns der damit zusammenhängenden Ungewissheiten entledigen könnte, denn für das, was wir das „Seelenleben“ oder „Innenleben“ der Menschen nennen, ist die Ungewissheit über seinen Inhalt wesentlich. Die „Logik“ oder „Grammatik“ des Seelischen ist bestimmt von dem „Fehlen exakter Regeln der Evidenz“. Nur das gilt uns als Seele oder menschliches Innenleben, von dem wir eben gewöhnlich sagen: „Wir können uns immer irren; wir können nie sicher sein; was wir beobachten, kann immer noch Verstellung sein“. Darum kann die „Unmöglichkeit zu wissen, was im Anderen vorgeht“ auch eine „logische“ sein: wüssten wir es regelmäßig und mit Sicherheit, wir bezeichneten es nicht mehr als etwas, was „in ihm vorgeht“; gäbe es „exakte Regeln der Evidenz“, also Regeln, die einen zweifelsfreien Schluss von den Äußerungen und vom Benehmen auf die Einstellungen, Überzeugungen, Gefühle und so weiter eines Menschen ermöglichten, das ganze Sprachspiel rund um die Seele wäre wohl nie erfunden worden. Das Innere muss also auch dunkel bleiben, um nicht zerstört zu werden.

10. Nun dürfen aber Wittgensteins Aussagen über die physische und die logische Unmöglichkeit eines Blickes ins Innere des Menschen nicht als Beitrag zur Metaphysik der Seele missverstanden werden. Er spricht nicht von Eigenschaften der Seele, sondern von Eigenschaften des Sprachspiels über die Seele; er behauptet nicht, die Seele sei letztlich unerforschlich, sondern dass „unser Sprachspiel (...) auf unwägbarer Evidenz` beruht“.

Dagegen, die Verborgenheit des Inneren zu einem Attribut des Psychischen „an sich“ zu hypostasieren, wendet sich Wittgenstein auch, indem er Situationen und Sprachspiele beschreibt, in denen uns das Innere ganz und gar nicht unzugänglich erscheint. In vielen Fällen kämen wir nämlich nicht auf den Gedanken, zwischen einer Äußerung und dem, was in einem Menschen dabei vorgeht, könnte ein Unterschied bestehen. Wenn im Krankenhaus eine Patientin stöhnt, nehmen die Ärztinnen in aller Regel an, sie fühle Schmerzen, und es müssen schon ganz besondere Umstände vorliegen, damit ihnen in den Sinn kommt, die Patientin verstelle sich nur. Wenn jemand bei einem Begräbnis weint, ist allen klar, dass sie traurig ist, und in aller Regel fiele niemandem ein, in diesen Tränen nur Heuchelei zu erblicken. Wenn ich sage: „Ich esse gern Salat“ werden alle, die das hören, ohne weiteren Zweifel glauben, dass mir Salat schmeckt. Schmerz, Trauer und Geschmack sind als Empfindungen oder Gefühle jedenfalls etwas, das wir zunächst dem Seelischen, dem Innenleben eines Menschen zurechnen. In den genannten Beispielen kann aber von einer Einstellung, dieses Innere sei uns in grundsätzlicher Weise verborgen, keine Rede sein: In vielen Fällen kommt uns eine mögliche Innen-Außen-Differenz gar nicht zu Bewusstsein, wir verstehen die Äußerung tel quel als das Innere.

Gegen die Annahme von einer grundsätzlichen Verborgenheit des Inneren verweist Wittgenstein also zunächst auf unsere alltägliche Erfahrung. Wir zweifeln selten daran, dass etwa die Äußerung von Schmerzen echt ist, im Gegenteil: unsere erste Reaktion auf einen Schmerzensschrei ist, dass wir zu Hilfe eilen. Wittgenstein geht sogar so weit, dies als eine „instinktive Reaktion“ zu bezeichnen und erläutert: „Ich will also sagen, daß es einen ursprünglich echten Schmerzausdruck gibt; daß also der Schmerzausdruck nicht gleichermaßen mit dem Schmerz und der Verstellung verbunden ist. - D. h.: die Schmerzäußerung ist nicht gleichermaßen mit dem Schmerz und der Verstellung verbunden“. Die ganze Problematik der Innen-Außen-Differenz, die mit der Möglichkeit der Verstellung auftritt, nimmt gegenüber unserem „ursprünglichen“, differenzfreien Zugang zu den menschlichen Äußerungen einen untergeordnete Stellung ein: „Sich verstellen ist nicht ein so einfacher Begriff wie Schmerz haben“. - „Wäre die Verstellung nicht ein kompliziertes Muster, so wäre es denkbar, daß sich das neugeborene Kind verstellt“. Und da unser Sprachspiel ein „Ausbau des primitiven Benehmens“ ist, musste in unseren Begriff der Seele nicht nur die Verborgenheit, sondern auch ihre Offensichtlichkeit eingehen.

Anders - und das ist Wittgensteins zweites Argument gegen die These von der Unerforschlichkeit der Seele - wären auch unsere psychologischen Begriffe gar nicht verständlich: „Man kann sagen Er versteckt seine Gefühle`. Das heißt aber, daß sie nicht a priori immer versteckt sind“. Wie sollten wir sonst überhaupt von „Gefühlen“ sprechen können? „Wenn Leute (plötzlich) aufhörten, in ihren Urteilen über Geschmäcker übereinzustimmen, - würde ich noch sagen: Jeder wisse jedenfalls, was er schmecke? - Würde es dann nicht klar, daß das Unsinn sei?“. Unsinn, weil uns dann der Begriff des Geschmacks selbst verloren gegangen wäre; genau so, wie es unsere Farbbegriffe nicht gäbe, „wenn die Menschen nicht im allgemeinen über die Farben der Dinge übereinstimmten, wenn Unstimmigkeit nicht die Ausnahme wäre“.

11. Somit lässt sich zusammenfassen: Der Unergründbarkeit des Inneren korrespondiert seine Durchsichtigkeit, und zu seinem Begriff, zur Grammatik der Seele gehören beide Elemente. Die Verborgenheit des Psychischen besteht nur relativ zu einer Kenntnis, die mittels der verschiedenen Äußerungsformen erworben worden ist, mit denen sich das Innenleben des Menschen zeigt: „Das Charakteristikum aller Gefühle` ist, daß es einen Ausdruck, d. i. eine Miene, Gebärde, des Gefühls gibt“.

Damit ist die Frage, was es mit diesem Innenleben, mit dem Inneren des „Ausdrucks“ nun auf sich hat, noch nicht beantwortet. Wir wissen nur, dass es weder offensichtlich noch unerkennbar ist: Was ist es aber wirklich? Oder, anders formuliert: Was ist die Seele?

Wittgenstein gibt darauf eine überraschende Antwort: Die Seele ist nur ein Bild. Sie ist ein Bild, das wir uns vom Menschen machen, weil das menschliche Benehmen nicht wie der Lauf einer Maschine vorhergesagt werden kann. Für diese Unsicherheit über das Verhalten der anderen haben wir unzählige Redeweisen, neben den schon genannten, von Wittgenstein angeführten („Wir können uns immer irren; wir können nie sicher sein; was wir beobachten, kann immer noch Verstellung sein.“), fallen mir noch ein: „Ich kann in ihn nicht hineinschauen“, „Sie macht sowieso immer, was sie will“ oder „Ich habe ihn nie verstanden“.

Wittgenstein gewinnt diesen Begriff des Seelischen, indem er untersucht, wie wir über Maschinen sprechen: „`Ich weiß nicht, was jetzt in ihm vorgeht!` das könnte man von einem sehr komplizierten Mechanismus sagen; etwa einer Kunstuhr, die nach sehr komplizierten Gesetzen verschiedene äußere Bewegungen auslöst. Man denkt sich dann bei ihrer Betrachtung vielleicht: Wenn ich wüßte, wie es in ihr ausschaut, was jetzt vorgeht, wüßte ich, was zu erwarten ist. - Beim Menschen aber ist angenommen, daß man in den Mechanismus keinen Einblick gewinnen kann. Es ist also die Unbestimmtheit postuliert“.

Als Seele oder als Inneres des Menschen bezeichnen wir demgemäß das, was ihn vom bloßen Mechanismus unterscheidet. Und der Kern dieser Differenz besteht in der Unbestimmtheit des menschlichen Verhaltens, in der „Unvorhersehbarkeit des menschlichen Benehmens“. Aber logisch oder in der Entwicklung der Grammatik des Begriffs kommt nicht zuerst die Seele, an der wir dann eine Eigenschaft - ihre Unbestimmtheit - feststellen. Wittgenstein meint, diese Entwicklung sei in entgegengesetzter Richtung verlaufen. „Nicht das Verhältnis von Innerem zu Äußerem erklärt die Unsicherheit der Evidenz, sondern umgekehrt ist dies Verhältnis nur eine bildhafte Darstellung dieser Unsicherheit“. - „Wir brauchen den Begriff seelisch` (etc.) nicht, um zu rechtfertigen, daß gewisse unserer Schlüsse unbestimmt sind. Sondern diese Unbestimmtheit etc., erklärt uns den Gebrauch des Wortes seelisch`“.

12. Damit können wir festhalten, dass für Wittgenstein die Unbestimmtheit ihres Inhalts nicht nur konstitutiv ist für den Begriff der Seele, also - wie gesagt - eine vollständige Kenntnis der Seele schon logisch unmöglich ist; sondern dass diese Unbestimmtheit sogar der Ursprung der Seele ist. Diese Ausdrucksweise von einem „Ursprung der Seele“ darf aber wiederum nicht in einem metaphysischen Sinn verstanden werden, als würde damit etwas über zwei Dinge und ihr Verhältnis der Kausalität zueinander ausgesagt. Die Unbestimmtheit des menschlichen Verhaltens ist nur insoweit Ursprung dessen, was wir als „Seele“ oder „Inneres“ des Menschen bezeichnen, als gezeigt werden konnte, dass unsere Begriffe durch Analyse unserer Aussagen über diese Unbestimmtheit erklärt werden können. Und diese Aussagen sind deshalb ursprünglicher als jene Begriffe, weil sie direkt an „natürliches“ oder „instinktives“ Benehmen der Menschen anschließen („Unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benehmens“).

Dadurch sagt Wittgenstein auch, dass unsere Begriffe der „Seele“ und des „Inneren“ nicht falsch sind, weil sie etwa bloße Chimären bezeichneten, sondern nur oft falsch gebraucht werden. Falsch gebraucht werden sie beispielsweise in dem Satz: „Freilich berichtet der Psychologe die Worte, das Benehmen des Subjekts, aber doch nur als Zeichen seelischer Vorgänge“. Was ist daran falsch, das Benehmen eines Menschen als „Zeichen seelischer Vorgänge“ zu deuten? Zuerst einmal sind wir wohl verwundert, denn diese Redeweise scheint uns ganz alltäglich zu sein: „Er sagte den ganzen Abend lang kein Wort, weil er sich noch immer so über seinen Chef ärgern musste“, „Sie ist vor Aufregung ganz hektisch“ und so weiter sind Sätze, die wir ohne Weiteres verstehen und mit denen wir durchaus sinnvoll umgehen können. Wittgenstein meint nun, hier von „Zeichen seelischer Vorgänge“ zu sprechen, sei deshalb „irreführend, weil wir gewöhnt sind, von der Gesichtsfarbe als Zeichen des Fiebers zu reden“. Das Fieber aber ist tatsächlich ein Zustand „im Inneren“ des Körpers, es hat einen festen physiologischen Sitz. Indem wir in Analogie zu diesem Sprachgebrauch das Benehmen auf einen Vorgang oder eine Veränderung in der Seele zurückführen, tun wir so, als hätte auch diese einen klar definierbaren Ort im Inneren des Menschen. Gegen eine „schlechte Analogie“ dieser Art, gegen eine Hypostasierung des Seelischen wenden sich aber Wittgensteins gesamte Diskussionen in seinen Schriften über die Psychologie.

In den meisten Fällen sind die Sprachspiele vom Inneren und seiner Unerforschlichkeit, von der Seele und dem Mangel an Evidenz jedoch ganz und gar unproblematisch. Wenn wir uns vor „schlechten Analogien“ und metaphysischen Überhöhungen der Begriffe hüten, „Seele“ und „Inneres“ als Metaphern, im bildhaften Sinne gebrauchen, haben diese Worte durchaus ihre Berechtigung: Sie ermöglichen uns, die Komplexität des menschlichen Verhaltens zu bezeichnen und damit umzugehen. In manchen Fällen sind wir uns über dieses Verhalten im Klaren, in anderen nicht. „Die zureichende Evidenz geht ohne eine Grenze in die unzureichende über. Eine natürliche Grundlage dieser Begriffsbildung ist das komplizierte Wesen und die Mannigfaltigkeit der menschlichen Fälle“. Ist die Evidenz unzureichend, besteht also Ungewissheit in der Beurteilung des Benehmens eines Menschen, beschreiben wir diese Ungewissheit, indem wir sie als Ungewissheit über das Innenleben dieses Menschen bezeichnen („Wer weiß, was in ihm vorgeht“, „Ich möchte gerne in ihn hineinschauen können“, „Ich kenne mich in ihm nicht aus“). Diese Vorgangsweise nennt Wittgenstein einen Teil unserer Lebensform, ein Resultat unserer Erziehung. Die Rede vom Seelischen oder vom Inneren eines Menschen ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir ihren ursprünglich bildhaften Charakter fast vergessen haben: „Wir sind an eine bestimmte Einteilung der Sachen gewöhnt. - Sie ist uns mit der Sprache, oder den Sprachen, zur Natur geworden“. Deshalb können wir „nicht umhin, uns das Bild vom seelischen Vorgang zu machen“.

13. Kommen wir abschließend noch einmal auf die hier zentrale Fragestellung nach der Bedeutung dessen zurück, was wir als „Ausdruck“ bezeichnen. Im „Ausdruck“ geht es uns, wie gesagt, um die Vermittlung eines Inneren mit einem Äußeren. Die Worte oder Handlungen eines Menschen werden in Verbindung gebracht mit den Überzeugungen, Einstellungen, Fähigkeiten, Gefühlen und so weiter dieses Menschen. Mit dem „Ausdruck“ ist also ein Dualismus gesetzt, ein (möglicher) Gegensatz von Innen und Außen.

Die Untersuchung von Wittgensteins Gedanken über das Innere, über die Seele eines Menschen hat nun ergeben, dass es falsch wäre, sich das Innere als eine Summe von Gegenständen vorzustellen. Tun wir das aber, behandeln wir „den menschlichen Geist als einen Bereich von Gegenständen, Zuständen und Ereignissen, der ebenso wie die physikalische Welt Gegenstand von Beschreibungen, Beobachtungen und Wissensansprüchen ist“, geraten wir unversehens auf Abwege. Hier haben wir mit dem Innen-Außen-Dualismus einen metaphysischen Brocken geschluckt, den wir nicht einmal mehr analytisch verdauen können. Deshalb „ist die Zersetzung dieser Dichotomie ein Hauptanliegen von Wittgensteins Philosophie der Sprache und der Psychologie“.

Die Logik des „Ausdrucks“ ist im Sinne dieser Zersetzungs-Arbeit nicht als Beziehung zwischen zwei Dingen verschiedener Art rekonstruierbar. Wittgenstein verdeutlicht diesen Umstand mit Hilfe des bereits erwähnten Käfer-Beispiels, in dem er auch zeigt, dass eine Fokussierung auf das Innere, dass der Versuch einer Beschreibung des Innen als unabhängig von jeglicher Äußerung unweigerlich ins Leere führt: Niemand kann in die Schachtel des anderen schauen und kennt deshalb einen „Käfer“ nur aus seiner eigenen Schachtel: Wittgenstein entwirft hier das „reine Innen“, er versucht, den Gegenstand der Psychologie methodologisch klar abzugrenzen und gelangt auf elegante Weise zur transzendentalphilosophischen Absurdität des „Ding an sich“, von dem sich nichts sagen ließe, aber kausal für unsere Vorstellungen solle es doch sein. Das Innen soll zwar „etwas“ sein, aber davon sprechen können wir nicht. „Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindungen nach dem Muster von Gegenstand und Bezeichnung` konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus“.

Diese Grammatik des Innen-Außen-Dualismus, die uns verleitet, den äußeren Gegenständen „innere Gegenstände“ entgegen zu stellen, veranschaulicht Wittgenstein auch noch mit dem Gleichnis vom Schmelzofen:

„Das verwirrende Bild ist dies: daß wir eine Substanz beobachten, - ihre Veränderungen, Zustände, Bewegungen; gleich Einem, der die Veränderungen und Bewegungen in einem Schmelzofen beobachtet. Während wir das Verhalten und Benehmen der Menschen beobachten und vergleichen“.

Im Hochofen wird Eisenerz mit Koks geschmolzen und dadurch Roheisen gewonnen. Die Veränderungen des Erzes unter Einfluss der Hitze und des Kohlendioxyds können alle, die „einen Schmelzofen beobachten“ wahrnehmen und die dabei involvierten chemischen Prozesse auch verstehen als Reaktionen zwischen verschiedenen Substanzen, deren Formel angegeben werden kann. Parallel dazu werden von einer Psychologie, die die menschliche Seele als Forschungs-Gegenstand begreifen will, die psychischen Phänomene (Empfindungen, Gefühle, Denken, Bewusstsein und so weiter) als Substanzen aufgefasst, deren Zusammenwirken „das Verhalten und Benehmen der Menschen“ erklären soll. Doch alles, was wir als das Erz und den Koks der Seele festhalten wollen, gerät uns zu einem Käfer in einer Schachtel.

Folgt daraus, dass es ein Innen gar nicht gibt, dass die Gefühle, die Empfindungen, die Vorstellungen allesamt gar nichts sind? „Nicht doch“, sagt Wittgenstein, „Sie [die Empfindung, F. O.] ist kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts! Das Ergebnis war nur, daß ein Nichts den gleichen Dienst täte wie ein Etwas, worüber sich nichts aussagen läßt. Wir verwarfen nur die Grammatik, die sich uns hier aufdrängen will“. Sofort nach dieser Bemerkung sieht er sich gezwungen, den naheliegenden Vorwurf zurückzuweisen, „nicht doch ein verkappter Behaviourist“ zu sein, der „im Grunde“ der Ansicht ist, „daß alles Fiktion ist, außer dem menschlichen Benehmen“. Sehr kühl antwortet er: „Wenn ich von einer Fiktion rede, dann von einer grammatischen Fiktion“.

Wittgenstein lehnt es also ab, sich auf die metaphysische Auseinandersetzung, die mit „Was ist ...?“ das Wesen oder die Realität der Dinge erfragen will, einzulassen. Wenn wir oben auf die Frage: „Was ist die Seele?“ mit Wittgenstein die Antwort gegeben haben: „Die Seele ist ein Bild“ und jetzt der Begriff der „grammatischen Fiktion“ ins Spiel gebracht wurde, so ist deutlich, wohin die Reise gehen sollte: Ihr Ziel war eine Analyse der Sprachspiele, die sich rund um die Beziehung von Innen und Außen gebildet haben. Und Ergebnis dieser Analyse war, dass viele der psychologisch-metaphysischen Aussagen über Verborgenheit und Zugänglichkeit des Inneren, über die Kräfte, die in der Seele am Werk sind und so weiter, schon mit unserer gewöhnlichen Redewiese in diesem Bereich in Konflikt geraten.

Die Untersuchung der internen Logik dieser Redeweise, ihrer Grammatik, schafft zweierlei zu Tage. Erstens verweist sie, wie gesagt, das Innere oder die Seele als Entität, als unabhängigen Gegenstand ins Reich der Erfindungen: „Das Innere` ist eine Täuschung. D. h.: Der ganze Ideenkomplex, auf den mit diesem Wort angespielt wird, ist wie ein gemalter Vorhang vor die Szene der eigentlichen Wortverwendung gezogen“. Dieser philosophische Vorhang verstellt unseren Blick auf das, was sich auf der Bühne in Wirklichkeit abspielt. Dort findet nämlich, und das ist das zweite Resultat der Untersuchung, die Aufführung eines Stücks statt, in dem dem Inneren und auch dem Äußeren verschiedene Rollen zugewiesen sind. In eine nicht-metaphorische Sprache rückübersetzt heißt das, dass es das Innere und das Äußere nicht gibt, sondern: „Es gibt innere Begriffe und äußere Begriffe“. Die Verwendung dieser Begriffe hat in unserem Leben eine bestimmte Funktion. Wir benutzen „innere Begriffe“, also die Sprache der Psychologie, etwa dann, wenn wir es mit unserer Erfahrung der Unbestimmtheit und Komplexität des menschlichen Verhaltens zu tun haben. Und „äußere Begriffe“, die Sprache der Physik, dann, wenn wir auf klare Kausalitäten oder allgemeingültige Tatsachen Bezug nehmen.

Wittgenstein fasst dieses Verhältnis noch einmal zusammen: „Was ich sagen will, ist doch, daß das Innere sich vom Äußeren durch seine Logik unterscheidet. Und daß allerdings die Logik das Bild von innen und außen erklärt, es begreiflich macht“ und „`Seelisch` ist für mich kein metaphysisches, sondern ein logisches Epithet“. Jenseits der Metaphysik hat somit der Innen-Außen-Dualismus seinen berechtigten Platz. Es gibt ein Sprachspiel der Seele und es gibt ein Sprachspiel des Benehmens und „ihre Beziehungen zueinander sind komplizierter Art“. Diese Beziehung erschöpft sich nämlich nicht in einer einfachen Gegensätzlichkeit, in einem klar abgegrenzten Entweder-Oder, sondern die beiden Sprachspiele bilden darüber hinaus eine Einheit. Die Logik, die sie unterscheidet, verbindet sie auch: „Inneres ist mit Äußerem nicht nur erfahrungsmäßig verbunden, sondern auch logisch. - Inneres ist mit Äußerem logisch verbunden, nicht bloß erfahrungsmäßig“.

Aus Erfahrung schließen wir vom Benehmen auf den Seelenzustand eines Menschen („Er hat den ganzen Tag noch nichts gegessen; der Streit mit seiner Freundin muss ihm wirklich nahe gegangen sein“) und umgekehrt vom Seelenzustand aufs Benehmen („So geizig wie sie ist, wird sie dir sicher nichts aus dem Urlaub mitbringen“) Gleichzeitig kommen beide ohne einander nicht aus, sind in ihrer internen Logik oder Grammatik aufeinander verwiesen:

„Zur Grammatik des Benehmensberichts gehört notwendig, daß nicht offenbleibt, ob dieses Benehmen überhaupt einen Seelenzustand ausdrückt oder nicht, oder ob es dies nur vielleicht tut, was etwa bei einem Verhaltensbericht über ein Tier und erst recht über einen Roboter möglich ist. Dies bedeutet natürlich nicht, daß die Grammatik des Benehmensberichts auch a priori festlegt, welcher spezielle Seelenzustand im Benehmen zum Ausdruck kommt. Dies ist offenbar eine Frage zusätzlicher Kriterien. Umgekehrt, vom Seelenzustand einer (fremden) Verstimmung berichten, bedeutet, daß man dies notwendig durch einen impliziten Benehmensbericht hindurch tut, indem man sich auf verbale und nonverbale, im weitesten Sinn sprachliche` Verhaltensweisen der betroffenen Person bezieht. Die Semantik von Benehmen` ist dann ebensowenig eine bloß physisch-körperliche Semantik, wie die des Seelenzustands lediglich intern-psychisch sein kann“.

Berichte vom Benehmen und von Seelenzuständen erfolgen also „nicht im Nebeneinander; sondern von einem durch das andere“. Lütterfelds analysiert diese Beziehung folgendermaßen: „Die Struktur des Verhältnisses der beiden Sprachspiele zueinander ist die des gegenseitigen, also nicht einseitigen Durcheinanders`. (...) In der Beziehung des Durcheinanders` sind beide Berichte so miteinander verknüpft, daß man dann, wenn man explizit auf den einen Sachverhalt Bezug nimmt, dies nur durch eine implizite Bezugnahme auf den anderen tun kann“. Wenn ich aber vom Inneren nur durch Verweis aufs Äußere und vom Äußeren nur unter Voraussetzung des Inneren sprechen kann, gerät, so Lütterfelds weiter, „Wittgensteins Konzept des Durcheinanders` jedoch in eine Widersprüchlichkeit, deren Logik sich vielleicht nur in einer Dialektik vom Hegelschen Typ aufhellen ließe“. Dass wir am Innen-Außen-Dualismus trotz seiner Widersprüchlichkeit festhalten hat seinen Grund in unserer Lebensform, in unserem Weltbild. „Daß sich im Benehmen Seele ausdrückt“ nennt Lütterfelds das „Fundament“ oder die „Basis“ unseres psychologischen Sprachspiels. Wir können uns beim Menschen seelenloses Benehmen einfach nicht vorstellen. Wittgenstein schließt deshalb: „Das Innen setze ich voraus, insofern ich einen Menschen voraussetze“.

Die Struktur des „Ausdrucks“ ist nach Wittgenstein die Struktur unserer Lebensform. Dass wir ein Innen von einem Außen des Menschen unterscheiden und aufeinander beziehen, dass Worte und Handlungen ihren Grund in einer selbst immer auch unergründlichen Seele haben, gehört zu unseren tiefsten Überzeugungen. Diese Überzeugung lässt sich nicht mehr auf gewöhnlichem Weg in Zweifel ziehen. Sie bildet vielmehr eine Tatsache, die wir nicht mehr in Frage stellen könne, ohne damit auch unser ganzes Leben anders entwerfen zu müssen.

IV. Die Theorie der Sprechakte

1. John Austin entwickelte seine Theorie der Sprechakte in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts und stellte sie Anfang der fünfziger in Vorlesungen an verschiedenen englischen und amerikanischen Universitäten der Öffentlichkeit vor. Aus den Unterlagen zu diesen Vorlesungen und aus verschiedenen Mitschriften wurde nach seinem Tod ein Buch zusammengestellt, das diese Theorie darstellt: „How to Do Things with Words“.

Im englischen Titel dieses Buches ist bereits der Kern der Theorie enthalten: Es geht Austin darum zu zeigen, dass sich eine Analyse der Sprache nicht auf Sätze beschränken darf, die einen Sachverhalt beschreiben oder eine Tatsache behaupten und damit entweder wahr oder falsch sind. Vielmehr erfüllt die Sprache noch ganz andere Funktionen, vor allem aber die, „Dinge zu tun“, also Handlungen auszuführen. Zu solchen Äußerungen, die keine Beschreibung oder Behauptung und nicht wahr oder falsch sind, gehören zum Beispiel ein Versprechen („Ich verspreche dir zu kommen“), eine Wette („Ich wette einen Fünfziger, daß es morgen regnet“) oder der Abschluss eines Vertrages („Ich bin damit einverstanden“). Mit diesen Äußerungen vollziehe ich die Handlungen des Versprechen-Abgebens, des Wette-Eingehens und des Vertrag-Abschließens. „[D]as Äußern des Satzes ist, jedenfalls teilweise, das Vollziehen einer Handlung, die man ihrerseits gewöhnlich nicht als `etwas sagen' kennzeichnen würde“. Austin nennt solche Äußerungen „performativ“, im Gegensatz zu „konstativen“ Äußerungen wie „Er kommt gerade“, „Es regnet“ oder „Das Fahrrad gehört mir“.

Wenn ich also sage: „Ich verspreche dir zu kommen“, hat es wenig Sinn zu fragen, ob diese Aussage wahr oder falsch ist. Ein Versprechen ist nicht wahr oder falsch, sondern gültig oder ungültig. Und ob es gültig oder ungültig ist, hängt von vielen verschiedenen Umständen ab, etwa davon, dass es aufrichtig geäußert oder dass es als Versprechen verstanden wurde. Damit ein Versprechen gelingt, genügt es nicht, die entsprechenden Wort zu äußern, sondern es „müssen in der Regel eine ganze Menge anderer Dinge in Ordnung sein und richtig ablaufen, damit man sagen kann, wir hätten unsere Handlung glücklich zustande gebracht“.

Austin versucht nun, diese Umstände, die vorliegen müssen, damit eine performative Äußerung gelingt, systematisch zu erfassen. „Die Lehre davon, was bei solchen Äußerungen schiefgehen kann, nennen wir die Lehre von den Unglücksfällen“. Damit eine performative Äußerung „glatt und glücklich“ läuft, müssen folgende Bedingungen gegeben sein:

„(A.1) Es muß ein übliches konventionales Verfahren mit einem bestimmten konventionalen Ergebnis geben; zu dem Verfahren gehört, daß bestimmte Personen unter bestimmten Umständen bestimmte Wörter äußern.

(A.2) Die betroffenen Personen und Umstände müssen im gegebenen Fall für die Berufung auf das besondere Verfahren passen, auf welches man sich beruft.

(B.1) Alle Beteiligten müssen das Verfahren korrekt

(B.2) und vollständig durchführen.

(.1) Wenn, wie oft, das Verfahren für Leute gedacht ist, die bestimmte Meinungen oder Gefühle haben, oder wenn es der Festlegung eines der Teilnehmer auf ein bestimmtes späteres Verfahren dient, dann muß, wer am Verfahren teilnimmt und sich darauf beruft, diese Meinungen und Gefühle wirklich haben, und die Teilnehmer müssen die Absicht haben, sich so und nicht anders zu verhalten,

(.2) und sie müssen sich dann auch so verhalten.“

Die A- und B-Fälle unterscheiden sich von den -Fällen darin, dass bei einem Verstoß gegen A- und B-Regeln die Handlung überhaupt nicht zu Stande kommt, bei einem Verstoß gegen -Regeln dagegen die Handlung zwar zu Stande kommt, aber „ihr Vollzug ... einen Mißbrauch des Verfahrens darstellt. Wenn etwa eine Schauspielerin auf der Bühne dem Text eines Stückes gemäß einem anderen gegenüber ein Versprechen abgibt, dann gilt diese Handlung nicht als Versprechen zwischen den beiden Schauspielerinnen, weil den Umständen nach (A.2) klar ist, dass es nicht in Frage kommt. Gibt eine Person einer anderen gegenüber aber ein Versprechen ab und denkt sich dabei im Stillen, sich nicht daran halten zu wollen, wird das als gültiges Versprechen angesehen werden, das aber - mangels entsprechender Absicht (.1) - missbräuchlich ausgesprochen wurde.

Die A-Fälle nennt Austin „Fehlberufungen“ („misinvocations“). Dabei scheitert die Gültigkeit einer Handlung entweder daran, dass es überhaupt kein entsprechendes Verfahren gibt (A.1); oder daran, dass das Verfahren „nicht so angewandt werden (kann), wie es versucht wird“. In den B-Fällen existiert zwar ein Verfahren, es wurde aber unrichtig durchgeführt. Austin nennt diese Fälle deshalb „Fehlausführungen“ („misexecutions“). Die dritte Gruppe () heißt schließlich die der „Mißbräuche“ („abuses“).

Diese Klassifikation diente dem Zweck, den Unterschied zwischen performativen und konstativen Äußerungen klarer zu machen, indem gezeigt werden sollte, was bei Performativen an die Stelle der wahr/falsch-Kriterien tritt. Eine nähere Betrachtung hat aber zur Folge, dass die aufgestellten Gültigkeits-Kriterien diesen Unterschied auch wieder verschwimmen lassen. Einerseits zeigen sie nämlich, dass die Gültigkeit verschiedener performativer Aussagen von Feststellungen, also Konstativen, abhängt:

„(1) Wenn die performative Äußerung `Ich bitte um Entschuldigung' glückt, dann trifft die Feststellung, daß ich um Entschuldigung bitte, zu.

(2) Soll die performative Äußerung `Ich bitte um Entschuldigung' glücken, dann muß die Aussage, daß bestimmte Bedingungen erfüllt sind (insbesondere aus den Regeln A.1 und A.2), wahr sein.

(3) Soll die performative Äußerung `Ich bitte um Entschuldigung' glücken, dann muß die Feststellung, daß bestimmte weitere Bedingungen (insbesondere aus unserer Regel .1) erfüllt sind, zutreffen.

(4) Wenigstens für einige Typen von performativen Äußerungen, etwa für vertragliche Äußerungen, gilt: Wenn sie glücken, dann trifft die Feststellung zu, daß ich in der Folge dies und jenes tun muß.“

Andererseits lassen sich auch bei Konstativen Voraussetzungen aufzeigen, die den „Infelicities“ der Performativen sehr ähnlich sind: „Wenn ich sage, die Katze sei auf der Matte, so gebe ich damit zu verstehen, daß ich auch glaube, daß die Katze auf der Matte ist“. Meine Feststellung „Die Katze ist auf der Matte“ hat also mehr Dimensionen als nur die wahr/falsch-Unterscheidung. Sie kann wahr sein, wenn ich an ihre Wahrheit aber nicht glaube, so täusche ich meine Gesprächspartnerin in einem gewissen Sinn: „Die Unredlichkeit einer Behauptung ist dieselbe wie die Unredlichkeit eines Versprechens“. Genau solche Parallelen zeigt die Analyse der „Feststellung `Hansens Kinder haben allesamt Glatzen' (...), wenn man sie trifft, obgleich Hans keine Kinder hat“: „Wir können hier davon sprechen, daß Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Äußerung geht von einer Menge Dinge aus; sind sie nicht alle so, dann verunglückt die Äußerung“ - wie ein Vertrag nicht fehlerfrei zu Stande kommt, wenn der Gegenstand, über den er geschlossen wird, nie existiert hat. Zusammenfassend kann Austin darstellen: „Schließen wir mit dem Ergebnis, daß wir uns nicht einfach auf die Proposition (...) beschränken können, wenn wir erklären wollen, was mit Feststellungen schiefgehen kann; (...). Wir müssen uns die gesamte Situation, in der die Äußerung getan wird, den ganzen Sprechakt vornehmen, wenn wir die Entsprechungen zwischen Feststellungen und performativen Äußerungen sehen wollen; wenn wir sehen wollen, woran sie jeweils scheitern“.

3. Die „Infelicities“-Struktur brachte also kein eindeutiges Unterscheidungs-Kriterium zwischen Performativen und Konstativen zu Tage. Austin versucht deswegen als Nächstes, ein „grammatisches“ Kriterium zu entwickeln. Ausgehend von der Tatsache, dass Beispiele für performative Verben bevorzugter Weise in der ersten Person Singular Indikativ Präsens Aktiv erwähnt werden („Ich wette“, „Ich taufe“, „Ich verspreche“...), bemerkt Austin, dass „eine systematische Asymmetrie zwischen dieser Form und anderen Personen und Zeiten genau desselben Verbs“ besteht: „Wenn ich die Worte `Ich wette' ausspreche, dann stelle ich nicht fest, daß ich die Worte `Ich wette' oder irgendwelche anderen Worte ausspreche, sondern ich wette; (...). Äußere ich dagegen: `Er wettet' oder stelle ich bloß fest, daß er die Worte `Ich wette' äußere (besser: geäußert habe), dann wette ich nicht für ihn - das kann nur er. Ich beschreibe, wie er eine Wette abschließt;(...)“. Diese Asymmetrie existiert auf den ersten Blick nur bei performativen Verben. „Zum Beispiel besteht keine solche Asymmetrie zwischen `Ich laufe' und `Er läuft'“. Bei näherer Betrachtung erweist sich aber auch dieses Kriterium nicht als tauglich, unter anderem deshalb, weil performative Verben in der ersten Person Singular auch dazu verwendet werden können, etwas zu beschreiben („Ich verspreche nur dann etwas, wenn ich mein Wort halten will“); und weil das Kriterium „nicht alle Fälle (deckt), in denen man mit seiner Äußerung etwas tut“: So gibt es viele Arten von Beleidigungen, aber keine performative Äußerung „Ich beleidige Sie“.

4. Austin schlägt einen weiteren „Test zur Ermittlung der rein explizit performativen Äußerungen“ vor, der darin besteht, bei der Analyse einer Äußerung vier Fragen zu stellen: „ (1) Ist es sinnvoll (bzw. bleibt der Sinn gleich), wenn man fragt: `Hat er es denn wirklich getan?'. (...) (2) Hätte er die Handlung vollziehen können, ohne die performative Äußerung zu tun? (3) Könnte er es absichtlich tun? Könnte er bereit sein es zu tun? (4) Könnte es im strengen Sinne falsch sein, daß ich ihn tadele (im Unterschied zu: sein Verhalten mißbillige), wenn ich gesagt habe, daß ich ihn tadele?“. Mit Hilfe dieses Tests sollen Äußerungen, die eine ähnliche Bedeutung haben, in performative und konstative unterschieden werden können. Die drei Aussagen „Ich erkläre mich dafür“, „Ich billige es“ und „Ich finde es richtig“ bedeuten prima vista das Gleiche. Werden nun die vier Fragen an sie gerichtet, zeigen sich doch erhebliche Abweichungen. Nach dem Bekenntnis „Ich erkläre mich dafür“ ist es nicht sinnvoll zu fragen, ob ich mich wirklich dafür erklärt habe, da meine Handlung ja ganz offensichtlich war. Ob ich es allerdings wirklich richtig finde, läßt schon fragen, wenn meine Meinung etwa in einem Gegensatz dazu steht, was sonst von mir bekannt ist. Auch kann ich etwas einfach im Stillen, bei mir sozusagen, richtig finden, aber dafür erklären muss ich mich in sinnfälliger Weise, durch eine Handlung eben. Außerdem können wir sagen „Ich erkläre mich absichtlich dafür“, aber wohl kaum „Ich finde es absichtlich richtig“. Letztlich kann es kaum „im strengen Sinne falsch“ sein, dass ich mich für etwas erkläre, wenn ich schon sage: „Ich erkläre mich dafür“. Meine Stimme zählt, egal was ich mir sonst dabei denke. Anders ist es, wenn ich sage: „Ich finde es richtig“, das könnte einfach gelogen sein. - Wie sieht es nun mit der mittleren Äußerung „Ich billige es“ aus? Dieses Beispiel zeigt, dass auch der letzte von Austin vorgeschlagene Test das Problem einer genauen Abgrenzung zwischen konstativen und performativen Verben nicht lösen kann. Denn „Ich billige es“ kann nach dem Muster von „Ich erkläre mich dafür“ gebraucht werden, wie eine Stimmabgabe in einer Verhandlung etwa; oder nach dem Muster „Ich finde es richtig“, um die eigene Meinung bekannt zu geben, also als Beschreibung der eigenen Befindlichkeit. Entsprechend werden auch die Antworten auf die vier Testfragen verschieden ausfallen.

5. Aus dem Scheitern der drei Abgrenzungs-Kriterien „Infelicities“, grammatikalische Asymmetrie und vier Testfragen zieht Austin den Schluss, dass das Projekt, einen klaren Gegensatz zwischen performativen und konstativen Äußerungen anzugeben, gescheitert ist. Damit ist aber auch das Konzept gescheitert, aus der anfänglichen Intuition, dass es Äußerungen gibt, mit denen ich „etwas Bestimmtes tue“, die Theorie einer eigenständigen Gruppe von sogenannten „performativen Verben“ zu entwickeln. Austin nimmt deswegen einen neuen Anlauf, „ganz grundsätzlich zu überlegen, was es alles bedeuten kann, daß etwas Sagen etwas Tun heißt; daß man etwas tut, indem man etwas sagt; ja daß man dadurch, daß man etwas sagt, etwas tut“. Hierzu unterscheidet er drei verschiedene „Akte“ („acts“): den lokutionären Akt, den illokutionären Akt und den perlokutionären Akt.

Der lokutionäre Akt bezeichnet die „gesamte Handlung, `etwas zu sagen'“, Lokutionen sind somit die „vollständigen Einheiten der Rede“. An den Lokutionen lassen sich wieder drei Unter-Akte feststellen: „Der phonetische Akt besteht einfach im Äußern gewisser Geräusche, der phatische Akt besteht im Äußern gewisser Vokabeln (...), die zu einem bestimmten Vokabular gehören und einer gewissen Grammatik folgen (...). Der rhetische Akt besteht darin, dass man diese Vokabeln dazu benutzt, über etwas mehr oder weniger genau Festgelegtes zu reden und darüber etwas mehr oder weniger genau Bestimmtes zu sagen“. Über einen phatischen Akt berichten wir, wenn wir eine Äußerung in direkter Rede wiedergeben („'Er hat hübsches Haar', sagte sie.“), über einen rhetischen hingegen, wenn wir auf den Sinn einer Äußerung referieren, also beispielsweise in indirekter Rede („Sie sagte, seine Haare seien hübsch.“). Wenn ich einen englischen Satz vorlese, ohne die Bedeutung der Wörter zu kennen, vollziehe ich (nur) einen phonetischen und einen phatischen Akt; wenn ich weiß, worüber ich rede, vollziehe ich dazu auch einen rhetischen Akt.

Indem ich bei der Äußerung eines lokutionären Aktes auch eine Handlung vollziehe, vollziehe ich einen illokutionären Akt. Mit der Äußerung „Wo ist sie?“ vollziehe ich den illokutionären Akt, eine Frage zu stellen; mit der Äußerung „Geh da nicht hin!“ den illokutionären Akt der Warnung; mit der Äußerung „Ich komme sicher am Wochenende“ den illokutionären Akt des Versprechens. Ein illokutionärer Akt ist ein Akt, „den man vollzieht, indem man etwas sagt, im Unterschied zu dem Akt, daß man etwas sagt“. Die Sprache lässt sich für viele verschiedene solcher Akte gebrauchen und „die Theorie der verschiedenen Funktionen, die die Sprache unter diesem Aspekt haben kann, nenne ich die Theorie der `illokutionären Rolle'“.

Von einem perlokutionären Akt spricht Austin dann, wenn eine Äußerung „gewisse Wirkungen auf die Gefühle, Gedanken oder Handlungen des oder der Hörer, des Sprechers oder anderer Personen haben“. Insofern eine Äußerung solche Wirkungen zeitigt, vollziehe ich mit ihr einen perlokutionären Akt. Mit der Lokution „Komm endlich nach Hause!“ vollziehe ich die Illokution einer Aufforderung und - eventuell - die Perlokution, eine andere Person dazu zu bringen, nach Hause zu kommen. Zusammenfassend schreibt Austin: „Wir haben unterscheiden zwischen dem lokutionären Akt (mit phonetischem, phatischem und rhetischem Akt), sofern die Äußerung Bedeutung hat. Dem illokutionären Akt, sofern die Äußerung eine gewisse Rolle spielt; und dem perlokutionären Akt, sofern durch die Äußerung gewisse Wirkungen erzielt werden“.

6. Vor dem Hintergrund dieser Einteilung kann Austin nun zeigen, dass die Unterscheidung konstativer von performativen Sätzen in sich zusammenbricht: „Haben wir uns einmal klar gemacht, daß wir nicht den Satz, sondern die Äußerung in einer Sprechsituation untersuchen müssen, dann können wir überhaupt nicht mehr übersehen, daß eine Handlung vollzieht, wer eine Feststellung trifft“. Die Feststellung, das Paradebeispiel eines Konstativs, hat eine bestimmte illokutionäre Rolle; wenn ich sage: „Sie hat es getan“, vollziehe ich eine bestimmte Handlung, die des Feststellens, die sich von anderen Handlungen, wie der Äußerung eines Zweifels, der Erhebung eines Protestes oder dem Vorbringen eines Anspruchs, in ihrer sozialen Funktion unterscheiden lässt. Die Konstativ-Performativ Differenz lässt sich jetzt rekonstruieren als eine doppelte Vereinfachung: „(a) Bei der konstativen Äußerung sehen wir von dem illokutionären (und erst recht von dem perlokutionären) Aspekt des Sprechakts ab und beschränken uns auf den lokutionären. (...) (b) Bei der performativen Äußerung achten wir so ausschließlich wie möglich auf ihre illokutionäre Rolle und lassen die Dimension der Entsprechung zu den Tatsachen beiseite“. Und das Ergebnis, zu dem Austin am Ende seiner Untersuchung gelangt, lautet: „Der lokutionäre Akt ist wie der illokutionäre im allgemeinen eine bloße Abstraktion; jeder echte Sprechakt ist beides“.

7. Austins Gedanken wurden in der Folge von John P. Searle kritisch systematisiert. Ihm liegt nicht mehr daran, die Idee zu entwickeln, dass mit Worten auch gehandelt werden kann und dass jede sprachliche Äußerung, jeder Sprechakt neben einer begrifflichen, propositionalen Seite auch eine tätige, performative Seite aufweist : diese Resultate der Austin'schen Studien setzt Searle voraus: „Die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation ist nicht, wie allgemein angenommen wurde, das Symbol, das Wort oder der Satz (...), sondern die Produktion oder Hervorbringung des Symbols oder Wortes oder Satzes im Vollzug des Sprechaktes“. Deshalb gibt es für ihn auch „nicht zwei prinzipiell verschiedene semantische Untersuchungen, nämlich eine Untersuchung der Bedeutung von Sätzen und eine des Vollzuges von Sprechakten“. Den Grund dafür sieht Searle darin, dass „jeder Satz, der Bedeutung hat auf Grund seiner Bedeutung verwendet werden kann, um einen bestimmten Sprechakt (oder eine bestimmte Reihe von Sprechakten) zu vollziehen, und da jeder mögliche Sprechakt im Prinzip als Satz oder als eine Reihe von Sätzen formuliert werden kann (unter Voraussetzung eines geeigneten Zusammenhangs, in dem die Äußerung gemacht) handelt es sich bei der Untersuchung der Bedeutung von Sätzen und bei der Untersuchung von Sprechakten nicht um zwei voneinander unabhängige Untersuchungen, sondern um eine Untersuchung unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten“.

Im Vollzug des Sprechaktes fließen gemäß dieser Auffassung drei verschiedene Akte zusammen, wodurch Sprechakte als „die grundlegenden oder kleinsten Einheiten der sprachlichen Kommunikation“ bezeichnet werden können. Erstens geht jeder Sprechakt einher mit der Äußerung von Wörtern oder Sätzen; ein Sprechakt umfasst also den „Vollzug von Äußerungsakten“. Zweitens enthält jeder Sprechakt einen Bezug der Wörter auf bestimmte Objekte also Referenz und Prädikation, wodurch sein Vollzug zu einem „Vollzug propositionaler Akte“ wird. Drittens wird mit jedem Sprechakt auch gehandelt, also etwas behauptet, gefragt, befohlen oder versprochen; diese Ebene bezeichnet Searle als „Vollzug illokutionärer Akte“. Der Zusammenhang dieser Akte gestaltet sich wie folgt: Es ist nicht möglich, einen illokutionären Akt zu vollziehen (also, beispielsweise, eine Frage zu stellen), ohne dabei auch einen propositionalen Akt und einen Äußerungsakt zu vollziehen. Genauso wenig ist es möglich, einen propositionalen Akt ohne die beiden anderen zu vollziehen: Referenz und Prädikation sind „nur als Teil des Vollzuges eines illokutionären Aktes möglich“. Ein Äußerungsakt hingegen kann schon isoliert vorkommen, etwa wenn wir „Wörter äußern, ohne etwas zu sagen“. Derselbe Äußerungsakt (zum Beispiel die Wortfolge „Sie ließ mich im Stich“) kann nun je nach Zusammenhang etwas anderes bedeuten (propositionaler Akt) und auf verschiedene Weise gebraucht werden (illokutionärer Akt), etwa um einen Vorwurf zu machen oder eine Situation zu beschreiben. In gleicher Weise kann derselbe propositionale Akt („Sam raucht gewohnheitsmäßig“) mit unterschiedlichen Worten geäußert werden („Mr. Samuel Martin ist ein regelmäßiger Tabakraucher“), oder zum Vollzug mehrerer illokutionärer Akte dienen („Sam raucht gewohnheitsmäßig.“, „Raucht Sam gewohnheitsmäßig?“, „Sam, rauch gewohnheitsmäßig!“). Schließlich kann ein und derselbe illokutionäre Akt mit unterschiedlichen Wörtern und Bezugnahmen vollzogen werden: Um dich vom Rauchen abzuhalten, kann ich sagen: „Rauch nicht soviel!“ oder: „Es sind ja nicht meine Lungen!“, oder Ähnliches.

8. Da die Äußerungs- und die propositionalen Akte in der Linguistik und der „klassischen“ Sprachphilosophie seit Frege und Saussure schon in breiter Form behandelt worden sind, gilt Searles Hauptaugenmerk den Illokutionen. Für sie schlägt er eine Einteilung, eine „Taxonomie“ vor, deren leitendes Kriterium der „illokutionäre Witz“ unter Berücksichtigung der „Ausrichtung“ der Illokutionen ist.

Als „illokutionären Witz“ bezeichnet Searle den Zweck eines Sprechaktes: „Der Witz eines Befehls läßt sich als Versuch charakterisieren, den Hörer dazu zu bekommen, irgend etwas zu tun. Der Witz oder Zweck einer Beschreibung besteht darin, (wahr oder falsch, genau oder ungenau) wiederzugeben wie etwas ist. Der Witz oder Zweck eines Versprechens ist, daß der Sprecher eine Verpflichtung übernimmt, irgend etwas zu tun“. Als „Ausrichtung“ eines illokutionären Aktes bestimmt er die Weise, „wie Wörter und die Welt aufeinander bezogen sind“: „Zum illokutionären Witz einiger Illokutionen gehört es, die Wörter (oder genauer: den jeweils von ihnen zum Ausdruck gebrachten propositionalen Gehalt) zur Welt passen zu lassen, bei anderen gehört es dazu, die Welt zu den Wörtern passen zu lassen“. Eine Beschreibung hat demnach eine „Wort-auf-Welt-Ausrichtung“ (die Welt ist sozusagen zuerst da, und die Worte müssen sich ihr anpassen), ein Befehl eine „Welt-auf-Wort-Ausrichtung“ (die Worte sollen ein bestimmtes Handeln zur Folge haben). Folgende Illokutionen können unterschieden werden:

Assertive: einen assertiven illokutionären Akt gebrauche ich dann, wenn ich mich darauf „festlegen“ will, „daß etwas der Fall ist, daß die zum Ausdruck gebrachte Proposition wahr ist“. Dieser Akt hat eine klare Wort-auf-Welt-Ausrichtung. Diese Klasse stimmt weit gehend mit dem überein, was Austin als „konstative“ Verben bezeichnet hat und enthält, unter anderem, Behauptungen, Feststellungen, aber auch Prahlen, (etwas) Beklagen oder (auf etwas) Schließen.

Direktive: mit einem direktiven Akt versucht die Sprecherin „den Hörer dazu zu bekommen, daß er etwas tut“. Die Ausrichtung ist Welt-auf-Wort, Beispiele die Sätze mit Verben wie „bitten“, „befehlen“, „auffordern“, „einladen“, „empfehlen“ oder „fordern“.

Kommissive: „Kommissive sind solche illokutionären Akte, deren Witz es ist, den Sprecher auf ein bestimmtes Verhalten festzulegen“. Die Ausrichtung ist wieder Welt-auf-Wort, wie es beim Versprechen oder dem Eingehen von Verträgen der Fall ist.

Expressive: Die Äußerung eines expressiven Aktes dient dazu, einen „psychischen Zustand zum Ausdruck zu bringen, der auf eine im propositionalen Gehalt aufgeführte Sachlage gerichtet ist“. Solche Akte haben keine Ausrichtung, „es wird vielmehr vorausgesetzt, daß die zum Ausdruck gebrachte Proposition wahr ist“. Entschuldigen, Danken, Gratulieren und Bedauern fallen in diese Klasse.

Deklarationen: „Das definierende Merkmal dieser Klasse besteht darin, daß der erfolgreiche Vollzug eines ihrer Element eine Korrespondenz von propositionalem Gehalt und Realität zustande bringt; der erfolgreiche Vollzug garantiert, daß der propositionale Gehalt der Welt entspricht“. Die Deklarationen wie Taufen, Verheiraten, (den Krieg) Erklären oder - im Rechtsleben - die Ausübung von Gestaltungsrechten (Kündigung, Entlassung, Annahme eines Angebotes) haben ebenfalls keine Ausrichtung, da „mit ihnen bereits vorausgesetzt wird, daß Welt und Wörter zueinander passen“.

9. Bevor ich zur ersten Anwendung dieser Theorie auf unser Problem des „Ausdrucks“ komme, halte ich es für nützlich, auch noch darzustellen, wie Searle die Struktur illokutionärer Akte analysiert. Austin hatte mit seiner Theorie der „Infelicities“ bereits eine solche Analyse vorgeschlagen, indem er beschrieb, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine „performative Äußerung“ gelingt. Dieselbe Problemstellung greift Searle auf und postuliert am Beispiel eines Versprechens neun solcher „Erfüllungsbedingungen“ illokutionärer Akte:

„Wenn ein Sprecher S im Beisein eines Zuhörer H einen Satz aufrichtig äußert, dann verspricht er dem Zuhörer H, daß p, vermittels der aufrichtigen Äußerung von T wahrhaftig und vollständig nur dann, wenn die folgenden Bedingungen 1 - 9 erfüllt sind“:

„Normale Eingabe-und Ausgabe-Bedingungen“: Damit ein Versprechen gelingt, müssen Sprecherin und Zuhörerin eine beiden vertraute Sprache verwenden, sie müssen sich dessen bewusst sein, was gerade geschieht, sie dürfen dabei nicht an einem Spiel teilnehmen oder sich einen Witz erzählen wollen und so weiter. Diese Bedingung umfasst somit die Voraussetzungen der „Möglichkeit jeder ernsthaften und aufrichtigen sprachlichen Kommunikation“.

„In der Äußerung von T drückt S die Proposition aus, daß p“. Ein Versprechen umfasst also immer auch einen propositionalen Gehalt.

„Indem S ausdrückt, dass p, sagt S einen zukünftigen Akt A von S aus“. Ich kann nicht versprechen, etwas zu tun, wenn ich es schon getan habe.

„H sähe lieber S' Ausführung von A als die Unterlassung von A, und S glaubt, H sähe lieber seine Ausführung von A als die Unterlassung von A“. Wenn H am Gegenstand meines Versprechens gar nicht interessiert ist, hat es keinen Sinn, es ihr zu versprechen.

„Es ist sowohl für S als auch für H nicht offensichtlich, daß S bei normalem Verlauf der Ereignisse A ausführen wird“. Etwas zu versprechen, wovon alle Beteiligten wissen, dass es ohnehin ausgeführt werden wird, kommt ebenfalls nicht in Frage.

„S beabsichtigt A zu tun“. Gemäß der einleitenden Definition kommt ein Versprechen nur dann zu Stande, wenn es aufrichtig geäußert wird. Die Versprechende muss also tatsächlich vorhaben, sich an ihr Versprechen zu halten.

„Es liegt in der Absicht von S sich mit der Äußerung von T zur Ausführung von A zu verpflichten“. Wenn ich mich mit einer Äußerung gar nicht verpflichten will, gebe ich auch kein Versprechen ab. Wenn ich etwa bloße Mutmaßungen über mein zukünftiges Verhalten mache, nennen wir das kein Versprechen.

„Es ist die Absicht des Sprechers, einen bestimmten illokutionären Effekt dadurch zu erzeugen, daß er den Zuhörer dazu bringt zu erkennen, daß er jenen Effekt hervorzurufen beabsichtigt, und es liegt ebenfalls in seiner Absicht, daß dieses Erkennen dank der Tatsache geschieht, daß die Bedeutung des von ihm Geäußerten dieses auf Grund von Konventionen mit der Erzeugung jenes Effektes verknüpft“. Wenn ich mit einer bestimmten Äußerung, einem bestimmten Satz etwas verspreche, gehe ich davon aus, dass mein Versprechen auf Grund der sprachlichen Regeln und gesellschaftlichen Konventionen gilt, die mit so einer Äußerung verbunden sind, und nicht aufgrund anderer Umstände. Die Bedeutung meiner Äußerung, ein Versprechen zu sein, hängt also auch davon ab, dass die Zuhörerin erkennt, dass ich mit dieser Äußerung ein Versprechen abgeben wollte. Diese - etwas komplizierte - Bedingung ist für unsere weitere Untersuchung von keiner größeren Bedeutung, weshalb ich hier nicht näher auf ihren Zusammenhang eingehe.

„Die semantischen Regeln des Dialekts, den S und H sprechen, sind von solcher Beschaffenheit, daß T korrekt und aufrichtig dann und nur dann geäußert wird, wenn die Bedingungen 1 - 8 erfüllt sind“. Diese Bedingung, die sprachliche Regeln für das Abgeben eines Versprechens voraussetzt, ergänzt die erste Bedingung, die für sprachliche Kommunikation im Allgemeinen galt.

Die Bedingungen 2. und 3. bezeichnet Searle als „Regeln“ oder „Bedingungen des propositionalen Gehaltes“, 4. und 5. als „Einleitungsregeln“ oder „ -bedingungen“, 6. als „Regel der Aufrichtigkeit“ oder „Aufrichtigkeitsbedingung“ und 7. als „wesentliche Regel“ oder „wesentliche Bedingung“. In einer „Ausweitung der Analyse“ behauptet er sodann, dass das Vorliegen dieser vier Bedingungen bzw. die Einhaltung dieser vier Regeln die Voraussetzung für einen erfolgreichen Vollzug jedes illokutionären Aktes schlechthin liefert. Jeder illokutionäre Akt könne mit Hilfe dieser Regeln von einem anderen unterschieden werden: „Nehmen wir zum Beispiel das Befehlen. Zu den Einleitungsbedingungen gehört, daß der Sprecher sich dem Zuhörer gegenüber in einer überlegenen Position befindet; die Aufrichtigkeitsbedingung besteht darin, daß der Sprecher wünscht, daß die befohlene Handlung ausgeführt wird; und die wesentliche Bedingung ist in diesem Falle, dass der Sprecher mit der Äußerung beabsichtigt, den Zuhörer zur Ausführung der betreffenden Handlung zu veranlassen. Bei Behauptungen gehört zu den Einleitungsbedingungen, daß der Sprecher irgendeinen Grund für die Annahme haben muß, daß der behauptete Satz wahr ist; die Aufrichtigkeitsbedingung besteht darin, daß er den Satz für wahr halten muß; und die wesentliche Bedingung ist in diesem Fall, daß der Satz als Wiedergabe einer bestehenden Sachlage gemeint ist“.

10. Eine interessante Anwendung dieser Strukturierung illokutionärer Akte zeigt Searle bei seiner Untersuchung von indirekten Sprechakten. Als „indirekte Sprechakte“ bezeichnet er Sprechakte, „bei denen ein illokutionärer Akt indirekt, über den Vollzug eines anderen, vollzogen wird“. Sie stellen uns vor das „Problem, wodurch es dem Sprecher möglich ist, etwas zu sagen und es zu meinen, aber darüber hinaus auch noch etwas anderes zu meinen“. Wenn beispielsweise jemand sagt: „Komm, wir gehen heute Abend ins Kino“ und zur Antwort erhält: „Ich muss für eine Prüfung lernen“, dann wird mit der Antwort einerseits der Sprechakt der Feststellung vollzogen (die Tatsache wird festgestellt, dass die Antwortende lernen muss), andererseits wird die erste Person diesen Satz aber auch als Sprechakt der Ablehnung ihres Vorschlages verstehen. Die Antwort ist also insofern ein indirekter Sprechakt, als in ihr neben der expliziten Feststellung auch implizit die Ablehnung eines Vorschlages vollzogen ist. Oder es sagt jemand bei Tisch zu ihrer Nachbarin: „Kommst du ans Salz ran?“. In diesem Fall enthält der Satz nicht nur eine Frage, sondern auch eine Bitte (das Salz weiter zu geben).

Eine sprechakttheoretische Untersuchung des Salz-Beispiels führt zu folgendem Ergebnis: die Tischnachbarin weiß normalerweise, dass es keinen Zweifel daran geben kann, dass sie tatsächlich in der Lage ist, einen Salzstreuer über den Tisch zu reichen. Der illokutionäre Witz der Frage wird also nicht der gewesen sein, etwas über ihre Fähigkeiten herauszufinden. Nun stellt es aber eine Einleitungsbedingung für einen direktiven Sprechakt (wie zum Beispiel eine Bitte) dar, dass jemand „die Fähigkeit besitzt, die in der Bedingung des propositionalen Gehalts prädizierte Handlung auszuführen“, also das Salz weiter zu reichen. Mit der Frage wurde deswegen die Erfüllung einer Einleitungsbedingung für einen direktiven Sprechakt angesprochen, womit ihr illokutionärer Witz - im gegebenen Zusammenhang - der einer Bitte ist.

In ähnlicher Weise lässt sich die Ablehnung des Vorschlages, ins Kino zu gehen, analysieren. Die Annahme eines Vorschlages stellt einen kommissiven Sprechakt dar. Aufrichtigkeitsbedingung eines solchen ist nun, dass die Sprecherin tatsächlich vorhat, die Handlung, zu der sie eingewilligt hatte, auch auszuführen. Indem sie zu verstehen gibt, dass diese Bedingung nicht erfüllt ist (sie hat nämlich vor, für eine Prüfung zu lernen), ist ihr Satz nicht nur als Feststellung, sondern auch als Nicht-Annahme des Vorschlages verstehbar. Da der Vollzug eines Sprechaktes mit dem expliziten illokutionären Witz einer Feststellung im gegebenen Zusammenhang nicht viel Sinn macht, wird ein anderer illokutionärer Witz der Äußerung gesucht und unter Anwendung der verschiedenen Bedingungen, die andere Sprechakte erfüllen müssen, gefunden.

11. In einer „Ausweitung der Analyse“ stellt Searle mehrere „allgemeine Hypothesen“ auf. Einige davon sind für die hier behandelte Problematik des „Ausdrucks“ von besonderer Bedeutung:

„Die nicht-explizite illokutionäre Rolle einer Äußerung kann stets explizit gemacht werden“. Es können also insbesondere indirekte Sprechakte immer auch direkt vollzogen werden.

„In den Fällen, in denen durch die Aufrichtigkeitsbedingung ein psychischer Zustand bestimmt wird, gilt der Vollzug des Aktes als Zum-Ausdruck-Bringen jenes Zustandes“. Unabhängig davon, ob der entsprechende Zustand tatsächlich besteht (ob ich also wirklich etwas Bestimmtes glaube, dankbar bin, etwas tun will etc.), kann mein entsprechender Sprechakt (des Behauptens, Dankens, Versprechens etc.) so verstanden werden, als träfe die Aufrichtigkeitsbedingung auf mich zu. Unaufrichtigkeit sei andererseits nur dann möglich, wenn „der Akt als der Ausdruck eines psychischen Zustandes gilt“. Eine unaufrichtige Taufe oder (gerichtliche) Verurteilung mache keinen Sinn. Searle geht also (unausgesprochen) davon aus, dass die Frage, ob eine bestimmte Äußerung als „Ausdruck“ im Sinne der vorliegenden Arbeit (als Übersetzung eines Innen in ein Außen) verstanden werden kann, durch Rückgriff auf eine Analyse der verwendeten Sprechakte zu beantworten ist. Von einem „Ausdruck“ oder einem „Zum-Ausdruck-Bringen“ eines „psychischen Zustandes“ sprechen wir, so Searle, dann nicht, wenn wir Sprechakte vollziehen, die keine Aufrichtigkeitsbedingung beinhalten, wie zum Beispiel das Taufen oder das Begrüßen.

Von dem, was eine Sprecherin mit einem Sprechakt „zum Ausdruck bringt“, unterscheidet sich das, was sie mit einem Sprechakt „impliziert“. Dies lasse sich aus der Einleitungsbedingung des Sprechaktes ableiten: „Der Vollzug jedes illokutionären Aktes impliziert für den Sprecher, daß die Einleitungsbedingungen erfüllt sind“. Wenn ich jemandem zu etwas rate, impliziert das für mich, dass ich glaube, dass mein Rat für sie nützlich ist, wenn ich jemanden zu etwas auffordere, gehe ich implizit davon aus, dass sie in der Lage ist, die Handlung auszuführen; wenn ich jemandem für etwas danke, glaube ich, dass mir ihre Hilfe genützt hat.

Ein „Zum-Ausdruck-Bringen“ findet gemäß dieser Theorie nicht nur in Bezug auf psychische Zustände (wie etwa der Dankbarkeit, der Überzeugung oder des Zornes) statt, sondern auch in Bezug auf Propositionen. Die Erfüllungsbedingungen eines illokutionären Aktes umfassen neben den „Regeln der Aufrichtigkeit“ nämlich ebenso die „Regeln des propositionalen Gehaltes“. Jeder Sprechakt muss deshalb eine bestimmte Proposition beinhalten und umgekehrt: „Der Ausdruck einer Proposition ist immer mit dem Vollzug eines illokutionären Aktes verknüpft“.

Als „Proposition“ bezeichnet Searle „etwas, das im Akt des Behauptens behauptet, in dem des Aussagens ausgesagt wird“. - „Die Unterscheidung zwischen dem Akt des Ausdrucks einer Proposition und der ausgedrückten Proposition entspricht der Unterscheidung zwischen dem Aussageakt und der Aussage“. Dieselbe Proposition kann Inhalt verschiedener Sprechakte sein. In den Sätzen „Sie kommt“, „Kommt sie?“, „Sie soll kommen!“ und „Ich verspreche, dass sie kommt“, wird die Proposition „Sie kommt“ einmal als Behauptung, dann als Frage, Aufforderung und Versprechen ausgesagt.

Wegen dieses Unterschiedes von Sprechakt und Proposition unterscheidet Searle auch zwischen Äußerungsbedeutung einerseits und Satzbedeutung andererseits. Beide können übereinstimmen, wenn „der Sprecher wörtlich meint, was er sagt“. Einen Satz oder ein Wort „wörtlich meinen“ impliziert - so Searle - aber nicht, dass Wörter oder Sätze „wörtliche Bedeutung“ in einer von jedem Kontext unabhängigen Bedeutung hätten. Aber vor dem Hintergrund der Konventionen und Hintergrundannahmen einer bestimmten Sprachgemeinschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt, also eines gegebenen Kontextes, ließe sich doch davon sprechen, dass es wörtliche Bedeutung gibt: „Wörtliche Bedeutung, und sei sie auch relativ, ist immer noch wörtliche Bedeutung“.

Von dieser „wörtlichen“ oder „Satzbedeutung“ muss jedoch die Bedeutung eines Sprechaktes, oder die „Äußerungsbedeutung“ unterschieden werden. Der Vollzug eines Sprechaktes fügt zur Bedeutung der darin enthaltenen Proposition (außer, wie gesagt, wenn eine Behauptung „wörtlich gemeint“ wird) eine weitere Ebene an Bedeutung hinzu, neben den propositionalen Gehalt tritt die illokutionäre Rolle einer Äußerung. Bei Metaphern fallen diese beiden Bedeutungen zuweilen sehr weit auseinander („Du bist mein Leben“, „Die Zeit verfliegt“, „die eiserne Lady“ ...). Im tatsächlichen Gebrauch (also beim Vollzug der Sprechakte) ist den Beteiligten aber klar, dass diese Sätze den Umständen entsprechend nicht wörtlich, sondern eben in einem übertragenen Sinn verstanden werden müssen.

Satz- und Äußerungsbedeutung fallen aber auch auf andere Weise nicht zusammen: Die Bedeutung eines Wortes lässt sich gemäß Searle nicht mit seinem Gebrauch gleichsetzen. „Bedeutung gleich Gebrauch“ sei „Ausdruck der Überzeugung, daß die Bedeutung eines Wortes weder in einer mit dem Wort verknüpften subjektiven psychischen Entität, noch in einer durch das Wort repräsentierten Entität, sei sie abstrakt oder konkret, geistig oder körperlich, partikulär oder allgemeiner Art, zu suchen sei; daß sie vielmehr allein durch die genaue Untersuchung der aktuellen Gebrauchsweise des Wortes in der Sprache aufgefunden werden könne“. Der „Gebrauch“ von Wörtern und Sätzen geschieht jedoch in einem Vollzug von Sprechakten, die eine eigene Gesetzlichkeit - ihre „Erfüllungsbedingungen“ - aufweisen und, wie gesagt, zu unterscheiden sind vom propositionalen Gehalt, der in ihnen „zum Ausdruck kommt“ und dessen „wörtliche Bedeutung“ angegeben werden könne.

13. Neben dem psychischen Zustand und dem propositionalen Gehalt beschreibt Searle noch ein drittes Phänomen, von dem er sagt, es werde im Sinne der hier vorgestellten Begrifflichkeit „ausgedrückt“: die Intentionen.

Intentionen oder, wie Searle sagt, „intentionale Zustände“ (wie ein Wunsch, eine Überzeugung oder die Furcht vor etwas) sind dieser Theorie zu Folge erstens „geistige Zustände und Ereignisse“ oder „geistige Phänomene“. „Geistige Phänomene“ stehen nicht etwa im Gegensatz zu „körperlichen“, sondern „haben ... eine biologische Basis: sie sind von Hirnvorgängen verursacht und in der Hirnstruktur realisiert“. Es sei „eine objektive Tatsache, daß es in der Welt gewisse Systeme (nämlich Hirne) mit subjektiven Geisteszuständen gibt“ und es sei eine physikalische Tatsache, daß solche Systeme geistige Merkmale haben“. Zweitens werden nur solche geistigen Zustände „intentional“ genannt, wenn ihnen „Intentionalität“ zukommt, die beschrieben wird als „diejenige Eigenschaft vieler geistigen Zustände und Ereignisse, durch die sie auf Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt gerichtet sind oder von ihnen handeln“. Geistige Zustände in diesem Sinn wären etwa „Überzeugungen, Befürchtungen, Hoffnungen oder Wünsche“ im Gegensatz zu „Formen der Nervosität, der Hochstimmung und Unruhe“.

Diese „Gerichtetheit“ und das „Von-etwas-Handeln“ intentionaler geistiger Zustände beschreibt Searle näher als „Repräsentation“: „Intentionale Zustände repräsentieren Gegenstände und Sachverhalte in demselben Sinn des Wortes `repräsentieren', in dem Sprechakte Gegenstände und Sachverhalte repräsentieren“. Eine Feststellung repräsentiert ihre Erfüllungsbedingungen, zu denen, unter anderem, gehört, dass der festgestellte Sachverhalt auch tatsächlich der Fall ist. Intentionale Zustände lassen sich nun genau so wie Sprechakte analysieren.

Wie bei jedem Sprechakt zwischen propositionalem Gehalt und illokutionärer Rolle unterschieden werden kann, weisen intentionale Zustände einerseits einen „Repräsentationsgehalt“ oder „intentionalen Gehalt“, andererseits einen bestimmten „psychischen Modus“ auf, der sie von anderen unterscheidet. Eine Überzeugung ist immer eine Überzeugung von etwas, nämlich von ihrem intentionalen Gehalt. Dieser intentionale Gehalt kann in verschiedenen Modi erscheinen. Dass es regnet, kann beispielsweise Inhalt einer Überzeugung, einer Hoffnung oder einer Befürchtung sein (oder propositionaler Gehalt der Sprechakte Feststellung, Frage oder Warnung).

Auch intentionale Zustände haben eine „Ausrichtung“. Überzeugungen haben eine „Geist-auf-Welt“-Ausrichtung (ob sie falsch sind, bestimmt sich nach der Wirklichkeit), Wünsche oder Absichten haben eine „Welt-auf-Geist“-Ausrichtung (sie können nicht in diesem Sinne falsch sein, sondern die Wirklichkeit wird an ihnen gemessen).

Intentionale Zustände haben in gleicher Wiese Erfüllungsbedingungen wie Sprechakte. Wie eine Feststellung dann „erfüllt“ ist, „wenn sie wahr ist“, ist eine Überzeugung „genau dann erfüllt, wenn sich die Dinge so verhalten, wie ich glaube, daß sie sich verhalten“. Intentionale Zustände repräsentieren also nicht einfach „Gegenstände“, sondern ein bestimmtes Ensemble von Erfüllungsbedingungen, zu denen „Gegenstände“ eventuell auch gehören .

Ein Sprechakt ist „Ausdruck“ eines intentionalen Zustandes, bzw. der propositionlae Gehalt eines Sprechaktes „drückt den intentionalen (=propositionalen) Gehalt eines intentionalen Zustandes aus“ und „dieser intentionale Zustand ist die Aufrichtigkeitsbedingung des entsprechenden Sprechakt-Typs“: „Wenn ich also beispielsweise die Feststellung, daß p, mache, dann drücke ich die Überzeugung, daß p, aus. Wenn ich verspreche, H zu tun, dann drücke ich die Absicht aus, H zu tun. Wenn ich Ihnen befehle, H zu tun, dann drücke ich den Wunsch aus, daß Sie H tun. Wenn ich mich für eine Handlung entschuldige, dann drücke ich damit aus, daß mir diese Handlung leid tut. Wenn ich Ihnen zu etwas gratuliere, dann drücke ich meine Freude oder Befriedung über das Etwas aus“. Aber auch wenn ich den entsprechenden intentionalen Zustand nicht habe, also zum Beispiel lüge, wird beim Vollzug dieser Sprechakte ein intentionaler Zustand „ausgedrückt“. Aus diesem, als „Ausdruck“ ausgesprochenen Zusammenhang von Sprechakt und Intention folgt auch, dass „die Erfüllungsbedingungen von Sprechakt und ausgedrücktem psychischen Zustand ... identisch (sind)“: „So ist beispielsweise meine Feststellung genau dann wahr, wenn die entsprechende Überzeugung korrekt ist; mein Befehl ist genau dann befolgt, wenn der ausgedrückte Wunsch erfüllt wird; und mein Versprechen ist genau dann eingehalten, wenn die ausgedrückte Absicht ausgeführt ist“.

14. Dieser „Ausdruck“ unserer Intentionen verleiht unseren Äußerungen erst ihre Bedeutung, macht Sprechakte zu semantischen Ereignissen. Denn ein Sprechakt besteht zuerst aus gewissen physikalischen Gegebenheiten, wie Geräuschen oder Tintenlinien auf einem Blatt Papier. Dass diese Gegebenheiten auch etwas bedeuten, also Sprache werden, dazu bedarf es nach Searle noch einer „Übertragung“ von Intentionalität auf diese Linien und Geräusche. Intentionen nennt er „an sich intentional“, Meinungen, Hoffnungen, Absichten und so weiter haben immer schon einen propositionalen Gehalt; es gibt keine inhaltslosen Meinungen, wie es aber sinnlose Geräusche oder bedeutungslose Zeichnungen gibt.

Diese „Übertragung“ von Intentionalität und damit von Bedeutung läuft gemäß Searles Theorie folgendermaßen ab: „Beim Vollzug des Sprechaktes gibt es eine zweifache Intentionalitätsebene. Erstens einmal gibt es den zum Ausdruck gebrachten intentionalen Zustand, doch dann gibt es zweitens auch noch die Absicht, mit der die Äußerung gemacht wird“. Wenn ich eine Feststellung treffe, enthält diese erstens meine Überzeugung (einen intentionalen Zustand); zweitens habe ich mich auch dazu entschlossen, diese Überzeugung auszusprechen, hatte also eine bestimmte Handlungs-Absicht (noch ein intentionaler Zustand), somit verfügt jeder Sprechakt über diese „doppelte Ebene der Intentionalität“. Die zum Sprechakt (der Feststellung zum Beispiel) führende Handlungsabsicht hat nun - wie jeder intentionale Zustand - gewisse Erfüllungsbedingungen. Sprachliche Bedeutung entsteht dadurch, dass eine Handlungsabsicht eine bestimmte Bedeutungsabsicht umfasst, wodurch „der Geist beim Vollzug des Sprechaktes absichtlich dem materiellen Ausdruck des zum Ausdruck gebrachten Geisteszustandes dieselben Erfüllungsbedingungen verleiht, die der Geisteszustand selbst hat. Der Geist verleiht der Hervorbringung von Klängen, Klecksen usw. dadurch Intentionalität, daß er der Hervorbringung materieller Phänomene die Erfüllungsbedingungen des Geisteszustandes verleiht“. Ein nicht intentionaler Gegenstand (eine „physische Entität“), wie ein Klang oder ein Klecks hat durch diese „Verleihung“ somit selbst Erfüllungsbedingungen und damit Bedeutung. Dass das Funktionieren dieser Transsubstantation von der Linie zum Zeichen oder vom Laut zum Wort wiederum davon abhängt, dass es klare Konventionen gibt, die diese Linie oder diesen Laut als sprachliche Äußerung gelten lassen, wird von Searle zwar gesehen, aber nicht näher thematisiert.

15. Obwohl Searle immer wieder von Geisteszuständen oder psychischen Ereignissen einerseits, andererseits von materiellen Phänomenen oder physischen Entitäten spricht, lehnt er jede Schlussfolgerung, die zu einem Leib-Seele-Dualismus führen könnte, dezidiert ab. Die „räumliche Metapher von Innen und Außen“, die Unterscheidung von einem „persönlichen Erlebnis `hier drinnen' und einer Welt `da draußen'“ verstellten den Zugang zu einer adäquaten Diskussion des Problems. Dennoch gesteht er zu, dass diese „Metaphern ... vielleicht sogar unvermeidlich“ seien. Damit lässt er jedoch die Frage offen, wie ihre wörtliche Paraphrasierung, die es grundsätzlich für jede Metapher geben solle, aussieht, was also unter einem „Ausdruck“ genau zu verstehen ist.

Searle hatte den „Ausdruck“ in drei Zusammenhängen verwendet. Zuerst in „Sprechakte“, wo er davon spricht, dass „psychische Zustände“ wie Dankbarkeit, Zorn oder Freude in verschiedenen Sprechakten „ausgedrückt“ werden. Dann legt er in „Ausdruck und Bedeutung“ dar, wie ein Sprechakt „Ausdruck“ eines „propositionalen Gehaltes“ genannt werden kann. In „Intentionalität“ schließlich vereint er in gewisser Weise diese beiden Auffassungen und vertritt die Ansicht, der psychische Zustand, der im Sprechakt „zum Ausdruck gebracht“ wird, sei ein „intentionaler Zustand“ und verfüge somit selbst über einen „propositionalen Gehalt“. Herr des „Ausdrucks“ sei der „Geist“, der die Fähigkeit habe, zwischen den Ebenen der Sprache und der Intention, zwischen Physik und Psyche zu vermitteln, was deshalb möglich sei, weil diese Ebenen in Wirklichkeit auf einer einzigen, nämlich der des Gehirns und seiner biologischen Funktionen zusammenlaufen. Zur „Realität“ des Geistes gehörten sowohl seine „Intentionalität“ als auch seine „kausalen Fähigkeiten“. Von einem „Ausdruck“ dürfen wir deshalb sprechen, weil es noch nicht gelungen ist, diese beiden Funktionsweisen und ihr Zusammenwirken zu durchschauen: „Wenn es uns gelingt, die Rolle des Hirns bei der Hervorbringung von Intentionalität zu verstehen, so wird uns dies wahrscheinlich mit Hilfe von Prinzipien gelingen, die sich vollkommen von den zur Zeit benutzten unterscheiden“.

Über die Folgen dieser wissenschaftlichen Revolution für unsere Weltanschauung und Lebensform erfahren wir bei Searle allerdings nichts.

V. Zusammenfassung

„Freedom of expression“ ist mehr als Meinungsfreiheit. Das zeigt sich schon in der unterschiedlichen rechtsdogmatischen Behandlung, die diese beiden Grundrechte in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte einerseits und des deutschen Bundesverfassungsgerichtes andererseits erfahren haben. „Expression“ oder „Ausdruck“ stehen nicht nur für ein zentrales Konzept humanistischer Persönlichkeits-Theorien, sondern auch für eine Problemstellung, die für sprachphilosophische Überlegungen wichtig geworden ist.

Wittgensteins Philosophie, besonders seine Diskussionen über psychologische Begriffe, widmet sich in breiter Form dem im „Ausdruck“ angelegten Dualismus von Innen und Außen. Dass wir etwas (Äußeres) als „Ausdruck“ von etwas anderem (Inneren) bezeichnen, darf uns, so Wittgenstein, nicht dazu verleiten, die damit angesprochenen Bereiche im Sinne der klassischen Metaphysik in Körper und Seele zu trennen. Das Innere, Seelische eines Menschen gilt ihm nur als Bild, als Metapher dafür, dass es uns oft nicht möglich ist, das Verhalten eines Menschen vorherzusagen.

Die Theorie der Sprechakte, wie sie von Austin und Searle entwickelt worden ist, beschäftigt sich mit dem „Ausdruck“ insbesondere unter dem Aspekt des möglichen Inhaltes von Sprechakten. So werden in einer frühen Fassung dieser Theorie psychische Zustände und propositionale Gehalte im Vollzug von Sprechakten „ausgedrückt“. In seinen Überlegungen zur Intentionalität vertritt Searle dann die Auffassung, dass es intentionale Zustände sind, also Zustände des Bewusstseins, wenn es auf etwas Bestimmtes „gerichtet“ ist, die in Sprechakten „zum Ausdruck gebracht“ werden. Diese Zustände und die sie „ausdrückenden“ Sprechakte hängen gemäß Searle durch die Identität der sie charakterisierenden „Erfüllungsbedingungen“ zusammen.

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