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Computerhystorien
Szenarios der Digitalisierung
und ihre Bühnen in den 80er-Jahren
Der Zeitraum seit Mitte der 80er Jahre ist für Überlegungen zum
Verhältnis von Science Fiction-Narrativen zu technischen Innovationen
deshalb besonder interessant, weil erstens zu dieser Zeit, der PC massiv
Eingang in den Alltag sehr breiter Bevölkerungsschichten fand, und gleichzeitig
das WWW sein exponentielles Wachstum begann und zweitens 1984 das "Geburtsjahr"
einer Art von Literatur ist, die unter dem Begriff "Cyberpunk" subsummiert
wird: William Gibsons Roman "Neuromancer", das zu einer Art Bibel der Programmierer/Hackerkultur
wurde, erschien in diesem Jahr.
Narrative und Rhetoriken sind für die Durchsetzung neuer Technologien
auf mehreren Ebenen von Belang: Als Leitideen oder Rahmenerzählungen
fungieren sie sowohl für EntwicklerInnen als auch für zukünftige
BenutzerInnen der technischen Artefakte als Sinnstifter und Übersetzer.
Implizit oder explizit importieren TechnikerInnen und NaturwissenschaftlerInnen
aus populären Romanen, Filmen und Computerspielen interessensleitende
Ideen, identitätsstiftende Rollenmodelle (z.b. der Hacker als moderner
Robin Hood) aber auch handlungslegitimierende Argumentationsschemata in Form
"Großer Erzählungen" (Fortschrittsparadigma, Evolution, Kosmologien,
Apokalypse). Eine besondere Rolle kommt dabei dem Genre Science Fiction zu.
Wechselweise wird ihm deskriptives bzw. prophetisches Potential zugesprochen
und gerade unter ComputerwissenschafterInnen und ProgrammiererInnen werden
seine verschiedensten medialen Erscheinungsformen in verschworenen Fan-Gemeinden
als eine Art "Geheimwissen" rezipiert. Der computerwissenschaftliche Diskurs
greift spektakuläre und innovative Metaphern und Motive der SF auf,
und bedient sich gleichzeitig ihrer häufig traditionell-linearen Erzähllogik,
um abstrakte, mathematische Modelle und technische Standards (die immer auch
sozial bedeutsam sind) intern wie auch in einer breiten Öffentlichkeit
zu etablieren (z.b. im Betriebssystemkampf Linux gegen Windows).
SF-Romane und Filme können deshalb in einer massenmedial geprägten
modernen Öffentlichkeit als mythologische Wegweiser mit Werbecharakter
(F. Jameson) charakterisiert werden. Keineswegs kann aber von einer nur passiven
Rezeption dieser Narrative durch entfremdete und verblendete KonsumentInnen
ausgegangen werden (wie es die Kritische Theorie tat), es sind im Gegenteil
im Kontext von Poststrukturalismus und Feminismus der 80er und 90er-Jahre
gerade auf diesem Gebiet vermehrt Lektüren gegen den Strich beobachtbar:
Fortschrittsoptimistische, männlich codierte Narrative konnten, einer
feministischen Lektüre unterzogen, wichtige Impulse für eine radikale
Identitätspolitik á la Donna Haraways Cyborg-Manifest geben.
Außerdem mehren sich die Befunde, dass Fangemeinden einen nicht unerheblichen
Einfluss auf die Weiterentwicklung des Genres haben: Beispielsweise ist die
Serie Star Trek seit geraumer Zeit eines der Lieblingsobjekte von Studien
aus dem Umfeld der Cultural Studies, weil sie auf frappierende Weise einer
ständigen Umgestaltung durch ihre Fangemeinde unterliegt und deshalb
besonders schnell auf (akademische) Diskurse (Gender, Multikulturalismus,
Postkolonialismus) zu reagieren im Stande ist.
Narrative der Science Fiction scheinen derzeit eine Drehscheibe und einen
Motivpool für multiple, miteinander verflochtene Diskurse abzugeben:
An SF-Szenarien und ihren suggestiven Bildern partizipieren Medientheorien
(Baudrillard, Virillo), Computerwissenschaften, Firmenprofile, Online-Communities,
Werbestrategen, populäre Wissenschaftmagazine, PolitikerInnen jeglicher
Couleur aber auch das Medium Computer als solches. Die Szenarios der SF sind
also Bühnen bzw. Arenen zu verstehen, auf/in denen technische Innovationen
verhandelt und umkämpft und Identitätspolitik betrieben wird.
Mein Ziel ist es, narratologische Text- und Filmanalysen zu technikgeschichtlichen
Arbeiten (insbesondere den Science and Technology Studies) in Relation zu
setzten, um das komplexe Verhältnis von technischen Artefakten, ihren
sozialen Rahmenbedingungen und ihren Repräsentationen/Narrativen über
die Feststellung einer allgemeinen Strukturhomologie hinausbestimmen zu können.
Um die Prozesse der Fabrikation von wissenschaftlichem Wissen und technischer
Artefakte zu begreifen, schlägt Bruno Latour eine dichte Beschreibung
der Praktiken der Akteure vor, die in die Fabrikation involviert sind. Mein
ergänzender Vorschlag ist eine dichte Beschreibung jener Prozesse,
welche die die Repräsentationen in Praktiken und letztendes in Geräte
verwandeln. Technische Artefakte verfügen nicht von sich aus über
Semantiken, diese entstehen im Kontext ihrer technischen Konstruktion, ihrer
Distribution und Benutzung. Zwei Orte, an denen die Übersetzungen von
Repräsentationen in Praktiken sehr gut zu beobachten sind, sind Computerzeitschriften
und diverse Internet-Foren, die einerseits der Selbstvergewisserung der sozialen
Gruppe der EntwicklerInnen und BenutzerInnen dienen, aber in denen auch technische
und rechtliche Standards präfiguriert werden.
Der Terminus Hystorie ist von Elaine Showalter entlehnt, die mit Hystorien
massenmediale Erzählungen meint, die auf soziale Befindlichkeiten verweisen,
diese jedoch nach spezifischen Schemata (die meist den Regeln von literarischen
Genres gehorchen) überformen. Analog dazu verweisen viele Science Fiction-Erzählungen
auf gesellschaftliche und/oder technologische Realitäten, überformen
diese aber nach den Konventionen des Genres und versehen diese dadurch mit
Bedeutung.
In der SF wird erzählerische Autorität typischerweise durch die
Transposition des Erzählten in die Zukunft hergestellt: Der Erzähler,
die Erzählerin suggeriert mit seiner/ihrer Extrapolation trotz der eindeutig
fiktionalen Markierung der Erzählung ein Vermögen zur Antizipation
– ein Gestus, der aus den Avantgarden des 20. Jahrhunderts wohl bekannt ist
– und beerbt damit diese mit ihrem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch.
Waren jedoch die klassischen Avantgarden durch eine relative Unabhängigkeit
von den Feldern der Ökonomie und der Technologie geprägt, verbinden
sich in den neuen Technoavantgarden, deren bevorzugtes Genre die SF ist,
ästhetisch-gesellschaftlicher Gestaltungswille mit der Verfügungsgewalt
über die Produktionsmittel.
Im Fall der Digitalisierung stellt sich die Sachlage noch einmal anders dar,
da der Computer bekanntlich nicht nur irgendeine Maschine ist: Als „Universelle
Maschine“ (Alan Turing) ist er unter anderem als ein Medium aufzufassen.
Glaubt man der Medientheorie, verändern sich durch seinen Gebrauch Lese-
und Schreibprozesse, ergo auch das Erzählen. Oft ist z.B. die Rede davon,
dass die Hypertext-Struktur des World Wide Web die Linearität der Buchkultur
und damit deren Verfasstheit als eine eurozentrisch-männliche sprengen
würde. Computerspiele erreichen durch ihre Interaktivität ebenfalls
zunehmend „vernetzende“ Erzählstrukturen. Trotzdem scheint sich
auf der Makroebene der Narration nicht wirklich viel zu ändern: Immer
noch sind die allermeisten SF-Produkte in eschatologische Metaerzählungen
eingebunden. Lediglich auf der Mikroebene (einzelner Texte oder hoch spezialisierter
Gruppen) sind Alinearität, Multiperspektivität und Ironie zu Kennzeichen
einer „Digitalen Kultur“ geworden, die jedoch auch in ihrer liberal-emanzipativsten
Form die einer männlichen, weißen Elite geblieben ist. Zu fragen
ist an dieser Stelle deshalb, warum alternative Diskurse (wie beispielsweise
der des Cyberfeminismus, der nicht nur auf der Mikroebene innovativ war,
sondern ganz neue „Große Erzählungen“ einforderte) nicht eine
ähnliche Wirkmächtigkeit entfalten konnten, wie der des (männlich
geprägten) Cyberpunk. Eine Antwort könnte lauten, dass erzählerische
Autorität an den sozialen Status und Habitus des Erzählers, der
Erzählerin gebunden ist. Ein Sachverhalt, der sich als äußerst
resistent gegenüber der ästhetischen und technischen Innovationsnorm
entpuppt hat. Eine Erzählhaltung, die Autorität zugunsten eines
fragmentierten, polyvokalen Textes aufgibt, scheint in großem Maßstab
immer noch nicht erfolgreich sein zu können.
Computerhystories
Scenarios of Digitalization
and their Stages in the 80ies
Focusing on the mid-80ies within a project that relates narratives
of Science Fiction to technological developments makes sense because of two
different reasons: 1) This was the time when the PC realy became part of
peoples everyday life and the WWW started its exponential growth. 2)
1984 William Gibsons novel “Neuromancer” was published. It became the founding
text of a new sub-genre in SF (Cyberpunk) and was by the aspiring community
of programmers received as a visionary text, concerning the future of this
technology.
Narratives and rhetorics are relevant for the implementation of technologies
on several levels: As framing narratives they help making sense of technlogy
and function as “translators” for cultural meaning into scientific and technological
knowledge as well for developers and users. Implicitely or explicetly technicians
and natural scientists tend to import ideas from popular culture artifacts,
such as novels, films or computergames. The imports include rolemodels (for
example the “Hacker” as a modern Robin Hood) as well as “Great Narratives”
(the paradigm of steadily progress, evolution, cosmology,apocalypse) for
their patterns of arguments. The genre Science Fiction seems to play a crucial
role within the discourse of technological innovation. Descriptive or prophetic
potential is attributed to it and especially among computerscientists and
programmers its various forms are being received in a fan-manner as a kind
of “secret knowledge”. The discourse of digitalization takes advantage of
the often spectacular and innovative metaphors of SF and at the same time
follows her often traditionally linear narrative logic, to establish abstract
mathematical models and technical (and this always means social relevant)
standards for the “internal” field and for a broad public (for example within
the “war” on operating systems between Linux and Windows).
SF-novels and films can therefor within a modern society, which communicates
via massmedia, be understood as signposts with advertising character
(F. Jameson). But one cannot think of the reception of SF in terms of a passive
one by alienated and blinded consumers (as Critical Theory did). Within the
context of postructuralism and feminism readings against the grain are getting
more and more visible. Progressorientated, male encoded narratives, were
transformed into impulses for radical politics of identity (for example:
Donna Haraways Cyborg Manifesto). In Addition, Cultural Studies argue, that
Fandoms do have an important role in the further development of TV-series
like Star Trek. Only for that reason, and because of the ability of the producers
to react astoundingly quickly to (academic) discourses like feminism, multiculturalism,
postcolonialism, could this programm survive for more then 30 years.
Narratives of SF appear to be turntables for multiple and interwoven discourses:
mediatheory (Baudrillard, Virilio), computersciences, corporate identities,
online-communities, advertisers, popular science magazines but also the computer
as an actual machine – they all seem to participate in the circulation of
SF-motifs. SF-scenarios can therefor be understood as stages or arenas to
negotiate technical innovation and politics of identity.
It is one of my aims to connect narratological analysis of texts (in a broad
sense) and the considerations of recent Science and Technology Studies to
map the complex relationships between technological artifacts, their social
framework and ther representations, transgressing the usual statement of
a very general structural homology between the two with a thick descriptions
of the processes of fabrication of knowledge and technology (Bruno Latour).
Semantics are not “natural” to any technical artefact, they develop within
the context of their technical construction and their distribution. The “places”
where the translation of representations into practices can be very well
observed are computermagazines and internet-discussion boards, which on the
one handside add to the selfdescription of the social group of professionals
and users in the field of computing, but are also the place where technical
and judical standards are negotiated.
The term “hystory” was coined by Elaine Showalter. She uses it for specific
narratives distributed within massmedia, narratives that do not only point
to social and individual problems, but also shape those according to certain
patterns (which are related to literary Genres, for example: child abuse
and muliple personality). Science Fiction-narratives also point to social
and/or technological realities and mould those within the conventions of
the genre and thereby provide them with meaning.
In SF narrative authority is usually produced by the transposition
of the story into a futuristic setting: The narrator with this move suggests
having anticipatory abilities, although remaining within a fictional mode.
This gesture might as well be seen as a heritage of the 20th century avantgardes
claim to shape society. But while one of the classical avantgardes characteristics
was their relative autonomy from the fields of economy, technology and politics,
“Technoavantgardes” (whose prefered genre is Science Fiction) seem to combine
aesthetical and social creativity and innovation with access to the means
of prodution.
For the case of Digitalization, circumstances are even more complicated:
The computer is not only “some” machine. As an “Universal Machine” (Alan
Turing) it is a media-device and the mere use of digital media changes the
processes of reading and writing profoundly and that this affects narratives
as such. It is for example often stated, that the hypertextual structure
of the WWW subverts “linear culture” which is considered euro-centric, mechanical,
male dominated (a narrative that itself goes back to the mediatheorist Marshal
McLuhan) . Computergames also arrive to non-linear, net-like narrative structures
through interactivity (provided by artificial intelligence). But on the macro-level
of “Great Narratives” nothing seems to have changed profoundly: Most SF-products
are still framed by eschatological meta-narratives. Only on the micro-level,
within specialized, elitist groups and singular artefacts, have alinearity,
multiperspectivity and irony become features of a “Digital Culture”, which
is aswell in its most liberal-emancipatory forms the culture of a male, white
elite. It is therefor a major question, why alternative forms of discourse
an narrative (for example Cyberfeminism, which was not only successful on
the microlevel of the novel but also postulated new “Great Narratives”) couldn´t
be as succesfull as the male dominated Cyberpunk, which developed at the
same time. One answer could be, that narrative authority is connected to
the social status and habitus of the narrator (not to the author). A fact
that seems to be surprisingly resistant towards the aesthetical and technical
“norm of innovation” (Innovationsnorm). If he/she gives away authority in
favor of a fragmented, multivocal text, he/she seems not to be able to becoming
influential at a large scale