VIRTUELLE WELTEN - VIRTUELLE REALITäTEN:

EINE PHILOSOPHISCHE HERAUSFORDERUNG ?[1]

Rainer P. Born, Linz/a. D.

Erstes Motto: In Wirklichkeit ist die Wirklichkeit nicht wirklich wirklich !?

Zweites Motto: Wirklich ist ... was sich träumen läßt !?

Im folgenden möchte ich das Thema ‚Virtuelle Welten’ am Beispiel von Computersimulationen[2] verdeutlichen und diskutieren. Die Begriffsbildung ‚Virtuelle Welt‘ hat vor allem durch Wortschöpfungen wie ‘Virtual Reality[3]’ (im folgenden kurz VR), ‘Artificial Reality’, ‘Cyberspace’, ‘virtual machine’, ‘virtual environments’, ‘virtual cockpits’, ‘virtual workstations’, ‘virtual memories’ mit Hilfe der damit in Verbindung stehenden Computer-Technologien einen neuen, sehr konkreten, anschaulichen Inhalt bekommen. Ich nehme an, daß man heute zumindestens schon einmal von Datenbrille und Datenhandschuh gehört hat oder vielleicht sogar eine Fernseh-Sendung wie ‚Modern Times‘ gesehen hat und sich möglicherweise auch schon einmal im ‚Internet‘ herumgetrieben hat oder davon gehört hat, daß es das gibt.[4] Ferner möchte ich vor allem auf das >>Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft<<, kurz ‚Ars Electronica (1990)‘, verweisen, das speziell zum Thema ‚Virtuelle Welten’ veranstaltet worden ist und bei dem es gelungen ist die wichtigsten Vertreter dieser Branche nach Österreich zu holen. Zur Ernüchterung sollte vielleicht auch noch ergänzt werden, daß man die ganze VR-Technologie einfach als eine neue ‚Mensch-Maschine-Schnittstelle‘[5] auffassen kann, die sogar schon in Form der Beschreibung eines Zukunfstszenariums beim Möbelkauf als Werbe-Gag auf einer Packung für Kinder-Frühstücks-Nahrung zu finden ist.[6] Die Frage ist: „Welche Vorstellungen werden dadurch ausgelöst? Welche semantischen Verschiebungen des Begriffes Wirklichkeit ergeben sich daraus, wenn überhaupt? Oder ist das alles nicht so ernst zu nehmen?“

Die Schwierigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Thema ‚virtuelle Welten‘ besteht darin, daß im Alltag eine Reihe von falschen Vorstellungen und Einzelfakten über die Funktionsweise moderner Computer-Technologien herumgeistern, so daß man zuerst viele einzelne Mosaiksteine des Wissens umdrehen muß, bis sich schließlich ein korrigiertes Bild ergibt, auf das man sinnvolle Argumentationen aufbauen kann, die dann auch eine Hilfe für die praktische Konfrontation mit Fragen sein können, die sich aus dem Umgang mit moderner Computer-Technologie ergeben können.

Ich wähle dazu das nachfolgende Beispiel, das im Kern alle wesentlichen Probleme enthält und auf die Beantwortung folgender Fragen abzielt:

„Was sind Computersimulationen, wie funktionieren sie, wie kommen sie zustande und wie wirken sie sich aus, z. B. auf unser derzeitges Verständnis der Welt und auch auf mögliche Änderungen eben dieses Verständnisses oder gar unseres Weltbildes?“

Das bekannteste und zweifellos erfolgreichste Projekt, auch zum Vorzeigen, von Computersimulationen, sind die sogenannten Flugsimulatoren, die in der Ausbildung von Piloten mit einigem Erfolg eingesetzt werden. Allerdings werden dabei nicht nur die visuellen Eindrücke eines Piloten simuliert und ihm in Echtzeit auf einem Display vorgespielt, sondern z. B. auch die Kräfte simuliert, die auf ihn wirken, wenn er eine Kurve durchfliegt. - Dabei lernt man auf (noch) nicht wirkliche und nur der Möglichkeit nach reale Situationen zu reagieren, d. h. man agiert gewissermaßen in einem virtuellen Raum, auch wenn man es anders erlebt[7]. Aber auf genau diesen realen Erlebnisaspekt kommt es in diesem Fall an. Vor allem dann, wenn man durch die Simulationen darauf vorbereitet werden soll später einamal, als Pilot eines Jumbo-Jet mit 300 Passagieren an Bord, d. h. in der sogenannten echten, realen Lebenswelt auf unvorhergesehene Situationen adäquat zu reagieren. Das bedeutet, etwas paradox formuliert, daß im Raum der möglichen Simulationen eigentlich schon alle Eventualitäten enthalten sein müßten, die uns im realen Leben konfrontieren könnten. Letzteres aber setzt voraus, daß die Theorie, die das Fliegen analysiert und aus der heraus die erzeugbaren Simulationen abgeleitet, berechnet und in eine Computersimulation umgesetzt werden, in einem gewissen Sinne vollständig[8] sein müßte, was man als Paradoxon der Analyse[9] bezeichnen könnte.

Ein weiteres, damit zusamenhängendes Problem, läßt sich durch folgende rhetorische Frage auf den Punkt bringen: „Würden Sie sich einem Jumbo-Jet anvertrauen, das von einer/einem 12-Jährigen gesteuert wird, die vor allem in einem Flugsimulator trainiert wurden?“ „Wenn nein, warum nicht? Welche Gründe sprechen dagegen?“[10] -- „Gibt es zusätzliche, nicht-technische Qualifikationen, die Sie sich (wenn überhaupt) von einem Piloten, einer Pilotin erwarten?“

Betrachten wir nun die Struktur dieses Beispieles etwas abstrakter:

Ausgangs- oder Anknüpfungspunkt (für Computersimulationen im allgemeinen) sind Ausschnitte und Aspekte von Realität, die ausgewählt, strukturiert und vermittelt sind durch kommunizierbare menschliche Erfahrungen im vorwissenschaftlichen, lebensweltlichen Kontext. Diese werden dann, wissenschaftslogisch gesprochen, in ganz spezieller Weise auf abstrakte Modelle[11] (auch wenn das nicht immer bewußt ist) abgebildet. Derartige Modelle (gegebenenfalls dargestellt als mathematische Strukturen) werden dann benutzt, um eine Repräsentation von Wirklichkeit im Computer zu erzeugen, die dann ihrerseits als Grundlage für die Berechnung und in deren Gefolge Erzeugung verschiedener neuer ‚konkreter‘ Modelle, man spricht von multipler Instantiierung, dienen können. Diese neuen im Computer erzeugten Modelle könen dann als ‚virtuelle Realitäten‘ fungieren und zum Aufbau ‚virtueller Welten‘, in die man mit Datenbrille und Datenhandschuh eintauchen kann, dienen. Man spricht auch von neuen Instantiierungen der ursprünglichen abstrakten Modelle, mit denen wir uns dann mit Hilfe bestimmter Technologien ‚interaktiv‘ auseinandersetzen können und die wir auch als Simulationen bestimmter Aspekte unserer ursprünglichen Lebenswelt auffassen können.

Daraus ergeben sich, für eine reflektorische Analyse des Phänomens der ‚Virtuellen Welten‘, zwei wesentliche Ansatzpunkte:

1) der Abbildungsaspekt und 2) die Wirkung und Rezeption der Simulationen.

Beim Abbildungsaspekt geht es um das Bewußtmachen der vorwissenschaftlichen Vorausetzungen. Bei der Rezeption um die Interpretation und Reaktion auf die Simulationen sowie um die Reflexion der sich daraus ergebenden Fragestellungen, woraus sich auch ein Bezug zur praktischen Philosophie ergeben kann.

Das Ergebnis meiner Überlegungen aber wird, etwas lapidar formuliert, sein, daß man in der Praxis des Umganges mit den neuen Technologien lernen muß ‚mit Augenmaß zu denken und zu handeln“[12], hier speziell diskutiert als reflexive Korrektur sowohl der Voraussetzungen als auch der Konsequenzen. Ein weiteres Neben-Ergebnis sollte sein, daß einiges Licht auf die Rolle von Simulationen im Prozeß des Zustandekommens wissenschaftlicher Erkenntnisse geworfen wird und die Möglichkeiten eines ‚diskreten‘ Umganges mit eben diesen Erkenntnissen positiv beinflussen könnte, vor allem im Bereich des praktischen Umganges mit Wissen. Für die reflexiven Korrekturen aber kann es keine Rezepte geben! Sie sind situationsbedingt und kulturspezifisch zu wählen! Ein wesentliches wissenschaftsphilosophisches Ergebnis der Diskussion läßt sich aber doch vorab formulieren, die Annahme eines ‚universellen commonsense‘ führt zu Problemen und sollte aufgegeben werden, aber nicht um einem ‚absoluten Relativismus’ Platz zu machen. Ganz im Gegenteil, die Möglichkeit zur Kommunikation ‚querweltein‘, durch eintauchen in unterschiedliche Lebenswelten und Lebensformen in denen konstante Verhältnisse unterschiedlich realisiert sein können, nährt die Hoffnung, die Suche nach Objektivität zu einem interkulturellen Regulativ werden zu lassen[13].

Ich versuche nun zunächst, durch Anknüpfen an vertraute Erfahrungen, ein Verständnis für die emotionale Situation des Umganges mit virtuellen Realitäten aufzubauen.

Wenn wir heutezutage ein durch einen Hohlspiegel erzeugtes reeles Bild (vor dem Hohl-Spiegel) oder ein virtuelles Bild (hinter dem Hohl-Spiegel) betrachten, so sind wir mit derartigen Phänomen inzwischen so vertraut, daß wir unsere Erlebnisse kaum zum Anlaß nehmen, um über unseren Wirlichkeitsbegriff und dessen Rolle im täglichen Leben zu reflektieren, kurz: wir fühlen uns nicht berührt, nicht betroffen.

Wenn wir aber unvermutet mit einem durch geschickte Spiegelungen erzeugten Feuer konfrontiet sind, in das wir womöglch gerade ein Kind hineinlaufen sehen, so werden wir zunächst einmal -- hoffentlich -- natürlich darauf reagieren,[14] d. h. so wie wenn es ein echtes Feuer wäre, und verschen dem Kind zu helfen. Später sind wir vielleicht froh darüber, daß es kein wirkliches Feuer war. -- Wie aber, wenn ein Mensch in einer solchen ‚virtuellen Welt‘ aufwächst und plötzlich mit einem, wie wir sagen würden, ‚realen‘ Feuer konfrontiert wird?[15] Auf welche Erfahrungen im Umgang mit Feuer kann sie/er zurückgrefen, aufbauen, wie soll sie/er reagieren? -- Das ist natürlich rhetorisch gefragt und soll nur verdeutlichen, daß wir hier in der Diskusion ein Szenarium aufbauen können, das seiner Anlage nach nur als Möglichkeit, nicht aber wirklich -- also nur virtuell[16] -- vorhanden ist, an dem wir uns aber einen wichtigen Aspekt unseres Veständnisses von und unseres Umganges mit der Welt in der wir tatsächlich leben klar machen können[17]. Klar machen und kommunizieren können, denn wer uns verstehen will, kann die Szene gedanklich nachbauen und daraus seine Schlüsse ziehen und darauf reagieren. --

-- Wann aber wird die Frage danach, was das (in Wirklichkeit) ‚ist‘, was man da sieht, existentiell relevant? Kann uns die Antwort helfen unser Verhalten zu korrigieren, es anzupassen ? In welchen Situationen kann die Antwort auf eine derarige Frage uns helfen, uns besser in der Welt zurecht zu finden, besser mit ihr zurande zu kommen? --

Ein derartiges Argument/Bild, durch das Voraussetzungen bewußt gemacht werden können/sollen, funktioniert nur dann, wenn man sich nicht weigert die erforderliche Gedankenwelt zumindestens versuchsweise nachzubauen und sich ein Stück darauf einzulassen und sich in dieser Welt versuchsweise klar zu machen, was gemeint ist[18].

Wenn wir aber heute z. B. ein Computermodell des Weltklimas vorgesetzt bekommen, das verschiedene Szenarien als ‚logische Konseqenzen“ von diversen Voraussetzungen (etwa über den CO2-Ausstoß auf der Erde) bildlich darzustellen imstande ist, dann spüren wir doch einen Zustimmungszwang, z. B. negativ bewertete Konsequenzen abzulehnen und damit die Prämissen, nämlich den CO2-Ausstoß zu verändern (evozierter Handlungsbedarf!).

Die Modelle haben somit eine unmittelbare Überzeugungskraft! Die virtuellen Szenarien, die uns vorgespielt werden, werden anders erlebt, als wenn wir sie nur lesen oder erklärt bekommen. Hier scheint also durch die Computersimulationen eine neue Qualität an ‚emotionaler‘ Überzeugungskraft hinzugekommen zu sein. Die mathematischen Strukturen/Theorien hinter den Modellen, die den Simulationen zugrundeliegen, werden dabei (zunächst einmal) nicht in Frage gestellt.[19]

Diese Qualität der Überzeugung kann durch die VR-Technologien noch gesteigert werden, da diese ja imstande sind die Illusion so zu erzeugen, daß man den Eindruck hat sich ‚realiter‘ in einer künstlichen Welt zu befinden (oder auch in einer weit entfernten physikalischen Welt). Aber in diesem Fall genügt es (zumindest heute noch) nicht sich einfach vor einen Fernseher zu setzen, sondern man muß ein paar technische Hürden überwinden[20].

Um in eine virtuelle Welt einzutsteigen setzt man ein ‘head-mounted-display‘ (HMD) auf, das wie eine Art Taucherhelm aussieht und in das ein Paar kleine Fernsehmonitore integriert sind, spezielle Optiken und Weitwinkel-Linsen und ein Gerät, das die Kopf-Positionen der Benutzer aufzeichnet, so daß, wenn man das HMD trägt, die äußere Welt vollständig ausgeblendet ist. An ihrer Stelle wird die physikalische Welt durch eine stereographische, dreidimensionale Computer Beschreibung eines ‚Welt-Modelles‘ das im Computer existiert, ersetzt. Zusätzlich kann die Person innerhalb dieser Welt mit Hilfe eines Datenhandschuhs navigieren und sie gewissermaßen manipulieren, z. B. Türen öffnen, hinter Objekte schauen etc.

Aber wie werden diese Erlebnisse in der ‚Alltagsphilosophie‘ gedeutet ? Zu welchen Gedanken und Verallgemeinerngen regen sie an? Dazu nur ein paar wenige Kostproben aus ‘Mondo 2000’[21], die mehr sind als nur ‚Verkaufsstrategien‘ für eine neue Technologie. Es handelt sich hier um einen Diskussionsbereich, der von Wittgenstein als die ‚Prosa‘[22] der Wissenschaften bezeichnet worden ist und der enorme Sprengkraft für Veränderungen im Bereich philosophischer Diskussionen bekommen hat.

Drei Zitate aus Mondo 2000:

Die virtelle Wirklichkeit läßt Menschen besser an den Bewußtseins-Inhalten anderer Menschen teilhaben.

Mit jeder möglichen Art Bild und Ton digital zu speichern und daraus Videoclips zu machen kann man seine Träume oder Visionen, wie seltsam oder surrealistisch sie auch sein mögen, mitten in die Augensockel seines virtuellen Freundes oder Feindes ‘beamen’.

Laß' die Zeit rückwärts laufen. In der virtuellen Wirklichkeit gibt es zwei Arten von Zeiten. Die speziellen Erfahrungen, die die Zeit ausmachen, können von der physikalischen Zeit entkoppelt werden. Du kannst deine alten Erfahrungen nochmals abspielen, du kannst sie rückwärts oder vorwärts durchlaufen, schnell oder langsam. Usw.

Aber was ist so anders bei diesen Reflexionen? -- Auf alle Fälle sollte klar sein, daß man den Problemen, die sich daraus ergeben, nicht mit den Ansätzen und Diskussionen der klassischen Philosophie gerecht werden kann, und zwar aus dem schon oben angeführten Grund: die Diskussionen laufen auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab, wobei nicht nur die Prosa betroffen ist, sondern auch die sogenannte Arbeitsphilosophie der Einzelwissenschaftler. Ein Beispiel für letztere sind etwa die Computermodelle für Wahrnehmung, die darauf aufbauen, daß das Gehirn aus den Daten, die von der Netzhaut zum Gehirn gelangen, ein dreidimensionales Bild der Welt errechnet[23]. Hier wirkt die Arbeitsphilosophe in die Forschungsprogramme hinein.

Die Diskussion im sogenannten Alltag, im Bereich der Rezeption der Technologie, aber kümmern sich überhaupt nicht darum, was tatsächlich passiert, wenn man in eine virtuelle Wirklickeit, eine virtuelle Welt einsteigt, sondern agiert auf der emotionalen Ebene und operiert mit den Alltagssemantiken der Fachtermini.

Was aber ist nun tatsächlich so neu beim Phänomen des Cyberspace, den virtuellen und künstlichen Realitäten, den Computerwelten?

Wittgenstein schreibt: Tagebücher: 29.9.1914: „Im Satz wird eine Welt probeweise zusammengestellt. Wie wenn im Pariser Gerichtssaal ein Automobilunglück mit Puppen etc. dargestellt wird.“ Cf dazu später im Traktat 4.031: „Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise zusammengestellt. - Man kann geradezu sagen: statt dieser Satz hat diesen und diesen Sinn; dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.“ -- Es geht also um den Modellcharakter von Sprache, genauer um diesen Aspekt von Sprache (im vorliegenden Fall).

Der entscheidende Unterschied im Übergang von Wittgenstein zu den virtuellen Welen ist der, daß das probeweise Zusammenstellen der Welt im Satz eine Interpreatation durch einen Adressaten erfordert, daß das Modell nur ein Angebot ist, nämlich sich einen Reim auf das Gesagte zu machen, wobei der Adressat aktiv etwas tun muß, gewissermaßen aktiv an sich selbst arbeiten muß, um den Sinn, also das durch die Beziehung der Dinge zueinander zum Ausdruck gebrachte, zu verstehen. -- Dieser Aspekt der Möglichkeit, der freien Wahl wird heute umgangen, weil man eher zu Sichtweisen gezwungen wird, manipuliert wird, indem man in die Welt der notwendigen Konsequenzen, in den virtuellen Raum der Möglichkeiten real hineinversetzt wird. Es ist eine neue Qualität des Zustimmungszwanges hinzugekommen, aufbauend auf der versteckten Annahme eines universellen Common-Sense, den biologisch fest vorgegebenen Informationsvearbeitungs- und Reaktionsmustern der Menschen. Das ist natürlich pradox, entspricht aber den Tatsachen, man redet von den Freiheiten und schränkt sie gleichzeitig ein.

Die Faszination, die Datenbrille und Datenhandschuh erzeugen können, liegt in der unmittelbaren Anschaulichkeit der (Handlungs-) Konsequenzen, die man einem Bild entnehmen kann, vor allem, wenn man in einer Kunstwelt agieren kann, eine Tür öffnen kann, sich umdrehen kann, hinter ein Objekt schauen kann, etwas durchsichtig werden lassen kann, was sonst nur in Gedanken und im Rahmen von abstrakten Theorien möglich ist. Theorien werden in ihren Konsequenzen gewissermaßen ‚handgreiflich‘ gemacht, auch wenn das de facto nicht stimmt, weil die virtuellen Welten hauptsächlich visuelle Simulationsräume[24] sind.

Doch zurück zur Frage des Qualitätssprunges! Ich erinnere an das obige Zitat zum Zeiterleben in einer virtuellen Welt. -- Ja, es gibt einen Qualitätssprung (!) - wenn wir eine Welt probeweise erleben wollen und dann die Zeit zurückdrehen wollen, um gewissermaßen neu beginnen zu können und vielleicht (ironisch geprochen) die Fehler, die man in der virtuellen Welt gemacht hat, nochmals in seiner ‚realen Welt‘ zu wiederholen !?

So gesehen akzeptiert die Alltags-Diskussion/Reflexion eine im wesentlichen, falsche Prämisse, nämlich daß wir tatsächlich in eine neue Welt (und nicht nur eine Simulation) eintauchen können und daß es sich dabei letztlich tatsächlich um etwas Neues handelt. Es werden dann Probleme diskutiert, die nur dann auftauchen, wenn man die Simulationen für real hält und darauf so reagiert, wie wenn man sich in einer real erlebbaren Welt befände.

Für die Diskussion der ‚Philosophischen Herausforderungen‘ (die auf einem Verständnis der Beispiele und einem Wissen von diesen aufbauen sollten) muß also unterschieden werden, ob wir uns auf das Alltagsdenken oder den fachphilosophischen Kontext beziehen! - Die Frage ist: Wo spielt der Realitätsbegriff im Alltagsdenken eine Rolle? - Sind virtuelle Welten neue Realitäten im alltagssprachlichen oder im fach-philosophischen Sinn ?

Für die folgende Diskussion setze ich sehr allgemein voraus, daß es in der Philosophie um so etwas wie die Möglichkeit einer ‚reflexiven Korrektur‘ von Wissen, Erfahrungen, Täuschungs-Erlebnissen (alles im Rahmen von vorhandenen Weltbildern oder im Zusammenhang mit der Einbettung in oder der Abstimmung mit und auf Weltbilder etc.) u.ä. gehen kann, was auf die vielfältigste Weise konkretisiert/realisiert sein kann. - So gesehen ist zunächst einmal die Frage zu stellen, wo und wie philosophische Fragen auftauchen können, selbst wenn man sich nicht auf so etwas wie Wittgensteins Diktion „Da kenne ich mich nicht aus‘ zurückzieht, sondern auf klassische „Was ist ... ?“-Fragen konzentrieren will. Also wo tauchen im Zusammenhang mit der Erfahrung der ‚virtuellen Welten‘ (aus dem Computer) philosophische Fragen auf, etwa im Sinne von „Was ist denn nun eigentlich die Wirklichkeit?“ Stellt sich diese Frage nun im Alltag, weil man verunsichert ist, oder stellt sie sich im Rahmen einer philosophischen Theorie oder Diskussion, etwa wenn man behauptet, daß eine wissenschaftliche Theorie nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie ‚die‘ Wirklichkeit trifft (wodurch u.a. der Erfolg der Theorie erklärt werden soll). Könnte eine derartige Position dadurch erschüttert werden, daß man sagt, aufgrund der (als gültig akzeptierten wissenschaftlichen) Theorie könnten (Computer-) Simulationen (virtuelle Welten) geschaffen werden, die andere Szenarien darzustellen, durchzuspielen imstande sind, als wir sie gewöhnlich erleben. In diesem Zusammenhang können wir nochmals an globale Klimamodelle denken, in die wir uns auch erlebnismäßig hineinzuversetzen imstande sind, indem wir uns einen Reim darauf machen, was sie für uns (hic et nunc) bedeuten. Daraus allerdings zu folgern, daß es die Wirklichkeit nicht gibt, wäre so ähnlich, wie zu sagen: „Wenn es regnet oder schneit und nicht regnet, dann schneit es. Nun gibt es aber Schneeregen, also ist die Logik falsch oder sinnlos oder es gibt sie gar nicht.“ Aber es ist damit auch nichts darüber gesagt, ob es die Wirklichkeit gibt oder nicht, die Frage bleibt -- philosophisch oder wissenschaftslogisch gesehen offen.

Im ersten Fall, in der Alltagsphilosophie, fühlen wir uns jedoch -- von außen betrachtet -- durch die Simulationserfahrungen verunsichert. Wir erleben Täuschungen, sind fasziniert von der Möglichkeit und den Szenarien einer oder mehrerer anderer Welten[25] und wissen im Grunde nicht, wie wir darauf reagieren sollen.

Hier kommt meiner Ansicht nach dem philosophischen Denken, der philosophischen Einstellung, eine ganz andere Aufgabe zu, nämlich sich damit auseinanderzusetzen wie es denn möglich ist, daß wir mit Hilfe eines Computers ‚virtuelle Welten‘ schaffen können, wie also die Täuschungen zustande kommen, und unter Voraussetzung dieses Wissens dann in die Alltagsdiskussion einzusteigen. Dabei ist zu beachten, daß die Täuschungen, so ähnlich wie Wahrnehmungstäuschungen, bestehen bleiben, egal, was unsere Ratio dazu sagt. Also müssen wir einen Weg finden, damit umzugehen und zu verstehen, was sie für uns bedeuten sollen. Das ist im übrigen gar nicht so schwer, wenn man daran denkt, daß wir auch heute noch durchaus davon sprechen, daß die Sonne aufgeht, und nicht davon, daß sich an einem Maimorgen die Erde besonders schön um die eigene Achse gedreht hat. Es kommt auf den Kontext an und darauf, sich den Betrachtungsaspekt, die jeweilige Kategorisierung der Welt, bewußt zu machen.

Es gibt aber noch einen Bereich, in dem philosophische Unsicherheiten auftreten können, nämlich bei der Einführung neuer Begriffe oder zunächst einmal nur von Wörtern. Dies betrifft Wortschöpfungen wie ‚künstliche Intelligenz‘, ‚künstliche Wirklichkeit‘, ‚virtueller Speicher‘, ‚virtuelle Maschine‘, ‚virtuelle Welt‘. Auch hier ist eine Herausforderng für die Philosophie zu sehen. Diese Wörter werden oft zunächst in einem eingeschränkten technischen Kontext eingeführt und dienen als Anreiz für weitere Entwicklungen im Bereich der Forschung; auf dem Weg über die ‚Prosa‘ der Wissenschaften (wenn sich Wissenschaftler untereinander in einer um Fachtermini angereicherten Alltagssprache über die Bedeutung/Signifikanz ihrer Ergebnisse klar zu werden versuchen und darüber untereinander kommunizieren) schlüpfen sie dann in die normale Alltagssprache und regen zu Überlegungen/Szenarien an, die von den Alltagsbedeutungen der entsprechenden Ausdrücke geprägt sind. Ich habe für diesen Mischbereich in der wissenschaftstheoretischen Diskussion den Ausdruck Arbeitsphilosophie (der Einzelwissenschaftler) eingeführt, denn auch die Einzelwissenschaftler selbst sind in ihren Diskussionen nicht immer von den (fach-)internen Bedeutungen ihrer Begriffsbildungen geleitet. Die Pointe ist, daß man diese Tatsache als Herausfordeung ernst nehmen muß und sich in der praktischen Diskussion darauf einstellen muß und versuchen muß überzogene Vorstellungen zu entschärfen.

Gehen wir dazu nochmals auf den bekannten Fall der Benutzung einer Datenbrille ein, also eines Displays, das man vor Augen hat und in dem die Seheindrücke durch Berechnung per Computer verändert werden, je nachdem, wie man den Kopf bewegt. Woolley[26] hat das als einer der wenigen entschärft und eher uneuphorisch beschrieben, weil er das Wissen um das Zustandekommen der Erlebnisse nicht ausgebledet hat. Ich zitiere zwei besonders eindrucksvolle Stellen aus seinem Buch:

Es geht darum, einen dreidimensionalen Raum und die darin enthaltenen Gegenstände zu simulieren.

„Der Raum selbst sowie die darin befindlichen Gegenstände werden nur einmal, als mathematische Beschreibungen oder 'Modelle', erzeugt. Diese Gegenstände werden dann in ein sichtbares Bild 'übersetzt', indem berechnet wird, wie sie dem Benutzer vom gegenwärtigen Blickwinkel aus erscheinen (unter Berücksichtigung von Lichtquellen, des Ortes anderer Gegenstände vor und hinter dem betreffenden Objekt, Schatten usw.). Dieser Übersetzungsprozeß der mathematischen Beschreibung in eine sichtbare (und, wenn sich die Technik ... [weiter entwickelt] ... berührbare, hörbare, sogar riechbare) Szene findet gewöhnlich in Echtzeit statt. Nehmen wir einmal an, Sie möchten erleben, am Fuß des Mount Everest zu stehen. Der Computer hält ein vorher definiertes Modell des Berges bereit, das dessen Geometrie beschreibt. Wenn Sie hochschauen, benutzt der Computer die Information aus dem Modell und aus dem Nachführungssensor in Ihrem tragbaren Display und erzeugt damit das Bild des Everest, wie sie ihn von Ihrem Ort aus sehen würden; Größe und Perspektive des Berges werden von Ihrer Entfernung zu ihm bestimmt.“

Ich glaube, das bringt so klar wie nur möglich zum Ausdruck, worum es geht und wie das Ganze funktioniert. Was erforderlich ist, sind enorme Rechnerleistungen auf Seiten der Computer, und die technischen Entwicklungen gehen dahin, das alles ‚in Echtzeit‘ zu ermöglichen, d. h. man dreht den Kopf und der Computer rechnet so schnell und generiert das enstprechende Bild auf dem Monitor, daß man den Eindruck hat in einem natürlichen Raum herumzuschauen. Ich komme unten nochmals auf die tatsächlichen Erfahrungen zurück.

Hier erscheint es mir nur wichtig, darauf hinzuweisen, daß es bei dieser Möglichkeit, den Mount Everest zu erleben, im Prinzip immer noch so ist wie bei einem Video-Clip. Man sieht die Ausschnitte, die vorgewählt sind. Man wird vom Mount Everest nur das bewundern können, was insofern vorgegeben ist, als es im Möglichkeitsraum der mathematischen Repräsentation angelegt ist. Die tatsächliche Aktivität (was man als Benutzer tun kann indem man herumschaut)

ist de facto eingeschränkt auf das Zulässige, auch wenn uns das zunächst gar nicht auffällt und wir vor allem aufgrund der freien Wahl des Verweilens bei einer bestimmten Perspektive den Eindruck haben, völlig frei zu sein. Woolley (loc.cit. p. 259) beschreibt seine persönlichen Erfahrungen folgendermaßen:

„Als ich meinen ersten Trip in eine virtuelle Realität unternahm, war das Letzte, an das ich dachte, die Realität. Die Angelegenheit war unbequem, und die Bilder, die ich vor Augen hatte, machten wenig Sinn. Trotzdem fand ich es aufregend - nicht intuitiv, sondern intellektuell. Die Dinge, die ich sah, schienen eine Art unabhängiger Existenz zu führen, die ich aufgrund der Unzulänglichkeit der Technik nur dunkel ahnen konnte. Die computergenerierten Bilder bildeten eine Art ‚Realität‘ ab, weil sie das Produkt einer Simulation, einer mechanischen, algorithmischen Prozedur waren. Sie wurden durch die Anwendung von Gesetzen erzeugt, die auf mathematischen Prinzipien beruhen. Die groben, grundfarbigen Spielhäuser, die ich in Demonstrationen der virtuellen Realität erkundete, waren dreidimensionale geometrische Modelle, die formal mit physischen Gebäuden identisch waren. Wie sie aus einem bestimmten Blickwinkel aussahen, war eine Sache mechanischer Berechnung, nicht menschlichen Vorstellungsvermögens, weder meinerseits noch von seiten des Systemkonstrukteurs.“

Ich hoffe, das gibt einen kurzen Einblick. - Die Herausforderung der Philosophie besteht in meinen Augen darin, die tasächlichen Zusammenhänge aufzudecken und sich einen Reim darauf zu machen, sowie weitere Konsequenzen zu diskutieren, abzuschätzen und mit den vorhandenen Weltbildern abzustimmen.

Ein aus meiner Sicht enorm wichtiger Punkt ist die Interpretierbarkeit der ‚virtuellen‘ Darstellungen (cf. meine Diskussion der Erzeugung von Computergedichten[27]). Denn damit die Simulationen Sinn ergeben, muß man vorher schon Erfahrungen gemacht haben. Man muß den Symbolen/Zeichen auf dem Bildschirm im Rahmen seiner bisherigen Erlebnis-Welt einen Sinn geben können. Man geht mit den Bildern in seiner eigenen Welt sinnvoll um.

Die Frage ist also, was passiert, wenn man ohne vorherige Erfahrungen in eine ‚virtuelle Welt‘ eintaucht, welchen Sinn gibt man den Modellen dann?

Dazu kommt weiter, ich betone das nochmals, daß man sich überlegen muß, wie die wissenschaftlichen Theorien funktionieren, die die mathematischen Modelle erzeugen, unter welchem Aspekt sie Realität abzubilden oder zu erfassen trachten bzw. imstande sind. Der Computer selbst ist gewissermaßen nur ein Spiegel, hinter dem ein mathematisches Universum liegt, wie das aus der Darstellung von Woolley oben besonders schön klar wird. Die erfahrbare Alltagsrealität dagegen läßt sich eher an der Sprache festmachen, die als Hauptmedium der Kommunikation für Einzelerfahrungen fungiert.

Zum Abschluß möchte ich ganz bewußt noch ein Zitat von Jaron Lanier[28] bringen, jenem Mann, der wie schon erwähnt,1989 den Ausdruck ‘virtual reality’ geprägt hat. In einem Interview zu Thema „Was heißt 'virtuelle Realität'?“ sagt er zum Schluß:

„Ich sage dir eins, die stärkste Erfahrung einer virtuellen Realität hat man, wenn man aus ihr herausgeht. Denn nach dem Aufenthalt in der Realität, die man selbst gemacht hat, mit allen Beschränkungen und der darin liegenden relativen Geheimnislosigkeit, erscheint einem die Natur wie Aphrodite persönlich. Man erblickt in ihr eine Schönheit von einer Intensität, wie man sie vorher schlicht niemals wahrnehmen konnte, bevor man etwas hatte, womit man die physische Realität vergleichen konnte. Das ist eines der größten Geschenke, die virtuelle Realitäten uns machen, ein neu gewonnener Sinn für die physische Realität.[29]

Das ist natürlich reichlich naiv oder zumindestens übertrieben und man bräuchte wohl nicht den technischen Aufwand der VR um das zu erfassen. Interessanter aber ist die wissenschaftstheoretische Pointe, die sich dahinter vesteckt und die hier nur als These formuliert werden kann: Die wissenschaftlichen Theorien, die in den Prozeß der Abbildung in den Computer und damit in die Generierung der mathematischen Struktur für den virtuellen Raum im Computer eingehen, haben wissenschaftslogisch gesehen einen primär explanatorischen Status. Wenn man daher diese Strukturen projeziert, d. h. in Modellen instanziiert, dann erhält man, wenn man es ironisch formuliert, möglicherweise nur Strichfiguren oder Karrikaturen der Erlebniswelt. Das spielt in der Wissenschaft keine besondere Rolle sondern ist dort eher eine Tugend, weil man gelernt hat sich im Anwendungs- und Interpretationskontext wissenschaftlicher Forschungsergebnisse das Fleisch der Erlebniswelt selbst zu ergänzen.

Ich komme nun nochmals auf die Konsequenzen des ganzen Unternehmens VR und damit nochmals auf die Problematik einer ‚philosophischen Herausforderung‘ durch die VR-Technologie zurück, die im Grunde eng mit der Problematik der ‚Künstlichen Intelligenz‘ verbunden ist. Dies wird besonders deutlich bei einer kurzen Diskussion der sogenannten Expertensysteme, die ich als anschaulichen Einstieg zur Zusammenfassung und Verdeutlichung der Problemlage benutze:

Angenommen wir haben ein Computerprogramm zur Unterstützung medizinischer Diagnosenbildung bei einer bestimmten Krankheitsart, wobei das dafür relevante Wissen erfahrener, medizinischer Experten zusammengefaßt und im Computer repräsentiert[30] wurde. Eine derartige Wissensrepräsentation kann als abstrakte Darstellung und somit als Grundlage für das Ausloten eines Möglichkeitsraumes von Entscheidungen angesehen werden, so daß das Diagnose-Programm selbst als ein riesiger Entscheidungsbaum aufgefaßt werden kann, der über diesem abstrakten Hintergrundswissen agiert. Jeder effektive Programmlauf kann als Realisierung einer virtuellen Welt angesehen werden, in deren Verlauf man zu einem Diagnosevorschlag gelangt. Entscheidend ist, daß Wissen über die gewählte Krankheit im Computer abgebildet ist, und zwar abgebildet unter dem Forschungs-Aspekt zum Zeitpunkt der Programmerstellung[31].

Angenommen das Programm ist in 80 % der Fälle erfolgreich, d. h. in 80% der vorgelegten Krankheitssymptome stimmt der Diagnosevorschlag des Computerprogrammes mit dem erfahrener Experten überein. In 20 % aller Fälle muß er korrigiert werden. [32] D. h. der Test des Programmes erfolgt durch Experten in vertrauten Situationen (oft hat man vorher schon die Diagnose erstellt und überprüft, ob das Programm zu demselben Ergebnis gelangt) wobei das Ergebnis des Programmes auf der Basis des Hintergrundswissens der Experten interpretiert wird.[33]

Nehmen wir nun an, das Programm werde zur Ausbildung von Medizinstudenten eingesetzt, die aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr durch die Experten korrigiert werden können und die daher auch nicht wissen können welches medizinische Wissen in das Programm eingegangen ist und wie es im Computer abgebildet ist. Sie müssen nun ihre eigenen Erfahrungen sammeln und werden zunächst einmal gleich gut werden wie das Programm. Was passiert nun mit den ca 20 % an Fällen, die vom Computerprogramm nicht erfaßt wurden? Wissen wir gar nicht mehr, daß es sie gibt oder können sie sich auch anders bemerkbar machen?

In genau dieser Situation oder diesem Dilemma befinden wir uns, formal gesehen, im Falle der VR-Technologien. Entweder wir reagieren, zum Teil emotional, am Ende der Kette, indem wir uns unkritisch der ‚Droge‘ Cyberspace hingeben, oder wir befinden uns am Anfang und wissen nicht welches theoretische Wissen über unsere Welt den simulativen virtuellen Welten zugrundeliegt und haben vergessen, daß dieses theoretische Wissen notwendig unvollständig[34] ist. In diesem Sinne brauchen wir ein menschliches Augenmaß beim Umgang mit den modernen Technologien, eine korrektive Reflexion, womit der Philosophie doch wieder das Wort gegeben werden soll, doch einer Philosophie, die sich sachkundig gemacht hat und nicht nur mit beiden Beinen fest in der Luft steht[35].


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[1])Für wichtige Diskussionbeiträge und Anregungen möchte ich Otto Neumaier danken.  

[2])Die Betonung des Asspektes der Simulation hat theoretische Gründe. Denn entstanden sind alle derartigen ‚Computerspielerein‘ aus dem Forschungsprogramm der sogenanten ‚künstlichen Intelligenz‘ (1956, Dartmouth), dem Versuch Computerprogramme zu entwickeln, die Probleme zu lösen imstande sein sollen, zu deren Bewältigung ein Mensch ‚Intelligenz‘ einsetzen müßte (Marvin Minsky). Hilary Putnam spricht die Problematik in seinem Buch ‘Renewing Philosophy’ (Cambridge, Mass. 1992) sehr deutlich an, und argumentiert ausführlich dafür, daß es die begriffliche Aufgabe der künstlichen Intelligenz sei Intelligenz zu simulieren, nicht sie zu duplizieren (pp 11). Dies gilt dann in verstärktem Maße für alle ‚virtuellen‘ Computer-Spielereien.  

[3])Der Begriff ‘artificial reality’ wurde 1970 von Myron Krueger (cf auch sein neueres Buch ‘Artificial Reality II’, Reading, Mass.1990) eingeführt. 1989 prägte Jaron Lanier den Ausdruck ‘virtual reality’ um alle virtuellen Projekte unter einen Hut zu bringen. Der Begriff ‚Cyberspace‘ wurde 1984 von William Gibbson in seinem Roman ‚Neuromancer‘ (dt. München 1987) eingeführt.

Der Begriff ‘virtual machine spielt vor allem bei David Gelernter: ‘The Muse in the Machine (Computerizing the Poetry of Human Thought), New York 1994 eine wichtige Rolle und baut auf die Vorarbeiten in Artificial Intelligence: The Case Against. R.Born (ed.), Routledge, London/Sydney 1987, (paperback 1988, reprinted 1989)auf, insbesondere das Beispiel zur Computer-Poetry in ‘Split Semantics’.  

[4])Howard Rheigold spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚virtuellen Gemeinschaft‘, die sich in den Datennetzen rund um die Welt, das WWW (=world wide webb oder des WELL = Whole Earth 'Lectronic Link) äußert. CF. Howard Rheingold: Virtuelle Gemeinschaft (Soziale Beziehungen im Zeitalte des Computers), Bonn 1994 und „Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace“. Reinbeck 1992.  

[5]) Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Computer-Anwendungen (mit einer Einführung von Gerhard Johannsen). Darin: James D. Foley: Neuartige Schnittstellen zwischen Mensch und Computer, pp 100 - 107, Heidelberg 1989  

[6])FASSEN SIE IHRE NEUEN MöBEL VOR DEM KAUF AN - PER TELEFON ! --

Wenn sie in naher Zukunft Ihre Wohnung neu möblieren wollen, dann blättern Sie nicht mehr in Katalogen. Nein, Sie tauchen in eine andere Welt. Sie setzen sich einen Helm mit zwei Monitoren auf, strefien sich einen Datenhandschuh über, koppeln beides via Telefon mit eiem Computer, aus dem Siedie Daten über die neuesten Möbeldesigns abrufen. Und per Knopfdruck entstehen vor Ihren Augen täuschend echte, dredimensionale Bilder von Möbeln, die Sie interessieren. Das Verblüffende daran ist: Sie sehen diese nicht nur, Sie berühren sie. Sie öffnen Schranktüren, prüfen Oberflächenstrukturen wie Holz, Glas oder Kunststoff. So kombinieren Sie - in ihren eigenen Räumen - Formen, Farben. Mateialien und Lichteffekte nach Lust und Laune. Virtuelle (=scheinbare) Realität heißt die Computer-Tecnologie, die Ihnen dieses neuartige, faszinierende Einkaufserlebnis schon bald möglich macht.“  

[7])Man muß hier zwischen der Perpsektive der ersten und dritten Person unterscheiden.  

[8])Vollständig bedeutet in diesem Zusammenhang, daß es keine Realfälle gibt, die in der Theorie nicht berücksichtigt wären. D. h was immer in der Realtät passiert müßte durch die Theorie erfaßbar, entscheidbar sein.  

[9]) Michael Dummett: Frege and the Paradox of Analysis. In: Frege and Other Philosophers, Oxford 1991.  

[10]) Es gibt natürlich Computerfachleute, die so sehr (auch aus persönlichem Prestige) an die Effizienz ihrer Programme glauben, daß sie das Experment wagen würden. Andere würden das ganze als emotionale Skrupel abtun, die man überwinden müsse. Wieder anderen ist die Problematik der Unvollständigkeit der Theorien, die den Programmen zugrundeliegen, gar nicht bewußt, weil ihnen die Antennen dafür gekappt worden sind, weil sie die Problematik im Rahmen ihres Wissenschaftsverständnisses (Wissenschaft beschreibt, wie de Welt ist) gar nicht mehr sehen können.  

[11])Und so wird das dann im Computer durchgespielt, wie wir als Menschen das machen folgt daraus noch gar nicht. Im Computer wird genaugenomen unser theorisches Verständnis programmiert.  

[12])Cf Odo Marquard, Eröffnungsvortrag beim ersten Kongreß der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie unter dem Titel „Reflexion und Wirklichkeit“, Linz 1985.  

[13] )Ehrlicherweise sollte man auch vorausschicken, daß durch eine derartige Diskussion mehr Fragen aufgeworfen werden, als tatsächlich beantwortet werden können und daß die praktischen Antworten oder genauer noch Handlungsanweisungen sehr spärlich sein werden, vor allem deshalb, weil wissenschaftliche Erkenntnisse in den seltensten Fällen unmittelbar umgesetzt werden können, bzw. dies genaugenommen auch nicht zulässig ist, sondern auf einem falschen Verständnis des Zustandekommens und der Bedeutung wissenschaftlicher Erkennntisse beruht. Viele Alltasdiskussionen gehen ganz einfach von falschen Voraussetzungen aus ! --- All das ist aber nur dann einsichtig, wenn man sich genau anschaut, wie es dazu kommt, daß man Simulationen benutzen kann, um sich in der Welt zu orientieren und wie aus den Simluationen Ersatzwelten werden können und in weiterer Folge zu verstehen, daß Wissenschaft (logisch gesehen) auf dieselbe Weise funktioniert und wiss. Ergebnisse somit auf abstraktiven Simulationen/Modellen beruhen, die in geeigneter Weise interpretiert werden müssen.  

[14])Zumindestens unterstelle ich das, als Ausdruck einer ethischen Grundhaltung  

[15])Können wir uns heute dafür Beispiele ausdenken ? --  

[16]) Das ist eine implizite Angabe dessen, wie der Ausdruck virtuell gebraucht wird. In dem Buch von Woolley [Benjamin Woolley: Die Wirklichkeit der virtuellen Welten, Basel 1994] setzt sich ein ganzes Kapitel [ch 3: pp 67-81]nur damit auseinander, auf welche Weise der Ausdruck in den Computerwissenschaften eingeführt wurde (z. t. auch aus werbetechnischen Gründen) und wie er dann wieder in die Alltagswelt zurückprojeziet worden ist. -- Konsequenezen werden aufgrund der Alltassemantik gezogen.  

[17]) Ganz in dem Sinne in dem Wittgensein meint, daß es in der Philosophie darum gehe sich über die Bedeutung von Sätzen klar zu werden (cf Tractatus 4.112: ... Das Resltat der Philosopie sind nicht >>philosophische Sätze<< sondern das Klarwerden von Sätzen.  

[18]) Dies ist eines der Ergebnisse der Spätphilosophie Wittgensteins und gilt auch für die Modelle der Welt, die wir uns mit Hilfe unserer Sprache aufbauen. Cf David Pears: The False Prison, Oxford 1989.  

[19])Sollten sie natürlich auch nicht, zumindestens nicht unmittelbar, denn es handelt sich um unterschiedliche Ebenen der Argumentation.  

[20]) Howard Rheingold beschreibt das in seinem Buch ‚Virtuelle Welten‘ viel zu euphorisch!  

[21]) Mondo 2000: A User's Guide to the New Edge. New York 1992, insbes. pp 78: Cyberspace und pp 252: Virtual Reality.

“VR will let people better share the contents of their minds. ”

“With every possible kind of visual image and sound digitally stored and with the ability to put that into motion, you could beam your dream or your vison however strange surrealistic [or whatever] right into the eyestalks of your virtual friend or your enemy.’

p 258: “Make time run backwards. - In virtual reality there are two kinds of time. The particular experiences that make up time can be decoupled from physical time. You can play back your old experiences, you can go through them backwards or forwards, fast or slow. And that's a pretty profound thing, because, as it happens, the way people experience time is very much based on the outside world and not on internal sense.”  

[22]) Cf Stuart Shanker: Wittgenstein and the new Philosophy of Mathematics. London 1987.  

[23]) Heute git es auch andere Ansätze, die genauer auf die tatsächelichen Prozesse im Gehirn eingehen und unter dem Sammeltitel Konnektionismus laufen.  

[24]) Wobei noch hinzukommt, daß die Simulationen nur wirken oder man sich einen Reim draf machen kann, wenn sie an die jeweilige Lebenswelt anknüpfen.

cf. nämlich genausowenig nicht wie jener (auf die heutige Zeit bezogen sehr realistische) Roman von Jules Verne über das moderne Paris, der erst jetzt (etwas spät) postum erscheint, der aber seinerzeit vom Verleger abgelehnt wurde.  

[25]) In der klassichen Literatur wunderbar von Louis Borges durchgespielt.

26. Benjamin Woolley: Die Wirklichkeit der virtuellen Welten, Basel 1994, pp. 253.

27) Vgl. R.Born: „Schizo-Semantik: Provokationen zum Thema Bedeutungstheorien und Wissenschaftsphilosophie im allgemeinen.“ In: Conceptus, Jahrgang XVII, Nr. 41/42 (1983), 101-116; sowie: ‘Split semantics.” In: Artificial Intelligence: The Case Against. R.Born (ed.), Routledge, London/Sydney 1987, (paperback 1988, reprinted 1989).  

[28]. Zitiert aus Cyberspace: Ausflüge in virtuelle Wirklichkeiten, Hrsg. Manfred Waffender,Reinbek 1991 (rororo computer 8185), p. 86.  

[29] )Bezüglich der Frage nach den negativen Konsequenzen, in deren Rahmen er die obige Antwort gibt, meint Lanier(loc. cit. p 86): „Klar, schlimme Dinge werden mit virtuellen Realitäten passieren. Sie werden dazu beitragen, Leid zu bereiten, denn sie sind etwas Großes, und die Welt kann grausam sein. Aber ich denke, alles in allem werden sie die Aufgeschlossenheit der Menschen für die Natur eher verstärken, für die Bewahrung der Erde, weil sie dann eine Vergleichsmöglichkeit haben werden.“ -- Das ist äußerst fragwürdig und faktisch wahrscheinlich falsch. Die Pointe meiner Überlegungen hingegen ist, daß „wir uns durch VR nur dann besser verstehen, wenn wir wissen, was wir durch VR in dieser Hinsicht tun - und ob uns daran überhaupt liegt, hängt davon ab, was wir allgemein anstreben“ (Formulierung von Otto Neumaier).  

[30]) Wird in der Künstlichen Intelligenz als Repräsentationsproblem diskutiert.  

[31]) Wobei die Hoffnung im Vordergrund steht, daß es sich um zeitloses, multipel instanziierbares Wissen handelt.  

[32]) Eigentlich sollte das Programm dazu benutzt werden um den Diagnosebildungsprozeß der Ärzte zu untestützen und ihnen Zeit zu geben die Korrekturen aufgrund ihrer Erfahrungen anzubringen.  

[33]) Dieselbe Situation ergibt sich, wenn Albert Einstein das Büchlein von Bertrand Russell über die Relativitätstheorie liest und es als sehr einfach bezeichnet. Er liest und interpetiert mit einem anderen Hintergrund als ein Laie, der es zum erstenmal liest.  

[34]) Wenn man die Ergebnisse dermodernen Wissenschaftstheorie halbwegs ernst nimmt.  

[35]) Eine Formulierung meines Freundes Otto Neumaier.


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