"Buildings will become
computer interfaces and computer interfaces will become buildings. Architects of the
twenty-first century will still shape, arrange, and connect spaces (both real and virtual)
to satisfy human needs . . . But commodity will be as much a matter of software functions
as it is of floor plans and construction materials."
- William Mitchell, City of Bits
Eintritt in den Cyberspace
Wir stehen mitten in einer Transformation der
Kommunikationskultur, für die es viele Metaphern gibt: die des virtuellen Raums ist eine
davon. Die Frage der Änderung ist mit den gewohnten kulturkritischen Mitteln nicht leicht
zu fassen: indem etwa die Vorteile der alten Medien verteidigt werden. Neue
Kommunikationsstrukturen ersetzen nicht die alten Medien:wir haben nach Erfindung des
Buchdrucks schließlich uch nicht zu sprechen aufgehört. Wir sprechen aber anders als in
einer schriftlosen Kultur. Es handelt sich um eine Verlagerung, eine Verschiebung
eine Transposition, mit der sich die Topographie der postmodernen Gesellschaft radikal
ändert.
Cyberspace ist eine zunächst
literarische Metapher für neue Orte des Bewußtseins. Sie entspricht der postmodernen
Stimmung, als Entgrenzung der modernen Stimmungslage, die kritisch (im Sinne
einer Grenzbestimmung) definiert war. Aus Angst vor den Neuerungen der Medientechnik, die
sie um ihre privilegierte Stellung bringen könnte, thematisierten Intellektuelle wie
George Orwell die Überwachungsgesellschaft, das elektronisch ausgestattete
Panoptikon. Ausgerechnet im Jahr 1984, in das jene Anti-Utopie projiziert wurde, prägte
William Gibson mit dem Begriff Cyberspace als einer consensual
hallucination die Vorstellung einer schillernden, coolen neuen Datenstruktur, einem neuen
Kontinent aus räumlich gewordener Information, den die Welt zum Ausgang des zwanzigsten
Jahrhunderts dazugewonnen hat.
Der Cyberspace ist jedoch nicht einfach die Welt der
bunten Videogames, sondern der expandierende Datenraum, den wir über elektronische
Verbindungen betreten und in welchem wir mit anderen Menschen interagieren können, der
aber gewissermaßen ortlos ist. Schon bei einem Telefonat fällt es uns schwer anzugeben,
wo es eigentlich stattfindet: die Verbindung erzeugt einen virtuellen Ort der Begegnung,
wir handeln durch dieses Sprechen telematisch. Je mehr Menschen daran teilnehmen, desto
mehr erhebt sich die Frage nach den Gestaltungskriterien dieses telematisch erzeugten
Raumes. Die Interaktion ist vorerst eine mit Daten. Der augenscheinliche Modifikation zum
herkömmlichen Umgang mit Informationen und Daten ist der, daß diese uns nicht mehr
äußerlich sind und daß unsere Verfügbarkeit über sie eine immens gesteigerte ist. Wir
glauben vielleicht noch, der Bildschirm beschränke diesen Raum im Sinne eines Terminals.
Es geht jedoch um mehr, da bei der Virtualisierung des Raums und der wachsenden
Verräumlichung der Datenwelt vollkommen neuartige Interface-Strukturen entstehen.
Wie die Schnittstellen zu einer quasi-intelligenten
Umwelt gestaltet werden, ist eine genuine Frage der Architektur. Der Punkt dabei ist: es
geht nicht nur um eine Simulation realer Räume, sondern um die Ko-Evolution von
elektronischen und realen Räumen; nicht also Rechenleistung und CAD sind entscheidend,
sondern neue ästhetische Beziehungsformen. Kommunikationstheoretisch gesprochen befinden
wir uns inmitten einer kulturtechnischen Revolution: Computing, schreibt Nicholas Negroponte
dazu, is not about computers any more. It is about living.
Der weite Begriff einer Kulturtechnik soll bedeuten,
daß das Kriterium der Digitalisierbarkeit von Daten allein nicht entscheidend ist. Nicht
nur die Maschine hat sich geändert, sondern unsere Beziehung zu und unser Umgang mit ihr.
Und das in kurzer Zeit. War noch vor einer Generation der Computer ein
bloßer numbercruncher, und als ein Elektronengehirn vielleicht gut
genug, mit großen Datenmengen umzugehen, so wurde die Maschine durch die neue
Chip-Technologie zum PC, dem personal computer mit neuen Funktionen. Hatten zuvor
mehrere Personen sich eine raumfüllende Maschine geteilt (mainframe computing), so
stand sie jetzt individuell zur Verfügung und mutierte zum brauchbaren wordprocessor.
Neue Software und neue graphische Benutzeroberflächen wurden entwickelt. Die globale
Vernetzung der Computer ist ein weiterer Entwicklungsschritt, ein signifikanter
kultureller Wandel. Der NC (net computer) könnte schon bald den PC ersetzen; das
heißt das Gerät wird jetzt zu einem unbedeutenden Teil eines größeren Ganzen, zu
welchem Internet und Intranets derzeit konvergieren. Schon wird der Computer als thoughtprocessor
(Michael Heim) erkannt, der simple Dinge wie Haushaltsgeräte und Schuhsohlen
intelligent macht. Unsere Kultur bewegt sich auf den Zustand eines
allgegenwärtigen Computing zu (ubiquitous computing), mit dem die Maschinen zur
quasi-biologischen Umwelt wird, bzw. wir selbst Teil dieser Maschine werden, mit der wir
interagieren.
Nicht nur werden künftige Generationen unsere
derzeitigen Interface-Strukturen belächeln (während die Computer in der uns bekannten
Form verschwinden), sondern auch über neue Formen der Sozialintegration verfügen, neue
Lebenswelten, die unsere moderne Ästhetik unsere gewohnte Auffassung von Zeit und
Raum distanziert: als Entgrenzung derzeitiger Auffassungen von Mensch/ Maschine/
Natur/ Umwelt. Das bedeutet im weiteren Sinn der Eintritt in den Cyberspace, welcher sich
derzeit freilich als ein virtuelles Niemandsland under construction
präsentiert.
Cyberfaschismus?
Wenn wir uns daran erinnern, daß Medien bereits
seit geraumer Zeit mit unserem sozialen Umfeld untrennbar verbunden sind, dann gilt es
auch zu bedenken, daß wir über diese Mensch/Maschine-Interfaces keineswegs eine
virtuelle Realität betreten, indem wir aus dem herkömmlichen Wirklichkeitsrahmen
heraustreten: wir können im Cyberspace handeln wie in jedem anderen sozialen Feld, dem
realen wie dem symbolischen. Widerstand gegen diese Entwicklung ist ebenso verständlich,
wie er auf seine realen Motive hin zu dechiffrieren bleibt.
So ist es beispielsweise nicht einsichtig, warum die
Klage über den Zerfall ganz bestimmter literarischer Werte unserer westlichen
Gesellschaft einer Logik des Zerfalls sämtlicher Kulturideale gehorchen sollte. Eine
bestimmte Gestalt der Kulturkritik ist gegenwärtig alt geworden, wofür ich zwei
Beispiele anführen möchte. Das eine ist eine gegen die Entmündigung der
Gesellschaft" geschriebene Kritik der Macht von Technologien. Neil Postman
versteigt sich mit der Befürchtung, die Medien würden unsere politische
Urteilsfähigkeit beeinflussen (was sie freilich tun, wie der Aufklärungsphilosoph
Immanuel Kant vor zweihundert Jahren bereits festgestellt hat), zu der Behauptung,
wir wären mit einer Art von kulturellem Aids" befallen, das uns alle
Widerstandskraft gegen diesen Zerfallsprozeß raubt. Im Gegensatz dazu bleibt es mit der
Hoffnung auf eine kommunikative Erneuerung der Demokratie via Internet angesichts der
realen Medienpraxis bei bloßen Behauptungen; allein Postman und diese Form der
Argumentation verfällt einem irrationalen Glauben an die Allmacht der Technik, deren
Struktur tatsächlich jede Art und Weise ihres letztlichen Gebrauchs bestimmen soll. Die
Entwicklung des Internet als einem sozialen Phänomen zumindest zeigt das genaue Gegenteil
dieser Annahme, die ihrerseits auf die technologische Struktur fixiert ist.
Das zweite Beispiel stammt von Paul Virilio,
dem rastlosen Kritiker der medialen Beschleunigung, für den die politisch-moralischen
Konsequenzen der Medien- und Informationstechnologie jetzt gar in einen
"Cyber-Faschismus" münden. Wiederum sieht man unsere" Gesellschaft
einer fundamentalen Bedrohung ausgesetzt, die von einer Industrialisierung des Hörens und
Sehens ausgeht und unser" Weltbild via Kommunikationsmittel angeblich
überfremdet". Diese These ist in ihrer Rhetorik (wie alle Biologismen und
andere Fundamentalismen) abstoßend, könnte aber doch einen richtigen zeitdiagnostischen
Kern enthalten. Nur hapert es da mit der Begründung: wenn Virilio die
Scheinwelt" der Informationstechnologien angreift, die reales Leiden und Gewalt
in unserer Gesellschaft nur überdecken, dann spielt er mit der alten und unglaubwürdig
gewordenen Dichotomie von Sein und Schein, die hier wirkliche Bildung setzt und dort nur
Trug und Verblendung (Virilio: virtuelle Kunstrealität") zu sehen vermag.
Wie schon bei Postman regt sich auch bei Virilio der
begründete Verdacht, ihre Diagnose habe weniger mit der gegenwärtigen Medienrealität zu
tun als vielmehr mit einem romantischen Blick auf überkommene Kultureliten. Mit den neuen
Informationstechnologien ändert sich die Form der gesellschaftlichen Kommunikation, und
ebenso ändert sich in der neuen Kommunikationskultur (dessen Vorbote das Internet ist)
die Rolle der Information. Eine Zeit des Übergangs produziert Unsicherheiten, die
ihrerseits das Vertrauen in Technologien nährt und zu deren teils maßloser
Überschätzung führt.
Dem ist die Frage entgegenzuhalten, warum sich die
bekannten menschlichen Eigenschaften sich unter Benutzung neuer Technologien denn nun
grundlegend ändern sollten. Eine technologiegesättigte Informationsgesellschaft wäre
das Zerrbild der neuen Kommunikationsverhältnisse, in der nicht der Mensch, sondern die
Relation zwischen Kultur, Gesellschaft und Medien vollkommen neu bestimmt wird. Der
emotional geladene Diskurs um das Für und Wider dieses Prozesses erinnert an eine
Beziehungsdiskussion, aus der glücklich nur entrinnt, wer sich nicht am Bild des
Vergangenen festklammert und damit das Ende einer Perspektive auch als Öffnung eines
neuen Horizonts zu interpretieren vermag.
Neue Kommunikationsästhetik
Verschiedene Paradigmen der Kommunikation sind in
Veränderung begriffen: Vilém Flusser nennt es den qualitativen Sprung vom
linearen Text zum Technobild, einen Umbruch der Kommunikationsstrukturen unter den nicht
länger nur deskriptiven Bedingungen einer neuen Einbildungskraft. Herbert Marshall McLuhan
nannte es den Abschied von der Gutenberg-Galaxis. Die Kommunikationsstrukturen lassen
andere als die bekannten Funktionen (wie Übertragung von Nachrichten) zu, was sich
letztlich auf die menschlichen Beziehungen auswirkt und eine potentiell neuartig
kodifizierte Welt" (Flusser) ermöglicht, ein planetarische Netzwerk
technologischer Sinnlichkeit" (Derrick de Kerckhove). Damit wird das lineare
Kommunikationsschema der Vermittlung gebrochen. Linearität wird als Funktion
eines Codes erkannt, als ein kulturtechnischer Effekt des phonetischen Alphabets, von
Sprache und Schrift, der sich auf allen anderen Ebenen als abstraktes Prinzip durchsetzt.
Noch im neunzehnten Jahrhundert bedeutete
Kommunikation die Bewegung von Gütern. An die Stelle der materialen tritt nun die
digitale Bewegung:die Steuerung von Datenflüssen statt dem Transport von Materie. Die
diskursiven Medien werden zunehmend durch dialogische Medien ersetzt, das Rundfunkprinzip
durch ein Vernetzungsschema (Networking anstelle von Broadcasting). Das Sender-Empfänger
Modell der Massenkommunikation wird durch die vernetzte Kommunikation ersetzt. Diese
ermöglicht eine neue Nutzung digitaler Ressourcen: nach dem Prinzip des
uneingeschränkten Zugriffs statt der bislang herrschenden Ökonomie der Knappheit.
Ob sich damit wirklich ein neuer
anthropologischer Raum des Wissens" (Pierre Lévy) öffnet, bleibt
abzuwarten. Sicher ist nur, daß die technische Entwicklung des Cyberspace die Chancen zur
Nutzanwendung eines gesellschaftlichen Machtpotentials neu verteilt, dessen Erschließung
bisher an langwierige Sozialisationsprozesse und elitär geschützte Wissensreservate
gebunden war. Durch die Interaktivität ist es aber auch vorbei mit der Haltung des
distanzierten Beobachters: die als nicht nur ästhetisch, sondern auch technisch bedingt
zuerkennen ist; d.h. der kulturelle Habitus ändert sich insgesamt, seit die
Apparatur eine Replik ermöglicht. Wir verlieren sicher nicht die
Sprache, sind aber dabei, neue Codes zu implementieren und damit ein anderes Sprechen zu
erfinden. Das wirkt wiederum auf alle anderen Kulturproduktionen zurück.
Endogene Architektur
Wenn Menschen etwas tun, dann geschieht das an
bestimmten Orten. Ihre körperlich gebundenen Aktivitäten sind strikt lokalisierbar:
Arbeiten, Essen, Schlafen, Entspannung dies alles erfordert eine gewisse
Funktionalität der unmittelbaren Umgebung, als deren Gestalter unter anderem Architekten
in Erscheinung treten. Aber vielleicht sind, auf dem Weg in eine endogene Architektur,
Architekten die jetzt aussterbende Spezies: schon wenn wir diese Vorstellung ihrer
Tätigkeit über die banale technische Gestaltung von Bauteilen und Gebäudekomplexen
hinaus ausdehnen, dann stellen wir Ansprüche, denen das klassische Berufsbild nicht mehr
entsprechen kann.
Auch dann nicht, wenn es um ästhetische oder
ökologische Komponenten angereichert wird. Ich meine das nicht nur in dem pragmatischen
Sinn, daß es immer mehr Architekten gibt, die immer weniger bauen (gebaut wird natürlich
weiterhin, und das nicht zu knapp), sondern grundsätzlicher. Worauf die Dialektik von
menschlicher Aktivität und architektonischer Funktionalität eigentlich schon hindeutet:
es geht im weiteren Sinn um Interface-Design. Stellen wir uns das zunächst so vor, daß
die traditionelle, nämlich zunftmäßige Organisation von Berufsgruppen zusammenbricht.
Noch vor Jahren wäre unvorstellbar gewesen, daß das Aufgabenfeld von Zünften wie
Architekten,Verlegern, Redakteuren etc. auf einer neuen Basis zusammenfällt und zudem
noch von den letztlichen Konsumenten unterlaufen wird. Im Cyberspace ist dies, etwas
übertrieben ausgedrückt, der Fall: der intelligente Sozialraum kennt keine Baupläne,
keine Manuskripte, keine Druckanweisungen, wohl aber Schaltpläne und Software, in der
sich Momente von all dem finden. Es handelt sich um eine neue räumliche und soziale
Matrix.
Was uns hier interessiert ist die Tatsache, daß
diese kulturtechnische Transformation auf die traditionelle Raumgestaltung zurückwirkt. Liquid
architecture, cyberreale Architektur, Transarchitektur und bioelektronische
Architektur sind Schlagworte dieser Diskussion. Der letzte Veränderungsfaktor der
Architektur war (laut McLuhan) die Elektrizität, nicht nur hinsichtlich Beleuchtung,
Heizung, und vertikaler Mobilität, sondern vor allem durch die damit erzielte Aufhebung
der Trennung von Innen und Außen. Der Cyberspace als verräumlichte Information
vervollständigt diesen Prozeß, indem das Symbolische und das Funktionale in eine neue
Relation gesetzt werden.
Damit verändert sich wie gesagt die Topographie,
aber auch die Bewußtseinslage der Gesellschaft. Nicht aufgrund der vermeintlichen
Dezentralisierung, sondern aufgrund neuer Konstellationen (das elektronische
Zuhause gehört sicher auch dazu) und auch im Verhältnis von Produzenten,
Distributoren und Konsumenten. So kennt die digitale Stadt beispielsweise keinen
Architekten, sondern wird von den Teilnehmern selbst gebaut; allerdings gibt es technische
Limits, subjektive Designer und deren kulturell determinierte Gestaltungskriterien. Es
handelt sich um eine Ausweitung des gesellschaftlichen Bewußtseinsprozesses durch
technische Interfaces in sozialen Zusatzräumen" (Manfred Faßler).
Orte werden zu Knoten in einem Netz von
Informationsflüssen. Das Haus wird zur intelligenten Maschine. Die virtuelle Architektur
formt nicht die Erweiterung von Skelett und Haut, sondern des Nervensystems. Diese
Architektur ist die von verflüssigten Relationen zwischen abstrakten Elementen, eine
symbolische Notation, womit sie der Musik ähnlich wird, wie Marcos Novak
festgestellt hat. Stahl und Glas sind architektonische Zeichen der Moderne, die damit ihre
Vorstellung von Leichtigkeit und Transparenz zu realiseren sucht. Diese Bestrebung
kulminiert in der Ersetzung von Substanz durch Oberfläche. Danach geht es nicht mehr um
diese Entgegensetzung. Algorithmische Kompositionen sind architektonische Zeichen der
Postmoderne. Sie schaffen Bewußtseinsräume. Komplexe dreidimensionale virtuelle
Räume", schreibt William Mitchell, in denen man sich mit Menschen aus
der ganzen Welt treffen und mit ihnen interagieren kann, werden zur neuen Architektur des
21. Jahrhunderts."
Die virtuellen Orte, an denen sie stattfindet,
mögen noch recht einfach strukturiert sein. Die Architektur des kommenden Jahrhunderts
ist neu, weil an keinen Ort mehr gebunden. Es geht um Strukturen, um Orte und deren
Verbindungen, die dem Bedarf ihrer Benutzer entsprechen. Neu daran ist auch die
Überwindung jener ontologischen Zweideutigkeit, die herkömmlichen virtuellen Umgebungen
zu eigen ist, von der Fernsehshow bis zum VR-Game, vom dreidimensionalen CAD-Plan bis zum
Flugsimulator. Deren Grenze war die Repräsentationsfunktion am Bildschirm.
Neue Kathedralen
Alle modernen Religionen, sagt Hakim Bey,
zeigen die gnostische Spur des Mißtrauens oder gar offener Feindschaft gegenüber dem
Körper und der erschaffenen Welt. Eine Überbewertung des Abstrakten ist das schlechte
Merkmal jeder Religion, und dagegen hilft kein Verweis auf das Authentische,
Außermediale. Unsere Kultur läuft auch wieder Gefahr, mit der neuen
Informationsökonomie ein schlechtes metaphysisches Erbe anzutreten: über die stete
Aufwertung des Symbolischen im allgemeinen Lebenszusammenhang verabsolutiert sich
zunächst das abstrakte Denken als absolutes Wissen (F.W.G. Hegel); über die
Absicherung der materiellen Lebensverhältnisse dann die Manifestationen abstrakten
Denkens (Mechanisierung) als den Wohlstandssymbolen einer Konsumkultur; über die
dominierende Rolle der Medien schließlich erfüllt sich eine weitere Manifestation
abstrakten Denkens, durch die lebensweltliche Problemlagen in den Bereich des Symblischen
verschoben und Energien aus der realen Welt der sozialen Gestaltung abgezogen werden.
Die symbolischen Räume begrenzen und umschließen
uns, sie können uns aber auch einsperren. Der menschliche Körper galt einst als das
symbolische Gewand der Seele, und so wurden für den sozialen Körper ideale Gewänder
geschaffen. Dieser spirituellen Herausforderung verdanken wir vermutlich die
Kathedralenarchitektur. Der architektonische Idealkörper ist und bleibt auch ein
Ordnungssystem, eine Topographie der spirituellen Erfahrung. Er demonstriert den Luxus,
den Wohnbau als Wärmekontrollmechanismus des Körpers (McLuhan) überholt zu haben.
Vielleicht nähern wir uns mit der Herausfordeung
des Cyberspace ja wieder einer Kathedraenarchitektur einer Ausweitung sinnlicher
Wahrnehmungsmomente, eines Bewußtseinsraumes ohne Wände. Dann allerdings wäre es auch
wieder einmal höchste Zeit für eine entmystifizierende sozialwissenschaftliche
Aufklärung.
Literatur
Benedikt, Michael: Cyberspace. First
Steps, Cambridge Mass: MIT Press 1994
Bey, Hakim: Der Informationskrieg, in: LETTRE Heft 29, 1995
Flusser, Vilém: Kommunikologie, Schriften Band 4, Mannheim 1996
Hartmann, Frank: Cyber-Philosophy. Medientheoretische
Auslotungen, Wien 1996
Heim, Michael: The Metaphysics of Virtual
Reality, Oxford Univ. Press 1993
Kerckhove, Derrik de: Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer, München 1995
Lévy, Pierre: Die kollektive Intelligenz. Für eine Anthropologie des Cyberspace,
Mannheim 1997
McLuhan, Herbert M.: Understanding Media. The Extensions of Man (1964), London:
Routledge 1994
Mitchell, William J.: City
of Bits, Cambridge Mass.: MIT Press 1996
Negroponte, Nicholas: Being
Digital, New York: Knopf 1995
Novak, Marcos: Liquid Architectures in Cyberspace, in: Benedikt 1994, 225ff
Postman, Neil: Technopoly, New York: Knopf 1991
Virilio, Paul: La Vitesse de Libération, Paris: Ed. Galilée 1995
© Frank Hartmann 1998
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