Beitrag zum Symposion: Transdisziplinäre Kommunikation. Aktuelle Be-Deutungen des Phänomens Kommunikation im fächerübegreifenden Dialog, Universität Salzburg, Österreich, 25.-26. April 2001 (Proceedings i.Dr.) 

 

 
    
 

THEORIE DER BOTSCHAFT

 
Rafael Capurro
  
 
 
 
 

Kurzfassung
 

Eines der auffälligsten Phänomene unserer Zeit ist die weltweite Verbreitung von Botschaften aller Art vor allem im Medium Internet. Wir leben in einer message society. Ausgehend vom Shannonschen Kommunikationsmodell wird der Versuch unternommen, den Begriff der Botschaft zu bestimmen. Dazu werden Ansätze aus der Systemtheorie sowie aus Flussers "Kommunikologie" einbezogen. Der Bestimmung eines Vorbegriffs von Botschaft folgt eine kurze Erörterung des semantischen Feldes dieses Begriffs. Dieser theoretische Ansatz wird anhand der Analyse von unterschiedlichen historischen Situationen auf seine Tauglichkeit hin geprüft. Das Verhältnis von logos und angelia zu Beginn der abendländischen Tradition zeigt den Botschaftsbegriff eingebettet im Kontext von Dichtung und Politik. Die heteronome oder vertikale Ausrichtung stößt auf Kritik seitens des sich vom Mythos emanzipierenden horizontalen philosophischen Denkens. Die Spannung zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Botschaftsbestimmung ist historisch maßgeblich. Das zeigen Situationen im Kontext der Verbreitung der christlichen Botschaft im Gegensatz zur Frage von Freiheit und Zensur im Zeitalter der Aufklärung. Schließlich wird auf die heutige durch Massenmedien und Internet geprägte message society eingegangen.

 
 
    

Inhalt 

 
1. Begriffliche Grundlagen 
2. Zum semantischen Feld des Botschaftsbegriffs 
3. Die Geburt des philosophischen logos aus dem Geiste der angelia 
4. Verkündigung und Mission 
5. Von der Aufklärung zur message society 

Literatur 
 
 

 
    
 

1. Begriffliche Grundlagen

Eines der auffälligsten Phänomene unserer Zeit ist die weltweite Verbreitung von Botschaften aller Art vor allem im Medium Internet. Wir leben in einer message society. Das war nicht immer so, auch wenn es wahr ist, dass in jeder menschlichen Gesellschaft, und davon soll in diesem Beitrag zu einer Theorie der Botschaft die Rede sein, Botschaften mit unterschiedlichem Inhalt, auf der Basis unterschiedlicher Medien und im Kontext unterschiedlicher Machtstrukturen vermittelt wurden. Warum aber von Botschaft sprechen und nicht zum Beispiel einfach von Information? Der Ausdruck Informations- und neuerdings auch Wissensgesellschaft ist in aller Munde. Wir haben außerdem sozusagen den kanonischen Text einer Theorie der Information, nämlich den vom Mathematiker und Elektrotechniker Claude Elwood Shannon (1916-2001), der am 24. Februar dieses Jahres starb, 1948 veröffentlichten Aufsatz "A Mathematical Theory of Communication" (Shannon 1948). Shannon arbeitete damals bei den Bell Telephone Laboratories. Ein Jahr später erschien dieser Aufsatz als Buch mit einem fast gleich lautenden Titel zusammen mit einem Aufsatz des Mathematikers Warren Weaver (1894-1978), der von 1932 bis 1955 Direktor der Natural Sciences Division der Rockefeller Foundation und später sein Vizepräsident war (Shannon/Weaver 1972). Die hier erörterten Probleme, die Terminologie und die Lösungsansätze bestimmten die Diskussion über den Informationsbegriff in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Capurro/Hjørland 2002). Eine Theorie der Botschaft scheint also überflüssig. 

Liest man aber diese Aufsätze nicht primär in der Absicht eine Antwort auf die Frage: Was ist Information? zu bekommen, sondern um zunächst festzustellen, welche leitende Termini außer communication und information im Kontext dieser "mathematischen Theorie der Kommunikation" verwendet werden, dann stellt man fest, dass auch von: symbols, messages und signals die Rede ist. Im berühmten Schema eines "allgemeinen Kommunikationssystems" kommt das Wort Information lediglich als information source vor. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass es im heutigen Englisch keine Pluralform von information gibt (Capurro/Hjørland 2002). Das, was übertragen werden soll, ist keine information, sondern es sind messages. 

  

 

Quelle: http://www.cultsock.ndirect.co.uk/MUHome/cshtml/index.html 

  
Das Schema unterscheidet zwischen einer von der Informationsquelle hervorgebrachten Botschaft (message), die von einem Übertragungssystem (transmitter) in übertragungsfähige Signale (signal) umgewandelt wird. Diese Signale werden über einen Kanal (channel) an einen Empfänger (receiver) übertragen, der sie wiederum in die ursprüngliche Botschaft (message) zurück verwandelt. Bei der Signalübertragung können aber Störungen (noise source) auftreten. Die Botschaft soll schließlich ihre Bestimmung (destination) erreichen, die, so Shannon, eine Person oder ein Ding sein kann (Shannon/Weaver 1972, 33-34).  

Diese Theorie behandelt das Problem der Übertragung von Signalen mittels eines technischen Mediums, nämlich des Telefons, Telegraphen oder Fernsehers. Bereits 1928 gelingt den Bell Laboratories die erste Live-Übertragung mit Bildern von tennisspielenden Männern (Hiebel 1997, 106). Die Theorie macht dabei einen wichtigen Unterschied nämlich dem zwischen message und signal bzw. zwischen information source und destination auf der einen und transmitter, channel, noise source und receiver auf der anderen Seite. Zwei Geräte (transmitter und receiver) tauschen Signale aus. Sie sind aber nicht identisch mit dem Erzeuger und Endempfänger der messages. Was übertragen werden soll ist message, nicht information, auch wenn Shannon diese terminologische Unterscheidung nicht stringent durchführt. So nennt er die Botschaftsquelle information source und nicht etwa message source und die Telegraphie nennt er einen Kanal für die Übertragung von information (Shannon/Weaver 1972, 36). Messages haben, so Shannon, "öfter" eine Bedeutung (meaning), und er fügt hinzu: "These semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem." (Shannon/Weaver 1972, 31). Somit trifft er einen zweiten wichtigen Unterschied, nämlich den zwischen message und meaning, Botschaft und Bedeutung. Das Maß an Information bei der Übertragung bezieht sich auf die Anzahl möglicher Ja/Nein-Entscheidungen aus einer Anzahl von, aus der Sicht des Ingenieurs, bedeutungslosen Botschaften (messages), wofür der Logarithmus mit Basis 2 (daher auch binary digits bzw. bits) gilt, d.h. gemessen wird die Anzahl möglicher Wahlvorgänge. 

Shannon unterscheidet zwischen verschiedenen Arten solcher bedeutungsloser Botschaften darunter z.B. eine Buchstabensequenz im Falle eines Telegraphen, oder eine Funktion von Zeit (t) im Falle des Rundfunks oder Fernsehers. Im Falle des Telegraphen besteht die Verwandlung der Botschaft in ein Signal darin, dass Buchstaben, also Symbole, in eine Sequenz von Punkten und Strichen codiert werden (Shannon/Weaver 1972, 33). Mit anderen Worten, das Problem bei der Übertragung von Botschaften mit Hilfe eines technischen Mediums besteht in einer dem Medium angemessenen Wahl eines Codes für die einzelnen Symbole, die zum möglichen Bestandteil einer message gehören, sowie in den Störungen, die während der Signalübertragung auftreten können. Letztere verursachen beim (End-)Empfänger eine Ungewißheit bezüglich der ursprünglichen Botschaft (original message) anhand der empfangenen gestörten Signale. Ein externer Beobacher (observer), der die jeweiligen messages an der Quelle und beim Empfänger kennt, würde über einen correction channel diese Störungen dem Empfänger mitteilen, der sie dann korrigieren könnte. In der Praxis übernimmt diese Aufgabe die Redundanz (Shannon/Weaver 1972, 68).  

Sofern mit Information innerhalb dieser Theorie die Anzahl der Wahlmöglichkeiten gemeint ist, bedeutet die Verringerung dieser Möglichkeiten und somit die Gewißheit auf der Seite des Empfängers eine Verringerung der Information. Information bedeutet also, kontraintuitiv, die Zunahme von Ungewißheit. Weaver schreibt plakativ: "no uncertainty at all ? no freedom of choice ? no information" (Shannon/Weaver 1972, 15). Wenn die Botschaft bekannt ist und es gibt keine St?rung, dann ist die Information gleich Null. Information nennt das Maß der Ungewißheit bei der gestörten Übertragung einer Botschaft. Die nützliche Information (useful information) ist das, was übrig bleibt an Ungewißheit, wenn von der totalen Ungewißheit die Rauschungewißheit abgezogen werden kann (Shannon/Weaver 1972, 21). In diesem Sinne und nur in diesem Sinne läßt sich sagen, dass im Rahmen dieser Theorie Information als Reduktion von Ungewißheit bestimmt wird. Der Begriff von Information als Synonym von Ungewißheit ist in der Tat, wie Weaver betont, "enttäuschend", da er nichts mit Bedeutung zu tun hat, und "bizarr", da er mit einem Begriff synonym gebraucht wird, der das Gegenteil des alltäglichen Informationsbegriffs bedeutet (Shannon/Weaver 1972, 27). 

Dieser Befremdung seitens des alltäglichen Gebrauchs von Information kommt Weaver mit einer Erörterung dieser Theorie in einem größeren Rahmen entgegen. Für Weaver stellt sich das Problem der Kommunikation auf drei Ebenen dar, nämlich: 

  • Wie genau (accurately) können Symbole (symbols) übertragen werden? Das ist das technische Problem
  • Wie exakt (precisely) können die übertragenen Symbole die gewünschte Bedeutung vermitteln? Das ist das semantische Problem
  • Wie effektiv (effectively) wirkt die Bedeutung auf das Verhalten in der gewünschten Weise? Das ist das Wirkungsproblem. (Shannon/Weaver 1972, 4)
Es ist leicht einzusehen, dass diese drei Ebenen in etwa der sprachwissenschaftlichen Unterscheidung zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik entsprechen. Shannons Theorie schließt ausdrücklich die Ebenen B und C aus. Weaver zitiert Shannons Diktum, dass die semantischen Aspekte irrelevant sind für den Ingenieur (Shannon/Weaver 1972, 8). Die Informationsquelle wird nur aus statistischen Gesichtspunkten betrachtet. Das bedeutet, dass Botschaften (messages) nicht nur ihre Bedeutung, sondern sogar ihre Individualität einbüßen (Shannon/Weaver 1972, 14). Sowohl Shannon als auch Weaver geben sich große Mühe, den alltäglichen durch Semantik und Pragmatik geprägten Informationsbegriff vom statistischen Informationsbegriff zu unterscheiden. Was aber gewissermaßen unthematisch und dennoch zentral bleibt, ist der Begriff der Botschaft (message). Kurz, die Shannonsche Kommunikationstheorie ist eine Theorie der elektrotechnischen Übertragung von als Signale kodierten Botschaften, nicht mehr und nicht weniger.  

Ich möchte im Folgenden den Versuch unternehmen, eine Theorie der Botschaft zu skizzieren, die genau die Aspekte berücksichtigt, die die Shannonsche Theorie ausschließt. Es kommt also auf Semantik und Pragmatik, sowie auf Individualanalyse von messages in jeweiligen paradigmatischen Situationen sowie in konkreten historischen Kontexten an. Meine Fragen betreffen Ursprung, Ziel und Inhalt von Botschaften, Machtstrukturen, Techniken und Medien ihrer Kodifizierung, Auslegung und Verbreitung, Lebensformen sowie Geschichte(n) von Botschaften und Boten, psychologische, politische, ökonomische, ästhetische, ethische und religiöse Aspekte. Ein wissenschaftlicher Kosmos sozusagen. Eine solche Theorie ist wesensmäßig interdisziplinär. Sie bezieht Erkenntnisse und Methoden aus Medien- und Kommunikationswissenschaft, Geschichts- und Kulturwissenschaft, Literatur- und Sprachwissenschaft, Informatik, Betriebs- und Volkswirtschaft, Philosophie und Theologie, um nur einige vorwiegend humanwissenschaftliche Disziplinen zu nennen, ohne aber die Naturwissenschaften zu vergessen. Denn auch wenn wir jetzt von einer Theorie der Botschaft im anthropologischen Kontext sprechen, ist das, was ich das postalische Paradigma nenne, als methodische Grundlage der Naturwissenschaften heute vorherrschend. Dieses Paradigma verdankt sich unterschiedlichen Einflüssen, nicht zuletzt der Shannonschen Kommunikationstheorie sowie der Entwicklung des Computers. Die Rede von Erbinformation in der Biologie übt in Zusammenhang mit der Entzifferung des menschlichen Genoms eine wohl dramatische und zum Teil auch traumatisierende Wirkung auf das Selbstverständnis des Menschen im beginnenden 21. Jahrhundert aus.  

Als ich vor schon mehr als zwanzig Jahren eine etymologische und ideengeschichtliche Untersuchung des Informationsbegriffs unternahm (Capurro 1976), entdeckte ich u.a. den Zusammenhang des lateinischen Terminus informatio mit den bedeutungsschweren von Platon und Aristoteles geprägten Begriffen idea, eidos, morphe und typos. Dieser griechische Ursprung des Informationsbegriffs ist bis heute wirksam (Capurro/Hjørland 2002). Ich suchte damals auch nach einer begrifflichen Entsprechung unseres heutigen alltäglichen Informationsbegriffs im Sinne von Nachricht oder Mitteilung. Das ist prima facie der nicht weniger bedeutungsschwere Begriff logos, vor allem in Zusammenhang mit den schon erwähnten Grundbegriffen. Doch meine Recherchen führten mich auch zu einem außer in der Theologie wenig beachteten griechischen Begriff, nämlich angelia (Capurro 1978, 46-49). Ich möchte in Anlehnung an Wortbildungen wie Logik, Semiotik oder Physik, die Bezeichnung Angeletik für eine künftige Theorie der Botschaft vorschlagen. Das Wort angelia liegt dem Wort Engel, der Götterbote, zugrunde. Darüber gibt es eine lange theologische Denktradition, die Engellehre, und zwar sowohl in der christlichen Theologie als auch in anderen Religionen. Angeletik bedeutet im Unterschied dazu die Untersuchung des Botschaftsphänomens in den Grenzen der condition humaine, ohne aber die vielfältigen Überschneidungen und Berührungspunkte mit Theologie und Mythos außer Acht zu lassen (Capurro 1995, 1996). 

Wodurch unterscheidet sich aber eine Theorie der Botschaft von einer Informationstheorie? Oder, anders gefragt, wodurch unterscheidet sich Botschaft von Information oder message von information? Auf diese Frage kann ich hier nur eine vorläufige Antwort im Sinne eines Vorbegriffs geben. Ich möchte mich dafür an die von der Theorie sozialer Systeme eingeführte Unterscheidung zwischen Mitteilung und Information anlehnen (Luhmann 1987, 191ff). Mitteilung bedeutet die Außenwirkung auf ein System im Sinne eines Sinnangebots, während Information, diejenige Differenz meint, die im System eine Differenz bewirkt, "a difference which makes a difference", nach der bekannten Definition von Gregory Bateson (Bateson 1972, 453). Botschaft im Sinne von Mitteilung ist Sender-abhängig und somit ein heteronomer Begriff. Wir empfangen eine Botschaft aber wir suchen nach Information. Letzteres können wir aber nur tun, wenn ein Sinnangebot überhaupt da ist. Eine Botschaft bringt dem Empfänger etwas Neues oder Überraschendes, verursacht also Ungewißheit. Sie ist, aus der Sicht des Senders, relevant für den Empfänger. Und sie kann durch, metaphorisch gesprochen, soziales Rauschen, gestört sein. Sie kann unterschiedlich verschlüsselt und durch verschiedene Medien oder Boten übertragen, d.h. angeboten werden. Sie hat meistens, aber nicht ausschließlich, einen sprachlichen Charakter und sie löst beim Empfänger einen Informations- sowie einen Verstehensprozeß aus. Letzteres heißt, dass die Wahl aus dem Sinnangebot einer Botschaft immer vor dem Hintergrund eines systemimmanenten Vorverständnisses stattfindet. Der Empfänger versteht eine Botschaft indem er einen Unterschied zwischen Mitteilung und Information macht. Er kann die Botschaft anzweifeln oder ablehnen, indem er sie so oder so deutet. Der Heteronomie der Botschaft steht also die Autonomie des Deutenden gegenüber. Kommunikation ist dann die Einheit von Mitteilung, Information und Verstehen (Luhmann 1987, 196).  

Dieser Vorbegriff läßt sich genauer ausformulieren. Botschaften sind eine besondere Art von Sprechhandlungen, die eine bestimmte Auswirkung auf den Empfänger abzielen. Sie sind also pragmatische Mitteilungen. Anstelle einer Sprechhandlung können auch Gegenstände als Botschaften aufgefaßt werden. Die Sprechhandlung bleibt in diesem Falle implizit. Die Handlungsaufforderung kann, muss aber nicht die Form eines Imperativs haben. Es gibt auch indikative und optative Varianten. Eine Botschaft findet also dann und nur dann statt, wenn das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger so ist, dass der Sender in der Absicht handelt, den Empfänger in seinem oder ihrem Handeln und/oder Denken mitzubestimmen. Man kann sich zwei extreme Formen dieser Struktur vorstellen, nämlich der Glaube eines Senders, eine imperative Botschaft für alle Menschen aller Zeiten zu besitzen, um sie, wie auch immer, mitbestimmen zu müssen, und der umgekehrte Glaube eines Empfängers, für den alles als eine auf ihn gerichtete Botschaft auffaßt. Der erste Glaube trifft zum Beispiel auf die universal gerichteten Religionen zu. Es kann sich aber auch um eine Verfallsform handeln, wie am Beispiel psychischer Krankheiten ersichtlich, was auch für die zweite Glaubensform zutrifft. Zwischen diesen beiden Extremen lassen sich unterschiedliche Abstufungen finden, die von den jeweiligen Situationen mit ihren Machtkonstellationen und technischen Mitteln abhängen. 

Was eine Botschaft ist, läßt sich, aristotelisch formuliert, im Hinblick auf ihr Ziel, ihre Form, ihren Inhalt und ihren Produzenten bestimmen. In Anschluß an Vilem Flussers "Kommunikologie" können wir zwischen dialogischen und diskursiven Zielen der Kommunikation unterscheiden (Flusser 1994). Dialoge zielen auf die Erzeugung neuer Information, während Diskurse auf ihre Verbreitung ausgerichet sind. Man kann dazu das bewahrende Ziel nennen. Ich denke dabei z.B. an Jan Assmans Theorie des kulturellen Gedächtnisses (Assmann 2000), aber auch an bibliothekarische und archivarische Tätigkeiten. Nach der Form lassen sich Botschaften, wie gesagt, in imperative, indikative und optative unterscheiden. Schließlich sind Inhalte und Produzenten von Botschaften zu nennen. Hier spielen Machtkonstellationen eine entscheidende Rolle: Wer darf welche messages an wen unter welchen (technischen) Bedingungen und mit welchen Zielen senden und bewahren? Während in der Antike die Verbreitung universeller Botschaften eine Auszeichnung von Göttern und Herrschern war, stellt sich vor allem in Zusammenhang mit der Entstehung der Philosophie die Frage der Legitimation eines solchen Anspruchs. Ich spreche vom Übergang einer vertikalen zu einer horizontalen Botschaftsstruktur. Diese Begriffe sollen aber nur dazu dienen, eine bleibende Spannung zu thematisieren. Die heteronome Bestimmung von Botschaft steht hierzu nur prima facie auf der Seite der Vertikalität. Der philosophische sowie der wissenschaftliche Diskurs sind Beispiele dafür, wie eine heteronome Botschaft in eine horizontale d.h. "dialogische" (Flusser) Struktur eingebettet ist, deren Ziel gerade die autonome Eigenbestimmung durch den Empfänger ist. Mit anderen Worten, welches Kriterium jeweils anzuwenden ist, um über den gelungenen oder mißlungenen Zweck einer Botschaft zu urteilen, hängt von der unterschiedlichen Konstellation dieser Bestimmungen ab. 

Die folgenden Analysen bieten einen zugleich theoretischen und historischen Zugang zu einer Theorie der Botschaft dar. Sie suchen den Botschaftsbegriff situationsabhängig zu erörtern. Die Beispiele sind paradigmatisch für ein Theorieverständnis, das keinen atemporalen Beobachterstatus beansprucht, sondern bemüht ist, die eigenen thematischen und unthematischen Brüche zu reflektieren. Die Wahl der Beispiele folgt zwar dem historischem Ablauf ohne aber damit die Idee eines wie auch immer gemeinten Fortschritts zu verknüpfen. Schließlich sind diese Analysen in vieler Hinsicht umrißhaft und auf die europäische Tradition eingeschränkt. Der vorgeschlagene Vorbegriff von Botschaft soll dabei anhand konkreter historischer Situationen auf seine Tauglichkeit hin getestet werden. 

Eine Theorie der Botschaft ist selbst eine Botschaft in einem bestimmten Sinne, nämlich in einem philosophischen. Auf den Sinn einer philosophischen Botschaft kommen wir später zu sprechen ohne aber dieses Thema hier ausführlich behandeln zu können. Eine ausdrückliche angeletike techne oder eine ars nuntiandi scheint es dem Wort nach bisher nicht gegeben zu haben, wohl aber der Sache nach, von den verschiedenen Lehren und Techniken - von den Persischen Boten, über Briefe und die neuzeitliche Post bis hin zum Telegrafen und Telefon sowie zu den heutigen Mails - Botschaften zu senden und zu verbreiten, vor allem im politischen, ökonomischen und religiösen Kontext. Sicherlich gehören die rhetorische Tradition, die Tradition der Ausbildung politischer Botschafter sowie die heutigen Marketingtheorien vor allem in Zusammenhang mit den Massenmedien und dem Internet zum Bestandteil einer Angeletik. Man könnte sagen: die paradigmatische Revolution der New Economy besteht nicht zuletzt darin, dass Waren als digitalisierte Botschaften weltweit vermarktet werden können. Ohne (digitalisierte und weltvernetzte) Werbung, keinen (neuen) Markt.  

Ich deute kurz auf die vor uns liegenden Stationen hin. Wir beginnen mit einem kurzen Überblick über das semantische Feld des Botschaftsbegriffs. Sodann wenden wir uns dem Verhältnis von logos und angelia zu Beginn der abendländischen Tradition zu. Dabei zeigt sich der Botschaftsbegriff vor allem eingebettet im Kontext von Dichtung und Politik. Die heteronome oder vertikale Ausrichtung stößt auf Kritik seitens des sich vom Mythos emanzipierenden horizontalen philosophischen Denkens. Die Spannung zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Botschaftsbestimmung ist historisch maßgeblich. Das zeigen Situationen im Kontext der Verbreitung der christlichen Botschaft im Gegensatz zur Frage von Freiheit und Zensur im Zeitalter der Aufklärung. Schließlich wenden wir uns der heutigen durch Massenmedien und Internet geprägten message society zu, in der jeder, der zu dieser Gesellschaft gehört also vernetzt ist (Stichwort: digital divide), jedem eine Botschaft schicken kann, und zwar jederzeit, ort- und zeitunabhängig, an einen oder viele Empfänger, sowie umgekehrt, viele an einen, oder viele an viele. Das Medium ist, nach dem bekannten Diktum McLuhans, selbst die Botschaft ("The medium is the message") (McLuhan 1964). Was aber ist eine Botschaft? Die Medienwissenschaft bedarf einer Theorie der Botschaft. Oder, anders ausgedrückt, Medientheorien lassen sich als Botschaftstheorien auslegen, denn Medien sind auch Botschaften, aber nicht alle Botschaften sind bloß Medien. 

  

2. Zum semantischen Feld des Botschaftsbegriffs

Ich möchte kurz auf das semantische Feld des Botschaftsbegriffs hinweisen, ohne aber auf einzelne Belege näher eingehen zu können. Die Worte Botschaft und Bote hängen mit dem Wort bieten zusammen. Über die Etymologie von bieten heißt es im Duden:  "Das gemeingerm. Verb mhd. bieten "[an]bieten, darreichen; gebieten", ahd. biotan "bekannt machen; entgegenhalten, darreichen; erzeigen, erweisen", got. (ana-, faúr)biudan "(ent-, ver)bieten", aengl. b?odan, bieten, darbieten, ankündigen, zeigen", schwed. bjuda [an]bieten, antragen; gewähren" beruht mit verwandten Wörtern in anderen idg. Sprachen auf der idg. Wurzel *bheudh- "erwachen, bemerken, geistig rege sein, aufmerksam machen, warnen, gebieten." Außergerm. sind z.B. verwandt b?dhati, "er erwacht" (dazu der Name Buddhas, des "Erweckten"), griech. pynthánesthai "erfahren, wahrnehmen", lit. bùdinti "erwecken"." (Duden 1997, 81) Bote, der Verkünder oder Herold, leitet sich von bieten im Sinne von wissen lassen oder befehlen ab. Einige Zusammensetzungen lauten: anbieten, aufbieten, Aufgebot, entbieten, erbieten, ehrerbietig, gebieten, verbieten, Gebot, Verbot. Das Grimmsche Wörterbuch verweist auf das Lateinische nuntius und legt folgende Bedeutungen dar:  "1) verkündigung, meldung: eine botschaft bringen, ausrichten, werben, thun, schicken, senden, erhalten, empfangen" 
"2) wie das lat. nuntius sowohl den boten als seine meldung ausdrückt und in den angezognen goth. stellen" 
"3) botschaft hiesz ehmals auch ein nachfolgendes gericht, das dem hautpgericht angehängt wurde." (Grimm 1999)
Einige Beispiele aus den Belegen zur ersten Bedeutung lauten: "und Mose sandte botschaft aus Kades zu dem könige." (4 Mos. 20, 14); "don Cesar! Gute botschaft harret dein." (Schiller 494a); "die botschaft höre ich wol, allein mir fehlt der glaube." (Göthe, 12, 45). "Die holde Nachricht", die Faust in der Nacht hört, ist, bekanntlich, die Osterbotschaft (Faust I, 765). 

Der Duden belehrt uns über die Bedeutung von Botschaft folgendermaßen: 

"1.a) (geh.) wichtige, für den Empfänger bedeutungsvolle Nachricht [die durch einen Boten überbracht wird]: eine willkommene, traurige, schlimme, geheime B.; jmdm. eine B. bringen, senden, schicken, hinterlassen; Es war ganz unverständlich, warum nicht wenigstens eine B. für mich hier im Hotel bereitlag (Fallada, Herr 33); die [christliche] B. (das Evangelium) verkündigen; *die Frohe B. (christl. Rel.; das Evangelium); b) feierliche amtliche Verlautbarung o.Ä.: eine B. des Präsidenten verlesen; 2. a) von einem Botschafter geleitete diplomatische Vertretung eines Staates im Ausland (...) b) Gebäude, in dem sich eine Botschaft (2a) befindet". (Duden 1999) Ich möchte bei dieser Bestimmung drei Kontexte hervorheben, die uns im Folgenden besonders beschäftigen werden, nämlich den alltäglichen, den (christlich-) theologischen und den politischen. Außerdem tritt in allen Fällen die schon angesprochene heteronome Dimension der Botschaft gegenüber dem mit Recht so genannten Empfänger deutlich hervor, auch und gerade, wenn er eine Botschaft erwartet und somit das Überraschungsmoment abgeschwächt ist. 

In den sich aus dem lateinischen ableitenden Sprachen, wie z.B. im Spanischen, sprechen wir von mensaje und mensajero. Beide Worte leiten sich vom Lateinischen mittere, d.h. senden, ab. Daher auch das sowohl im religiösen aber auch im politischen und wirtschaftlichen Kontext gebrauchten Wort misión. Ferner wird das Wort anunciar im Sinne von verkünden gebraucht, das sich aus dem schon erwähnten nuntiare bzw. nuntius ableitet. Zu diesem semantischen Kontext gehören notitia und communicatio, doctrina und documentum, loqui und dicere, publicare, inquisitio und eruditio. Ferner gehört auch die Tradition der antiken Orakel und der Mantik in diesen Zusammenhang.  

Schließlich möchte ich auf Spanisch embajada oder Englisch embassy - dieses Wort wird erst im 17. und 18. Jahrhundert im Englischen gebräuchlich - hinweisen, deren Herkunft aus dem mittelalterlichen Latein und dem Altfranzösischen ungewiß ist: ambactus bedeutet soviel wie pflügender Bauer (servus arans) oder, allgemeiner, jemand, der ein Amt ausübt und dabei (herum-) geführt wird. 
  
 

3. Die Geburt des philosophischen logos aus dem Geiste der angelia

Der vertikale Charakter der Übertragung von heiligen Botschaften in der feudalen Gesellschaft des antiken Griechenlands wurde durch eine horizontale Form der Botschaftsverbreitung in Frage gestellt, die mit zwei gegensätzlichen aber verwandten Namen getauft wurde, nämlich Sophistik und Philosophie (Capurro 1995, 1996). Um diese These plausibel zu machen, wenden wir uns zunächst einer Situation zu, die einen zugleich alltäglichen und mythischen Kontext von Botschaft aufweist. Im ersten Gesang der "Odyssee" fragt der Freier Eurymachos den Telemachos, wer der Mann war, der ihm, Telemachos, Botschaft über die Rückkehr seines Vaters brachte. Dieser Bote war nämlich Athene in Gestalt eines Hausfreundes, des Heroldes Medon. Telemachos antwortet:   "Hin, Eurymachos, ist auf immer des Vaters Zurückkunft! 
Darum trau' ich nicht mehr Botschaften (angelies), woher sie auch kommen, 
Kümmere mich nicht um Deutungen mehr, wen auch immer die Mutter 
Zu sich ins Haus berufe, um unser Verhängnis zu forschen!" (Od. I, 413-416)
Telemachos will sich nicht mehr um göttliche Weissagungen (theopropies) kümmern. Als der Herold (kerux) Peisenor am nächsten Tag zur Versammlung ruft, erklärt Telemachos, dass er keine Botschaft (angelien) von einem nahenden Kriegsheer mit Gewißheit mitzuteilen hat (sapha eipo) oder gar weissagen kann zum Wohle des Landes, sondern über seinen Schmerz sprechen will (Od. II, 40 ff). Die Freier sind verärgert, weil Penelope sie mit "schmeichelnden Botschaften" (angelias proieisa) tröstet, im Herzen aber anders denkt (Od. II, 92). Man beachte hier den Unterschied zwischen Mitteilung und Information, der sowohl für den Sender als auch für den Empfänger zutrifft. Im fünften Gesang schickt Zeus seinen Boten (angelos) Hermes, um Kalypso seinen "unfehlbaren Entschluß" (nemertea boulen) mitzuteilen (eipein) (Od. V, 29-30). Bei Kalypso angekommen, erzählt Hermes, dass er ohne seinen Willen gekommen ist, um Zeus Worte (mython) "untrüglich" zu verkünden (Od. V, 98). Im Klartext: die Handlung des Mitteilens kann eine alltägliche oder auch eine mit politischer oder religiöser Autorität, im Sinne von verkünd(ig)en, beladene sein. In beiden Fällen ist sie heteronom: Eine Botschaft bringen heißt In-Kenntnis-Setzen, freilich im Hinblick auf die sich darauf anschließende Tätigkeit des Deutens und/oder auf die daraus folgende Handlung des Gehorchens. Botschaft in diesem letzteren Sinne heißt soviel wie Befehl. Das Befolgen ist eine bestimmte praktische Form des Deutens auf der Grundlage der Mitteilung eines autoritativen Beschlusses, deren Nichtbefolgung eine Verfehlung (amartano) bedeutet. Es kommt dabei alles darauf an, dass der Empfänger die Botschaft genau so deutet, sich also in-formieren läßt, wie es der Sender will. Da aber die Differenz zwischen Mitteilung und Information sich nicht aufheben läßt, erzeugt jede Botschaft Ungewißheit 

Die Verwendung des Botschaftsbegriffs in einem politischen - wie am Beispiel von Herodots Beschreibung des persischen Relaispostensystems (agareion) ersichtlich (Herodot, Historien VIII, 98) - oder religiösen Kontext hebt ganz besonders die Heteronomie der Handlung hervor. Das gilt auch für die Dichtung, wie am Beispiel Pindars ersichtlich. Der Dichter ist, so wie Hermes, der Bote der Götter. Er wird von den Horen, den Göttinnen des Wachsens, Reifens und Blühens, nach Olympia gesandt, um Zeuge der Kämpfe und des Sieges zu werden. Auf seine "süße Botschaft" (angelian glykeian) freuen sich die Edlen (Olymp. IV, 5). Der Chorführer Aieneas soll "rechter Verkünder" (angelos orthos) der Wettkämpfe werden (Olymp. VI, 91). Angelia, die Göttin der Botschaft, Hermes' Tochter, bringt die Siegeskunde dem Vater und dem Oheim und mit ihr, so hofft der Dichter, Gedeihen für Stamm und Stadt des Siegers (Olymp. VIII, 81). Die Verkündung einer glücklichen Botschaft läßt, mit anderen Worten, andere mögliche Mitteilungen offen.  

Nicht jeder kann ein solcher Bote werden, sondern einzig der Dichter, der mit seinen Liedern eine Botschaft (angelian) entsendet, "Übertreffend ein mutig Roß an Schnelle, ein geflügelt Schiff" der die Stadt entflammt. Das Überbringen solcher Glücksbotschaften seitens des Dichters ist nur möglich, weil er den Garten der Göttinnen des Glücks (charites) "mit schicksalsberufener Hand" pflegt (Olymp. IX, 21 ff.)  

Pindars Botschaften sind Siegesbotschaften, die sich letztlich einer höheren Macht verdanken. Sie können nur dann richtig übermittelt werden, wenn derjenige, der sie mitteilt, sich genau den göttlichen Mächten fügt, die die Geschehnisse, wovon sie Zeugnis sind, mit verursacht haben. Menschliche Siegesbotschaften sind für Pindar letztlich göttliche Botschaften, die im Hinblick auf diese Herkunft ausdrücklich mitgeteilt werden. Auch Herakles ist nur ein Sieger "sofern es die Gottheit es so will" (kata daimon) (Olymp. IX, 28). Die Bewertung dieser angeletischen Handlung richtet sich nach der Fähigkeit den Empfänger zu begeistern. Der Dichter fordert ihn auf, zu Danken und Preisen. So viel zur Pindarischen Botschaftstheorie. 

Zu Beginn des Artikels "Hermeneutik" im "Historischen Wörterbuch der Philosophie" schreibt Hans-Georg Gadamer: 

"Hermeneutik ist die Kunst des hermeneuein, d.h. des Verkündens, Dolmetschens, Erklärens und Auslegens, 'Hermes' hieß der Götterbote, der die Botschaften der Götter den Sterblichen ausrichtet. Sein Verkünden ist offenkundig kein bloßes Mitteilen, sondern Erklären von göttlichen Befehlen, und zwar so, daß er diese in sterblicher Sprache und Verständlichkeit übersetzt. Die Leistung der H. besteht grundsätzlich immer darin, einen Sinnzusammenhang aus einer anderen "Welt" in die eigene zu übertragen. Das gilt auch von der Grundbedeutung von hermeneia, die "Aussage von Gedanken" ist, wobei der Begriff der Aussage selber vieldeutig ist, Äußerung, Erklärung, Auslegung und Übersetzung umfassend." (Gadamer 1974, 1061-1062) Es ist erstaunlich und bezeichnend zugleich, dass Gadamer in diesem begriffsgeschichtlichen Beitrag zwar auf hermeneuein als Verkünden nicht aber auf angelia hinweist. Auslegung und Übersetzung setzen die Ankündigung oder Mitteilung des Auszulegenden voraus. Mit anderen Worten, die Hermeneutik bedarf der Angeletik. Die Philosophie in ihrem Sokratisch-Platonischen Anfang steht dem dichterischen Verkünden göttlicher Botschaften kritisch gegenüber. Das läßt sich deutlich am Beispiel des platonischen Dialogs "Ion", also jenen hermeneutischen Dialog par excellence, zeigen, in dem Sokrates die Künste göttlicher Dolmetscher, besonders der Homeriden, kritisiert. Diese haben ihr Wissen aufgrund göttlicher Eingebung (theia moira) und nicht durch Sachkenntnis (techne, episteme) (Ion 536c-d). Die Dichter sind "Dolmetscher der Götter" (hermenes ton theon) (Ion 534e) und die Rhapsoden wiederum Dolmetscher der Dichter. Um die besondere Art der dichterischen Vermittlerrolle hervorzuheben, bedient sich Platon mehrmals der Metapher von eisernen Ringen, die "unter dem Einfluß des Magneten die Kraft voneinander empfangen." (Ion 536e). Dichter und Sänger sind also in den Augen des Philosophen magnetisierte, d.h. unwissende Vermittler. Die philosophische Angeletik sokratisch-platonischer Prägung gründet nicht auf angelia, sondern auf dem (mündlichen) logos. Sie heißt Dialektik. 

Anstelle der vertikalen Botschaft tritt der philosophische logos und der dialektische Mitteilungsprozeß, d.h. das sachliche Fragen auf der Basis jener Botschaften, die uns die Sinne und allem voran die Vernunft (nous) mitteilen und die der Kritik unterworfen werden. Diese Sachen sind für Platon die Ideen (idea) und für Aristoteles die Formen (eidos, morphe) der Dinge. Der im semantischen Kontext von Mythos und Politik angesiedelte angelia-Begriff wird als terminus technicus durch den logos und die Ideen ersetzt. Der mythischen Botschaftstheorie folgt die philosophische. Der dichterische sowie politische Kontext des angelia-Begriffs bei Platon läßt sich an mehreren Stellen nachweisen. Am Anfang des 12. Buches der "Gesetze" heißt es z.B. 

"Wer sich fälschlich als Gesandter (presbeutes) oder Herold (kerux) des Staates bei einem anderen Staate ausgibt oder, wenn er wirklich mit der Gesandschaft betraut ist, die ihm übertragene Botschaft (presbeias) wissentlich fälscht (me apangelle) oder andererseits keinen Zweifel darüber läßt, dass er die von der anderen Seite, sei es Feind oder Freund, ihm übertragene Botschaft als Gesandter oder Herold gefälscht hat, der soll gerichtlich belangt werden als ein Frevler wider die heiligen Gesetze über Botschaften und Aufträge, die unter dem Schutze des Hermes und Zeus stehen (Hermou kai Dios angelias kai epitaxeis); und wird er schuldig befunden, so soll das Gericht die gebührende Strafe oder Buße bestimmen." (Nomoi 941a). "Als Wächterin über alle solche Verfehlungen", schreibt Plato ebenfalls in den "Gesetzen" - und er meint an dieser Stelle die Verfehlungen bezüglich der Ehre, die man den Göttern, Heroen sowie den Eltern schuldig ist -, "ist Nemesis, die Botin der Dike (Dike Nemesis angelos)" (Nomoi 717d; vgl. Nomoi 758c). Im Dialog "Kratylos" deutet Sokrates die Herkunft des Namen Hermes als Dolmetscher (to hermenea), Bote (to angelon), Dieb (to klopikon) und Betrüger (to apatelon) in bezug auf die Rede (in logois). Hermes ist ein geschickter Handelsmann (to agorastikon), bei dem alles sich um die Macht der Rede (peri logou dynamin) dreht. Sein Name ist zusammengesetzt aus eirein, dem "Gebrauch der Rede", und emesato, "ausfindig machen". Auch der Name der Iris wird von eirein abgeleitet, "weil sie Botin (angelos) war" (Crat. 407e-408b). 

Am Schluß des Dialogs "Menexenos" - ein Dialog in dem Platon politische Lobreden persifliert und somit nicht nur philosophische Zwecke beabsichtigt - bedankt sich Menexenos für die Sokratische Wiedergabe der Rede (logos) der Milesierin Aspasia, zeigt sich aber zugleich skeptisch. Sokrates bemerkt dazu ironisch, Menexenos soll ihm die Gründe seines Mißstrauens nicht verraten, damit er ihm andere "politische Reden" verkünden (apangello) kann (Men. 249e) 

An anderen Stellen gebraucht Platon angello und angelia in einem alltäglichen Zusammenhang, ohne aber dass dieser Begriff zum Gegenstand philosophischer Reflexion oder sogar zum terminus technicus wird. Zu Beginn des "Gastmahls" kommt ein Sklave mit der Meldung (angellonta), dass Sokrates in der Vortür eines Nachbarhauses steht (Symp. 175a). Eutyphrons Vater schickt einen Boten (angelon), um die Auslegung des Richters in einem Mordfall zu erfahren (Euthyph. 4d). Kriton bringt Sokrates eine schlimme Nachricht (angelian chalepen), nämlich die seines bevorstehenden Todes (Crit. 43c). Am Schluß des "Phaidon" sagt Kriton mit Bezug auf die vorausgegangenen Ankündigungen des Dieners, der einen Auftrag (angellon) zu erfüllen hatte: 

"Auch weiß ich, dass andere erst lange nach geschehener Ankündigung (parangelthe) den Trank nahmen" (Phaed. 116e)  Zu Beginn dieses Dialogs wünscht sich Exekrates einen genauen Bericht (saphes ti angeilai) über die Vorgänge in Zusammenhang mit dem Tod des Sokrates (Phaed. 57 b).  

Im vierten Buch der "Staates" "jagen" Sokrates und Glaukon nach dem Wesen der Gerechtigkeit. Als Sokrates meldet, er hätte "eine Spur des Wildes" entdeckt, antwortet Glaukon: "Gute Botschaft" (eu angelleis). Allerdings stellt sich sofort heraus, dass das Wild sich von Anfang an vor ihren Füßen herumtrieb! (Polit. 360a). Am Schluß dieses Dialogs heißt es, dass der Nutzer eines Gegenstandes der Erfahrenste sei und deshalb dem Hersteller darüber Auskunft geben soll (angelon gignesthai), was er richtig oder falsch macht:  

"Also der eine als Wissender gibt Auskunft (exangellei) über taugliche und untaugliche Flöten, der andere schenkt ihm Glauben und verfertigt sie danach?" (Polit. X 601d-e).  Bei dieser Stelle steht angelia in einem prima facie paradoxen Zusammenhang mit dem Prozeß der Mitteilung von Fachwissen. Der Stelle liegt die Platonische Auffassung des Handwerkers als Nachahmer zugrunde. Der Verfertigter einer Nachahmung hat für Sokrates nur ein Scheinwissen über die Sache gegenüber dem, der diese unmittelbar gebraucht. So kommt es, dass das praktische Wissen des Verbrauchers höher eingestuft wird als das technische Herstellerwissen. Dementsprechend wird der Prozeß der Wissensmitteilung vom Verbraucher zum Hersteller höher eingestuft als umgekehrt. Ebenfalls im neutralen Sinne von Wissensmitteilung lautet folgende Stelle am Schluß des "Philebos":   "Auf alle Weise also wirst du, Protarchos (den Abwesenden) durch Boten (angellon pempon), den Anwesenden durch eigenen Mund verkünden (phrazon), dass die Lust nicht das erste und auch nicht das zweite Besitztum sei" (Phil. 66a). Dieser neutrale Gebrauch von angellein kehrt sozusagen das Verhältnis dichterischer Mitteilung, so wie sie im Dialog "Ion" gedeutet wurde, um.  

Mit der Philosophie findet ein Ortswechsel gegenüber den mythischen, politischen und dichterischen Botschaften statt: Nicht die Königspaläste und die Wettkämpfe, sondern die Agora und die Palästra sind die Orte, an denen logoi mitgeteilt und gedeutet werden. Die Philosophie stellt sich kritisch gegenüber dem mythisch belasteten angelia-Begriff und ersetzt ihn zumindest als terminus technicus durch den des dialektischen miteinander Sprechens (dialegesthai). Das logon didonai, d.h. das gemeinsame Suchen nach Gründen und Ursachen, bedeutet allem voran eine an den Gesprächspartner gerichtete sprachliche Handlungsaufforderung, das mitgeteilte logos selbst zu prüfen (krinein). Philosophische Botschaften sind, wie jede Botschaft, heteronom, aber nicht vertikal, sondern horizontal. 

Der Maßstab für den Erfolg einer philosophischen Sprechhandlung ist nicht der Nachweis der Befolgung einer Anweisung, sondern ob die Selbstprüfung tatsächlich erfolgt, was sich ggf. durch eine Gegenfrage erweist. In diesem Sinne fordert Sokrates Kratylos am Schluß des Dialogs auf, das, was er durch eigenes Nachdenken gefunden hat, ihm auch mitzuteilen (metadidonai) (Crat. 440d). Daher auch die aporetische Form philosophischer (Sokratischer) Dialoge. Dennoch entstehen auch beim philosophischen Mitteilungsmodus neue Machtstrukturen z.B. in Form der Meister-Schüler-Beziehung sowie in bezug auf die Frage, inwiefern der philosophische logos letztlich unter der Macht des Göttlichen steht. Zu diesen Machtstrukturen gehört auch die unterschiedliche Auffassung über das angemessene Medium philosophischer Botschaften, sei es, wie bei Platon, zugunsten der Oralität oder, wie bei Aristoteles, in der Anerkennung der Schrift und des philosophischen Traktats als vollwertiges Medium. 

Philosophische messages sind also, was ihre Form betrifft, keine imperative, sondern indikative oder optative Botschaften. Sie beabsichtigen, den Empfänger zu überzeugen, nicht ihn zu Befolgung aufzufordern. Ihr Ziel ist primär dialogisch, d.h. auf die Erzeugung neuer Information orientiert und diskursiv, d.h. auf allgemeine Verbreitung ausgerichtet. Kurz, die philosophische Botschaftstheorie hat andere Koordinaten als die mythische und die dichterische. Das schließt nicht aus, dass philosophische Schriften, wie die platonischen Dialoge, auch zusätzliche Adressaten im Blick haben können, so dass sie auch als politische oder dichterische Botschaften aufgefaßt werden können. Das macht nicht zuletzt die Komplexität und den besonderen Reiz der platonischen Dialoge aus. 
  

4. Verkündigung und Mission

Mit dem Aufkommen des Christentums steht der philosophische logos gewissermaßen in der umgekehrten Situation im Hinblick nämlich auf das euangelion, die Frohe Botschaft. Versuchten die Philosophen die Macht der mythischen angelia durch die Botschaftstheorie des philosophischen logos wettzumachen, so geht es jetzt darum, die Frohe Botschaft nicht der Macht des philosophischen logos zu unterwerfen. Diese Spannung zwischen angelia und logos, das Verkünden der Frohen Botschaft und ihre rationale Deutung durch die Theologie, prägt das abendländische Selbstverständnis und ? hat auch dramatische Auswirkungen auf die missionarische Weitergabe dieser Botschaft. 

Eine mythische Urszene unserer Kultur ist zweifellos die vom Evangelist Lukas beschriebenen Szene der Verkündigung Mariä durch den "Engel des Herren" (angelos kuriou) (Luk. 1, 11). Diese Szene korreliert wiederum mit der Szene am leeren Grab, wo Joseph von Arimathia und mehrere Frauen von "zwei Männern mit glänzenden Kleidern" die Nachricht über den auferstandenen Jesus hören und anschließend an die nicht Anwesenden Jünger verkündigen (apengeilan) (Luk. 24, 9). Lukas berichtet schließlich, wie Jesus ihnen, den "Zeugen" (martyres), "die Verheißung seines Vaters" (ten epangelian tou patros mou) verspricht (Luk. 24, 49). Markus schreibt, dass sie die Frohe Botschaft (to euangelion) an "alle Kreatur" predigen (keruxate) sollen (Mark. 16, 15). Bei Matthäus lautet der Auftrag, sie sollen allen Völkern "lehren" (matheteusate) (Matth. 28, 19). Am eindrucksvollsten kommt aber das Verhältnis von logos und angelia im Johannesevangelium und in seinen Briefen:  

"die Verkündigung (angelia), die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen (anangelomen), dass Gott Licht ist" (I Joh. 1, 5)  sowie:  "Das ist die Botschaft (angelia), die ihr gehört habt von Anfang, dass wir uns untereinander lieben sollen" (I Joh. 3, 11) Im "Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament" schreibt Schniewind über angelia und verwandte Begriffe:  "Die Terminologie wird weder aus der Sprache der Philosophie noch der hohen Religion noch der Mystik gewonnen, vielmehr aus der Sprache des öffentlichen Lebens, der Kampfspiele und der Herrscher. (...) Ob die Sprache des NT aus dem Judentum oder dem Hellenismus stamme, ist hier falsch gefragt. Von Botschaft und Sendung weiß man beiderseits. Die Frage ist nur, wer der Sendende, wer der Bote ist, und was Sendung und Botschaft besagt. Das NT faßt alles im onoma Jesu zusammen." (Schniewind 1953, 57-58) In Jesus fallen, mit anderen Worten, Bote und Botschaft zusammen. Zur Sprachgeschichte von angelia heißt es ferner bei Schiewind, dass das Wort sowohl die Handlung des Meldens als auch das Gemeldete bezeichnen kann und dass dieser doppelte Sinn sich bei euangelion findet. Während angelia zur Sprache der Dichtung und der Politik gehört, ist die Rolle des Boten (angelos) seit der homerischen Zeit, wie wir gezeigt haben, eine sakrale. Boten werden deshalb von den Göttern geschützt, weil Botschaften zu überbringen, "die einzige Möglichkeit des Verkehrs der Menschen untereinander ist" (Grundmann 1953, 72). Auf die theologische Engellehre, auf die Rolle der Propheten und der Erwartung eines kommenden Boten im Judentum sowie auf die Bedeutung von logos und kerigma im Neuen Testament (Coenen u.a. 1993) können wir hier nicht eingehen. Zu euangelizomai schreibt Friedrich:  "In sämtlichen semitischen Sprachen, im Akkadischen, im Äthiopischen wie im Arabischen ist im Stamm bsr die Bedeutung Freude enthalten. Schon darin zeigt sich die realistische Auffassung von "Wort" in den semitischen Sprachen, daß sie für etw Erfreuliches melden einen besonderen Stamm haben, während unsere moderne Sprachen und das Latein darauf verzichten und das Griechische eine Mittelstellung einnimmt, indem es das Kompositum euaggelion, euaggelizesqai gebildet hat." (Friedrich 1953, 705) Michel Serres hat eine eindrucksvolle aber zugleich apologetische Analogie zwischen unserer heutigen message society und der "Legende der Engel" vorgelegt (Serres 1993). Seine Darstellung verwischt m.E. den Unterschied zwischen Engellehre und Angeletik. Gleichwohl steht die Vorstellung von der Materie getrennter reiner Vernunftwesen, das die mittelalterliche Philosophie "getrennte Intelligenzen" (intelligentiae separatae) nannte, nicht weit von einigen Phantasien heutiger Künstliche-Intelligenz-Forscher (Capurro 1995). 

Die Humboldt-Universität zu Berlin veranstalte 1994 eine Tagung mit dem Thema "Gespräch - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter", die als Beitrag zu einer Theorie der Botschaft im Kontext des Mittelalters sowie der frühen Neuzeit aufgefaßt werden könnte (Wenzel 1997). Ich fasse zunächst kurz einige Beiträge zusammen bevor ich auf das Beispiel der Übertragung der christlichen Botschaft zur Zeit der spanischen Eroberung näher eingehe. Im Mittelpunkt steht die Problematik des Übergangs von einer face-to-face Kommunikation zu einer Kommunikation auf der Basis der persönlichen Repräsentanz, des Instituts des Boten oder Gesandten sowie im Medium des Briefes. Dadurch entstehen Probleme der Sicherung, des Transports, sowie der Affektübertragung. In diesem Zusammenhang wäre es eine Untersuchung wert, die mittelalterliche Briefkultur mit, zum Beispiel, der Briefkultur in der Antike zu vergleichen (Capurro 1995, 99-102). Die Literalisierung des Gesprächs reduziert die Komplexität der leibhaftig übertragenen Botschaft, kann aber solche Verluste durch einen Zuwachs an Komplexität, an Speicherkapazität und -dauer kompensieren (Wenzel 1994, 14). Ähnliches läßt sich zum Beispiel über die Übertragung der Sokratischen Botschaft im Medium der Oralität durch die Dialoge Platons sagen. Die Frage ist dann, welches Medium die Dominanz hat, aufgrund welcher Argumente, und welche Konsequenzen hat das jeweils für Mitteilung, Information und Verstehen. "Die wechselseitige Austauschbarkeit der mittelhochdeutschen Begriffe briefe und bote(schaft) verweist", so Wenzel, "auf einen gleitenden Übergang von der mündlich übertragenen zur schriftlich vorgetragenen Botschaft, die auf eine faszinierende Nähe des Boteninstituts zum Medium des Briefes hinweist." (Wenzel 1994, 13). Wenzel, Herausgeber des Tagungsbandes, faßt den für eine Theorie der Botschaft besonders relevanten Beitrag von Bernhard Siegert mit dem Titel "Vögel, Engel und Gesandte" (Siegert) 1994) mit folgenden Worten zusammen: 

"In der alteuropäsichen Mediendiskussion stehen Specht und Elster als sprechende Botenvögel für eine Fernkommunikation, die der Funktion des Boten (nuntius) vergleichbar ist, der seinem Fürsten Körper und Stimme im Sinne einer repraesentatio soni leiht zunächst als physische Vergegenwärtigung (Dante), dann im Sinne der mechanischen Vertretung eines Abwesenden (Descartes). Die mediale Erweiterung des Herrscherkörpers (Kantorowicz) durch Bilder und Boten impliziert die diskursive Ohnmacht des Nachrichtenträgers (nuntius, legatus) als Gefäß einer fremden Stimme, es sei denn die Inkorporation des Wortes werde als Inkarnation Gottes verstanden, der sich als trinitarische Einheit präsentiert. Eine besondere Pointe dieses Beitrages liegt in dem Nachweis, daß die Engel als Botschafter des Himmels (gr. angeloi) etymologisch auf die Bediensteten des angareion, des persischen Relaispostensystems zurückverweisen und damit die Einrichtung der Post dem himmlischen Boten schon vorausgeht. Bezeichnenderweise wird Gabriel, der Engel der Verkündigung, der von Hieronymus als fortitudo Dei definiert ist, als Folge der Verschriftung und Versiegelung der himmlischen Botschaft im späten Mittelalter wieder zu einem Briefträger." (Wenzel 1994, 15-16) Sieger verweist im Anschluß an Michel Foucault (1994, II, 579) auf die Entstehung des Prokurators im 12. Jahrhundert. Dessen Funktion ist nicht mehr, wie beim nuntius, die bloße Repräsentation, sondern die Wahrheitssuche und Wissensproduktion. Das erfordert ein neues Institut: Die ständige Gesandschaft, die Berichte oder Depeschen verfertigt.  

Wenzel thematisiert das Verhältnis zwischen körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger, zwischen Boten und Briefen. Die Botenfigur als Archetypus der Fernkommunikation zeigt verschiedene Ausprägungen, nämlich die des persönlichen Stellvertreters eines Auftraggebers (Gespräch), des Überbringers und Deuters einer Nachricht (Gespräch und Brief) sowie des bloßen Trägers (Brief) (Wenzel 1994a). In jeder dieser Ausprägungen gestaltet sich die Differenz zwischen Mitteilung und Information auf unterschiedliche Weise, je nachdem, ob die Mitteilung, wie bei der lebendigen Rede, eine Einheit mit der Information bildet, so dass der Empfänger buchstäblich keine Zeit hat, um Verdachtsmomente zu schöpfen, es sei denn, wie wir gleich zeigen werden, diese Verdachtsmomente liegen schon vor, so dass die Mitteilung sie auch ggf. bestätigt und letztlich zu ihrer Ablehnung führt. Der Bote ist das Medium. Zum Verhältnis zwischen Mitteilung und Information in bezug auf Oralität und Schrift schreibt Luhmann: 

"Erst die Schrift erzwingt eine eindeutige Differenz von Mitteilung und Information, und der Buchdruck verstärkt dann nochmals den Verdacht, der sich aus der Sonderanfertigung der Mitteilung gibt: daß sie eigenen Motiven folgt und nicht nur Dienerin der Information ist. Erst Schrift und Buchdruck legen es nahe, Kommunikationsprozesse anzuschließen, die nicht auf die Einheit von Mitteilung und Information, sondern gerade auf ihre Differenz reagieren: Prozesse de Wahrheitskontrolle, Prozesse der Artikulation eines Verdachtes mit anschließender Universalisierung des Verdachts in psychoanalytischer und/oder ideologischer Richtung." (Luhmann 1987, 223-224) Die Entkoppelung von Bote und Botschaft macht aus dem Boten zunächst einen Briefträger und letztlich einen transmitter und receiver, Teil eines elektrotechnischen Systems und, aus heutiger Sicht, eine Mailbox in der weltweiten Vernetzung. 

Wulf Oesterreicher stellt die Situation zum Beginn des 16. Jahrhunderts im "Kommunikationsraum Hispanoamerika" als gekennzeichnet durch den Ausschluß der Schriftkommunikation dar. Das bedeutet: 

"- von den in der Trias "Gespräche - Boten - Briefe" angedeuteten Kommunikationsformen kommen für die Kommunikation mit Indios die Gesprächsform, der mündliche Bericht sowie die Verlautlichung von Schriftlichem durch Vorlesen oder Verlesen, also mit einem Medienwechsel, in Frage; genuiner Schriftkommunikation mit medial schriftlicher Rezeption, also der Lektüre, ist zuerst einmal inexistent. 

- zusätzlich ist jedoch immer ein Sprachwechsel notwendig: es muß übersetzt, gedolmetscht werden. Dieser Sprachwechsel betrifft jede Art von hispano-indianischer Kommunikation. Übersetzer sind damit für die spanischen Konquistadoren von ungeheurer Bedeutung." (Oesterreicher 1997, 299)

Was geschah am 16. November 1532 in der nordperuanischen Stadt Cajamarca? Antwort: Ein Gespräch des Inka-Herrschers Atahualpa mit dem von spanischen Conquistador Francisco Pizarro geschickten Dominikanerpater Fray Vicente de Valverde, ein Massaker an den Indios und die Gefangennahme Atahaulpas. Vorausgegangen waren Raubüberfälle der Spanier, worauf der Inka-Herrscher die Spanier zur Klärung der Vorfälle einlädt. Die Nacht vor dem Treffen verbringen die Soldaten in Angst und Schrecken vor einem Angriff. Pizarro plant als Ausweg einen Überraschungsangriff am nächsten Tag. Am späten Nachmittag des 16. November erscheint Atahaulpa auf einer Sänfte getragen auf den Hauptplatz von Cajamarca. Valverde, mit dem Kreuz in der einen und der Bibel in der anderen Hand und von einem Dolmetscher begleitet, läßt dem Inka-Herrscher sagen, dass er predigen wolle, was in diesem Buch steht. Als Atahualpa das Buch in die Hand nimmt, kann er zunächst die Schließe nicht öffnen und schlägt den zu Hilfe eilenden Valverde zurück. Er wundert sich, so ein Augenzeugenbericht, scheinbar mehr über die Schrift als über das, was geschrieben war. Mit vor Zorn geröteten Gesicht wirft er das Buch in die Menge, besteht auf die Rückgabe des geraubten Goldes und droht mit dem Tod. Valverde antwortet, dass dies nicht Gott gefällig sei und das in der Schrift steht, dass wir uns gegenseitig lieben sollen. Atahualpa verlangt das Buch und wirft es erneut weit von sich. Valverde kehrt zu Pizarro zurück und fleht ihn an, die Indianer zu töten. Das Massaker der vermutlich um die 7000 unbewaffneten Indios dauert zwei Stunden.  

Oesterreicher ist aufgrund eines Augenzeugenberichts der Meinung, dass es sich nicht (oder nicht nur) um einen Dialog gehandelt hat, sondern dass Valverde einen vorgefertigten und seit 1514 obligatorischen Text (requerimiento), der zur Konversion und Unterwerfung aufforderte, vorgelesen hat, dessen gleichzeitige Übersetzung seit 1526 gesetzlich vorgeschrieben dar. Es handelte sich um einen formalen Rechtsakt, der zugleich eine Belehrung in Sachen Christentum und die Ersatzform einer Kriegserklärung war. Oesterreichers Fazit lautet: 

"Ganz unabhängig von den besprochenen tragischen Ereignissen in Cajamarca gilt: Die praktische Durchführung des requerimiento führte in der Regel zu 'gespenstischen' Szenarien. Dies haben schon zeitgenössische Juristen zugeben müssen. Häufig wurde schon gekämpft, bevor das requerimiento verlesen wurde. Oft war die Entfernung zu den indianischen Gruppen so groß, daß diese den Vortrag gar nicht hören konnten. Und im übrigen gilt ja: auch wenn sie den Vortrag hörten, verstanden sie natürlich nichts..." (Oesterreicher 1997, 310-311) Für Bartolomé de las Casas war das requerimiento ein zynischer Akt "ungerecht, ruchlos, skandalös, absurd und ohne Vernunft, eine Schande für den Glauben und die christliche Religion." (Oesterreicher, 1997, 311). Diese Situation zeigt deutlich nicht nur die vertikale Struktur politischer und religiöser Botschaften, sondern auch ihren imperativen Charakter. Die Aufklärung wird die Vorherrschaft dieser Struktur auf den wissenschaftlichen Diskurs in Frage stellen. Die sich daraus ergebende Situation ist nicht gleich wohl aber vergleichbar mit der Infragestellung der mythischen und politischen angelia durch den philosophischen logos in der Antike. 

 

5. Von der Aufklärung zur message society

Die Neuzeit bringt das Aufkommen eines autonomen Subjekts sowie die Forderung eines zensurfreien Raums des wissenschaftlichen Mitteilens auf der Basis des gedruckten Wortes. Die technische Revolution des Buchdrucks schafft eine neue angeletische Situation. Für Immanuel Kant ist gerade die zensurfreie Mitteilung zwischen den "Gelehrten" mittels gedruckter Schriften das Medium, wodurch die Botschaft wissenschaftlicher Kritik sich verbreiten soll und die politischen Prozesse mittelbar beeinflußt werden können (dazu sowie zum Folgenden vgl. Capurro 1995, 110-112; Capurro 1996b). Kants Aufforderung, den Mut zu haben, uns des eigenen Verstandes zu bedienen, stellt die Machtverhältnisse des politischen und religiösen Sendungsbewußtseins zugunsten der autonomen Mitteilungsfreiheit in Frage. Der Anspruch auf die Kontrolle der Botschaftserzeugung und -verbreitung sei es durch die Politik, die Kirche oder das Militär, soll im Falle wissenschaftlicher Botschaften eingeschränkt werden, und zwar so, dass beide Systeme koexistieren können.  

In der Schrift "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" (Kant 1910, AA VIII) schlägt Kant ein duales System vor. Auf der einen Seite sind wir als "Bürger" beim Gebrauch unseres Verstandes durch militärische, geistliche und politische Systeme eingeschränkt, sofern wir nämlich einen "bürgerlichen Posten" oder ein "Amt" bekleiden. Kant spricht dann vom "privaten" d.h. eingeschränkten Gebrauch unserer Vernunft. Auf der anderen Seite aber, als "Gelehrte", sprechen oder, genauer, schreiben wir "vor dem ganzen Publikum der Leserwelt" und dürfen dabei "in allen Stücken" von unserer Vernunft "öffentlichen Gebrauch" machen. Dieses duale System ist so konzipiert, dass der Privatgebrauch den öffentlichen Gebrauch zwar einschränken aber nicht hindern darf. Denn die bürgerlichen Systeme sind nicht autark, sondern "Glied eines ganzen gemeinen Wesens", das wiederum von der "Weltbürgergesellschaft" umfaßt wird. Diese Weltbürgergesellschaft ist das Forum, vor dem wir als Gelehrte den Mut haben sollten, uns im eigenen Namen zu äußern. 

Kants Botschaftslehre stellt also ein System dar, in dem es politische und religiöse Botschaften auf der einen und wissenschaftliche Botschaften auf der anderen Seite gibt, mit ihren jeweiligen Mechanismen, Machtverhältnissen und Adressaten. Im Falle der wissenschaftlichen Botschaften sind das Medium die gedruckten "Schriften", die sich an die "Leserwelt" richten, und "durch keine Amtspflicht" eingeschränkt werden sollten. Die "Schriften" sind der öffentliche Raum der "Gelehrtenrepublik", wo die dogmatischen Grundsätze und die daraus hervorgehenden Botschaften der Politik und der Religion ihre theoretische Gültigkeit verlieren und einer Prüfung unterzogen werden. Kant nennt diese Konstruktion, eine "Reform der Denkungsart", die durch keine "Revolution" zustande gebracht werden kann, da diese 'nur' den "persönlichen Despotism" abschafft. In der Schrift "Was heißt: Sich im Denken orientieren?" (Kant 1910, AA VIII) betont Kant, daß die Gedankenfreiheit unlösbar mit der Freiheit "seine Gedanken öffentlich mitzutheilen" verbunden ist. Das "ganze Publikum der Leserwelt" reguliert sich selbst. Diese Gedankenfreiheit ist, so Kant, keine Frage der Toleranz, d.h. durch eine amtliche Botschaft verordnete oder erlaubte Gedankenfreiheit.  

Kant macht aber auf die Paradoxie, die er am toleranten Verhalten seines aufgeklärten Königs beobachtet, aufmerksam: "räsoniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt; nur gehorcht!" Mit anderen Worten, in Kants Botschaftstheorie klaffen Theorie und Praxis auseinander. Er fordert nicht "einen größeren Grad", sondern "einen Grad weniger" bürgerlicher Freiheit und bekämpft die politische mit einer philosophischen Paradoxie: Wenn die Gedankenfreiheit um den Preis des politischen Gehorsams erkauft werden muß, dann ist ihm lieber jene auch in politicis zu besitzen, auch wenn dabei die "Freiheit zu handeln" nicht unmittelbar "ausgewickelt" werden kann. Dadurch können nicht nur die Religion, die Künste und die Wissenschaften, sondern auch die "Gesetzgebung" Gegenstand der freien und öffentlichen Kritik werden. Der Preis dafür ist die Aufspaltung von Gedankenfreiheit auf der einen und Handlungsfreiheit auf der anderen Seite, die auf dem Umweg über die "Schriften" vermittelt werden sollen. 

Jürgen Habermas hat dieses Kantische Konstrukt "aus dem historischen Abstand von 200 Jahren" einer Kritik unterzogen. (Habermas 1995). In Kants dualem System, soll letztlich die Moral die Fäden der Politik an sich ziehen und zwischen der Weltbürgergemeinschaft und der Staatsräson vermitteln. Dem kommt aber im Licht der Geschichte der letzten zweihundert Jahre eine Entwicklung entgegen. Kant rechnete, so Habermas, "natürlich noch mit der Transparenz einer überschaubaren, literarisch geprägten, Argumenten zugänglichen Öffentlichkeit, die vom Publikum einer vergleichsweise kleinen Schicht gebildeter Bürger getragen wird." Was er nicht voraussehen konnte, war, so Habermas, "den Strukturwandel dieser bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer von elektronischen Massenmedien beherrschten, semantisch degenierten (sic), von Bildern und virtuellen Realitäten besetzten Öffentlichkeit." (Habermas 1995, 11). Er konnte also nicht mit der heutigen Informationsgesellschaft rechnen. 

Die globale elektronisch-vernetzte und multimediale Kommunikation ist aber weder Kants "Leserwelt" der Gelehrten noch Habermas' transparente Gesellschaft der rational face-to-face Argumentierenden. Es steht noch offen, ob sie die stratifizierten Grenzen der durch die Massenmedien geprägten Weltöffentlichkeit auflockern kann. Gianni Vattimo hat das Habermassche Ideal einer durchsichtigen Gesellschaft kritisiert, und statt dessen für eine "schwächere" Vernunft plädiert, die unterschiedliche Formen des kulturellen Mestizentums sowie von Heterotopien erlaubt, die sich im dezentralen Charakter des Internet abzeichnen (Vattimo 1989). 

Das 20. Jahrhundert kannte bis in die 90er Jahre nur Medien für die Individual- und die Massenkommunikation. Diese Trennung kommt in Flussers Unterscheidung zwischen diskursiven und dialogischen Medien deutlich zum Ausdruck (Flusser 1996). Flusser befürchtete, dass die Massenmedien, allem voran das Fernsehen, mit ihrer one-to-many-Struktur der Botschaftsverbreitung letztlich die dialogischen Medien beherrschen könnte. Er rechnete also nicht mit einem Medium, das die Möglichkeiten der Sendung many-to-many, many-to-one und one-to-many in sich vereinte, ohne der Vertikalität letztlich den Vorzug zu geben. Es war nicht von ungefähr, dass die Massenmedien, zumindest in Deutschland, zunächst allergisch auf das Internet reagierten und die jetzt versuchen, so zu tun, als ob das Internet nur ein Kanal mehr wäre, um ihre Machtpositionen weiter zu festigen (Capurro 2001). Demgegenüber stimme ich mit Manfred Faßler überein, dass nach der Internet-Revolution die Massenmedien nicht mehr das sind, was sie waren, und sie werden es nie mehr sein (Faßler 2000). 

Hauptziele der massenmedialen Botschaftsverbreitung, der Fernseh- und Rundfunksendungen also, waren und sind Nachrichten und Unterhaltung. Das hat u.a. auch zum infotainment geführt. Peter Sloterdijk hat darauf hingewiesen, dass wir in einer "Epoche der leeren Engel" oder in einem "mediatischen Nihilismus" leben, in der wir, bei einer Vervielfältigung der Übertragungsmedien, die zu vermittelnde Botschaft vergessen haben: "Das ist das eigentliche Dysangelion der Gegenwart" (Sloterdijk 1997, 75). Nietzsches' Wort "Dysangelion" hebt, gegenüber Evangelium, die Eigenschaft der Leere jener Botschaften hervor, die durch die Massenmedien verbreitet werden. Bei Nietzsche ist dies der Gegensatz zwischen der einen lebendigen Botschaft und ihrer theoretischen Entleerung: 

"Das Wort schon "Christentum" ist ein Mißverständnis -, im Grunde gab es nur einen Christen, und der starb am Kreuz. Das "Evangelium" starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an "Evangelium" heißt, war bereits der Gegensatz dessen, was er gelebt: eine "schlimme Botschaft", ein Dysangelium. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem "Glauben", etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich..." (Nietzsche 1976, III, 646) Sloterdijk hat Nietzsches "Verbesserung der guten Nachricht", sein fünftes "Evangelium", unter diesem Vorzeichen thematisiert (Sloterdijk 2001). 

Es ist die Frage, inwiefern das Internet einen gegenüber den dysangeletischen Massenmedien neuen angeletischen Raum schafft, der in der Lage ist, neue Botschaftssynergien zu erzeugen und uns erlaubt, die Vernetzung als Chance für unterschiedliche Formen der Lebensgestaltung wahrzunehmen (Capurro 1999). Denn wir sind selbst Medien und Boten zugleich, die uns allmählich von den Oligopolen vertikaler one-to-many-Strukturen der Botschaftsverbreitung lösen, indem wir sie in einem nur scheinbar anarchischen Netz von Boten und Botschaften auflösen. Dieses Netz verbindet und teilt auf neue Weise die Welt auf (digital divide). Die Herausforderungen dieser angeletischen Situation für das Leben ganzer Gesellschaften sind noch nicht übersehbar. Die message society, wie sie in diesem globalen Ausmaß nicht einmal die Aufklärung zu träumen wagte, ist gerade dabei, die Koordinaten für eine neue Botschaftskultur auszuloten.  

Der Sinn dieses Beitrags war, Ihnen, den Hörern und den Lesern, einige Gedanken über die Herkunft dieses heutigen Phänomens vor einem theoretischen Hintergrund darzulegen. Aristoteles empfiehlt am Schluß seiner "Rhetorik" eine asyndetische Formulierung am Ende einer Rede, damit es die Form eines Schlußsatzes bekomme, und nicht die eines normalen Satzes. Seiner Empfehlung schließe ich mich an: "Ich habe gesprochen, Ihr habt es gehört, Ihr kennt die Tatsachen, urteilt Ihr nun." ("eireka, akekoate, echete, krinate") (Rhet. 1420 a 8). 
 
 

 
    
 

Literatur

 
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Letzte Änderung: 2. Mai 2001 
  
 
 
    

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