1.
Begriffliche Grundlagen
Eines der auffälligsten
Phänomene unserer Zeit ist die weltweite Verbreitung von Botschaften
aller Art vor allem im Medium Internet. Wir leben in einer message society.
Das war nicht immer so, auch wenn es wahr ist, dass in jeder menschlichen
Gesellschaft, und davon soll in diesem Beitrag zu einer Theorie der Botschaft
die Rede sein, Botschaften mit unterschiedlichem Inhalt, auf der Basis
unterschiedlicher Medien und im Kontext unterschiedlicher Machtstrukturen
vermittelt wurden. Warum aber von Botschaft sprechen und nicht zum Beispiel
einfach von Information? Der Ausdruck Informations- und neuerdings auch
Wissensgesellschaft ist in aller Munde. Wir haben außerdem sozusagen
den kanonischen Text einer Theorie der Information, nämlich den vom
Mathematiker und Elektrotechniker Claude Elwood Shannon (1916-2001), der
am 24. Februar dieses Jahres starb, 1948 veröffentlichten Aufsatz
"A Mathematical Theory of Communication" (Shannon 1948). Shannon arbeitete
damals bei den Bell Telephone Laboratories. Ein Jahr später erschien
dieser Aufsatz als Buch mit einem fast gleich lautenden Titel zusammen
mit einem Aufsatz des Mathematikers Warren Weaver (1894-1978), der von
1932 bis 1955 Direktor der Natural Sciences Division der Rockefeller Foundation
und später sein Vizepräsident war (Shannon/Weaver 1972). Die
hier erörterten Probleme, die Terminologie und die Lösungsansätze
bestimmten die Diskussion über den Informationsbegriff in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts (Capurro/Hjørland 2002). Eine Theorie
der Botschaft scheint also überflüssig.
Liest man aber diese Aufsätze
nicht primär in der Absicht eine Antwort auf die Frage: Was ist Information?
zu bekommen, sondern um zunächst festzustellen, welche leitende Termini
außer communication und information im Kontext dieser
"mathematischen Theorie der Kommunikation" verwendet werden, dann stellt
man fest, dass auch von: symbols, messages und signals
die Rede ist. Im berühmten Schema eines "allgemeinen Kommunikationssystems"
kommt das Wort Information lediglich als information source vor.
Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass es im heutigen
Englisch keine Pluralform von information gibt (Capurro/Hjørland
2002). Das, was übertragen werden soll, ist keine information,
sondern es sind messages.
Quelle: http://www.cultsock.ndirect.co.uk/MUHome/cshtml/index.html
Das Schema unterscheidet
zwischen einer von der Informationsquelle hervorgebrachten Botschaft (message),
die von einem Übertragungssystem (transmitter) in übertragungsfähige
Signale (signal) umgewandelt wird. Diese Signale werden über
einen Kanal (channel) an einen Empfänger (receiver)
übertragen, der sie wiederum in die ursprüngliche Botschaft (message)
zurück verwandelt. Bei der Signalübertragung können aber
Störungen (noise source) auftreten. Die Botschaft soll schließlich
ihre Bestimmung (destination) erreichen, die, so Shannon, eine Person
oder ein Ding sein kann (Shannon/Weaver 1972, 33-34).
Diese Theorie behandelt das
Problem der Übertragung von Signalen mittels eines technischen Mediums,
nämlich des Telefons, Telegraphen oder Fernsehers. Bereits 1928 gelingt
den Bell Laboratories die erste Live-Übertragung mit Bildern
von tennisspielenden Männern (Hiebel 1997, 106). Die Theorie macht
dabei einen wichtigen Unterschied nämlich dem zwischen message
und signal bzw. zwischen information source und destination
auf der einen und transmitter, channel, noise source
und receiver auf der anderen Seite. Zwei Geräte (transmitter
und receiver) tauschen Signale aus. Sie sind aber nicht identisch
mit dem Erzeuger und Endempfänger der messages. Was übertragen
werden soll ist message, nicht information, auch wenn Shannon
diese terminologische Unterscheidung nicht stringent durchführt. So
nennt er die Botschaftsquelle information source und nicht etwa
message source und die Telegraphie nennt er einen Kanal für
die Übertragung von information (Shannon/Weaver 1972, 36).
Messages haben, so Shannon, "öfter" eine Bedeutung (meaning),
und er fügt hinzu: "These semantic aspects of communication are irrelevant
to the engineering problem." (Shannon/Weaver 1972, 31). Somit trifft er
einen zweiten wichtigen Unterschied, nämlich den zwischen message
und meaning, Botschaft und Bedeutung. Das Maß an Information
bei der Übertragung bezieht sich auf die Anzahl möglicher
Ja/Nein-Entscheidungen aus einer Anzahl von, aus der Sicht des Ingenieurs,
bedeutungslosen Botschaften (messages), wofür der Logarithmus
mit Basis 2 (daher auch binary digits bzw. bits) gilt, d.h.
gemessen wird die Anzahl möglicher Wahlvorgänge.
Shannon unterscheidet zwischen
verschiedenen Arten solcher bedeutungsloser Botschaften darunter z.B. eine
Buchstabensequenz im Falle eines Telegraphen, oder eine Funktion von Zeit
(t) im Falle des Rundfunks oder Fernsehers. Im Falle des Telegraphen
besteht die Verwandlung der Botschaft in ein Signal darin, dass Buchstaben,
also Symbole, in eine Sequenz von Punkten und Strichen codiert werden (Shannon/Weaver
1972, 33). Mit anderen Worten, das Problem bei der Übertragung von
Botschaften mit Hilfe eines technischen Mediums besteht in einer dem Medium
angemessenen Wahl eines Codes für die einzelnen Symbole, die zum möglichen
Bestandteil einer message gehören, sowie in den Störungen,
die während der Signalübertragung auftreten können. Letztere
verursachen beim (End-)Empfänger eine Ungewißheit bezüglich
der ursprünglichen Botschaft (original message) anhand der
empfangenen gestörten Signale. Ein externer Beobacher (observer),
der die jeweiligen messages an der Quelle und beim Empfänger
kennt, würde über einen correction channel diese Störungen
dem Empfänger mitteilen, der sie dann korrigieren könnte. In
der Praxis übernimmt diese Aufgabe die Redundanz (Shannon/Weaver 1972,
68).
Sofern mit Information innerhalb
dieser Theorie die Anzahl der Wahlmöglichkeiten gemeint ist, bedeutet
die Verringerung dieser Möglichkeiten und somit die Gewißheit
auf der Seite des Empfängers eine Verringerung der Information. Information
bedeutet also, kontraintuitiv, die Zunahme von Ungewißheit.
Weaver schreibt plakativ: "no uncertainty at all ? no freedom of choice
? no information" (Shannon/Weaver 1972, 15). Wenn die Botschaft bekannt
ist und es gibt keine St?rung, dann ist die Information gleich Null. Information
nennt das Maß der Ungewißheit bei der gestörten Übertragung
einer Botschaft. Die nützliche Information (useful information)
ist das, was übrig bleibt an Ungewißheit, wenn von der totalen
Ungewißheit die Rauschungewißheit abgezogen werden kann (Shannon/Weaver
1972, 21). In diesem Sinne und nur in diesem Sinne läßt sich
sagen, dass im Rahmen dieser Theorie Information als Reduktion von Ungewißheit
bestimmt wird. Der Begriff von Information als Synonym von Ungewißheit
ist in der Tat, wie Weaver betont, "enttäuschend", da er nichts mit
Bedeutung zu tun hat, und "bizarr", da er mit einem Begriff synonym gebraucht
wird, der das Gegenteil des alltäglichen Informationsbegriffs bedeutet
(Shannon/Weaver 1972, 27).
Dieser Befremdung seitens
des alltäglichen Gebrauchs von Information kommt Weaver mit einer
Erörterung dieser Theorie in einem größeren Rahmen entgegen.
Für Weaver stellt sich das Problem der Kommunikation auf drei Ebenen
dar, nämlich:
-
Wie genau (accurately)
können Symbole (symbols) übertragen werden? Das ist das
technische Problem
-
Wie exakt (precisely)
können die übertragenen Symbole die gewünschte Bedeutung
vermitteln? Das ist das semantische Problem
-
Wie effektiv (effectively)
wirkt die Bedeutung auf das Verhalten in der gewünschten Weise? Das
ist das Wirkungsproblem. (Shannon/Weaver 1972, 4)
Es ist leicht einzusehen, dass
diese drei Ebenen in etwa der sprachwissenschaftlichen Unterscheidung zwischen
Syntax, Semantik und Pragmatik entsprechen. Shannons Theorie schließt
ausdrücklich die Ebenen B und C aus. Weaver zitiert Shannons Diktum,
dass die semantischen Aspekte irrelevant sind für den Ingenieur (Shannon/Weaver
1972, 8). Die Informationsquelle wird nur aus statistischen Gesichtspunkten
betrachtet. Das bedeutet, dass Botschaften (messages) nicht nur
ihre Bedeutung, sondern sogar ihre Individualität einbüßen
(Shannon/Weaver 1972, 14). Sowohl Shannon als auch Weaver geben sich große
Mühe, den alltäglichen durch Semantik und Pragmatik geprägten
Informationsbegriff vom statistischen Informationsbegriff zu unterscheiden.
Was aber gewissermaßen unthematisch und dennoch zentral bleibt, ist
der Begriff der Botschaft (message). Kurz, die Shannonsche Kommunikationstheorie
ist eine Theorie der elektrotechnischen Übertragung von als Signale
kodierten Botschaften, nicht mehr und nicht weniger.
Ich möchte im Folgenden
den Versuch unternehmen, eine Theorie der Botschaft zu skizzieren, die
genau die Aspekte berücksichtigt, die die Shannonsche Theorie ausschließt.
Es kommt also auf Semantik und Pragmatik, sowie auf Individualanalyse von
messages in jeweiligen paradigmatischen Situationen sowie
in konkreten historischen Kontexten an. Meine Fragen betreffen Ursprung,
Ziel und Inhalt von Botschaften, Machtstrukturen, Techniken und Medien
ihrer Kodifizierung, Auslegung und Verbreitung, Lebensformen sowie Geschichte(n)
von Botschaften und Boten, psychologische, politische, ökonomische,
ästhetische, ethische und religiöse Aspekte. Ein wissenschaftlicher
Kosmos sozusagen. Eine solche Theorie ist wesensmäßig interdisziplinär.
Sie bezieht Erkenntnisse und Methoden aus Medien- und Kommunikationswissenschaft,
Geschichts- und Kulturwissenschaft, Literatur- und Sprachwissenschaft,
Informatik, Betriebs- und Volkswirtschaft, Philosophie und Theologie, um
nur einige vorwiegend humanwissenschaftliche Disziplinen zu nennen, ohne
aber die Naturwissenschaften zu vergessen. Denn auch wenn wir jetzt von
einer Theorie der Botschaft im anthropologischen Kontext sprechen, ist
das, was ich das postalische Paradigma nenne, als methodische Grundlage
der Naturwissenschaften heute vorherrschend. Dieses Paradigma verdankt
sich unterschiedlichen Einflüssen, nicht zuletzt der Shannonschen
Kommunikationstheorie sowie der Entwicklung des Computers. Die Rede von
Erbinformation in der Biologie übt in Zusammenhang mit der Entzifferung
des menschlichen Genoms eine wohl dramatische und zum Teil auch traumatisierende
Wirkung auf das Selbstverständnis des Menschen im beginnenden 21.
Jahrhundert aus.
Als ich vor schon mehr als
zwanzig Jahren eine etymologische und ideengeschichtliche Untersuchung
des Informationsbegriffs unternahm (Capurro 1976), entdeckte ich u.a. den
Zusammenhang des lateinischen Terminus informatio mit den bedeutungsschweren
von Platon und Aristoteles geprägten Begriffen idea, eidos, morphe
und typos. Dieser griechische Ursprung des Informationsbegriffs
ist bis heute wirksam (Capurro/Hjørland 2002). Ich suchte damals
auch nach einer begrifflichen Entsprechung unseres heutigen alltäglichen
Informationsbegriffs im Sinne von Nachricht oder Mitteilung. Das ist prima
facie der nicht weniger bedeutungsschwere Begriff logos, vor
allem in Zusammenhang mit den schon erwähnten Grundbegriffen. Doch
meine Recherchen führten mich auch zu einem außer in der Theologie
wenig beachteten griechischen Begriff, nämlich angelia (Capurro
1978, 46-49). Ich möchte in Anlehnung an Wortbildungen wie Logik,
Semiotik oder Physik, die Bezeichnung Angeletik für eine künftige
Theorie der Botschaft vorschlagen. Das Wort angelia liegt dem Wort
Engel, der Götterbote, zugrunde. Darüber gibt es eine lange theologische
Denktradition, die Engellehre, und zwar sowohl in der christlichen Theologie
als auch in anderen Religionen. Angeletik bedeutet im Unterschied dazu
die Untersuchung des Botschaftsphänomens in den Grenzen der condition
humaine, ohne aber die vielfältigen Überschneidungen und
Berührungspunkte mit Theologie und Mythos außer Acht zu lassen
(Capurro 1995, 1996).
Wodurch unterscheidet sich
aber eine Theorie der Botschaft von einer Informationstheorie? Oder, anders
gefragt, wodurch unterscheidet sich Botschaft von Information
oder message von information? Auf diese Frage kann ich hier
nur eine vorläufige Antwort im Sinne eines Vorbegriffs geben. Ich
möchte mich dafür an die von der Theorie sozialer Systeme eingeführte
Unterscheidung zwischen Mitteilung und Information anlehnen
(Luhmann 1987, 191ff). Mitteilung bedeutet die Außenwirkung auf ein
System im Sinne eines Sinnangebots, während Information, diejenige
Differenz meint, die im System eine Differenz bewirkt, "a difference
which makes a difference", nach der bekannten Definition von Gregory
Bateson (Bateson 1972, 453). Botschaft im Sinne von Mitteilung ist Sender-abhängig
und somit ein heteronomer Begriff. Wir empfangen eine Botschaft aber wir
suchen nach Information. Letzteres können wir aber nur tun, wenn ein
Sinnangebot überhaupt da ist. Eine Botschaft bringt dem Empfänger
etwas Neues oder Überraschendes, verursacht also Ungewißheit.
Sie ist, aus der Sicht des Senders, relevant für den Empfänger.
Und sie kann durch, metaphorisch gesprochen, soziales Rauschen, gestört
sein. Sie kann unterschiedlich verschlüsselt und durch verschiedene
Medien oder Boten übertragen, d.h. angeboten werden.
Sie hat meistens, aber nicht ausschließlich, einen sprachlichen Charakter
und sie löst beim Empfänger einen Informations- sowie einen Verstehensprozeß
aus. Letzteres heißt, dass die Wahl aus dem Sinnangebot einer Botschaft
immer vor dem Hintergrund eines systemimmanenten Vorverständnisses
stattfindet. Der Empfänger versteht eine Botschaft indem er einen
Unterschied zwischen Mitteilung und Information macht. Er kann die Botschaft
anzweifeln oder ablehnen, indem er sie so oder so deutet. Der Heteronomie
der Botschaft steht also die Autonomie des Deutenden gegenüber. Kommunikation
ist dann die Einheit von Mitteilung, Information und Verstehen (Luhmann
1987, 196).
Dieser Vorbegriff läßt
sich genauer ausformulieren. Botschaften sind eine besondere Art von Sprechhandlungen,
die eine bestimmte Auswirkung auf den Empfänger abzielen. Sie sind
also pragmatische Mitteilungen. Anstelle einer Sprechhandlung können
auch Gegenstände als Botschaften aufgefaßt werden. Die
Sprechhandlung bleibt in diesem Falle implizit. Die Handlungsaufforderung
kann, muss aber nicht die Form eines Imperativs haben. Es gibt auch indikative
und optative Varianten. Eine Botschaft findet also dann und nur dann statt,
wenn das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger so ist, dass
der Sender in der Absicht handelt, den Empfänger in seinem oder ihrem
Handeln und/oder Denken mitzubestimmen. Man kann sich zwei extreme Formen
dieser Struktur vorstellen, nämlich der Glaube eines Senders, eine
imperative Botschaft für alle Menschen aller Zeiten zu besitzen, um
sie, wie auch immer, mitbestimmen zu müssen, und der umgekehrte Glaube
eines Empfängers, für den alles als eine auf ihn gerichtete Botschaft
auffaßt. Der erste Glaube trifft zum Beispiel auf die universal gerichteten
Religionen zu. Es kann sich aber auch um eine Verfallsform handeln, wie
am Beispiel psychischer Krankheiten ersichtlich, was auch für die
zweite Glaubensform zutrifft. Zwischen diesen beiden Extremen lassen sich
unterschiedliche Abstufungen finden, die von den jeweiligen Situationen
mit ihren Machtkonstellationen und technischen Mitteln abhängen.
Was eine Botschaft ist, läßt
sich, aristotelisch formuliert, im Hinblick auf ihr Ziel, ihre Form, ihren
Inhalt und ihren Produzenten bestimmen. In Anschluß an Vilem Flussers
"Kommunikologie" können wir zwischen dialogischen und diskursiven
Zielen der Kommunikation unterscheiden (Flusser 1994). Dialoge zielen auf
die Erzeugung neuer Information, während Diskurse auf ihre Verbreitung
ausgerichet sind. Man kann dazu das bewahrende Ziel nennen. Ich denke dabei
z.B. an Jan Assmans Theorie des kulturellen Gedächtnisses (Assmann
2000), aber auch an bibliothekarische und archivarische Tätigkeiten.
Nach der Form lassen sich Botschaften, wie gesagt, in imperative, indikative
und optative unterscheiden. Schließlich sind Inhalte und Produzenten
von Botschaften zu nennen. Hier spielen Machtkonstellationen eine entscheidende
Rolle: Wer darf welche messages an wen unter welchen (technischen)
Bedingungen und mit welchen Zielen senden und bewahren? Während in
der Antike die Verbreitung universeller Botschaften eine Auszeichnung von
Göttern und Herrschern war, stellt sich vor allem in Zusammenhang
mit der Entstehung der Philosophie die Frage der Legitimation eines solchen
Anspruchs. Ich spreche vom Übergang einer vertikalen zu einer horizontalen
Botschaftsstruktur. Diese Begriffe sollen aber nur dazu dienen, eine bleibende
Spannung zu thematisieren. Die heteronome Bestimmung von Botschaft steht
hierzu nur prima facie auf der Seite der Vertikalität. Der
philosophische sowie der wissenschaftliche Diskurs sind Beispiele dafür,
wie eine heteronome Botschaft in eine horizontale d.h. "dialogische" (Flusser)
Struktur eingebettet ist, deren Ziel gerade die autonome Eigenbestimmung
durch den Empfänger ist. Mit anderen Worten, welches Kriterium jeweils
anzuwenden ist, um über den gelungenen oder mißlungenen Zweck
einer Botschaft zu urteilen, hängt von der unterschiedlichen Konstellation
dieser Bestimmungen ab.
Die folgenden Analysen bieten
einen zugleich theoretischen und historischen Zugang zu einer Theorie der
Botschaft dar. Sie suchen den Botschaftsbegriff situationsabhängig
zu erörtern. Die Beispiele sind paradigmatisch für ein Theorieverständnis,
das keinen atemporalen Beobachterstatus beansprucht, sondern bemüht
ist, die eigenen thematischen und unthematischen Brüche zu reflektieren.
Die Wahl der Beispiele folgt zwar dem historischem Ablauf ohne aber damit
die Idee eines wie auch immer gemeinten Fortschritts zu verknüpfen.
Schließlich sind diese Analysen in vieler Hinsicht umrißhaft
und auf die europäische Tradition eingeschränkt. Der vorgeschlagene
Vorbegriff von Botschaft soll dabei anhand konkreter historischer Situationen
auf seine Tauglichkeit hin getestet werden.
Eine Theorie der Botschaft
ist selbst eine Botschaft in einem bestimmten Sinne, nämlich in einem
philosophischen. Auf den Sinn einer philosophischen Botschaft kommen wir
später zu sprechen ohne aber dieses Thema hier ausführlich behandeln
zu können. Eine ausdrückliche angeletike techne oder eine
ars nuntiandi scheint es dem Wort nach bisher nicht gegeben zu haben,
wohl aber der Sache nach, von den verschiedenen Lehren und Techniken -
von den Persischen Boten, über Briefe und die neuzeitliche Post bis
hin zum Telegrafen und Telefon sowie zu den heutigen Mails - Botschaften
zu senden und zu verbreiten, vor allem im politischen, ökonomischen
und religiösen Kontext. Sicherlich gehören die rhetorische Tradition,
die Tradition der Ausbildung politischer Botschafter sowie die heutigen
Marketingtheorien vor allem in Zusammenhang mit den Massenmedien und dem
Internet zum Bestandteil einer Angeletik. Man könnte sagen: die paradigmatische
Revolution der New Economy besteht nicht zuletzt darin, dass Waren
als digitalisierte Botschaften weltweit vermarktet werden können.
Ohne (digitalisierte und weltvernetzte) Werbung, keinen (neuen) Markt.
Ich deute kurz auf die vor
uns liegenden Stationen hin. Wir beginnen mit einem kurzen Überblick
über das semantische Feld des Botschaftsbegriffs. Sodann wenden wir
uns dem Verhältnis von logos und angelia zu Beginn der
abendländischen Tradition zu. Dabei zeigt sich der Botschaftsbegriff
vor allem eingebettet im Kontext von Dichtung und Politik. Die heteronome
oder vertikale Ausrichtung stößt auf Kritik seitens des
sich vom Mythos emanzipierenden horizontalen philosophischen Denkens.
Die Spannung zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Botschaftsbestimmung
ist historisch maßgeblich. Das zeigen Situationen im Kontext
der Verbreitung der christlichen Botschaft im Gegensatz zur Frage von Freiheit
und Zensur im Zeitalter der Aufklärung. Schließlich wenden wir
uns der heutigen durch Massenmedien und Internet geprägten message
society zu, in der jeder, der zu dieser Gesellschaft gehört also
vernetzt ist (Stichwort: digital divide), jedem eine Botschaft
schicken kann, und zwar jederzeit, ort- und zeitunabhängig, an einen
oder viele Empfänger, sowie umgekehrt, viele an einen, oder viele
an viele. Das Medium ist, nach dem bekannten Diktum McLuhans, selbst die
Botschaft ("The medium is the message") (McLuhan 1964). Was aber ist eine
Botschaft? Die Medienwissenschaft bedarf einer Theorie der Botschaft. Oder,
anders ausgedrückt, Medientheorien lassen sich als Botschaftstheorien
auslegen, denn Medien sind auch Botschaften, aber nicht alle Botschaften
sind bloß Medien.
2. Zum
semantischen Feld des Botschaftsbegriffs
Ich möchte kurz auf das
semantische Feld des Botschaftsbegriffs hinweisen, ohne aber auf einzelne
Belege näher eingehen zu können. Die Worte Botschaft und
Bote hängen mit dem Wort bieten zusammen. Über
die Etymologie von bieten heißt es im Duden:
"Das gemeingerm.
Verb mhd. bieten "[an]bieten, darreichen; gebieten", ahd.
biotan "bekannt machen; entgegenhalten, darreichen; erzeigen, erweisen",
got. (ana-, faúr)biudan "(ent-, ver)bieten", aengl.
b?odan, bieten, darbieten, ankündigen, zeigen", schwed. bjuda [an]bieten,
antragen; gewähren" beruht mit verwandten Wörtern in anderen
idg. Sprachen auf der idg. Wurzel *bheudh- "erwachen, bemerken,
geistig rege sein, aufmerksam machen, warnen, gebieten." Außergerm.
sind z.B. verwandt b?dhati, "er erwacht" (dazu der Name Buddhas, des "Erweckten"),
griech. pynthánesthai "erfahren, wahrnehmen", lit.
bùdinti "erwecken"." (Duden 1997, 81)
Bote, der Verkünder oder
Herold, leitet sich von bieten im Sinne von wissen lassen oder befehlen
ab. Einige Zusammensetzungen lauten: anbieten, aufbieten, Aufgebot,
entbieten, erbieten, ehrerbietig, gebieten, verbieten, Gebot, Verbot.
Das Grimmsche Wörterbuch verweist auf das Lateinische nuntius und
legt folgende Bedeutungen dar:
"1) verkündigung,
meldung: eine botschaft bringen, ausrichten, werben, thun, schicken,
senden, erhalten, empfangen"
"2) wie das lat.
nuntius sowohl den boten als seine meldung ausdrückt und in den
angezognen goth. stellen"
"3) botschaft hiesz ehmals
auch ein nachfolgendes gericht, das dem hautpgericht angehängt wurde."
(Grimm 1999)
Einige Beispiele aus den Belegen
zur ersten Bedeutung lauten: "und Mose sandte botschaft aus Kades zu dem
könige." (4 Mos. 20, 14); "don Cesar! Gute botschaft harret dein."
(Schiller 494a); "die botschaft höre ich wol, allein mir fehlt der
glaube." (Göthe, 12, 45). "Die holde Nachricht", die Faust in der
Nacht hört, ist, bekanntlich, die Osterbotschaft (Faust I, 765).
Der Duden belehrt uns über
die Bedeutung von Botschaft folgendermaßen:
"1.a) (geh.) wichtige,
für den Empfänger bedeutungsvolle Nachricht [die durch
einen Boten überbracht wird]: eine willkommene, traurige, schlimme,
geheime B.; jmdm. eine B. bringen, senden, schicken, hinterlassen; Es war
ganz unverständlich, warum nicht wenigstens eine B. für mich
hier im Hotel bereitlag (Fallada, Herr 33); die [christliche] B. (das
Evangelium) verkündigen; *die Frohe B. (christl. Rel.;
das Evangelium); b) feierliche amtliche Verlautbarung
o.Ä.: eine B. des Präsidenten verlesen; 2. a) von
einem Botschafter geleitete diplomatische Vertretung eines Staates im Ausland
(...) b) Gebäude, in dem sich eine Botschaft (2a) befindet".
(Duden 1999)
Ich möchte bei dieser Bestimmung
drei Kontexte hervorheben, die uns im Folgenden besonders beschäftigen
werden, nämlich den alltäglichen, den (christlich-) theologischen
und den politischen. Außerdem tritt in allen Fällen die schon
angesprochene heteronome Dimension der Botschaft gegenüber dem mit
Recht so genannten Empfänger deutlich hervor, auch und gerade, wenn
er eine Botschaft erwartet und somit das Überraschungsmoment abgeschwächt
ist.
In den sich aus dem lateinischen
ableitenden Sprachen, wie z.B. im Spanischen, sprechen wir von mensaje
und mensajero. Beide Worte leiten sich vom Lateinischen mittere,
d.h. senden, ab. Daher auch das sowohl im religiösen aber auch im
politischen und wirtschaftlichen Kontext gebrauchten Wort misión.
Ferner wird das Wort anunciar im Sinne von verkünden
gebraucht, das sich aus dem schon erwähnten nuntiare bzw. nuntius
ableitet. Zu diesem semantischen Kontext gehören notitia und
communicatio, doctrina und documentum, loqui
und dicere, publicare, inquisitio und eruditio.
Ferner gehört auch die Tradition der antiken Orakel und der Mantik
in diesen Zusammenhang.
Schließlich möchte
ich auf Spanisch embajada oder Englisch embassy - dieses
Wort wird erst im 17. und 18. Jahrhundert im Englischen gebräuchlich
- hinweisen, deren Herkunft aus dem mittelalterlichen Latein und dem Altfranzösischen
ungewiß ist: ambactus bedeutet soviel wie pflügender
Bauer (servus arans) oder, allgemeiner, jemand, der ein Amt ausübt
und dabei (herum-) geführt wird.
3. Die Geburt
des philosophischen logos aus dem Geiste der angelia
Der vertikale Charakter der
Übertragung von heiligen Botschaften in der feudalen Gesellschaft
des antiken Griechenlands wurde durch eine horizontale Form der Botschaftsverbreitung
in Frage gestellt, die mit zwei gegensätzlichen aber verwandten Namen
getauft wurde, nämlich Sophistik und Philosophie (Capurro 1995, 1996).
Um diese These plausibel zu machen, wenden wir uns zunächst einer
Situation zu, die einen zugleich alltäglichen und mythischen Kontext
von Botschaft aufweist. Im ersten Gesang der "Odyssee" fragt der Freier
Eurymachos den Telemachos, wer der Mann war, der ihm, Telemachos, Botschaft
über die Rückkehr seines Vaters brachte. Dieser Bote war nämlich
Athene in Gestalt eines Hausfreundes, des Heroldes Medon. Telemachos antwortet:
"Hin, Eurymachos, ist auf
immer des Vaters Zurückkunft!
Darum trau' ich nicht mehr
Botschaften (angelies), woher sie auch kommen,
Kümmere mich nicht
um Deutungen mehr, wen auch immer die Mutter
Zu sich ins Haus berufe,
um unser Verhängnis zu forschen!" (Od. I, 413-416)
Telemachos will sich nicht mehr
um göttliche Weissagungen (theopropies) kümmern. Als der
Herold (kerux) Peisenor am nächsten Tag zur Versammlung ruft,
erklärt Telemachos, dass er keine Botschaft (angelien) von
einem nahenden Kriegsheer mit Gewißheit mitzuteilen hat (sapha
eipo) oder gar weissagen kann zum Wohle des Landes, sondern über
seinen Schmerz sprechen will (Od. II, 40 ff). Die Freier sind verärgert,
weil Penelope sie mit "schmeichelnden Botschaften" (angelias proieisa)
tröstet, im Herzen aber anders denkt (Od. II, 92). Man beachte hier
den Unterschied zwischen Mitteilung und Information, der
sowohl für den Sender als auch für den Empfänger zutrifft.
Im fünften Gesang schickt Zeus seinen Boten (angelos) Hermes,
um Kalypso seinen "unfehlbaren Entschluß" (nemertea boulen)
mitzuteilen (eipein) (Od. V, 29-30). Bei Kalypso angekommen, erzählt
Hermes, dass er ohne seinen Willen gekommen ist, um Zeus Worte (mython)
"untrüglich" zu verkünden (Od. V, 98). Im Klartext: die Handlung
des Mitteilens kann eine alltägliche oder auch eine mit politischer
oder religiöser Autorität, im Sinne von verkünd(ig)en,
beladene sein. In beiden Fällen ist sie heteronom: Eine Botschaft
bringen heißt In-Kenntnis-Setzen, freilich im Hinblick auf die sich
darauf anschließende Tätigkeit des Deutens und/oder auf die
daraus folgende Handlung des Gehorchens. Botschaft in diesem letzteren
Sinne heißt soviel wie Befehl. Das Befolgen ist eine bestimmte praktische
Form des Deutens auf der Grundlage der Mitteilung eines autoritativen Beschlusses,
deren Nichtbefolgung eine Verfehlung (amartano) bedeutet. Es kommt
dabei alles darauf an, dass der Empfänger die Botschaft genau so deutet,
sich also in-formieren läßt, wie es der Sender will.
Da aber die Differenz zwischen Mitteilung und Information sich nicht aufheben
läßt, erzeugt jede Botschaft Ungewißheit
Die Verwendung des Botschaftsbegriffs
in einem politischen - wie am Beispiel von Herodots Beschreibung des persischen
Relaispostensystems (agareion) ersichtlich (Herodot, Historien VIII,
98) - oder religiösen Kontext hebt ganz besonders die Heteronomie
der Handlung hervor. Das gilt auch für die Dichtung, wie am Beispiel
Pindars ersichtlich. Der Dichter ist, so wie Hermes, der Bote der Götter.
Er wird von den Horen, den Göttinnen des Wachsens, Reifens und Blühens,
nach Olympia gesandt, um Zeuge der Kämpfe und des Sieges zu werden.
Auf seine "süße Botschaft" (angelian glykeian) freuen
sich die Edlen (Olymp. IV, 5). Der Chorführer Aieneas soll "rechter
Verkünder" (angelos orthos) der Wettkämpfe werden (Olymp.
VI, 91). Angelia, die Göttin der Botschaft, Hermes' Tochter,
bringt die Siegeskunde dem Vater und dem Oheim und mit ihr, so hofft der
Dichter, Gedeihen für Stamm und Stadt des Siegers (Olymp. VIII, 81).
Die Verkündung einer glücklichen Botschaft läßt, mit
anderen Worten, andere mögliche Mitteilungen offen.
Nicht jeder kann ein solcher
Bote werden, sondern einzig der Dichter, der mit seinen Liedern eine Botschaft
(angelian) entsendet, "Übertreffend ein mutig Roß an
Schnelle, ein geflügelt Schiff" der die Stadt entflammt. Das Überbringen
solcher Glücksbotschaften seitens des Dichters ist nur möglich,
weil er den Garten der Göttinnen des Glücks (charites)
"mit schicksalsberufener Hand" pflegt (Olymp. IX, 21 ff.)
Pindars Botschaften sind
Siegesbotschaften, die sich letztlich einer höheren Macht verdanken.
Sie können nur dann richtig übermittelt werden, wenn derjenige,
der sie mitteilt, sich genau den göttlichen Mächten fügt,
die die Geschehnisse, wovon sie Zeugnis sind, mit verursacht haben. Menschliche
Siegesbotschaften sind für Pindar letztlich göttliche Botschaften,
die im Hinblick auf diese Herkunft ausdrücklich mitgeteilt
werden. Auch Herakles ist nur ein Sieger "sofern es die Gottheit es so
will" (kata daimon) (Olymp. IX, 28). Die Bewertung dieser angeletischen
Handlung richtet sich nach der Fähigkeit den Empfänger zu begeistern.
Der Dichter fordert ihn auf, zu Danken und Preisen. So viel zur Pindarischen
Botschaftstheorie.
Zu Beginn des Artikels "Hermeneutik"
im "Historischen Wörterbuch der Philosophie" schreibt Hans-Georg Gadamer:
"Hermeneutik ist die Kunst
des hermeneuein, d.h. des Verkündens, Dolmetschens, Erklärens
und Auslegens, 'Hermes' hieß der Götterbote, der die Botschaften
der Götter den Sterblichen ausrichtet. Sein Verkünden ist offenkundig
kein bloßes Mitteilen, sondern Erklären von göttlichen
Befehlen, und zwar so, daß er diese in sterblicher Sprache und Verständlichkeit
übersetzt. Die Leistung der H. besteht grundsätzlich immer darin,
einen Sinnzusammenhang aus einer anderen "Welt" in die eigene zu übertragen.
Das gilt auch von der Grundbedeutung von hermeneia, die "Aussage
von Gedanken" ist, wobei der Begriff der Aussage selber vieldeutig ist,
Äußerung, Erklärung, Auslegung und Übersetzung umfassend."
(Gadamer 1974, 1061-1062)
Es ist erstaunlich und bezeichnend
zugleich, dass Gadamer in diesem begriffsgeschichtlichen Beitrag zwar auf
hermeneuein als Verkünden nicht aber auf angelia hinweist.
Auslegung und Übersetzung setzen die Ankündigung oder Mitteilung
des Auszulegenden voraus. Mit anderen Worten, die Hermeneutik bedarf der
Angeletik. Die Philosophie in ihrem Sokratisch-Platonischen Anfang steht
dem dichterischen Verkünden göttlicher Botschaften kritisch gegenüber.
Das läßt sich deutlich am Beispiel des platonischen Dialogs
"Ion", also jenen hermeneutischen Dialog par excellence, zeigen,
in dem Sokrates die Künste göttlicher Dolmetscher, besonders
der Homeriden, kritisiert. Diese haben ihr Wissen aufgrund göttlicher
Eingebung (theia moira) und nicht durch Sachkenntnis (techne,
episteme) (Ion 536c-d). Die Dichter sind "Dolmetscher der Götter"
(hermenes ton theon) (Ion 534e) und die Rhapsoden wiederum Dolmetscher
der Dichter. Um die besondere Art der dichterischen Vermittlerrolle hervorzuheben,
bedient sich Platon mehrmals der Metapher von eisernen Ringen, die "unter
dem Einfluß des Magneten die Kraft voneinander empfangen." (Ion 536e).
Dichter und Sänger sind also in den Augen des Philosophen magnetisierte,
d.h. unwissende Vermittler. Die philosophische Angeletik sokratisch-platonischer
Prägung gründet nicht auf angelia, sondern auf dem (mündlichen)
logos. Sie heißt Dialektik.
Anstelle der vertikalen Botschaft
tritt der philosophische logos und der dialektische Mitteilungsprozeß,
d.h. das sachliche Fragen auf der Basis jener Botschaften, die uns die
Sinne und allem voran die Vernunft (nous) mitteilen und die
der Kritik unterworfen werden. Diese Sachen sind für Platon die Ideen
(idea) und für Aristoteles die Formen (eidos, morphe)
der Dinge. Der im semantischen Kontext von Mythos und Politik angesiedelte
angelia-Begriff wird als terminus technicus durch den logos
und die Ideen ersetzt. Der mythischen Botschaftstheorie folgt die philosophische.
Der dichterische sowie politische Kontext des angelia-Begriffs bei
Platon läßt sich an mehreren Stellen nachweisen. Am Anfang des
12. Buches der "Gesetze" heißt es z.B.
"Wer sich fälschlich
als Gesandter (presbeutes) oder Herold (kerux) des Staates
bei einem anderen Staate ausgibt oder, wenn er wirklich mit der Gesandschaft
betraut ist, die ihm übertragene Botschaft (presbeias) wissentlich
fälscht (me apangelle) oder andererseits keinen Zweifel darüber
läßt, dass er die von der anderen Seite, sei es Feind oder Freund,
ihm übertragene Botschaft als Gesandter oder Herold gefälscht
hat, der soll gerichtlich belangt werden als ein Frevler wider die heiligen
Gesetze über Botschaften und Aufträge, die unter dem Schutze
des Hermes und Zeus stehen (Hermou kai Dios angelias kai epitaxeis);
und wird er schuldig befunden, so soll das Gericht die gebührende
Strafe oder Buße bestimmen." (Nomoi 941a).
"Als Wächterin über
alle solche Verfehlungen", schreibt Plato ebenfalls in den "Gesetzen" -
und er meint an dieser Stelle die Verfehlungen bezüglich der Ehre,
die man den Göttern, Heroen sowie den Eltern schuldig ist -, "ist
Nemesis, die Botin der Dike (Dike Nemesis angelos)" (Nomoi 717d;
vgl. Nomoi 758c). Im Dialog "Kratylos" deutet Sokrates die Herkunft des
Namen Hermes als Dolmetscher (to hermenea), Bote (to angelon),
Dieb (to klopikon) und Betrüger (to apatelon) in bezug
auf die Rede (in logois). Hermes ist ein geschickter Handelsmann
(to agorastikon), bei dem alles sich um die Macht der Rede (peri
logou dynamin) dreht. Sein Name ist zusammengesetzt aus eirein,
dem "Gebrauch der Rede", und emesato, "ausfindig machen". Auch der
Name der Iris wird von eirein abgeleitet, "weil sie Botin (angelos)
war" (Crat. 407e-408b).
Am Schluß des Dialogs
"Menexenos" - ein Dialog in dem Platon politische Lobreden persifliert
und somit nicht nur philosophische Zwecke beabsichtigt - bedankt sich Menexenos
für die Sokratische Wiedergabe der Rede (logos)
der Milesierin Aspasia,
zeigt sich aber zugleich skeptisch. Sokrates bemerkt dazu ironisch, Menexenos
soll ihm die Gründe seines Mißstrauens nicht verraten, damit
er ihm andere "politische Reden" verkünden (apangello)
kann (Men.
249e)
An anderen Stellen gebraucht
Platon angello und angelia in einem alltäglichen Zusammenhang, ohne
aber dass dieser Begriff zum Gegenstand philosophischer Reflexion oder
sogar zum terminus technicus wird. Zu Beginn des "Gastmahls" kommt ein
Sklave mit der Meldung (angellonta), dass Sokrates in der Vortür
eines Nachbarhauses steht (Symp. 175a). Eutyphrons Vater schickt einen
Boten (angelon), um die Auslegung des Richters in einem Mordfall
zu erfahren (Euthyph. 4d). Kriton bringt Sokrates eine schlimme Nachricht
(angelian chalepen), nämlich die seines bevorstehenden Todes
(Crit. 43c). Am Schluß des "Phaidon" sagt Kriton mit Bezug auf die
vorausgegangenen Ankündigungen des Dieners, der einen Auftrag (angellon)
zu erfüllen hatte:
"Auch weiß ich, dass
andere erst lange nach geschehener Ankündigung (parangelthe)
den Trank nahmen" (Phaed. 116e)
Zu Beginn dieses Dialogs wünscht
sich Exekrates einen genauen Bericht (saphes ti angeilai) über
die Vorgänge in Zusammenhang mit dem Tod des Sokrates (Phaed. 57 b).
Im vierten Buch der "Staates"
"jagen" Sokrates und Glaukon nach dem Wesen der Gerechtigkeit. Als Sokrates
meldet, er hätte "eine Spur des Wildes" entdeckt, antwortet Glaukon:
"Gute Botschaft" (eu angelleis). Allerdings stellt sich sofort heraus,
dass das Wild sich von Anfang an vor ihren Füßen herumtrieb!
(Polit. 360a). Am Schluß dieses Dialogs heißt es, dass der
Nutzer eines Gegenstandes der Erfahrenste sei und deshalb dem Hersteller
darüber Auskunft geben soll (angelon gignesthai), was er richtig
oder falsch macht:
"Also der eine als Wissender
gibt Auskunft (exangellei) über taugliche und untaugliche Flöten,
der andere schenkt ihm Glauben und verfertigt sie danach?" (Polit. X 601d-e).
Bei dieser Stelle steht angelia
in einem prima facie paradoxen Zusammenhang mit dem Prozeß
der Mitteilung von Fachwissen. Der Stelle liegt die Platonische Auffassung
des Handwerkers als Nachahmer zugrunde. Der Verfertigter einer Nachahmung
hat für Sokrates nur ein Scheinwissen über die Sache gegenüber
dem, der diese unmittelbar gebraucht. So kommt es, dass das praktische
Wissen des Verbrauchers höher eingestuft wird als das technische Herstellerwissen.
Dementsprechend wird der Prozeß der Wissensmitteilung vom Verbraucher
zum Hersteller höher eingestuft als umgekehrt. Ebenfalls im neutralen
Sinne von Wissensmitteilung lautet folgende Stelle am Schluß des
"Philebos":
"Auf alle Weise also wirst
du, Protarchos (den Abwesenden) durch Boten (angellon pempon), den
Anwesenden durch eigenen Mund verkünden (phrazon), dass die Lust nicht
das erste und auch nicht das zweite Besitztum sei" (Phil. 66a).
Dieser neutrale Gebrauch von
angellein kehrt sozusagen das Verhältnis dichterischer Mitteilung,
so wie sie im Dialog "Ion" gedeutet wurde, um.
Mit der Philosophie findet
ein Ortswechsel gegenüber den mythischen, politischen und dichterischen
Botschaften statt: Nicht die Königspaläste und die Wettkämpfe,
sondern die Agora und die Palästra sind die Orte, an denen logoi mitgeteilt
und gedeutet werden. Die Philosophie stellt sich kritisch gegenüber
dem mythisch belasteten angelia-Begriff und ersetzt ihn zumindest als terminus
technicus durch den des dialektischen miteinander Sprechens (dialegesthai).
Das logon didonai, d.h. das gemeinsame Suchen nach Gründen und Ursachen,
bedeutet allem voran eine an den Gesprächspartner gerichtete sprachliche
Handlungsaufforderung, das mitgeteilte logos selbst zu prüfen (krinein).
Philosophische Botschaften sind, wie jede Botschaft, heteronom, aber nicht
vertikal, sondern horizontal.
Der Maßstab für
den Erfolg einer philosophischen Sprechhandlung ist nicht der Nachweis
der Befolgung einer Anweisung, sondern ob die Selbstprüfung tatsächlich
erfolgt, was sich ggf. durch eine Gegenfrage erweist. In diesem Sinne fordert
Sokrates Kratylos am Schluß des Dialogs auf, das, was er durch eigenes
Nachdenken gefunden hat, ihm auch mitzuteilen (metadidonai) (Crat.
440d). Daher auch die aporetische Form philosophischer (Sokratischer) Dialoge.
Dennoch entstehen auch beim philosophischen Mitteilungsmodus neue Machtstrukturen
z.B. in Form der Meister-Schüler-Beziehung sowie in bezug auf die
Frage, inwiefern der philosophische logos letztlich unter der Macht des
Göttlichen steht. Zu diesen Machtstrukturen gehört auch die unterschiedliche
Auffassung über das angemessene Medium philosophischer Botschaften,
sei es, wie bei Platon, zugunsten der Oralität oder, wie bei Aristoteles,
in der Anerkennung der Schrift und des philosophischen Traktats als vollwertiges
Medium.
Philosophische messages sind
also, was ihre Form betrifft, keine imperative, sondern indikative oder
optative Botschaften. Sie beabsichtigen, den Empfänger zu überzeugen,
nicht ihn zu Befolgung aufzufordern. Ihr Ziel ist primär dialogisch,
d.h. auf die Erzeugung neuer Information orientiert und diskursiv, d.h.
auf allgemeine Verbreitung ausgerichtet. Kurz, die philosophische Botschaftstheorie
hat andere Koordinaten als die mythische und die dichterische. Das schließt
nicht aus, dass philosophische Schriften, wie die platonischen Dialoge,
auch zusätzliche Adressaten im Blick haben können, so dass sie
auch als politische oder dichterische Botschaften aufgefaßt werden
können. Das macht nicht zuletzt die Komplexität und den besonderen
Reiz der platonischen Dialoge aus.
4. Verkündigung
und Mission
Mit dem Aufkommen des Christentums
steht der philosophische logos gewissermaßen in der umgekehrten
Situation im Hinblick nämlich auf das euangelion, die Frohe
Botschaft. Versuchten die Philosophen die Macht der mythischen angelia
durch die Botschaftstheorie des philosophischen logos wettzumachen,
so geht es jetzt darum, die Frohe Botschaft nicht der Macht des philosophischen
logos zu unterwerfen. Diese Spannung zwischen angelia und
logos, das Verkünden der Frohen Botschaft und ihre rationale
Deutung durch die Theologie, prägt das abendländische
Selbstverständnis und ? hat auch dramatische Auswirkungen auf die
missionarische Weitergabe dieser Botschaft.
Eine mythische Urszene unserer
Kultur ist zweifellos die vom Evangelist Lukas beschriebenen Szene der
Verkündigung Mariä durch den "Engel des Herren" (angelos kuriou)
(Luk. 1, 11). Diese Szene korreliert wiederum mit der Szene am leeren Grab,
wo Joseph von Arimathia und mehrere Frauen von "zwei Männern mit glänzenden
Kleidern" die Nachricht über den auferstandenen Jesus hören und
anschließend an die nicht Anwesenden Jünger verkündigen
(apengeilan) (Luk. 24, 9). Lukas berichtet schließlich, wie
Jesus ihnen, den "Zeugen" (martyres), "die Verheißung seines
Vaters" (ten epangelian tou patros mou) verspricht (Luk. 24, 49).
Markus schreibt, dass sie die Frohe Botschaft (to euangelion) an
"alle Kreatur" predigen (keruxate) sollen (Mark. 16, 15). Bei Matthäus
lautet der Auftrag, sie sollen allen Völkern "lehren" (matheteusate)
(Matth. 28, 19). Am eindrucksvollsten kommt aber das Verhältnis von
logos und angelia im Johannesevangelium und in seinen Briefen:
"die Verkündigung
(angelia), die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen
(anangelomen), dass Gott Licht ist" (I Joh. 1, 5)
sowie:
"Das ist die Botschaft
(angelia), die ihr gehört habt von Anfang, dass wir uns untereinander
lieben sollen" (I Joh. 3, 11)
Im "Theologischen Wörterbuch
zum Neuen Testament" schreibt Schniewind über angelia und verwandte
Begriffe:
"Die Terminologie wird
weder aus der Sprache der Philosophie noch der hohen Religion noch der
Mystik gewonnen, vielmehr aus der Sprache des öffentlichen Lebens,
der Kampfspiele und der Herrscher. (...) Ob die Sprache des NT aus dem
Judentum oder dem Hellenismus stamme, ist hier falsch gefragt. Von Botschaft
und Sendung weiß man beiderseits. Die Frage ist nur, wer der Sendende,
wer der Bote ist, und was Sendung und Botschaft besagt. Das NT faßt
alles im onoma
Jesu zusammen." (Schniewind 1953, 57-58)
In Jesus fallen, mit anderen
Worten, Bote und Botschaft zusammen. Zur Sprachgeschichte von angelia
heißt es ferner bei Schiewind, dass das Wort sowohl die Handlung
des Meldens als auch das Gemeldete bezeichnen kann und dass dieser doppelte
Sinn sich bei euangelion findet. Während angelia zur
Sprache der Dichtung und der Politik gehört, ist die Rolle des Boten
(angelos) seit der homerischen Zeit, wie wir gezeigt haben, eine
sakrale. Boten werden deshalb von den Göttern geschützt, weil
Botschaften zu überbringen, "die einzige Möglichkeit des Verkehrs
der Menschen untereinander ist" (Grundmann 1953, 72). Auf die theologische
Engellehre, auf die Rolle der Propheten und der Erwartung eines kommenden
Boten im Judentum sowie auf die Bedeutung von logos und kerigma
im Neuen Testament (Coenen u.a. 1993) können wir hier nicht eingehen.
Zu euangelizomai schreibt Friedrich:
"In sämtlichen semitischen
Sprachen, im Akkadischen, im Äthiopischen wie im Arabischen ist im
Stamm bsr die Bedeutung Freude enthalten. Schon darin zeigt sich die realistische
Auffassung von "Wort" in den semitischen Sprachen, daß sie für
etw Erfreuliches melden einen besonderen Stamm haben, während
unsere moderne Sprachen und das Latein darauf verzichten und das Griechische
eine Mittelstellung einnimmt, indem es das Kompositum euaggelion,
euaggelizesqai gebildet hat." (Friedrich
1953, 705)
Michel Serres hat eine eindrucksvolle
aber zugleich apologetische Analogie zwischen unserer heutigen message
society und der "Legende der Engel" vorgelegt (Serres 1993). Seine
Darstellung verwischt m.E. den Unterschied zwischen Engellehre und Angeletik.
Gleichwohl steht die Vorstellung von der Materie getrennter reiner Vernunftwesen,
das die mittelalterliche Philosophie "getrennte Intelligenzen" (intelligentiae
separatae) nannte, nicht weit von einigen Phantasien heutiger Künstliche-Intelligenz-Forscher
(Capurro 1995).
Die Humboldt-Universität
zu Berlin veranstalte 1994 eine Tagung mit dem Thema "Gespräch - Boten
- Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter",
die als Beitrag zu einer Theorie der Botschaft im Kontext des Mittelalters
sowie der frühen Neuzeit aufgefaßt werden könnte (Wenzel
1997). Ich fasse zunächst kurz einige Beiträge zusammen bevor
ich auf das Beispiel der Übertragung der christlichen Botschaft zur
Zeit der spanischen Eroberung näher eingehe. Im Mittelpunkt steht
die Problematik des Übergangs von einer face-to-face Kommunikation
zu einer Kommunikation auf der Basis der persönlichen Repräsentanz,
des Instituts des Boten oder Gesandten sowie im Medium des Briefes. Dadurch
entstehen Probleme der Sicherung, des Transports, sowie der Affektübertragung.
In diesem Zusammenhang wäre es eine Untersuchung wert, die mittelalterliche
Briefkultur mit, zum Beispiel, der Briefkultur in der Antike zu vergleichen
(Capurro 1995, 99-102). Die Literalisierung des Gesprächs reduziert
die Komplexität der leibhaftig übertragenen Botschaft, kann aber
solche Verluste durch einen Zuwachs an Komplexität, an Speicherkapazität
und -dauer kompensieren (Wenzel 1994, 14). Ähnliches läßt
sich zum Beispiel über die Übertragung der Sokratischen Botschaft
im Medium der Oralität durch die Dialoge Platons sagen. Die Frage
ist dann, welches Medium die Dominanz hat, aufgrund welcher Argumente,
und welche Konsequenzen hat das jeweils für Mitteilung, Information
und Verstehen. "Die wechselseitige Austauschbarkeit der mittelhochdeutschen
Begriffe briefe und bote(schaft) verweist", so Wenzel, "auf
einen gleitenden Übergang von der mündlich übertragenen
zur schriftlich vorgetragenen Botschaft, die auf eine faszinierende Nähe
des Boteninstituts zum Medium des Briefes hinweist." (Wenzel 1994, 13).
Wenzel, Herausgeber des Tagungsbandes, faßt den für eine Theorie
der Botschaft besonders relevanten Beitrag von Bernhard Siegert mit dem
Titel "Vögel, Engel und Gesandte" (Siegert) 1994) mit folgenden Worten
zusammen:
"In der alteuropäsichen
Mediendiskussion stehen Specht und Elster als sprechende Botenvögel
für eine Fernkommunikation, die der Funktion des Boten (nuntius)
vergleichbar ist, der seinem Fürsten Körper und Stimme im Sinne
einer repraesentatio soni leiht zunächst als physische Vergegenwärtigung
(Dante), dann im Sinne der mechanischen Vertretung eines Abwesenden (Descartes).
Die mediale Erweiterung des Herrscherkörpers (Kantorowicz) durch Bilder
und Boten impliziert die diskursive Ohnmacht des Nachrichtenträgers
(nuntius, legatus) als Gefäß einer fremden Stimme, es
sei denn die Inkorporation des Wortes werde als Inkarnation Gottes verstanden,
der sich als trinitarische Einheit präsentiert. Eine besondere Pointe
dieses Beitrages liegt in dem Nachweis, daß die Engel als Botschafter
des Himmels (gr. angeloi) etymologisch auf die Bediensteten des
angareion, des persischen Relaispostensystems zurückverweisen
und damit die Einrichtung der Post dem himmlischen Boten schon vorausgeht.
Bezeichnenderweise wird Gabriel, der Engel der Verkündigung, der von
Hieronymus als fortitudo Dei definiert ist, als Folge der Verschriftung
und Versiegelung der himmlischen Botschaft im späten Mittelalter wieder
zu einem Briefträger." (Wenzel 1994, 15-16)
Sieger verweist im Anschluß
an Michel Foucault (1994, II, 579) auf die Entstehung des Prokurators im
12. Jahrhundert. Dessen Funktion ist nicht mehr, wie beim nuntius,
die bloße Repräsentation, sondern die Wahrheitssuche und Wissensproduktion.
Das erfordert ein neues Institut: Die ständige Gesandschaft, die Berichte
oder Depeschen verfertigt.
Wenzel thematisiert das Verhältnis
zwischen körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger,
zwischen Boten und Briefen. Die Botenfigur als Archetypus der Fernkommunikation
zeigt verschiedene Ausprägungen, nämlich die des persönlichen
Stellvertreters eines Auftraggebers (Gespräch), des Überbringers
und Deuters einer Nachricht (Gespräch und Brief) sowie des bloßen
Trägers (Brief) (Wenzel 1994a). In jeder dieser Ausprägungen
gestaltet sich die Differenz zwischen Mitteilung und Information auf unterschiedliche
Weise, je nachdem, ob die Mitteilung, wie bei der lebendigen Rede, eine
Einheit mit der Information bildet, so dass der Empfänger buchstäblich
keine Zeit hat, um Verdachtsmomente zu schöpfen, es sei denn, wie
wir gleich zeigen werden, diese Verdachtsmomente liegen schon vor, so dass
die Mitteilung sie auch ggf. bestätigt und letztlich zu ihrer Ablehnung
führt. Der Bote ist das Medium. Zum Verhältnis zwischen Mitteilung
und Information in bezug auf Oralität und Schrift schreibt Luhmann:
"Erst die Schrift erzwingt
eine eindeutige Differenz von Mitteilung und Information, und der Buchdruck
verstärkt dann nochmals den Verdacht, der sich aus der Sonderanfertigung
der Mitteilung gibt: daß sie eigenen Motiven folgt und nicht nur
Dienerin der Information ist. Erst Schrift und Buchdruck legen es nahe,
Kommunikationsprozesse anzuschließen, die nicht auf die Einheit von
Mitteilung und Information, sondern gerade auf ihre Differenz reagieren:
Prozesse de Wahrheitskontrolle, Prozesse der Artikulation eines Verdachtes
mit anschließender Universalisierung des Verdachts in psychoanalytischer
und/oder ideologischer Richtung." (Luhmann 1987, 223-224)
Die Entkoppelung von Bote und
Botschaft macht aus dem Boten zunächst einen Briefträger und
letztlich einen transmitter und receiver, Teil eines elektrotechnischen
Systems und, aus heutiger Sicht, eine Mailbox in der weltweiten
Vernetzung.
Wulf Oesterreicher stellt
die Situation zum Beginn des 16. Jahrhunderts im "Kommunikationsraum Hispanoamerika"
als gekennzeichnet durch den Ausschluß der Schriftkommunikation dar.
Das bedeutet:
"- von den in der Trias
"Gespräche - Boten - Briefe" angedeuteten Kommunikationsformen kommen
für die Kommunikation mit Indios die Gesprächsform, der mündliche
Bericht sowie die Verlautlichung von Schriftlichem durch Vorlesen oder
Verlesen, also mit einem Medienwechsel, in Frage; genuiner Schriftkommunikation
mit medial schriftlicher Rezeption, also der Lektüre, ist zuerst einmal
inexistent.
- zusätzlich ist jedoch
immer ein Sprachwechsel notwendig: es muß übersetzt, gedolmetscht
werden. Dieser Sprachwechsel betrifft jede Art von hispano-indianischer
Kommunikation. Übersetzer sind damit für die spanischen Konquistadoren
von ungeheurer Bedeutung." (Oesterreicher 1997, 299)
Was geschah am 16. November
1532 in der nordperuanischen Stadt Cajamarca? Antwort: Ein Gespräch
des Inka-Herrschers Atahualpa mit dem von spanischen Conquistador Francisco
Pizarro geschickten Dominikanerpater Fray Vicente de Valverde, ein Massaker
an den Indios und die Gefangennahme Atahaulpas. Vorausgegangen waren Raubüberfälle
der Spanier, worauf der Inka-Herrscher die Spanier zur Klärung der
Vorfälle einlädt. Die Nacht vor dem Treffen verbringen die Soldaten
in Angst und Schrecken vor einem Angriff. Pizarro plant als Ausweg einen
Überraschungsangriff am nächsten Tag. Am späten Nachmittag
des 16. November erscheint Atahaulpa auf einer Sänfte getragen auf
den Hauptplatz von Cajamarca. Valverde, mit dem Kreuz in der einen und
der Bibel in der anderen Hand und von einem Dolmetscher begleitet, läßt
dem Inka-Herrscher sagen, dass er predigen wolle, was in diesem Buch steht.
Als Atahualpa das Buch in die Hand nimmt, kann er zunächst die Schließe
nicht öffnen und schlägt den zu Hilfe eilenden Valverde zurück.
Er wundert sich, so ein Augenzeugenbericht, scheinbar mehr über die
Schrift als über das, was geschrieben war. Mit vor Zorn geröteten
Gesicht wirft er das Buch in die Menge, besteht auf die Rückgabe des
geraubten Goldes und droht mit dem Tod. Valverde antwortet, dass dies nicht
Gott gefällig sei und das in der Schrift steht, dass wir uns gegenseitig
lieben sollen. Atahualpa verlangt das Buch und wirft es erneut weit von
sich. Valverde kehrt zu Pizarro zurück und fleht ihn an, die Indianer
zu töten. Das Massaker der vermutlich um die 7000 unbewaffneten Indios
dauert zwei Stunden.
Oesterreicher ist aufgrund
eines Augenzeugenberichts der Meinung, dass es sich nicht (oder nicht nur)
um einen Dialog gehandelt hat, sondern dass Valverde einen vorgefertigten
und seit 1514 obligatorischen Text (requerimiento), der zur Konversion
und Unterwerfung aufforderte, vorgelesen hat, dessen gleichzeitige Übersetzung
seit 1526 gesetzlich vorgeschrieben dar. Es handelte sich um einen formalen
Rechtsakt, der zugleich eine Belehrung in Sachen Christentum und die Ersatzform
einer Kriegserklärung war. Oesterreichers Fazit lautet:
"Ganz unabhängig von
den besprochenen tragischen Ereignissen in Cajamarca gilt: Die praktische
Durchführung des requerimiento führte in der Regel zu
'gespenstischen' Szenarien. Dies haben schon zeitgenössische Juristen
zugeben müssen. Häufig wurde schon gekämpft, bevor das requerimiento
verlesen wurde. Oft war die Entfernung zu den indianischen Gruppen so groß,
daß diese den Vortrag gar nicht hören konnten. Und im übrigen
gilt ja: auch wenn sie den Vortrag hörten, verstanden sie natürlich
nichts..." (Oesterreicher 1997, 310-311)
Für Bartolomé de
las Casas war das requerimiento ein zynischer Akt "ungerecht, ruchlos,
skandalös, absurd und ohne Vernunft, eine Schande für den Glauben
und die christliche Religion." (Oesterreicher, 1997, 311). Diese Situation
zeigt deutlich nicht nur die vertikale Struktur politischer und religiöser
Botschaften, sondern auch ihren imperativen Charakter. Die Aufklärung
wird die Vorherrschaft dieser Struktur auf den wissenschaftlichen Diskurs
in Frage stellen. Die sich daraus ergebende Situation ist nicht gleich
wohl aber vergleichbar mit der Infragestellung der mythischen und politischen
angelia durch den philosophischen logos in der Antike.
5. Von der
Aufklärung zur message society
Die Neuzeit bringt das Aufkommen
eines autonomen Subjekts sowie die Forderung eines zensurfreien Raums des
wissenschaftlichen Mitteilens auf der Basis des gedruckten Wortes. Die
technische Revolution des Buchdrucks schafft eine neue angeletische Situation.
Für Immanuel Kant ist gerade die zensurfreie Mitteilung zwischen den
"Gelehrten" mittels gedruckter Schriften das Medium, wodurch die Botschaft
wissenschaftlicher Kritik sich verbreiten soll und die politischen Prozesse
mittelbar beeinflußt werden können (dazu sowie zum Folgenden
vgl. Capurro 1995, 110-112; Capurro 1996b). Kants Aufforderung, den Mut
zu haben, uns des eigenen Verstandes zu bedienen, stellt die Machtverhältnisse
des politischen und religiösen Sendungsbewußtseins zugunsten
der autonomen Mitteilungsfreiheit in Frage. Der Anspruch auf die Kontrolle
der Botschaftserzeugung und -verbreitung sei es durch die Politik, die
Kirche oder das Militär, soll im Falle wissenschaftlicher Botschaften
eingeschränkt werden, und zwar so, dass beide Systeme koexistieren
können.
In der Schrift "Beantwortung
der Frage: Was ist Aufklärung?" (Kant 1910, AA VIII) schlägt
Kant ein duales System vor. Auf der einen Seite sind wir als "Bürger"
beim Gebrauch unseres Verstandes durch militärische, geistliche und
politische Systeme eingeschränkt, sofern wir nämlich einen "bürgerlichen
Posten" oder ein "Amt" bekleiden. Kant spricht dann vom "privaten" d.h.
eingeschränkten Gebrauch unserer Vernunft. Auf der anderen Seite aber,
als "Gelehrte", sprechen oder, genauer, schreiben wir "vor dem ganzen Publikum
der Leserwelt" und dürfen dabei "in allen Stücken" von unserer
Vernunft "öffentlichen Gebrauch" machen. Dieses duale System ist so
konzipiert, dass der Privatgebrauch den öffentlichen Gebrauch zwar
einschränken aber nicht hindern darf. Denn die bürgerlichen Systeme
sind nicht autark, sondern "Glied eines ganzen gemeinen Wesens", das wiederum
von der "Weltbürgergesellschaft" umfaßt wird. Diese Weltbürgergesellschaft
ist das Forum, vor dem wir als Gelehrte den Mut haben sollten, uns im eigenen
Namen zu äußern.
Kants Botschaftslehre stellt
also ein System dar, in dem es politische und religiöse Botschaften
auf der einen und wissenschaftliche Botschaften auf der anderen Seite gibt,
mit ihren jeweiligen Mechanismen, Machtverhältnissen und Adressaten.
Im Falle der wissenschaftlichen Botschaften sind das Medium die gedruckten
"Schriften", die sich an die "Leserwelt" richten, und "durch keine Amtspflicht"
eingeschränkt werden sollten. Die "Schriften" sind der öffentliche
Raum der "Gelehrtenrepublik", wo die dogmatischen Grundsätze und die
daraus hervorgehenden Botschaften der Politik und der Religion ihre theoretische
Gültigkeit verlieren und einer Prüfung unterzogen werden. Kant
nennt diese Konstruktion, eine "Reform der Denkungsart", die durch keine
"Revolution" zustande gebracht werden kann, da diese 'nur' den "persönlichen
Despotism" abschafft. In der Schrift "Was heißt: Sich im Denken orientieren?"
(Kant 1910, AA VIII) betont Kant, daß die Gedankenfreiheit unlösbar
mit der Freiheit "seine Gedanken öffentlich mitzutheilen" verbunden
ist. Das "ganze Publikum der Leserwelt" reguliert sich selbst. Diese Gedankenfreiheit
ist, so Kant, keine Frage der Toleranz, d.h. durch eine amtliche Botschaft
verordnete oder erlaubte Gedankenfreiheit.
Kant macht aber auf die Paradoxie,
die er am toleranten Verhalten seines aufgeklärten Königs beobachtet,
aufmerksam: "räsoniert, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt;
nur gehorcht!" Mit anderen Worten, in Kants Botschaftstheorie klaffen Theorie
und Praxis auseinander. Er fordert nicht "einen größeren Grad",
sondern "einen Grad weniger" bürgerlicher Freiheit und bekämpft
die politische mit einer philosophischen Paradoxie: Wenn die Gedankenfreiheit
um den Preis des politischen Gehorsams erkauft werden muß, dann ist
ihm lieber jene auch in politicis zu besitzen, auch wenn dabei die
"Freiheit zu handeln" nicht unmittelbar "ausgewickelt" werden kann. Dadurch
können nicht nur die Religion, die Künste und die Wissenschaften,
sondern auch die "Gesetzgebung" Gegenstand der freien und öffentlichen
Kritik werden. Der Preis dafür ist die Aufspaltung von Gedankenfreiheit
auf der einen und Handlungsfreiheit auf der anderen Seite, die auf dem
Umweg über die "Schriften" vermittelt werden sollen.
Jürgen Habermas hat
dieses Kantische Konstrukt "aus dem historischen Abstand von 200 Jahren"
einer Kritik unterzogen. (Habermas 1995). In Kants dualem System, soll
letztlich die Moral die Fäden der Politik an sich ziehen und zwischen
der Weltbürgergemeinschaft und der Staatsräson vermitteln. Dem
kommt aber im Licht der Geschichte der letzten zweihundert Jahre eine Entwicklung
entgegen. Kant rechnete, so Habermas, "natürlich noch mit der Transparenz
einer überschaubaren, literarisch geprägten, Argumenten zugänglichen
Öffentlichkeit, die vom Publikum einer vergleichsweise kleinen Schicht
gebildeter Bürger getragen wird." Was er nicht voraussehen konnte,
war, so Habermas, "den Strukturwandel dieser bürgerlichen Öffentlichkeit
zu einer von elektronischen Massenmedien beherrschten, semantisch degenierten
(sic), von Bildern und virtuellen Realitäten besetzten Öffentlichkeit."
(Habermas 1995, 11). Er konnte also nicht mit der heutigen Informationsgesellschaft
rechnen.
Die globale elektronisch-vernetzte
und multimediale Kommunikation ist aber weder Kants "Leserwelt" der Gelehrten
noch Habermas' transparente Gesellschaft der rational face-to-face
Argumentierenden. Es steht noch offen, ob sie die stratifizierten Grenzen
der durch die Massenmedien geprägten Weltöffentlichkeit auflockern
kann. Gianni Vattimo hat das Habermassche Ideal einer durchsichtigen Gesellschaft
kritisiert, und statt dessen für eine "schwächere" Vernunft plädiert,
die unterschiedliche Formen des kulturellen Mestizentums sowie von Heterotopien
erlaubt, die sich im dezentralen Charakter des Internet abzeichnen (Vattimo
1989).
Das 20. Jahrhundert kannte
bis in die 90er Jahre nur Medien für die Individual- und die Massenkommunikation.
Diese Trennung kommt in Flussers Unterscheidung zwischen diskursiven und
dialogischen Medien deutlich zum Ausdruck (Flusser 1996). Flusser befürchtete,
dass die Massenmedien, allem voran das Fernsehen, mit ihrer one-to-many-Struktur
der Botschaftsverbreitung letztlich die dialogischen Medien beherrschen
könnte. Er rechnete also nicht mit einem Medium, das die Möglichkeiten
der Sendung many-to-many, many-to-one und one-to-many
in sich vereinte, ohne der Vertikalität letztlich den Vorzug zu geben.
Es war nicht von ungefähr, dass die Massenmedien, zumindest in Deutschland,
zunächst allergisch auf das Internet reagierten und die jetzt versuchen,
so zu tun, als ob das Internet nur ein Kanal mehr wäre, um ihre Machtpositionen
weiter zu festigen (Capurro 2001). Demgegenüber stimme ich mit Manfred
Faßler überein, dass nach der Internet-Revolution die Massenmedien
nicht mehr das sind, was sie waren, und sie werden es nie mehr sein (Faßler
2000).
Hauptziele der massenmedialen
Botschaftsverbreitung, der Fernseh- und Rundfunksendungen also,
waren und sind Nachrichten und Unterhaltung. Das hat u.a. auch zum infotainment
geführt. Peter Sloterdijk hat darauf hingewiesen, dass wir in einer
"Epoche der leeren Engel" oder in einem "mediatischen Nihilismus" leben,
in der wir, bei einer Vervielfältigung der Übertragungsmedien,
die zu vermittelnde Botschaft vergessen haben: "Das ist das eigentliche
Dysangelion der Gegenwart" (Sloterdijk 1997, 75). Nietzsches' Wort "Dysangelion"
hebt, gegenüber Evangelium, die Eigenschaft der Leere jener Botschaften
hervor, die durch die Massenmedien verbreitet werden. Bei Nietzsche ist
dies der Gegensatz zwischen der einen lebendigen Botschaft und ihrer
theoretischen Entleerung:
"Das Wort schon "Christentum"
ist ein Mißverständnis -, im Grunde gab es nur einen Christen,
und der starb am Kreuz. Das "Evangelium" starb am Kreuz. Was von
diesem Augenblick an "Evangelium" heißt, war bereits der Gegensatz
dessen, was er gelebt: eine "schlimme Botschaft", ein Dysangelium.
Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem "Glauben", etwa im Glauben
an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß
die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb,
es lebte, ist christlich..." (Nietzsche 1976, III, 646)
Sloterdijk hat Nietzsches "Verbesserung
der guten Nachricht", sein fünftes "Evangelium", unter diesem Vorzeichen
thematisiert (Sloterdijk 2001).
Es ist die Frage, inwiefern
das Internet einen gegenüber den dysangeletischen Massenmedien
neuen angeletischen Raum schafft, der in der Lage ist, neue Botschaftssynergien
zu erzeugen und uns erlaubt, die Vernetzung als Chance für unterschiedliche
Formen der Lebensgestaltung wahrzunehmen (Capurro 1999). Denn wir sind
selbst Medien und Boten zugleich, die uns allmählich von den Oligopolen
vertikaler one-to-many-Strukturen der Botschaftsverbreitung lösen,
indem wir sie in einem nur scheinbar anarchischen Netz von Boten und Botschaften
auflösen. Dieses Netz verbindet und teilt auf neue Weise die Welt
auf (digital divide). Die Herausforderungen dieser angeletischen
Situation für das Leben ganzer Gesellschaften sind noch nicht übersehbar.
Die message society, wie sie in diesem globalen Ausmaß nicht
einmal die Aufklärung zu träumen wagte, ist gerade dabei, die
Koordinaten für eine neue Botschaftskultur auszuloten.
Der Sinn dieses Beitrags
war, Ihnen, den Hörern und den Lesern, einige Gedanken über die
Herkunft dieses heutigen Phänomens vor einem theoretischen Hintergrund
darzulegen. Aristoteles empfiehlt am Schluß seiner "Rhetorik" eine
asyndetische Formulierung am Ende einer Rede, damit es die Form eines Schlußsatzes
bekomme, und nicht die eines normalen Satzes. Seiner Empfehlung schließe
ich mich an: "Ich habe gesprochen, Ihr habt es gehört, Ihr kennt die
Tatsachen, urteilt Ihr nun." ("eireka, akekoate, echete, krinate")
(Rhet. 1420 a 8).
|