Verfolgung durch den Anderen

Zu Emmanuel Levinas' Ethik des Verdachts

Vorgelegt von Thomas Bedorf, Thomas.Bedorf@rz.ruhr-uni-bochum.de


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Zeugnis und Unendliches

1.1 Verantwortung und Engagement

1.2 Passivität und Inspiration

1.3 Herrlichkeit und Zeugnis

1.4 Unendliches

1.5 Perspektivenwechsel

II. Verfolgung und Geschichte

2.1 Bruch in der Zivilisation

2.2 Unmögliche Rechtfertigung

2.3 Überleben 22

2.4 Unendliche Verantwortung

III. Exkurs Adorno: Verhängnis und Nichtidentisches

3.1 Zerfallsgeschichte

3.2 Tod und Überleben

3.3 Verantwortung der Überlebenden

3.4 Unzulänglichkeit des Begrifflichen und Erfahrung

Schluß: Offene Fragen

Literaturverzeichnis


Einleitung

Die Frage nach dem Guten gehört zu den klassischen Themen der Philosophie. Bei den Griechen war das Gute eingebunden in ein allem Handeln innewohnendes Streben, das einer eigenen Problematisierung nicht bedurfte. Über die Kantische Pflichtethik, den Utilitarismus, die Hegelsche Sittlichkeit und den Prgamatismus bis zur Diskursethik ging man bei allen Differenzen von der Voraussetzung eines wie immer genannten Subjekts aus, das über eine gewisse Handlungsfreiheit verfügt. Nietzsche war der erste, der nach den stillen Voraussetzungen dieser Moralkonzeptionen fragte.

Auch Levinas fragt nach den Grundlagen der Ethik, nach der Herkunft von Moral und unterläuft so auch die skeptische, jede Unterscheidung von gut und böse in Zweifel ziehende Frage, warum ich denn überhaupt verantwortlich sein solle. In dieser Frage stecken bereits nicht hinterfragte Voraussetzungen. "Warum betrifft mich der Andere? Was geht mich Hekuba an? Bin ich der Hüter meines Bruders? - diese Fragen haben nur Sinn, wenn man bereits zur Voraussetzung gemacht hat, daß das Ich sich nur um sich sorgt, nur Sorge ist um sich selbst." Da es ihm um eine Art Genealogie der Moral geht und um die Frage, wo das Ethische überhaupt seinen Platz hat, beansprucht er auch nicht, eine neue Ethik zu entwerfen und hebt sich dadurch radikal vom grassierenden "Ethikbedarf" ab. "Meine Aufgabe besteht nicht darin, die Ethik zu konstruieren; ich versuche lediglich, ihren Sinn zu finden." Denn die "ethische Situation der Verantwortung läßt sich nicht von der Ethik her verstehen." (AQ 268, frz. 154). Levinas geht es daher nicht um eine Analyse moralischer Normen, sondern um den Aufweis gesellschaftlicher Ansprüche überhaupt. "Tatsächlich erscheint das Ethische hier weniger als eine Kategorie der Praxis denn als eine Bedingung der Möglichkeit, eine Voraussetzung, als ursprünglicher Horizont jeden gesellschaftlichen Lebens." Mit den Fragen, die Levinas stellt, ist auf die Ethik und ihre Verwertungsformen ein Verdacht gefallen, herkömmliche Übereinkünfte werden in Frage gestellt. Levinas sucht die Grundlagen des Ethischen in einer Form, die immer schon das Handeln bestimmt, in Ansprüchen, auf die wir zu antworten haben: einer Art "responsive[n] Ethik". Ihre Grundzüge werden in einem ersten Ansatz dargestellt.

Was Levinas weiterhin von der Ethikmode abgrenzt, ist die Präsenz der Erinnerung an die Judenvernichtung. Ein Großteil seiner Familie wurde von den Nazis ermordet. Dabei handelt es sich nicht um ein wohlfeiles Konzept zur "Authentifizierung" seiner Philosophie, die mit Hilfe dieser Erinnerung eine größere moralische Überzeugungskraft gewinnen wollte, sondern vielmehr um eine Heimsuchung, die eher indirekt und bis in den fragmentarischen Schreibstil hinein zu spüren ist. Die Stellen, an denen Levinas sich ausdrücklich dazu äußert, sollen in einem zweiten Durchgang aufgesucht werden und als movens für seine expliziter philosophischen Untersuchungen fruchtbar gemacht werden.

Die zur Suche nach dem Ort des Ethischen gehörende Aufspaltung des Ich in ein vom Anderen besessenes Sich erinnert in seiner Bewegung an manchen Stellen an Adorno. "Il conviendrait plutôt de référer l'une à l'autre cette 'emphase' et la dialectique négative d'Adorno: même volonté de rompre logiquement avec la logique pour empêcher que du résultat, de l'expérience, de l'acquis, ne se constitue en une dialectique insidieuse, même façon d'annuler, chaque fois, ce qui vient d'être dit". Diese Ähnlichkeiten in den Denkbewegungen aufzusuchen, hat Hent de Vries in umfassender Weise unternommen. Da dieses Unterfangen hier keinesfalls geleistet werden kann, soll die Judenvernichtung, die für Adorno eine ebenso eminente Rolle spielt, in einem Exkurs als Anknüpfungspunkt dienen. Denn: "Comme Adorno, et peut-être plus encore que ce dernier, il [Levinas] réfléchit à ce qu'est devenu le concept après Auschwitz et après le Goulag."


I. Zeugnis und Unendliches

Um die Philosophie Levinas' in Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht zu skizzieren, wird im folgenden in erster Linie vom mit "Die Herrlichkeit des Unendlichen" überschriebenen zweiten Teil des fünften Kapitels ausgegangen. Die umschreibende und ihren Gegenstand umkreisende Schreibweise Levinas' rechtfertigt es, ein einzelnes Kapitel zum Ausgangspunkt zu nehmen. Das Buch ist nicht argumentationslogisch aufgebaut, sondern es soll darin etwas, das in Sprache dargestellt immer schon verfälscht wird, trotzdem zur Sprache gebracht werden. Folglich muß es sich für Levinas um den Versuch handeln, in immer neuen Anläufen sich dem zu nähern, was sich zugleich beständig entzieht. Daraus resultiert ein Gestus des Herantastens und Sich-Zurückziehens, der keine terminologische Festschreibung zuläßt. Hier liegen die Schwierigkeiten begründet, mit dem Stil Levinas' und seiner Begrifflichkeit, die gerade keine Begriffe prägen will, zurecht zu kommen. Auch die Einteilung der Kapitel sowie deren Titel erleichtern eine systematisierende Lektüre nicht unbedingt. Die Überschriften bezeichnen nicht zwangsläufig die zentrale Problemstellung eines darauffolgenden Abschnittes. So fällt im Abschnitt a), überschrieben mit "Inspiration", der Begriff "Inspiration" nur einmal ("Sagen der Inspiration", AQ 311, frz. 181), wird jedoch kaum ausdrücklich behandelt, sondern an anderen Stellen ausführlicher erläutert. Im Abschnitt b) über "Inspiration und Zeugnis" taucht der Begriff "Inspiration" gar nicht und "Zeugnis" nur in einer Fußnote (AQ 315, frz. 183) auf. In den Unterkapiteln c) bis e) findet sich schon eher eine thematische Linie, die durch die jeweilige Überschrift angekündigt wird. Abschnitt c) ist mit "Aufrichtigkeit und Herrlichkeit des Unendlichen" betitelt. Der letztere Begriff wird eingehend aufgenommen, wogegen "Aufrichtigkeit" eher den Übergang vom 2. zum 3. Abschnitt anzuzeigen scheint, ohne expressis verbis in c) Thema zu sein. Diese Beispiele mögen genügen, um eine gewisse Unzugänglichkeit des Levinasschen Textes zu belegen.

Dieses Kapitel als Ausgangspunkt der Levinasschen Problematik zu wählen, erscheint dadurch gerechtfertigt, daß es zum einen am Übergang steht zwischen der Behandlung der Beziehung zum Anderen und dem Eintritt des Dritten, dem das darauffolgende Kapitel gewidmet ist. Zum anderen weist der Titel des Kapitels bereits komprimiert auf die Struktur der Beziehung zum Anderen hin. Das Unendliche bezeichnet die Seite zu der ich mich in Beziehung gesetzt sehe, die Herrlichkeit ist der Modus, wie ich darauf antworten kann und zugleich die Weise, in der es erscheint.

Diese Beziehung, in der paradoxerweise das Verantwortung tragende "Sich der Beziehung [entgeht]" (AQ 254, frz. 146), soll im folgenden skizziert werden. Dabei kann sie nicht definitorisch festgestellt, was auch der Levinasschen Intention zuwiderlaufen würde, aber erläutert werden. Levinas selbst spricht in der Inhaltsangabe davon, daß die verschiedenen Begriffe einander "Echo gäben" und ihre "Schatten und Spiegelungen aufeinander projizieren", so daß die "Klarheit der Darstellung nicht allein unter der Unbeholfenheit des Darstellenden" (AQ 59, frz. 23) leide, sondern in der Sache selbst begründet liege. Das Folgende soll diese Echoeffekte nicht vervielfachen, sondern versuchen, das Echo hörbar zu machen. Daß dabei Nuancen der Tonlage und des Ausdrucks verloren gehen, scheint unvermeidlich, ist für eine verständliche und nicht bloß paraphrasierende Darstellung jedoch notwendig.

1.1 Verantwortung und Engagement

Levinas beginnt das Unterkapitel mit dem Begriff der Verantwortung, der für das gesamte Buch zentral ist. Die ethische Verantwortung für den Anderen ist eine Aufgabe, eine Aufforderung, die an mich ergeht. Sie entspricht nicht der herkömmlichen Bestimmung von Verantwortung, die man übernehmen kann. Der freie Wille des autonomen Subjekts ist nicht der Ursprung dieser Verantwortung, "die sich durch kein vorgängiges Engagement begründet" (AQ 227, frz. 129). Denn dieses würde voraussetzen, daß ich mich für etwas verantwortlich fühle, das zu beeinflussen in meiner Macht steht. Hier ist der Ruf zur Verantwortung keineswegs die Angelegenheit eines Willens oder eines Bewußtseins, sondern konstituiert gerade die Ausrichtung oder die Position des Ich. Die Verantwortung, von der Levinas spricht, gilt für dasjenige, was sich meinem Einfluß und meiner freien Entscheidung entzieht. Ich bin schon verantwortlich, bevor ich entscheiden kann. Levinas sieht als Kernthese des ganzen Buches die Entfaltung der "Bedeutung der Subjektivität aus der außer-ordentlichen Alltäglichkeit meiner Verantwortung für die anderen Menschen" (AQ 309, frz. 179).

Diese Alltäglichkeit und damit Unabwendbarkeit der Verantwortung - unabhängig von der tatsächlichen Antwort, die ich gebe - ist durch den Anspruch des Gesichts des Anderen gegeben. Dieses Gesicht, das kein erhabenes oder abstraktes Antlitz ist, sondern gerade das alltägliche Gesicht, wie der Übersetzer vermerkt (vgl. AQ 43, Anm. l), entzieht sich mir. Es ist nicht meinem Zugriff unterworfen, sondern ist radikal anders bzw. Ausdruck einer radikalen Andersheit. Der radikalen Andersheit entspricht auf meiner Seite eine ebenso unabweisbare radikale Verantwortung. Sie ist Passivität, was sie vom Engagement unterscheidet, die immer eine Aktivität bleibt und sei es eine für den Anderen. Bei Levinas hat die Verantwortung die asymmetrische Form des "der-Eine-für-den-Anderen bis hin zum der-Eine-Geisel-des-Anderen" (AQ 309, frz. 179).

Dieser Wesenszug der Beziehung zum Anderen als "Geisel" markiert die Unabweisbarkeit des Anspruchs; das verantwortungtragende, oder besser ertragende oder erleidende Ich ist unersetzbar. Vor dem Anderen bin ich einzig und allein. Niemand kann meine Last übernehmen, ich kann sie weder abtreten, noch von einer Reziprozität ausgehen, d.h. den Umkehrschluß vollziehen, auch der Andere müsse für mich Verantwortung tragen. Die Sonderstellung des Einen wird hervorgehoben. Er hat die Seinsweise der Geisel nicht erwählt, hat sich in diesem Sinne nicht "engagiert". "Kantische Begriffe abwandelnd könnte man sagen: Verantwortung ist nicht die Fähigkeit, bei sich selbst anzufangen, sondern die Unausweichlichkeit, mit der wir beim Anderen anfangen."

Diese Verantwortungsbeziehung ist identisch gegenüber allen möglichen Anderen. Das Ich ist die Geisel aller Anderen und muß für sie einstehen, unabhängig davon, wer oder was diese Anderen sind oder wie sie sich verhalten. Vielleicht könnte man diese Beziehung des Einen-für-den-Anderen auch als "ich-für-den-Rest-der-Welt" bezeichnen. Die Last der "Geiselschaft" ist aber keine Last im Sinne des Existenzialismus, sondern die Grundbedingung der Subjektivität (vgl. AQ 248, frz. 143).

Die Geisel des Anderen läßt sich nicht mit dem Anderen versöhnen oder unter einen gemeinsamen Begriff bringen. Diese in ihrer Gebrochenheit fast schon nicht mehr Beziehung zu nennende Beziehung besteht in der Differenz. Diese ursprüngliche Differenz läßt sich nicht auf eine Symmetrie oder Einheit zurückführen, der sie entspränge. Das immer schon in die Verantwortung gestellte Subjekt wird allererst durch diese konstituiert. Sie macht seine Subjektivität aus. Das Erleiden der Geiselschaft, die Unabschließbarkeit der Verfolgung könnten eine Affirmation der Gewalt, die ich erleide, bedeuten, "weil sie [die Verfolgung, T.B.] das 'Subjekt' bricht." Doch gibt es eine Grenze der Subjektkritik und eine minimale Differenz zwischen mir und dem Anderen, zum einen diese unendliche Verantwortung immer noch eine ist, die mir auferlegt ist, und zum anderen die Geiselschaft nur für mich gilt. Sobald es um einen Anderen geht, ist er wieder ein Anderer, für den ich verantwortlich bin, dessen Verfolgung ich somit auch auf mich nehmen muß und nicht akzeptieren kann. Um diese Verantwortung auf mich zu nehmen, muß ein Rest an Tragfähigkeit des Subjekts bleiben. So "öffnen sich die Welt und der Bezug zum Anderen nur, wenn das 'Subjekt' dort nicht gebrochen wird."

Die Subjektivität besteht folglich in dieser Differenz zum Anderen, ist niemals nur ein Selbes, kein "Ein-und-dasselbe", nicht identisch. Einer und Anderer können nicht durch eine Struktur - und sei es eine dialektische - wieder vereint werden: dieser Bruch, diese Asymmetrie kennzeichnen die Subjektivität. Denn ich bin Stellvertreter des Anderen und trotzdem nicht von ihm zu ersetzen (vgl. AQ 280, frz. 162). Somit gibt es keine substantielle Identität des Subjekts, keine in sich ruhende Identität, sondern sie ist beunruhigt (vgl. AQ 312, frz. 181). Es gibt nur die Spaltung des Subjekts, das vor aller Subjektivität schon in Anspruch genommen und nie ganz bei sich selbst ist. Ursprünglicher als die konstituierte Identität ist die Verantwortung, die Geiselschaft. Die Identität wird vom Anderen konstituiert, das Subjekt ist zunächst ein Angeklagter, kein Ich, sondern ein "mich".

"Durch diese Alteration beseelt die Seele das Subjekt. Sie ist das eigentliche Pneuma der Psyche. Der Psychismus bedeutet die Beanspruchung des Selben durch den Anderen oder die Inspiration, jenseits der Logik von Selbem und Anderem und ihrer unüberwindbaren Gegnerschaft. Auflösung des substantiellen Kerns, den das Ich im Selben bildet, Spaltung des 'mysteriösen' Kerns der 'Innerlichkeit' des Subjekts durch diese Vorladung zur Antwort, durch diese Vorladung, die keinen Zufluchtsort läßt, keine Gelegenheit, sich davonzustehlen, und die so gegen den Willen des Ich erfolgt oder genauer: wider meinen Willen; ganz das Gegenteil der Sinnlosigkeit, Alteration ohne Entfremdung oder: Erwählung. In der Verantwortung wird das Subjekt im Innersten seiner Identität sich fremd - in einer Entfremdung, die nicht aus dem Selben seine Identität auslaufen läßt, sondern die ihn durch eine unabweisbare Vorladung zu seiner Identität zwingt - es wird zu seiner Identität gezwungen als Person, worin niemand es ersetzen kann. Einzigkeit, außerbegrifflich, Psychismus als Keim des Wahnsinns, Psychismus schon als Psychose, nicht ein Ich, sondern ich, der Vorgeladene. Vorladung zur Identität wegen der Antwort der Verantwortung, in der man sich nicht ersetzen lassen kann, ohne schuldig zu werden." (AQ 310f., frz. 180).

Ein Teil des letzten Halbsatzes dieser dichten Passage scheint von besonderer Bedeutung: "nicht ein Ich [un Moi], sondern ich [moi]." Das Weglassen des Artikels und die Kleinschreibung zeigen die Bedeutungsverschiebung. Es geht nicht um die Subjektivität der Person als solcher, nicht um ein philosophisches Ich oder um die Bedingungen der Möglichkeit seiner Identität, sondern um mich als Individuum in meiner Singularität. Nur darüber sind Aussagen möglich, über andere solche zu versuchen, käme einer Objektivation gleich. Denn traditionell wird jedem Subjekt gleichermaßen ein gewisser Grad an Autonomie und Handlungsfreiheit zugeschrieben, der unter den Individuen nicht variiert. Autonomie ist aber gerade der Geisel des Anderen nicht eigen. Ein solcher Subjektbegriff verhindert die Identität des Ich mit dem Anderen oder auch nur den Analogieschluß von mir auf den Anderen. Wenn es noch möglich war, zu fragen, ob andere auch nach den Bedingungen eines "Ichs" verfaßt sind, so ist es doch unmöglich, zu fragen, ob sie "ich" sind. Denn es ist eine triviale Feststellung, daß nur ich ich sein kann - im Levinasschen Sinne.

Das Subjekt als Singularität, vom Anderen konstituiert bzw. von der Differenz zu ihm, verfügt nicht über die "Spontaneität" (AQ 309, frz. 179) des freien Subjekts. Die Subjektivität ist Stellvertretung, schon "vor der Unterscheidung von Freiheit und Unfreiheit" (AQ 319, frz. 185). Sie wird weder als Opfer verstanden, das noch einen Willen des Sich-Hingebens voraussetzt, noch als Mitleid, "so daß die Verantwortung für die Anderen unter keinen Umständen bedeuten kann: Wille zum Altruismus, Antrieb aus 'natürlichem Wohlwollen' oder Liebe." (AQ 247, frz. 142). Das liegt daran, daß hier zwei verschiedene Ebenen vorliegen. Denn: "Der Egoismus und der Altruismus sind später als die Verantwortung, die beide erst ermöglicht" (AQ 273 Fußn. 27, frz. 157, Fußn. 1). Sie ist weder selbstgewählt noch selbstgeschaffen, sondern Erwählung (vgl. AQ 318, frz. 185), eine Subjektivität des 'mich', des Akkusativs als Anklagefall.

Die Verantwortung ist derart bedeutsam für die Konstitution des Subjekts, daß Levinas sagen kann: "Das Wort ich bedeutet: hier, sieh mich, verantwortlich für alles und alle." (AQ 253, frz. 145). Die Verantwortung unterscheidet noch nicht zwischen dem für-wen oder für-was. Sie gilt sogar noch für die Möglichkeiten des Anderen, für seine Verantwortung (vgl. AQ 260, frz. 150) und sogar für meine Verfolger. Da ich immer mehr Verantwortung trage als der Andere, ist die Verantwortung unendlich. Diese Struktur belegt Levinas auch mit den Aussagen der Thora über die jüdische Gemeinschaft.

"Moi, j'ai toujours une responsabilité de plus qu'autrui, car de sa responsabilité je suis encore responsable. Et s'il est responsable de ma responsabilité, je suis encore responsable de la responsabilité qu'il a de ma responsabilité: en ladavar sof, 'cela ne finira jamais'. [...] C'est un idéal, mais un idéal que suppose l'humanité de l'humain."

1.2 Passivität und Inspiration

Ein so verstandenes Subjekt verfügt über kein ungebundenes Aktionspotential, sonder ist von einer ursprünglichen, bzw. vorursprünglichen Passivität bestimmt, bevor es als Subjekt vom Anderen konstituiert wird. Sie ist gleichsam die Bedingung des Subjekts, noch bevor es zur Verantwortung gerufen wird, sie liegt außerhalb seiner Reichweite. Diese "Auslieferungspassivität" (AQ 313, frz. 182) gilt dem Anderen, ohne sich als ein "Wesenszug" des Ich festzusetzen. Sie muß so gedacht werden, daß man sie nicht wiederum als den Akt eines freien Wesens verstehen kann, eben ein "Diesseits der Alternative Akt-Passivität" (AQ 259, frz. 149), eine "Passivität passiver als alle Passivität". "Diese Passivität der Passivität, diese dem Anderen geltende Übereignung, diese Aufrichtigkeit, ist das Sagen." (AQ 313, frz. 182).

Die "Passivität der Verfolgung" (AQ 245, frz. 141) ist keine Wesensbestimmung, nichts, womit das Subjekt "etwas anfangen" könnte. Es kann nicht darauf bauen; noch nicht einmal auf die Passivität. "Passivität der Auslieferung unter dem Angstdruck der Belagerung, Auslieferungspassivität, in der diese Auslieferung selbst dem Anderen ausgeliefert wird, bevor sie sich festsetzt, sich einrichtet [...]." (AQ 313, frz. 182).

Aus dieser uneinholbaren Passivität entspringt die Unruhe der Subjektivität, die Unmöglichkeit sich niederzulassen, sich auszuruhen. Die Subjektivität kann sich nicht in einem seiner selbst gewissen Bewußtsein niederlassen. Die Verantwortung ist, wie Levinas sagt, die "Unfähigkeit zu schweigen", oder auch ein "Skandal der Aufrichtigkeit" (AQ 314, frz. 182). Aufrichtigkeit ist die Form, die die Verantwortung im Sagen annimmt. Sie ist keine Art und Weise des Sagens, nichts, was dem Sagen hinzukommt, sondern durch das Sagen wird die Aufrichtigkeit erreicht, die dem Gesagten nicht eignet. Gesagtes ist niemals so aufrichtig wie das Sagen und es kann niemals überhaupt aufrichtig sein, da es immer schon verrät und unter Begriffe bringt, was darunter nicht fällt. Folglich ist für Levinas Aufrichtigkeit "Sagen ohne Gesagtes, ein Sprechen, um nichts zu sagen" (AQ 315, frz. 183). "Damit macht er sich jedoch nicht zum Advokaten einer Sprechweise, sondern er entdeckt in der Alltagssprache eine Bedeutung, die die Philosophen nicht darin vermutet haben".

Die Aufrichtigkeit verweist auf die Spaltung des Ich, auf die gebrochene Subjektivität, da sie sich auf nichts Ontisches zurückführen läßt. Deswegen tut sich Levinas auch schwer damit, Beispiele für Aufrichtigkeit anzuführen. Der Gruß ist ein Beispiel, das zumindest in die richtige Richtung weist. Es geht ihm nicht um den Gruß, der ein Gespräch einleitet, sondern um den Gruß "gratuit", der schlicht einem vielleicht Unbekannten im Vorübergehen zugeworfen wird, ohne etwas zu beabsichtigen und ohne auf Antwort zu hoffen. Doch das Sagen, die Aufrichtigkeit, erschöpft sich nicht im Gruß. Dieser Gruß "als reiner Vokativ" (AQ 315, frz. 183) läßt das Ereignis des Sagens wenigstens erahnen.

Die Bürde der dem Subjekt auferlegten Verantwortung drängt es, inspiriert es zum Sagen, zum Zeugnis für das Unendliche. Inspiration ist somit ein Begriff, der Ähnliches zu sagen versucht, wie der der Passivität, nur liegt hierbei die Betonung auf der Erfahrung des Subjekts. Inspiration ist die "Disproportion zwischen der Herrlichkeit und der Gegenwart" (AQ 322, frz. 187), die Erfahrung der Differenz zwischen dem Anderen und mir, der Zwiespalt zwischen meiner Passivität und dem Unendlichen. Sie wird in einem wörtlichen Sinn verstanden, als eine von anderswo kommende Eingebung, als eine Anregung, die mich zur Verantwortung bewegt und in Bewegung versetzt.

Die Verantwortung ist mir durch den Anderen inspiriert (vgl. AQ 317, frz.184). Sein Gesicht, sein Anruf sind für mich Inspiration, nicht, die Verantwortung wahrzunehmen, was ein Akt des autonomen Subjekts wäre, sondern auf sie zu antworten und dadurch einem Gebot zu folgen, das ich durch seine Befolgung erst vernehme. Levinas beschreibt Inspiration als "Urheber dessen sein, was mir, ohne daß ich es wußte, eingeflüstert worden ist - das empfangen haben, ohne zu wissen woher, dessen Urheber ich bin. In der Verantwortung für den Anderen befinden wir uns mitten in dieser Ambiguität der Inspiration." (AQ 326, frz. 189).

1.3 Herrlichkeit und Zeugnis

Die Herrlichkeit ist bestimmt als die Herrlichkeit des Unendlichen. Sie kann nicht erscheinen, nie präsent sein oder erinnert werden. Sie "kommt aus einer Vergangenheit, die niemals gegenwärtig gewesen ist" (AQ 316, frz. 184), die "sich nicht erinnern läßt" (AQ 237, frz. 136). Wäre dem nicht so, könnte sie begriffen und bewältigt werden, wäre dann aber nicht mehr Herrlichkeit des Unendlichen. Dies aber ist gerade die Struktur, die auch der Subjektivität oder der Passivität eigen ist. "Die Herrlichkeit des Unendlichen ist die an-archische Identität des Subjekts" (AQ 317, frz. 184). Wenn meine Subjektivität durch "den Anderen in mir" gekennzeichnet ist, so ist auch das Unendliche, als radikal Anderes für meine Identität bestimmend. Herrlichkeit ist nach Levinas die Auslieferung des Subjekts und somit nur "die andere Seite der Passivität des Subjekts" (AQ 317, frz. 184).

Was aber diese "andere Seite" bedeutet, wird nicht recht klar. Ist dies eine Opposition oder nur die Kehrseite der Medaille? Vielmehr scheint es das Ergebnis eines Perspektivenwechsels zu sein. Je nachdem, ob man vom Aspekt des Subjekts oder dem des Unendlichen ausgeht, wird die Passivität als Herrlichkeit beschrieben oder umgekehrt. Folglich ist die Verantwortung des Subjekts - als Antwort auf die Passivität - eine Form der Verherrlichung des Unendlichen. Auch dieser Begriff läßt sich wieder aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

Eine dieser Perspektiven legt die Betonung auf das Zeugnis, das ein Verweis auf das Unendliche oder ein Hinweis auf es ist; in jedem Fall Reaktion, jedoch Reaktion, dem keine Aktion vorausgegangen ist. Die Reaktion vollzieht sich nicht bewußt, sondern ist die "Art und Weise, in der das Unendliche in seiner Herrlichkeit das Endliche übersteigt [passe] oder die Art und Weise, in der es sich vollzieht [se passe]" (AQ 323, frz. 187). Das Unendliche ist demnach nichts, was sich unabhängig vom Zeugnis beschreiben ließe (das hieße, es im Gesagten einzufangen), sondern das sich nur im Zeugnis ereignet. Das Zeugnis kann das, was es bezeugt, nicht darstellen oder offenlegen; es ist "die Ausnahme von der Regel des Seins" (AQ 321, frz. 186), eben "au-delà de l'essence".

"'Hier, sieh mich' als Zeugnis des Unendlichen, doch als Zeugnis, welches das, was es bezeugt, nicht thematisiert und dessen Wahrheit nicht Wahrheit der Vorstellung, nicht Evidenz ist. Zeugnis - diese einzigartige Struktur, Ausnahme von der Regel des Seins, irreduzibel auf die Vorstellung - Zeugnis gibt es nur vom Unendlichen. Das Unendliche erscheint demjenigen nicht, der es bezeugt. Im Gegenteil, das Zeugnis gehört zur Herrlichkeit des Unendlichen. Durch die Stimme des Zeugen wird die Herrlichkeit des Unendlichen verherrlicht." (AQ 321, frz. 186).

In einem solchen Abschnitt erstaunt zunächst die Verknüpfung der Begriffe. In der Folge des Abschnittes werden noch unter anderem die Begriffe "Anderer", "Selber", "Inspiration", "Subjekt", "Geisel" und "Stellvertretung" zu der Konstellation hinzugefügt. Der Sinn wird erst deutlich, wenn man von der Vorstellung Abschied nimmt, die Begriffe verfügten über eine scharf voneinander geschiedene Bedeutung in einem umfassenden geschlossenen Begriffssystem. Vielmehr entsteht durch die Umkreisung dessen, was zu sagen ist, aber nie Gesagtes sein kann, ein Bild, das nie vollständig, deutlich oder definiert sein, aber doch ein Verweis auf das Zu-Sagende, eine Spur, in jedem Fall ein Zeugnis sein kann.

In der Tradition spielt der Zeuge oder das Zeugnis nur eine untergeordnete Rolle. So wird die Zeugenschaft etwa in Platons Theätet nur in einer kleinen Szene erwähnt. Sokrates und Theätet diskutieren dort die These, ob wahre Meinung Wissen sei. Sokrates widerlegt dies mit dem Hinweis auf Gerichtsredner, die ausschließlich durch Überredung und unter Beibringung von Zeugen zu ihrem Ziel gelangen. Die Zeugenschaft eines Verbrechens beispielsweise dient hier als Beleg für eine Meinung, wird aber nicht als hinreichend für Wissen angesehen. Zwar kann der Richter aufgrund der Zeugenaussage zum richtigen Urteilsspruch finden, doch wird die Qualität des Zeugnisses gegenüber dem Wissen geringer bewertet.

Bei Levinas hat das Zeugnis, wie schnell deutlich wird, eine ganz andere, herausragende Bedeutung. Einerseits ist die Erkenntnis keine Alternative zum Zeugnis, da es kein Wissen vom Unendlichen geben kann, und zum anderen ist das Zeugnis nicht die sekundäre, sondern die ausschließliche Form, in der es zur Sprache kommen kann. Nur vom Unendlichen gibt es Zeugnis, in der Form des Sich-zur-Verfügung-Stellens, ohne zu wissen, wem und wofür, ohne die Präsenz des Unendlichen vorauszusetzen, da es Zeichen für den Anderen ist. "Das Bezeugen ist primär ein Sagen ohne noematisches Korrelat." Es besteht nur in der Hinwendung zum Anderen, ist mehr Bewegung als Gesagtes. Das Zeugnis ist keine Verfallsform der Erkenntnis des Unendlichen, sondern ein Teil der Herrlichkeit des Unendlichen selbst. Es "ist kein 'psychologisches Wunder', es ist die Modalität, in der das an-archisch Unendliche seinen Anfang übersteigt." (AQ 322f., frz. 187).

Zeugnis ist Sagen ohne Gesagtes. Aber auch diese Bestimmung führt nur wieder zum Ausgangspunkt zurück, da Levinas schreibt: "Solches Sagen gehört aber genau zu der Herrlichkeit, für die es Zeugnis ablegt." (AQ 328, frz. 191). Denn dieses Sagen ist Teil der Herrlichkeit, die es verherrlicht. Sagen läßt sich nicht auf Gesagtes reduzieren, ist ihm vorgängig, noch bevor Sprache Kommunikation und Klassifikation dient (vgl. AQ 264f., frz. 152f.). Das Gesagte ist, sprachtheoretisch gesprochen, der Aussagegehalt, das énoncé, das Sagen der Aussagevorgang, die énonciation. Allerdings reduziert sich die Levinassche Unterscheidung nicht auf Sprachstrukturen, da das Sagen mehr beinhaltet als das Gesagte. Daher "geht die Bedeutung des Sagens über das Gesagte hinaus" (AQ 95, frz. 48). Im Gegensatz zum Gesagten, dessen Aufgabe die Bezeichnung und Festschreibung ist, identifiziert das Sagen nicht. Es besteht im Ereignis, im Moment, in dem etwas gesagt wird. Jedoch ist das Sagen nicht bloß der Vorgang, der dem Gesagten korreliert (vgl. AQ 105, frz. 55). Er wird vielmehr unvermeidlich in Gesagtes verwandelt und wohnt diesem noch als Spur inne. Für ein Denken, das sich nicht mit dem Identifizierten zufrieden geben will, geht es darum, diese Spuren immer wieder aufzuweisen im Wissen, daß es wieder eingefangen wird. Insofern kann Levinas das Sagen als vorursprüngliches movens von Handlung verstehen. "Die Verantwortung für den Anderen - ist genau ein solches Sagen vor allem Gesagten." (AQ 107, frz. 56).

Als Akt des Sich-Öffnens ist das Sagen mit dem Zeugnis verwandt, vielleicht sogar dasselbe. Doch auch dem Gesagten haftet noch eine Spur der Aufrichtigkeit des Sagens an. Die Philosophie ist aufgerufen, den Verrat des Gesagten am Sagen zu reduzieren und so Spuren der Transzendenz im Sinne des Überschusses aufzuweisen. Das Zeugnis als Sagen ist vergleichbar mit dem paradoxen Gebot, "das durch den Mund dessen zur Sprache kommt, dem es gebietet" (AQ 322, frz. 187). Es handelt sich nicht um ein Glaubensbekenntnis an einen Gott, der anzurufen oder anzubeten wäre, sondern wenn ich mich durch das Zeugnis des "hier bin ich" dem Anderen zur Verfügung stelle, kennzeichnet mich dies als jemanden, der den Anruf des Unendlichen vernommen hat. Dieses Vernehmen des Anrufs, das erst im Antworten darauf (dem Zeugnis) als solches verstanden werden kann, hat auch Lyotard im Auge, wenn er an die Verkündung der Zehn Gebote erinnert. Das erste Gebot beginnt im Hebräischen mit dem Buchstaben A (Aleph). Dieser ist jedoch nur der Laut des kaum hörbaren Stimmeinsatzes. "Etwas wurde nicht etwa gesagt, sondern angekündigt, und mir scheint, daß das Aleph ankündigend ist, nämlich Atem des Anfangs, den man nicht hört. In gewisser Weise hat das Volk nichts gehört, außer daß etwas angekündigt worden ist." Das Zeugnis besteht nun gerade darin, auf dieses Unhörbare zu antworten und ihm so erst Stimme zu verleihen. Zum wiederholten Male kommt hier das Phänomen der Nachträglichkeit zum Tragen "dans ce paradoxe d'une réponse sans question, ou plutôt d'une réponse dont le déphasage 'originaire' ne suscite, pour ainsi dire, la question qu'après coup."

Das Zeugnis, als Sich-zur-Verfügung-Stellen im Hier-bin-ich, ist ein Ereignis, das seinen Grund nicht hinter sich hat, sondern in sich trägt und gerade dadurch als Unendliches sich ereignet. Dieses "Irgendwoher-Kommen" des Gebots bezeichnet Levinas in diesem Zusammenhang als Illeität. Das lateinische Pronomen ille (er) aufnehmend kennzeichnet Levinas damit das "Er ist vorübergegangen" des jüdischen Gottes, ein immer schon vergangenes Erscheinen. Bezogen auf das Gebot bedeutet das, daß es bereits vorübergegangen, immer schon gesprochen ist, wie dieses Aleph, das die Interpretation nie einfangen kann.

Das Zur-Sprache-Kommen, das Ausgedrückt-Werden, bezeichnet Levinas mit dem biblischen "me voici" (hebr. ), das mit Hilfe der französischen Etymologie (als Zusammensetzung aus dem Imperativ "vois" und dem Zeigwort "ici") als "hier, sieh mich" übersetzt wird. Levinas' Anliegen wird dadurch gut illustriert. Ist es doch zum einen die Antwort auf einen vernommenen Anruf, zum anderen steht das Ich im Akkusativ, dem Anklagefall: sieh' mich (vgl. AQ 244f., frz. 140f.). Es ist dies das Sich-zur-Verfügung-Stellen, eine Antwort ohne Inhalt als den des Antwortens. Es stellt sich nur in die Verantwortung, ohne sie zu bestimmen, einzugrenzen oder normativ festzuklopfen, was ihr sofort wieder den unbedingten Anspruch aberkennen würde. "Hier, sieh' mich" ist Zeugnis des Unendlichen als Antwort auf das Gebot, das nicht ausgesprochen wird.

"Der Zeuge legt von dem Zeugnis ab, was sich durch ihn gesagt hat. Denn er hat dem Anderen [autrui] gesagt 'Hier, sieh' mich!', und weil er angesichts des Anderen die Verantwortlichkeit anerkennt, die ihm obliegt, hat er in diesem Ereignis dem Ausdruck verliehen, was das Angesicht des Anderen für ihn bedeutet hat. Die Herrlichkeit des Unendlichen offenbart sich durch das, was sie beim Zeugen auszulösen vermag."

1.4 Unendliches

Das Unendliche kam bereits mehrfach als das Sich-Entziehende vor, ohne daß es schon näher bestimmt wäre. Das Unendliche wird im vorgestellten Abschnitt von Levinas jedoch nie ausdrücklich beschrieben, sondern immer nur in bezug auf andere Begriffe. Das dem nicht anders sein kann, dürfte aus dem Vorangegangenen ersichtlich sein. Es liegt daran, daß es nicht erfahrbar, sondern nur bezeugbar ist. Allein durch die Subjektivität, durch das Zeugnis, kommt es zur Herrlichkeit (vgl. AQ 324, frz. 188), ereignet es sich.

"Das Unendliche hat also Herrlichkeit allein durch die Subjektivität, durch das menschliche Abenteuer der Annäherung an den Anderen, durch die Stellvertretung, durch die Sühne für den Anderen. Vom Unendlichen inspiriertes Subjekt, vom Unendlichen, das als Illeität nicht erscheint, nicht gegenwärtig ist, das immer schon 'passiert' ist, weder Thema noch Telos noch Gesprächspartner. Es verherrlicht sich in der Herrlichkeit, durch die ein Subjekt manifest wird, um sich bereits in der durch das Subjekt vollzogenen Verherrlichung seiner Herrlichkeit zu verherrlichen - und es vereitelt so alle Strukturen einer Korrelation." (AQ 324, frz. 188).

Das Unendliche ist der Erkenntnis nicht zugänglich, weil es sich den Strukturen von Erkennendem und Erkanntem entzieht. Wie ein "Hintergedanke, der zu erhaben ist, um sich in den Vordergrund zu drängen" (AQ 327, frz. 190), bleibt es verborgen ohne sich entbergen zu können. Im Aufsatz "Die Spur des Anderen" beschreibt Levinas das Unendliche direkt im Zusammenhang mit der Verantwortung. Das Unendliche ist die Unbegrenztheit der Verantwortung für den Anderen. Sie ist nicht intentional zu fassen, sie verschärft sich, je mehr sie erfüllt wird. Insofern sie sich dem Begriff und der Bestimmung immer weiter entzieht, je mehr das Subjekt sich darauf einläßt, ist sie das Unendliche. An anderer Stelle beschreibt Levinas das Unendliche als "das radikal, das absolut Andere". Das Unendliche wäre also nicht die Unendlichkeit, nicht der Unendliche, ein personaler Gott, der eine ewige Ordnung dominiert, sondern der mir erscheinende Andere, auf den zu antworten ist. Im ethischen Widerstand, in der Beziehung zum Anderen ereignet sich das Unendliche. Levinas nimmt hier philosophisch Traditionslinien des jüdischen Denkens auf, was in seinen Talmud-Lektüren noch deutlicher wird als in Jenseits des Seins. "Die Tendenz der talmudischen Geschichte, Gottes Wirken unter den Menschen gerade in seiner Abwesenheit deutlich werden zu lassen, wird bei Levinas aufgenommen und radikalisiert." Denn erst "dort, wo das menschliche Antlitz als Spur und Gott als ungewisser, aber stets präsenter Verweisungszusammenhang angesehen wird, ist das Bilderverbot zu Ende gebracht."

Es ist ein Überschuß, der bereits dem Denken innewohnt und doch nicht auf das Gedachte reduzibel ist. "Die Idee des Unendlichen ist ein Denken, das in jedem Augenblick mehr denkt, als es denkt." Das Unendliche kann sich somit nie selbst, sondern ausschließlich in der Antwort und im Sagen zeigen, um sogleich wieder zu verschwinden, wenn man sich seiner bemächtigen will. Ginge es eine feste Beziehung zu dem es verherrlichenden Subjekt ein, verlöre es seine Herrlichkeit.

"Die Transzendenz ist es sich schuldig, ihre eigene Bekundung zu unterbrechen. Ihre Stimme muß verstummen, sobald man ihre Botschaft hört. Ihr Anspruch muß sich dem Spott und der Ablehnung aussetzen lassen, bis dahin, daß das bezeugende 'hier, sieh mich' in den Verdacht gerät, der Schrei oder Lapsus einer kranken Subjektivität zu sein." (AQ 333, frz. 194).

Das Zeugnis für das Unendliche muß unter diesen Bedingungen den "Preis der Uneindeutigkeit" zahlen, wie Levinas in einer Fußnote sagt (AQ 314 Fußn. 7, frz. 182 Fußn. 2). Doch gleichzeitig braucht die Transzendenz "die Ambiguität: als Blinkzeichen des Sinns." (AQ 334, frz. 194).

1.5 Perspektivenwechsel

Die Vielfalt der Perspektiven, die im Levinasschen Werk aufgeworfen werden, lassen sich nicht unter einen Gesichtspunkt bringen. Sie sind miteinander verwoben und aufeinander bezogen, mehrfach und widersprüchlich. Mit einem Organigramm ist ihnen nicht beizukommen. Dennoch könnte man einen Versuch machen, die angesprochenen Aspekte in Kürze in eine Beziehung zu bringen. So könnte man die oben umschriebenen Begriffe folgendermaßen zusammenfassen:

Aufgrund der vorursprünglichen Passivität, die der Subjektivität vorausgeht, werde ich zur Verantwortung für den Anderen inspiriert, die umso stärker wird, je mehr ich sie annehme, bis hin zur Geiselschaft. Durch diese Verantwortung, die in der Aufrichtigkeit des Sagens, im Zeugnis geschieht, wird das Unendliche verherrlicht, oder anders, ereignet es sich.

Andere Beziehungen ließen sich rechtfertigen, so daß man sich manchmal des Eindrucks sich nicht erwehren kann, viele Begriffe meinten Ähnliches, wenn nicht dasselbe. Da es aber in der Natur der Sache liegt, daß es keine Begriffe geben kann, die ein für allemal das Unendliche beim Namen nennen und auf den Begriff bringen und somit "Erste Begriffe" wären, muß man davon ausgehen, daß sie Versuche sind, aus unterschiedlicher Perspektive sich ihm anzunähern. Man könnte hier von Perspektivität im Sinne Nietzsches sprechen. Die Gesichtspunkte schließen einander nicht aus, noch ergänzen sie sich zu einem Ganzen. Eine dieser Perspektiven ist von den Begriffen "Verantwortung, Geisel, Subjektivität, Passivität, Aufrichtigkeit, Inspiration, Zeugnis, Sagen" gekennzeichnet, eine andere von "Herrlichkeit, Anderer, Gebot, Unendliches, Transzendenz". Erstere nimmt den Ausgangpunkt beim dezentrierten Ich, letztere beim Anderen. Zwischen beiden besteht eine unauflösliche Verbindung, insofern als ich meine Subjektivität niemals ohne Bezug zu den Begriffen der zweiten Gruppe denken kann, und das Unendliche seinerseits nur in Begriffen der ersten Gruppe sich ereignet. Die Verknüpfungen der Begriffe in der einen oder anderen Perspektive sind jedoch keine systematischen oder vereinheitlichenden, da zwischen allen Versuchen, sich dem bei mir beginnenden Anderen zu nähern, zahlreiche zu differenzierende Beziehungen bestehen. Das liegt auch an der Begriffsentwicklung, die sich im Schreiben Levinas' selbst vollzieht, insofern ontologische, religiöse und juristische Begriffe nicht einfach übernommen, sondern überdeterminiert werden und so einen neuen Sinngehalt bekommen.


II. Verfolgung und Geschichte

Viele Textpassagen in Jenseits des Seins drücken bis zum Übermaß Leiblichkeit und Leiden aus. Es ist von Verfolgung, Geisel, Hunger, Trauma und Schmerzen die Rede und man hätte sicher Unrecht, wenn man diese Ausdrücke als Metaphern oder philosophische Koketterie ansähe. Vielmehr muß die Leiblichkeit und deren Ausdruck im Text als das eigentliche movens ernst genommen werden.

Das Buch eröffnet mit einer französischen Widmung an die ermordeten Juden sowie einer hebräischen, in der Levinas an ermordete Familienmitglieder erinnert. Elisabeth Weber hat versucht, diese Widmung, die im ganzen Buch nicht mehr erwähnt wird und worauf explizit kein Bezug mehr genommen wird, ernstzunehmen und das Buch daraufhin zu lesen. Das gebrochene Denken wird als eine Antwort auf Auschwitz verstanden, selbst wenn es nicht ausdrücklich zur Sprache kommt.

Diese Lektüre kann hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden, aber doch sollen Stellen anderer Texte Levinas' aufgezeigt werden, in denen Verfolgung stärker noch die leibliche Verfolgung und vor allem die Judenverfolgung meint. Daß eine gelehrte Aneinanderreihung von Textbelegen dem Schrecken der Vernichtung nicht angemessen ist, ist unbestreitbar das Manko eines jeden solchen Unterfangens. Doch ist Blanchot zuzustimmen, wenn er den Impetus des Levinasschen Denkens wie folgt auf den Punkt bringt:

"Comment philosopher, comment écrire dans le souvenir d'Auschwitz, de ceux qui nous ont dit, parfois en des notes enterrées prés des crématoires: sachez ce qui s'est passé, n'oubliez pas et en même temps jamais vous ne saurez. C'est cette pensée qui traverse, porte, toute la philosophie de Lévinas et qu'il nous propose sans la dire, au-delà et avant toute obligation."

2.1 Bruch in der Zivilisation

Bereits 1934 schreibt Levinas 28jährig einen Artikel über die soeben an die Macht gewählten Nazis, bzw. darüber, was er als deren zivilisationsgeschichtlichen Hintergrund ansieht. Rar sind die theoretischen Beschäftigungen von Philosophen mit der diesem Regime zugrundeliegenden Ideologie zu der Zeit. Dieser Befund wird noch frappierender, wenn man sich Heideggers Rektoratsrede aus dem Vorjahr vor Augen hält. Bereits hier noch vor dem Horror der Judenvernichtung spricht Levinas davon, daß "la philosophie des hitlériens [...] met en question les principes mêmes d'une civilisation." In Frage stünde, was die Geschichte der folgenden Jahre bis zum Ende beweisen wird, nicht das parlamentarische System oder lediglich ein austauschbares politisches Konzept, sondern "l'humanité même de l'homme". Oder wie Levinas an anderer Stelle sagt: "L'abîme d'Auschwitz ou le monde en guerre. Monde qui a perdu sa mondanité même."

Auschwitz ist für Levinas der Kulminationspunkt der europäischen Zivilisation. Er schreibt keine Verfallsgeschichte, wie Adorno und Horkheimer das in der Dialektik der Aufklärung tun, doch sieht er ähnliche Wurzeln für die Katastrophe. Nicht die Hegemonie der instrumentellen Vernunft, sondern die des griechischen Denkens über das jüdische ist eine der Wurzeln für den Antisemitismus, der zu Auschwitz führte. Die Grundscheidung bzw. die zwei Wurzeln der europäischen Geschichte liegen aber gerade im griechischen und jüdischen Denken. Das griechische oder besser gesagt, eine bestimmte Traditionslinie griechischen Denkens, ist jenes, das die Begriffe erfunden hat und die Phänomene diesen unterwirft und beständig eine "Reduktion des Anderen auf das Selbe" praktiziert. Ein Denken, das mit dem Telos der begrifflichen Erschließung der Welt auftritt, kann das Andere nicht als das ganz Andere betrachten. Es wird sich bemühen, für das Andere Formen der Aneignung zu finden. Das jüdische Denken dagegen ist sich einer konstitutiven Unabgeschlossenheit, einem Bewußtsein eines Vergessenen, das nicht einholbar ist, bewußt, ohne diese offenen Stellen füllen zu wollen. Lyotard charakterisiert diesen Zug jüdischen Denkens wie folgt: "Ein Vergessenes, das nicht dem Vergessen einer Wirklichkeit geschuldet ist, denn nichts wurde je erinnert, und das man nur als ein 'vor' allem Eingedenken und allem Vergessen Vergessenes zurückrufen kann, und auch indem man es wiederholt."

Das Leiden in Auschwitz dagegen ist sinnloses nicht begreifbares, in Begriffen nicht faßbares Leiden, das jeder Sinnsuche philosophischer und erst recht griechischer Tradition spottet. Daher resultiert der Schrecken, den Auschwitz dem griechisch-abendländischen Denken versetzt, das das "Vergessen des Vergessenen" praktiziert.

"Daß unter all diesen Ereignissen uns der Holocaust am jüdischen Volk unter Hitlers Herrschaft das Paradigma jenes nutzlosen menschlichen Leidens zu sein scheint, worin das Böse in all seinem diabolischen Schrecken erschien, ist vielleicht nicht nur ein subjektives Gefühl. Das krasse Mißverhältnis zwischen dem Leiden und jeder Theodizee zeigte sich in Auschwitz mit einer Klarheit, die in die Augen - sticht [qui crève les yeux]."

Diese Kulmination der menschlichen Geschichte ist in ihrer Sinnlosigkeit zugleich Höhepunkt und Unterbrechung einer Ordnung, die bis dato unhinterfragt herrschte. Levinas schreibt in bezug auf das Leiden im Allgemeinen, es sei "gleichzeitig das, was die Ordnung stört, und dieses Stören selbst." Es ist ein Zuviel, das sich nicht in bestehende Seins- oder Begriffsordnungen einfügen läßt, ohne seinen leiblich-erfahrenen und zugleich alle Erfahrung übersteigenden Charakter zu verlieren. Ließe sich das Leiden in die Semiotik integrieren, verlöre es seinen Eigengehalt und fiele herab zu einem bloßen Bewußtseinsinhalt unter anderen. Dann ließe es sich vergleichen, vermessen und verarbeiten und es könnte nicht mehr verständlich gemacht werden, warum die Schreie der Leidenden mehr aussagen sollten als Opferstatistiken. Dieser "Notstand der Rede" geht über die Ordnung der Sprache hinaus, bleibt ihr dennoch als Grenzphänomen verhaftet. Der Schrei des Leidens spricht für sich und kann durch keine Rechtfertigung mundtot gemacht werden.

Doch handelte es sich bei Auschwitz nicht nur um eine Störung der Ordnung, sondern um eine Infragestellung der Ordnung selbst. Das Leiden jenseits jeden Sinns läßt sich in keine Geschichtsteleologie mehr integrieren. Mit Auschwitz "wurde unser Leben, und zweifellos mit ihm die Weltgeschichte, unterbrochen." Insofern das jüdische Denken das Vergessene als Transzendenz, als Überschuß wahrnimmt, kann Auschwitz auch verstanden werden als Versuch, diese Transzendenz und Heimsuchung durch das immer schon Vergessene endgültig zu verdrängen. "Auschwitz ist damit auch ein Anschlag auf die Transzendenz und das Gewissen, das aus der Erfahrung mit der Andersheit [...] resultiert."

2.2 Unmögliche Rechtfertigung

Jede vorgebliche Rechtfertigung des Schmerzes und sei es in Form einer Strafjustiz, legt notwendigerweise den "schlechte[n] und zweckfreie[n] Un-Sinn des Schmerzes" frei. Wird ihm dennoch ein Platz in einem diskursiven oder sozialen System zugewiesen, tritt auch unter diesen Rechtfertigungsversuchen deren Gewaltcharakter zutage. Hier klingt eine "verhaltene Sympathie Levinas' für Nietzsche" und seine Moralkritik an, der gezeigt hat, wie jede metaphysische Rechtfertigung des Schmerzzufügens in Form von Strafe und Züchtigung zu einem zivilisatorischen Zweck die Lust daran nur notdürftig kaschiert.

"Der 'Zweck im Rechte' ist aber zu allerletzt für die Entstehungsgeschichte des Rechts zu verwenden", vielmehr gelte, "dass nämlich die Ursache der Entstehung eines Dings und dessen schliessliche Nützlichkeit, dessen thatsächliche Verwendung und Einordnung in ein System von Zwecken toto coelo auseinander liegen;" der jemandem zugefügte Schmerz, der durch Rechts- oder Moralordnungen begründet wird, verdeckt lediglich einen Ursprung dieser Züchtigung, der nicht mit der nachträglichen Einordnung in ein zivilisatorisches System identisch ist. Denn zugrunde liegt eine Gewalt, die ursprünglicher ist als das Rechtssystem. "Aber alle Zwecke, alle Nützlichkeiten sind nur Anzeichen davon, dass ein Wille zur Macht über etwas weniger Mächtiges Herr geworden ist und ihm von sich aus den Sinn einer Funktion aufgeprägt hat". Nach der Moralkritik Nietzsches kann die Schmerz rechtfertigende Moral nicht mehr unhinterfragt hingenommen werden und muß die Frage nach dem Ursprung der Moral gestellt werden.

So beginnt Levinas sein erstes Hauptwerk Totalität und Unendlichkeit mit der Frage, ob wir nicht "von der Moral zum Narren gehalten werden". Es kann nicht darum gehen, angesichts des Schmerzes und erst recht angesichts des unfaßlichen Schmerzes in Auschwitz eine neue Moral zu entwerfen, die diesen Aporien nie entkommen könnte. Die "Rechtfertigung des Schmerzes des Anderen [ist] mit Bestimmtheit der Ursprung aller Unmoral." Denn moralische Rechtfertigungen sind keine Garantie dafür, daß Macht und Gewalt ihren Platz finden. Unter den Henkern, so Nietzsche, "giebt es in Fülle die zu Richtern verkleideten Rachsüchtigen, welche beständig das Wort 'Gerechtigkeit' wie einen giftigen Speichel im Munde tragen, immer gespitzten Mundes, immer bereit, Alles anzuspeien, was nicht unzufrieden blickt".

2.3 Überleben

Der unüberbrückbare Abgrund, den Auschwitz aufgerissen hat, verstrickt auch die Lebenden oder besser: Überlebenden. Sie kommen nicht ungeschoren davon, sind doch sie es, die mit dem Schock des Bruchs der Geschichte leben müssen. Zugleich handelt es sich um ein "unverdiente[s] Privileg, sechs Millionen Tote überlebt zu haben". Die totale Vernichtungsmaschinerie, die keine Subjekte und keine Individuen mehr kannte, sondern nur Nummern, die in vorgefertigte Raster der Blutsverwandschaft gepreßt wurden, erhob Anspruch auf Vollständigkeit. Jede(r) Überlebende ist demnach nur ein Lapsus, ein(e) durch kein persönliches Verdienst zu rechtfertigende(r) Privilegierte(r). Diese Auffassung erinnert nur zu stark an den Adornoschen Satz: "Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen." Diese Schuld, die der Überlebende nicht verschuldet hat, liegt vor jeder Handlungsverantwortung. "Die 'Schuld' dieser ungerechtfertigten Unschuld verweist bei Lévinas auf ein Unvordenkliches, ein daher Unerinnerbares, das sich auch in der Erfahrung der Verfolgung ankündigt." Die Frage, ob überlebt werden darf oder ob dieses unverdiente Privileg nicht auch eine Verantwortung mit sich bringt, die mich und meinen Platz in dieser Welt in Frage stellt, stellt sich auch für Levinas in dieser Radikalität. "Habe ich ein Recht, zu sein? Nehme ich nicht, dadurch daß ich in der Welt bin, den Platz eines Anderen?" Ein Überleben, das sich dessen nicht bewußt ist, läuft Gefahr, den Ermöglichungsgrund von Auschwitz aus den Augen zu verlieren. Auch darin ähnelt der Adornosche dem Levinasschen Text. "Sein Weiterleben bedarf schon der Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre". Denn Levinas spricht an den oben zitierten Satz anschließend davon, daß "Zeitvertreib" und "Unterhaltung", sowie die infragegestellten "Werte" wieder die Oberhand gewinnen und die Vernichtung dem Vergessen anheimgeben wollen. Es macht gerade die beängstigende Aktualität von Auschwitz aus, die es den Überlebenden nicht gestattet, sich in ihrem Überleben einzurichten, daß die Lager "uns die gewöhnlichen Situationen in ihrer Wahrheit zeigen." Oder mit den Worten von Zygmunt Baumann: "Wir haben Grund, besorgt zu sein, denn wir leben in einer Gesellschaftsform, die den Holocaust ermöglicht hat und die keine Elemente enthält, die in der Lage waren, den Holocaust zu verhindern." Nichts kann diesen "klaffenden Abgrund" auffüllen.

Aus dieser nicht zu überbrückenden Kluft schließt Levinas dreierlei. Es gibt kein Bei-Sich-Sein mehr, die Identität mit sich selbst ist dahin. Das, was bisher die Kultur ausmachte, die Annehmlichkeiten und die Selbstverständlichkeiten können nicht mehr als solche hingenommen werden. Es handelt sich um eine Erfahrung "in der Wüste", eine Situation in Entbehrung jeder Selbstverständlichkeit, eine Nacktheit, die in einem grabähnlichem Raum besteht. Zugleich bedingt diese Leere die Hoffnung auf die Rückkehr eben dieser Werte der Vorzeit. Sich mit der Situation abzufinden, kommt einer Kapitulation vor dieser Leere gleich. "Wenn 'alles erlaubt ist', besteht die höchste Pflicht darin, sich schon für diese Werte der Freiheit verantwortlich zu fühlen." Schließlich handelt es sich darum, wenn diese Hoffnung nicht enttäuscht werden soll, einer anamnetischen Rationalität Vorrang einzuräumen, die sich des Leidens erinnert und davon Zeugnis gibt. Durch diese Erinnerung hindurch muß der Rückgang auf die jüdischen Quellen erfolgen, soll er nicht zum Scheitern verurteilt sein. Dies ermögliche ein neues "inneres Leben". Dabei ist sich Levinas der Problematik eines solchen Begriffs angesichts des Grauens durchaus bewußt. "Das 'innere Leben' - angesichts so vieler Objektivismen und Realismen schämt man sich geradezu, ein solch lächerliches Wort zu gebrauchen." Doch die "innere Moralität" als einer "Moral ohne Institutionen", als Verantwortung, ist zugleich die einzige Möglichkeit, sich den fatalen Objektivationen, die den Anderen nivellieren und zu Vergleichbarem degradieren, zu entziehen.

2.4 Unendliche Verantwortung

Angesichts des Verstricktseins der Geschichte in das Grauen, der Problematik des Überlebenden und der Unmöglichkeit, Auschwitz in einen rechtfertigenden Diskurs zu überführen, bleibt die Frage, wie nach diesen Erfahrungen Sprechen und Handeln noch möglich ist. In einer seiner Talmud-Lektüren zeigt Levinas, wie Gewalt und Vernichtung immer schon in den Ruhezustand und in die friedliche Situation verstrickt sind. Die Totalität von Auschwitz macht eine strikte Trennung von Krieg und Frieden, Gewalt und Gewaltlosigkeit unmöglich, da es inmitten einer Gesellschaft 'normaler' jüdischer Assimilation geschehen konnte: "il n'y a pas de différence radicale entre la paix et la guerre, entre la guerre et l'holocauste. L'extermination a déjà commencé en période de paix." Die 'friedliche' Gesellschaft verdeckt lediglich die ihr innewohnende Zerstörungskraft, die im Krieg (sc. Auschwitz) ausbricht. "L'injustice sociale et toutes les formes de l'exploitation ne seraient que l'euphémisme du meurtre. [...] Il n'y aurait pas de différence radicale entre la paix et Auschwitz."

Doch was kann dieser Satz noch bedeuten, wenn es nicht um völlige Resignation gehen soll, die in der Totalität des Grauens keine Brüche findet. Levinas wendet diese Aussage mit Blick auf die Stellvertretung der Juden für die Menschheit. Der Rückzug ins Innere, von dem Levinas in dieser Talmud-Lektüre spricht und von dem bereits in der oben zitierten Stelle in "Namenlos" die Rede war, wird auf die Situation der Juden und Israels im Besonderen bezogen. Diese Ausweglosigkeit und der notwendige Rückzug auf sich selbst bilden die conditio humana nach Auschwitz: "le sans-issue d'Israel est probablement le sans-issue humain. Tous les hommes sont d'Israel. Je dirai à ma manière: 'Nous sommes tous des Juifs israéliens.' Nous, tous les hommes. Cette intériorité, c'est la souffrance d'Israel comme souffrance universelle."

Dieses universelle Leiden meint jedoch kein Märtyrertum. Die Vernichtung beinhaltet eben keinen Sinn, der über den Tod hinausginge, denn auch die Gerechten sterben als Nummer neben anderen. "Les justes pouvaient encore espérer que leur mort sauverait le monde. Et voici qu'ils meurent les premiers et que les injustes périssent avec eux. La sainteté ne sert donc à rien." Die "Zerstörung dieser Märtyrerwürde" ist ein Kennzeichen, das für den jüdischen Philosophen Emil L. Fackenheim, auf den sich Levinas an dieser Stelle beruft, Auschwitz ausmacht. Denn der Märtyrertod setzt die Wahl dieses Todes für etwas voraus; die Vernichtung der Juden bestand aber gerade darin, daß niemand eine Wahl hatte, sich dem Tod zu entziehen oder den Tod bewußt zu wählen.

Und doch kann dieser Tod in Auschwitz, der schlimmer ist als der Tod, nicht in eine beliebige Resignation führen. Die Aufgabe jeglicher Konsequenz für die Erfahrung wäre nichts anderes als die Vollendung der Vernichtung und der endgültige Sieg der Henker. Die Verzweiflung ist keine wirklich mögliche Antwort auf Auschwitz, denn man "may not side with the murderers and do what they have left undone." Auch Levinas zieht dieselbe Konsequenz: "Nach Auschwitz auf diesen in Auschwitz abwesenden Gott zu verzichten [...] käme einer Vollendung des kriminellen Unternehmens des Nationalsozialismus gleich". Aufgabe bleibt, wie oben bereits Levinas zitiert wurde, eine Erinnerung und ein Zeugnis dessen, das nur die Überlebenden geben können. "Mais tout survivant des massacres hitlériens - fût-il juif - est Autre par rapport aux martyrs. Par conséquent responsable et incapable de se taire."

Die Unmöglichkeit des Märtyrertums und die Verstrickung von Krieg und Frieden läßt für Levinas nur eine Interpretation zu, daß nämlich die Totalität von Auschwitz einen Aufruf zu einer unendlichen Verantwortung bedeutet. "A moins que cette thèse ne soit précisement un appel à une infinie responsabilité de l'homme, à un inlassable éveil, à une absolue insomie." Es handelt sich, soviel dürfte nach dem Gesagten klar sein, hier nicht um eine Verantwortung der Berufserinnerer und Mahnmalexperten, noch der gesellschaftlichen Projekte und Reformen, oder der Gutmeinenden, sondern um eine nie abtragbare "drastische Schuld des Verschonten", die sie nie verschuldet haben, um eine Verantwortung "poussée à son extrême, au chaos de la guerre, et sans doute à l'holocauste national-socialiste." Diese Verantwortung gilt sogar für das, was man nie verschuldet hat, was nie in meiner Reichweite stand, selbst für die Taten meiner Feinde (vgl. AQ 246, frz. 141). Verantwortung in diesem Sinne wird nicht übertragen oder übernommen, sondern sie entspringt unmittelbar dem Leiden des Anderen. Keine Norm und keine Moral gebietet und ordnet diese Verantwortung (an), sie ist ihnen vorgängig und geht über sie hinaus. Insofern kann Verantwortung auch nicht im Namen bestimmter normativer Ordnungen gerechtfertigt oder infrage gestellt werden.

"Aufmerksamkeit auf das Leiden des Anderen [autrui], die durch die Grausamkeiten unseres Jahrhunderts hindurch - trotz dieser Grausamkeiten, wegen dieser Grausamkeiten - den Knoten der menschlichen Subjektivität bilden und sogar zum höchsten ethischen Prinzip erhoben werden kann - dem einzigen, das nicht bestritten werden kann -, bis sie sogar Hoffnungen und Ausübung der Praxis großer menschlicher Gruppierungen anleiten wird."

Hier erreichen wir wieder die Form der Verantwortung, von der bereits in der Analyse von Jenseits des Seins die Rede war. Dort setzte Levinas sich mit einer vorursprünglichen Schuld auseinander, die nie bei mir anfängt und die ich nie einfangen kann, sondern die mich und meine Möglichkeiten übersteigt. Insofern ist diese Verantwortung die Ermöglichung jeder Subjektivation und erst recht jedes Ich-Sagen-Könnens nach Auschwitz. Damit kann nicht gesagt sein, daß diese Verantwortung mit Auschwitz erst auf den Plan tritt, doch ist es diese Erfahrung, die diese Verantwortung unhintergehbar macht als einen schrecklichen kollossalen Anspruch, der kaum noch eine Antwort ermöglicht, sondern nur noch Antworten.


III. Exkurs Adorno: Verhängnis und Nichtidentisches

Als jemand, den Auschwitz gezwungen hat, anders zu denken, haben wir Adorno bereits angeführt. In zahlreichen seiner Texte ist die Verwundung dadurch implizit oder explizit spürbar, beginnend mit der Dialektik der Aufklärung von 1944. Aber auch die Minima Moralia und vor allem das dritte Kapitel der Negativen Dialektik gehören dazu. Im Unterschied zu Levinas ist der Bezug viel häufiger explizit, was daher rühren mag, daß Adorno in seiner Zeit der engen Zusammenarbeit mit Horkheimer stark von einer interdisziplinären Gesellschaftstheorie geprägt war und dementsprechend die Wurzeln des Grauens in einer Geschichte der vergesellschafteten Subjektivität suchte. Es wäre vermessen, hier eine vergleichende Lektüre mit Levinas vorlegen zu wollen. Es soll in diesem Exkurs lediglich darum gehen, einige Denkbewegungen und -figuren aufzuweisen, die ihren Ausgang wie bei Levinas von der Erfahrung der Judenvernichtung genommen haben und daran Verbindendes zu suchen. Welche im weiteren Sinne philosophischen Verbindungen und Gräben sich zwischen den beiden Autoren auftun, muß daher offen bleiben.

3.1 Zerfallsgeschichte

Ausgehend von der Geschichte der Subjektivität in der Dialektik der Aufklärung wird Auschwitz zum Kulminationspunkt einer Verfallsgeschichte der Vernunft. Oft entsteht der Eindruck, der Verblendungszusammenhang und die umfassende Naturbeherrschung führten mit blinder Notwendigkeit zu Auschwitz. Doch es geht Adorno gerade nicht darum, eine negative Geschichtsteleologie zu konstruieren, in deren Anfängen Auschwitz bereits angelegt wäre und die nichts anderes hat hervorbringen können, sondern darum, mit der Erfahrung der Vernichtung die Geschichte anders zu betrachten. Daß inmitten der Kultur und Philosophie die Vernichtung hat stattfinden können, zeigt daß diese Kultur nicht unschuldig ist.

"Man kann nicht Auschwitz auf eine Analogie mit der Zernichtung der griechischen Stadtstaaten bringen als bloß graduelle Zunahme des Grauens, der gegenüber man seinen eigenen Seelenfrieden bewahrt. Wohl aber fällt von der nie zuvor erfahrenen Marter und Erniedrigung der in Viehwagen Verschleppten das tödlich-grelle Licht noch auf die fernste Vergangenheit".

Naturbeherrschung und damit einhergehende Selbstbeherrschung, die dem Mythos seine vorgeschichtliche Gewalt nahm, wird nicht eindimensional zu befreiender Aufklärung, sondern schlägt dialektisch um in Barbarei. Auschwitz ist der Kulminations- und Kristallisationspunkt einer Entwicklung, die sich von einer hoffnungsgeladenen Rationalität zu einer instrumentellen Rationalität in der Vernichtungsmaschinerie vollzog: "die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils." Die Wirkung der Totalität der Identifizierung geht über die Lager hinaus. "Daß in den Lagern nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar, muß das Sterben auch derer affizieren, die der Maßnahme entgingen. Der Völkermord ist die absolute Integration [...]." Der Einzelne, das Individuum, ist gleichgültig geworden, die Kollektivierung und Vermassung triumphiert. Jedes einzelne Leben ist nur noch Teil eines Ganzen, wie auch die Identitätslogik subsumierende Oberbegriffe dem Spezifischen vorzieht. "Auschwitz bestätigt das Philosophem von der reinen Identität als dem Tod." Denn die reibungslose Durchführung der Vernichtung war nur möglich durch die in der Entwicklungsgeschichte der Subjektivität aufgetretene "bürgerliche Kälte". Adorno ist es darum zu tun zu zeigen, daß Auschwitz kein "Betriebsunfall des zivilisatorischen Siegeszuges" ist, die aufklärerische Vernunft, Philosophie und Kultur intakt läßt, sondern eine Erfahrung, die das Denken selbst in seinem Innersten erschüttert. 1944 schreibt Adorno: "Was heute geschieht, müßte 'Nach Weltuntergang' heißen."

Die Millionen ermordeter Juden sind nicht nur ein großes Massaker, sondern die Infragestellung der Geschichte selbst. Diese Geschichte führt durch ihre Monstrosität zu einer neuen Qualität. Die Ermordung von Millionen Juden hat zur Konsequenz, daß "die Quantität der Opfer in eine neue Qualität der gesamten Gesellschaft, die Barbarei, umschlägt".

3.2 Tod und Überleben

Diese neue Qualität erstreckt sich von den Ermordeten auf die Überlebenden und den Tod selbst. Der Einzelne verliert seine Bedeutung, weil er als Exemplar, als Nummer starb. Dieses Gleich-Gültigmachen greift nicht nur die an, die darunter fielen, sondern auch die vorgebliche Freiheit der Lebenden. "Neues Grauen hat der Tod in den Lagern: seit Auschwitz heißt den Tod fürchten, Schlimmeres fürchten als den Tod", "weil dieser Tod die Öffnung auf die mögliche Subjektwerdung absolut vertilgt". Denn in Auschwitz ist der Tod auch der Tod der Unendlichkeit, der Tod des Außerphilosophischen. Der Gedanke der Philosophie, an sich sei der Tod das absolut Letzte, ist nicht schlüssig denkbar. Dies "besagt freilich nicht, dass es, wie Kant meinte, eine Unsterblichkeit im Sinne einer unendlichen Dauer eines sichselbst [sic!] gleichbleibenden Kerns des Menschen gebe." Adorno formuliert vorsichtiger: "Wäre der Tod jenes Absolute, das die Philosophie vergebens positiv beschwor, so ist alles überhaupt nichts". Der Tod in Auschwitz besteht in der schieren Vernichtung. Kein positiver Sinn, kein "schöner Tod" kommt zum physischen Verschwinden hinzu.

"Die gängige Todesmetaphysik ist nichts als der ohnmächtige Trost der Gesellschaft darüber, daß durch gesellschaftliche Veränderung den Menschen abhanden kam, was ihnen einmal den Tod erträglich gemacht haben soll, das Gefühl seiner epischen Einheit mit dem gerundeten Leben."

Erklärungen des Todes oder seine Einbindung in eine Metaphysik täuschen nur darüber hinweg, daß er in der Warengesellschaft immer schon der Gesichtslosigkeit der Tauschverhältnisse innewohnt und als Lebensgrenze nicht mehr erfahrbar ist. Umsoweniger jenseits des "Gewebe[s] der Immanenz" etwas denkbar ist, desto "jäher, schreckhafter der Tod". Er ist nicht mehr in ein Sinnganzes einzubinden. Der Tod führt dem Individuum schlußendlich vor Augen, daß sein ganzes Leben bereits nichtig war. Zur Abwendung dieses Eingeständnisses muß der Tod verdrängt werden. Die moderne Gesellschaft macht den Einzelnen derart ersetzbar, daß sie ihm das Individuelle nimmt und ihn auf seine Funktionen reduziert, daß sein Tod keinen Verlust darstellt, "comme si la mort n'était plus sa propre mort mais le baromètre d'un corps qui mesure sa santé physique". Der Tod stellt kein interpretationsbedürftiges Grenzphänomen menschlicher Erfahrung mehr dar, nichts, was Sehnsucht nach metaphysischer oder religiöser Erklärung weckte, sondern ausschließlich einen Anreiz, Probleme der Funktionszuordnung zu lösen. Diese Reduktion des Todes ermöglichte erst seinen funktionalen Massenvollzug, und offenbart damit das "désastre de la subjectivité".

"Nur eine Menschheit, der der Tod so gleichgültig geworden ist wie ihre Mitglieder: eine die sich selber starb, kann ihn administrativ über Ungezählte verhängen."

Die Wahrnehmung des Todes ist geschichtlich und nicht schlechthin unveränderbar. "Der Satz, der Tod sei immer dasselbe, ist so abstrakt wie unwahr." Eine Erfahrung, die hiervon Zeugnis ablegen wollte, kann sich nicht mehr auf die verschüttete Metaphysik berufen, sie muß sich ins Konkrete zurückziehen. Denn umfassende Akte der Rechtfertigung sind nicht möglich. Wie Levinas erkennt Adorno gerade in der Wiedereinfügung des Leids in einen umfassenden Diskurs das Unrecht, das an den Opfern wiederholt wird. Jede rechtfertigende Ordnung weicht dem Schrecken nur aus, indem sie ihn einbindet. Auch das Mitleid ist nur ein Ausweichen vor der Frage nach den Gründen und der grundsätzlichen Veränderung. Das Mitleid "bestätigt die Regel der Unmenschlichkeit durch die Ausnahme, die es praktiziert." Der Einzelne durchbricht zwar das Leiden im Einzelfall, doch wird gerade durch diese Anteilnahme die Notwendigkeit einer umfassenden Veränderung negiert. Und doch haftet dem Mitleid etwas an, das über es hinausweist. Es kann nie genügen, "das Beschränkende am Mitleid macht es fragwürdig, es ist immer zu wenig." Doch nur wenn diese Einsicht nicht für ein Mehr an Mitleid, sondern für das negative Aufscheinen einer Gesellschaft, in der kein Mitleid notwendig wäre, fruchtbar gemacht wird, kann es mehr sein als Sicherung des Bestehenden.

3.3 Verantwortung der Überlebenden

Die "drastische Schuld des Verschonten", auf die wir im Zusammenhang mit Levinas schon zu sprechen kamen, ist nicht abzutragen. Wenn Levinas von der Möglichkeit spricht, daß ich allein durch meine Existenz dem Anderen den Platz nehme, so klingt der folgende Satz Adornos geradezu wie dessen Echo: "Die Schuld des Lebens, das als pures Faktum bereits anderem Leben den Atem raubt [...] ist mit dem Leben nicht mehr zu versöhnen. Jene Schuld reproduziert sich unablässig, weil sie dem Bewußtsein in keinem Augenblick ganz gegenwärtig sein kann." Die Schuld, für die ich einstehen muß, obwohl ich sie nicht verschuldet habe, geht über mich hinaus und entgeht mir. Sie überträgt mir eine unendliche Verantwortung, die meine Subjektivität bestimmt. Wie Levinas betrachtet Adorno Auschwitz schließlich als eine nie zu erfüllende Verantwortung.

Kein Mitleid und keine Rechtfertigung sind nach Auschwitz möglich. Es ist vielmehr ein unausweichlicher Anspruch.

"Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Dieser Imperativ ist so widerspenstig gegen seine Begründung wie einst die Gegebenheit des Kantischen. Ihn diskursiv zu behandeln, wäre Frevel: an ihm läßt leibhaft das Moment des Hinzutretenden am Sittlichen sich fühlen."

Es handelt sich um eine Verantwortung, ein Gebot, das nicht einem Diskurs unterworfen werden kann. Beim Kantischen Imperativ geht den unterschiedlichen Formulierungen stets ein "Handle so" voraus, das selbst keiner Begründung unterliegt. Eine solche Rechtfertigung führte auch zu einem infiniten Regreß, zu einem zweiten Gewissen, das die Gewissensbefolgung überprüft. Also kann das Gewissen nur ein unmittelbares Gebot sein. Diese Struktur ähnelt auch der der Verantwortung bei Levinas, die ursprünglicher ist als jede Reflexion. Daß der Imperativ, von dem Adorno spricht, "moralphilosophisch betrachtet [...] nicht oder nur indirekt begründbar" ist, ist somit kein Mangel, sondern die Frage nach der Begründung ist bereits falsch gestellt und verfehlt den Kern des Imperativs.

3.4 Unzulänglichkeit des Begrifflichen und Erfahrung

Es geht nicht um Begründung, sondern darum, dem zur Sprache zu verhelfen, was gerade durch Diskursivität ausgegrenzt wird. Adorno fordert, radikal die Richtung des Denkens umzukehren. Sein Ausgangspunkt ist, daß das "Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, [..] Bedingung aller Wahrheit [ist]. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet." Die Philosophie, die nach Auschwitz im Bewußtsein ihrer begrifflichen Bürde den Opfern zumindest kein neues Unrecht zufügen will, muß sich von den Begriffen zur Erfahrung, von der Einheit zu den Einzelheiten, vom Abstrakten zum Realen, vom Allgemeinen zum Besonderen wenden. "Das perennierende Leiden hat [...] Recht auf Ausdruck". Somit "wirft Erkenntnis, damit sie fruchte à fond perdu sich weg an die Gegenstände. Der Schwindel, den das erregt, ist ein index veri". Doch dieser Materialismus bedeutet nicht "über Konkretes [...] zu philosophieren, vielmehr aus ihm heraus." Dem Materiellen muß Platz eingeräumt werden, ihm muß der "Schleier der Maja" gelüftet werden. Denn nur "wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles." Diese Philosophie des Einzelnen nennt Adorno Mikrologien oder Konstellationen.

Dem herkömmlichen Begriff von Wahrheit wäre hernach einer entgegenzusetzen, der vom Leiden der Opfer inspiriert ist. Das Absolute wäre folglich "das Nichtidentische, das erst hervorträte, nachdem der Identitätszwang zerging." Doch dieses Absolute muß sich zugleich dem Zugriff verweigern, die Hoffnung darauf wird schon pervertiert, wenn sie formuliert wird. Auch hier ist eine Dialektik am Werk, die das Absolute vor der Beherrschung durch Begriffe schützt. Ließe es sich allumfassend ausdrücken, ginge ihm sein eigener Charakter verloren. So läßt sich nur an Details entlangfahren, um etwas von den Fragmenten des Absoluten zu erahnen.

"Die kleinsten innerweltlichen Züge hätten Relevanz fürs Absolute, denn der mikrologische Blick zertrümmert die Schalen des nach dem Maß des subsumierenden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten und sprengt seine Identität, den Trug, es wäre bloß Exemplar."

Adornos Begriff der "metaphysischen Erfahrung" bekommt eine geradezu phänomenologische Färbung. Es handelt sich um etwas, das sich wahrnehmen läßt und sich der bestimmenden, ordnenden Betrachtung zugleich entzieht, eine "présence absente". Die Erfahrung gewährt in einer paradoxen an die französische Phänomenologie erinnernde Wendung "das Innere der Gegenstände als diesen zugleich Entrücktes".

"Was metaphysische Erfahrung sei, wird [man] [...] am ehesten wie Proust sich vergegenwärtigen, an dem Glück etwa, das Namen von Dörfern verheißen wie Otterbach, Reuenthal, Monbrunn. Man glaubt, wenn man hingeht, so wäre man in dem Erfüllten, als ob es wäre. Ist man wirklich dort, so weicht das Versprochene zurück wie der Regenbogen. Dennoch ist man nicht enttäuscht; eher fühlt man, nun wäre man zu nah, und darum sähe man es nicht."

Eine Erfahrung, die nicht durch identifizierendes Begreifen das Einzelne subsumiert, vermittelt einen Begriff, "welcher endlich der der Sache selbst wäre" und kein bloßes Etikett. An anderer Stelle heißt es von der "Moral des Denkens", daß der Denkende "in jedem Augenblick in den Sachen und außer den Sachen sein soll", ohne eine vermittelte Position einnehmen zu können. Ohne die Phänomenologie zu erwähnen, kommt Adorno hier in erstaunliche Nähe zu ihr, selbst wenn sein Denken von einer der Phänomenologie fernen Versöhnungssehnsucht zwischen Begriff und Erfahrung gekennzeichnet ist. Die Tatsache, daß Adornos "Reflexionen auf Gewalt und Verfolgung einerseits und auf das Andenken andererseits untrennbar von denen auf die Leiblichkeit" sind, wird besonders deutlich in dem Fragment "Zur Genese der Dummheit". Intelligenz und Reflexion werden dort mit dem Fühlhorn der Schnecke nicht nur verglichen. So heißt es dort:

"Das geistige Leben ist in den Anfängen unendlich zart. Der Sinn der Schnecke ist auf den Muskel angewiesen, und Muskeln werden schlaff mit der Beeinträchtigung ihres Spiels. Den Körper lähmt die physische Verletzung, den Geist der Schrecken. Beides ist im Ursprung gar nicht zu trennen."

Die Konzentration auf die konkrete Erfahrung, auf einen Ausgang vom leiblichen Schmerz und das Wechselspiel von Erscheinen und Entziehen scheinen auf ähnliche Denkfiguren wie bei Levinas zu verweisen. Diese Figuren konstituieren einen "Überschuß übers Subjekt", der nicht in der reinen Immanenz befangen bleibt, und in dieser selbst auf das Absolute verweist. Wie bei Levinas bleibt es bei diesem Verweisungscharakter; eine vollständige Präsenz in der Immanenz ist unmöglich. So wird die Hoffnung auf Wahrheit auch nie gestillt, sondern diese lediglich berührt.

Der Widerschein eines möglichen Anderen entsteht nur in solchen Paradoxa und den Brüchen und Überschüssen der Immanenz. Jede Transzendenz, die nicht vom Überschuß der Immanenz ausgeht, "liquidiert insgeheim auch die Transzendenz, die einzig von den Erfahrungen der Immanenz gespeist wird." Die Widersprüche zwischen Hoffnung und Wissen um die Hoffnungslosigkeit, zwischen umfassender Identifizierung und der durchbrechenden Erfahrung des Konkreten sind nicht zu beseitigen, sondern als Orte des Nichtidentischen wahrzunehmen. "Nichtidentität ist nicht die 'gute' Andersheit gegen die entfremdete Identität", sondern eher ein "Grenzbegriff des Begrifflichen", der weder ganz dem Identisch-Begrifflichen noch dem schlechthin Begriffslosen angehört.

"Nicht absolut geschlossen ist der Weltlauf, auch nicht die absolute Verzweiflung; diese ist vielmehr seine Geschlossenheit. So hinfällig in ihm alle Spuren des Anderen sind; so sehr alles Glück durch seine Widerruflichkeit entstellt ist, das Seiende wird doch in den Brüchen, welche die Identität Lügen strafen, durchsetzt von den stets wieder gebrochenen Versprechungen jenes Anderen. Jegliches Glück ist Fragment des ganzen Glücks, das den Menschen sich versagt [...]."

Da das Andere hier nicht wie bei Levinas ein vorgängiges, Antworten erheischendes Anderes ist, sondern ein Bezugspunkt der negativen, unerfüllbaren Glückserwartungen, muß eine letzte dialektische Bewegung erfolgen: nämlich die der Dialektik gegen sich selbst. Denn "Dialektik ist das Selbstbewußtsein des objektiven Verblendungszusammenhangs, nicht bereits diesem entronnen." Ein solches Denken - ganz im Levinasschen Sinne ein "Verhalten" und nicht von diesem getrennt - findet seine Ansatzpunkte im Konkreten und zielt auf das Aufbrechen der Identität. Erst das Nichtidentische ermöglichte ihm, den Bannkreis der Begriffe zu verlassen. Daher resultiert die Vorgehensweise der Mikrologie als "lesbare Konstellation von Seiendem".

Schluß: Offene Fragen

Levinas und Adorno bezeichnen zwei philosophische Traditionen, die in ihren Wurzeln durchaus entgegengesetzte Fragen gestellt haben. Phänomenologische und materialistische Fragerichtung schließen sich zwar nicht aus, jedoch treffen die Versuche der Annäherung schon im Ansatz auf unvermeidliche Schwierigkeiten. Doch im Falle von Levinas und Adorno liegt die Sache etwas anders, da beide ihre jeweilige Tradition so weit vorangetrieben haben, daß sie diese bald zu sprengen scheinen. Obwohl beide sich weder kannten, noch zur Kenntnis nahmen, und Adornos Denken "wohl in der Perspektive Lévinas' als dialektisches unter die dem 'Selben' verhafteten Denkwege" fiele, führt das zu Denkbewegungen, die sich ähneln, Figuren, die sich einander annähern, jenseits der Problematik von Phänomenologie und Materialismus. Ob diese Annäherung soweit geht, daß "die (negative) Dialektik Adornos in 'Phänomenologie' umschlägt und Levinas' Phänomenologie unversehens einen 'dialektischen' Erfahrungshorizont aufzeigt", oder vielmehr das Denken Levinas' "den Versuch einer 'positiven Philosophie dar[stellt], deren Sprache von dem immensen Verdacht, der auf dieser Positivität lastet, gekennzeichnet ist" und sich dadurch von der Negativität Adornos unterscheidet, kann hier nicht diskutiert werden. Daß sie sich weniger fremd sind, als ihre Schulzuordnung vermuten ließe, können jedoch die angeführten Bemühungen belegen.

Elisabeth Weber faßt wie folgt zusammen:

"Für Adorno und Lévinas gilt jedoch, was Ausgangspunkt unserer Überlegungen war: ihr Denken beansprucht kein Resultat und kann keines beanspruchen. Es ist ein tastendes Denken, oft nahe am Verlassen der philosophischen Rede. Denn das, was das gleichsam brennend zu nennende Zentrum dieses Denkens ausmacht, kann sowohl in der philosophischen Inspiration Lévinas' wie in der Adornos zu keinem Resultat Anlaß und Legitimität liefern. Es bleibt eine Wunde, ein Schmerz, der weder 'anthropologisch' als 'bloße Empfindung', noch als Wehleidigkeit abzutun ist."

Bei einer eingehenderen Untersuchung des Verhältnisses wäre auf die beiden eigene "Hinterfragung der Subjektphilosophie, des Historismus und des Logozentrismus" abzuheben. Die Erfahrung, die das Subjekt spaltet, die Kritik an der Totalität und Identitiät und die Hinterfragung gängiger Hermeneutiken und Wahrheitsmodelle sind Punkte, an denen Adorno und Levinas auf ihre je eigene Weise sich treffen. Beide sind getrieben von der Erfahrung von Auschwitz und brechen darausfolgend mit einem argumentationslogischen Schreibstil zugunsten einer kreisenden, fragmentarischen Bewegung.

In der zivilisationsgeschichtlichen Begründung der Judenvernichtung gehen Adorno und Levinas ähnliche Wege. Das griechisch-abendländische Denken oder die instrumentelle Vernunft geben dem Anderen keinen Raum und bringen unter Begriffe, was darunter nicht fällt. Auschwitz markiert den Kulminationspunkt dieser Entwicklung, der nicht nur eine vorläufige Unterbrechung, sondern eine Infragestellung der Geschichte bedeutet, was zu einem veränderten Denken und Schreiben zwingt. Identifizierende Begriffe taugen dazu nicht mehr, eine wie immer geartete Rechtfertigung scheidet aus. Adorno wie Levinas weisen in ihrer Kritik moralischer Legitimation eine gewisse Nähe zu Nietzsche auf. Auch die Überlegungen zur Unmöglichkeit des "schönen Todes" und zur unabweisbaren Schuld der Überlebenden kommen einander nahe.

Zu der Annäherung trägt eine Verschränkung der Vorgehensweisen bei. Adornos Werk hat phänomenologische Züge, insofern er auf die Leiblichkeit in Form des Leidens und des von der Philosophie Ausgegrenzten Bezug nimmt und eine "- letzthin aporetisch bleibende - Deskription der moralischen, metaphysischen und ästhetischen Spuren des guten Lebens" vornimmt. Diese Bemühungen lassen sich unter den Stichwörtern "passive Synthese", "Dialektik im Stillstand" und "Mikrologie" fassen. Andererseits kommen bei Levinas dialektische Formen zum Zuge, "wo das Subjekt, die Geschichte und die Sprachstrukturen nicht nur durch die absolute Alterität des Anderen (oder Nicht-Identischen) durchbrochen werden, sondern in gewissem Masse [sic!] auch durch den äusserst [sic!] negativen Gegenpol dieser Sinndimension."

Trotz dieser Nähe bleiben Differenzen. Der Adornosche Denkweg bleibt gekennzeichnet - wenn auch negativ - von einem Glücksverlangen und "versöhnungsutopische[n] Motiv[..]" im Gegensatz zur Dominanz des Gerechtigkeitsgedankens bei Levinas. Das Andere bei Adorno ist immer das dem herrschenden Falschen entgegengesetzte Korrektiv der Kritik, jedoch nicht wie bei Levinas das beständig das Ich spaltende und bei mir beginnende Andere, auf das zu antworten ist. Die unvordenkliche Schuld, die bei beiden in der Figur des Überlebenden auftritt, ist bei Levinas eine "Nichtidentität, die nichtidentisch bleibt und für die daher eine andere Bezeichnung zu suchen wäre als die der immer auf Identität bezogenen Nichtidentität." Die Besessenheit der Subjektivität durch den Anderen kann zu keiner Einheit oder Identität ins Verhältnis gesetzt werden. Zudem hat Levinas mit der Spur den Bruch zwischen dem Begrifflichen und dem Nicht-Begrifflichen, der bei Adorno häufig aporetisch auseinanderklafft, nachvollziehbarer miteinander verklammert. Andererseits weiten die Adornoschen Texte den Blick für andere Bereiche als den intersubjektiven, in denen Ansprüche und Brüche sichtbar werden. So bleiben "Anspruchskonflikt[e]" bei Levinas eher unterbelichtet, während Adorno sie in den Vordergrund stellt.

Bei Levinas bleibt noch die Frage offen nach dem Mitanspruch des Dritten und den Möglichkeiten, zwischen Ansprüchen zu wählen, bzw. wählen zu müssen: "Müßte nicht unterschieden werden zwischen der Unausweichlichkeit der Situation, auf die ich zu antworten habe, und der Skala möglicher Antworten?" Diese Frage stellt sich für Levinas, wenn neben dem Anderen - unausweichlich - der Dritte mit in den Blick kommt. Allerdings spielt diese Thematik in Jenseits des Seins nur eine Nebenrolle. Eine "Anspruchsordnung" müßte immer mit betrachtet werden, was in den Levinasschen Texten tendenziell vernachlässigt wird. Mosès hat darauf hingewiesen, daß Levinas diese praktische und politische Dimension vor allem in den Talmud-Lektüren nachholt und exemplifiziert. Ein weiter- und tiefergehender wirklicher Vergleich zwischen Adorno und Levinas müßte diese Fragen mit in den Blick nehmen.


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