Martin H. Eick
Email: MartinH.Eick@uni-koeln.de
Diese Arbeit wurde im SS 96 als Referat an der Uni Köln gehalten.
Die Fußnoten in diesem Dokument fehlen völlig, da MSInternetWordAssistant
diese wohl nicht übersetzen kann. Ich hatte keine Zeit sie
manuell einzufügen - bis auf eine -, werde das aber vielleicht
später tun; es sind nur Referenzen angegeben.
Über Kommentare, Ergänzungen, Einwände usw. würde
ich mich freuen.
Ver 1.0, 12.10.96.
August 1996
Wir haben im Laufe des Seminars bereits anhand der Wahrheitstheorie Tarskis den Unterschied zwischen einer Definition der Wahrheit einer Proposition (bzw. der Angabe der Bedeutung des Begriffs "Wahrheit") und der Angabe der Kriterien für das Vorliegen eines wahren Satzes diskutiert. Ich möchte hier vorab noch einmal an diese Unterscheidung erinnern.
Es könnte z.B. sein, daß ich recht genau Bienen identifizieren kann - und das heißt zumindest implizit die Bedeutung des Wortes "Biene" zu kennen, es richtig verwenden, und damit auch implizite Kriterien für die richtige Anwendung des Begriffs zu haben. Aber es könnte zugleich sein, daß wir die Definition des Begriffs "Biene" nicht kennen (etwa: "zu den Stechimmen zählende Überfamilie der Hautflügler"). Jedoch ist schon an dieser Stelle erkennbar, daß zumindest ein Zusammenhang zwischen der Definition eines Wortes und den Kriterien seiner korrekten Verwendung bestehen muß. Wir werden später darauf zurückkommen.
Im Fall des Begriffs "wahr" scheint dieser Unterschied besonders auffällig zu sein. Für die Bedeutung des Wortes "wahr" dürfte so etwas gelten wie: "stimmt mit der Realität überein" oder "die Tatsachen sind so wie gesagt". Rescher nimmt Korrespondenz mit der Realität als die Bedeutung des Wortes "Wahrheit" an.
Nun entsteht aber - wenn wir uns über den Sinn des Wortes "Wahrheit" Gedanken machen - schnell das Problem, wie wir denn die Wahrheit einer Proposition feststellen wollen, d.h. was die Kriterien für Wahrheit sind. Das muß hier heißen: wie können wir die Korrespondenz einer Proposition mit der Realität eigentlich feststellen.
Als Kriterium für die Wahrheit einer Proposition kommt Korrespondenz aufgrund vielfältiger Probleme nicht in Frage. Nehmen wir an, Korrespondenz heißt mit Tarski: die Proposition "S" ist wahr genau dann, wenn p . Wir haben also eine Übereinstimmung oder Korrespondenz der Proposition S mit der Tatsache, daß p. Betrachten wir den Satz:
"Wenn Kaiser Wilhelm II. 1918 nicht abgedankt hätte, hätte der zweite Weltkrieg nicht stattgefunden."
Mit welcher Tatsache sollen wir diese Proposition auf Übereinstimmung hin vergleichen, falls sie wahr ist? Ein solcher Sachverhalt kann nicht bestehen. Dieses Problem ergibt sich nicht nur bei den kontrafaktischen Implikationen, wie solche Propositionen wie die vorangegangene genannt werden, sondern auch bei Propositionen, bei denen uns die Tatsachen, mit denen wir doch eine Übereinstimmung feststellen sollten, nicht mehr zugänglich sind, d.h. in der Vergangenheit liegen oder noch nicht zugänglich sind, in der Zukunft liegen:
"Es wird einen Zeitpunkt geben, zu dem keine Menschen mehr existieren."
Was also die Bedeutung des Prädikates "ist wahr" ist, kann zwar mit der Korrespondenz vorerst als hinreichend geklärt gelten. Rescher übernimmt eine modifizierte Tarskische Theorie der Wahrheit für die Bedeutung. Nun müssen wir allerdings dazu übergehen ein Kriterium der Wahrheit anzugeben, das die Probleme mit der Bestimmung dessen, was wahr ist, nicht hat.
Auf alle Kriterien der Wahrheit trifft allerdings zu, was Sextus Empiricus in der Tradition der Pyrrhonischen Skepsis formuliert hatte, um zu zeigen, daß wir gar nicht wissen können, ob es ein Kriterium der Wahrheit überhaupt gibt:
Von denjenigen, die über das Kriterium gehandelt haben, haben die einen behauptet, es gebe ein Kriterium, wie die Stoiker, (...) -die anderen haben behauptet, es gebe keines, (...). Diesen Widerstreit müssen sie entweder entscheidbar nennen oder unentscheidbar. Wenn unentscheidbar geben sie selbst zu, daß man sich zurückhalten müsse [über die Frage, ob es ein Kriterium der Wahrheit gebe]. Wenn aber entscheidbar, mögen sie uns sagen, wodurch er entschieden werden soll, da wir ja weder ein anerkanntes Kriterium besitzen noch überhaupt wissen, ob es eines gibt, sondern danach fragen. Ferner um den entstandenen Streit über das Kriterium zu entscheiden, müssen wir ein anerkanntes Kriterium haben, mit dem wir ihn entscheiden können, und um ihn entscheiden zu können muß der Streit vorher entschieden werden. So gerät die Erörterung in die Diallele [d.i. circulus vitiosus], und der Streit wird aussichtslos, da wir es einerseits nicht zulassen, daß sie ein Kriterium durch Voraussetzung annehmen, und wir sie andererseits (...) in einen unendlichen Regreß treiben.
Diese Einwände betreffen in besonderer Weise den als Kriterium verstandenen Begriff der Korrespondenz, da er einen externen "Gottesstandpunkt" erfordert, von dem her wir Zugang zu den Tatsachen, der Realität haben. Mit den spätestens 200 n.Chr. niedergelegten Einwänden hat aber jede kriteriologische Theorie der Wahrheit zu kämpfen: mit welchem Kriterium bestimmen wir das Kriterium der Wahrheit? Wir müssen später sehen, wie Rescher mit diesen Einwänden fertig wird.
Die Stoiker, auf die sich Sextus wesentlich bezieht, versuchten noch ein garantierendes Kriterium der Wahrheit zu geben, wie es Nicholas Rescher in seinem Buch "Die Kohärenztheorie der Wahrheit" (das 1984 erschienen ist) bezeichnet. Ein Kriterium ist ein garantierendes, genau dann, "wenn die Erfüllung des Kriteriums ein Fehlen der geforderten Merkmale logisch ausschließt". Ein Beispiel wäre: wenn etwas im Bereich der Mathematik eine ganze Zahl ist und sich durch keine andere Zahl außer eins und sich selbst teilen läßt, dann ist es notwendigerweise eine Primzahl. Ein garantierendes Kriterium kommt allerdings für Wahrheit nicht in Frage, sonst hätten wir entweder das Problem der Wahrheit nicht, oder das Kriterium wäre unbrauchbar weil nicht anwendbar.
Dagegen bestimmt Rescher das Kriterium der Wahrheit als berechtigendes Kriterium. "Wenn die Erfüllung des Kriteriums bestenfalls eine rationale Begründung für das Zusprechen eines Merkmals darstellt [in diesem Fall: das Merkmal wahr zu sein] - ohne eine logische Garantie zu bieten -, dann haben wir ein berechtigendes Kriterium."
Rescher will sich also nicht über die Bedeutung des Wortes "wahr" äußern, sondern Kriterien für die korrekte, berechtigte Verwendung des Wortes "wahr" ausarbeiten, d.h.: was vernünftiger- und berechtigterweise für wahr gehalten werden soll. Somit geht es hier - zumindest im ersten Teil - auch eigentlich nicht um eine Kohärenztheorie der Wahrheit, sondern um eine Theorie der Rechtfertigung von Wahrheitsansprüchen durch Kohärenz.
Ich möchte folgende Terminologie benutzen: wenn eine Proposition wahr ist, dann ist das, was der Fall ist auf ontologischer Seite eine Tatsache. Ein Sachverhalt ist eine mögliche Tatsache, nach Wittgenstein. Ein Sachverhalt und damit eine Tatsache kann auch eine logisch komplexe Struktur haben.
Wenn wir für Wahrheit diesen Unterschied machen -zwischen berechtigenden und garantierenden Kriterien - ergibt sich eine epistemische Kluft zwischen wirklicher Wahrheit im Sinne einer Tatsache und mutmaßlicher Wahrheit im Sinne des Kriteriums. Das heißt, daß wir es dann in der kriteriologischen Theorie der Wahrheit mit einer dreiwertigen Logik zu tun haben: es gibt wahre, falsche und unentscheidbare Propositionen. Das erscheint plausibel für Sätze wie z.B.: "Anaximander hat sich täglich die Hände gewaschen." (sofern wir keine Aufzeichnungen darüber besitzen), hätte aber wesentliche Änderungen unserer Logik zur Folge (mit denen Rescher sich auch beschäftigt hat). (Wir können dann nicht nur zwei Wahrheitswerte annehmen - wahr und falsch -, sondern drei: wahr falsch und unentscheidbar.)
In einer weiteren Hinsicht erscheint die epistemische Kluft einem plausiblen und in der Geschichte der Philosophie wichtigen Tatbestand Ausdruck zu verleihen: wenn wir sagen die Dinge seien grün oder blau; es gebe Elektronen und Neutronen usw., dann machen wir keine Aussagen über die Dinge an sich, sondern geben unsere Sicht der Dinge kund - unter einem epistemischen Vorbehalt: daß wir die Dinge so Wahrnehmen, wir aber nicht behaupten wollen einige Dinge seien an sich und nicht nur für uns grün oder blau. Das heißt wiederum, daß wir einige Dinge in Betracht ziehen müssen: daß wir nur unserem Begriffssystem interne Aussagen treffen können; daß wir uns mit unserem Kriterien der Wahrheit nicht auf Tatsachen beziehen können; und daß das Kriterium der Wahrheit manchmal fehlgehen kann in der Identifizierung von Wahrheiten. Trotzdem wollen wir ein anwendbares Kriterium für wahre Propositionen finden.
Konkurrenten von Kohärenz als Kriterium der Wahrheit wären: pragmatische Kriterien - z.B. Nützlichkeit -, Konsens, ideale Verifikationsbedingungen, Evidenz, Intuition usw. Nützlichkeit und Konsens sind als Kriterien in manchen konkreten Situationen unbrauchbar. Dies ist aber genau ein Erfordernis unserer Theorie: es soll anstelle der als Kriterium unbrauchbaren Korrespondenz uns ein einfacheres Kriterium an die Hand geben, zwischen wahren und falschen Propositionen zu unterscheiden. Ob diese Kriterien später noch eine Relevanz haben werden bleibt unbenommen.
Ideale Verifikationsbedingungen, Evidenz, Intuition sind fundamentalistische Kriterien. Sie behaupten, daß es möglich sei unter bestimmten Umständen oder für bestimmte einfache Sachverhalte ohne epistemische Kluft die Wahrheit bestimmter entsprechender einfacher Propositionen zu bestimmen. Aus diesen auf jeden Fall wahren Propositionen bzw. Sätzen könnten wir dann die Wahrheit anderer Sätze ableiten. Dies ist aufgrund der axiomatischen Struktur dieses Vorschlages mit verschiedenen Problemen belastet:
1. sind die grundlegenden Propositionen, irreversibel wahr und selbstevident: "Auf diesem Tisch liegt eine Tomate." Jeder Zweifel scheint da rein theoretisch - wir haben sehr gute Beobachtungsbedingungen und bei so einfachen Sachverhalten kann man sich kaum irren. Diese ersten Propositionen müssen nun für den gesamten Inhalt der weiteren Erkenntnisse sorgen und daher immens gehaltreich sein. Gleichzeitig müssen sie aber auch hinreichend einfach sein um evident zu sein. Beides gleichzeitig ist kaum zu erfüllen.
2. Da wir für die Ableitung der Erkenntnisse aber nur logische Gesetze zur Verfügung haben, weil die Ableitung deduktiv sein soll, geht der Informationsgehalt der gewonnenen Erkenntnisse nicht über den der anfänglichen Propositionen hinaus.
Also ist die fundamentalistische Konstruktion der Erkenntnis nicht hinreichend.
Allerdings widerspricht der "einfache" Begriff der Wahrheit auch unseren alltäglichen Erfahrungen: wir können uns selbst unter idealen Bedingungen über Sachverhalte täuschen.
Weitere Intuitionen leiten unser Verständnis des Kriteriums der Wahrheit: je größer unsere Datenbasis, desto wahrscheinlicher wird es etwas wahres zu sagen; trotzdem ist Wahrheit keine graduelle Sache, entweder ein Satz ist wahr, oder nicht. Außerdem scheint Wahrheit wesentlich mit Systematizität zu tun zu haben, wie der Erfolg der Wissenschaften zeigt. Erst wenn wir unser gesamtes Wissen über einen Bereich in Zusammenhänge bringen, die exakte Schlüsse zwischen den Elementen erlauben, kommen wir zu immer vollständigerem und aussagekräftigerem Wissen.
Bis jetzt haben wir also mit Rescher folgende Merkmale des Kriteriums der Wahrheit ausmachen können: es muß uns internalistisch erlauben wahre Propositionen zu bestimmen,. ohne unmittelbar auf Tatsachen rekurrieren zu können, und ein berechtigendes Kriterium sein. Es muß für die Anwendung des Kriteriums eine epistemische Kluft bestehen, die aber zumindest approximativ geschlossen werden können soll, d.h. es muß trotz der Kluft Aussicht bestehen etwas Wahres zu sagen.
Rescher will mit der Kohärenz als Kriterium der Wahrheit diesen Anforderungen Rechnung tragen. Kohärenz soll sich an der Methodologie der Naturwissenschaften orientieren, also unser empirisches Wissen über die Welt systematisieren und in der praktischen Anwendung im weitesten Sinne überprüfbar machen.
Der Gedanke der KH hat in der Geschichte der Philosopie seinen Anfang, wo die sterenge Unterscheidung zwischen Begriffssystem und empirischem Datum fragwürdig wird, bei Kant - denn die Begriffe sind ohne Anschauung blind und die Anschauung ohne Begriffe für uns nichts.
Jedoch wird erst mit Hegel der Gedanke der KH voll entfaltet. Er hebt die Differenz 'Datum - Begriffssystem' vollständig zugunsten des Begriffssystems auf. Für ihn ist das Wahre das das Ganze des Wissens, die vollendete Wissenschaft. Wir können dies illustrierend - und etwas verfälschend - als ideale Kohärenz verstehen, wir werden gleich auf diesen Begriff zurückkommen.
Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts haben gerade die englischen Idealisten den Gedanken der KH als Bedeutung von W* fortentwickelt, in einer Parallelisierung ontologischer und kognitiver Systematizität, wie wir es jetzt ausdrücken können. In der analytischenPhilosophie hat die KH mittlerweile einen hohen Stellenwert als Kriterium für Wissen und Meinungszuschreibungen.
Unter kohärentem Wissen verstehen wir ein System des Wissens, das nicht nur eine Ansammlung von Daten ist, sondern auch Voraussagen für weitere mögliche wahre Propositionen erlaubt. Die Elemente unseres Wissens müssen also systematisch untereinander verbunden sein, so daß Schlüsse nicht nur deduktiver Art möglich sind. Dabei reicht Konsistenz als rein logischer Begriff nicht aus, um Systematizität zu bestimmen.
Wir verstehen unter einem System eine Menge von Elementen und eine Menge von Beziehungen, die diese Elemente untereinander in Beziehung setzen:
S ist ein System, genau dann wenn S = E, R1, R2, ...Rn. (wobei E eine Menge von Elementen (von S) ist und R1,R2,...Rn eine Menge von Relationen, die zwischen diesen Elementen bestehen).
Im Prozeß der Systematisierung muß aus den in der Erfahrung (im wissenschaftlichen Prozeß) gesammelten Daten ein solches System entstehen.
Dabei haben wir mit dem Problem zu kämpfen, daß die uns zur Verfügung stehenden Daten nicht immer zuverlässig sind, wir aber anfangs keine andere Möglichkeit haben, die falschen Daten von den wahren zu unterscheiden als aufgrund eben der Daten, die uns gegeben sind. Es scheint so als wäre uns auch hier der direkte Weg versperrt. Wir können nicht einfach von den als wahr angenommenen Daten auf ein System von Wahrheiten schließen, wie es der eben erwähnte Fundamentalismus voraussetzt. Folgender Weg läßt sich nicht einschlagen:
fundamentale erkannte Wahrheit ----------------------------> systematisierte Wahrheit
Rescher muß ein wechselseitige Verhältnis annehmen zwischen den als wahr angenommenen Daten und der Systematisierung dieser Daten zu einem System. Dabei steht zu Beginn der Systematisierung nicht nur ein "Systementwurf" zur Verfügung, sondern es müssen erst mehrere mögliche Systeme nach Kriterien stärkerer oder schwächerer Systematizität (Kohärenz) überprüft werden, und daraufhin die möglicherweise inkohärente Menge der Anfangsdaten in systematisierbare und nicht systematisierbare aufgeteilt werden - d.h., wenn wir uns für ein System entschieden haben, wahre und falsche Anfangsdaten. Rescher nennt nur diejenigen Anfangsdaten, die in das System einbezogen werden, also nur diejenigen die für uns wahr sind, Daten.
Damit haben wir ein neues Verhältnis zwischen Daten und System: was ein Datum ist steht nicht von vornherein fest, sondern dies entscheidet sich erst aus dem Blickwinkel der Systematisierbarkeit. Nicht mehr alle Anfangsdaten sind unwiderruflich wahr und fundamental, sondern sie gelten als Wahrheitskandidaten. Dies schließt einen externen Standpunkt für die Wahrheit aus, wie zuvor gefordert, es gibt keinen privilegierten Zugang zu irgendwelchen Wahrheiten bzw. Tatsachen. Damit wird aber auch die Suche nach Wahrheit wesentlich schwieriger, da wir uns nicht mehr auf Evidenz oder ähnliches verlassen können.
Der Zusammenhang zwischen Daten und System muß anders gefaßt werden. Rescher schlägt den Begriff der Hegelschen Inversion als Beschreibung des folgenden Zusammenhangs vor:
systematisierbare Daten ---------------------------->als wahr annehmbare Daten*.
*(oder als wahr bestimmte, mit einem Wahr-heitsstatus ausgestattete Daten)
Das Prinzip der Hegelschen Inversion läßt sich vorläufig so ausdrücken:
(HI) Wenn eine These das Merkmal der Kohärenz mit allem, was sonst als erkannt gilt, aufweist, dann - und nur dann - ist sie Teil der realen Erkenntnis (welche ihrerseits die Realität selbst charakterisiert).
Die allgemeine Vorgehensweise läßt sich so veranschaulichen:
Angenommen wir haben eine Datenbasis D = {p, q, -pv-q}, die offensichtlich inkonsistent ist. Dann ergeben sich drei konsistente Untermengen:
D1 = {p, q}, D2 = {p, -pv-q}, D3 = {q, -pv-q}.
Für den Begriff der Kohärenz ist nun erforderlich, daß eine Menge von Propositionen in dem Sinne untereinander kohäriert, daß alle Elemente der Menge untereinander verbunden d.h. auseinander ableitbar sind, und der Kontext der Propositionen in dem jede einzelne Proposition steht diese in ihrem Gehalt bestimmt.
Um diesen Begriff der Kohärenz für eine Menge von Propositionen zu bestimmen, erläutert Rescher den Begriff der Kohärenz durch: Umfassendheit, Konsistenz und Zusammenhang.
Umfassendheit: definiert sich als: Inferentielle Geschlossenheit (alle logischen Implikationen sind eingeschlossen), Einschluß der Logik, beschränkte logische Vollständigkeit (ein Satz oder dessen Gegenteil ist unter Standardbedingungen Teil der wahren Sätze).
Konsistenz: nicht ein Satz und dessen Gegenteil ist Teil der Menge.
Zusammenhang: eine Proposition p ist kontextuell mit anderen Propositionen verknüpft, d.h., wenn der Wahrheitsstatus einiger Propositionen ein anderer wäre, wäre der eigene Wahrheitsstatus (von p) davon betroffen.
Weitere Kriterien sind z.B. Gesetzmäßigkeit und Einfachheit.
Wir können jetzt die Ergebnisse, die wir bis hierhin haben, in eine der Äquivalenzen einsetzen, die wir zu Beginn des Semesters in diesem Seminar kennengelernt haben. Wenn wir dies tun wollen, müssen wir uns fragen, welche Form der Äquivalenz hier vorliegt. Da die Äquivalenz, die wir gleich betrachten wollen, in diesem Kontext Ausdruck der Bedeutung des Wortes "wahr" sein soll, ist der Zusammenhang der Relata Synonymie; daher gilt:
Die Proposition X ist wahr, genau dann wenn: X korrespondiert mit dem Sachverhalt, daß p und p besteht.
w(X) = Korr (X/p) p. (Das '=' bedeutet hier ist synonym mit'.)
(Wobei "Korr (A/q)" heißen soll: Die Proposition A korrespondiert mit dem Sachverhalt, daß p. w(A) soll heißen: die Proposition A ist wahr).
Daneben gibt es bei Kirkham auch eine allgemeine Formulierung für Kriterien der Wahrheit. Wenn wir unser Kriterium einsetzen, heißt sie:
Wahrheit korreliert positiv mit Kohärenz und es ist relativ leicht zu bestimmen, wann eine Proposition dieses Merkmal besitzt.
Wenn wir uns diese beiden Formulierungen anschauen, dann stellt sich die Frage, mit welchem Recht wir eigentlich einen Zusammenhang herstellen zwischen Kohärenz und Wahrheit? Warum sollte irgendein System nur weil es eines ist, schon wahr sein bzw. wahre Propositionen enthalten? Wieso sollte es nur ein einziges kohärentes System geben? Es kann doch im Prinzip auf der gleichen Datenbasis mehrere gleich kohärente Systeme geben, die sich gegenseitig ausschließen. Gibt es dann mehrere Wahrheiten? Was ist mit fiktionalen Texten? Einen fiktionaler Text, in dem der 2. Weltkrieg nicht stattgefunden hat, weil Kaiser Wilhelm II. nicht abgedankt hat - oder ähnliche auch noch weniger wahrscheinliche Aussagen - ließen sich auch kohärent als System darstellen.
Rescher kann dem letzten dieser Einwänden begegnen, indem er darauf verweist, daß die Grundlage eines kohärenten Systems die Daten sind, die empirisch gewonnen und kausal von der Realität abhängig sind. Sicher kann man einen fiktionalen Text als System darstellen, aber die dabei verwandten Daten geben dem entstandenen System nur eine Berechtigung als System nichtempirischer Daten, eben ein fiktionales System.
Dem Einwand der Berechtigung des Zusammenhanges zwischen Wahrheit und Kohärenz ist schon schwerer zu begegnen. Rescher mußte dazu seine ursprüngliche Theorie, wie sie in dem Aufsatz nach dem ich mich bis jetzt in der Darstellung gerichtet habe - "Die Kriterien der Wahrheit" von 1973 (im Aufsatzband von Skirbekk; d.i. der Anfang des Buches "The Coherence Theory of Truth") - dargelegt ist, ändern. Seine neue Position stellt er in dem Aufsatz "Wahrheit als ideale Kohärenz" von 1985 vor. Bisher sind wir davon ausgegangen, daß es einen unüberwindbaren Unterschied zwischen Bedeutung der Wahrheit - nämlich Korrespondenz - und dem Kriterium der Wahrheit gibt.
Als Kriterium der Wahrheit hatten wir mit Rescher die Kohärenz bestimmt, deren wichtigste Eigenschaft Systematizität ist. Wir nehmen also an, daß eine Theorie, eine Reihe von Aussagen, dann für uns wahr ist, wenn sie kohärent bzw. systematisch sind. Wir wollen dies kognitive Systematizität nennen. Den Aussagen der Theorie entsprechen in der Realität Tatsachen. Stehen diese Tatsachen nun auch in systematischen Beziehungen zueinander, d.h., besteht ontologische Systematizität? Die Kohärenztheorie muß dies annehmen, um überhaupt sinnvoll behaupten zu können, daß kohärente Aussagen wahr sind. D.h. Rescher vertritt die These, daß ein ausreichend signifikanter Grad von Systematizität in der Welt eine kausale Vorbedingung für unsere kognitive Systematizität hinsichtlich der Welt darstellt.
Wenn dies eine Aussage über die Natur der Dinge ist können wir sie aber eigentlich nicht machen, nach der Forderung einer internalistischen Theorie der Wahrheit. Außerdem haben wir bereits festgestellt, daß eine epistemische Kluft besteht zwischen unseren internen Aussagen und ontologischen Aussagen.
Ich möchte Reschers komplexe Antwort nur sehr verkürzt andeuten.
Er liefert statt eines Beweises für die ontologische Systematizität eine pragmatische Begründung, indem er nicht die ontologischen Aussagen begründet, sondern die Methode - durch Kohärenz das zu bestimmen, was wir wahres Wissen nennen. Die Methode begründet er indem er sie pragmatisch als derzeit einzig mögliche und beste Methode ausweist. Er nennt dies methologischen Pragmatismus. Wenn die Methode voraussetzt, daß wir auch ontologische Systematizität annehmen müssen, dann ist dies Konsequenz einer kohärenten Theorie und für uns wahr.
Damit entgeht er auch dem Regreß in den ihn die Pyrrhonischen Skeptiker treiben wollen, indem er den Bereich der Theorie verläßt.
Wenn dies so ist, dann können wir auch den Zusammenhang der Bedeutung der Wahrheit und dem Kriterium der Wahrheit neu bestimmen. Es kann ein innerer Zusammenhang bestehen, zwischen der Bedeutung der Wahrheit, die auf externe in systematischer Beziehung stehende Tatsachen rekurriert - und dem Kriterium, das auf in systematischer Beziehung stehende Propositionen verweist. Der Zusammenhang ist Korrespondenz. Damit wird auch für den Kohärenztheoretiker Korrespondenz möglich. Allerdings mit einer Einschränkung: der Grad der Systemtizität der kohärenten Theorie müßte dem Grad der ontologischen Systematizität entsprechen. Das heißt für das Kriterium der Wahrheit, das als Ausdruck der Bedeutung der Wahrheit verstanden werden soll: nur ideale Kohärenz korrespondiert optimal mit der Realität, nur ideale Kohärenz kann die Bedeutung der Wahrheit bestimmen.
Rescher bestimmt den Begriff der idealen Kohärenz durch den Begriff der vollendeten Datenbasis und des optimalen Kohärierens. Eine optimale Datenbasis ist nur dann gegeben, wenn die Datenbasis vollständig und angemessen ist. Vollständig ist sie, wenn wir für jede beliebige Proposition angeben können, ob sie oder ihre Negation Teil der Datenbasis ist. Angemessenheit bedeutet, daß alle Daten auch Tatsachen sind. Optimales Kohärieren heißt: für jede Aussage läßt sich angeben, ob sie oder eine Alternative besser ko-systematisierbar mit dem System ist. Rescher kann dann einen strengen Beweis dafür geben, daß ein ideal kohärentes System nur ein einziges sein kann. Dann folgt der Beweis, daß die Bedeutung der Wahrheit ideale Kohärenz ist.
Wenn wir noch einmal auf die Äquivalenz für die Proposition X schauen, dann können wir die Bedeutung von Wahrheit (implizit) nunmehr so definieren:
Die Proposition "X" ist wahr, genau dann wenn: X kohäriert ideal mit der optimalen Datenbasis D und p besteht. Bzw.:
w (X) <=> Koh (X/D)&p.
Wenn wir uns an die (unterstellten) Intuitionen über unser Verständnis von Wahrheit erinnern, so sind diese hier erfüllt: je größer unsere Datenbasis wird, desto mehr nähern wir uns der Wahrheit an. Die Größe der Datenbasis allein reicht aber nicht hin, wir müssen unser Wissen systematisieren. Das heißt aber auch: je systematischer unser Wissen ist, desto wahrscheinlicher wird es, etwas Wahres zu sagen. Was wahr ist, ist aber nicht unserem Belieben überlassen, sondern hängt davon ab, was der Fall ist. Die epistemische Kluft bleibt bestehen, wird aber immer enger. Sie je schließen zu können, ist natürlich aussichtslos.
Rescher möchte zeigen, daß Kontinuität besteht zwischen Korrespondenz als Bedeutung der Wahrheit und Kohärenz als Kriterium der Wahrheit. Dies scheint ihm erforderlich geworden zu sein aufgrund der Frage, ob denn irgendeine wesensmäßige Beziehung bestehe zwischen Wahrheit und Kohärenz, d.h. ob Kohärenz als internes Kriterium der Wahrheit eine bloß methodische Übereinkunft sei oder ein im Begriff der Wahrheit liegende Verbindung bestehe. Wenn keine wesensmäßige, in der Bedeutung von Wahrheit liegende Beziehung besteht, so würde sich dieses Kriterium skeptischen Nachfragen nach der Berechtigung gerade dieses Kriteriums aussetzen.
Rescher setzt als These an, daß Kontinuität bestehe zwischen dem Begriff der Wahrheit und idealer Kohärenz, d.h. Kohärenz unter dem Blickwinkel der Idealität ist ein Teil der Bedeutung von Wahrheit.
Die Forderung nach Kontinuität des Kriteriums mit der Bedeutung der Wahrheit läßt sich als Angemessenheitsbedingung für Kriterien im allgemeinen formulieren:
ein Kriterium ist dann adäquat, wenn es unter idealen Bedingungen zur Sache selbst führt.
Für Wahrheit würde dies dann heißen, daß die Menge der wahren Sätze koextensiv ist mit der Menge der unter idealen Bedingungen kriteriologisch gerechtfertigten Überzeugungen. Dies könnte man mit Rescher für ein beliebiges Kriterium K so formalisieren:
(S) [ 'S' ist wahr <=> K(S/i(S)) ]
Erläuterung:
K(S/f) heißt: die Aussage S erfüllt das Kriterium K unter der Voraussetzung, daß die Umstände f vorliegen;
i(S) steht für: (epistemisch) ideale Umstände hinsichtlich
der Aussage S.
[Fußnote: Rescher kann hier eine logische Beziehung (Koextensionalität)
zwischenWahrheit und der Kohärenz aufgrund des Blickwinkels
der Idealität einführen, die er in seinem Buch "Die
Kohärenztheorie der Wahrheit" für 'normale' Kohärenz
abgelehnt hat, aufgrund der Möglichkeit von Fehlern bei der
Anwendung oder der Unshärfe des Kriteriums. Rescher berücksichtigt
zwei Fehlermöglichkeiten, indem er sowohl epistemisch ideale
Umstände der Anwendung fordert, als auch optimale Umstände
für das Kriterium selbst - die in einer vollendeten Datenbasis
bestehen. Allerdings ist damit die mögliche Unschärfe
des Kriteriums als Fehlerquelle nicht vollständig ausgeräumt,
es besteht auch unter idealen epistemischen Bedingungen noch die
Möglichkeit, daß das Kriterium selbst in seiner Definition
- also in solchen Teilbestimmungen wie Konsistenz, Einfachheit,
Erklärungskraft usw. - nicht scharf genug gefaßt ist.
Dies ist allerdings kein genereller Einwand, sondern läßt
sich aus der Kohärenztheorie Reschers selbst ergänzen,
seinem methodologischen Pragmatismus. Rescher muß fordern,
daß das Kriterium Resultat einer abgeschlossenen und idealen
wissenschaftlichen Prozesses ist, der solche Unschärfen beseitigt
hätte.]
Um genau dieses Verhältnis zwischen idealer Kohärenz und wahren Sätzen zu beweisen muß Rescher die beiden Implikationen beweisen, die zusammen die gewünschte Äquivalenz ergeben:
'S' ist wahr => 'S' ist ideal kohärent
'S' ist ideal kohärent => 'S' ist wahr
Für diesen Zusammenhang ist das logische Verhältnis noch unbestimmt. Es reicht für das Beweisziel jedoch nicht, wenn wir einfache Koextensionalität beweisen, das Implikationsverhältnis also materiale Implikation ist, sondern Rescher muß ein logisch notwendiges Verhältnis zwischen Wahrheit und idealer Kohärenz beweisen, wenn er zeigen möchte, daß im Begriff der Wahrheit Kohärenz enthalten ist. das Verhältnis ist also Enthaltensein (entailment), d.h. logische Implikation.
Rescher erläutert den Begriff der idealen Kohärenz folgendermaßen:
eine Tatsachenproposition 'S' ist ideal kohärent genau dann, wenn S mit einer vollendeten Datenbasis B optimal kohärent ist.
Es soll B für die optimale Datenbasis stehen, und 'S'cB für 'S' ist mit der Datenbasis B optimal kohärent.
Wir können das Beweisziel also so formalisieren:
(C) 'S' ist wahr <-> 'S'cB
Diese Äquivalenz will Rescher in zwei Schritten beweisen, d.h. die beiden Implikationen:
(I) 'S' ist wahr -> 'S'cB
(II) 'S'cB -> 'S' ist wahr
Rescher expliziert, was er unter den Begriffen optimale Kohärenz und vollendete Datenbasis - die den Begriff der idealen Kohärenz definieren - verstehen will:
optimale Kohärenz: 'S' steht in optimaler Kohärenz
mit der Datenbasis B ('S'cB) heißt,
1. 'S' repräsentiert ein Mitglied einer Familie sich gegenseitig
ausschließender und erschöpfender Alternativen
S = {S1, S2, S3, ... , Sn}
2. 'S' ist reibungsloser kosystematisierbar mit B als dies
bei irgendeiner Alternative der Fall ist, sei es einzeln oder
im Kontext, d.h. insbesondere: reibungsloser kosystematisierbar
als 'S'.
Ko-systematisierbarkeit ist hier definiert durch die Prinzipien kognitiver Systematisierung, die einen Maßstab liefern, wie sie von Rescher in seinen Büchern "Cognitive Systematzation" und "The Coherence Theory of Truth" ausgearbeitet wurden.
Vollendete Datenbasis: eine vollendete Datenbasis B
ist definiert durch Vollständigkeit (oder auch 'Umfassendheit')
und Angemessenheit (oder auch 'Definitheit')
1. Vollständigkeit: ist B eine vollendete Datenbasis
( perf(B) ), dann heißt dies notwendigerweise für
jede These innerhalb des Diskursbereiches: entweder 'S' selbst
oder 'S' stehen in optimaler Kohärenz zur vollendete Datenbasis
B (die Zugehörigkeit von 'S' zu B ist entscheidbar).
perf(B) -> (('S'cB) ('S'cB))
2. Angemessenheit: ist B eine vollendete Datenbasis,
dann heißt dies, daß sie realitätsbestimmenden
Status hat.
perf(B) -> (('S'cB) -> R(S))
R(S) steht für: 'S' ist eine Tatsache, ein im ontologischen
Sinn bestehender Sachverhalt.
Vollständigkeit und Angemessenheit sind Bedeutungspostulate des Begriffes einer vollendete Datenbasis, d.h. es ist im strengen Sinne notwendig, daß dieser Begriff, wenn er überhaupt denkbar ist, so konzipiert wird.
Der Begriff der Angemessenheit erfordert noch etwas Erläuterung: Nach Rescher läßt die vollendete Datenbasis keine epistemische Kluft mehr zwischen berechtigt für wahr gehaltenen Aussagen und Tatsachen, allerdings nur in dieser Richtung: jeder Aussage der Datenbasis entspricht eine Tatsache, d.h. die Datenbasis enthält nur wahre und alle Aussagen, die in allen beliebigen Sprachen - 'S' soll eine Tatsachenproposition sein - gebildet werden können (sie ist vollständig). Damit beschreibt B die gesamte, Menschen kognitiv zugängliche Realität. Es könnte trotzdem noch sein, daß es Tatsachen gibt, die kognitiv nicht zugänglich sind, da die Implikation in der umgekehrten Richtung noch nicht gilt.
Nun könnte es aber sein, daß es eine zweite Datenbasis geben könnte, die ebenfalls vollendet ist und in sich optimal kohärent. Es ist der häufig gegen eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der Rechtfertigung von Wahrheit vorgebrachte Einwand, daß es aufgrund von Kohärenzkriterien nicht entschieden werden könne, welche Datenbasis diejenige ist, die die Realität richtig beschreibt. Rescher begegnet diesem Einwand mit dem Beweis, daß zwei Datenbasen, wenn sie vollendet sind identisch sind.
Da dieser Beweis von der Angemessenheit der Datenbasis Gebrauch macht können wir diesen Beweis als Hinweis darauf werten, daß die Datenbasis eine Beschreibung der Realität ist und also empirische Daten einschließt. D.h. entweder die beiden Datenbasen unterscheiden sich - dann beschreiben sie die Realität unterschiedlich und wir können anhand der enthaltenen empirischen Daten nachprüfen, welche die Realität korrekt beschreibt - oder sie sind identisch. Diesen Beweis möchte ich überspringen da er nicht kontrovers ist.
Wir können nun dazu übergehen die beiden Äquivalenzen (I) und (II) zu beweisen. Wir bilden dazu zuerst zwei Lemmata ((P1) und (P2)).
Aus der Angemessenheitsbedingung folgt (da B eine vollendete Datenbasis ist durch Abtrennung):
(P1) 'S'cB -> R(S)
D.h., wenn 'S' mit B optimal kohäriert, dann ist 'S' eine Tatsache.
Aus der Vollständigkeitsbedingung folgt (durch Umformung):
(P2) -('S'cB) -> ('-S'cB)
Wenn 'S' nicht mit B in optimaler Kohärenz steht, dann folgt, daß 'S' mit B in optimaler Kohärenz steht.
Wir benötigen ein weiteres Prinzip, das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten ((GAD), tertium non datur). Mittels des Begriffs der Tatsache R(S) läßt es sich so beschreiben:
(GAD) -R(S) <-> R(-S)
Diese Gesetz gilt, obwohl es im ersten Teil aufgrund der epistemischen Kluft zugunsten einer dreiwertigen Logik scheinbar abgelehnt wurde. Dies ist kein Widerspruch, da einerseits dieses Prinzip für die Realität gilt, und nicht für die Sprache - das (GAD) soll aussagen, daß die Realität als wohlbestimmt angenommen wird. Andererseits wurde die Dreiwertigkeit der Logik eingeführt aufgrund der epistemischen Kluft, die dadurch verursacht war, daß unsere faktisch vorhandenen Wahrheitskriterien uns keine absolut sicheren Ergebnisse liefern. Im vorliegenden Fall haben wir es aber mit einer idealen Situation zu tun, in der wir wesentlich stärkere Kriterien der Wahrheit zur Verfügung haben, die uns aufgrund der Vollständigkeit und Angemessenheit der vollendeten Datenbasis sichere Ergebnisse liefern.
Weiterhin müssen wir das Adäquationsprinzip (R) einführen, als Bedeutung der Wahrheit:
(R) 'S' ist wahr <->R(S)
Damit können wir bereits die These (II) beweisen:
1. 'S'cB -> R(S) (P1) 2. R(S) <-> 'S' ist wahr (R) 3. 'S'cB -> 'S' ist wahr 1, 2;
Nun zu These (I):
1. 'S'cB -> R(S) (P1) 2. '-S'cB <-> R(-S) 1 S/S 3. -R(-S) -> -('-S'cB) 2 (ab)(ba) 4. R(S) <-> -R(-S) (GAD)' 5. R(S) -> ('-S'cB) 3, 4 Kettenschluß 6. -('S'cB) -> ('-S'cB) (P2) 7. -('-S'cB) -> ('--S'cB) 6 S/S 8. R(S) -> ('S'cB) 5, 7 Kettenschluß 9. 'S' ist wahr -> ('S'cB) 8, (R); = These (I)
Nehmen wir These (I) und These (II) zusammen, so ergibt sich:
(C) 'S' ist wahr <-> ('S'cB). q.e.d.
Aufgrund eines Kettenschlusses der Prinzipien (C) und (R) können wir nun auch folgendes formulieren:
(C) <->(R) , d.h. das Kohärenzprinzip und das Äquivalenzprinzip sind logisch äquivalent.
Damit ist nicht gesagt, daß jedem Bestandteil der Realität (wir können für das Folgende nicht mehr von Tatsachen sprechen, da diese sprachabhängig definiert sind) eine Proposition entspricht, da die Tatsachen R(S) abhängig von 'S' formuliert sind. Sonst würde sich aus dem Satz (C) (R) das Problem ergeben, daß folgender Satz ableitbar ist:
R(S) -> ('S'cB),
was unter einer sprachunabhängigen Interpretation von R(S) z.B. als ontischer Bestandteil der Realität, heißen würde, daß es für jeden Bestandteil der Realität einen Satz gibt, der diesen Bestandteil in der Sprache repräsentiert. Dies würde nicht nur die epistemische Kluft schließen, sondern auch postulieren, daß es keinen Bestandteil der Realität gäbe, der uns nicht zugänglich ist. Dies würde über das Ziel hinausschießen und die Position unplausibel machen. Reschers Position beschränkt sich dagegen auf die prinzipiell kognitiv zugängliche Realität, die Tatsachen.
Ein Problem tut sich allerdings mit diesem Beweis tatsächlich auf: gilt dieser Beweis nur für Kohärenz oder kann jedes Kriterium auf diese Weise zu den Weihen der wesensmäßigen Beziehung zur Bedeutung der Wahrheit kommen?
Auf den ersten Blick scheinen der Beweis genau auf Kohärenz zugeschnitten zu sein und nur aufgrund der Bedeutungspostulate speziell der idealen Kohärenz zu gelten. Jedoch kann diese Bedeutungspostulate jedes Kriterium der Wahrheit unter idealen Bedingungen für sich geltend machen. Gefordert sind lediglich Eigenschaften, die unter idealen Umständen zu Vollständigkeit und Angemessenheit führen. Fast jeder Vertreter eines Kriteriums der Wahrheit würde dies für sein Kriterium geltend machen. Nehmen wir beispielsweise eine pragmatische Position:
(P) 'S' ist wahr genau dann wenn: 'S' ist Resultat eines idealen praktischen Prozesses.
Statt "'S' kohäriert optimal ('S'cB)" sagen wir nun "'S' ist ein optimales Resultat ('S'rP)" und statt "mit einer vollendeten Datenbasis B" nun "eines vollendeten praktischen Prozesses perf(P)". Dann können wir auch alles weitere formulieren:
Vollständigkeit': für jede These innerhalb des Problembereiches ist entweder 'S' oder '-S' Resultat des vollendeten praktischen Prozesses; perf(P) -> (('S'rP) >-< ('-S'rP))
Angemessenheit': ist 'S' Resultat eines idealen praktischen
Prozesses, so hat 'S' realitätsbestimmenden Status;
perf(P) ->(('S'rP) -> R(S))
Auf diese Weise ließen sich noch weitere Positionen umformulieren und dann beweisen, daß sie in einer wesensmäßigen Beziehung zur Bedeutung der Wahrheit stehen. Dies liegt daran, daß Rescher keine Charakteristika in den Beweis aufnimmt, die nur von idealer Kohärenz erfüllt werden. Er sagt selbst: "Jedes zufriedenstellende Kriterium muß so beschaffen sein, daß es uns auf die Sache selbst führt - zumindest unter hinreichend günstigen Umständen." Damit wird Reschers Beweis aber nur noch zu dem Beweis, daß, wenn man ein Kriterium hat, das unter idealen Umständen die Vollständigkeits- und die Angemessenheitsbedingung erfüllt - was einige Kriterien trivialerweise tun -, so können wir sicher sein, daß uns das Kriterium wahre Resultate liefert. Mit anderen Worten: Vollständigkeit und Angemessenheit sind vielleicht notwendige aber nicht hinreichende Kriterien fuer Kohärenz.
(Benutzte Literatur:)
Bremer, Manuel: Zwei Doppelaspekttheorien der Wahrheit.In: Logos. Zeitschrift für systematische Philosophie, Neue Folge, 1995.
BonJour, Laurence: The Structure of Empirical Knowledge. Camebridge (Mass.), London: Havard University Press 1985.
Kirkham, ?: Truth.
Puntel, Lorenz B.: Einführung in Nicholas Reschers pragmatische Systemphilosophie. In: Rescher, Grenzen.
Puntel, Der Wahrheitsbegriff. Neue Erklärungsversuche. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1986.
Puntel, Lorenz B.: Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1978, (2)1983.
Rescher, Nicholas: Die Grenzen der Wissenschaft. Stuttgart: Reclam 1985.
Rescher, Nicholas: Die Kriterien der Wahrheit. In: Skirbekk, Wahrheitstheorien.
Rescher, Nicholas: Wahrheit als ideale Kohärenz. In: Puntel, Der Wahrheitsbegriff.
Rescher, Nicholas: Satisfying Reason: Studies in the theory of knowledge. Dordrecht: Kluwer 1995.
Skirbekk, Gunnar (Hrsg.): Wahrheitstheorien. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1)1977, (6)1992