Stefan Groß

Cramers Theorie des Absoluten

"Denn nicht gelingt es immerhin den Menschen,

Das Ihrige zu finden. Großes Glück

Zu tragen und zu opfern gibt der Gott

Den einen, weniger gegeben ist

Den anderen; aber hoffend leben sie."[1]

Einleitung

Postmetaphysische Denkvarianten und Differenzmodelle, wie sie im zeitgenössischen französischen Diskurs vor allem von Derrida diskutiert werden, haben Konjunktur. Derridas `differance'- ein Begriff-Nichtbegriff, der sich permanent allem Zugriff entzieht, mit dem Alles, aber auch wiederum Nichts bestimmt werden kann - wird letztlich zu einem Begriff der metaphysischen Tradition, gegen jene Derrida angetreten ist, deren Herrschaftsbegriff er zu destabilisieren suchte. Indem sich die `differance' jedem Zugriff entzieht, sichert sie sich ihre religiöse Autorität, wie Jürgen Habermas konstatiert.[2] Die `differance' zu bestimmen heißt sie negativ zu bestimmen. Sobald aber die Negativ-Bestimmtheit der negativen Theologie zur Bestimmtheit wird, muß sie erneut destruiert werden. Die `differance' wird somit selbst zu einem mythologischen Begriff der absoluten Unbestimmbarkeit. In dieser Offenheit der Bedeutung ist sie zugleich leeres Sein und leeres Nichts, Prinzip als Nicht-Prinzip, welches sich allem entzieht. Solange die Postmoderne ein Prinzip oder Nicht-Prinzip als Konstitutives oder ein zu destruierendes Konstitutives in den Vollzug ihres Denkens stellt, argumentiert sie metaphysisch. Die differance, die sich permanent entzieht, wird selbst zum unbestimmbaren Gott der Moderne. Wenn Derrida die Schrift als nicht durch Deutungsversuche zu vereinnahmende, die absolute Wahrheit der Metaphysik destruierende, postuliert, und daher so etwas wie Moderne etabliert, inkommodiert er die absolute Wahrheit der traditionellen Metaphysik. Indem Heidegger in "Was ist Metaphysik?" die Metaphysik negativ als Seinsvergessenheit expliziert, "insofern sie stets nur das Seiende als das Seiende, nicht an das Sein selbst"3 denkt, denkt er sie als die Verstellung der Eigentlichkeit von Sein. Das Seiende als Seiendes ist vom Sein verstellt. "Das Sein wird in seinem entbergenden Wesen, d.h. in seiner Wahrheit nicht gedacht."4 Nur wenn das Sein angedacht wird, wenn auf den Grund der Metaphysik als den anderen Anfang der Philosophie zurückgegangen wird, vermag sich die Wahrheit des Seins ereignen.5

Wolfgang Cramer6 bestimmt das Absolute nicht über den Umweg einer Negativ-Bestimmung, sondern seine Philosophie ist die Frage nach der Bestimmtheit des Absoluten. Indem Cramer im Zeitalter des Nihilismus und durch das von Nietzsche deklarierte Postulat, "daß Gott todt ist"7, sich einer traditionellen Theorie des Transzendenten verpflichtet sieht, ist er durchaus im Sinne Nietzsches unzeitgemäß.8 In der Tat versucht Cramer, die kritische mit der metaphysischen Vernunft zu versöhnen. Die transzendente Frage und der Versuch der Rekonstruktion eines Absoluten münden nicht in einer vorkritischen Substanzmetaphysik und spinozistischen Alleinheitslehre, sondern Cramers Theorie des Absoluten weiß sich Kant und dem deutschen Idealismus verpflichtet. Cramer ist insofern Kantianer, also er die Antwort auf jene Fragen versucht, die die Vernunft nicht abweisen könne.9 Er setzt sich aber konsequent vom Kantischen Zeitbegriff in der `transzendentalen Ästhetik' ab und denkt konsequenter Kants `Transzendentale Deduktion' zu Ende. Indem Kant, so Cramer, das Transzendenzbewußtsein nicht denkt, vermag er auch nicht Bestimmtes, Konstituiertes als Nicht-durch-das-Bewußtsein-konstituiert, erfassen. Aber auch Hegel scheint mit seiner Konstruktion des Absoluten nach Cramer zu verfehlen, insofern er das Absolute lediglich als Gedachtes postuliert, sein Sein hingegen unterschlägt. Indem Hegel in seiner Dialektik10, so Cramer, den absoluten Ort der Differenz, das Sein unterschlägt und nur auf den Ort des Gedachtseins verabsolutierend rekurriert (die im absoluten Seinsort faktisch untrennbaren Differenzen), im Ort des Gedachtseins formal abstrakt setzt, so destruiert er die absolute Differenz zu einer bloß formalen Differenz.11 Cramer geht es letztendlich um das Sein, um die Überwindung der Seinsvergessenheit in der traditionellen Metaphysik (Heidegger) und der kritischen Rationalität.

In einem ersten Teil sei daher die Ontologie der Subjektivität skizziert, mithin Cramers Theorie der Letztbegründung der Subjektivität und der Legitimation des natürlichen Ich-Gedankens als ursprünglichen Ist-Anspruch. In einem zweiten Teil soll kurz auf die Theorie der Zeit eigegangen werden, mithin die zeitliche Realität des Bewußtseins - das Bewußtsein ist Zeit expliziert werden. Hieran schließt sich die Differenzierung von philosophischer und formaler Deduktion an, bevor in einem vierten und abschließenden Teil die Konzeption des Absoluten thematisiert wird.

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I. Der natürliche Ist-Gedanke - Die Begründung der Transzendenz von Welt

Durch die Differenz von "Bestimmtes-an-sich" und Bestimmes-für-es"[12] im Bewußtsein offenbart sich dem Bewußtsein das Paradox, daß seine "Ist-Gedanken" lediglich "Ist-Ansprüche" sind. Die wesentliche Leistung des Bewußtseins ist jedoch für Cramer, das "Ist" zu denken.

Am Anfang aller philosophischen Reflexion steht für Cramer der natürliche Ich-Gedanke. Dieser natürliche Ich-Gedanke ist der allem Zweifel enthobene Gedanke. Das Ich-denke verkörpert gleichsam die cartesische Gewißheit des ego cogitans. Das Ich-denke als zweifelsfreier Ausgang des Denkens ist nach Cramer ein Haben von Gedanken. Das Ich erlebt irgend etwas heißt, das Ich hat irgendwelche Inhalte. Ohne den natürlichen Ich-Gedanken gäbe es überhaupt kein philosophisches Bewußtsein. Der Ich-Gedanke ist für Cramer der erste Gedanke, den zu untersuchen die Philosophie erst hinzukommt. Das Bewußtsein muß nach Cramer zweierlei leisten: 1. Es muß die Transzendenz von Welt rechtfertigen können, und 2. Es muß sich die Aufgabe stellen, wie es überhaupt ein Wissen von Transzendenz haben kann. Die Transzendenz zu denken, d.h. den Transzendenzgedanken zu denken, heißt, das "ist" des Gegenstandes, des "Bestimmten-an-sich", mithin daß er sei, auch wenn ich ihn nicht denke, zu denken. Gegenständliches An-sich existiert auch ohne mein Denken. Indem ich den Gedanken "Ich denke", denke ich die Differenz. Im Ich-Denken denkt sich das Ich für sich - und weiß sich in der Differenz vom Gegenstandsdenken. Der Gedanke `Ich' meint, daß alles Erleben von einem Ich erlebt wird und für ein Ich Erlebtes ist. Er meint, daß dieses Ich nicht ein Erlebtes ist, nicht etwas, welches das Ich erlebt, sondern das, wovon alles Erleben ausgeht als seinem Ursprung. Der Ich-Gedanke vermag sich vom Gegenständlichen zu lösen, um sich selbst zu denken. Diese Ursprünglichkeit der Reflexion auf sich selbst zeichnet ihn als prädestinierten Gedanken aus, der aller philosophischen Reflexion zugrundeliegt. "Wie steht es mit diesem Gedanken? Er ist selbst ein Ist-Gedanke."13 Dieser Gedanke "Ich-denke" und die daraus folgende Differenz zum Gegenständlichen ist absoluter Gedanke. Die Wahrheit des Ich-Gedankens ist, so Cramer, vor allen Ist-Gedanken die sicherste. Der Ich-Gedanke als legitimierter Ist-Gedanke14 sichert allen Ist-Gedanken ihre Geltung. Der Ich-Gedanke wird daher zum Indikator aller Ist-Gedanken. Es muß daher von der Gesichertheit des Ist-Gedankens "Ich-denke" als Fundament aller zu denkenden Ist-Gedanken ausgegangen werden. Der Ich-Gedanke als Ist-Gedanke ist dadurch bestimmt und ursprünglich wahr, weil das Ich auch tatsächlich ist und nicht nur Gedanke ist. "Die Bestimmung `Gedanke' steht unter der Bedingung des Wissens, daß das Ich nicht Gedanke ist. Und ein Gedanke ist eines Ich Gedanke. [...] Aber Gedanke ist er nur vom Ich aus."15 Das Ich weiß nur im Gedanken, daß es nicht Gedanke ist sondern der Ursprung von Gedanken. Das gegenständliche Bewußtsein des Ichs weiß um den Gegenstand nur als Nichtgegenstand. Als Transzendenzbewußtsein ist ihm aber der Gegenstand der Erfahrung, ein Nichtgegenstand, Realität. Der Cramersche Begriff von Transzendenz ist nicht der der alten Metaphysik, im Sinne von unendlich-unbegreiflich, denn auf diese Transzendenz kann sich das Bewußtsein nicht richten, sondern Transzendenz kann es nur erzeugen. "Indem das Bewußtsein um die Transzendenz des Gegenstandes weiß, kann die Transzendenz, um die das Bewußtsein weiß, allein vom Bewußtsein selbst erzeugte Transzendenz sein. Diese Transzendenz werde Als-Transzendenz genannt. Im als transzendent gewußten Gegenstand ist das Bewußtsein transzendierend. [...] Das Bewußtsein, das mit Bezug auf äußere Wahrnehmungen transzendierend ist, zeugt den Transzendenzgedanken aus sich."16 Insofern es für Cramer eine Leistung des Bewußtseins ist, Transzendenz zu erzeugen, so nennt er den Ursprung dieses Zeugens transzendental. Die Transzendentalität des Bewußtseins ist keine Gezeugte, sondern der Grund von Zeugen. "Wird es nun als die Aufgabe der Transzendentalphilosophie bezeichnet, die Transzendentialität des Bewußtseins zu begreifen und zu begründen, dann ist, falls diese Aufgabe gemeistert ist, auch die Differenz von Gegenstand und Seiendem begründet, und es ist alsdann begründet, daß Bestimmtes ist, welches weder Gegenstand noch Bewußtsein ist und welches in seiner Bestimtheit gar nicht der Beziehung auf Bewußtsein bedarf."17 Von hier aus fundiert denn Cramer auch seine Kritik am Idealismus, der ja konstatiert, daß Alles-für-es, alles Erlebte, aus sich Gezeugtes ist, der aber darin scheitert, die Transzendenz, daß es auch außerhalb des Bewußtseins Bestimmtes gibt, Realität zu erzeugen. Da Transzendenz eine Leistung des Bewußtseins ist, ist das Bewußtsein, so Cramer, das Transzendentale.18 Das Bewußtsein, so Cramer, weiß mehr, als die transzendentale Konstitutionstheorie des transzendentalen Ich postuliert, mithin es ist sich dessen bewußt, daß die Gegenstände nicht durch ein transzendentales Ego konstituiert sind, sondern daß sie vielmehr unabhängig ]sind. Die Kantische Konstitutionstheorie wie auch Husserls "transzendentale Reduktion" vermochten nicht den Gegenstand, als Nicht-Gegenstand zu konstituieren. Husserls transzendentale Konstitutionstheorie vermag nun gerade das nicht einzulösen, um das es Cramer prinzipiell geht: eine Ontologie der Subjektivität. Deren Aufgabe ist es vielmehr, nach dem Ich als dem Ursprung der Bestimmtheit, "nach den Bedingungen des Bestimmtseins dieses Bestimmten [...] zu fragen, nach den Bedingungen der Möglichkeit dieses Bestimmten; diese Bedingungen der Möglichkeit sind aber nicht transzendentale Bedingungen, denn transzendentale Bedingungen sind Prinzipien für das Gegenstände konstituierende Zeugen, selbst gezeugte Prinzipien [...]."[19] Aber auch das Kantische "Ding an sich" führt Cramer ad absurdum. Er kritisiert das unerkennbare, unbestimmte "Ich" Kants, das in seinem Ansichsein als Ich nicht erkennbar ist, sondern nur als Ich der empirischen Erscheinung zu erkennen sei, da Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" das "Ich denke", "das alle meine Vorstellungen muß begleiten können", als "Aktus der Spontanität"20 postuliert, dem nichts Mannigfaltiges eignet und durch das nichts erkannt wird. Der Gedanke "Ich denke" denkt zwar das Dasein des Ich an sich, aber es wird durch ihn nicht erkannt, was ich bin, sondern lediglich nur, das ich bin. Ist also für Kant das "Ich" an sich unbestimmt, so ist das "Ich" Cramers deutlich qualifiziert: 1. als ein hinter den Gedanken liegendes Bestimmtes, 2. als seiend notwendiges Dahinterliegendes, 3. als Sein der Gedanken, ohne die die Gedanken oder das Gedachte nicht wären, mithin daß sie nur Gedanken des Ichs sind, das selbst kein Gedanke ist. "Die Lehre von der Unbestimmtheit des Ich an sich zerstört alle Begriffe, die der Transzendentalphilosophie unentbehrlich sind den Begriff der Vorstellung, der Anschauung, der Erscheinung, des Denkens usw. Und vor allem ist jeder Begriff vom Subjekte zerstört. [...] Das Subjekt ist ein Bestimmtes von einer Bestimmtheitsform, nämlich ein derart Bestimmtes, daß etwas (Erlebtes, Vorgestelltes, Gedachtes, Gegenstände) für es ist, daß ihm etwas ist. es ist prinzipiell ein Haben von etwas. [...] Vielmehr ist das, was mit `Erscheinung' gemeint ist, eine Bestimmung von dem an sich Bestimmten aus, welches ein Subjekt ist."21 Was Cramer letztendlich an Kants "Ich an sich" kritisiert, ist die daraus folgende Differenz von Dasein und Qualifikation. Der Gedanke "Ich" ist nicht, wie ihn Kant expliziert, ein nicht bestimmender qualifizierender Gedanke, sondern nach Cramer ist er ein bestimmter Gedanke. Auch Husserls Konstitutionstheorie `konstituiert vom transzendentalen Ego' verfehlt somit das Denken des Transzendenzgedankens. "[...] nicht konstituiert die Konstitution der Intersubjektivität erst die eine Welt, sondern die eine Welt muß schon konstituiert sein, soll Intersubjektivität konstituiert werden können."22

Für Cramer wird es nun zum Thema, wie dieses Ich sich denken kann und was es selbst ist. Da der Ich-Gedanke als ursprünglicher Ist-Gedanke (denn Ich und Bewußtsein sind) absolut und wahrhaftig ist, ist er an sich bestimmt und an sich seiend. Das Ich ist faktisch und an sich bestimmt, es ist von bestimmter Bestimmtheit. Die Theorie des Ichs, die jeder transzendentalen Konstitutionstheorie vorhergeht, ist jene der ontologischen Subjektivität. "Diese Ontologie der Subjektivität ist aber selbst in der ursprünglich gerechtfertigten transzendentalen Leistung, der Erzeugung des ursprünglich wahren Gedankens `Ich denke' wohlbegründet. Die Frage nach der Möglichkeit einer Ontologie der Subjektivität ist mit dem keiner Rechtfertigung bedürftigen Realitätsgedanken `Ich denke' schon positiv entschieden."23 Während die Transzendentalphilosophie vom Bewußtsein und dessen Konstitution von Gegenständen handelt, ist es die Aufgabe der Ontologie24 der Subjektivität sich mit dem Realitätsgedanken "Ich denke" zu beschäftigen, durch dessen Ist-Anspruch erst alle übrigen Ist-Ansprüche gerechtfertigt werden können. Das `Ich' denkt die Gedanken, es denkt die Vielheit der Gedanken, "in denen jedesmal ein Ist-Anspruch, ein Transzendenz-Anspruch (der Anspruch, daß der Gegenstand an sich so sei, wie das Ich ihn denkt) steckt."25 Cramer postuliert also ausschließlich eine Ontologie des Subjekts, weil der ursprüngliche Gedanke "Ich denke" schon ontologisch ist. Von dieser Ontologie des Ichs her sind alle Ist-Ansprüche überhaupt erst zu denken. Dabei wird immer ein Transzendenzbewußtsein in Anspruch genommen, daß die Gegenstände Ein-nicht-so-sind wie sie das Ich denkt. Nur durch diese Bestimmung des Ichs als Transzendenzbewußtsein kann es anderes Seiendes denken - daß es ist, auch wenn es nicht gedacht wird, mithin daß es faktisch jenseits des Bewußtseins ist. Da aber dieses Wissen selbst eine Leistung des Bewußtseins ist, ist es letztendlich rationale Transzendenz, die ohne das "Ich denke" nicht wäre.26

Die cramerische Philosophie ist Ontologie des Ichs, ja sie ist eo ipso durch den Ich-Gedanken als Seinsgedanken ursprünglich legitimiert. Ihr Thema ist, die Prinzipien, "die die Bestimtheit-an-sich des Ich konstituieren", zu untersuchen. Indem das Ich andere Ist-Gedanken in ihrer Bestimmtheit und ihrem Ansichsein denkt, denkt es in den Kategorien, "von welchen jenes andere Seiende seinerseits ist, es erzeugt sich Gedanken von Kategorien, von Formen prinzipieller Bestimmtheit."27 Das Ich ist selbst eine Kategorie und denkt in denselben. Nur indem sich das Ich Kategorien der Bestimmtheit zeugt als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, sichert es sich die Erkenntnis von Gegenständen. Die Ansichbestimmtheit des Ansichseienden setzt die Ansichbestimmtheit der Kategorie voraus. Die Kategorien, die an sich selbst bestimmt sind, sind nicht aus sich selbst, sondern aus dem Prinzip der Bestimmtheit bestimmt. "Und weil die Kategorien also offenbar Gründe der Bestimmtheit für das Mannigfaltige und Einzelne nur zu sein vermögen, insofern sie ihrerseits einen Grund für ihre eigene Bestimmtheit haben, fällt das Prinzip der Bestimmtheit der Kategorien mit dem Prinzip aller Bestimmtheit überhaupt zusammen und dieses Prinizp aller Bestimmtheit überhaupt ist nun der Gegenstand der das philosophische Gebäude abschließenden Theorie, d.h. eben der spekulativen Philosophie."28

Die Kantische Trennung von Denken und Anschauung ist auch für Cramer eine unhintergehbare Gewißheit. Ja es ist, so Cramer, der tiefste Gedanke kantischer Prägung. Das Erfahrung nur durch Bestimmtheitsgedanken bestimmte Wahrnehmung sei, dies unterstreicht Cramer mit Kant. Die Bestimmtheitsgedanken sind auch für Cramer Gedanken, die nicht aus der Sinnlichkeit abzuleiten sind, ja vielmehr muß Denken immer schon in Bestimmtheitsgedanken sein, "um sich etwas bestimmen zu können."29 Cramer konstatiert hier die Differenz von "Denken-in" und "Denken-von". Die Bestimmtheitsgedanken (Denken-in) sind nicht frei gesetzte Gedanken, in denen das Ich irgendetwas denkt, sondern sie sind vielmehr die Bedingung der Möglichkeit von Gedanken. Das Denken muß also die Bestimmtheitsgedanken immer schon gezeugt haben, um überhaupt etwas Bestimmtes zu denken. "Dieses Zeugen muß aber gerade das Vollziehen als Denken spezifizieren. Es muß demnach ein Zeugen von spezifischen Gezeugten sein. Und dieses spezifische Gezeugte kann nicht das sein, was das Denken denkt, sondern es muß das Mittel sein, dadurch Denken etwas denkt. Als das Zeugen dieses Mittels ist Denken erst Denken, und es hat nicht die Wahl oder Freiheit, das Mittel zu zeugen. Demnach ist Denken ein notwendiges Zeugen von Gezeugtem, mittels dessen es etwas denkt."30 Der Unterschied von Bestimmtheitsgedanken und bestimmten Gedanken (Denken-von) ist der Unterschied von Notwendigkeit und Freiheit. Während das Denken im Denken der bestimmten Gedanken durch die Freiheit des Denkens mal dies oder das denkt, so sind die Bestimmtheitsgedanken nicht das, was das Denken denkt. Sie sind ungedacht, aber ohne sie gäbe es keine bestimmten Gedanken, "und es ist alles Denken von Gedachtem nur möglich durch Gedanken, die nicht Gedachtes sind. [...] Denken denkt in Kategorien als nicht-Gedachte: und denkt nicht Kategorien."31 Erst durch die Bestimmtheitsgedanken ist Denken, was es ist, nämlich ein Denken der Gedanken. Denken ist also notwendiges Zeugen von Bestimmtheitsgedanken, in denen Denken immer schon als Bedingung der Möglichkeit bestimmter Gedanken ist. Das Ich ist ein nicht vom Denken Erzeugtes. Das Ich kann aber nur in Bestimmtheitsgedanken (Form des Allgemeinen) etwas oder sich denken. "Der Bestimmtheitsgedanke ist aber Gedanke einer Form oder eines Allgemeinen. Daher kann Denken nur sich denken vermöge des Gedankens der Form, von welcher Denken als einzelnes Denken ist. [...] Denken ist also im Gedanken `Ich' bestimmend kraft eines Bestimmtheitgedankens, der selbst erst das Einzelne sich setzt, welches er bestimmt. Denken ist im Denken des Ich bestimmend und setzend."32

Die Lebensphilosophie und der Existentialismus, so Cramer, weil sie das Denken depotenzieren, verfehlen, insofern sie sich nicht eingestehen, daß alle geistigen Leistungen, nur sind weil der Geist Denken ist. ]

II. Die Konstitutionstheorie des Subjekts und die Zeit

Kant expliziert die Zeit lediglich subjektiv als eine reine Anschauung, die allen Anschauungen zugrundeliegt. Die Zeit ist, so Kant nicht ein Etwas, das für sich selbst bestünde, sondern vielmehr "die subjektive Bedingung [...], unter der alle Anschauungen in uns stattfinden können."[33] Für Cramer hingegen ist das Denken selbst zeitliche Realität. Indem das Denken denkt, ist es Zeit. Denn den Gedanken zu denken, heißt nach Cramer, Zeit zu denken. Es ist das von Kant unterlassene Nachdenken über die Zeitlichkeit des Denkens, da Kant die "synthetische Einheit der Apperzeption"34 nicht in die Dauer der Denkens, mithin nicht zur Zeitlichkeit in Beziehung setzt, was Cramer an Kant kritisiert und mit seinem an Husserl angelehnten Zeitbegriff revidiert. Es ist eine der fundamentalen Schwächen des Kantischen Begriff des Denkens, daß er Denken nicht als zeitliche Dauer denkt. So ist die Zeit nicht mehr wie bei Kant transzendental ideal als Form der Anschauung, sondern sie ist transzendental real, weil Denken Dauer des Denkens ist. Im Gedanken "Ich denke" weiß das Denken, daß die Zeit transzendental real ist. Denn im Gedanke "Ich denke" weiß das Denken, daß es nicht Gedanke ist, sondern das Haben von Gedanken, mithin zeitliche Realität ist. Das bedingte Dasein versteht sich als zeitliches Dasein, "das nicht bloß der transzendentalen Idealität der Zeit als `Form des möglichen Gegebenseins von Erscheinungen' untersteht, sondern als solches real zeitlicher Natur sein soll."[35]

III. Die Differenz von philosophischer und formaler Deduktion

Will die Philosophie sich letztendlich als Wissenschaft begründen, bedarf sie eines unhintergehbaren Grundes, der sich selbst begründet. Ein von einem X beliebigen Ausgangspunkt sich vollziehender reflexiver Letztbegündungsversuch impliziert immer ein Wechselverhältnis von einerseits Prinzipbestimmendem und andererseits vom Prinzip Bestimmten. Wenn daher ein X beliebiges Bestimmtes das Prinzip der Bestimmung bestimmte, dann würde in diesem Wechselverhältnis alles das Prinzip und das Prinzip mithin alles bestimmen. "Dann ist der Ausgangspunkt gleichgültig und `Alles' erweist sich als letztbegründet und als letztbegründend nämlich, weil jedes beliebige Bestimmte noch das Prinzip als letztbegründendes bestimmt, also selbst letztbegründende Funktion hat."[36]

Letztbegründung im cramerischen Sinne heißt aber auch nicht schlichtes Deduzieren, mithin Ableiten des Kontingenten aus dem Absoluten. Als letztbegründendes Prinzip ist das Absolute ein sich selbst bestimmendes Absolutes. Durch formale Deduktion ist das Absolute nicht zu begründen, weil zwar die formale Deduktion unter der Bedingung von Prämissen steht, aber die Prämissen selbst nicht begründet. Das Absolute aber ist ein Sichselbstbestimmen, Selbstvermitteln. Für die philosophische Deduktion ist der Erkenntnisgang von einem Ausgang zu einem im Ausgang nicht Gesetzten festzuhalten. Cramer unterscheidet immer das Denken vom selbstbezüglichen Denken des Denkens, das er negativ besetzt, weil man nicht sein Denken denkt, sondern den Inhalt, den Ist-Anspruch. Allein das Denken ist die Bedingung des Was-Gedankens. Indem der Mensch in seinem Denken allesmögliche denkt, denkt es sich auch die Faktizität des Gegenstandes, der außer seinem Denken ist. "Er kann also von einer Sache fortgehen zu sich, der bei der Sache ist, und dieser Fortgang ist ein apodiktischer. Die notwendige Bedingung seines Seins bei der Sache ist sein Denken. Die Sache wurde gedacht, nun wird das Denken der Sache bedacht. Und damit tritt ein zuvor nicht Gedachtes und nicht Gesetztes hervor, wird übergangen zu einem neuen Nichtgesetzten und dieser Übergang hat durchaus apodiktischen Charakter."37 Während die formale Deduktion38 vorwärts zu dem durch die Prämissen Bedingten schreitet, wendet sich der philosophische Gedanke zurück in der Bedingung der Möglichkeiten. Die philosophische Deduktion liefert nichtgesetzte neue Inhalte, das Deduzierte bedingt selbst noch den Ausgang, das Zubestimmende kann unabhängig vom Ausgang sein. Die philosophische Deduktion geht im Gegensatz zur formalen auf Bestimmtheiten zurück, aber nicht zu Sätzen. Mithin sind Ausgang und Rückgang einander bestimmt, aber der Ausgang bestimmt nicht das im Rückgang zu Erschließende. Die Erkenntnis braucht zwar den Ausgang, um durch den Rückgang das Zuerschließende zu erschließen, das Zuerschließende muß aber nicht durch den Ausgang vermittelt sein. Die Philosophie ist also eine Verbringung der Bestimmtheiten ins Wissen, "durch die jenes gewisse Bestimmte notwendig schon bestimmt sein muß, um zu sein, was es ist."39 Das Gedachte ist in den Gedanken zurückgegangen, wie das Denken in die Bestimmtheit des Denkens selbst zurückgeht. Indem es von dem Gedachten zum Denken und zum Denken selbst zurückgeht, findet es immer ein Nichtgesetztes. "Weil das aber bestimmt ist und keineswegs nur durch sich bestimmt ist, weil es Realität ist, ist schon mehr bestimmt, als das Denken sich selbst von sich bestimmt hat, da es in sich zurückging. Also muß es sich die Bedingungen seiner Bestimmtheit, seines Seins, analysieren können und in solcher Analyse die Bestimmung seiner selbst bereichern. Es wird aber dieser Fortgang ein apodiktischer Fortgang sein, weil er wieder ein Fortgang in dasjenige ist, in dem das Denken schon ist; welches `in' nun nicht Gedanken bedeutet, in denen das Denken immer schon denkt, sondern ontologische Bedingungen der Möglichkeit des Denkens."40 Philosophie als Letztbegründung heißt denkender Rückbezug in das immerschonseiende vordenkliche `Ist'. Alles, was ist, ist bestimmt. Die Bestimmtheit ist somit das letztbegründende Prinzip. Selbst dem vollkommen Unbestimmten geht das Bestimmte voraus, dem Grundlosen der Grund, dem Vielen das Eine. Die Bestimmtheit als ein Sichselbstbestimmen ist universal, ist das absolute Eine, das Absolute. Als diese sich selbst bestimmende Bestimmtheit bestimmt sie alles, was ist. Das Absolute als absolute Bestimmtheit ist durch nichts bestimmt. Auch wenn das Denken sich zur Bestimmtheit hindenkt, vermag es nicht die Bestimmtheit auszuschöpfen. Doch wie steht das Einzelne zur Bestimmtheit, wenn die Bestimmtheit als letztes Prinzip alles absolut bestimmend ist? Die Bestimmung ist voraussetzungslose Bestimmung. "Der Bestimmtheit aber unterliegt das Denken sowie alles, sei es nun Gedanke, Denken oder nicht Gedanke und nicht Denken."41 Die ursprüngliche Korrelation zwischen Prinzip und Prinzipatum führt in die Aporie, denn entweder führt es zur Alleinheitsthese, wo das Bestimmte nur Moment der Bestimmtheit ist oder als Bestimmtes nicht Moment der Bestimmtheit ist.

IV. Das Absolute als Tätigkeit des Sichbestimmens - Bestimmtheit und Unbestimmtheit als Urmomente der Bestimmung.

Wurde das Ich in der Ontologie der Subjektivität transzendental genannt, weil es den Transzendenzgedanken zeugte, so wird es nunmehr transzendental genannt, da es die Bestimmtheitsgedanken zeugt. Das Ich muß nun nach seiner Bestimmtheitsform fragen, durch die es transzendental ist. Es muß daher nach der Bestimmtheit seines Bestimmtseins fragen. Diesen "Grund des Bestimmtseins des Bestimmten" allein zu bestimmen, ist die Aufgabe einer spekulativen Philosophie. Das Prinzip allen Bestimmtseins kann aber selbst nicht transzendental sein, sondern es muß transzendent sein. Mit der Aufgabe, die sich die spekulative Philosophie gestellt hat, mithin nach dem "Prinzip der Bestimmtheit" der Bestimmtheitsformen zu fragen, verläßt sie den Spielraum der Subjektivität und der transzendentalen Ontologie. "Die Frage nach dem Geiste oder der Transzendentalität des Ich muß nicht nur das transzendentale Ich, sondern auch seine Bestimmtheitsform transzendieren."42 Indem die ontologische Größe des Prinzips der Prinzipien jenseits der Welt und der Erfahrung transzendent steht, wird jenes Prinzip der Bestimmtheit absolutes Prinzip und die Philosophie der Ontologie wird zu einer Metaphysik des Transzendenten. Das Absolute, das Prinzip der Prinzipien ist ein absolutes Sichselbstbestimmen. Es ist nicht nur die Bestimmtheit selbst, sondern als ein Sich-selbst-bestimmen ist es Subjekt.43 Es ist als das Absolute die absolute Freiheit, aber auch das absolute Vermögen der Aktion. Es ist Tätigkeit und Tun. Während das "Ich" notwendig in Bestimmtheitsgedanken denkt, so ist das Absolute ein mögliches Bestimmen, das sich nicht wie das Hegelsche Absolute durch seine Momente, oder wie die absolute Substanz, der alles Andere nur unselbständiges Moment ist, wie Spinoza sie denkt, konstituiert. Hegels Konstruktion des Absoluten, diese Lehre, die nur Momente des Absoluten konstituiert, scheitert, so Cramer, weil sie das Eine zum Moment des Aboluten macht, was zur Folge hat (weil ein Moment des Absoluten einzig sein muß), daß es nur Einzelne gibt, die nicht einander gleich sind. Das Kontigente hat aber keine Selbständigkeit und das Absolute ist nicht als Absolutes prädestiniert. Vielmehr geht es ja Cramer um die Synthesis: 1. Das Kontingente soll außer dem Absoluten sein, 2. aber es soll ja auch durch das Absolute sein. Cramer versucht das Kontingente als selbständig im Absoluten zu denken. Das Absolute darf daher das Kontingente, mithin Anderes, das allein durch das Absolute ist, nicht Moment des Absoluten sein, mithin es darf das Absolute nicht bestimmen, weil ja das Absolute ist, ganz gleichgültig ob Kontingentes ist. Das Kontingente bestimmt das Absolute nicht notwendig, denn sonst wäre es kein Absolutes. Das Kontingente ist daher nur mögliches. Ist Kontingentes nun als mögliches, dann kann es nur aus dem Absoluten sein. Das Absolute muß daher das Moment der Möglichkeit in sich haben. Da aber das Kontingente das Nicht-des-Absoluten ist, das Nichtseinmüssende, so muß neben der Möglichkeit noch die Negation als Moment im Absoluten sein. Die Möglichkeit und die Negation sind Momente des Absoluten. Das Absolute als absolutes Prinzip, als ein Können vermittelt sich gegen das absolute Nichts. "Die ersten Momente des Absoluten sind somit die absolute Position und die absolute Negation oder Sein und Nichts. das Prinzip der Positivität differenziert sich in die gezeugten Momente der absoluten Positivität und der absoluten Negativität."44 In dieser ursprünglichen Selbstdifferenzierung des Absoluten bleibt das Absolute Bei-sich. Die Selbstdifferenzierung wie die Differenzen sind ihm immanent. Das Resultat der Selbstdifferenzierung ist das Sein und das Nichts. Als Momente des Absoluten sind sie vom Absoluten unterschieden, sie sind nicht das Absolute, sondern jenes bestimmt sich durch sich selbst und bleibt von diesen Bestimmtheitsmomenten verschieden. Das Absolute als grundloser Grund muß zugleich gründender Grund des Kontingenten sein, "jedoch so, daß das Absolute im Gründen des Andersseins dieses frei aus sich entläßt."45 Einzelnes, Kontingentes ist von einer bestimmten Kategorie, es ist kategorial Bestimmtes. Kategorien sind nach Cramer Formen der Bestimmtheit des Einzelnen, Momente des Absoluten. Wenn daher kategorial Bestimmtes, mithin Einzelnes, Kontingentes ist, dann ist es unmittelbar durch die Kategorie bestimmt. Da die Kategorie unmittelbar im Absoluten gründet, gründet das Kontingente, das von bestimmter Kategorie ist, mittelbar im Absoluten.

In der ersten Selbstdifferenzierung hat sich das Absolute in die Momente Sein und Nichts vermittelt, es war aber hierbei noch nichts Kontingentes. Das Sein ist hier Moment und Prinzip zugleich, während das Nichts nur Moment ist. Das Sein als Moment muß sich auch im Nichts differenzieren können, weil es ja als Sein Prinzip und Moment und somit über dem Nichts als bloßem Moment ist. In der ersten Selbstdifferenzierung vermittelt sich das Absolute also in seine beiden Momente Sein und Nichts. Wobei das Sein sowohl Prinzip wie Moment ist, das Nichts aber nur Moment. Beide Momente sind aber noch für das Absolute konstitutiv, weswegen kein Kontingentes in dieser Selbstdifferenzierung sein kann. Erst in der zweiten Selbstdifferenzierung des Absoluten findet jener Übergang zum Kontingenten statt. Das Sein als Prinzip und Moment hat die Herrschaft über das Nichts als `Nur'-Moment. Das Sein als Moment muß also noch ein Prinzip des Nichts sein.46 Der Gegensatz zwischen Sein und Nichts in der ersten Selbstdifferenzierung läßt nun jedoch das Nichts unberührt. "Das Moment des Seins muß sich in das Nichts hinein differenzieren können. Diese Differenzierung ist nicht die der Momente Sein und Nichts, die das Nichts unberührt läßt, sondern Differenzierung des Nichts selbst."47 War die erste Selbstdifferenzierung des Absoluten mögliche Notwendigkeit und die Momente Sein und Nichts für das Absolute konstitutiv, so ist die zweite Selbstdifferenzierung für das Absolute nicht mehr konstitutiv. Ist das Moment der Möglichkeit (Moment der Freiheit) des Absoluten für das Absolute konstitutiv, so ist das Erzeugnis der Möglichkeit (oder Freiheit) nicht mehr für das Absolute konstitutiv. Das nicht mehr für das Absolute Konstitutive ist aber das kategoriale bestimmte Einzelne, Kontingente.

  
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