Differenzen und Hierarchien in "Ost"-"West"-Kooperationen im Bereich feministische Frauen- und Gender Forschung 1 Veronika Wöhrer Vorbemerkung Seit der "Samtenen Revolution"[1] 1989 gingen zahlreiche Veränderungen in Europa vor sich: Die ehemals "real-sozialistischen" Staaten Mittel- und Osteuropas (MOE) vollziehen - mehr oder weniger schnelle und "erfolgreiche" - Transformationen ihrer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme zu Mehrparteiendemokratien und kapitalistischen Wirtschaftsmodellen nach "westlichem Vorbild". Viele Staaten versuchen sich in "westliche" Bündnisse wie NATO und EU einzugliedern, manche sind schon aufgenommen oder stehen knapp davor. Dies bedingt, daß sie auch die darin geltenden Gesetze, Regelungen und Kriterien übernehmen (müssen). In der anderen, der "westlichen" Hälfte des Kontinents, werden jedoch weit weniger gravierende Veränderungen oder gar "Anpassungen" vorgenommen, denn die hier entwickelten politischen und wirtschaftlichen Systeme gelten als erprobt und erfolgversprechend. Die damit geschaffenen Ungleichheiten in Bezug auf Erfahrungen, Ressourcen und nicht zuletzt Einfluss und Macht, bleiben auch für das System Wissenschaft und die darin agierenden Personen nicht ohne Folgen. Forschungsgegenstand In dieser Dissertation geht es darum Auswirkungen von Differenzen und Hierarchien, die auf internationaler Ebene zwischen Ländern des "Westens" und des "Ostens" Europas bestehen, auf internationale wissenschaftliche Diskussionen und Kooperationen zu untersuchen. Die seit 1989 vermehrt stattfindenden wissenschaftlichen Kooperationen spiegeln wirtschaftliche, politische und soziale Ungleichheiten zwischen den beteiligten Staaten wider: So verfügen "westliche" Forschungseinrichtungen beispielsweise über weit mehr Gelder als "ost"europäische und "westliche" Fonds finanzieren in manchen Bereichen den Großteil der in MOE-Staaten durchgeführten Forschung.[2] "Westliche" WissenschafterInnen verfügen über mehr Zugang zu und Erfahrungen mit wissenschaftsfördernden Einrichtungen und Drittmitteln. WissenschafterInnen aus dem "Westen" haben außerdem in vielen Bereichen der Sozial- und Geisteswissenschaften, wie z.B. der Psychoanalyse, und ganz besonders bei feministischer, Frauen- und Genderforschung, einen jahrzehntelangen "Theorievorsprung", da diese Theorien in Zeiten des "Realsozialismus" nicht bearbeitet werden durften und bestenfalls im Untergrund gelesen werden konnten. Dadurch kommen "westliche" WissenschafterInnen leichter in den Status von "ExpertInnen", dieser kann zwar - je nach konkreter Begegnung - als "MissionarIn" ebenso wie als "MentorIn" interpretiert werden, doch er erzeugt immer eine gewisse Assymetrie. Ich konzentriere mich in meiner Arbeit auf ForscherInnen im Bereich der feministischen, Frauen- und Genderforschung[3]. Dieses Feld erscheint mir besonders geeignet, da es einerseits ein interdisziplinäres Gebiet ist, und somit einen breiten Rahmen an wissenschaftlichen Arbeitsweisen abdeckt, andererseits aber auch den Anspruch hat Differenzen und Hierarchien zu reflektieren und zu hinterfragen, und somit als Beispiel für Bereiche "alternativer Wissenschaft" fungieren kann. Ich verstehe meine Arbeit als im Grenzgebiet von Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftssoziologie und Gender Studies angesiedelt. Die Notwendigkeit einer Analyse und konzeptionellen Auseinandersetzung mit den Auswirkungen internationaler Machtgefälle auf wissenschaftliche Diskurse wird beispielsweise aus folgender Aussage der kanadischen Feministin Laura Busheikin deutlich: "Now it has become fashionable in the West to talk of race, class and gender as intersecting lines of opression, but this doesn't offer a framework which can fully account for Eastern European women's experience."[4] Die tschechischen Soziologin Hana Havelková ergänzt: "The geographical situation is a designation that must be included in any consideration of the categories of class, race and gender, for belonging to a country in Eastern or Central Europe makes second class sizizens of all of us when we are compared to the West."[5] Empirischer Teil Einen wesentlichen Teil meiner Dissertation stellt eine empirische Studie über zwei verschiedene "Begegnungen" von Frauen aus "West" und "Ost" zwischen 1989 und 1995 dar: Eine verlief zwischen Frauen aus den USA und der Tschechischen Republik, die andere zwischen Frauen aus Österreich und der Slowakei. Da die ?SSR bis 1989 gerade in Bezug auf feministische Theorien besonders abgeschottet war[6] und alte Ansätze aus der Zeit vor 1948 in Vergessenheit gerieten, fanden Anfang der 90-er Jahre die ersten Begegnungen mit Feminismen sowie Frauen- und Genderforschung statt, die die Weichen für künftige Kooperationen stellten. Bei den Recherchen zu meiner Diplomarbeit[7], konnte ich beobachten, dass die ersten Begegnungen zwischen ForscherInnen aus den USA und der tschechischen Republik weitgehend anders verliefen, als die zwischen ForscherInnen aus Österreich und der Slowakei. Während es zwischen ersteren zu öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten und Konflikten kam, die sich in einer großen Anzahl von provokanten Artikeln und Konferenzbeiträgen mit Titeln wie "McDonalds, Terminators, Coca Cola Ads - and Feminism? Imports from the West", "Why we are not feminists", "Eine Westfeministin geht in den Osten" oder "Why Western Feminism is not working in the Czech Republic" etc. niederschlug, verliefen letztere relativ harmonisch. Es wurde die Freude "behilflich" sein zu können, sowie das Interesse etwas von den "ExpertInnen" "lernen" zu können, betont.[8]. In beiden Diskussionen wurde jedoch mit Zuschreibungen entlang der Dichotomie "Ost" und "West" gearbeitet und in beiden verfügten "WestexpertInnen" und "OstforscherInnen" über verschiedene Zugänge zu Ressourcen, Erfahrungen und Dominanz, bzw. wurden ihnen diese Verschiedenheiten zugeschrieben. Um diese Begegnungen zu analysieren, erhebe und interpretiere ich verschiedene Daten: Im Sinne einer Methodentriangulation soll mit Interviews, schriftlichen Materialien, Beobachtungen und Zahlenmaterial ein möglichst umfassender Überblick über die Struktur von "Ost"-"West"- Kooperationen gegeben werden. Nach der Erstellung einer Art "Skizze" der wichtigsten Kooperationen und ProtagonistInnen der Jahre 1989-95 führte und führe ich Leitfadeninterviews mit ForscherInnen aus Tschechien, der Slowakei, Österreich und den USA durch, die an Kooperationen und Diskussionen beteiligt waren. Thema der Interviews sind Erfahrungen und Eindrücke, die bei Kooperationen gewonnen wurden, sowie das Bild von der eigenen Position und der der anderen TeilnehmerInnen. Parallel dazu sammle und analysiere ich schriftliche Unterlagen zu konkreten Kooperationen, die im Rahmen dieser Begegnungen stattfanden. Dies sind beispielsweise E-Mails, Briefe, Flyer, Plakate, Einladungen, Sitzungsprotokolle, Projektanträge und -berichte, Tagungsberichte, Protokolle von Workshops oder Seminaren, Konferenzpapiere, etc. sowie Publikationen, die über Kooperationen Aufschluß geben. Um einen besseren Eindruck von Interaktionen und Kommunikationsmustern in konkreten "Ost-West"-Kooperationen zu bekommen, führte ich einige teilnehmende Beobachtungen bei derzeit stattfindenden Konferenzen, Seminaren, Workshops und - soweit mir der Zugang möglich war - auch bei anderen Formen internationaler Zusammenarbeit durch. Diese dienen nicht als primäres Datenmaterial - da sie nicht im Beobachtungszeitraum liegen -, sondern um Anregungen für die Analysen der schriftlichen Unterlagen zu erhalten. Zahlenmatierial ergibt sich aus Zitierindices, Projektabrechnungen, TeilnehmerInnenlisten, etc. Die Zahlen nehmen jedoch keinen fundamentalen Bestandteil dieser Studie ein, sondern dienen als Illustrationen. Ich arbeite mit der Methode der Grounded Theory[9], da diese die Folgerung von Theorien aus empirischen Daten ermöglicht. Da sich bei der Grounded Theory die Arbeitsschritte der Datenerhebung, Datensichtung und Datenanalyse nicht strikt trennen lassen, sondern zeitlich parallel und inhaltlich aufeinander bezogen erfolgen, kann ich die Menge der Interviews und schriftlichen Unterlagen sowie die Analyseverfahren noch nicht genau nennen. Ich plane pro Land ca. 10 Interviews durchzuführen und pro Begegnung drei bis fünf konkrete Kooperationen zu untersuchen. Die Interviewtranskripte und die schriftlichen Materialien sollen mit hermeneutischen Methoden (wie beispielsweise Sequenz- und Grobanalyse[10]) analysiert werden, da diese geeignet scheinen "latente Sinnstrukturen"[11] hinter sprachlichen Ausdrücken herauszuarbeiten, die auf die Handlungssysteme, aus denen sie hervorgingen, Aufschlüsse geben. [12] Theoretischer Hintergrund Um die beobachteten Differenzen und Hierarchien zu bearbeiten, verwende ich vorwiegend Theorien der Postcolonial und Cultural Studies, die sich mit internationalen Diskursen und hegemonialen wissenschaftlichen Konzepten beschäftigen, wie beispielsweise Stuart Hall[13] oder Edward Said[14]. Arbeiten, die sich explizit mit Mittel-, Süd- und Osteuropa beschäftigen sind Larry Wolffs "Inventing Eastern Europe" oder Maria Todorovás Werk "Erfindung des Balkans"[15]. Eine zweite wichtige theoretische Bezugsquelle sind neuere Arbeiten innerhalb der feministischen, Frauen- und Geschlechterforschung, in denen neben Geschlecht auch andere Diskriminierungsmechanismen (wie z.B. Rasse, Klasse, sexuelle Orientierung, etc.) bearbeitet werden. Die wichtigsten Impulse gingen dabei von "Black Feminists" wie bell hooks oder Patricia Hill Collins[16] aus, doch auch andere Autorinnen kritisierten die hegemoniale Stellung von Konzepten weißer, westlicher Mittelschichtsfrauen innerhalb der feministischen Theorienbildung. In diesem Zusammenhang ist natürlich besonders die Kritik von Frauen aus Mittel-, Süd- und Osteuropa relevant für meine Arbeit. Literatur Busheikin, Laura (1993): Is sisterhood really global? Western Feminism in Eastern Europe, in: Trnka, Susanna/ Busheikin, Laura (ed.): Bodies of Bread and Butter. Reconfiguring Women's Lives in the Post-communist Czech Republic, Praha: 69-76 Froschauer, Ulrike/ Lueger, Manfred (1992): Das qualitative Interview zur Analyse sozialer Systeme, Wien Glaser, Barney G./ Strauss, Anselm L. (1998): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung, Bern Hall, Stuart (1994): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg Havelková, Hana (1995): Real existierender Feminismus, in: Transit. Europäische Revue, Heft 9, Sommer 1995: 146-158 Havelková, Hana (1997): Transitory and Persistent Differences. Feminism East and West, in: Scott, Joan/ Kaplan Cora/ Keats, Debora (ed.): Transitions, Environments, Translations: Feminisms in International Politics, New York: 56-62 Hill Collins, Patricia (2000): Black Feminist Thought. Knowledge, Consciousness and the Politics of Empowerment, London/ New York Hitzler, Ronald/ Honer, Anne (1997): Sozialwissenschafltiche Hermeneutik, Opladen hooks, bell (1981): Ain't I a woman. Black Women and Feminism, New York Kiczková, Zuzana (1998): Úvod do feministických ?túdií, (Einführung in Feministische Studien) in: ASPEKT 1/98: Myslenie ?ien: 298-305 Lamnek, Siegfried (1995): Qualitative Sozialforschung. Methoden und Techniken (Bd 2), Weinheim Male?ková, Jitka (1996): Gender, Nation and Scholarship: Reflections on Gender/ Women's Studies in the Czech Republic, in: Maynard, Mary/ Purvis, June (ed.): New Frontiers in Women's Studies: Knowledge, Identity and Nationalism, London/ Bristol: 96-112 Said, Edward W. (1981): Orientalismus, Frankfurt/Main, Berlin, Wien ?iklová, Ji?ina (1993): McDonalds, Terminators, Coca Cola Ads - and Feminism? Imports from the West, in: Trnka/ Busheikin 1993: 7-12 ?iklová, Ji?ina (1996): Report on Women in the Post-Communist Central Europe (Personal View from Prague), in: Bútorová et al. 1996: 7-18 ?mejkalová-Strickland, Ji?ina (1993): Do Czech Women Need Feminism? Perspectives of Feminist Theories and Practices in the Czech Republic, in: Trnka/ Busheikin 1993: 13-18 ?mejkalová Ji?ina (1995): "On the Road: Smuggling Feminism Across the Post- Iron Curtain", replika 1/1995: 97-102 Strauss, Anselm L./ Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Weinheim Todorova, Maria (1999): Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil, Darmstadt Wallace, Claire (1995): Eine Westfeministin geht in den Osten, in: Transit. Europäische Revue, Heft 9: 129-145 Wöhrer, Veronika (2001): "Das verfluchte Wort Feminismus". Eine Deutungsmusteranalyse zu Feminismus-Begriffen slowakischer Wissenschafterinnen, Dipl., Wien Wolff, Larry (1994): Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment, Stanford ----------------------- [1] Ich verwende hier und im weiteren Absatz häufig Anführungszeichen, da ich Begriffe und Phrasen wiedergebe, die in Texten aus Medien und Wissenschaft in diesem Zusammenhang häufig gebraucht werden. Doch viele dieser Begriffe beinhalten Konnotationen oder sogar Wertungen, die ich nicht unbedingt teile. Die Begriffe "Ost" und "West" setze ich ebenfalls unter Anführungszeichen, da sie zwar in den von mir analysierten Debatten häufig verwendet werden, doch bei genauerer Betrachtung meist über keine klar definierten Inhalte verfügen. Geographische Gegebenheiten, auf die sie zu verweisen scheinen, spielen nur eine untergeordnete Rolle. Was beispielsweise daran ersichtlich ist, dass Prag dem "Osten", Wien jedoch dem "Westen" zugerechnet wird, Bulgarien oder Rumänien dem "Osten", Griechenland und manchmal sogar die Türkei jedoch dem "Westen". [2] So wurde beispielsweise in der Slowakei von 1989 bis heute kein einziges feministisches oder Frauenprojekt (wissenschaftlich ebenso wie im NGO-Bereich) von einer slowakischen Institution (weder staatlich noch privat) gefördert. Als SponsorInnen traten ausschließlich westliche Fonds, Stiftungen oder Ämter auf. [3] Ich verwende die etwas sperrige Bezeichnung "feministische, Frauen und Genderforschung" (im Weiteren auch fFGF), da sich diese Begriffe nicht ganz unproblematisch von einem Kontext in den anderen übertragen lassen. Gerade der Begriff "Feminismus" hat in dem meisten Ländern Mittel- und Osteuropas eine andere Geschichte und damit verbunden auch ganz andere Konnotationen als beispielsweise in Österreich, daher wird er von den ForscherInnen selbst nicht oft verwendet (Vgl. Wöhrer 2001). Unter dem Begriff "Frauenforschung" verbergen sich hingegen oft Studien, die Frauenthemen nur als Nebenprodukte "seriöserer Sozialforschung" verstehen, aber keine Reflexion von Gschlechterverhältnissen vornehmen oder gar feministische Ansprüche vertreten. (Vgl. Male [pic]ková 1996). Auch de?ková 1996). Auch der Begriff "Gender Studies" (bzw. slowakisch: "rodové ?túdiá", tschechisch: studia rodu) verfügt im tschechischen und slowakischen Kontext über andere Bedeutungen. Um in dieser Untersuchung nicht von vornherein bestimmte Einschränkungen vorzunehmen, benenne es daher mit diesem sehr weitreichenden Begriff. [4] Busheikin, Laura, nach: Havelková 1997, 59 [5] Havelková 1997, 59 [6] Vgl dazu beispielsweise ?iklová 1996, 7f [7] Siehe Literaturliste [8] Zitate entstammen Interviews und Beobachtungen, die im Zuge meiner Diplomarbeit durchgeführt wurden. [9] Siehe z.B.: Glaser/ Strauss 1998 oder Strauss/ Corbin 1996 [10] Vgl Hitzler/ Honer 1996, darin besonders: Reichertz, Jo: Objektive Hermeneutik: 31-56 [11] Lamnek 1995: 208 [12] Vgl: Froschauer/ Lueger 1992 [13] V.a. "Der Westen und der Rest", in: Hall 1994 [14] Said 1981 [15] Siehe Literaturliste [16] Siehe Literaturliste