***************************************************************** * * * File: 23-1-95.TXT Dateilänge: 17 KB * * * * Herausgeber: Andreas Roser, Passau - Germany * * * * Titel: Neururers Probleme mit den Nationalsozialisten. * * Drei Briefe an das bischöfliche Ordinariat . * * St. Pölten * * * * Erschienen in: WITTGENSTEIN STUDIES, Diskette 1/1995 * * * ***************************************************************** * * * (c) 1995 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Solche Dateien und Auszüge davon, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** * * * Roser, Andreas (Hrsg.) (1995) Neururers Probleme mit den * * Nationalsozialisten. Drei Briefe an das bischöfliche * * Ordinariat St. Pölten; in: * * Wittgenstein Studies 1/95, File: 23-1-95; hrsg. von * * K.-O. Apel, F. Börncke, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, * * R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, * * Th. Rentsch, A. Roser, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, * * U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl * * (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727 * * * ***************************************************************** Alois Neururers *1* Beziehung zu Ludwig Wittgenstein ist eines jener Themenfelder, die auf den Karten der Wittgenstein-Biographen nur als weißer Fleck existieren. Nicht nur, daß der Briefwechsel zwischen Wittgenstein und Neururer bisher unzugänglich ist, auch Neururers biographische Daten sind weitgehend unbekannt. Zwar enthält der kürzlich erschienene Band "Ludwig Hänsel - Ludwig Wittgenstein. Eine Freundschaft" etliche Hinweise auf den Briefwechsel zwischen Neururer und Wittgenstein, aber schon die dort angeführten biographischen Eckdaten sind nur teilweise zutreffend.*2* Auszüge aus dem Briefwechsel Neururers mit dem bischöflichen Ordinariat St. Pölten *3* dokumentieren nicht nur seine Probleme mit den Nationalsozialisten in Rosenau ("Predigtverbot"), sie deuten auch die schwerwiegenden Konsequenzen seiner Verhaftung und Vertreibung an. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist Neururers aufrechte und kompromißlose Haltung gegenüber den ortsansässigen nationalsozialistischen Machthabern. Es ist schwer vorstellbar, daß diese Umstände und Ereignisse im Briefwechsel zwischen Neururer und Wittgenstein unerwähnt geblieben sein sollten. Umso interessanter wäre es, Wittgensteins Reaktion auf diese Attacken der Nationalsozialisten zu erfahren. *4* Die hier wiedergegebenen Briefe an das bischöfliche Ordinariat und die den Briefen beigefügten Antwortschreiben desselben, sind nicht mehr als erste Dokumente einer bisher nicht zustandegekommenen biographischen Forschung zur Person Neururers. ---------------- Anmerkungen: *1* Alois Neururer, geboren 1878 in Pfunds, gestorben 1952 in Rosenau, hat nach Angaben des örtlichen katholischen Pfarramtes dort keine Verwandten mehr. Ein Bruder Karl Neururer verstarb 1969 in Wenns im Pitztal. *2* Neururer lebte nicht - wie bei Somavilla et alii angeführt - von 1937 bis zu seinem Tode in Schloß Rosenau. Das ist aus den hier wiedergegebenen Briefen klar ersichtlich. Vgl.: Somavilla, I.; Unterkirchner, A.; Berger, C.P. (1994) Ludwig Hänsel - Ludwig Wittgenstein. Eine Freundschaft. Briefe, Aufsätze, Kommentare, p. 278, p. 304.; Innsbruck *3* Zu danken ist dem Diözesanarchiv für die Akteneinsicht und die Abdruckgenehmigung dieser Briefe. Herrn Schulten (Würzburg) und Herrn Schaffner (Passau) danke ich für die Hilfe bei der Transkription. *4* Wittgensteins Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie ist nicht immer eindeutig: Vgl. hierzu etwa Wittgensteins Bemerkungen über die Juden und das Judentum, beispielsweise in: MS 154, p. 20v, bzw. in: Wittgenstein, Ludwig (1994) Vermischte Bemerkungen, aus dem Nachlaß, herausgegeben v. G.H. von Wright, Neuberarbeitung: A. Pichler; p. 41ff.; Frankfurt a.M. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> 1. Brief Neururers an das bischöfliche Ordinariat St. Pölten. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Schloß Rosenau, N.D. Predigt. 10. November 1938. An das hochwürdigste bischöfliche O r d i n a r i a t St. Pölten Ganz eilig erbitte ich auf folgende Frage gütigen Entscheid. Die Nazi planen ein Predigtverbot gegen mich. Weil ich ex justitia zur Predigt verpflichtet bin, und ein Predigt verbot seitens der Nazi ein widerrechtlicher Eingriff ins Religiöse und in die Rechte der oberkirchlichen Behörde ist, entsteht die Frage, ob ich mich einem solchen Verbote fügen muß oder darf? - Ich habe mich nie in der Predigt mit Politischem befaßt; auch die Nazi behaupten das nicht, sondern nur, daß einige Bemerkungen gegen "die Partei" gerichtet seien, nämlich bei Besprechung über die "freiw. nächste Gefahr und gelegenheit zur Sünde" sagte ich, es sind Personen Orte, Zusammenkünfte, Organisationen etc, dieser Art zu meiden. Dann redete ich gelegentlich der Predigt über "die acht Seligkeiten", daß es blutige und unblutige Verfolgungen geben könne, z.B. Brotlosmachung, Entfernung aus Amt und Arbeitsstellen etc. Weiter betreffs Erlaubtheit des Beitrittes zu Organisationen, Nazi nannte ich und nenne ich nie, solle man Priester in oder außerhalb des Beichtstuhles fragen, erklärte ich, da ich an dieser Stelle nicht offen reden könne. - Die Anzeige bei den Nazistellen erfolgte bereits. Bitte daher um rascheste Antwort, um vorbereitet zu sein. Gleixner, der hier sz. Pfarrer war, hält sich hier seit Aufhebung seiner letzten Pfarre auf und betreibt die Erlangung der Benefiziatenstelle hier mit Hilfe der Nazi und besonders eines hiesigen Gastwirtes, Salomon. Ich habe keineswegs im Sinne zu verzichten. Denn ich beziehe als Monatspension nur 114 RM. Kann daher ohne Nebeneinkommen kaum existieren, wenn ich Wohungsmiete dazu leisten muß. Damit könnte ich auch nicht neuerdings die Transportkosten ersparen, auch wenn ich die vereinbarten Bezüge von Rosenau erhalten würde. Man *1* will mich auf die Straße werfen mittellos und mit Zurücklassung meines Eigentums, da man wohl weiß, daß ich einen Umzug nicht leisten kann. Auf die Bemerkung, die Absetzung und Einsetzung eines Benefiziaten ist einzig Sache des Bischofes, erklärte hiesiger Naziführer, die Macht ist bei uns. Omni cum reverentia deditus Neururer Benefiziat *2* ----------------------- Anmerkungen: *1* korrigiert aus *2* handschriftlich. Alle übrigen Textteile maschinschriftlich (Format: DIN A 4). Abweichungen von der heute üblichen Orthographie wurden NICHT korrigiert. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> ------------------------------------------------------ 1. Antwortbrief des bischöflichen Ordinariats St. Pölten, 11. Nov. 1938 ------------------------------------------------------ Zl. 9037 Alois Neururer, Benefiziat, Schloss Rosenau, um ... betr. Predigtverbot /: An den hochw. Herrn Alois Neururer in Schloss Rosenau :/ Auf die Eingabe vom 10./11. d. M. wird Eurer Hochwürden folgendes mitgeteilt. 1.) Ein Schulverbot ist wohl schon an einigen Orten von der weltlichen Seite gegeben wurden, aber noch nirgends ein Predigtverbot. 2.) Auf jeden Fall ist sich auf jede Predigt gut vorzubereiten u. ist alles zu vermeiden, was etwa Gegner veranlassen könnte den Prediger eventuell zu stören. 3.) Was bei einer eventuellen Einvernahme geantwortet werden soll, kann nicht mitgeteilt werden, weil auch die Fragen ... nicht bekannt sind. Auf jeden Fall ist nur die strikte Wahrheit zu sagen. 4.) (Die <.?.> Bischofes) 11. 11. 1938 mdt. 12.11. R ----------------------------- Anmerkung: Hier handelt es sich um einen Briefentwurf. Der Entwurf wurde auf die Rückseite des Briefes von A. Neururers (vom 10.11. 1938) geschrieben. Die mit <.?.> gekennzeichnete Teile waren unleserlich. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> 2. Brief Neururers an das bischöfliche Ordinariat St. Pölten. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Zwettl. N.D. 23. Febr. 1939 An das hochwürdigste Bischöfliche Ordinariat St. Pölten Bitte über die neuesten Vorgänge im Schloss Rosenau berichten zu dürfen: Am 12. ...*1* war eine Versammlung der "Benefiziaten-Genossenschaft", in der abgesehen von den unglaublichsten Dingen, die besprochen wurden, ausgemacht worden sein soll, dass mir, dem Benefiziaten, die Wohnung getüncht werden soll. Am 21. ...*2* wurden im Hause fünf Fensterscheiben nachts eingeworfen. Lange vorher wurde ich von verschiedenen Seiten vor den Nazi gewarnt. Ich rief die Bezirkshauptmannschaft an um die nötige Sicherheit der Person und des Eigentums und um Untersuchung, resp. Eruirung der Täter. Sofort erschien ein höherer Beamter mit dem Bezirksinspektor und erklärte dann, er müsse mich in Schutzhaft nehmen, da er sonst bei eventuellen Attentaten auf mich schwersten Unannehmlichkeiten ausgesetzt würde. So geschah es. Nach einigen Stunden Haft im Gerichte wurde ich zur Bezirkshauptmannschaft gerufen und dort wurde mir eröffnet: ich sei WIDERRECHTLICH im Schloss Rosenau, die Benefiziatengenossenschaft habe mich NIE wollen. Diese Genossen wären die Eigentümer des Hauses und könnten daher von ihrem Hausrecht Gebrauch machen mir jederzeit die Wohnung künden und ich könne mich dagegen nicht rechtlich wehren, denn so sei es im Grundbuche eingetragen. Auf meine Entgegnung, dass ich das bischöfliche Ernennungsdekret besitze und doch wohl das Jus canonicum für mich verbindlich ist, und ausserdem vom Bürgermeister mit Sigel und Unterschrift die Bezüge kontraktlich gesichert sind, antwortete man mir, der Bischof könne da nichts machen und das jus canonicum könne nicht berücksichtigt werden, und ich könne ja den Bürgermeister, der zu diesem Kontrakte keine Berechtigung hatte, auf Schadenersatz klagen. Man drang in mich auf Rosenau zu verzichten und erklärte auch, man wolle mich aus Gründen meiner persönlichen Sicherheit <.?.> nicht mehr dorthin zurückkehren zu lassen. Meine Rechte hängen ja ohnedies als Scheinrechte trotz bischöflicher Bestellung in der Luft. Dafür garantierten sie mir das Recht, mein Eigentum im Hause belassen zu können bis 15. Mai. Die vorgeschützte Abneigung der Bevölkerung ist ja eine solche der Nazi, auf deren Zuneigung ich nicht Wert lege. Inzwischen solle ich mir ausserhalb des Bezirkes, oder wie halt die Staatspolizei bestimme, um einen andern Platz umsehen. Mann erlaubte mir irgendwo in Zwettl mich aufzuhalten bis auf weitere Bestimmungen seitens der Staatspolizei. H. Dechant war so lieb mich inzwischen in sein Haus aufzunehmen. Weil meine Pension von 111 RM ein doppeltes Hauswesen nicht aushält, und ich fast auf ein Noteinkommen angewiesen bin, bitte ich, falls es gut scheint, um eine andere Stelle! Ich bitte aus obigen Gründen um dringende Erledigung meiner Bitte! Bei dieser "verrückten Rechtslage" wie man auch in der Bezirkshauptmannschaft die Verhältnisse in Rosenau nannte, wo ein Messeleser ganz von der Gunst der "Benefiziatengenossenschaft" abhängt, die zum überwiegenden Grossteil "Nazi" sind, wie die Gesamtbevölkerung dort, und der Priester nur von diesen Laien angestellt werden und nur Mieter im Hause dort sind etc., habe ich selbstverständlich wenig Interesse in die dortige Recht- aber nicht Pflichtenlosigkeit zurück zu gehen auch wenn ich könnte In vorzüglicher Verehrung ergebener A. Neururer. *3* ------------------------ Anmerkungen: *1* Vermutlich . *2* Vermutlich *3* In lateinischer Schrift verfaßter Brief, ohne maschinschriftliche Bemerkungen (Format: DIN A 4) <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> ------------------------------------------------------ 2. Antwortbrief des bischöflichen Ordinariats St. Pölten, 24. Febr. 1939 ------------------------------------------------------ Zl. 222 b. Brief Alois Neururer Zwettl Rosenau, betr. Vorfälle in Schloss Rosenau /: An den hochw. H. Benefiziaten Alois Neururer in Stadt Zwettl, Pfarrhof Niederdonau :/ Das bischöfl. Ordinariat kann zu den Vorkommnissen im Benefiziatenhause zu Schloss Rosenau nur sein lebhaftes Bedauern aussprechen und muß mitteilen, daß in der Diözese derzeit keine freie*1* Messelesestelle frei ist außer die in Kaulstein ... a. d. Thaya. Ob aber heute die Gemeinde etwas leisten wird? Aber vielleicht könnte der Hr. Benefiziat sich an den hochwn. H. Stiftsabt von Hohenfurt um Verwendung im <.?.> wenden. St. Pölten, 24. II. 1939 Anmerkungen: *1* wurde durchgestrichen Auch hier wurde der Entwurf des Antwortbriefes an Neururer auf die Rückseite des Neururer-Briefes (vom 23. 2. 1939) geschrieben. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> 3. Brief Neururers an das bischöfliche Ordinariat St. Pölten. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> Pfarrhof Stadt Zwettl am 19. April 1939 An das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat St. Pölten Melde hiermit, dass ich morgen die Diözese verlassen werde um nach Korkushütten b. Winterberg im Böhmerwalde übersiedle. Da ich ohne Sehnen meinerseits und nur mit Gewalt aus Rosenau entfernt wurde und ferngehalten wurde von meinem rechtmässigen Benefizium, resigniere ich auf meine Stelle in Rosenau nicht, sondern nehme nur anderswo Aufenthalt. A. Neururer *1* ------------------- Anmerkung: *1* Handschriftlich verfaßter Brief <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><> ------------------------------------------------------ 3. Antwortbrief des bischöflichen Ordinariats St. Pölten, 22. April 1939 ------------------------------------------------------ Zur Kenntnis genommen*1* ad. Zl. 4457 ex 1939 Benefiziat Alois Neururer, Rosenau Schloss, berichtet Übersiedlung / z.Z. 1850. /: An den hochw. H. Alois Neururer in Korkushütten bei Winterberg im Böhmerwald :/ D. H. haben unterm 19./22. April 1939 anher <.?.> berichtet, daß sie, weil Sie ohne <.?.> nicht resignieren <.?.>. Wollen sie <.?.> anher <.?.> berichten, ob Sie auch heute noch auf diesem Standpunkt stehen, weil es doch nicht angeht, die mit dem Benefizium verbundenen Pflichten für längere Zeit durch andere erfüllen zu lassen. St. Pölten, 25.11. 1940. mdt. 26. XI. 1940 M.Z. ------------------- Anmerkung: Auch dieses Antwortschreiben der bischöflichen Ordinariats wurde als Briefentwurf auf die Rückseite des Neururer-Briefes vom 19.4. 1939 geschrieben. Die mit <.?.> gekennzeichnete Textstellen waren unleserlich. *1* wurde durchgestrichen. <><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><><>