***************************************************************** * * Titel: "Nai kacan markosla" - Zur sozialen Grammatik von "Exklusion" und "Fremdheit" Autor: Clemens Sedmak, Innsbruck - Österreich Dateiname: 18-2-95.TXT Dateilänge: 46 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/95, Datei: 18-2-95.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1995 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** "Wenn einer eine Reise tut", besagt das Sprichwort und tatsächlich gibt es nichts Widerlicheres als das billige Ausschlachten erworbener Erfahrung unter dem Feigenblatt tatsächlich nicht vorhandener Kompetenz. Honni soit qui mal y pense. Dieses paper könnte auch heißen: "Wittgenstein, Bhutan und ein Blick auf die Kultursoziologie". Der Autor hat vor fünf Monaten einen 14-monatigen Einsatz im südasiatischen Königreich Bhutan begonnen, was schwerlich zu leugnen sein dürfte. Das Anliegen der nachfolgenden Bemerkungen besteht darin, Wittgensteins Sprachspielmodell in eine Kulturtheorie (Theorie von "cultural games") einzubauen und für die Frage nach dem Umgang mit fremden Kulturen und der These mit der Unvereinbarkeit von cultural games fruchtbar zu machen - unter besonderer Berücksichtigung der buddhistischen Kultur Bhutans. Dieses paper soll also nicht dem "Ich- bin-dort-gewesen"-Fetischismus huldigen, sondern einen kultursoziologischen und sozialphilosophischen Blick auf einen Typus von Erfahrung zu werfen, den Wittgenstein lichtvoll reflektiert hat. (0) Einleitung (1) "Cultural games" (2) Exklusion und Fremdheit (3) "Unvereinbarkeit" von Kulturen (4) Soziale Grammatik: Konsequenzen (0) Zwei Mönche bringen unter Verneigungen dem Dasho Dzongda Opfergaben. Auch die ausländischen Gäste werden mit Keks, Obststücken, Ara bedient. Empfängt man die Gaben mit einer Hand oder mit beiden Händen? Verneigt man sich dabei? Sollen wir den Teller leeren? Darf man während der Zeremonie essen? Monotone Gebete begleiten die Puja. Der Lama führt durch das sakrale Tun mit heiligem Ernst. Die Mönche stoßen schrille Schreie aus. Die bösen Geister zu vertreiben? (1) Wir veranstalten Bälle, bedienen Computer und Faxgeräte, versammeln uns zum Gottesdienst, lesen Zeitungen, spielen Tennis, hören Musik, gehen zum Zahnarzt, sehen fern. Auch in Bhutan trifft man auf Tanzveranstaltungen, Computer, Faxgeräte, Gottesdienste, Zeitungen, Tennisplätze, Ärzte, Videogeräte. Darüberhinaus gibt es Buttertee, Bukaris, Patangs, den "Künsel", die National Assembly, den Sonntagsmarkt, die Landcruiser der Royal Family. Sommerrodelbahnen, Straßentunnels, Schneekanonen, Hubschrauber, Rolls Royce, Concorde, die Tagesschau, Schokoladefabriken und Großkaufhäuser wird man in Bhutan jedoch nicht finden. Man könnte all diese Manifestationen von Kultur "cultural games" nennen: Befehlen, Lesen, Theaterspielen, Reigen singen, Rätselraten, Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten (PU 23) sind ebenso cultural games wie Schnitzen, Unkraut jäten, Terminplanung, ein Staatsbankett oder das Melken. Diese cultural games sind nach spezifischen Regeln organisiert und ordnen das menschliche Zusammenleben. Eine Kultur ist "eine Ordnung zu einem bestimmten Zweck" (PU 132) und der Zweck dieser Ordnung ist die Ermöglichung von sozialem Leben. Cultural games sind identifizierbare Kontexte in der Landschaft sozialen Lebens, die nach Regeln organisiert sind. Es sei jedoch zu beachten, daß die Rede von "games" und "Spielen" nicht unterstellen möchte, daß cultural games unbedingt Unterhaltungswert hätten oder "unernst" seien. Die hiermit vorgeschlagene Begriffsverwendung sieht vor, sämtliche kulturbildende Aktivitäten unter den Spielbegriff zu fassen; so abstoßend es klingt: Auch "Krieg" ist ein cultural game im Rahmen dieser Sprachregelung, die einen weiten Begriff von Kultur zugrundelegt. Eine Definition von "cultural game" im strengen Sinn soll hier gar nicht erst versucht werden, es gelte das Wort: "Denk nicht, sondern schau!" (PU 66). Cultural games bilden eine Familie, die wir "Kultur" nennen, so unähnlich und inkompatibel, ja konkurrierend diese games auch sein mögen. Eine Kultur ist nun eben kein homogener Komplex konsistent versöhnbarer Handlungszusammenhänge. So läßt sich der Vorwurf, "du schenkst dir also gerade den Teil der Untersuchung, der ... das meiste Kopfzerbrechen gemacht hat" (vgl. PU 65), heiter verkraften. Denn schließlich ist auch die kultursoziologische und sozialphilosophische Reflexion "just a cultural game". Die Spielanalogie mag dafür hilfreich sein, die Grammatik des sozialen Lebens zu verstehen, das über Spielregeln eingeübt wird. Die cultural games, die ein Mensch zu spielen vermag, entscheiden über seinen sozialen Status, über seine kulturelle Zugehörigkeit: "Games are passed on from generation to generation ... 'Raising' children is primarily a matter of teaching them what games to play. Different cultures and different social classes favor different types of games, and various tribes and families favor different variations of these" (Berne 171). Die Beurteilung oder vergleichende Analyse derartiger cultural games ist deswegen so delikat, weil die treibende Kraft hinter diesen games keineswegs "Rationalität" ist, cultural games lassen sich nicht im Rahmen mathematischer Spieltheorien oder nach Optimierungskriterien erfassen. Religiöse Riten bestätigen dies ebenso wie sozialkaritative Tätigkeiten. Die alljährliche Tsechu in einem bhutanesischen Dorf oder eine Puja im Familienkreis, etwa bei einem Todesfall, kann ein Vermögen kosten, die Veranstalter in massive Schulden stürzen. Klöster und Mönche in Bhutan werden subventioniert. Es läßt sich zumindest diskutieren, ob dies in Schemata streng zweckrationalen Handelns untergebracht werden kann. Das organische Wachstum von Kultur läßt sich nicht planen, Kulturen entstehen durch ritualisiertes soziales Handeln, das als cultural game tradiert wird. Man denke etwa an unsere Tanzkultur, wie sie in den Benimm-Dich-Büchern nachgelesen werden kann, oder an die Maskentänze Bhutans. Die Ritualisierungstendenzen von durchaus unkomplizierten Kulturaktivitäten kann man bei Fußballweltmeisterschaften ebenso verfolgen wie beim bhutanesischen Bogenschießen. Spielregeln, eine Spielordnung eine Spielerhierarchie, ein immer komplexer werdender Kontext sozialen Lebens gestalten sich heraus. Cultural games erhalten durch das Gewicht der Tradition oder durch den Druck von Trends Bedeutung. Die derzeitige Situation Bhutans, in dem großer Respekt vor traditionellen cultural games mit dem Einfließen westlicher/nördlicher Kulturelemente zusammenkommt, zeigt das bloß labile Gleichgewicht von cultural games deutlich. Die Portraits von König Jigme Wangchuk und von Michael Jackson hängen im selben Raum einer dörflichen Hütte, ein Kassettenrekorder steht neben dem traditionellen Hausaltar, in straßenlosen Bergdörfern trifft man auf Kinder mit Plastikuhren. Kultur ist lebendig, "im Fluß", das Spiel wird ständig weitergespielt - so wie unsere Sprache im Fluß ist, sich verändert und "lebt". Es ist das Verdienst Ludwig Wittgensteins, sprachliches Handeln als cultural games rekonstruiert und den Zusammenhang von Sprache und Lebensform (Kultur) ausgewiesen zu haben. Sprachspiele, deren entscheidendes Charakteristikum die Regelgemäßheit ist, finden ihre letzte Begründung in einem nicht argumentierbaren Weltbild, das als Grundlage sozialen Lebens, als Fundament von Kultur angesehen werden kann. Eine Sprache ist Manifestation von Kultur, Sprachspiele sind cultural games. Es ist bezeichnend, daß Bumthaka, die Sprache der bhutanesischen Provinz Bumthang, kein Wort für "Fortschritt" oder "Entwicklungshilfe", "Projekt", "Auto" oder "Büro" besitzt; es ist signifikant, daß es nicht möglich ist, in Bumthaka bis 1000 zu zählen, es ist aufschlußreich, daß die Namen für Monate und Wochentage aus der Landessprache Dzongka entlehnt werden; es ist interessant, daß die kurzen Worte "sama", "ki" und "ruku" für die wichtigen Nahrungsmittel "Reis", "Erdäpfel" und "Curry" stehen. Eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen (PU 19). Für das Verständnis von sprachlichen Aüßerungen und für das Glücken von sozialen Handlungen sind Kontextbedingungen entscheidend, "Umstände", die cultural games gelingen lassen. Und diese Umstände gehen weit über die expliziten Spielregeln hinaus. Die "Umstände unsres gewöhnlichen Lebens" (PU 156) lassen sich schwerlich fixieren. Eine Grammatik für die deutsche Sprache läßt sich ebenso festlegen wie eine Einführung in die österreichische Kultur. Freilich bleibt vieles "zwischen den Zeilen", unausgesprochen, implizit, nur im Vollzug verständlich. Cultural games haben eben nicht nur Regeln, es gibt auch einen Witz des Spiels (PU 62, 142, 564, 567). Es ist selbst (gerade) für bundesdeutsche Bürger schwierig, den Witz des österreichischen Films "Indien" mit Josef Hader und Alfred Dorfer zu erfassen. Cultural games haben eben nicht nur Spielregeln, die man erklären kann, sondern auch eine interne Dynamik, die sich nur erleben, nicht aber explizieren läßt. Haben Sie schon einmal versucht, einer desinteressierten Dame die Faszination eines Bundesliagspiels zu vermitteln? Oder waren sie schon einmal Gast in einem US- amerikanischen Haus, dessen Bewohner fiebernd vor dem Fernsehschirm sitzen, um ein Football Spiel zu verfolgen, das Ihnen schlicht langweilig erscheint? Die Regeln von Dart sind schnell erklärt, die rührende Besorgtheit, mit der Liebhaber dieses Sports ihre Pfeile spitzen und pflegen, Konzentrationsübungen machen oder im Wettkampffieber die Leistungen der Mitspieler verfolgen, läßt sich nicht in Büchern festschreiben. Ebensowenig wie sich vorhersagen läßt, daß Dart unter der expatriate community in der bhutanesischen Hauptstadt Thimphu zum "In"-Sport geworden ist, der Witz von Parties und Pubs. Der Witz des Spiels kommt nun einmal auf Parties oder in Pubs besser zur Geltung als einsam im eigenen Haus. Um in einem cultural game mitspielen zu können, braucht es also viel mehr als "knowledge by description of how to do it". Cultural games müssen "eingeübt", "vertraut gemacht", "erlebt" werden. Cultural games sind lebendig und verändern sich durch das Spiel, durch den Spieler. Jeder Tischtennisspieler hat seine eigene Art, das Spiel zu spielen und damit zu prägen; jeder Friseur arbeitet auf seine Weise, jeder Koch hat seine Geheimrezepte. Sue, eine englische Lehrerin, die in einem ostbhutanesischen Dorf unterrichtet, hat die Erziehungsmethoden in ihrer Schule geprägt und verändert. Fritz, ein Schweizer, der seit vielen Jahren als Lebensmittelerzeuger in Bumthang lebt, hat die Nahrungskultur mit seinem Angebot verändert; jedes EZA-Projekt, das zumindest partiell die cultural games der Region mitzuspielen trachtet, führt neue cultural games ein und verändert bestehende Spiele (beispielsweise die Markt-, Transport- und Kommunikationssituation). Diese Veränderungen müssen durchaus nicht evident und meßbar sein, cultural games sind delikate Manifestationen sozialen Lebens, die nicht bloß eine "Oberflächengrammatik", sondern auch eine "Tiefengrammatik" aufweisen. Cultural games werden durch (eine linguistische Grammatik und) eine soziale Grammatik und eine "grammar of belief" bestimmt; die Glaubensüberzeugungen des Spielers prägen das Spiel (man denke an die Säkularisierung österreichischer Fronleichnamsprozessionen oder der bhutanesischen Tsechus durch die Touristen). Glaubensüberzeugungen, die grammar of belief, sind auch das letzte, unantastbare Fundament von cultural games, der Grund, warum in Bhutan der König über und nicht unter dem Gesetz steht, kann nicht einzig mithilfe der sozialen Grammatik erklärt werden; auch für das Brauchtum (Nepalifest im Oktober, Krampustag im Dezember, Neujahrsfeiern etc.) muß die grammar of belief in Betracht gezogen werden. Weltanschauliche Annahmen, lebenstragende Grundüberzeugungen, moralische Werte und religiöse Bekenntnisse bilden den Motor und das Movens sozialen Lebens, das sich damit nicht auf eine Gebrauchsanweisung reduzieren läßt. Die soziale Grammatik wiederum diversifiziert Spielkompetenzen, ordnet "Macht" zu. weist cultural games eine soziale Funktion und den Spielern einen sozialen Status zu. Die soziale Grammatik bringt es mit sich, daß materiell arme Menschen aus sogenannten "niederen sozialen Schichten" von vielen, auch standardisierten (d.h. grundlegenden und innerhalb einer Kultur selbstverständlichen) cultural games ausgeschlossen sind. Körperliche und geistige Beeinträchtigungen, Status, Religionszugehörigkeit, politische Überzeugungen, Geschlecht oder Rasse können in manchen Kulturen stigmatisierend bei der sozialen Stratifikation wirken. Frauen sind - obwohl die Bastion wankt - aus britischen Herrenclubs ausgeschlossen, die bhutanesische Staatsbürgerschaft ist nur äußerst schwer zu erlangen und die Staatsbürgerschaft wiederum - Identifikationsinstrument zur Bestimmung von Kulturzugehörigkeit - ist Schlüssel zu vielen spezifischen cultural games. Cultural games spiegeln die soziale Ordnung und das Weltbild einer Kultur wider. Das Phänomen "Armut" (Unfreiwilliger Ausschluß aus standardisierten cultural games) kann mithilfe dieses kulturtheoretischen Ansatzes ebenso erfaßt werden wie das Phänomen der Entwicklungszusammenarbeit (Geplante Einführung von makrokontextuell standardisierte cultural games wie Telekommunikation, Automobilisierung, Waldbewirtschaftung, Export etc. in den Kontext von "Entwicklungsländern"). Daß die grammar of belief gerade in diesen Fällen sorgsam hinterfragt werden muß, sei nur am Rande bemerkt. Halten wir fest: Sowohl die soziale Ordnung als auch die grammar of belief lassen sich nicht restlos explizieren. Dazu kommt, daß cultural games auch nach psychologischen Mustern ablaufen (vgl. Berne part II). In unseren Breiten wird in Ehen gerne das Spiel "Das Wichtigste ist für mich, daß es auch gut geht" gespielt; in vielen Büros dominiert das Spiel "Ich tue alles für meine Angestellten"; in der EZA werden mitunter die Spiele "Ich tue es aus Idealismus" oder "Es sind unsere Steuergelder, also können wir entscheiden, was wir damit machen" gespielt. Die Schwierigkeit im Umgang mit einer fremden Kultur besteht u.a. auch darin, daß man nicht sicher sein kann, welches Spiel gespielt wird. Wird in Bhutan das Spiel "Der Mann ist das Familienoberhaupt" oder "Der König ist unfehlbar" oder "Nach oben buckeln, nach unten treten" gespielt? Die Kenntnis von diesen nicht immer sichtbaren games erzeugt erst Vertrauen und ein Gefühl der Sicherheit. Wird das Spiel "Ich bin schnell beleidigt, zeige es aber nicht" gespielt, trägt das nicht eben zur Integration bei. Wieweit kann man gehen? Welche Themen sind tunlichst im Gespräch zu meiden? Welche Handlungen können verletzen, welche Kleidung ist unangebracht? Immer wieder stoßen wir in unseren Bemühungen um Klarheit, um Transparenz der Spielregeln an eine Grenze. Cultural games lassen sich nicht restlos erklären (sonst wären Erziehungserfolge schließlich auch langweiligerweise vorprogrammiert). An der Grenze der Erklärbarkeit stehend kann man nur sagen: Dieses cultural game wird gespielt! (vgl. PU 654) (2) Welches cultural game wird gespielt? Ein dreijähriges Kind ertrinkt tragischerweise beim Spielen in einer Sickergrube in einem Projektdorf in Bumthang, die Eltern sind Hindi. Die ausländischen Experten sind gelähmt. Was wird von ihnen erwartet? Kondolenzbesuche? Wie und wann wird das Begräbnis stattfinden? Muß der Projektmanager offiziell sein Beileid aussprechen? Gibt es rechtliche Prozeduren, die einem solchen Unfall folgen? Was bedeutet der Tod eines Kindes im Hinduismus? Welches cultural game wird gespielt? In diesen Situationen wird klar, "... daß ein Mensch für einen andern ein völliges Rätsel sein kann. Das erfährt man, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich fremden Traditionen kommt" (PU p. 568). Cultural games verweisen auf eine linguistische Grammatik, eine soziale Grammatik, eine grammar of belief. Die linguistische Grammatik zu beherrschen, bedeutet keineswegs soziale und "belief" Kompetenz in einer bestimmten Kultur. Die Bedingungen für das Teilhaben an cultural games wurden bereits angedeutet: Um mitspielen zu können, braucht es - ein Mandat (eine Autorisierung, das Pouvoir, das in der Sozialgrammatik festgesetzt ist) - Kompetenz (die Souveränität, die linguistische, soziale und belief Grammatik zu beherrschen). Über das Mandat entscheidet die soziale Grammatik. Darf ein Besucher in Bhutan jedes Kloster besichtigen? Braucht man ein Visum, um nach Bhutan zu kommen? Kann ein nichtbhutanesischer Staatsbürger den roten Schal erhalten und "Dasho" werden? Kann ein Katholik in Bhutan für seine Religion werben? ... Über die Kompetenz entscheiden physische (z.B. kann ein Querschnittgelähmter eine Trekkingtour mitmachen?), psychische (z.B. Kann ein klaustrophob veranlagter Mensch monatelang in einer kleinen bhutanesischen Dorfhütte wohnen?) und intellektuelle (z.B. Haben Sie Dzongka oder Nepali gelernt?) und auch spirituelle (Können Sie die buddhistische Lebenskultur nachvollziehen?) Faktoren. Aufgrund der Unterscheidung zwischen linguistischer, sozialer und belief Grammatik ist die Rede von "Kompetenz" in bezug auf cultural games durchaus komplex. Die Unmöglichkeit der Teilnahme an cultural games aufgrund des mangelnden Mandats möchte ich unter den Begriff der "Exklusion" subsumieren, die Unmöglichkeit der Teilnahme aufgrund mangelnder Kompetenz unter den Begriff der "Fremdheit". Eine Diskussion von "Exklusion" kann in eine Diskussion sozialer Gerechtigkeit und Machtverteilungstheorien führen (der sozial Benachteiligte ist aus standardisierten cultural games exkludiert), eine Diskussion von "Fremdheit" in einen Diskurs über die Möglichkeit der Übersetzung und Vereinbarkeit unterschiedlicher Kulturen. Wenden wir uns der kulturellen Erscheinungen von "Fremdheit" zu. Das Motiv des Forschers, der zu einem radikal fremden Stamm kommt, ist in der neueren analytischen Sprachphilosophie im Gefolge der Ethnologie und Ethno-Soziologie bekannt geworden. Im vorliegenden Fall interessiert nicht radikale Fremdheit, sondern jene Form von Fremdheit, wie sie gegeben ist, wenn beispielsweise ein Österreicher für einige Zeit nach Bhutan kommt. Die Trennlinie zwischen fiktiver radikaler Fremdheit und der erlebbaren Fremdheit könnte man im Fehlen von Regelmäßigkeit der cultural games im ersten Fall (PU 207) ziehen. Die Phänomene der radikalen Grammatik, der radikalen Übersetzung und der radikalen Interpretation brauchen uns hier nicht zu beschäftigen. Bleiben wir beim Erleben von Fremdheit im vorstellbaren Fall eines Bhutanaufenthalts. Voraussetzungen für die Partizipation an cultural games ist a) die Regelgemäßheit des Spiels und b) die soziale Akzeptanz (Inkulturation). Das Eingeführtwerden in eine fremde Kultur ist eine immense Vertrauensangelegenheit. "Nai kacan markosla" bedeutet "Sorry, I do not understand" auf Bumthaka, aber es könnte ja auch ganz anders sein. Nur die Reaktion der Mitspieler kann die Korrektheit dieser Übersetzung gewährleisten; aber Elemente des berühmten gavagai-Beispiels von Quine können erst nach längerer Zeit und nach sozialer Integration in die Kultur eliminiert werden. Verwendet man "Nai kacan markosla" nur in bestimmten Situationen? Insinuiert es einen gewissen sozialen Status des Sprechers? Würde man diese Phrase allen Kommunikationspartnern gegenüber anwenden können? ... Wittgenstein hat die interessante Beobachtung gemacht, daß Augustinus das Erlernen der Muttersprache so beschreibt, als würde das Kind bereits eine Sprache beherrschen (PU 32). Darum scheint das Augustinische Bild vom Erlernen der Sprache relevant zu sein für den vorliegenden Fall des Einübens in eine fremde Kultur. In den Mund des Augustinus gelegt: Die Regeln für die fremden cultural games "entnahm ich aus ihren Gebärden, der natürlichen Sprache aller Völker, der Sprache, die durch Mienen- und Augenspiel, durch die Bewegungen der Glieder und den Klang der Stimme die Empfindungen der Seele anzeigt, wenn diese irgend etwas begehrt, oder festhält, oder zurückweist, oder flieht" ("Hoc autem eos velle ex motu corporis aperiebatur: tamquam verbis naturalibus omnium gentium, quae fiunt vultu et nutu oculorum, ceterorumque membrorum actu, et sonitu vocis indicante affectionem animi in petendis, habendis, rejicendis, fugiendisve rebus"; PU 1). Augustinus appelliert hier an eine universale "Kultursprache", kulturübergreifende Standards. "Die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem, mittels dessen wir uns eine fremde Sprache deuten" (PU 206). Gestik und Mimik ersetzen verbales Handeln, auch wenn die Dorfbewohner des winzigen Dorfes Shinjar kein Wort Englisch verstehen, weiß ich aus den Gesten zu entnehmen, daß sie eine Einladung zum Tee aussprechen: Ich kann auf eine gemeinsame Handlungsweise in einem geteilten Handlungszusammenhang vertrauen. Gemeinsame menschliche Handlungszusammenhänge lassen sich auch tatsächlich ausmachen; in jeder Kultur gibt es ritualisierte cultural games für die grundlegenden menschlichen Lebensprozesse: Nahrungsmittelaufnahme, Fortpflanzung, Kult, Rangordnung, Erziehung. Auf diesem Hintergrund lassen sich fremde Gebräuche in ihrer grundlegenden Funktion identifizieren. Ob sich diese Gemeinsamkeit auch auf die belief grammar erstreckt (Diskussion um universale Wertvorstellungen) sei dahingestellt. Cultural games einer fremden Kultur können auf dem Hintergrund einer vertrauten Lebenswelt, einer vertrauten Sprache verstanden, gleichsam in diese vertraute Welt übersetzt werden. Die Maschinenpuja in manchen Teilen Bhutans mag an die katholische Autoweihe erinnern, die Buchweizenfelder in Bumthang und die straßenlosen Dörfer Bhutans mögen an Osttirol vor 50 Jahren erinnern. So kann man sich Orientierung verschaffen. Natürlich sind bei diesem Vorgehen nicht meßbare Übersetzungsverluste zu verzeichnen. Kriterium für das "Verstehen" von fremden cultural games ist der gemeinsame Handlungszusammenhang mit kompetenten, kulturvertrauten Spielern. Dabei muß man sich freilich stets vor Augen halten, daß jedes "inkorrekt gespielte" cultural game zugleich (der Anfang eines anderen oder) ein anderes cultural game sein kann. Der Ausdruck "Abracadabra" fand aufgrund eines solchen Übersetzungsfehlers (Hörfehlers) den Weg in unsere Sprache. Inkorrektes Regelfolgen, ein Fehler in einem cultural game kann ein neues cultural game provozieren. "Fremdheit" ist somit nicht nur das Ende vertrauter cultural games, sondern selbst der Anfang eines neuen cultural game. Das Gefühl der Fremdheit ist ein Gefühl des Orientierungsverlusts. "Ich stutze; sehe den Gegenstand, oder Menschen, prüfend oder mißtrauisch an; sage: 'es ist mir alles fremd.'" (PU 596). Übersetzungsanstrengungen, ein Zurückführen der Erfahrung des Neuen auf Vertrautes, soll wiederum Orientierung stiften. In manchen Fällen ist diese Übersetzung standardisiert, beispielsweise in simplen Fällen von Sprachübersetzungen oder bei Maßangaben: "Ich bin nicht gewöhnt, Temperaturen in Fahrenheit-Graden zu messen. Darum 'SAGT' mir eine solche Temperaturangabe nichts" (PU 508), aber Fahrenheit-Einheiten lassen sich unschwer in Celsiusgrade übersetzen. Die fremden Erscheinungen "gravitieren" sozusagen "zu einem Vorbild" (PU 385). Freilich darf man nicht dem Irrtum erliegen, diese Übersetzungstätigkeit erfolge von einem neutralen Beobachterstandpunkt aus. Der Spielanfänger beobachtet nicht das Spiel, er prägt es. Wenn wir in einem fremden Land sind, dessen Sprache wir nur unsicher beherrschen, werden sich unsere Gastgeber bemühen, langsam zu sprechen. Wenn wir in einem fremden Land sind, dessen Traditionen uns fremd sind, werden sich unsere Gastgeber bemühen, uns beispielsweise bei einem Maskentanz möglichst viel zu erklären. Der Spielneuling hat keinen Beobachterstatus, er prägt ein eigenes Spiel. Auch "Fremdheit" ist ein cultural game, mit dem jede Kultur spezifisch umgeht; "Gastfreundschaft", das Gebot, den Gast zu bewirten, sind Teil dieses Spiels im bhutanesischen Kontext. Ebenso der Versuch Bhutans, den Touristenstrom zu kontrollieren; ebenso die Einführung von "restricted areas" und "road permits" in Bhutan. "Fremdheit": ist ein cultural game und es gibt Spielregeln, nach denen dieses Spiel zu spielen ist (es sei Ihnen in Bhutan beispielsweise nicht angeraten, in aller Öffentlichkeit zu missionieren). Das cultural game "Fremdheit" - eine Subvariante dieses Spiels ist es, Gast in einem fremden Land zu sein - verlangt Zurückhaltung, tritt man doch in ein Netz bestehender cultural games ein. Der Experte, der omnikompetent in einem lokalen Kontext auftritt, verstößt gegen diese Spielregel. Die These dieses papers freilich besagt, daß "Fremdheit" ein spezifisches cultural game ist, das bestehende cultural games verändert, sobald "der Fremde" und die "Gastgeber" in einen gemeinsamen Handlungszusammenhang eingetreten sind. Diese Veränderung muß keineswegs auffallend und signifikant sein und braucht schon gar nicht zu bedeuten, daß ein Neuling die ihm fremde Kultur dominieren kann. Will er den gemeinsamen Handlungszusammenhang aufrechterhalten, muß er der Orientierung der Gastgeberkultur folgen und sich in bestehende Spielregeln standardisierter cultural games, sozusagen den Makrokontext einführen lassen, den er dann im Mikrobereich modifizieren kann. Der Experte, der nach Bhutan kommt, kann zwar die Einreisebedingungen und die rechtlichen Bestimmungen, ein Haus anzumieten, nicht umgehen, er kann aber seine eigenen Möbel einfliegen lassen. Ähnliches gilt für Arbeitsbedingungen im Makro- (rechtlich) und im Mikrobereich (Büroorganisation) etc. Die Hauptschwierigkeit im Umgang mit fremden Kulturen besteht in der Unsicherheit über korrektes und inkorrektes Regelfolgen. "Fremdheit" in bezug auf cultural games bedeutet, kein Kriterium zu haben, zwischen korrektem und inkorrektem Regelfolgen zu unterscheiden. "Von einem beliebigen Schriftzeichen ... kann ich mir vorstellen, es sei ein streng korrekt geschriebener Buchstabe irgendeines fremden Alphabets. Oder aber, es sei ein fehlerhaft geschriebener ... Es könnte in verschiedener Weise vom korrekt geschriebenen abweichen" (PU p. 546). Wenn ich die Regeln nicht kenne, kann ich nicht zwischen korrektem und inkorrektem Spiel unterscheiden. Und das ist die grundsätzliche Voraussetzung, an einem cultural game teilnehmen zu können. In einem fremden Land sind wir auf "guides" und "guidelines" angewiesen. Kriterium für inkorrektes Regelfolgen ist die Reaktion kompetenter Spieler. Man könnte den Status von "fremder Kultur" mit dem Status einer "Privatsprache" vergleichen und an die Diskussion um privates Regelfolgen anschließen (PU 243-315). Was im "Inneren" eines Menschen vorgeht, kann ich nicht ahnen, ich muß auf seine Handlungen achten; ebenso: was "im Inneren" einer fremden Kultur vorgeht, kann ich nicht ahnen, ich bin auf soziale Handlungszusammenhänge, auf "visible cultural games" angewiesen. Und hier könnte man die Diskussion anschließen, ob eine Kultur so konstruiert sein kann, daß sie sich einem Verstehen prinzipiell verwehrt, eine prinzipiell exklusive Kultur somit. Diese prinzipiell exklusive Kultur würde aus prinzipiell unzugänglichen cultural games bestehen, die nur als INSIDER GAMES rekonstruiert werden können. Der Status der "Fremdheit" könnte für Außenstehende nicht abgebaut werden. Das führt ins Zentrum einer Diskussion um die Unvereinbarkeit von Kulturen. (3) Das Phänomen kultureller Unvereinbarkeit ist ein Vorkommnis extremer Fremdheit. Es handelt sich um cultural games, die wir aus unserer Kultur ausschließen wollen oder müssen. Die Hinrichtungen von Menschenrechtsaktivisten in Nigeria, Kannibalismus, das Phänomen des heiligen Krieges, Sklaverei, Kinderarbeit scheinen uns unvereinbar mit unserer standardisierten sozialen und belief Grammatik. Bestimmte Ausdrücke in der englischen Sprache lassen sich nicht in Bumthaka übersetzen, wie wir gesehen haben, umgekehrt gibt es im Deutschen für manche Ausdrücke, beispielsweise in der Bezeichnung religiöser Funktionen kein Äquivalent. Manche Ausdrücke einer fremden Sprache sind unübersetzbar (z.B. die österreichischen Ausdrücke "Seicherl", "Dolm"), inkompatibel mit einer anderen Sprachform. Ähnliches gilt für cultural games. Es ist schwer vorstellbar, daß die österreichische Bevölkerung einen elfjährigen reinkarnierten Lama als Autorität akzeptiert. Ebenso schwer vorstellbar ist es, daß in Bhutan eine Formel 1 Strecke entsteht. Noch einmal: Für das Verstehen und für das Gelingen von cultural games sind Kontextbedingungen erforderlich. Das cultural game "Besuch einer restricted area" kann ich nur spielen, wenn ich dem checkpost mein road permit vorweisen kann. Es hat keinen Sinn, dieses road permit als Eintrittskarte in einen Dzong zu verwenden. Die Kontextbedingungen, die "Umstände" geben den Hintergrund ab, auf dem cultural games erst verständlich werden können: Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen" (PU p. 568). Die Rede von "Unvereinbarkeit" kann nicht von der Rede von "Kontext" abgekoppelt werden. Es dürfte sinnvoll sein, dreierlei Arten von Unvereinbarkeit zu unterscheiden: - Unvereinbarkeit im Sinne von Unakzeptierbarkeit (1) - Unvereinbarkeit im Sinne von Unübersetzbarkeit (2) - Unvereinbarkeit im Sinne von Unverstehbarkeit. (3). Im Fall (1) mag man an divergierende Wertvorstellungen denken (die erwähnte Sue war beispielsweise nicht bereit den in Bhutan vorherrschenden indischen Unterrichtsstil in der Schule zu akzeptieren, dieses standardisierte cultural game war unvereinbar mit ihren Standards). Die vielfach (miß)zitierte "Unfehlbarkeit" des Papstes in der katholischen Kirche ist für viele Menschen in der westlichen Welt unvereinbar mit ihren Mündigkeitsvorstellungen. Redet man von der "Unvereinbarkeit" von Kulturen scheint dies jedenfalls zumindest Vergleichbarkeit vorauszusetzen; wir vergleichen einen spezifischen Punkt (z.B. Machtverteilung) in verschiedenen Kulturen und können aufgrund dieses Vergleichs bestimmte cultural patterns als unvereinbar mit den unseren erklären. Unvereinbarkeit im ersten Sinn setzt also Übersetzbarkeit voraus. Die Dynamik, die von dieser Art von Unvereinbarkeit ausgehen kann, soll nicht unterschätzt werden. Unvereinbarkeit von cultural games im ersten Sinn ist Grund, Krieg zu führen (man könnte das Beispiel der sogenannten "Religionskriege" strapazieren oder auch das Phänomen der Kirchenspaltung und der Reformation/Gegenreformation). Unvereinbarkeit von cultural games innerhalb einer Gesellschaft kann zum Bürgerkrieg führen (Beispiel Südafrika). Da weltweit bestimmte cultural games standardisiert werden und wir nur noch in wenigen Fällen von "Binnenkulturen" sprechen können, da die Rede von der "Weltinnenpolitik" und dem "global village" ihre Berechtigung haben, da die weltweit standardisierten cultural games (Telekommunikation, Flugverkehr, Tourismus, Weltwirtschaft etc) zu einer "global culture" beitragen, muß auch eine "global grammar of belief" diese Kulturentwicklung fundieren. Die Rede von der Universalität der Menschenrechte und die Anstrengungen um eine Charta der Vereinten Nationen sind Schritte in diese Richtung. Noch einmal: Eine grundlegende Unvereinbarkeit in den global exponierten und weltweit standardisierten cultural games können wir uns nicht leisten. Die heikle Diskussion um die Menschenrechtssituation in Bhutan mag andeuten, daß Bhutan mit der westlichen Sozialgrammatik unvereinbar sein könnte, doch kann ich in diesem Zusammenhang nur auf die Unvereinbarkeit im dritten Sinne verweisen. Es gilt, daß es universale values und universale lebenstragende Grundüberzeugungen braucht, wollen die global cultural games Bestand haben. Von Unvereinbarkeit im Sinne der Unübersetzbarkeit (2) mag man dann sprechen, wenn cultural games einer bestimmten Kultur nicht in eine andere übersetzt werden können. Das kann sich auf sprachliche Ausdrücke, auf Gepflogenheiten, auf Wertvorstellungen beziehen. Unübersetzbarkeit ist ein Anzeichen von Einzigartigkeit einer bestimmten Kultur, deren cultural games sich nicht auf cultural games einer anderen Kultur zurückführen lassen. Buddhistische Pujas lassen sich nicht in eine christliche Ritensprache übersetzen; die Funktion des Königs von Bhutan läßt sich nicht in die Funktion des österreichischen Bundespräsidenten übersetzen. Dennoch bedeutet Unvereinbarkeit von cultural games nicht, daß sie ein Fremder nicht mitspielen könnte. Auch wenn sich die Shingkhar Tsechu nicht in ein österreichisches Dorffest übersetzen läßt, bin ich in der Lage, mitzumachen (sprich: mitzutrinken), auch wenn sich die Freude der Bewohner von Shingkhar über die neue Straße nicht in die Freude österreichischer Bürger über eine neue Autobahn übersetzen läßt, kann ich die Reaktion der Dorfbewohner nachvollziehen. Unvereinbarkeit in diesem zweiten Sinn stellt einen Wert dar, der erst die Eigenständigkeit von Kulturen garantieren kann. Daß die bhutanesische und die österreichische Kultur in vielem unvereinbar in diesem zweiten Sinn sind, ist ein Wert. Wären die cultural games jener Staaten, die sich auf dem nordamerikanischen Kontinent zu einem Staatenbund der United States zusammengeschlossen haben, unvereinbar im zweiten Sinn gewesen, hätte die Vereinigung nicht stabil sein können. Mit ähnlichen Schwierigkeiten hat jetzt das Projekt der deutschen Wiedervereinigung zu kämpfen. Österreich und die Schweiz können sich, so ähnlich die Staaten in der Landschaft sein mögen, aus Gründen der Unvereinbarkeit nicht zusammenschließen. Ähnliches gilt für Nepal und Bhutan. Die Einzigartigkeit einer Kultur hängt stark von der Unvereinbarkeit in diesem zweiten Sinn ab. Wittgensteins Rede von der Vielfalt der Sprachspiele mag diesen Gedanken unterstützen. Von Unvereinbarkeit im dritten Sinn spricht man in der jüngeren analytischen Philosophie. Diese Rede haben wir aus diesen Überlegungen ausgeschlossen. Eine prinzipiell fremde Kultur kann es nur geben, wenn sich die cultural games dieser Kultur in einem Binnenrahmen befinden. "Fremdheit" kann in diesem dritten Fall nicht abgebaut werden. Unvereinbar im dritten Sinn meint, daß einer Kultur die hermeneutischen Mittel fehlen, um cultural games einer anderen Kultur zu verstehen. Kriterium für die Unvereinbarkeit von Kulturen im dritten Sinn ist das Unvermögen, einen gemeinsamen Handlungszusammenhang zu bilden, auf eine gemeinsame menschliche Handlungsweise zu rekurrieren. Unübersetzbarkeit kann durchaus ein erster Indikator für Unverstehbarkeit sein. Daß Kulturen rein theoretisch so verschieden und dabei derart komplex sein können, daß Verstehensprozesse zuviel Zeit und Energie verschwenden würden (man kann sich beispielsweise nicht unendlich viele verschiedene Sprachen und Handwerke und Techniken und Theorien aneignen), ist denkerisch durchaus möglich. Allerdings bleibt auch hier die Frage, ob sich nicht minimale gemeinsame Handlungszusammenhänge etablieren lassen. Auch wenn ich nicht alle Sprachen, die in Österreich gesprochen werde, beherrsche und auch nicht bei allen Opernbällen, Jazzfestivals, Volksmusikabenden anwesend sein kann, maße ich mir eine gewisse Spielkompetenz, an cultural games der österreichischen Kultur teilzunehmen und sogar Fremde in diese einzuführen, zu. Kulturen kann man schließlich nicht als solche und ganze verstehen. Noch einmal: Denk nicht, sondern schau! Es lassen sich sicherlich in jeder, auch der eigenen Kultur cultural games identifizieren, die ich nicht beherrsche und aus Zeitgründen auch prinzipiell nicht beherrschen kann. Dennoch - und dafür garantiert bereits das Privatsprachenargument - lassen sich in jeder Kultur umgekehrt auch cultural games identifizieren, die ich handelnd mitspielen kann. Daß es in jeder Kultur einen unverstehbaren Rest gibt, der sich nicht in Handlungszusammenhänge einbetten läßt (was auch durchaus mit der sozialen Grammatik zusammenhängen mag, man denke an das Geheimwissen mancher Medizinmänner), macht die Faszination von Kulturen aus. Das Netz von cultural games ist komplex "und ihre Beziehungen zueinander sind komplizierter Art. - Will man diese Beziehungen auf eine EINFACHE Formel bringen, so geht man fehl" (PU p. 499), die Mannigfaltigkeit der cultural games macht die Tiefe einer Kultur aus. Die These von der radikalen Fremdheit, die keinen gemeinsamen Handlungszusammenhang mit einer anderen Kultur erlaubt, lehne ich aus den genannten Gründen (gemeinsame menschliche Handlungsweise) ab. Und schließlich etabliert der Fremde durch sein Kommen in eine fremde Kultur bereits ein kulturübergreifendes cultural game. (4) Ist die bhutanesische Kultur mit den westlichen Kulturen unvereinbar? "Bhutan accomplished what no other society in southern Asia was able to do during the colonial period - that is, to isolate itself from the wide variety of revolutionary 'secular' influences from the West and, more recently, from the 'socialist' movement ... When Bhutan introduced coordinated programs directed toward fundamental change, it was still a traditional society in the narrowest meaning of the term, untainted by the insidious concepts and values of Western origin" (Rose 211). Bis in die 1960er Jahre war Bhutan eine abgeschlossene kulturelle Insel mit spezifischen cultural games. In den 1970er Jahren erfolgte die Öffnung für den Westen, Experten und Projekte strömten ein, der Prozeß der "Entwicklungszusammenarbeit" wurde, wenn auch kontrolliert und ohne übertrieben Hast, in Gang gesetzt. Unter "Entwicklung" kann auf dem Hintergrund der bisher angestellten Überlegungen die Anstrengung verstanden werden, in einer fremden Kultur standardisierte cultural games einzuführen. Das Maß der Standardisierung bestimmt der Westen/Norden, politische und ökonomische Schwerpunkte, deren cultural games exportiert werden. Als standardisierte cultural games müssen Telekommunikation und Automobilisierung, Industrialisierung und Computerisierung, Anschluß an den Weltmarkt und weltsicherheitspolitische Strategien gelten. Die Einführung neuer cultural games bedeutet stets die Transformation bestehender Standards, traditioneller cultural games (man denke an die Ausrottung der Indianerkultur aufgrund des cultural game der Bodennutzung, man denke an die Zwangsenteignung von Grundeigentümern zugunsten des Straßen- und Eisenbahnbaus; man denke an die Durchsetzung der Lokalsprache Bumthaka mit englischen Ausdrücken aufgrund der EZA-Projekte); umgekehrt verändern sich die eingeführten standardisierten cultural games durch die neuen Mitspieler (man denke an das Aufkommen genuin afrikanischer Kinofilme oder an den politischen Druck der "Entwicklungsländer" auf den Norden). Bhutan befindet sich in der privilegierten Situation, die Einführung standardisierter cultural games durch die Industriemächte bis zu gewissem Grad kontrollieren zu können. Freilich hat der Kontakt mit anderen cultural games zu paradoxen Situationen geführt, doch lassen sich diese in der bhutanesisch-buddhistischen Kultur durchaus verkraften (Bruskeland Amundsen 2). Die Gefahr der sogenannten "Entwiclkung" besteht darin, daß manche cultural games (sowohl die neu eingeführten als auch die traditionellen) ihren "Witz" verlieren; ein etwas entschuldigungsbedürftiges Beispiel: "Wenn Kinder Eisenbahn spielen, hängt ihr Spiel mit ihrer Kenntnis der Eisenbahn zusammen. Es könnten aber Kinder eines Volksstammes, dem die Eisenbahn unbekannt ist, dies Spiel von andern übernommen haben, und es spielen, ohne zu wissen, daß damit etwas nachgeahmt wird. Man könnte sagen, das Spiel habe für sie nicht den gleichen SINN wie für uns" (PU 282). Das cultural game kann in manchen Fällen das gleiche sein, nur die Kontextbedingungen haben sich geändert. Dies mag der Fall sein, wenn ein Restaurant in Thimphu eine eindrucksvolle Speisekarte ausfolgt, die freilich nur zu einem geringen Teil eingelöst werden kann; dies mag der Fall sein, wenn in Projektdörfern in abgelegenen Gegenden die besten Computer stehen, die freilich aufgrund der unsicheren Stromversorgung nur teilweise einsetzbar sind; dies mag der Fall sein, wenn die Dorfkinder in Ura sich den brandneuen Film "Jurassic Park" ansehen und Teile des Films später imitieren; dies mag aber auch der Fall sein, wenn ein Österreicher sich bemüht, einen bhutanesischen Tanz mitzutanzen oder sich von Reis und Chilli zu ernähren. "Entwicklungszusammenarbeit" kann wohlwollend als ein Versuch verstanden werden, unfreiwillige Exklusion von standardisierten cultural games abzubauen. Es gilt freilich, ein "principle of fairness", eine Perspektive zu finden, die prinzipielles, wenn auch zwangloses Mitspielen aller ermöglicht - sowohl im Binnenkontext einer Kultur (Phänomen Armut) als auch im Makrokontext des Weltdorfs, das Elemente einer Universalkultur entwickelt. Voraussetzung dafür ist freilich die Reduzierung standardisierter cultural games auf ein Verträglichkeitsniveau (wenn in allen Ländern soviel Energie verbraucht wird, wie in Kanada.... wenn in allen Ländern soviele Privatfahrzeuge verkauft werden wie in Westeuropa... wenn in allen Ländern soviel Kalorien konsumiert werden wie in den USA...). Bhutan hat diesbezüglich Chancen. Das cultural game des American Highway wird sich im Himalaya nicht verwirklichen lassen; auch größere Eisenbahnprojekte dürften am Aufwand scheitern; der Ausbau des Flugverkehrs stößt im Mangel an geeigneten Landeplätzen und in den Witterungsbedingungen an natürliche Grenzen; die Ölindustrie wird sich aus ersichtlichen Gründen in Bhutan nicht niederlassen; eine materialistische Kultur läßt sich im tiefverwurzelten Buddhismus nur langsam etablieren. So gibt es natürliche Grenzen für die Etablierung von cultural games. Bhutan hat zudem die Chance, katastrophale Nebenwirkungen westlicher cultural games (z.B. durch umweltbewußten Straßenbau, kontrollierten Tourismus und kontrollierte Hotellizenzierung, durch sorgsame Auswahl der Wirtschaftspartner) zu vermeiden. So kann eine Kultur für die andere eine Korrektivfunktion ausüben. "Unzerkriegt und unvereinbar", so möchte man sagen, können Kulturen mit übergreifenden cultural patterns harmonisch koexistieren. Macht es den anderen nur nicht zu einfach, die Hermeneutik eurer cultural games zu dekodieren! Literatur: PU: Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. In: Suhrkamp Werkausgabe I, FfM (7)1990 Berne: Eric Berne, Games People Play. Ballantine Books. NY (34)1991 Rose: Leo E. Rose, The Politics of Bhutan. Cornell Univ. Press, Ithaca/London 1977 Bruskeland Amundsen: Ingun Bruskeland Amundsen,. Bhutan: Living Culture and Cultural Preservation. In: Center for Environmental Design Research, Rehabilitation, Revitalization and Preservation of Traditional Settlements. Volume 67 (1994). Univ. of Berkeley/California