***************************************************************** * * Titel: Wittgensteins Zeichnungen im Cornell-Film Bearbeiter: Andreas Roser, Passau Dateiname: 21-2-96.TXT Dateilänge: 39 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/96, Datei: 21-2-96.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1996 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** // Technisches Vorwort // // Zu diesem Beitrag gehört eine Bilddatei, welche unter dem // Namen POSTER.PCX auf der Diskette abgespeichert ist. Wenn Sie // über kein eigenes Graphikprogramm verfügen, kann die Datei auch // unter Zuhilfename des beiliegenden Programmes PICEM.EXE // betrachtet werden. Legen Sie dazu die Diskette in das Laufwerk // mit der Bezeichnung A: und geben Sie von der Befehlszeile aus // ein: // A:\PICEM A:\POSTER.PCX // // Nach einiger Ladezeit sollte dann das Bild auf dem Bildschirm // betrachten können. Bei Problemen hilft die Dokumentation in der // Datei PICEM.DOC weiter. // Das Material Das hier als Bilddatei reproduzierte Plakat enthält Arbeitsmaterialien zu Wittgensteins grafischem Nachlaß*1*. Die Skizzen, Zeichnungen und Bilder Wittgensteins wurden - bis auf wenige Ausnahmen - nachgezeichnet. Das Plakat - im Format A0 - und eine Sammlung aller Zeichnungen auf Mikrofilm sind über die Deutsche Wittgenstein Gesellschaft erhältlich. Als Reproduktionsvorlage für die Zeichnungen, Grafiken und Skizzen wurde der sogenannte Cornell-Film herangezogen. Dieser Film entstand in den 60iger Jahren an der Cornell-University (Ithaca) unter der Leitung von Norman Malcolm und Georg Henrik v. Wright. Es scheint deshalb die Frage naheliegend, warum - anstelle des Filmes - diese Sammlung der Grafiken und Skizzen Wittgensteins verwendet werden sollte. Dafür jedoch gibt es gleich mehrere Gründe: Zum einen kann dieses Arbeitsmaterial die Zeitspanne bis zur vollständigen Werkedition sowohl der Bergener als auch der Wiener Werkausgabe überbrücken helfen. (Insbesondere bei letzterer ist ein Ende noch nicht absehbar, zumal auch nur für einen Teil des Wernachlasses eine Genehmigung der Nachlaßverwalter vorliegt*2*.) Zum anderen bietet weder das Norwegische noch das Wiener Editionsprojekt eine Papierversion der Faksimile-Skizzen und - Grafiken Wittgensteins. Dies gilt auch für die schon länger bestehende Frankfurter Werkausgabe, die nur einen Bruchteil der Arbeiten Wittgensteins reproduziert und so gut wie keine Originalreproduktionen der Grafiken enthält. Ferner dürfte es für alle jene, die sich über das thematische Material des grafischen Nachlasses informieren wollen, vorteilhafter und zeitsparender sein, diese Zeichnungen in einem Buch vereinigt zu finden. Vorteilhafter nämlich gegenüber dem mühsamen Unterfangen, tausende Mikrofilm-Seiten auf einem Bildschirm nach Zeichnungen zu durchsuchen. Aber auch vorteilhafter gegenüber dem kostenintensiven Aufenthalt an einem jener raren Universitätsorte, die diese Fotokopie-Version beherbergen*3*. Schließlich sollte man den Mißstand, daß 45 Jahre nach Wittgensteins Tod die Grafiken und Zeichnungen Wittgensteins weitgehend unbekannt sind, nicht durch Vertröstung auf angekündigte und kostspielige Werkausgaben prolongieren. Was Not tut ist ein einfaches, wenn auch provisorisches Arbeitsinstrument, das geeignet ist, zumindest die Aufmerksamkeit auf jenes Thema zu lenken, dem die Wittgenstein-Rezeption sich bis weitgehend verweigert hat*4*. Probleme und Fehler im Cornell-Film Der Cornell-Film enthält nur in wenigen Ausnahmefällen ein Randlineal und überhaupt keine extern mitlaufende Zählung für die Paginierung. So kann der Leser nur selten die Größe der Vorlagen oder die tatsächliche Abfolge der verfilmten Seiten identifizieren oder rekonstruieren. Ein Grund für diese editorische Enthaltsamkeit wird von der Cornell University Library nicht genannt. Einige weitere Probleme seien hier nur tabellarisch angeführt: - Die Abfolge der Manuskripte auf Rolle Nr. 1 (MS 127-126-109- 111-107) ist ein typisches Beispiel für die nur 'unkoordiniert' zu nennende Verfilmung der numerisch aufsteigend geordneten Manuskriptnummern. Zusätzlich verwirrend wirkt hier der Umstand, daß die Fotokopie-Version dieses Filmes wiederum eine andere Anordnung und Wiedergabe der Manuskript-Reihenfolge enthält. Ferner stimmt die von der Cornell University genannte Reihenfolge mit der tatsächlich auf den Filmen vorzufindenden Reihenfolge häufig nicht überein. Beispiel: - Roll Number 1 Genannte Reihenfolge: MS 127, 126, 109, 110, 111, 107 Tatsächliche Reihenfolge: MS 127, 126, 111, 109, 110, 107 - Roll Number 6: Genannte Reihenfolge: MS 224, 206, 207 225, 143; TS 226, 138, 114, 115 Tatsächliche Reihenfolge: MS 206, 207, Phil. Unter. 1938, MS 143, 224, 225; TS 226, 115 Auch sind nicht auf allen Filmrollen die Texte in voller Länge wiedergegeben. - Auf Filmrolle 19 ist MS 160 nur teilweise identifizierbar - Auf Filmrolle Nr. 25 sind MS 171, 128 u. 230 nur teilweise identifizierbar Eines der größten Probleme jedoch für alle, die mit dem Cornell- Film arbeiten, ist - wie oben erwähnt - das an Orientierungshilfen arme Reproduktionsverfahren für die Seitenabfolge der Originale. Die bei Wittgenstein häufig fehlende Paginierung, die ausgeschnittenen und ausgerissenen Seiten sowie die nicht selten fingierte oder mehrfach und unterschiedlich geführte Seitenzählung (etwa im Big Typescript) rekonstruiert der Film auf keine Weise. Hier hätte schon ein mitverfilmtes Seitenzählwerk oberhalb der jeweils aufgeschlagenen Seiten Abhilfe bringen können. Der Schwarzweiß-Film enthält ferner auch keine Hinweise auf farbige Markierungen oder die Farbe der in schwarz-weiß wiedergegebenen Zeichnungen. - Ferner fehlen auf dem Cornell-Film folgende Manuskripte, Typoskripte und Diktate: MS 139, 142, 181, 182; TS 201, 202, 203, 204, 205, 209, 210, 212, 223, 227; Dictations: 303-310 Dennoch enthält der Film den überwiegenden Teil des schriftlichen Nachlasses. Obwohl die Flüchtigkeit der Herstellung diesem Film anzusehen ist, steht er bis heute für die vollständigste Reproduktion des philosophischen Lebenswerkes Wittgensteins. Unabhängig von allen mit diesem Film verbundenen Reproduktionsproblemen kommt ihm allein gegenwärtig authentische, weil Faksimile-Qualität zu. Keine andere Werkausgabe Wittgensteins erreicht diese Vollständigkeit und Originaltreue. Dieser Zustand dürfte sich jedoch radikal ändern, wenn in den kommenden Jahren das norwegische Editions-Projekt*5* Wittgensteins Nachlaß auf CD-ROM veröffentlichen wird. In dieser Ausgabe werden dann erstmals sowohl die Handschriften-Faksimiles als auch deren transkribierte Lesevarianten ediert werden. Insbesondere die Skizzen und Zeichnungen Wittgensteins werden dann auch zum privaten Gebrauch in hochwertiger Qualität sowohl digital als auch zum individuellen Ausdruck bereitstehen. "How to do things with pictures" wäre - in Anlehnung an Austin - möglicherweise der für Wittgensteins grafisches Werk passende Titel. Ein Werk, das allein durch die Fülle seiner annähernd 2000 Skizzen*6*, Zeichnungen und Bilder längst jene Aufmerksamkeit verdient hätte, die ihm schon durch seine philosophiegeschichtliche Ausnahmestellung zukommt. Die hier rekonstruierten Zeichnungen geben die Grafiken in einer Form wieder, die manche Benützer dieser Materialien möglicherweise an Cartoons, gelegentlich auch an Comics*7* erinnern könnten. So ist es kein Zufall, daß sich unter Zeichnungen auch Zitate aus dem grafischen Werk Wilhelm Buschs finden*8*. Hinzu kommt, daß Wittgensteins Zettelwerk und seine fragmentierte Methode, philosophische Gedanken zu Papier zu bringen, von sich aus eine gewisse Affinität zu grafischen Techniken zeigt, wie sie für die erwähnten Medien typisch sind. Erst auf dem Hintergrund des geistigen Umfeldes sogenannter "akademischer Philosophie" wächst diesen Varianten einer 'Begriffsschrift' - in der Form von 'Begriffs-Grafiken' - eine innovative weil völlig unkonventionelle und unorthodoxe Bedeutung zu. Diese Zeichnungen geben Sprachphilosophen gleichsam neue Werkzeuge und Darstellungsmöglichkeiten für komplexe begriffliche Probleme. Die Verwendung von Bildern zu philosophischen Zwecken hatte vor Wittgenstein kaum ein Philosoph in Erwägung gezogen*9*. Auch hat kein Philosoph zuvor je derart viele Skizzen und Zeichnungen zur Klärung und Ergänzung begriffslogischer Probleme verwendet. Erst Wittgenstein gelang es Bilder in die sprachphilosophische Begriffsanalyse einzubauen und Begriffe als 'Bilder' zu interpretieren*10*. Bekannt sind etwa Wittgensteins Hebel- und Räder-Bilder in den Philosophischen Untersuchungen, die uns die Funktionen einer Wortverwendung verdeutlichen sollen. Die Zeichnung ist hier nicht Abfall oder luxuriöses Beiwerk eines Sprachspieles, sondern ein Muster für dessen korrekte Durchführung. Solche Muster der korrekten Verwendung oder des Funktionierens unserer Sprache haben bei Wittgenstein jedoch nicht den Zweck, 'Wort und Bild' zu vergleichen. Vielmehr ist der Sinn und Zweck dieser Darstellungsform im Kontextprinzip des Sprachspiels selbst zu suchen. Die Ergänzung einer Form der Darstellung durch eine andere ist es, die dieses Kontextprinzip überhaupt ermöglicht. Was wir mit Bildern argumentativ leisten können*11*, können wir in der Regel nicht mit Worten leisten. Bilder und Wörter können einander ergänzen und zeigen dadurch ihre jeweilige eigene grammatische Grenze. Was ein Bild uns sagt, ist nicht durch ein Grammatikbuch der deutschen Sprache geregelt. Wir sind, um mit einem Bild etwas auf vielfache Weise mitteilen zu können, nicht verpflichtet, es in einer bestimmten Weise zu konstruieren oder bestimmten Sätzen zuzuordnen. Wir sind jedoch, um mit einem Satz der Wortsprache etwas mitteilen zu können, auf seine korrekte grammatische Form verpflichtet. "Morgen grün 40" sagt uns nichts*12*. Doch für Bilder gibt es solche Regeln nur in Ausnahmefällen. Dies mag ein Grund dafür sein, viele Bilder und Zeichnungen bei Wittgenstein in einer paradigmatischen Funktion zu finden. Cluster von Beschreibungen können sich um Grafiken gleichsam wie um ein Zentrum legen, das als Bildparadigma wie ein optisches Regelverzeichnis betrachtet werden kann. Die zuvor erwähnten Mechanismus-Bilder Wittgensteins (Hebel, Rad, Zylinder, Kolbenstange etc.) dürfen hier als Beispiele für diese These betrachtet werden. Qualität, Typologie und Variantenreichtum der Skizzen Wittgensteins Nicht alle Bilder oder Zeichnungen Wittgensteins dienen allein dem paradigmatischen Zweck, Zentrum einer Bildbeschreibung zu sein. Betrachten wir die typologische Vielfalt der Skizzen, Zeichnungen und Bilder, die sich im Cornell-Film des Nachlasses finden, dann können wir folgende Objekt-, Muster- und Themengruppen beschreiben: Gesichtsfeldgeometrien; Sterne; Verlaufsschattierungen; Spiralen; Würfel; Quadrate; Kreise; Pfeile und Pfeilregel- Systeme; Tangenten-Schemata; Strichmuster; Kurven-Diagramme; Oktaeder; Pyramiden; Würfel; Kugeln; Meßstäbe; Balkenwaagen; schematisierte Differentialgetriebe; Uhren; Motoren-Schemata; Hasen-Entenköpfe; Netze; Strichpunkt-Gesichter; Mengen- Diagramme; eingeschriebene und umschriebene geometrische Figuren; Zuordnungmuster; Puzzlegeometrien; Fahrzeug-Schemata; Aspekt-Bilder; Zeichnungen von Bänken, Stühlen, Tischen; Kreisel-Muster; optische Täuschungen (Strichmuster); Schachbrett-Geometrien; Scherenschnitte (Porträts); Stoffmuster; Verteilungsdiagramme; Comic-Figuren; Dreieckskonstruktionen; Kopien von W. Busch-Zeichnungen; Waben- Muster; Notenschriften; Konstruktionsskizzen für Geräte zur Strömungsmessung und viele Zeichnungen, deren amorphe Geometrien sich auch nicht andeutungsweise in Begriffe fassen lassen. In dieser Aufzählung sind weder die vielen architektonischen und innenarchitektonischen Konstruktionsskizzen enthalten, die Wittgenstein fast zur Gänze nicht in seinen - hier ausgewerteten - philosophischen Notizbüchern niedergelegt hat; noch sind die sehr wenigen Farbbeispiele berücksichtigt, die der Cornell-Film nicht reproduziert*13*. Viele der Zeichnungen illustrieren ein Problem und sind dadurch eher didaktischer Natur. Wittgenstein dürfte solche Zeichnungen gelegentlich in seinen Seminaren zu Verdeutlichung eines sprachlogischen Problemes herangezogen haben. Einige Zeichnungen stehen in überhaupt keinem erkennbaren Kontext zu den Texten ihrer Umgebung. Wiederum andere Skizzen scheinen in einer Art "geometrischer Kurzschrift" auf andere, detaillierter ausgeführte Varianten zu verweisen. Die oben erwähnte paradigmatische Funktion der Zeichnungen steht also nur für einen - wenn auch charakteristischen - Teil derselben. Die Reproduktion der Skizzen und Zeichnungen in den Werkausgaben sind leider geeignet, den Eindruck zu vermitteln, Wittgenstein habe in seine von ihm umfunktionierten 'Kontobücher' akribisch mit Zirkel und Lineal gezeichnet. Jene Computergrafiken, die uns in den vorhandenen Werkausgaben als reproduzierte Originale angeboten werden, idealisieren und schematisieren diese Skizzen jedoch auf unzutreffende Weise. Wittgensteins grafische Skizzen sind in der Regel flüchtig, gelegentlich verwischt oder verschmiert und nur selten mit gestalterischen Hilfsmitteln*14* ausgeführt worden. Der Geschwindigkeit der Schrift angepaßt sind diese hingeworfenen Piktogramme nicht von jenem kühlen Design und jener grafischen Perfektion, die in der Frankfurter oder Wiener Werkausgabe die Qualität der Originale verfremdet. In beiden editorischen Großunternehmungen fehlt gänzlich jeder Hinweis auf die Qualität und Beschaffenheit der Originalzeichnungen. Während die Frankfurter Werkausgabe auf jede Textvariante (bei Wittgenstein fast immer mehrere Fassungen und Varianten) und einen kritischen Apparat verzichtet, weist die Wiener Werkausgabe zwar solche Textvarianten aus, doch beiden Werkausgaben ist gemeinsam, daß sie auf eine Faksimile- Reproduktion der Zeichnungen verzichten. Auf diese Zeichnungen und Grafiken eben nicht zu verzichten, darin liegt schon jetzt die große Leistung der norwegischen Wittgenstein-Ausgabe. Die Kombination von Handschriften-Faksimiles und Transkriptionen bietet die einzige Form, die dem Original gerecht wird und die möglichen Schwächen eigener Transkriptionsarbeit auf transparente Weise für eine jederzeit möglichen kritische Überprüfung offenhält. Der mit diesem Projekt eingeschlagene Weg ist konsequent, auf der Höhe der Zeit und ihrer Technik und - ungeachtet ihrer digitalen Reproduktionsmethoden - eine Anknüpfung an eine schon untergangen geglaubte Handschriftenkultur. Einige grundsätzliche Probleme Vergleicht man Sätze mit Bildern, so ist der Informationsgehalt eines Bildes in der Regel ungleich größer als der eines Satzes: 1.) Texte der Wortsprache werden linear und sequentiell gelesen. 2.) Bilder hingegen werden nur sekundär auf lineare*15*, primär aber auf nicht-prognostizierbare Weise 'gelesen'. Auf analoge Probleme treffen wir, wenn wir versuchen, Bilder wie Texte zu behandeln. Der Versuch, einen performativen Sprechakt in eine Bildsprache zu übersetzen, scheint zwar auf den ersten Blick problemlos möglich zu sein, doch hier vorhandene grammatische Ähnlichkeiten sind de facto zufällig: - In der Wortsprache kommen performative, d.h. sprechhandlungsbezogene Ausdrücke in den Äußerungsformen vor, in denen man eine entsprechende sprachliche Handlung vollzieht. ("Dieser Satz hat fünf Wörter" usf.) - In der grafischen bzw. visuellen Sprache der Bilder ist z.B. eine gezeichnete Hand ein schreibhandlungsbezogener Bildinhalt ("die Hand") in der die Äußerungsform (das Zeichnen mit der Hand) selbst vorkommt Doch dieser Vergleich ist ein oberflächlicher. Der genannte performative Satz und die gezeichnete Hand haben - wenn überhaupt - nur partielle Gemeinsamkeiten. Eine gezeichnete Hand kann für alles Mögliche stehen. - Denn zum einen haben wir für Grafiken (von konstruierten Ausnahmen abgesehen) keine Subjekt-Prädikat-Struktur und können also Bilder nicht nach unseren Grammatikbüchern analysieren. - Zum anderen ist die Verwendung eines Satzes an die Verwendung anderer Sätze gebunden, hingegen ist die Verwendung eines Bildes nicht an die Verwendung anderer Bilder gebunden. Bilder sind häufig gleichsam absichtslos, stehen für sich selbst. Sätze unserer Wortsprache hingegen nicht. - Die Tatsache, daß jeder Text auch ein Bild, nämlich ein Textbild ist, dürfte für Werbegrafiker zwar ein Gemeinplatz sein, doch eben dieses Verhältnis von Form und Funktion eines Zeichens wurde in der Sprachphilosophie Wittgensteins unterbewertet. Nur so mag vielleicht erklärbar sein, daß bis heute neben den Sprechakt- keine Schreibakttheorien existieren. Es kann nicht die Konvention sein, die Bilder und Sätze koordiniert. Dies ist daraus zu ersehen, daß unzählige viele Bilder innerhalb einer Konvention darstellen können, was ein Satz sagt. Und unzählig viele Sätze können innerhalb derselben Konvention ein Bild beschreiben. Sätze und Bilder sind daher auch in ein-und-derselben Sprachkonvention unkoordiniert. Folglich können Bilder auch keine Werkzeuge der Sprache sein, weil ihr Koordination innerhalb eines Sprachspieles auch konventionell, d.h. durch die spezifische Verwendungsform, nicht geregelt ist. - In einer Sprache kann man mit einem Satz nicht Beliebiges sagen. Doch in einer Sprache kann man mit einem Bild über alle Sprachgrenzen und Lebensformen hinweg etwas mitteilen, auch wenn wir auf diese Weise Verschiedenen Verschiedenes mitteilen. - Bilder, Zeichnung, Grafiken scheinen in gewisser Weise Spiegeln zu gleichen, in denen sich die Sprache jener widerspiegelt, die für diese Bilder eine sprachliche Verwendung suchen. Doch von Sätzen können wir nicht sagen, sie seien Spiegel, in denen sich eine sprachliche Verwendung spiegle. Sätze selbst sind solche Verwendungen und nicht Spiegel einer Verwendung. D.h.: was ein Satz mitteilt ist Folge seiner Verwendung, und nicht getrennt von dieser zu haben oder zu betrachten. Wenn Bilder die Funktion solcher 'grammatischen-Spiegel' für unsere Wortsprachen haben, dann in einer überkulturellen Form nur dadurch, daß die 'Grammatik der Bilder' gegenüber der Wortsprache eine autonome ist, gleichgültig gegen alle weitere Verwendung, die man ihr geben könnte und gleichgültig gegenüber den Regeln der Wortsprache. Neuraths ISOTYPE-Programm beruht auf eben dieser Grundüberzeugung einer autonomen und überkulturellen Mitteilungsfunktion der Bilder. Das Problem ist allerdings, daß wir diese Autonomie, wollen wir sie in Worte fassen, mit Worten nicht darstellen können. Wenn wir allen Menschen dieser Welt z.B. eines jener 'fröhlichen Strichgesichter' zeigten, die sich in Wittgensteins Werk finden, dann wäre die Folge davon nicht, daß alle Menschen sagen würden, was wir sagen könnten, wenn wir ein solches Bild sähen*16* - und an diesem Punkt irrt Neurath möglicherweise. Alle Menschen, die ein-und-dasselbe Bild sehen, werden auch auf ein-und-dasselbe Bild visuell Bezug nehmen müssen. Hier mag die Versuchung groß sein zu sagen: "Aber das Bild kann doch nur EINES mitteilen". Doch eben dies tut ein Bild nicht, darin liegt seine Autonomie gegenüber unseren Wortsprachen. Die 'Grammatik des Bildes', wenn wir hier überhaupt von einer solchen reden wollen, ist im Bild nicht festgelegt, weil eben Striche oder Farben eine Grammatik nur in der Wortsprache, nicht aber im Bild haben. Daß Bilder gerade keine Grammatik haben, läßt sich kaum besser darstellen als eben dadurch, daß wir - wie auch Wittgenstein dies häufig tut - die Verwendungsweise der Wörter an einem paradigmatischen Bild orientieren. In Analogie zu Wittgensteins Urmeter-Beispiel (PU § 50) müßten wir hier sagen: "Von einem Bild können wir nicht sagen, daß es etwas mitteilt, nämlich von jenem, das wir als Paradigma einer Wortverwendung ansehen". Die Frage, wie sich etwas zeigen könne, das selbst keine Grammatik hat, läßt sich vielleicht dadurch beantworten, daß wir eben die Grammatik unserer Sprachen nicht als das Maß aller Dinge betrachten. Worauf Sprache angewiesen bleibt, ist das, was sie in ihrer Grammatik nicht einholen kann. Eben hierin folgt die Verwendung der Bilder in Wittgensteins Werk auch der Einsicht in die Grenzen der Leistungsfähigkeit unserer Wortsprache. Haben Bilder aber keine Grammatik, die jener der Wortsprache vergleichbar wäre, dann markiert die Verwendung von Bildern einen Unterschied, der jenem zwischen der Verwendung der Wörter 'sagen' und 'zeigen' zu entsprechen scheint. Die intensive Verwendung von Bildern bei einem Philosophen, für den alle philosophischen Probleme allein durch Klärung des Sprachgebrauchs zu lösen sind, muß unverständlich bleiben, solange in der Wittgenstein-Interpretation die Auffassung dominiert, Bilder seien allein Werkzeuge der Wortsprache, gleichsam verlängerte Arme der Normalsprache. Zweifellos finden sich im ersten Teil der Philosophischen Untersuchungen Bemerkungen, die in dieser Richtung zu lesen sind (PU 16). Doch würde es sich wirklich so verhalten, so müßten wir eine Grammatik der Bilder in der Wortsprache darstellen können und wären nicht auf Bilder angewiesen. Der zweite Teil der Philosophischen Untersuchungen zeigt Bilder jedoch gerade in dieser paradigmatischen Funktion für die Alltagssprache*17* Doch welchen Regeln folgt die Verwendung eines Striches in einem Bild? Gibt es ein Regelverzeichnis für Bilder? Und wären Bilder, deren Bestandteile gegen derartige vermeintliche grammatische Regeln verstoßen, "fehlerhaft" oder "grammatisch entartet"? Eine solche Auffassung wäre nicht nur sprachlogisch falsch, sie wäre unheilvoll. Die Rede von 'entarteter Kunst' setzt de facto solche Regelverzeichnisse voraus. Der ganze innere und äußere sprachliche Zwang, ja die Künstlichkeit und ästhetische Abwegigkeit solcher Regelverzeichnisse scheint den meisten von uns heute offensichtlich. Es wäre in vielerlei Hinsicht fatal, solche Thesen über die Hintertür philosophischer Interpretationen wieder einzuführen. Doch abgesehen von politischen Überlegungen müßten es auch sprachlogische Gründe sein, die uns davor bewahren, unkritisch von einer 'Grammatik der Bilder' zu sprechen. Zwar können wir für Reproduktion normierter Bildinhalte (etwa Verkehrszeichen) solche Regeln aufstellen, doch welche Verwendung jemand nun tatsächlich einem Bild gibt, berührt nicht die anderen möglichen Verwendungen und Anwendungen dieses Bildes. Könnten wir dies analog auch von einem Satz behaupten? Könnten wir etwa auch sagen: "Welche Verwendung jemand einem Satz gibt, berührt nicht die anderen möglichen Verwendungen eines Satzes?" Das scheint nicht möglich zu sein, denn wir haben einen Satz nicht unabhängig von seiner Verwendung, es sei denn als grafisches Bild, als 'Layout'. Ein Bild hingegen haben wir auch unabhängig von der Anwendung, die wir ihm geben. Das zeigt sich darin, daß wir im allgemeinen auf keine Verständnisschwierigkeiten stoßen, wenn wir ein Bild aus einer Sprachgemeinschaft herausnehmen und in einer anderen Sprachgemeinschaft vorlegen. Ganz im Gegensatz dazu können wir nicht einen Satz unserer Sprache irgendeiner anderen Sprachgemeinschaft vorlegen, in der Erwartung, es werde sich nun auch für alle jene, die unsere Sprache nicht gelernt haben, daraus kein Problem ergeben. Einige der möglichen Fragestellungen und Probleme, die eine Schreibakttheorie zu klären hätte, seien hier skizziert: - Wie kann ein Bild unabhängig von seiner Verwendung in der Wortsprache gegeben sein? - Wie kann andererseits ein Satz der Wortsprache gerade nicht unabhängig von einer Anwendung in derselben gegeben sein? - Was hat ein Bild in seiner Mitteilungsfunktion, was ein Satz nicht hat oder haben kann? - Wenn es Wortsprachen und Bildsprachen gibt - worin besteht dann ihre Familienähnlichkeit? Ist sie wortsprachlicher oder visueller Natur? Und wie könnte das eine oder andere beiden Sprachtypen gemeinsam sein? - Wenn die sprachlogische, argumentative Funktion der Bilder in Wittgensteins Werk eine Folge ihrer Verwendung als Bildtexte ist, dann scheint auch die Form der Schriftzeichen unserer Wortsprache den Inhalt einer Mitteilung*18* zu bestimmen. Doch wie kann eine Oberflächenanalyse der grafischen Form eines Satzes die inhaltliche, die propositionale Funktion desselben bestimmen oder auch nur beeinflussen? D.h. wie kann allgemein das grammatische Verhältnis zwischen der grafischen (zeichnerischen) und der sprachlichen Funktion eines Zeichens beschrieben werden? - Es sei zur Diskussion gestellt, ob die enorme Arbeit, die durch die Wittgenstein-Philologen in die Suche nach einem "Urtext" investiert wird, auch nur theoretisch zu einem Abschluß gelangen kann. Möglicherweise gibt es keinen "letzten Text", weil auch ein Textoriginal weder den Anfang noch das Ende seiner weiteren Verwendung zu markieren scheint. Den Anfang seiner weiteren Verwendung nicht, weil, um das Original auch nur einmal zu lesen, schon eine außer ihm gelegene Reproduktion an seine Stelle treten muß. Das Ende seiner weiteren Verwendung nicht, weil jede mögliche Interpretation sich auch noch von diesem Lesen des Textes entfernen muß. Doch eben darin scheint der Nutzen solcher Textbilder zu liegen. Verhält es sich so, daß letztlich nur das Text-'Layout', die grafische Gestalt des Textes zeigen kann, worauf sich jede Interpretation berufen können muß -? - Grafiken und Bilder können - wie es den Anschein hat - als paradigmatische, elementare Zeichen in Sprachspielen Verwendung finden. Wittgensteins Elementarsatztheorie im Tractatus scheint in der sprachlogischen Funktion der Bilder als elementarer Zeichen auch in seinem späteren Werke eine analoge Fortsetzung zu finden. Doch inwiefern könnten Bilder als elmentare grafische Zeichen interpretiert werden? - Leibniz*19* und Neurath haben auf unterschiedliche Weise, wenn auch mit vielen parallelen Überlegungen, die Forderung erhoben, visuelle Begriffe in philosophische Theoriebildungen einzubeziehen. Während Leibniz die theoretischen Grundsatzüberlegungen für dieses Programm formulierte und Neurath die pragmatischen Aspekte in seinem ISOTYPE-System verwirklichen konnte, gelang es erst Wittgenstein, dieses Programm auch für die philosophische Argumentation auf visuelle Weise zu realisieren. Damit scheint Wittgenstein - einmal mehr - ein neues Themenfeld der Sprachphilosophie beschritten zu haben. Wittgenstein zeigt am Beispiel der Bilder, daß philosophische Argumente nicht auf Begriffe der Wortsprache beschränkt sein müssen. Doch die Frage, was ein 'visuelles Argument' ist, scheint nach wie vor eine offene Frage zu sein. Fußnoten: *1* Der Herausgeber dankt Herrn Prof. Peter Winch für die Reproduktionsgenehmigung der Grafiken und Zeichnungen Wittgensteins. Zu danken ist auch Herrn R. Stautenberg und Herrn W. Datzmann für die Durchsicht der Cornell-Filme und die Anfertigung vieler Nachzeichnungen. *2* Es wurde schon öfters und von verschiedenen Seiten auf die unendliche und oft peinliche Editionsgeschichte des Wittgensteinschen Nachlasses hingewiesen. Der Stoff böte genug Material für einen Roman. *3* Nach Mitteilung der Cornell-University besitzen, neben dem Archiv der Deutschen Wittgenstein Gesellschaft (Passau), nur die folgenden Bibliotheken im deutschen Sprachraum den Cornell-Film: Österreichische Nationalbibliothek (Wien); Institut für Christliche Philosophie (Wien); Universität Essen; Universität München; Freie Universität Berlin; Pädagogische Hochschule Weingarten. Lediglich die Universitäten Konstanz und Passau verfügen auch über eine gebundene Fotokopie-Version dieses Filmes. *4* Eine Ausnahme sollte hier jedoch nicht verschwiegen werden: Michael Biggs hat in den Wittgenstein Studies (Wittgenstein Studies 1- 96; 16-1-96.txt, ISSN 0943-5727; Wien, New York) sein Konzept einer Systematisierung und Aufbereitung der Grafiken Wittgensteins vorgestellt. Biggs unternimmt den Versuch, auf grafische Weise Bildinformationen systematisch zu ordnen und damit auf die Möglichkeiten einer visuellen Grammatik aufmerksam zu machen, die bis heute kaum ein Philosoph zu Argumentationszwecken genützt hat. Biggs Studien dürften im Zeitalter multimedialer Informationsvermittlungen aus mehr als nur philosophischen Gründen von praktischem Interesse sein. Vor allem das Grundproblem der Frage: "Wie können Bildinhalte ohne Worte systematisch geordnet werden?", enthält Fragen, die für Datentechniker ebenso wie für Semiotiker oder Kunstwissenschaftler von Interesse sein dürften. Die praktische Relevanz dieser Forschungen muß jedem gleichsam ins Auge springen, der den Versuch unternimmt, eine Datenbank für Bilder ohne den Umweg über die Wortsprache aufzubauen, also Bildordnungen ohne 'Untertitel' oder 'wortsprachliche Kennzeichnungen' herzustellen. Philosophisch bedeutend dürfte Biggs Versuch sein, zumindest rudimentäre Formen einer 'visuellen Grammatik visueller Inhalte' zu entwicklen. Bilder als Werkzeuge und nicht als Gegenstände der analytischen Sprachphilosophie könnten diesen philosophischen Bemühungen einen Problembereich öffnen, der sich - aufgrund seiner Komplexität - bisher der Wortsprache entzog. *5* Die 1. CD-ROM mit etwa 4000 Seiten Faksimiles und den entsprechenden Transkriptinen wird voraussichtlich im Juli 1997 erscheinen. Die 2. und 3. CD-ROM folgen Ende 1997 bzw. Ende 1998. Die 4. CD-ROM ist für 1999 vorgesehen. Informationen: The Wittgenstein Archives at the University of Bergen, Stromgaten 53, N-5007 Bergen, Norway. Bzw: Huitfeldt@cc.uib.no. *6* In dieser Ausgabe ca. 1350 Bilder. Hierbei wurden jedoch zusammengehörige Strich-Komplexe in der Regel als Einheiten gezählt. Das edierte Material enthält nicht die Zeichnungen und Skizzen jener Manuskripte und Typoskripte, die im Cornell-Film fehlen. Ferner auch nicht jene Zeichnungen und Grafiken, die in den Vorlesungsmit- und nachschriften bis heute ediert worden sind. Andererseits umfassen die hier veröffentlichten Zeichnungen mehr als doppelt soviele Grafiken als bisher in allen Druckpublikationen, - einschließlich der Vorlesungsmitschriften - veröffentlicht worden sind. Nach M. Biggs enthalten die bisher gedruckten Werke und Nachlaßteile ca. 500 Zeichnungen und Bilder. Vgl. Biggs, M.; Pichler, A. (1993) Wittgenstein: Two Source Catalogues and a Bibliography, p. 93; Bergen. *7* Etwa in MS 112, p. 100; MS 115, p. 30; MS 115, p. 267; MS 136, p. 60; MS 137, p. 125. *8* Z.B. in MS 148, p. 17. *9* Die Versuche einiger Renaissancephilosophen, mit Hilfe der Zahlenallegorese geometrische Konstruktionen und Begriffsverhältnisse zu visualisieren, sind eher esoterischer, denn analytischer Natur. Mit Ausnahme der Vertreter des Lullismus und der durch diese Bewegung inspirierten Denker, etwa Giordano Bruno, ist die begriffliche Funktion des Bildes als eines Werkzeuges der Sprache in der Philosophiegeschichte nur selten ein Thema gewesen. Das Bild, wo es zum Thema wurde, war stets Untersuchungsgegenstand, nicht Mittel der Untersuchung. - Vgl. Bruno, G. (1991) Über die Monas, die Zahl und die Figur, hrsg. u. mit einer Einleitung versehen v. E. von Samsonow, Kommentar v. M. Mulsow; Hamburg. Sowie: Bianchi, M.L. (1987) Signatura Rerum, Roma. *10* Das Vorwort zu Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen spricht eben dies deutlich aus. Vergleichbares bemerkt Wittgenstein etwa auch in MS 111. Dort vergleicht er den Denker mit einem Zeichner, "der alle Zusammenhänge nachzeichnen will". *11* Vgl. das Sprichwort: "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte". *12* Es sei denn, wir wären Synästhetiker und könnten etwa Buchstaben als Farben oder Landschaftsbilder usf. "sehen". *13* Es fällt auf, daß in Wittgensteins Werk solche Farbmuster fast gänzlich fehlen. Dies mag besonders vor dem Hintergrund der vielen hundert Bemerkungen über Farben als ein Rätsel erscheinen und steht zudem in einem unverständlichen Verhältnis zur Vielfalt der Zeichnungen. Möglicherweise hängt dies mit Wittgensteins Arbeitsstil zusammen. Für Zeichnungen und Skizzen konnte Wittgenstein in der Regel denselben Tintenstift verwenden, den er auch für seine handschriftlichen Notizen gebrauchte. Doch eine befriedigende Erklärung ist dies nicht, zumal die sprachlogischen Untersuchungen über Farbbegriffe sehr oft auf komplizierte Farbverhältnisse und - schattierungen verweisen, denen allerdings bei Wittgenstein nur sehr selten ein koloriertes Muster im Nachlaß zugeordnet werden kann. *14* Münzen als Zirkelersatz, Stäbchen als Linealersatz oder Stoffmuster als grafischen Elemente. *15* Würde man in comic-strips die Trennlinien zwischen den einzelnen Bildern aufheben, so könnte dies auf ganz erhebliche Weise die Lesbarkeit der Bilder beeinträchtigen. Die Bilder ergeben nur dann eine sequentielle Geschichte, wenn jedes Bild primär für sich selbst steht und erst sekundär mit anderen Bildern verknüpft wird. Wenn wir Bildern einen Rahmen geben, dann kommt darin ihre Eigenständigkeit, ihre grammatisch-visuelle Autonomie zum Ausdruck. *16* Jenes vermeintliche Lachen der Schimpansen, wenn sie die Zähne wie wir freilegen und die 'Mundwinkel' nach oben ziehen, ist Ausdruck der Unsicherheit und Aggression. Das Bild eines 'fröhlichen Strichgesichtes' ließe sich also auch auf ganz andere Weise beschreiben und an andere Beschreibungen anknüpfen als dies üblicherweise geschieht. *17* Die von Wittgenstein in PU II intensiv behandelte Frage, wie wir 'etwas als etwas sehen' und damit beschreiben können, wird von ihm an paradigmatischen Bildbeispielen erläutert (Aspektbilder). Dergleichen Bilder sind folglich keine Werkzeuge der Wortsprache sondern sie werden wie paradigmatische Maßstäbe an eben diese Wortsprache angelegt. *18* Daß die Form der Mitteilung ihren Inhalt bestimmt, ist eine der grundlegenden Einsichten der Sprechakttheorie. *19* Leibniz' 'atlas universalis' bzw. sein Programm einer Universalenzyklopädie der Wissenschaften scheint die erste programmatische Formulierung des Neurathschen ISOTYPE-Programmes gewesen zu sein. Leibniz: "Zu dieser Encyclopaedie wird kommen der Atlas Universalis, ein werck von vortreflichen Nuzen dem Menschlichen gemüth alles leicht und mit Lust beyzubringen vermittelst einer großen menge Tafeln, figuren [...] damit alles so einigermaßen mit den augen gefaßet, und auf dem papier enworffen werden kan, desto geschwinder und anmuthiger und gleichsam spielend und wie in einem blick, ohne umbschweiff der worthe, durch das gesicht dem gemüth vorgebildet und kräfftiger eingedrücket werden könne." Vgl. Leibniz, G.W. (1986) Politische Schriften, hrsg. v. Zentralinstitut für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften der DDR, 3. Bd. (1677-1689), p. 785; Berlin. Vgl. hierzu auch: David, Madeleine (1961) Leibniz et le "Tableau de Célèbes" (Nouveaux essais, liv. IV, chap. III, § 20) ou le problème du langage par immages; in: Revue philos. de la France et de l'étranger, vol 86, p. 39-50; sowie: Couturat, L. (1903) Opuscules et fragments inédits de Leibniz, p. 222-224; Paris.