***************************************************************** * * Titel: ZUM GEDENKEN AN MORITZ SCHLICK Autor: Alfred Barth - Universität Wien Dateiname: 25-2-96.TXT Dateilänge: 11 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/96, Datei: 25-2-96.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1996 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Aus Anlaß der sechzigsten Wiederkehr des Todestages des österreichischen Philosophen Moritz Schlick fand an der Universität Wien ein Gedenk-Symposion statt. Ziel der von PETER MAHR organisierten Veranstaltung war es unter anderem, jener Rezeptionsgeschichte gegen den Strich zu bürsten, die Schlicks Werk ausschließlich im Zusammenhang mit dem Wiener Kreis zu sehen pflegt. Vor allem das Frühwerk des Philosphen, das in einem essayistischen, fast nietzscheanischen Stil geschrieben ist, und sich mit Themen wie einer Philosophie der Jugend und des Glücks befaßt, wurde bis heute fast zur Gänze ignoriert. Von großem Interesse sind Schlicks Entwürfe einer Lebensphilosphie, die von zwei Tendenzen geprägt zu sein scheinen: einerseits von einer wissenschaftlichen Philosophie der Natur, des Lebendigen, wie sie in der Tradition Darwins steht, andererseits aber von einer Philosophie des Lebens, wie sie über Schopenhauer und Nietzsche in die Diskussion des stark lebensphilosophisch beeinflußten Jugendstils mündet. PETER MAHR stellte in seinem Referat zentrale Gedanken aus Schlicks frühem Aufsatz über das "Grundproblem der Ästhetik" aus dem Jahre 1908 dar. Nach Mahr versucht Schlick mit einer Kausalerklärung zu diesem Grundproblem vorzudringen, die in der Reduktion einer Tatsache auf eine andere bis hin zur irreduziblen Tatsachen besteht und geht dabei von einem evolutionistischen Standpunkt aus. Für die Untersuchung ästhetischer Fragen ist die Biologie die höchste Instanz. Das Problem, warum bestimmte Objekte als schön wahrgenommen werden, löst Schlick mit dem Hinweis auf die Befindlichkeit des Betrachters. Im Zustand völliger Befriedigung kann ein ehemals nützliches Objekt von Lust begleitet sein und Objekt einer schönen Vorstellung werden, und zwar umso mehr, als die tatsächliche Nützlichkeit durch äußere Umstände verschwindet. Das ästhetische Empfinden unterliegt einem Entwicklungsprozeß. Das beginnt mit der Kunstfertigkeit, die dem Objekt im Laufe der Evolution attribuiert wird. Der daraus hervorgehende Schmuck ist wiederum Vorstufe für die schöne Empfindung der menschlichen Gestalt. Am Ende befindet sich die Landschaft, die am meisten Assoziationen und Erinnerung erfordert, und daher der höchsten Entwicklungsstufe entspricht. Direkt am Anfang steht jedoch die duftenden Blume, die vom Betrachter als schön empfunden wird. Diese ist zwar nicht auf psychologische Art und Weise zu erklären, vielleicht kann sie jedoch einmal einer physiologischen Erklärung zugeführt werden. Schlick geht davon aus, daß er damit die Grundfrage der Ästehtik in eine Frage der Wissenschaft übergeführt hat. FELIX ANNERL beschäftigte sich in seinem Vortrag mit Schlicks Ethik und Handlungstheorie. Demnach sind Schlicks ethische Überlegungen einerseits geprägt durch seine Versuche, Dogmen des Logischen Positivismus, wie beispielsweise das "Sinnkriterium" auf menschliche Handlungen zu übertragen, andererseits durch originelle Ansätze, die weit über den positivistischen Rahmen hinausgehen und in der bisherigen Rezeption meistens ignoriert worden sind. Ethik stellt für Schlick ein Teilgebiet der Psychologie dar. Im Zentrum steht die Frage nach einer kausalen Ursache des menschlichen Verhaltens. Laut Schlick besteht diese Ursache im Streben des Menschen, unlustvolle Zustände zu vermeiden und lustvolle zu erreichen. Dieses Prinzip, das Schlick als das "Gesetz der Willensmotivation bezeichnet", gilt auch für moralische Handlungen. Alle altruistischen Handlungen sind somit durch das Streben nach Lust motiviert. Einen Spezialfall bilden dabei die "sozialen Triebe", die darauf ausgerichtet sind, das gesellschaftliche Wohl, das Wohl der Mitmenschen zu steigern, und deren Befriedigung dem Individuum das größte Glücksgefühl vermittelt. Wo dieser sittliche Trieb verankert ist und warum er offenbar dennoch so oft unterdrückt wird, bleibt laut Annerl im Dunklen. Der Ursprung des Gedankens, daß eigenes und allgemeines Wohl, Pflicht und Neigung zusammenfallen, findet sich in Schlicks 1927 veröffentlichtem Aufsatzes "Vom Sinn des Lebens". Dort erfahren wir, daß der letzte Wert des Lebens nur in solchen Zuständen liegt, die ihre Erfüllung in sich selber tragen. Dort sind Mittel und Zweck, Handlung und Erfolg miteinander verschmolzen. Solche Zustände erreichen wir am ehesten im Spiel, das eine Tätigkeit ist, die unabhängig von ihren Wirkungen und Folgen ist. Ziel des Menschen sei es, dem "Fluch der Zwecke" zu entkommen, und das Leben "spielerisch" zu gestalten. In seinen ethischen Überlegungen wendet sich Schlick nun gegen den Begriff der Pflicht, da dieser den Begriff des Zweckes voraussetzt, und er unterstützt Schillers Kritik an Kant. Wie Schiller wendet sich Schlick gegen den Standpunkt, daß Moral dort zu finden sei, wo gegen die eigene Neigung angekämpft werden muß. Der wahrhaft gute Mensch ist nicht der, der ständig seine eigenen Triebe zu bekämpfen hat, sondern der, dessen Neigungen von vornherein moralisch sind. Letzteres ist bei all jenen der Fall, die frei vom Diktat der äußeren Zwecke sind, die ihr Leben gewissermaßen "spielerisch" gestalten. ELISABETH NEMETH beschäftigte sich mit einem "traditionelleren" Themenbereich, nämlich mit Schlicks Position im Wiener Kreis und seinem Beitrag zur "Wende der Philosophie". Nemeth greift Schlicks Gedanken heraus, wonach Philosophische Sätze keine wahren Sätze sind und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit nur über die empirischen Sätze der Wissenschaften beziehen, die gewissermaßen als "Vermittler" fungieren . Letztere machen Aussagen über die Wirklichkeit, ihr Wahrheitswert kann festgestellt werden. Philosophische Sätze hingegen sagen nichts über die Wirklichkeit sondern nur über den Sinn von Sätzen, der in jenem Weg besteht, der zurückgelegt werden muß, wenn der Wahrheitwert bestimmt werden soll. Für Schlick bleibt die Philosophie zwar "Königin der Wissenschaften", sie muß jedoch lernen, die neue Aufgabenteilung zu akzeptieren. Selbstverständlich stehen im Zuge dieser Neupositionierung sämtliche Sätze der philosophischen Tradition auf dem Prüfstand, was wiederum zur Folge hat, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil klassischer philosophischer Fragen als sinnlos entlarvt wird. MICHAEL BENEDIKT referierte über Schlicks Aufsatz "Die Wende der Philosophie". Benedikt vertrat den Standpunkt, daß Schlick von einer "Anarchie zwischen undifferenziertem Empirismus und idealistischem Rationalismus" ausgehe. Weiters setzte er sich mit Freges sowie Wittgensteins Konzeption des Satzsinnes auseinander und verglich deren Positionen mit Schlicks Auffassung. Der Historiker GERNOT HEISS versuchte in seinem Vortrag jenes politische Klima zu skizzieren, in welchem die Ermordung Moritz Schlicks stattgefunden hat. Er vertrat die Meinung, daß der Mord nicht stattgefunden hätte, wenn die geistige Atmosphäre nicht so antipositivistisch gewesen wäre. Es war zwar kein "explizit politischer Mord", er hat aber sehr wohl in einem bestimmten politischen Klima stattgefunden, das an der Wiener Universität radikaler gewesen war als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Die Wiener Universität war bereits in den dreißiger Jahren sehr stark von deutsch-nationalem und nationalsozialistischem Gedankengut durchsetzt. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß der Mord vielfach interpretiert und politisch ausgeschlachtet wurde. Das wird durch jene antisemitischen Kommentare damaliger Medien deutlich, die Schlicks Philosphie heftig attackierten und als "jüdisch" bezeichneten, da sie als "antimetaphysische" Philosophie alle Grundwerte und Ideale des Abendlandes untergrabe. Den Abschluß des Symposions bildete schließlich das Referat des Schlick-Schülers, HANS ZEHETNER. Dessen Erinnerungen an den Philosophen, die zum Teil sehr persönlicher Natur waren, zeichneten ein interessantes Bild des Menschen Moritz Schlick und rundeten die Gedenkveranstaltung ab.