***************************************************************** * * Titel: Thomas Bernhard an Dr. Hilde Spiel "ETWAS ÜBER LUDWIG WITTGENSTEIN" Bearbeiter: Josef G.F. Rothhaupt Dateiname: 14-1-97.TXT Dateilänge: 7 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 1/97, Datei: 14-1-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Erstveröffentlichung: Ver sacrum. Neue Hefte für Kunst und Literatur (Wien/München 1971, Seite 47). Der Wiederabdruck in der "Digitalen Bibliothek" der WITTGENSTEIN STUDIES 1/97 erfolgt mit freundlicher Genehmigung der THOMAS BERNHARD NACHLASSVERWALTUNG GmbH - Dr. Peter Fabjan - in Gmunden (Österreich). Herausgegeben und bearbeitet für die "Digitale Bibliothek" von Josef G.F. Rothhaupt. Fehler im Text der Erstveröffentlichung wurden entsprechend der veränderten Wiederveröffentlichung des Textes "Ein Brief" in Thomas Bernhard: Ein Lesebuch, Frankfurt 1993, Seite 34-35 verbessert (nämlich: "im Kopf-, jetzt bin ich wieder auf Reisen, Ragusa" statt "im Kopf - jetzt bin ich wieder auf Reisen - Ragusa" und "NOVALIS, den" statt "NOVALIS, dem"; die Änderung von "Philosophie und Poesie (-Kultur)" in "Philosophie und Poesie(-Kultur)" wurde aber nicht übernommen). Großschreibung ist in der hier gebotenen Publikation beibehalten und Kursivschrift ist als Sperrdruck wiedergegeben. Josef G.F. Rothhaupt *********************************************************** GRAND HOTEL IMPERIAL DUBROVNIK 2.3.1971 Liebe, verehrte Doktor Spiel, ich habe Ihnen einen Beitrag für Ihr Ver Sacrum versprochen - Sie schreiben, 'etwas über Ludwig Wittgenstein', und ich habe diesen Gedanken seit zwei Wochen, also dem Tag meiner Rückkehr aus Bruxelles im Kopf -, jetzt bin ich wieder auf Reisen, Ragusa, Beograd, Roma etc., und die Schwierigkeit, über Wittgensteins Philosophie und vor allem Poesie, denn meiner Ansicht nach handelt es sich bei Wittgenstein um ein durch und durch poetisches Gehirn (HIRN), um ein philosophisches HIRN also, nicht um einen Philosophen, zu schreiben, ist die größte. Es ist, als würde ich über mich selbst etwas (Sätze!) schreiben müssen, und das geht nicht. Es ist ein Zustand von Kultur und Gehirn-Geschichte, der sich nicht beschreiben läßt. Die Frage ist nicht: schreibe ich über Wittgenstein. Die Frage ist: b i n ich Wittgenstein e i n e n Augenblick ohne ihn (W.) oder mich (B.) zu zerstören. Diese Frage kann ich nicht beantworten und also kann ich nicht über Wittgenstein schreiben. - In Österreich sind Philosophie und Poesie (mathematisch-musikalische) ein absolutes Mausoleum, schauen w i r vertikal die Geschichte an. Es ist erschreckend einerseits, fortschrittlich andererseits, mit einem Wort: Philosophie und Kunst existieren zum Unterschied von anderen Völkern in Österreich nicht im Bewußtsein seines Volkes, sondern nur im Bewußtsein seiner Philosophie und Poesie (-Kultur) etc., was für den Philosophen und für den Dichter ein Vorteil ist, ist ihm dieser Vorteil bewußt. Was Wittgenstein betrifft: er ist die Reinheit Stifters, Klarheit Kants in einem und seit (und mit ihm) Stifter der Größte. Was wir durch NOVALIS, den deutschen, nicht gehabt haben, ist uns jetzt Wittgenstein - und ein Satz noch: W. ist eine Frage, die nicht beantwortet werden kann - dadurch ist er eins mit jener Stufe, die Antworten (und Antwort) ausschließt. Unsere heutige Kultur ist in allen ihren unerträglichen Erscheinungen eine solche, die leicht beantwortet wäre, ließe man sich darauf ein - allein mit Wittgenstein ist es anders. Und die Welt ist immer die zu dumme, die nicht begreift, darum ist s i e immer absolut ohne Begriffe - die Begriffe stehen für sich selbst als Begriffe. Das ist tödlich für die MASSE der Köpfe, aber auf die Masse der Köpfe ist keine Rücksicht zu nehmen. So scheibe ich nicht über Wittgenstein, w e i l i c h n i c h t k a n n, sondern weil ich i h n n i c h t b e a n t w o r t e n k a n n, woraus sich alles von selbst erklärt. Mit besten Grüßen, allen Wünschen Ihr Thomas Bernhard