Stillgestellte Normativität?

Die Ernüchterung der Sozialphilosophie und ihr Verhältnis zur Soziologie in der Moderne (2001)

 

von Manfred Füllsack


 

Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, dass die Unterscheidung von Sozialphilosophie und Soziologie in der Moderne problematisch geworden ist. Wenn bisher mehr oder weniger explizite „normative Geltungsansprüche“, wie sie etwa in den gesellschaftstheoretischen Konzeptionen von Karl Marx und seinen Nachfolgern bis hin zur „Kritischen Theorie“ die Kritik an den als „pathologisch“ angenommenen Gesellschaftszuständen leiten, die Sozialphilosophie als solche ausgezeichnet haben, so scheinen ihr – sowohl als argumentativ operierende Wissenschaft, wie auch als mahnende Instanz einer grundsätzlich zur Affirmation ihrer Situation neigenden Gesellschaft – heute Umstände, die im wesentlichen von der Soziologie erforscht und beschrieben werden, einen wesentlich vorsichtigeren und zurückhaltenderen Umgang mit normativen Aspekten und Geltungsansprüchen zu diktieren. Einen Umgang, der die Disziplin zunehmend in die Nähe „objektivistischer“ Soziologie oder Sozialtheorie zu rücken scheint. Es fragt sich, ob die Möglichkeit, die die Sozialphilosophie heute noch hat, normativen Ansprüchen Geltung zu verschaffen, ihren Bestand als eigenständige Disziplin rechtfertigt.

 

I.

 

Die Unterscheidung von Sozialphilosophie und Soziologie ist schon zu Zeiten der Entstehung der Disziplinen problematisch gewesen. Denker wie Saint Simon etwa, Auguste Comte oder auch Karl Marx wurden im englischen und französischen Sprachraum vielfach als Soziologen bezeichnet, während sie in Deutschland eher als Philosophen galten. Erst die feste Etablierung der Soziologie als eigenständige akademische Disziplin und ihre Fundierung auf einer wissenschaftlichen, manche meinen „positivistischen“ Methodik scheint die Disziplinen so nachhaltig voneinander getrennt zu haben, wie sich dies heute etwa im Lehrplan von Universitäten manifestiert. Nichtsdestotrotz ist die Unterscheidung problematisch geblieben. Angesichts elaborierter Gesellschaftstheorien, wie sie unter anderem etwa von Jürgen Habermas – gemeinhin wohl eher als Philosoph betrachtet – oder Niklas Luhmann – im allgemeinen eher der Soziologie zugerechnet – vorgelegt wurden, stellt sich heute, wohl nachhaltiger denn je die Frage nach der differentia specifica der Disziplinen.

Ein solche differentia specifica könnte unter anderem[1], wie einleitend angedeutet, in der Aufmerksamkeit für normative Aspekte, oder anders gesagt, für die für den Bezug der Menschen zu ihrer sozialen Umwelt charakteristische Spannung zwischen Sein und Sollen seitens der Sozialphilosophie gesehen werden. Die Soziologie, vor allem die empirische, neigt dazu, diese Spannung als nicht hinreichend quantifizierbar eher hintanzustellen und ihre Aufmerksamkeit mehr dem Sein, sprich dem Ist-Zustand des Sozialen, als dem Sollen zu reservieren.

Diese Unterscheidung[2] scheint die Sozialphilosophie bis zu einem gewissen Grad als eigenständige Disziplin zu legitimieren. Sie scheint ihr ( – wenn man davon ausgeht, dass sich die Soziologie zu Recht der Aufmerksamkeit für die Spannung zwischen Sein und Sollen enthält – ) gewissermaßen eine raison d'étre zu geben. Diese beschränkt sich allerdings, wie ich im folgenden zeigen möchte, auf theoretische Ebene. Mit ihr ist noch nicht zu rechtfertigen, dass die Sozialphilosophie ihr Engagement für die Gesellschaft konkreter denn als allgemeinen Geltungsanspruch reflektiert und selbst normative, als realisierbar propagierte Entwürfe vorlegt. Die Aufmerksamkeit für die Spannung zwischen Sein und Sollen, die als Wesensmerkmal der Sozialphilosophie betrachtet werden kann, begründet, anders gesagt, nicht zugleich auch schon die Möglichkeit, dem Sollen ein konkretes Antlitz zu geben und es mit mahnend erhobenem Zeigefinger für mehr als eine bloß regulative Idee im Kantischen Sinn zu hypostasieren.

Ich möchte die Gründe dafür, dass dieser Umstand in der Moderne immer deutlicher gesehen werden kann und dass damit die Unterscheidung von Soziologie und Sozialphilosophie zunehmend problematisch wird, im folgenden in Auseinandersetzung mit theoretischen Überlegungen von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann erörtern. Wie sich dabei zeigen wird, lässt sich damit allerdings die Frage nach der Legitimation von Sozialphilosophie nicht restlos klären. Ich werde daher am Schluss meiner Ausführungen auch auf einen Ansatz zu sprechen kommen, auf dem eine Sozialphilosophie, die die hier angeführten Argumente in Betracht zieht, neu ansetzen könnte.

 

II.

 

Sowohl Jürgen Habermas wie auch Niklas Luhmann kommen in ihren Schriften verschiedentlich und stets dezidiert kritisch auf das welthistorische Experiment zu sprechen, das das Marxsche Denken in Form des Realsozialismus und seiner zahlreichen Varianten initiiert hat. Beide Autoren reagieren, offensichtlich belehrt durch die Folgen des Experimentes, mit einer entschiedenen Rücknahme des normativen Anspruchs ihrer Konzeptionen. Jürgen Habermas spricht in dieser Hinsicht in Bezug auf das ursprüngliche, von Max Horkheimer initiierte Programm der „Kritischen Theorie“ von einem „langen Prozess der sozialwissenschaftlichen Ernüchterung“[3] und Niklas Luhmann geht – sich diesbezüglich klar in der Soziologie verortend – so weit, normative Ansprüche überhaupt aus seinem Phänomenbereich auszublenden. Ich werde auf die Gründe Luhmanns dafür weiter unten zu sprechen kommen.

Betrachten wir zunächst die Gründe von Jürgen Habermas, eine solche „Ernüchterung“ zu konstatieren. In Berücksichtigung der von Immanuel Kant gezogenen Trennlinie zwischen bloß regulativem und konstitutivem Vernunftgebrauch[4] sucht Habermas in seiner Theorie eine Hypostasierung von Utopien, wie sie Marx mit dem Versuch, die eigentumslose Gesellschaft zu verwirklichen, noch explizit betrieben hat, von Anfang an zu vermeiden. Die Annäherung des kommunikativen Handelns an die vielbesprochene „ideale Sprechsituation“, die Habermas als implizites Telos jeder Verständigung ins Spiel bringt, soll deshalb nur als „Asymptote“, als Kurve, die eine Gerade im Unendlichen, im U-topos schneidet, vorgestellt werden. Die „ideale Sprechsituation“, der jede kommunikative Handlung tendenziell zustrebt, hat damit für Habermas strenggenommen nur regulative Funktion[5], auch wenn er diesen Umstand in Verteidigung seines „kritischen“ sozialwissenschaftlichen Standpunktes gelegentlich hintangestellt hat und damit verschiedentlich Missverständnisse und Einwände bei seinen Rezipienten provoziert hat.[6] Er beschneidet in dieser Hinsicht die normativen Ansprüche der Sozialphilosophien seiner Vorgänger von Marx bis Adorno bereits deutlich und reduziert sie auf ein Maß, auf dem sie kaum noch gesellschaftspraktische Relevanz haben, auf dem sie also im Prinzip auch von elaborierteren soziologischen Theorien zur Kenntnis genommen werden könnten.[7]

Nichtsdestotrotz spielen diese Geltungsansprüche in seiner Konzeption natürlich eine zentrale Rolle. Die Aufmerksamkeit dafür legitimiert Habermas nach unserer Definition klar als Sozialphilosophen, führt ihn aber im weiteren Aufbau seiner Konzeption auch dazu, dass er, insbesondere wo er auf eine Diagnose der modernen, und das heißt im weitesten Sinn der eigenen Gesellschaft zu sprechen kommt, Umstände konstatiert, die einer Hypostasierung gesellschaftstheoretischer Utopien abermals gefährlich nahe kommen. Werfen wir, um dies deutlicher zu sehen, einen etwas genaueren Blick auf seine zentrale Argumentationslinie.

Das kommunikative Handeln[8], das durch die Notwendigkeit, eine ideale Bedeutungsidentität der ihm selbst zugrunde liegenden Verständigungsvoraussetzungen, also etwa der Zeichen und Begriffe, die in ihm Verwendung finden, zu antizipieren, einen Vorgriff auf eine „ideale Sprechsituation“ impliziert und damit eine grundlegende Spannung zwischen realen und idealen Verständigungsmomenten in jede kommunikative Handlung einbringt, spannt für Habermas bekanntlich einen spezifischen Daseinsbereich auf, den er „Lebenswelt“ nennt. Diesem kommunikativ strukturierten Bereich steht in der „Theorie des kommunikativen Handelns“ nun allerdings der Bereich des zweckrationalen, erfolgsorientierten Handelns gegenüber, der für Habermas die Tendenz zeigt, die lebensweltlichen Bereiche des kommunikativen Handelns im Zuge der sozialen Entwicklung zu „kolonialisieren“.[9] Habermas konstatiert damit der Moderne, mit anderen Worten, eine Tendenz, soziale Bereiche, die, wie etwa zwischenmenschliche Beziehungen oder auch die Bereiche der Erziehung, der Wissenschaft etc., gemeinhin von Verständigungen getragen und strukturiert werden, durch Handlungsformen zu besetzen, die sich mehr an Zweckerfüllung, an Erfolg oder an ökonomischen Vorteilen orientieren, denn an verständigungsorientierten Handlungen. Persönliche Beziehungen werden dabei zum Beispiel durch Geldbeziehungen überformt, Erziehungsaufgaben durch administrative Regelungen usw. Das kommunikative Handeln wird zugunsten von zweckrationalem, erfolgsorientiertem Handeln zurückgedrängt. Die Lebenswelt wird, anders gesagt, mehr und mehr von Imperativen „überwuchert“, die „systemischen“ Charakter haben, und die die für das kommunikative Handeln charakteristische Spannung zwischen Sein und Sollen, zwischen „Faktizität und Geltung“, wie Habermas dies nennt, still stellen.

Damit wird nun die Moderne für Habermas zunehmend von Bedingungen beherrscht, die die hier als differentia specifica der Sozialphilosophie angenommene Aufmerksamkeit für die Spannung zwischen Sein und Sollen für die Sozialwissenschaften entwerten. Habermas konstatiert dementsprechend in seinen zahlreichen Einwänden zur struktur-funktionalistischen und systemtheoretischen Soziologie den modernen Sozialwissenschaften die Tendenz, ihrem Gegenstand mehr und mehr „affirmativ“ gegenüber zu treten[10] und das ursprüngliche Vorhaben der „Kritischen Theorie“, engagiert an den sozialen Gegebenheiten teilzunehmen, aus den Augen zu verlieren.

Er selbst wendet seine Konzeption allerdings von Anbeginn an gegen diese Affirmationstendenz. Seine „Theorie des kommunikativen Handelns“ versucht den angeblich überhandnehmenden Systemimperativen der Moderne, die eben auch die Sozialwissenschaften auf einen „objektivistischen“ Zugang zu ihrem Gegenstand festlegen, einen Ansatz entgegenzustellen, der einer „Kritischen Theorie“ in seinem Sinn neuen Grund unter den Füßen geben soll. Allerdings scheint dabei letztendlich auch sein Versuch, dem kommunikativen Handeln und den davon aufgespannten Daseinsbereichen zu ihrem Recht zu verhelfen, idealistischen Unterstellungen nicht zu entkommen.

Zum einen passiert es Habermas nämlich, dass er, wie schon erwähnt, die „ideale Sprechsituation“ und ihre normativen Ansprüche gegenüber seinen Kritikern doch überbetont und damit malgré lui eine Verwirklichung eines nur als Regulativ angenommenen Telos der Verständigung in den Raum stellt.[11] Und zum anderen entwirft er auch mit jener Institution, die er der „Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Systeme“ und dem damit verbundenen steigenden Dissensrisiko in der Moderne entgegenstellen will, ein normatives Konstrukt, das die Gefahr birgt, in der Vermischung von realen und idealen Momenten Antinomien zu erzeugen oder, auf der anderen Seite, nicht mehr klar erkennen zu lassen, inwiefern das Konzept fähig ist, eine kritische Gesellschaftstheorie überhaupt noch zu tragen.[12] Wie verschiedene Kritiker festgestellt haben, stehen das positiv gesatzte Recht und der darauf aufbauende demokratische Rechtsstaat, auf die Habermas in späteren Schriften seine Hoffnungen setzt, in deutlichem Kontrast zu empirisch feststellbaren Gegebenheiten und verlieren nicht zuletzt dadurch ihre eigentlich angepeilte regulative, gesellschaftskritische Funktion.[13] Habermas’ Projekt einer diskurstheoretisch fundierten „Kritischen Theorie“ erstarrt, so könnte man sagen, als mahnend erhobener Zeigefinger, der nichts mehr anmahnt, als eine ohnehin „vernünftige Wirklichkeit“, die eigentlich keiner Sozialphilosophie mehr bedarf.[14]

 

III.

 

Nicht zuletzt auch in der Auseinandersetzung mit dieser trotz allem gemeinhin als „sozialphilosophisch“ betrachteten Konzeption von Jürgen Habermas hat bekanntlich Niklas Luhmann seinen Standpunkt einer „stillgestellten“, „affirmativen“ Sozialtheorie entwickelt. Die von Habermas konstatierte, aber nicht akzeptierte „sozialwissenschaftliche Ernüchterung“ scheint in Luhmanns Konzeption geradezu auf den Punkt gebracht zu werden, wenn er annimmt, dass moderne Gesellschaften aufgrund ihrer spezifischen Differenzierungsform, in der sich keines ihrer Subsysteme mehr gegenüber anderen auszeichnen lässt, keine Positionen mit privilegierten Problemzugängen mehr bereitstellen, dass also, anders gesagt, in solchen Gesellschaften Positionen fehlen, von denen aus soziale „Pathologien“ oder „Störungen“ überhaupt als solche wahrgenommen werden können.[15]

Weil, so Luhmann[16], jeder Beobachter in einer „funktional differenzierten Gesellschaft“ selbst jederzeit zum Gegenstand einer Beobachtung werden kann, kann in solchen Gesellschaften gewusst werden, dass jeder Standpunkt, von dem aus beobachtet wird, von dem aus also zum Beispiel ein sozialer Missstand in der Gesellschaft festgestellt wird, nur einer von vielen und damit ein höchst „kontingenter“ Standpunkt ist. Es lässt sich damit von diesem Standpunkt aus nur sehen, was sich eben sehen lässt. Und bestenfalls in der Beobachtung des Beobachtens anderer, lässt sich sehen, dass dabei stets jeweils eine Seite der Unterscheidung, die zum beobachten notwendig ist, grundsätzlich ausgeblendet bleibt.[17] Es lässt sich, kurz gesagt, sehen, dass es vom jeweiligen Standpunkt abhängt, welche Dinge gesehen werden können und welche nicht.

Relativität wird damit unweigerlich zum Schlüsselkriterium der modernen Gesellschaft. Und jeder normative Entwurf einer „besseren“ Gesellschaft muss sich in Anbetracht dessen bewusst sein, dass das, was er als „besser“ propagiert, von einem anderen gesellschaftlichen Standpunkt her grundsätzlich auch ganz anders gesehen werden kann.

 

Schon dieser Umstand für sich würde also einen anormativen, affirmativen, oder wenn man so will, rein soziologischen Zugang zum Sozialen nahe legen. Zusätzlich bekräftigt wird dies aber dadurch, dass in der Pluralität der Beobachtungspositionen, die die moderne Gesellschaft bereitstellt, auch deutlich gesehen werden kann, dass jede Intervention ins Soziale notwendig „Nebenfolgen“ nach sich zieht, die vor dem Eingriff noch nicht abzusehen waren. Schon Horkheimer und Adorno haben diese grundlegende Bedingung des Sozialen bekanntlich als „Dialektik der Aufklärung“ beschrieben. Luhmann spricht diesbezüglich von einem „Multiplikationseffekt“[18], der – beschrieben in der Terminologie der Systemtheorie – bewirkt, dass jede Komplexitätsreduktion, die ein System in Bezug auf seine Umwelt zustande bringt, notwendig zugleich auch immer eine Komplexitätssteigerung nach sich zieht, die das System, so es Bestand haben will, zwingt, auch darauf wieder zu reagieren. Weil also im Gegenzug jeder Komplexitätsreduktion notwendig stets auch wieder neue Probleme entstehen, wird jede Komplexitätsreduktion damit zu einem bloß temporären Phänomenen und dieser Umstand wird in der Moderne, mit ihrer Vielzahl an Perspektiven und Problemzugängen, auf Schritt und Tritt sichtbar. Man denke zum Beispiel an die Erfindung des Autos und die damit verbundene Lösung des Problems der individuellen Fortbewegung. Abstrakt formuliert, wird dadurch zwar zunächst Komplexität reduziert, nur um allerdings im nächsten Schritt etwa Straßen, Benzin, Abgasnormen, Parkplätze und vieles mehr notwendig zu machen, an das zunächst gar nicht gedacht wurde, das aber erneut schier überwältigende, und damit zu reduzierende Komplexität nach sich zieht.

 

IV.

 

Dieser grundlegende, von der Systemtheorie sehr deutlich markierte Umstand scheint nun jeglichem Versuch, normative Konzepte einer „besseren Welt“ zu entwerfen und sie einer Verwirklichung anheim zu stellen, endgültig den Boden unter den Füßen zu entziehen. Was Marx auf der Basis seines wissenschaftlichen Materialismus und einer sich für überlegen haltenden europäischen Kultur, die noch ohne weiteres zwischen „avancierten“ und „weniger avancierten“ Gesellschaftsordnungen unterschieden hat, offensichtlich noch nicht in aller Tragweite sehen hatte können, nämlich dass seine Utopie einer eigentumslosen sozialistischen Gesellschaft auch nicht-intendierte Nebenfolgen – einen überbordenden und ineffektiven Bürokratismus, ein unmenschliches totalitäres Regime etwa – zeitigen würde, stellt sich heute als nicht zu vermeidende Bedingung jeglicher gesellschaftskritischen und gesellschaftsverändernden Maßnahme dar. Noch der engagierteste und in bester Absicht unternommene Reform-, Steuerungs- oder Interventionsversuch kann sich aufgrund der multiplen Beobachterpositionen der Moderne im klaren sein, nicht nur diejenigen Früchte zu tragen, die er ernten will.

Dies scheint der Sozialphilosophie, wie wir sie hier als gesellschaftswissenschaftliche Disziplin mit spezieller Aufmerksamkeit für die normative Spannung zwischen sozialem Sein und Sollen definiert haben, endgültig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Einerseits wird es ihr im Bewusstsein der Relativität jedes Blickwinkels, den sie einnehmen kann, unmöglich, wie bisher als Mahnerin „falscher“ oder „schlechter“ Gesellschaftszustände aufzutreten. Und andererseits weiß sie, dass, was sie tut, Nebenfolgen hervorbringt, die dem nicht entsprechen, was sie vorhatte zu tun. Zwar könnte sie weiterhin, so Soziologie und Philosophie nicht dazu bereit sind, die Tatsache einer Spannung zwischen Sein und Sollen als solche im Auge behalten. In Bezug auf den Entwurf und die Verwirklichbarkeit normativer Konzeptionen steht ihre Existenzberechtigung angesichts der Relativität ihrer Standpunkte und der Fatalität und Unausweichlichkeit ihrer Nebenfolgen allerdings weitgehend in Frage. Zumindest in ihrer emphatischen Form, wie sie als „Kritische Theorie“ das Erbe der Marxschen Gesellschaftstheorie anzutreten versucht hat, scheint sie an ihrem Ende angelangt zu sein.[19] Ihre Tätigkeit könnte, so möchte man meinen, letztendlich auch restlos in der Soziologie oder zumindest in der Sozialtheorie aufgehen.

 

Allerdings birgt, wie dies ja auch von Habermas wiederholt ins Rennen geführt worden ist, auch eine „stillgestellte“, „anormative“ Sozialtheorie noch Aspekte, die nach unserer Definition eigentlich nicht anders denn als „sozialphilosophisch“ relevant bezeichnet werden können. Auch Luhmanns angeblich „affirmativer“ Theorie sozialer Systeme gelingt es nämlich, um dies hier nur kurz anzudeuten[20], letzten Endes nicht, ihren eigenen normativen Implikationen zu entgehen. Auch sie muss sich, trotz vielfacher Verweise auf die Kontingenz des eigenen Ansatzes und die Zufälligkeit, mit der in der Moderne Sozialtheorien rezipiert werden, dem Umstand stellen, dass sie sich selbst, um ihren Standpunkt zu argumentieren, als zeitgemäßere Sozialtheorie gegenüber ihren Vorgängern darstellt. Selbst wenn sie dies sozusagen nur nebenbei, also gleichsam nur in Abgrenzung von anderen sozialtheoretischen und sozialphilosophischen Konzeptionen tut, so impliziert sie damit doch auch einen normativen Geltungsanspruch, nämlich den, eben eine „bessere“, eine den modernen Gegebenheiten „besser“ entsprechende Sozialtheorie zu sein. Trotz aller Betonung von Anormativität und Objektivität, die die Luhmannsche Konzeption nahe legt, kommt also auch in ihr offensichtlich noch ein „sozialphilosophischer“ Rest zu tragen, ein Rest, der zum einen der Disziplin auch in „post-Luhmannschen“ Zeiten noch eine raison d’étre zu geben scheint, der aber zum anderen damit auch unweigerlich die Frage provoziert, wie die damit nach wie vor Geltung beanspruchenden normativen Aspekte trotz der kaum von der Hand zu weisenden „Ernüchterungsgründe“, die die Moderne nahe legt, theoretisch fundiert werden könnten.

 

V.

 

Wir wollen also abschließend, obwohl dies hier nicht das zentrale Thema unserer Überlegungen ist, noch kurz die Frage erörtern, wie eine zeitgemäße, die zuvor beschriebene Problematik in Betracht ziehende Sozialphilosophie, wie also, so bin ich versucht zu sagen, eine systemtheoretisch geläuterte Kritische Theorie aussehen könnte.

Blicken wir diesbezüglich noch einmal kurz zurück auf die beiden hier besprochenen Konzeptionen. Die Habermassche Theorie des kommunikativen Handelns geht, wie gesagt, von einem notwendigen Vorgriff, von einer Antizipation eines idealen Zustandes aus, in dem sämtliche einer Kommunikation zugrundeliegenden Voraussetzungen, also etwa die Zeichen der Sprache und die Regeln ihrer Anwendung etc., von den Verständigungssuchenden in gleicher Weise interpretiert und angewendet werden. Real ist ein solcher Zustand allerdings nie gegeben. Erst jeweils eine weitere kommunikative Handlung, ein n+1er Sprechakt, kann in der Realität die Voraussetzungen des n-ten Sprechaktes tatsächlich klären, muss dabei aber natürlich erneut seine eigenen Voraussetzungen wieder als Allgemeingut unterstellen, um sie erst in einem abermals weiteren Sprechakt klären zu lassen. Die in der Kommunikation angelegte Spannung und Entspannung von Sein und Sollen wird damit also gleichsam temporalisiert, sprich, sie wird in der Zeit hinaus geschoben. Die Verständigung wird damit zu einem „ewigen Werden“, dem die „ideale Sprechsituation“ eben nur noch als „schwaches“ regulatives Telos voransteht.

Eben weil dieses Telos Geltungsansprüche nur mehr in theoretischer Hinsicht stellen kann, wird es nun unter den oben beschriebenen Bedingungen der Moderne möglich, die Aufmerksamkeit von diesem Telos weitgehend abzuziehen und stattdessen darauf zu lenken, wie tragfähig die einzelnen konkreten Antizipationen sind, die im Zuge des kommunikativen Handelns vorgenommen werden. Die Problematik einer zeitgemäßen „Kritischen Theorie“ könnte sich damit also auf die Frage nach der Zeit verlagern, die zur Verfügung steht, bevor die Notwendigkeit entsteht, die Voraussetzungen der ersten Verständigung in einer weiteren Verständigung zu klären.

Betrachten wir diesen Umstand, um ihn besser zu verstehen, noch einmal aus der Perspektive der Luhmannschen Systemtheorie. Auch Luhmann spricht diesbezüglich nämlich in ähnlicher Weise von Temporalisierung. Wie gesagt, löst für ihn jede Komplexitätsreduktion eine multiple Kausalkette aus, die bewirkt, dass einerseits zwar das System ein Problem, das ihm seine Umwelt oder auch seine eigene interne Komplexität bereitet, löst, dass es aber andererseits genau dadurch auch weitere Probleme bekommt, nämlich mindestens das Problem einer nun um die gefundene Problemlösung angereicherten, und damit wieder gesteigerten Komplexität. Weil Problemlösungen demnach also stets weitere Probleme erzeugen (oder sichtbar werden lassen), kann nicht mehr die eine, absolute, endgültige Problemlösung (oder Komplexitätsreduktion) als „Ziel“ des Systemgeschehens angesehen werden, sondern nur mehr die kontextspezifische, also relative Lösung der jeweils vom bereits erreichten Zustand aus sichtbar werdenden Probleme. Die finale Problemlösung, die endgültige Komplexitätsreduktion wird demnach also, so könnte man sagen, temporalisiert. Sie wird in der Zeit hinaus geschoben, wird zu einem „ewigen Werden“. Dem System selbst geht es objektiv[21] auch gar nicht um eine „Endlösung“, sondern nur um eine jeweils interimistische, temporäre Problemlösung, die jeweils zumindest so weit trägt, dass das System anschlussfähig bleibt, das heißt, dass es das jeweils nächste anstehende Problem auch noch lösen kann.[22]

Was also aus dieser Perspektive im historischen Problemlösungsprozess – man könnte auch sagen: im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung – geschaffen werden kann, sind keine „idealen Sprechsituationen“, keine „versöhnten Gesellschaften“ oder sonst wie für ideal gehaltenen Gesellschaftszustände, sondern bestenfalls temporäre Zeitgewinne, die jeweils einen kleinen „Freiraum“ verschaffen, bevor das nächste ungelöste Problem unbarmherzig erneut nach Lösung verlangt. Eine „ernüchterte“ Sozialphilosophie, die sich diesen Umstand in seiner gesamten Tragweite bewusst macht, könnte damit, anstatt weiterhin finale „Großlösungen“ für soziale Probleme zu entwerfen oder gar nur mit erhobenem Zeigefinger, unscharfe Normen wie mehr Toleranz, Einsicht und Solidarität anzumahnen, ihre Aufmerksamkeit diesen nur mehr interimistischen Problemlösungen zuwenden und die gegenüber früheren Aufgabenstellungen vielleicht realistischere Frage stellen, ob und auf welche Weise sich die Tragfähigkeit der notwendig stets nur temporären Problemlösungen maximieren lässt. Mit anderen Worten, könnte sich eine solche Sozialphilosophie mit der Frage beschäftigen, wie der Zeitgewinn, den eine Lösung gegenüber der ihr zugrunde liegenden Problemlage einfährt, optimiert werden könnte, um zumindest interimistisch mehr problemlose Zeit, nämlich „Freizeit“ zur Verfügung zu haben, bevor erneut und notwendig das nächste Problem ansteht.

Eine Chance dafür – um abschließend auch noch konkretere Möglichkeiten anzudeuten – scheinen zum Beispiel verschiedenste Arten von Feedback-Schleifen zu bieten, die weitere Maßnahmen und Operationen jeweils an den aktuellen Output und die damit bewirkten Folgen von gesellschaftsverändernden Maßnahmen rückkoppeln und damit zumindest ihren eigenen unmittelbaren Konsequenzen einen Schritt voraus zu bleiben scheinen. Die Rückbindung von Leitzinsen zum Beispiel an die Entwicklung ökonomischer Indikatoren wie Geldmenge, Investitionsklima oder Konjunkturlage, wie sie heute durch das Zentralbankensystem gewährleistet wird, scheint zum Beispiel dem Problem der durch den „Multiplikationseffekt“ verursachten „Kollateralkosten“ ein Stück weit entgegen zu wirken. Ähnliche Rückkoppelungen, etwa die von Sozialhilfen an das Bruttoinlandsprodukt, oder von arbeitsplatzschaffenden Maßnahmen an die Arbeitslosenrate, werden heute auch im Rahmen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vielfach diskutiert.[23]

Die Frage, die diesen Überlegungen zugrunde liegt, scheint sich allerdings aus der hier eingenommenen Perspektive auch damit nicht vollständig ausräumen zu lassen: die Frage nämlich, ob die konkrete und praxisnahe Erforschung dieser Möglichkeiten die Sozialphilosophie als eigenständige Disziplin in der Moderne rechtfertigen kann, oder ob diese Aufgaben nicht doch genauso gut auch Soziologie, Sozialtheorie oder Sozialpolitik überlassen werden können.

 

Verwendete Literatur:

 

Eickelpasch, Rolf, (1996), Bodenlose Vernunft. Zum utopischen Gehalt des Konzepts kommunikativer Rationalität bei Habermas; in: Eickelpasch, R. / Nassehi, Armin (Hrsg.) 1996, Utopie und Moderne, Frankfurt/M.

Füllsack, Manfred, (1997), „Dialektik der Post-Aufklärung“. Zur Situation der kritischen Gesellschaftstheorie 50 Jahre nach Erscheinen der „Dialektik der Aufklärung“; in: Soziale Welt 3/1997, S. 313-328.

Füllsack, M., (1998), Geltungsansprüche und Beobachtungen zweiter Ordnung. Wie nahe kommen sich Diskurs- und Systemtheorie?; in: Soziale Systeme 4, 1/1998, S. 185-198.

Füllsack, M., (2001), Soziale Systeme. Philosophische Voraussetzungen und Implikationen der Gesellschaftstheorie von Niklas Luhmann, Wien (WUV-Verlag).

Füllsack, M., (2002), Leben ohne zu arbeiten? Zur Sozialtheorie des Grundeinkommens, Berlin (Avinus-Verlag).

Füllsack, M., (2003), Auf- und Abklärung? Grundlegung einer Ökonomie gesellschaftlicher Problemlösungskapazitäten. Aachen (Shaker-Verlag)

Habermas, J. / Luhmann, N., (1971), Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt/M.

Habermas, Jürgen, (1981), Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde, Frankfurt/M.

Habermas, J., 1981a, Philosophisch-politische Profile, Frankfurt/M.

Habermas, J., 1984, Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M.

Habermas, J., 1985, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/M.

Habermas, J., 1992, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/M.

Honneth, Axel, 1986, Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie, Frankfurt/M.

Höffe, Otfried, 1993, Eine Konversion der Kritischen Theorie. Zu Habermas’ Rechts- und Staatstheorie; in: Rechtshistorisches Journal 12, 1993, S. 70-88.

Kneer, Georg, 1990, Die Pathologien der Moderne. Zur Zeitdiagnose in der ‘Theorie des kommunikativen Handelns’ von Jürgen Habermas, Opladen.

Luhmann, N., 1991, Am Ende der kritischen Soziologie, in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 2/1991, S.147-152.

Luhmann, N., 1993, Quod omnes tangit... Anmerkungen zur Rechtstheorie von Jürgen Habermas; in: Rechtshistorisches Journal 12/1993, S. 36-56.

Luhmann, N., 1997, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M.

Schlink, Bernhard, 1993, Abenddämmerung oder Morgendämmerung? Zu Jürgen Habermas’ Diskurstheorie des demokratischen Rechtsstaats; in: Rechtshistorisches Journal 12/1993, S. 57-69.

Wellmer, Albrecht, 1986, Ethik und Dialog, Frankfurt/M.

Wellmer, A., 1993, Endspiele. Die unversöhnliche Moderne, Frankfurt/M.

 


[1] Anders als wir definiert z.B. Karl-Heinz Hillmann in dem von ihm herausgegebenen „Wörterbuch der Soziologie“ die Sozialphilosophie als „Aussagensystem, das für eine erfahrungswissenschaftlich orientierte Soziologie nicht zu systematisch überprüfbaren Aussagen führt“. (S. 810)

[2] So sie angesichts der Tatsache, dass sich kaum ein Soziologe „normativer“ Äußerungen zur Situation seiner Gesellschaft wirklich gänzlich enthält, tatsächlich als solche genommen werden kann.

[3] Habermas 1992: 72.

[4] Vgl. u.a. Habermas 1988: 184.

[5] Vgl. u.a.: Habermas 1984: 126. In seinen späteren Schriften spricht Habermas in Bezug auf die „ideale Sprechsituation“ gelegentlich auch von einer „methodischen Fiktion“, die dazu dient, vor ihrem Hintergrund diejenigen realen „Trägheitsmomente“ sichtbar zu machen, die der Komplexität von Verständigungsprozessen auch unter rationalisierten Gegebenheiten per se und unvermeidlich innewohnen. Vgl.: Habermas 1985: 161f; 1992: 395f.

[6] Vgl. diesbezüglich u.a. auch den Einwand von Albrecht Wellmer, nach dem der Begriff der „idealen Sprechsituation“ einen falschen ontologischen Schein enthalte, wenn man ihn als normativen Bezugspunkt der Idee einer vernünftigen Lebensform verstehe. Die in ihm enthaltene Utopie einer vollständig transparent gewordenen Kommunikation hypostasiere „eine unvermeidliche ‘idealisierende’ Unterstellung zu einer der Möglichkeit nach an-sich-seienden Struktur der Kommunikationssituation“. Wellmer 1986: 220. Vgl. diesbezüglich auch Wellmer 1993: 162; und: Eikelpasch 1996: 11ff, der u.a. schreibt, dass die Spannung zwischen Kontrafaktischem und Faktischem von Habermas „vorschnell eingeebnet und zugunsten des Kontrafaktischen geglättet“ wird. (21).

[7] Obwohl Habermas, wie wir noch sehen werden, mit seiner Konzeption gerade gegen eine „objektivistisch“ verkürzte Soziologie Stellung bezieht, stellt auch er die Soziologie als die in der Moderne für die Gesellschaftstheorie relevante Disziplin heraus. Nachdem nämlich die Möglichkeit philosophischer Weltbilder im sogenannten „nachmetaphysischen Denken“ fragwürdig geworden sei (vgl. dazu u.a.: Habermas 1981a: 15ff), und sich Politikwissenschaft und Ökonomie auf ihrem Weg zur Fachwissenschaft auf gesellschaftliche Teilbereiche zurückgezogen hätten, sei der Soziologie sozusagen als einziger unter den Sozialwissenschaften die doppelte Rolle übrig geblieben, einerseits als „empirische Planungswissenschaft“ „sichtbar zu machen, was ohnehin geschieht“ (Habermas 1971: 302f), und andererseits als „Krisenwissenschaft par excellence“ sich mit „den anomischen Aspekten der Auflösung traditioneller und der Herausbildung moderner Gesellschaftssysteme“ zu befassen. (Habermas 1981, I: 19)

[8] Vgl. zum folgenden ausführlicher auch meine Darstellungen in Füllsack 1997, 1998, 2003, und etwa: Habermas 1984: 126ff.

[9] Vgl. u.a.: Habermas 1981, II: 293.

[10] Vgl. diesbezüglich etwa manche Aussagen in der Schrift Der philosophische Diskurs der Moderne: „Die auf sich selbst angewandte Systemtheorie der Gesellschaft kann gar nicht umhin, sich auf die Komplexitätssteigerung moderner Gesellschaften affirmativ einzustellen.“ Habermas 1985: 426.

[11] Vgl. dazu etwa die diesbezügliche Kritik von Axel Honneth (1986: 321) oder auch Georg Kneer (1990: 105) Vgl.: auch die vielfältigen Bemerkungen von Habermas zu „Störungen“ und „Pathologien“ der Rationalisierungslogik (vgl. u.a. 1981, II: 212f), mit denen er implizit immer wieder eine „ungestörte“, „nicht-pathologische“ Rationalisierung unterstellt. Vgl. auch dazu meine diesbezüglichen Darstellungen in Füllsack 1997, 1998, 2003.

[12] Vgl. dazu meine Ausführungen in Füllsack 2003.

[13] Bernhard Schlink meint zum Beispiel, dass der Habermassche Rechtsstaat „ein Staat ohne tiefgreifende innere und äußere Probleme und Konflikte und ohne die Notwendigkeit schmerzhafter Entscheidungen ist, ein Staat der Homogenität und des Wohlstands, ein Staat, in dem sich alles harmonisch zusammenfügt: individuelle Freiheit, rechtliche und soziale Sicherheit und demokratische Offenheit. Daß dieser Staat diskurstheoretisch erfaßt werden kann, versteht sich. In ihm ist gut reden.“ (1993: 57) Auch Luhmann kommt in seinen Schriften verschiedentlich auf die Idealisierungen zu sprechen, die dem Habermasschen Konzept zugrunde liegen. Vgl. u.a. Luhmann 1993: 44.

[14] Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt auch Otfried Höffe (1993: 73), der feststellt, dass in der Habermasschen Beerbung der Kritischen Theorie „an die Stelle einer primär negativen Kritik [...] eine Rekonstruktion des demokratischen Rechtsstaates [tritt], die zwar da und dort für Verbesserungen plädiert, im wesentlichen aber affirmativ ausfällt“. Vgl. dazu auch: Füllsack 1997.

[15] Vgl.: Luhmann 1984: 629.

[16] Wir brauchen uns hier nicht in aller Stringenz auf den Begriffsapparat und das Abstraktionsniveau der Luhmannschen Systemtheorie einzulassen. Um unsere Überlegungen zu argumentieren, scheint eine „intuitive“ Anwendung seiner Begriffe und Grundannahmen zu genügen. Ausführlicher zu Luhmanns Ansatz aber u.a.: Füllsack 2001.

[17] Vgl.: Luhmann 1990: 60f.

[18] Vgl.: Luhmann 1997: 433.

[19] Vgl. dazu auch den Aufsatz von Luhmann „Am Ende der kritischen Soziologie“ (1991).

[20] Vgl. ausführlicher Füllsack 1997, 2003.

[21] „Objektiv“ soll hier heißen: jenseits einer von menschlichen Beobachtern in den Problemlösungsprozess hineininterpretierten Teleologie.

[22] In Luhmanns Konzeption steht dafür bekanntlich der Begriff der „Autopoiesis“.

[23] Vgl. dazu u.a.: Füllsack 2002.


© Manfred Füllsack 2001