El Dorado - Mythos oder Wirklichkeit

Autor: Jan Peter Janke


1. Die Muisca

Die Bevölkerungszahl der Muisca wird auf über eine Millionen geschätzt, ihre Hauptstadt, Bacatá, heute Bogotá, bestand aus mehr als 20 000 strohbedeckten Holzhäusern.
Die Religiosität der Muisca war geprägt von der Vorstellung eines kosmischen Kreislaufs, in dem Entstehen und Vergehen unmittelbar voneinander abhängen. Das Land bewirtschafteten sie nach einem astronomischen Landwirtschaftskalender.


2. Die Legende von El Dorado

Nachdem die Städte und Reichtümer der Muisca den Conquistadores nach und nach in die Hände fielen, mussten die spanische Eroberer bald feststellen, dass sich in ihrem Territorium kaum Gold und Edelsteine abbauen ließen oder gar goldene Städte befanden.
Doch die zahlreichen Schätze und vor allem die Legenden, die sie von ihren Gefangenen mitgeteilt bekamen, nährten die Sucht der Europäer nach weiteren Funden und schürten den ungebrochenen Willen vor allem das von den Indigenen geschilderte El Dorado zu finden.
Die Erzählungen der gefangen genommenen Muiscanachfahren bezüglich der Zeremonien an der Lagune Guatavita waren konsistent, die Legende von El Dorado geriet in den Mittelpunkt der spanischen Bestrebungen nach einer großen Ausbeute. So nahm die Geschichte vom "vergoldeten Mann" eine zentrale Rolle bei allen Berichten der europäischen Chronisten ein, maßgeblich waren insbesondere die Schriften von Rodrígues Freyle, der sich auf Schilderungen von Don Juan, dem Neffen des letzten Herrschers der Region um Guatavita stützte.
So malte Freyle die Zeremonie der Thronbesteigung an der Lagune Guatavita detailliert aus:
Der angehende Herrscher verbrachte lange Zeit vor der Zeremonie in einer Höhle in der Nähe des Gewässers, der Kontakt zu Frauen war ihm dort verwehrt, auch durfte er kein Salz oder Chili zu sich nehmen oder die Höhle tagsüber verlassen.
Für die Zeremonie wurde ein Floß aus Binsen hergestellt, das dann mit den unterschiedlichsten wertvollen Gegenständen dekoriert wurde. Auf dem Floß befanden sich vier Behälter mit entzündeten Geruchsstoffen, der in Goldstaub gehüllte zukünftige Herrscher und vier weitere mit Gold- und Edelsteinschmuck versehene Oberhäupter fuhren dann mit dem Floß über den von zahlreichen Booten bedeckten See in die Mitte des Gewässers. Dort angekommen signalisierte eine auf dem Floß gehisste Fahne eine Unterbrechung der aus Musik und Tanz bestehenden Feierlichkeiten am Ufer.
Der angehende Herrscher warf nun die mitgebrachten Opfergaben aus Gold und Edelsteinen ins Wasser, dann wurden die Feierlichkeiten fortgesetzt.

Eine weitere überlieferte Sage, die als Ursprung der von Freyle geschilderten Zeremonie gedeutet werden könnte, erzählt von einem Herrscher, dessen Frau ihn mit einem rangniederen Mann betrogen hatte. Nicht nur dieser Vorfall, sondern auch die Tatsache, dass er seine Frau nun der geltenden Rechtssprechung nach zu verstümmeln hatte, ließen ihn in tiefe Trauer fallen, die noch übertroffen wurde, als sie sich, um der Strafe zu entgehen mit ihrem gemeinsamen Sohn in die Lagune Guatavita stürzte und ertrank. Der einsame Herrscher fuhr seitdem jedes Jahr am Todestag der beiden in Gold gehüllt auf einem reich verzierten Floß hinaus in die Mitte des Sees, um dort goldene Opfergaben ins Wasser zu werfen.

Angestachelt von den zahlreichen Legenden über El Dorado wurden in den der Eroberung folgenden Jahrhunderten unzählige Versuche unternommen, den Schatz zu bergen, nur dem Unternehmer Hartley Knowles gelang es zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem Tunnelbau das Wasser zur Gänze abzulassen, doch der Grund im Zentrum des Sees bestand aus metertiefem Schlamm, der nicht zu betreten war und getrocknet das Tunnelsystem zerstörte, so dass der ursprüngliche Wasserspiegel nach kurzer Zeit wieder erreicht war.
Auch die weiteren Versuche, die Lagune trockenzulegen, scheiterten, bis die kolumbianische Regierung den See Guatavita 1965 zum nationalen Erbe erklärte.


3. Eine Untersuchung der Berichte über El Dorado

Genährt durch zahlreiche Berichte von Gefangenen in den unterworfenen Gebieten und durch die tatsächlich gefundenen unermesslichen Reichtümer in Mittel- und Südamerika, begannen die europäischen Eroberer bald überall auf dem Kontinent nach dem einen alles bisherige überragenden Schatz zu suchen. Gerade aufgrund der vorliegenden Erzählungen über die Zeremonien, bzw. Rituale eignete sich insbesondere die Lagune Guatavita entsprechend für eine derartige Projektion.
Die sich häufenden Misserfolge bei der Bergung des in der Lagune vermuteten Schatzes verstärkten die Konzentration der Goldsüchtigen auf dieses Gewässer und vor allem die Tatsache, dass bis heute kein Schatz gefunden wurde, macht den Mythos von El Dorado äußerst lebendig.
Betrachtet man die Quellen der Erzählungen, muss man feststellen, dass sich alle vorliegenden Berichte nachweislich auf die Schriften der frühen spanischen Chronisten in Mittel- und Südamerika beziehen, bei den es sich wiederum um die ihnen mitgeteilten Erzählungen der indigenen Bevölkerung handelt.
Es ist anzunehmen, dass diese Überlieferung der indigenen Informationen durchaus ein komplizierter sprachlicher Prozess sein musste, denn auch wenn zumindest die eine Seite die Sprache des anderen erlernte, wird die Kommunikation zwischen Personen aus bisher vollkommen isolierten Kulturkreisen nicht leicht gewesen sein.
Es gilt außerdem in diesem Zusammenhang die These der linguistischen Entwicklung von Polyonymie zu Synonymie nach M. Müllers zu untersuchen, wonach jeder Gegenstand ursprünglich mit zahlreichen Begriffen versehen war, dann aber nur Name für einen Gegenstand überdauerte, die restlichen Attribute erreichten somit eine Selbstständigkeit, Homonymie. Diese Worte sind laut Müller die Quellen für einen Mythos.
Die Anwendung Müllers Deutungsversuch auf den vorliegenden Mythos gilt zum einen für den rasanten Wechsel von den ursprünglichen Sprachen zum Spanischen, zum anderen in diesem Kontext für eine anzunehmende Unübertragbarkeit der indigenen auf die europäischen Sprachen.
Der Ursprung der Erzählungen von El Dorado basiert folglich möglicherweise lediglich auf sprachlichen Missverständnissen.

Lässt man jenen sprachlichen Aspekt außer Acht, kann der Mythos von El Dorado auch allegorisch gedeutet werden, die Berichte über die Zeremonie können eine sich mit der zeitlichen Entfernung zum Ereignis wachsende Glorifizierung darstellen, die Übertreibungen entspringen somit einer Umdeutung der Überlieferungen.
Ein weiterer Punkt, der die Möglichkeit stärkt, dass es sich bei den Erzählungen über El Dorado um einen Mythos handelt, kann von V. Grönbechs Analyse der Grundbegriffe des griechischen Mythos auf die Muisca übertragen werden, so behauptet er, dass sich ihre Gedanken in anderen Dimensionen bewegten, die man aus der heutigen Perspektive, bzw. auch aus der damaligen europäischer Sicht nicht zu verstehen vermag. Selbstverständlich gilt jenes auch für das Verständnis der heutigen Europäer für die Gedankenstrukturen der damaligen Eroberer.
Doch gerade das vom europäischen Merkantilismus bestimmte grundsätzlich andere Verhältnis der Spanier zu Edelmetallen oder Edelsteinen lässt Vermutungen über eindeutige Missverständnisse und Umdeutungen zu.
Allerdings bestätigen zumindest die bisher entdeckten Schätze, insbesondere das 1969 gefundene goldene Floß den vermutlich wahren Ursprung der Geschichte um El Dorado.


4. Literaturangaben

  • Hübner, Kurt: Die Wahrheit des Mythos. C.H. Beck, München 1985
  • http://www.lamp.ac.uk/tairona/a5eldor.html, am 10.01.04
  • http://www.banrep.gov.co/museo/eng/info/historia.htm, am 10.01.04