Die religiöse Interpretation des Positivismus in Brasilien

Autor: Katharina Perkonig


Einleitung

Zum Verständnis der religiösen Interpretation des Positivismus in Brasilien ist es notwendig sich in erster Linie mit der Lehre Auguste Comtes auseinander zusetzen. Im Anschluss daran, gilt es sich das gesellschaftlich-politische Umfeld Brasiliens im 19. Jahrhundert zu vergegenwärtigen, um die Rezeption des positivistischen Denkens nachzuvollziehen.


1. Der Philosoph: Auguste Comte

Als Begründer des Positivismus gilt Auguste Comte, der 1798 in Montpellier als Sohn eines kleinen Beamten geboren wurde. Sein Studium an der École polytechnique in Paris und der Medizin in Montpellier führten zur genauen Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften, die seine erste Phase philosophischen Schaffens prägten. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit Privatunterricht und Nachhilfe. Ab 1826 machte er die positivistische Philosophie in Privatkursen bekannt, an denen u. A. auch Alexandre Humbolt teilnahm. 1830-1842 erschien der erste der insgesamt sechs Bände des "Cours de philosophie positive". Nach einer ersten unglücklichen Ehe, verantwortlich für Comtes periodisch auftretende geistige Krankheit, tritt er 1844 in die zweite Phase seines philosophischen Schaffens ein. Er begegnet in diesem Jahr Clothilde de Vaux (1815 - 1846), zu der er eine platonische Liebe hegt, die durch ihren frühen Tod allerdings ein jähes Ende findet. Comtes Ausführungen der Menschheitsreligion, und des darin enthaltenen Kults sind von der Liebe zu dieser Frau beeinflusst. Gegen Ende der vierziger Jahre entsteht in Paris die erste positivistische Gesellschaft, die seine Lehren in bis ins Detail ritualisierten Kulte praktiziert. 1857 stirbt Auguste Comte in Paris.


2. Der wissenschaftliche (philosophische) Positivismus

Worum ging es Comte in der ersten Phase seines Wirkens? Ausgehend von seiner naturwissenschaftlichen Bildung und zeitgenössischen Reflexionen, sah Comte die Reform der Wissenschaft und des Denkens als Voraussetzung für die Reform der Gesellschaft. Die daraus entstehende Idee einer letzten und kompliziertesten Wissenschaft – die das Erbe der Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie und Biologie antreten sollte – eine Wissenschaft der Gesellschaft an-sich, machte ihn zum Mit-Begründer der Soziologie. "Wissenschaft ist ein Instrument, das dazu dient, die menschlichen Fähigkeiten im Bereich der Verfügung über seine natürlichen und sozialen Lebensbedingungen zu steigern. [...]" bzw. sein Vermögen Ereignisse vorherzusehen. "Kenntnis von Gesetzen muss sich sowohl in der Natur als auch in der Menschenwelt in Praxis umwandeln lassen. Wie der Mensch die materielle Natur durchschaubar macht, so muss er sich selbst durchschaubar machen, [...]." Comte beschränkte sich daher zunächst darauf, in großen Zügen die Entwicklung der Menschheit, den sich daraus ergebenden Zustand, und in Folge die Zukunft zu beschreiben. Er gelangte zu dem Dreistadiengesetz, dass die Geschichte des menschlichen Geistes, allgemein als auch individuell, in ein theologisch - fiktives Stadium (vom Fetischismus über Polytheismus zu Monotheismus fortschreitend), ein metaphysisch - diskursives Stadium und ein wissenschaftlich - positives (kontemplatives) Stadium einteilt. Das letzte, positive Stadium ist das Resultat des menschlichen Fortschritts. Die grundlegende Revolution bestand im Kern darin, "... überall anstelle der unerreichbaren Bestimmungen der eigentlichen Ursachen, die einfache Erforschung von Gesetzen, das heißt der konstanten Beziehungen zu setzen, die zwischen den beobachteten Phänomenen bestehen." Das Absolute durch das Relative zu ersetzen. "Der positive Geist fragt nicht mehr "warum", und bricht die Spekulationen über die verborgene Natur der Dinge ab. Er fragt, wie die Phänomene entstehen und verlaufen, er sammelt Fakten [...]" und ist bereit sich ihnen zu beugen.


3. Der religiöse Positivismus

Die zweite Phase Comtes Wirkens, ab 1844, ging von der Maxime aus, dass sich der Geist, anstatt sich auf der Suche nach dem Absoluten zu verlieren, auf den Boden des Relativen zurückziehen und dessen Gesetze bestimmen sollte. Das "Problem Gott" wurde als unlösbar erklärt. "Doch soll der einmal ausgeschaltete Gott nicht wiederkehren, so ist es notwendig, ihn zu ersetzen, und zwar unverzüglich. [...] Denn ‚man zerstört nur, was man ersetzt.’" Und so musste der Positivismus - wollte er wirklich die letzte Station der menschlichen Entwicklung sein - auch alle Triebe der menschlichen Natur befriedigen. Konkret führte das zur Einsicht, dass dem menschlichen Bedürfnis "Anzubeten" ein Ziel gegeben werden musste. Da die konstante Summe menschlicher Bedürfnisse mit dem Wissensfortschritt die Form ihrer Befriedigung verändert , hieß das "’unsere Gefühle, unsere Gedanken und unsere Handlungen um die Menschheit’, ‚das einzig wahrhafte große Wesen, dessen Glieder wir wissentlich sind’" zu versammeln. Statt Gott wurde nun die Menschheit angebetet.
Stellte die Wissenschaft der Soziologie die letzte Stelle der Emanzipation der Vernunft dar, so meint Comte nun, dass die reine, entblößte Intelligenz ohnmächtig und gefährlich sei. "[...] Ohnmächtig, weil sie in sich selbst keine hinreichenden Arbeitsimpulse finden kann, sofern sie nicht von emotionalen und praktischen Bedürfnissen in Bewegung gesetzt wird; gefährlich, weil sie bei fehlender Subordination, zur Aufstellung spekulativer metaphysischer Systeme neigt." Daraus folgerte er, dass die soziale Ordnung mit der unbeschränkten Freiheit, die Grundlagen der Gesellschaft jeden Tag aufs neue in Frage zu stellen, stets unvereinbar ist, und definierte den Glauben als "die Bereitschaft, ohne vorhergehende Beweise an die von einer berufenen Autorität aufgestellten Dogmen zu glauben" Sinn und Zwecks des Glaubens war seit jeher die allumfassende Ordnung. Zu Anbruch des positivistischen Zeitalters, "sind wir endlich so weit, diese allumfassende Ordnung in unserer Vorstellung von den ‚fiktiven Ursachen’ [...(Theologie)] zu lösen; wir wissen, dass sie auf allen Gebieten, [...(Wissenschaften)] in Gesetzen besteht, die ihr völlig immanent sind."


4. Der Kultus des religiösen Positivismus

Der Kultus des religiösen Positivismus basierte auf Comtes Vorstellung, "dass man die gesamte Struktur und Form der katholischen Kirche unverändert übernehmen könnte, während man ihre gesamten Glaubensinhalte [...] durch andere ersetzte."
Die neuen Dogmen waren die Comtesche Doktrin , sowie die bereits entdeckten Gesetze der Wissenschaft. So wurde vor allem in Lateinamerika eine Fülle neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Daten, die seit Kopernikus, Galilei, Kepler, Descartes, Darwin, etc. über die Menschheit hereingebrochen waren, eingeführt und gleichzeitige ein System zu ihrer Bewältigung gegeben. Der Positivismus war avantgardistisch und ließ die katholische Kirche als rückständig und obsolet erscheinen. Übernommen wurden mit einigen Modifikationen die Riten, Sakramente, der Kalender und das Priesteramt vom Katholizismus.

So wurde die christliche Dreifaltigkeit durch ein religiöses Triumvirat, bestehend aus dem großen Wesen (Menschheit) => è Jesus, dem großen Fetisch (Erde) => è Gott Vater und der großen Mitte (Weltraum) => è der heilige Geist, ersetzt.

In Hinblick auf die Sakramente, fügte Comte ein neuntes die "Inkorporation", eine Art Heiligsprechung, hinzu. Es betrifft die Menschen nach dem Todes und wird von denen empfangen die sich im Laufe ihrer objektiven Existenz würdig zeigten. Sie "hören auf als Individuum (Einzelwesen) zu existieren sondern werden ein ‚wahrhaftes Organ des großen Wesens’."

Das positivistische Priestertum zeichnete sich durch ganzheitliches Denken – erworben durch eine "enzyklopädische Ausbildung" – aus. Seine Aufgabe war die Systematisierung der großen Kräfte des Gefühls und der Tätigkeit. Es war die "lebenserneuernde Körperschaft", die die abendländische Gesellschaft wiederaufbauen und dazu wirksame und umfassende Disziplin einzuführen sollte. "Die ‚kontemplative Kasse’ welche die positivistischen Priester bilden, ist, [...] ‚eigens beauftragt, für uns zu denken.’"

Hervorzuheben ist außerdem der dem religiösen Positivismus eigene Frauenkult.
"Die Frauen sind [...] den Männern durch eine größere Entwicklung des Mitgefühls und der Geselligkeit ebenso überlegen wie sie ihnen an Einsicht und Vernunft unterlegen sind. So hat ihre Tätigkeit in der Familie und mittelbar in der Gesellschaft durch eine stärkere natürliche Entfaltung der Sympathie und des Geselligkeitstriebes die zu kalte und männliche Führung durch die Vernunft zu mäßigen."
Dass die Liebe zu Clothilde de Vaux zu dieser Einsicht führte, belegt Comtes Testament, in dem er schreibt: ""Weit entfernt davon, gegen die Menschheit lau zu werden, wird sie mir durch dich nur noch teurer, seit ich in Dir ihr Bild sehe [...] dein Kult hat mich die Befriedigung, [...] und den unmittelbaren Zauber der allumfassenden Sympathien so recht empfinden lassen [...]" und auch schon im "Système de politique positive" schrieb Comte: "jene heilige Mauern, die das angebetete Bild für immer durchwaltet, halfen mir, den innerlichen Kulte der vollkommensten Personifikation des Großen-Wesens immer besser entwickeln."
In der Umsetzung hieß das, dass jedem Mensch einen positivistischer Schutzengel in Gestalt einer Frau anzuvertrauen. Die Frau wurde darüber hinaus als Hüterin und Quelle des Gefühlslebens der Menschheit verehrt und sollte letztlich den Triumph des positiven Geistes auf Erden gewährleisten. "Bekanntlich beherrschen die Gefühle den Geist, nicht in dem Sinne, dass der Geist über keine autonomen Funktionen verfügte, sondern in dem, dass ihn nur das Gefühl wirklich zur Tätigkeit anregen kann."
Die Familie ist fundamentaler Baustein sozialen Lebens und soll das Gedeihen der gewünschten altruistischen Gefühle garantieren, dafür wurde rein formell mit einer Unterordnung der Lebensalter und einem Scheidungsverbot gesorgt. "Ziel des Positivismus ist, [...] die ‚persönlichen Instinkte’ zu überwinden und ‚den sozialen Gesichtspunkt an die Stelle des bisher leider vorherrschenden persönlichen’ zu setzen."


5. Die Rezeption des Positivismus in Brasilien

Der Einmarsch Napoleons in Portugal, veranlasste den portugiesischen Thronfolger, Dom João VI, 1807, zur Flucht in die Kolonie Brasilien. Erst 1821, sechs Jahre nach Napoleons Waterloo, kehrte er nach Portugal zurück, hinterließ jedoch seinen Sohn Pedro, der sich 1822 von Portugal unabhängig erklärte. Als selbsternannter Kaiser war Pedro I allerdings inkompetent und das Land litt unter mehreren Bürgerkriegen und Sklavenaufständen. Es erfing sich erst 1840 mit der Übernahme des Throns durch Pedro II. Dieser baute ein Parlament auf, zog gegen Paraguay in den Krieg (1864-1870) und schaffte 1888 die Sklaverei ab. 1889 beendete ein Militärputsch die Monarchie und verbannte Pedro II nach Paris.

Die Lehren des Positivismus fanden durch in Europa (hauptsächlich Frankreich und Belgien) ausgebildete Studenten ihre Verbreitung. 1844 bezog sich erstmals Ivan Lins in einer medizinischen These auf das Dreistadiengesetz. Luís Pereira Barreto (1840 – 1923), war der erste Vertreter des kritischen bzw. philosophischen Positivismus, der allerdings mehr durch seine Persönlichkeit als von ihm erschienen Bücher junge Intellektuelle beeinflusste.
Der Boden für die Verbreitung der reformatorischen Ideen des Positivismus war Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts sichtbar gut:

  • So kämpfte die katholische Kirche und Pedro II um die gegenseitige Vorherrschaft.
  • Mit dem Ende des Kriegs gegen Paraguay hatte das brasilianische Militär zusehends sein Ansehen und Funktion verloren und begann sich, ausbildungsmäßig, den exakten Wissenschaften zuzuwenden. Der wissenschaftliche Positivismus fand in und durch die Escola Militar seine Ausbreitung.
  • Die "religiöse Intuition" der Brasilianer, sowie ein defizientes staatliches Unterrichtswesen und die Abwesenheit von Universitäten, als Ort der Entstehung von kritischen und oppositionellen Bewegungen, begünstigte die Apostel des Positivismus darüber hinaus.
  • " [...] in dieser geschichtlichen Umbruchsperiode glaubte der Einzelne zu erkennen, dass es fruchtlos sei, sich einer absoluten theologischen oder methaphysischen Erkenntnis zuzuwenden. Vielmehr hoffte er, aus der eigenen lateinamerikanischen Erfahrung heraus, dass der durch die positivistische Philosophie herbeigeführte radikale Bruch mit der theologischen und metaphysischen Tradition die definitive und unwiderrufliche Überwindung dieser von Spanien und Portugal bisher aufoktroyierten Denkweisen bedeutete." Auch war die katholische Kirche nicht zu einer Systemkritik der positivistischen Wissenschaft im Stande, zur Erkenntnis, dass die Situation der Rückständigkeit der lateinamerikanischen Völker eine Folge wirtschaftlicher Ausbeutung und nicht eine normale Stufe auf der evolutiven Leiter des Fortschritts war. Das der Positivismus zum Ausdruck der "aufgeklärten" Oligarchie wurde, und die Ausbeutung der Peripherie durch die Metropole rechtfertigte, wurde nicht denunziert.

    Die politisch einflussreichsten brasilianischen Positivisten waren Benjamin Constant Botelho de Magalhães (1838-1891), Miguel Lemos (1854-1916) und Raimundo Teixeira Mendes (1855-1927). Sie alle kamen in den Genuss einer direkten oder indirekten Ausbildung bei Comte und gründeten in Folge, 1878 die positivistische Gesellschaft Rio de Janeiros. 1881 wurde Miguel Lemos deren Präsident, brach mit Lafitte und wendete sich über die Frage: "Was den Menschen denn aus der Tyrannei seiner individuellen Vernunft (razão) löse und ihm die Basis des Sollens (dever) gebe?" explizit dem religiösen Positivismus zu. Er betrieb eine strenge und wortwörtliche Auslegung der Schriften und Prophezeiung Comtes "Die Völker in Südamerika, aus der abendländischen Zivilisation selbst erwachsen, ohne die rückschrittlichen Hindernisse, die in der Alten Welt den Sieg des neuen Glaubens aufhalten, ohne einen mächtigen Klerus oder herrschende wissenschaftliche Korporationen, ohne parlamentarische Traditionen, ohne unterdrückerischen [...] Industrialismus, sind Nationen, [(die sich) ...], zur Aufnahme der erneuernden Lehre eignen. [...] Die Nachkommenschaft der glutvollen Gründer [...] muss unweigerlich mit Sympathie die Religion aufnehmen, die die hohe Verehrung gegenüber der Frau begründen und die Herrschaft der Liebe ausrufen will ..."

    Benjamin Constant, unterrichtete zu der Zeit an der Escola Militar und bereitet über seine Schüler, u.a. Marechal Deodoro da Fonseca, den Militärputsch am 15. November 1889 vor. Der Positivismus wurde somit offiziell Ideologie der Bewegung für nationale Befreiung und wissenschaftlich-industriellen Aufbau. Nach Deklaration der brasilianischen Republik, wurden Miguel Lemos und Teixeira Mendes Regierungsberater. Ihr Anliegen war durch die Kreation einer nationalen Symbolik die republikanischen Ideen zu stärken und die Rückkehr zur Monarchie vorzubeugen. Die Mathematik feierte man als neue Königin der Wissenschaften, welche die Theologie verdrängte. Zu Comtes Lehre konvertierte Ingenieure und nahmen in ihrem intellektuellen Status den Rang von Priestern ein. Der Positivismus einte eine technisch-intellektuelle Elite, die das sinnlose, metaphysische Geschwätz der Demokraten verabscheute.
    Maßnahmen der jungen Republik die von positivistischem Einfluss zeugen, sind: die Trennung von Kirche und Staat, die Einführung neuer nationaler Feiertage (1. Jänner, 2. November), Ersetzung des offiziellen Grußes "Gott schütze ..." durch "Gesundheit und Brüderlichkeit", sowie das Motto der Nationalflagge "Ordnung und Fortschritt".

    Die militärische Diktatur Brasiliens Ende des 19. Jahrhunderts stand nicht in Konflikt mit Comtes Lehren. Comte lehnte Demokratie ab "Gewiss hofft er, der ‚gesunden Philosophie’ vor allem in den ‚unteren Schichten’ Anhänger zu gewinnen, und zwar ‚gerade kraft jenes heilsamen Mangels an scholastischer Bildung, der sie für Phrasenhaftigkeit und Sophisterei weniger anfällig macht’[...]. Aber ebenso empfahl er "Mögen sich die Starken den Schwachen widmen und die Schwachen die Starken verehren. Das ist das Hauptziel der ‚abendländischen Reorganisation’ [... (die)] bewundernswürdige Unterwerfung des Geistes unter das Herz! In ihr liegt das Prinzip menschlicher Einheit."

    Als weiterer politisch bedeutsamer Positivist gilt Júlio de Castilhos (1860 – 1903) . Er regierte als Gouverneur 30 Jahre das südlichste Bundesland, Rio Grande do Sul und erließ eine Konstitution, die in den 1930er Jahren von Getulio Vargas für den brasilianischen Gesamtstaat übernommen wurde. In der castilhischen Verfassung wurde besonders auf die Familie, die Heimat, die Menschheit an sich und die Rechte der Proletarier eingegangen.
    Auch die Einsichten Cândido Mariano da Silva Rondons (1865-1958), der an der Escola Militar in Rio ausgebildet, die telegrafische Er- und Anschließung der westlichen brasilianischen Bundesländer Anfang des 20. Jahrhunderts vorantrieb, fanden in der Verfassung ihren Niederschlag. So setzte sich Rondon für die Indianer als wahre Eigentümer des Landes und für die Demarkation ihrer Gebiete ein.


    Schlussfolgerungen

    Die positivistische Kirche (Igreja positiva do Brasil) heute, besitzt Tempel in Rio de Janeiro, Curitiba und Porto Alegre. Sie predigt Liebe, Respekt und Anerkennung gegenüber den Eltern und Vorfahren, den sozialen Institutionen, der Heimat und der Menschheit im allgemeinen. Der Altruismus ist Quell der Zufriedenheit und des Sollens. Ihr Einfluss als praktizierter Kultus ist allerdings eher beschränkt.

    Trotzdem ist die Geschichte der Positivismus in Brasilien unabdingbar für ein tieferes Verständnis der heutigen brasilianischen Kultur. So entspricht die Betonung der Liebe und des Herzens, speziell im religiösen Positivismus, sehr der brasilianischen Wirklichkeit. Zum Einen bedingt durch das konstant warme, tropische Klima, den Einfluss der national ausgestrahlten (Liebes-)Fernsehserien und den Karneval, ist die Liebe allgegenwärtiges und national einendes Thema. Eine Religion die sich in der Hinsicht der Liebe und der Verehrung der Frau so explizit widmet, gibt den Emotionen eine theoretisch-spirituelle Basis bzw. Legitimation. Zum Anderen dient die dauernde Beschäftigung der Massen mit der Liebe allerdings auch einer kleinen, immer schon bestehenden Oberschicht, die dadurch ihre politisch und wirtschaftlichen Interessen vorantreibt. So ging es im Positivismus nicht um Ideale wie Freiheit, Gleichheit und Emanzipation der Vernunft sondern um (Unter-)Ordnung und Fortschritt. Vor dem Hintergrund eines großteils noch unerschlossenen Landes ist Ordnung - Sicherheit, im Sinn von die Natur unter Kontrolle bringen, ein nachvollziehbares Anliegen. In politisch-gesellschaftlicher Dimension rechtfertigt dies allerdings für die Elite Kapitalakkumulation, während die Armen auf ein besseres Leben hoffen/glauben. Bis dahin bietet die Liebe eine willkommene, effektive "Ablenkung" und hält die Leute überdies ruhig.


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