NATO-Moral & Kosovo-Krieg

Ein ethischer Kommentar - ein Jahr danach 1

Prof. Dr. Georg Meggle

Institut für Philosophie
Lehrstuhl für Anthropologie und Kognitionswissenschaften
Universität Leipzig
Burgstraße 21
D-04109 Leipzig
http://www.uni-leipzig.de/~philos/meggle.htm
meggle@uni-leipzig.de

0    Was den circa 37.000 sogenannten Luftschlägen der NATO gegen Serbien/Yugoslawien vor einem Jahr in den meisten NATO-Ländern breite Zustimmung verschaffte, war deren schon allein mit ihrer Benennung zum Ausdruck gebrachte (echte bzw. angebliche) Zielsetzung: Das Ganze war, so hieß es, kein Krieg; es war eine Humanitäre Intervention. Als Problem wurde allenfalls das fehlende Mandat durch die UN angesehen. Doch sogar diesen Mangel hefteten sich die dezidiertesten Interventions-Proponenten auf die eigenen Fahnen: als überfälligen Sieg der Moral über das bloße Recht, als Sieg der Menschenrechte über das Völkerrecht. So die eine Seite.

Andere - und zu diesen gehörten, versteht sich, vor allem die so humanitär Intervenierten selbst - sehen diesen ersten NATO-Krieg anders: als Rückfall in die Barbarei, in die seit dem Westfälischen Frieden zwar nie wirklich vermiedene (im Gegenteil: gerade im 20. Jahrhundert ins Extrem gesteigerte), aber zumindest von den sogenannten zivilisierten Staaten seitdem immerhin doch zu vermeiden versuchte vor-völkerrechtliche Barbarei.

Moral. Das ist das wirksamste Rechtfertigungsmittel von Kriegen. Und somit sicher eines der wichtigsten Kriegs-Instrumentarien selbst. Keine Kriegs-Moral ohne die "richtige" Moral im Rücken.

Was geht das die Ethik an?

Es gibt wenige Fälle, an denen sich die praktische Relevanz der Ethik (als gleichermaßen grundlagen-theoretischer wie kritisch-applikativ interessierter philosophischer Disziplin) deutlicher zeigen würde. Die Moral ist der wesentlichste Teil all unserer Kriegsentscheidungen bzw. Propagierungen; die Moral ist die kriegsentscheidende Software. Marschflugkörper kann man stoppen. Das Moral-Programm, wenn es erst einmal läuft, kaum.

Die von diesem Krieg und dessen propagierten Rechtfertigungen aufgeworfenen Fragen betreffen auch uns. Als Philosophen, vielleicht aber auch sonst. Es geht um Fragen wie diese: Was macht eine Intervention zu einer Humanitären? Was sind die moralischen Bewertungskriterien für eine solche Intervention? Welche Kraft haben diese Kriterien im Vergleich mit den einschlägigen völkerrechtlichen Regelungen/Erwägungen? Was sind die speziellen moralischen Probleme Humanitärer Interventionen verglichen mit den gängigen Problemen zwischenstaatlichen Gewaltgebrauchs? Und welche moralische Lehre ziehen wir heute, ein Jahr später, aus dem letztjährigen Krieg? (Um keine falschen Erwartungen zu wecken: Ich werde jetzt nicht alle diese Fragen beantworten.)


Die folgenden Gedanken setzen meinen Vortrag "Ist dieser Krieg gut?" aus den letzten Kriegswochen des letzten Jahres fort. Das erste Modul des heutigen Vortrags ist der hier stark geraffte Kern aus dem letztjährigen.




TEIL I



1     Notwehr & Nothilfe

1.1     Nehmen wir den üblichen Einstieg, den, der über Notwehr und Nothilfe führt. Wenn mir jemand ans Leben will, dann darf ich mich, wenn ich seinen Angriff auf mein Leben nicht anders abwehren kann, auch dadurch zur Wehr setzen, daß, ehe er mich tötet, ich ihn töte. Ich darf, aber ich muß nicht. Vielleicht ist mir mein Leben nicht so viel wert, daß ich, um es zu retten, selbst zum Töten bereit bin. Notwehr ist ein Recht, keine Pflicht.

Bei Nothilfe hingegen geht es nicht um mein Leben, sondern um das von mindestens einem andern. Ein Killer will einem wehrlosen Kind ans Leben. Darf ich, um das Leben des Kindes zu retten, meinerseits dem Killer, falls es denn sein muß, ans Leben? Aber sicher! Und hier ist das vielleicht sogar meine Pflicht. Ich darf auf mein Leben verzichten; aber vielleicht nicht darauf, das des Kindes zu retten. Auf Notwehr haben wir ein Recht, zur Nothilfe können wir sogar verpflichtet sein. Der Spielraum der Aktionen, die mir bei einem Nothilfe-Einsatz geboten bzw. zuzumuten sind, ist freilich nicht unbegrenzt. Er hängt zum einen daran, wie viel für mich bei meinem Einsatz selbst auf dem Spiel steht; zum andren daran, ob ich - z.B. als Polizist oder Rettungsschwimmer bei der Wasserwacht - zu bestimmten Einsätzen in einem besonderen Maße verpflichtet bin. Zudem sind wie in der Notwehr selbst auch bei der Nothilfe nicht alle mir möglichen Aktionen erlaubt. Was diese Grenzen des Erlaubten sind - dazu gleich mehr.

1.2    Dieser Einstieg per Notwehr und Nothilfe wird fast immer gewählt, wenn es um die moralische Rechtfertigung von Tötungslizenzen oder gar Tötungsverpflichtungen geht. Auch dann, wenn es um Krieg geht. Denn: auch Staaten sind Individuen. Und jedes Individuum, egal ob Einzelmensch oder Menschenkollektiv, darf seine Existenz verteidigen - auch wenn dies vielleicht das Ende des Angreifers bedeutet. Verteidigungskriege sind nichts anderes als Fälle von Staats-Notwehr; und Beistandskriege - egal ob innerhalb oder außerhalb von Verteidigungs-Bündnissen - sind nichts anderes als Nothilfefälle. Und eben damit sind sie, so das Hauptargument, auch moralisch gerechtfertigt. Diese Kriege bezeichnet man daher, was das Recht zum Kriegseintritt (das jus ad bellum) angeht, auch als in dieser Hinsicht "gerechte Kriege". So weit, so gut. Vielleicht.

1.3    Aber jetzt gibt es ein Problem. Staaten bestehen selber aus Individuen bzw. eben aus Gruppen von Individuen. Hauptzweck des Staates sei zwar, so heißt es, der Schutz seiner Bürger. Aber nicht jeder Staat dient diesem Zweck auch tatsächlich. Was ist, wenn sich der Staats-Apparat selber gegen seine eigenen Bürger, meist natürlich gegen einzelne Gruppen derselben, wendet? Besitzen dann auch diese, wenn es um ihre Existenz geht, ebenfalls ein Recht auf Notwehr? Selbstverständlich. Das ist das berhmte Wiüderstandsrecht. Es ist ein moralisches Recht, welches die derart bedrohte Gruppe gegenüber dem eigenen Staat auch dann hat, wenn dieser in seinen Gesetzen kein solches Recht vorsieht oder ein solches Recht sogar strikt negiert. Also haben Dritte auch in diesem Fall, falls die bedrohte Gruppe zur Selbsthilfe nicht in der Lage ist, das Recht zur Nothilfe.

1.4    Gruppen - z.B. Parteien, Volks-, Religions-, oder sonstige Gruppen - werden aber nicht nur von Staaten, sondern auch von anderen Gruppen bedroht. Gegen solche Bedrohungen ist zunächst der jeweilige Staat mit seinem Hauptzweck, mit seiner Beschützerrolle, gefragt. Mit der ist es aber oft nicht so weit her; zudem kommen mitunter Repression, Vertreibung oder Vernichtung der einen Gruppe durch mindestens eine andere Gruppe den Herrschenden gerade recht bzw. werden von diesen nicht nur gedeckt, vielmehr forciert, mitunter auch initiiert. Auch hier gilt: Insoweit der Staat versagt, dürfen auch hier Dritte bei nicht hinreichender Notwehrmöglichkeit von Seiten der Bedrohten selber Hilfe substituieren.

1.5    Frage an Sie: Ging bei Ihnen die Notwehr- und Nothilfe-Legitimierung bis hierher glatt durch? Dann haben Sie eine kritische Grenze bereits überschritten: nämlich die des betreffenden Staates. Wer dem Prinzip zustimmt, daß wir einer bedrohten Population auch auf dem Gebiet eines anderen Staates zu Hilfe kommen dürfen, für den ist offensichtlich die Hilfeleistung als solche wichtiger - wichtiger als die Frage, ob diese Hilfe von diesseits oder jenseits der jeweiligen Staatsgrenze kommt.

Und so sollte es auch sein. Hätte etwa, wenn Hitler keine Eroberungskriege geführt und die KZ's ausschließlich auf deutschem Boden gestanden hätten, der Rest der Welt angesichts einer derart lokal begrenzten Vernichtungspolitik tatenlos zusehen sollen? Nun, vielleicht hätte die Welt das getan. Aber nie und nimmer hätte sie das tun dürfen. (Und an dieser Stelle kommt jetzt der Satz, der im letzten Jahr einige sehr getroffen hat. Er lautet:) Das ist der Punkt, an dem Pazifizismus zum Verbrechen wird. "Nie wieder Auschwitz!" kann tatsächlich stärker wiegen als "Nie wieder Krieg". Wenn man ein zweites Auschwitz verhindert kann, dann muß man es auch verhindern - egal, wo es liegt. Die Generalisierung: Menschenrechtsverletzungen sind keine Ländersache. Gegenüber der Verletzung von Menschenrechten ist das Verletzen von Grenzen eher das geringere Übel, bei Verletzungen von der Dimension von Auschwitz überhaupt keines. Staatssouveränität ist nicht das höchste Gut.

1.6    Die Quintessenz ist: Auch Interventionen durch Drittstaaten lassen sich somit rechtfertigen, jedenfalls solche, die wirklich entsprechende Nothilfe-Interventionen sind. Solche Interventionen werden, zumindest von denen, die sie durchführen, auch als Humanitäre Interventionen bezeichnet. Schließen wir uns diesem Sprachgebrauch an, dann ist die Quintessenz des bis soeben durchgezogenen Nothilfe-Einstiegs nichts anderes als:

ZENTRAL    Humanitäre Interventionen können moralisch gerechtfertig sein.

Es ist das Zentrale Axiom aller Interventionisten. Was kein Wunder ist: "Interventionisten" heißen genau die, die eben dieses Axiom unterschreiben. Ich bin einer. Denn trotz vieler Wenn- und Abers, für die in einem Vortrag kein Platz ist, halte ich den ganzen bisherigen Begründungsgang im groben für richtig.

Eine interventionistische Philosophie vertreten auch die USA und unter deren Führung die NATO. Aber auch andere Staaten und Organisationen. Auch die UNO.

1.7    Die Differenzen zwischen USA, NATO etc. vs. UNO betreffen allenfalls die Frage, ob auch auch noch die zwei folgenden Interventions-Axiome gelten sollen, die zusammen den starken Interventionismus charakterisieren:

MR    Menschen-Rechte können mehr zählen als Souveränitäts-Rechte von Staaten.
NO UN    Humanitäre Interventionen dürfen notfalls auch ohne UN-Mandat / Votum des Sicherheitsrates begonnen werden.

Wie mein obiger Nothilfe-Begründungs-Crashcourse schon klarmachte, bin auch ich ein starker Interventionist.

1.8    Diese Axiome gehören, wie gesagt, zum Kern der moralischen NATO- Software. Diese Software wurde auch bei der NATO-Intervention gegen Serbien und Yugoslawien im letztjährigen Kosovokrieg implementiert. War und ist damit dieser Krieg bereits moralisch legitimiert?

Nein. Diese Axiome sind kein Blankoscheck. Auch für Humanitäre Interventionen gelten die Beschränkungen, die für Nothilfe generell einschlägig sind. Jede moralische Beurteilung von Humanitären Interventionen hängt wesentlich daran, ob mindestens diese generellen Nothilfe-Auflagen beachtet sind. Damit eine Humanitre Interväention rechtfertigbar ist, muß nicht nur das Kriterium des ius ad bellum erfüllt, bei dieser Art von Krieg also die entsprechende Notlage als Interventionsgrund tatsächlich gegeben sein; es müssen auch die Kriterien für die Rechtfertigbarkeit der speziellen Ausführung der Nothilfe erfüllt sein. Wiederum mit den klassischen Worten: Es müssen auch die für diese Art von Krieg einschlägigen Kriterien des ius in bello erfüllt sein. Welche das sind und wie die letztjährige NATO-Intervention im Lichte dieser Kriterien aussieht, das sind die Fragen, denen wir uns jetzt zuwenden.

2    Humanitäre Interventionen - Zum Begriff

2.1    Das Spektrum der Interventionsbegriffe ist extrem breit. Im allerweitesten Sinne sind Interventionen nichts anders als Handlungen, mit denen der Akteur in den Lauf der Dinge eingreifen will, um in diesem Lauf Änderungen herbeizuführen oder zu verhindern. Interventionen sind also, kurz gesagt, instrumentelle Handlungen, ein Tun, mit dem der Akteur etwas bezwecken, bestimmte Ziele erreichen will. "Intervention" ist also kein Erfolgsausdruck. Interventionen müssen, um welche zu sein, ihr Ziel nicht erreichen. Sie sind über das Vorliegen entsprechender Absichten definiert.

2.2    Humanitäre Interventionen sind nun, ebenfalls im allerweitesten Sinne verstanden, Aktionen mit Humanitären Zielen. Ein Humanitäres Ziel - auch das kann vieles sein. Und entsprechend vielfältig wären die jeweils mehr oder weniger tauglichen Mittel. Sie reichen von Streicheleinheiten, Krankenpflege, einem Minimalsatz an Sozialhilfe und Humanitären Hilfseinsätzen der Bundeswehr bis hin zum totalen Autofahrverbot - potentiell, versteht sich. Und entsprechend unterschiedlich wären jeweils die Gruppen der, wie wir ab jetzt sagen wollen, Humanitären Interventions-Adressaten, d.h. die Gruppe derer, denen die Humanitären Interventionshandlungen zugute kommen sollen.

2.3    Bei den hier zur Debatte stehenden Humanitären Interventionen geht es um die Hilfe für Menschen, die in Not sind und zwar in Situationen, in denen sie sich nicht mehr selbst helfen können. Und auch nicht nur um die Not Einzelner, wie z.B., wenn ein Bergsteiger in eine Gletscherspalte gefallen ist und selber nicht mehr herauskommt. Nein, es geht nur noch um die Not vieler, sehr vieler; es geht um das Überleben ganzer Bevölkerungsgruppen. Etwa wenn die Bevölkerung eines ganzen Dorfes durch eine Flutkatastrophe von der Umwelt abgeschlossen ist und ohne Hilfe von außen verhungern würde. Solche Interventionen sind das Paradigma Humanitärer Interventionen. Und wie gut, wenn in in solchen Fällen genügend Militärhubschrauber zur Rettung parat stehen.

2.4    Nun noch spezieller: Es geht nicht nur um Hilfe in Not, sondern ausschließlich um Nothilfe. Menschen werden bedroht, sind aber selbst nicht zur Abwehr dieser Bedrohung in der Lage. Zudem richtet sich die Bedrohung nicht allein gegen Einzelne, sondern gegen eine ganze Gruppe. Und Art und Ausmaß der Bedrohung seien extrem. Das charakteristische Ziel der heute zur Debatte stehenden Interventionen ist dieses: der Schutz von Gruppen, deren Mitglieder Opfer von massiven und systematischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits sind und ohne Hilfe weiterhin wären.

2.5    Im Kontext der NATO und anderer militärischer Organisationen ist, wenn von Humanitären Interventionen die Rede ist, sehr viel engeres gemeint. Humanitäre Interventionen sind dort durch die folgenden Bedingungen charakterisiert:

  1. Ziel des Intervenierenden X ist die Verhinderung, Beendigung oder zumindest Verringerung von massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen (begangen an Mitgliedern der Gruppe Z) auf dem Gebiet des StaatesY.
  2. Akteur X: ein Staat oder eine Gruppe von Staaten (z.B.: NATO).
  3. Aktion: Militäreinsatz mit Kampfauftrag
  4. Fremdstaatenklausel: Intervenierter Staat Y ungleich X.

Humanitäre Interventionen im NATO- Sinne sind also nicht nur durch ihr Ziel bzw. die in diesem Ziel avisierte Interventions-Adressaten-Gruppe definiert, sondern durch erhebliche Einschränkungen des Bereichs des potentiellen Akteurs (des Interventions-Subjekts) und der Interventionsweise (der Aktion) plus durch eine weitere Zusatzklausel. Humanitäre Interventionen sind nunmehr auf militärische Kampfeinsätze von Seiten eines oder mehrerer Staaten im Gebiet eines anderen Staates begrenzt.

2.6    Was das bedeutet, sollte klar sein: Ab jetzt geht es um Krieg. Wer für so definierte Humanitäre Interventionen ist, stimmt für Krieg. (Das ist nur ein Beitrag zur Klarheit, keine Verurteilung!) Was Humanitäre Interventionen gegenüber anderen Kriegen auszeichnet, ist nur eines: das spezielle Kriegsziel.

Solche Humanitären Kriege können, obgleich als Intervenierende nur Staaten vorgesehen sind, trotzdem Kriege in den zwei üblicherweise unterschiedenen Formen sein: Kriege, in die mindestens 2 Staaten involviert sind (zwischenstaatliche Kriege); oder Bürgerkriege - wegen der Fremdstaatenklausel freilich nur solche in einem anderen Staat. In letzterem Fall muß der intervenierte Staat Y (der Staat, in dem interveniert wird) nicht auch der Interventions-Gegner sein (der, gegen den sich der Militäreinsatz richtet). Vielleicht sind ja die Intervenierenden von dem Staat Y regelgerecht eingeladen worden: etwa wenn die Gruppe Z z.B. nicht von ihrem Staat, sondern von einer anderen Gruppe mit Vernichtung bedroht wird und wenn zudem weder die bedrohte Gruppe selbst noch der für diese Gefahrenabwehr zuständige Staat Y gegen diese Bedrohung wirksam genug vorgehen können. Oder die Intervention wird von dem intervenierten Staat in einem solchen Falle zumindest geduldet.

2.7    Wenn ein Staat mit Humanitären-Interventionen beginnt, führt er Krieg. Es geht bei diesen Interventionen schon aus analytischen Gründen um Leben und Tod. Der in deren Ziel involvierte Interventionsgrund umfasst eben dies. Dabei sind die Bedrohten, falls wir die Intervenierenden sind, freilich nur andere. Aber diese Asymmetrie schwindet, wenn aus unseren Interventionen dank der anderen Bedingungen analytisch Krieg wird. Dann steht auch das Leben der, wie man sagt, Unsrigen, zumindest das unserer Soldaten, zur Disposition. [2] So war es jedenfalls bisher.

2.8    Soviel zur Semantik. Humanitäre Interventionen in dem durch oben (siehe 2.5) definierten Sinne heißen jetzt Humanitäre Kriegs-Interventionen bzw., noch klarer, Humanitäre Interventions-Kriege [3]. Damit auch ja deutlich ist, daß es bei ihnen um mehr geht als um Humanitäre Militär-Einsätze zur Versorgung von Erdbebenopfern oder anderen militärischen "Rot Kreuz"-Operationen.

3.    Humanitäre Kriegs-Interventionen - Die moralischen Beschränkungen

Die Liste der zu beachtenden Kriterien für die Legimität von Humanitären Interventionen ist diese. [4]

Eine HKI ist nur dann erlaubt/gerechtfertigt, wenn

  • (i)  (a) es um die Beendigung etc. massiver Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht ('gröer/gleich' "KD" );   (b) dies nicht anders erreichbar ist;
  • (ii) die Art der Intervention
      (a) dem Interventions-Ziel dienlich ist;
      (b) die Gefährdung Dritter möglichst gering hält;
      (c) die Schädigung bzw. Gefährdung der Intervenierenden selber möglichst gering hält;
      (d) das Interventions-Ziel mit der geringstmöglichen Schädigung des Interventions-Verursachers erreichen läßt;
  • (iii) die Intervention nicht ihrerseits massive Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert.
  • (?-iv-?) die Intervention (a) vom Völkerrecht - und (b) insbesondere durch einen Beschluß des UN-Sicherheitsrates gedeckt ist.

Die Forderung (iii) ist nur der Deutlichkeit wegen aufgenommen; sie dürfte aus den anderen, speziell aus (ii) (b) und (d), ohnehin schon folgen. Die Forderung (?-iv-?) trägt die beiden Fragezeichen zu Recht. Diese Forderung steht im Widerspruch zu dem starken Interventionismus-Axiom NO UN.




TEIL II



4    Generelles vorweg.

4.1    Die moralische Beurteilung einer Nothilfehandlung bzw. Intervention ergibt sich erst bei einer Berücksichtigung des obigen Kriterienkataloges als ganzem. Was in den unter (ii) aufgeführten drei Schädigungsbereichen (Dritte, Interventions-Subjekt, Interventions-Verursacher) jeweils "möglichst geringe Schädigung" heißen soll, ist also nur unter Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte näher bestimmbar; dabei wird man insbesondere auch nicht darum herumkommen, die verschiedenen Schadens-Gruppen ihrerseits moralisch zu gewichten. Hat aus moralischer Sicht die Minimierung des Dritt-Schadens nicht etwa Vorrang vor der Minimierung der Interventions-Verursacher-Schädigung? Und auch Vorrang vor der Minimierung des Interventions-Subjekt-Eigenschadens? Eine Intervention ist jedenfalls zum Beispiel nicht schon in dem Maße auch moralisch eine bessere, als bei ihr die Intervenierenden selbst (auf Kosten Dritter) geringere Schäden erleiden. (Das ist speziell in unserem konkreten Interventions-Fall von Bedeutung.)

4.2    Humanitäre Kriegs-Interventionen sind furchtbar komplexe Aktionen bzw. Aktivitäten. Eine Intervention - das ist ein Deckname für vieles. Er kann stehen für: die Eröffnung der Intervention; die Art und Weise der Intervention (z.B. Bombenkrieg statt Bodentruppen); dasselbe noch etwas genauer (z.B. Bomben nur aus großer Höhe); die Art und Weise der Intervention zu den verschiedenen Interventionsphasen etc. All das sind ganz unterschiedliche Dinge. Und so kann auch das moralische Urteil über diese verschiedenen Dinge jeweils verschieden sein. Urteile über die Intervention als solche, also auch Urteile über die letztjährige NATO-Intervention als ganze, umfassen also, wie gesagt, etwas furchtbar Komplexes. Es ist ganz unvermeidbar, daß verschiedene Urteile hier ganz verschiedene Seiten mitunter ganz verschieden gewichten.

4.3    Auch die Zahl der Subjekte/Akteure ist bei Humanitären Kriegs-Interventionen furchtbar groß. Bei der NATO-Intervention sind solche z.B. die NATO selbst, deren involvierte Mitgliedsstaaten: die USA, England, Frankreich, speziell Deutschland, der NATO-Rat, dessen Generalsekretär, der letztlich den Befehl zum Angriff gegeben hat, die verschiedenen Kriegsministerien, ab und zu Parlamente, die westdeutsche Bevölkerung, die zu Beginn des Kriegs mit nahezu 90 %- Mehrheit dem Krieg zustimmte, die griechische, die mit ca 90 % gegen ihn war, etc. Ein heißes Musterbeispiel also für alle, die sich für das Thema CIA interessieren: Für Collective Intentionality & Agency. (So der Titel eines für Anfang Juni 2002 geplanten Workshops auf der Konferenz der ESAP (European Society for Analytical Philosophy) in Lund / Schweden.)

4.4    Und für jede dieser Ebenen, die der Aktionen und die der Akteure, sind die drei klassischen Bewertungsperspektiven ex ante, in actu und ex post jeweils möglichst strikt auseinanderzuhalten. Zugleich sollte jeweils klar gesagt werden, was bewertet wird: ein Akteur, dessen Interventionsbeitrag, ein bestimmter Aktionsaspekt, die Folgen einer bestimmten Aktion bzw. die einer ganz bestimmten Strategie? Sie wissen worauf ich hinauswill. Meine zuletzt gemachten Bemerkungen klingen genau wie der Anfang dessen, was in unseren Kreisen als Skizze eines ganzen Forschungsprogramms bezeichnet wird, eines Programms, das in diesem Fall mindestens die Größe von 3 DFG-SFB-Anträgen haben dürfte. Entsprechend 'groß' sollten ab jetzt also Ihre Erwartungen an meine restlichen Reflexionen sein. Ich werde mich wie alle normalen Menschen, die sich zu diesem Thema zu äußern getrauen, um furchtbar reduzierte Einfachheit bemühen müssen.

4.5    Meine erste Reduktion ist diese: Unter den Legitimitätsbedingungen (ii) - den ius in bello Kriterien - gehe ich auf das Kriterium (d) (= Minimierung der Eigenschädigung) kaum weiter ein. Brauche das auch nicht. Es ist das Kriterium, das bei der NATO-Intervention am ehesten erfüllt war. Auf Seiten der NATO: keinerlei Verluste. (Daß der Angreifer 0 Verluste hat, das hatte es in der ganzen Welt-Kriegsgeschichte noch nie gegegeben.) Wenn es nur auf dieses Kriterium ankäme, wäre die NATO-Intervention also das Musterbeispiel für eine legitimierte Humanitäre-Kriegs-Intervention par excellence. Vielleicht ist sie das ja auch für einige.

Zur Ergänzung: Diese Einschätzung hat eine Voraussetzung. Als Eigen-Verluste sind hier ausschließlich Verluste an Menschenleben gerechnet.

4.6    Auch das Kriterium (ii) (c), wonach auch der, gegen den sich die Nothilfe bzw. speziell die Nothilfe-Intervention richtet, nicht mehr geschädigt werden darf als nötig, verdient an dieser Stelle keine längere Erörterung. Auch dieses Kriterium hat die NATO-Intervention weitestgehend erfüllt. Zumindest bezüglich der Faktoren, die den offiziellen NATO-Verlautbarungen zufolge die beiden wichtigsten Interventions-Verursacher waren: (a) das Milosevic-Regime; und (b) dessen Militärapparat, die paramilitärischen und die diversen Freiwilligen-Verbände inklusive. Der letztere Faktor, der Militärapparat, ging aus der ganzen Aktion ziemlich intakt hervor; der erstere, das Regime selbst, wurde durch die Intervention sogar gestärkt. (War etwas anderes ex ante wirklich zu erwarten? Jede Gruppe schart sich, wenn sie angegriffen wird, um ihren Führer. Es soll sogar Führer geben, die eben dies einzukalkulieren verstehen.)

4.7    Ehe wir auf die beiden anderen (ii)-er Bedingungen eingehen, zunächst aber zu der, wie man es nennen könnte, Interventions-Präsupposition (i). Sie verdient wirklich eine nähere Betrachtung.

5    Zum Kriterium (i)

5.1    

Eine HKI ist nur dann erlaubt/gerechtfertigt, wenn

  • (i)   (a) es um die Beendigung etc. massiver Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht ( 'größer/gleich' "KD" );
      (b)   dies nicht anders erreichbar ist.

5.2    Dieses Kriterium spezifizert die sehr viel allgemeinere Forderung, daß es für die Erlaubtheit einer Nothilfe-Handlung notwendig sein soll, daß es bei ihr tatsächlich um Nothilfe geht, die Präsuppositionen einer solchen Hilfe also erfüllt sind. Das heißt erstens: Es muß tatsächlich eine Nothilfe-Situation vorliegen; und zweitens: auch der Handelnde selbst muß diese Situation als eine solche Nothilfe-Situation ansehen. Dieser Unterschied ist wichtig. Sieht der Akteur die betreffende Situation zwar als eine Nothilfe-Situation an, aber eben fälchlicherweise - ist, was auch immer er an "Beistand" leistet, keine Not-Hilfe, allenfalls eine vermeintliche. Als vermeintliche kann sie vielleicht als entschuldbar gelten (freilich nur unter ziemlich strengen Auflagen, z.B. seine Informationspflichten betreffend); legitim war sie nicht.

5.3    Diesen Doppel-Aspekt - Nothilfe-Absicht einerseits und Nothilfe-Tatbestand andererseits - teilen alle Interventionen, auch die Humanitären, auch die Kriegs-Interventionen. Aber nur, was die Bewertungsrelevanz angeht, nicht schon begrifflich. (Vielleicht ist auch das etwas, was interventionistische Selbst-Legitimierungen so naheliegend macht.)

Nehmen wir z.B. die sogenannten Abschreckungs-Interventionen. Das sind einfach solche Aktionen, mit denen das betreffende Abschreckungs-Subjekt jemanden abzuschrecken beabsichtigt - punktum. Bereits das Vorliegen einer solchen Absicht reicht, damit die Handlung eine Abschreckungshandlung ist. M.a.W.: Abschreckungshandlungen in diesem weiten Sinne sind nicht anderes als Abschreckungsversuche - ohne jede Tatsachenpräsupposition. Insofern haben solcherart Abschreckungs-Interventionen einen durch-und-durch subjektiven Touch. Sie sind solche Interventionen einfach schon dann, wenn sie aus der Sicht der Interventions-Subjekte solche sind. Wir kennen viele Abschreckungshandlungen, bei denen es einen Abschreckungsanlaß in Wirklichkeit gar nicht gab.

Bei Humanitären Interventionen ist das begrifflich genauso. Eine Intervention ist eine Humanitäre, insofern sie mit einer Humanitären Absicht verbunden ist. Ob der damit vom Subjekt unterstellte Nothilfe-Tatbestand tatsächlich gegeben ist, ist davon getrennt. Daß Humanitäre Interventionen gestartet werden, obgleich dieser Nothilfe-Tatbestand nicht gegeben ist, ist keine begriffliche Unmöglichkeit. Vielleicht gelegentlich auch keine reale.

Nach diesem begrifflichen Exkurs wieder zur Ethik.

5.4    Um moralisch gerechtfertig werden zu können, müssen Humanitäre Interventionen -jetzt wieder in Parallele zu der allgemeinen Nothilfe-Analogie - ihrem Selbstverständnis als Nothilfe-Fälle auch tatsächlich entsprechen. Es muß bei der Gruppe, zu deren Schutz die Intervention unternommen werden soll, also tatsächlich eine Notstands-Lage vorliegen.

Aber genau welche? Die in der einschlägigen Literatur genannten Kriterien variieren extrem. Was zum Teil einfach daran liegt, daß dort die von mir so genannten Humanitären Interventions-Kriege nur selten scharf bestimmt und so gut wie nie bei ihrem Namen genannt werden. Communis opinio ist, daß es bei den einschlägigen Notstands-Interventions-Anlässen um Verstöße gegen die Menschenrechte gehen soll. Im Zuge der Globalisierung sollen, so heißt es, Humanitäre Interventionen zu einem mit zunehmender Schärfe zu schmiedenden Instrument einer universalen Menschenrechtspolitik entwickelt werden.

Erkannt wird jedoch in der Regel, daß nicht jeder Verstoß gegen die Menschenrechte schon einen zulässigen Interventionsanlaß abgeben kann. Auch nicht solche, die ein Land systematisch begeht. Andernfalls dürfte man einen Humanitären Interventions-Krieg z.B. auch gegen die USA führen. Eine Menschenrechtverletzung ist auch, so jedenfalls Amnesty International, die dort praktizierte Todesstrafe. Auch wir wären bedroht: Denn bei vielen Menschen in den noch nicht verwestlichten Ländern weckt die Tatsache, daß in unserer Gesellschaft gerade die Mitmenschen, denen wir am meisten verdanken, zu Hunderttausenden 'in speziellen Isolationsanstalten kaserniert werden', sobald sie älter als 80 und der Pflege bedürftig geworden sind, nur Unverständnis und Abscheu. Auch die für einen Interventionsgrund sehr oft verwendete Formel von einem "Grund für den Abscheu der Menschen" dürfte daher nicht so recht glücklich sein. Auch nicht für uns. Und ich unterstelle doch, daß die gesuchte Definition keine kulturrelative sein soll.

Die weitaus meisten Staaten der Erde zu Interventions-Verursachern erklärend und damit wohl ebenfalls unbrauchbar dürfte auch die folgende Bestimmung aus einem der meistzitierten derzeitigen Humanitären-Interventions-Theorie-Klassiker sein: Danach ist ein Interventionsgrund: [a situation, inviting] "transboundary [forcible] ... help, provided by governments to individuals in another state who are being denied basic human rights and who themselves would be rationally willing to revolt against their oppressive governments" (Fernando R. Tesón: Humanitarian Intervention: An Inquiry into Law and Morality, S. 5).

Die Frage ist: Wie schwer müssen denn Menschenrechtsverletzungen sein, damit sie eine Intervention rechtfertigen?

5.5    In meinem letztjährtigen Kriegs-Beitrag hatte ich mich gegenüber dieser Frage einfach aus der Affäre gezogen. Die "Kosovo-Dimension" reicht, war meine Antwort. Darunter hatte ich die Größenordnung jener Verbrechen gegen die Menschlichkeit verstanden, "von der wir glauben gemacht wurden, daß sie die NATO in der Kosovo-Krise zum Eingreifen bewogen haben: also all die Massaker, planmäßigen Vergewaltigungen, massenhaften Vertreibungen usw., die von den USA und anderen Staaten als Interventionsgrund angeführt worden sind. Nennen wir die Dimension dieser Verbrechensberichte i.f. kurz die "Kosovo-Dimension" ("KD")." (Genau auf diese Dimension bezieht sich die Abkürzung in der Forderung (i) (a).

Eine HKI ist nur dann erlaubt/gerechtfertigt, wenn

  • (i)  (a) es um die Beendigung etc. massiver Verbrechen gegen die Menschlichkeit . ( 'größer/Gleich' "KD") geht.

5.6    Ich glaube, daß sich mit der gleichen "Die Kosovo-Dimension reicht"-Lösung im letzten Jahr auch viele andere Interventionisten aus der Affäre gezogen haben. Heute geht das nicht mehr. Inzwischen sind einige Fragen fällig. Erstens: Fragen von allgemeiner Bedeutung. Und dann Fragen zu den Tatsachen. Zu den allgemeinen Fragen - zu einigen allgemeineren Fragen - zuerst:

Bei diesen geht es nicht danach, ob die so definierte "Kosovo-Dimension" den Tatsachen entsprach. Das unterstelle ich jetzt einfach weiterhin. Die wichtigsten beiden Fragen von genereller Interventions-Bewertungs-Relevanz sind dann diese:

  • Ist die (i) (a) Bedingung nicht zu stark? Müssen massive Verbrechen wirklich erst diese "Kosovo-Dimension" angenommen haben, ehe interveniert werden darf?
  • >

    Und umgekehrt:

  • Kam die Interventions-Bereitschaft der NATO (und vieler von uns) nicht zu früh? War selbst mit der "Kosovo-Dimension" die kritische Schwelle für das Geboten/Erlaubtsein einer HKI noch nicht erreicht? Mit anderen Worten: Ist die (i) (a) Bedingung nicht zu schwach?

Das sind Fragen, die schon als Fragen, wenn sie klar und deutlich gestellt werden, Qual bereiten. Daher werden sie auch so gut wie nie gestellt. Trotzdem müssen sie gestellt werden. Wie die Antwort aussieht, davon hängt das Leben von Tausenden ab. Und zwar bei allen involvierten Parteien. (Bei allen, falls nicht gerade die NATO High-Tech-interveniert). Darf man sich um die Klärung dieser Fragen einfach drücken?

Genau ab wann sind Menschenrechtsverletzungen so schlimm, daß eine Intervention geboten ist? Und wenn Sie hier mit dem "genau" Schwierigkeiten haben und so die genauere Bestimmung des unsicheren Zwischenbereichs umgehen wollen: Ab wann denn auf jeden Fall? (Damit haben Sie zwar, wie manche vielleicht bemerkt haben mögen, die Ausgangsfrage nur nochmal wiederholt; aber das läßt diese (beiden) Fragen ja nur umso dringlicher erscheinen.)

5.7    An dieser Stelle ist nachzuholen, was vielleicht schon längst hätte gesagt werden müssen. Die Dimension der Verbrechen, von denen diese Überlegungen handeln, ist - ganz egal, wo die Interventions- Schwelle genau zu ziehen ist - derart, daß schon unsere bisherige Fragestellung unangemessen erscheint. Ab wann Verbrechen an Leib, Menschenwürde und Leben derart schlimm sind, daß den dafür verantwortlichen Verbrechern entgegenzutreten erlaubt ist - das klingt so, als wäre es offen, ob nicht auch das Gegenteil erlaubt sein könne. Dem ist nicht so. Dem darf nicht so sein.

Für Humanitäre-Interventions-Kriege soll ab jetzt generell gelten: Sie sind nur dann erlaubt, wenn sie auch geboten sind. Kurz: Wenn bei ihnen Erlaubt- und Gebotensein zusammenfällt.

(E=G)  Humanitäre Kriegs-Interventionen sind genau dann moralisch erlaubt, wenn sie auch moralisch geboten sind.
5.8 N.B. Formale Probleme ergeben sich aus diesem (E=G)-Postulat nicht. Denn die Äquivalenz

(E=G)* Erlaubt (A) = Geboten (A)

kann immer durch Interpretationsstrukturen wahr gemacht werden, in denen es genau eine deontisch perfekte Welt gibt. In einer solchen Struktur gilt dann: Wenn A in wenigstens einer deontisch perfekten Welt gilt (A erlaubt ist), dann gilt A bereits in allen deontisch perfekten Welten (A also geboten ist) - und umgekeht.

5.9    Problematisch mag das (E=O)-Postulat hingegen in inhaltlicher Hinsicht erscheinen. Angenommen, so könnte eingewandt werden, zwei sich ausschließende Alternativen A1 und A2 sind gleich gut. Dann können, da nicht beide Alternativen zusammen realisiert werden können, nicht sowohl A1 als auch A2 geboten sein. Wegen (E=G) wäre dann aber auch keine der beiden erlaubt. Das ist aber, so der Einwand, schlicht kontraintuitiv. Dieser (allgemeine, an der Struktur des Prinzips orientierte) Einwand hat sicher etwas. Er ignoriert jedoch, an dieser Stelle vorgebracht, dies: Wenn es zu einem Humanitären Interventions-Krieg eine gleich gute Alternative gibt, dann ist dieser Krieg eben nicht die ultima ratio (verstößt also gegen (i) (b)) - und somit weder geboten noch auch 'nur' erlaubt. Die "Eventuell doch 2 gleich gute Alternativen"-Prämisse dieses Einwands ist bei erlaubten / gebotenen Humanitären Interventions-Kriegen nicht erfüllt.

5.10    Das (E=G)-Postulat liefert für die Bestimmung der Interventions-Anlaß-Schwelle noch keinerlei Konkretisierung; aber es gibt uns doch etwas Wichtiges an die Hand. Ein Metakriterium für die Adäquatheit einer jeden solchen Konkretisierung. Eine Folgerung des Postulats ist nämlich:

Humanitäre-Kriegs-Interventionen sind nur dann erlaubt, wenn die Menschenrechtsverletzungen, die sie beenden sollen, derart schlimm sind, daß auf sie mit einer Kriegs-Intervention zu reagieren geboten ist.

Man beachte aber: Das hebelt die andere Interventions-Präsupposition (i) (b), wonach eine solche Intervention nur die ultima ratio sein darf, keineswegs aus. Es gilt weiterhin: Keine Humanitäre Kriegs-Intervention ist erlaubt, wenn es auch noch andere erlaubte Alternativen gibt.

5.11    Weichen wir jedoch, obschon gerade Analytiker dazu besonders stark zu neigen scheinen, auch quälenden Fragen nicht aus. Wie schlimm müssen Verbrechen sein, damit, als ultima ratio, Krieg geboten ist?

Dieser Frage weichen nicht nur Analytiker und andere guten Philosophen bisher aus. Auch die, die über Krieg und Nicht-Krieg entscheiden bzw., um dem deutschen Beitrag aus dem letzten (vielleicht auch vorletzten) Jahr eher gerechtzuwerden, auch die, die diese Kriegs-Entscheidungen mittragen.

Wie sich solches Ausweichen am leichtesten rhetorisch kaschiert, ist bekannt. Man beantwortet statt der schwierigen Frage eine sehr viel leichtere; und gibt auf diese dann die stärkstmögliche Antwort, die sich überhaupt denken lßt. äDie Frage, um die es wirklich geht, ist, ich wiederhole: Wie schlimm müssen Verbrechen sein, damit, als ultima ratio, Krieg geboten ist? Die ultimative Antwort von 1999 war "Auschwitz". Als Paradigma für einen Humanitären Worst Case, in dem die Kriegsfrage dann ohnehin keine echte mehr ist, wäre diese Antwort richtig gewesen. (Genau so hatte ich ja in meinem ersten Begründungs-Schnelldurchgang selbst argumentiert - siehe S.4 oben.) Aber als Schwellen-Rechtfertigung für den NATO-Angriff? Dann hätte dieser Angriff mit Sicherheit nicht stattfinden dürfen. Doch so war dieses Musterbeispiel einer Auschwitz-Instrumentalisierung gerade nicht gemeint.

Der Franzose Claude Lanzmann, der Regisseur des Films zur Shoah, hat dazu in einem Interview, das ich nur in englischer Übersetzung kenne, treffend gesagt: "These ... references to the Holocaust are a way of muzzling all discussion. Talking forbitten! Argument over !" (Zitiert nach Tariq Ali (Hg.), Masters of the Universe? London / New York, 2000, S.xviii.)

5.12    Als Paradigmen für gerechtfertigte Humanitäre Interventionen gelten inzwischen u.a. die zwei folgenden: Indiens `71-er Intervention im damaligen Ost-Pakistan (zur Beendigung des Völkermords an den Bengalis); und die von Tansania in Uganda in 1979, die den Schlächtereien von Idi Amin ein Ende setzten. Beide Beispiele gehen aber, was die Größenordnungen der vorangegangenen Massaker angeht, selbst über das Maximum der "Kosovo-Dimensions"-Opfer jeweils über das Hundertfache hinaus. Die Indien-Ostpakistan Intervention ist nebenbei auch das Paradigma einer auch ohne UN-Mandat rechtfertigbaren Humanitären Intervention. Der Staat, der gegen diese Intervention wegen des in diesem Fall fehlenden UN-Mandats am schärfsten protestiert hatte, waren die USA.

5.13    Wir werden uns noch lange quälen müssen, ehe sich auf unsere offene Frage Antworten finden, die über ad hoc Antworten hinausgehen. Was das schon genannte Forschungsprogramm zu leisten hätte, ist klar: Es geht um nichts weniger als um eine Skalierung unterschiedlich schwerer Arten von Menschenrechsverletzungen: die Hölle des Holokaust, der Völkermord an den Armeniern, Vertreibungen, Vergewaltigungslager, Folterungen, Srebrenica, Kinderverschleppungen, Verstümmelungen ... - die schier endlose Liste all dessen, wozu Menschen fähig sind.

5.14    Mit einer solchen Skalierung der Negativ-Potentiale der Gattung Homo Sapiens wäre aber eine weitere Frage noch nicht einmal gestellt - die nach der Skalierung der Interventions-Pflichtigkeit. Von welchen Faktoren soll das Ranking der unterschiedlich starken Interventions-Pflichtigen abhängen?. Wen trifft ceteris paribus (also z.B.: bei gleichem Militärpotential) die Verpflichtung zum Eingreifen am ersten? Die, die am nächsten dran sind? Räumlich am nächsten dran? Oder als Mitglieder der gleichen Kultur? Der gleichen Religion? Der gleichen Sprache? Oder kommen, um weitere Eskalierungen zu minimieren, nur gemischte Interventionstruppen in Frage? Und sollen in solche Rettungsfeldzüge nur Freiwillige oder auch Zwangsrekrutierte geschickt werden? Oder sind für diese Humanitären Zwecke nur die besten Kämpfer, meist Söldner, gerade gut genug?

5.15    Und am allerwichtigsten: Wer entscheidet das alles? Wie sehen, wenn es um die Durchsetzung universaler Menschenrechtsfragen mittels Militärgewalt geht, die zulässigen Entscheidungsverfahren aus? Liegt die Beantwortung all dieser Fragen nur im Ermessen von Washington, Moskau und Peking? Bei den Staaten-Organistationen der verschiedenen Kontinente, der OSZE z.B.?

5.16    Und was ist zu tun, damit in die so konzipierte moralisch/geistige Software für diese "Kriege für die Menschenrechte" nicht genau das eingebaut ist, was deren universalistischem Grundgedanken wirklich absolut widerspräche: genau der Chip, der den großen wechselseitigen Humanitären Interventionskrieg auslöst, den Krieg der Kulturen?

5.17    Diese Fragen und ähnliche werden auch die Philosophen in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen, falls es zutrifft, daß Humanitäre Menschenrechts-Kriege die Strategie der Zukunft sein werden. Dies ist jedenfalls die Zukunftsstrategie des Pentagons. Die angelaufenen Neustrukturierungen von NATO und Bundeswehr folgen dem gleichen Konzept. Nachdem die NATO und die Bundeswehr, und zwar ohne daß dies auch nur den Ansatz einer öffentlichen Diskussion ausgelöst hätte, auch offiziell ihren strikten bisherigen Verteidigungscharakter aufgegeben haben, wäre wohl bald eine weitere semantische Korrektur fällig. Streiche "Verteidigungsministerien", neue Bezeichnung: "Interventionsministerien", "Humanitäre", versteht sich.

Man braucht, wenn dies die Zukunft sein wird, kein Prophet zu sein, um eine entsprechende Wachstumsbranche in der Praktischen Philosophie zu prognostizieren: Es wird einigen Bedarf an Humanitären Interventions-Experten geben. Den gibt es, das ist einer meiner Kernsätze von heute, schon jetzt.

5.18    Zurück zur Vergangenheit. War die Humanitäre NATO-Intervention des letzten Jahres o.k.? Wir sind, was diese Frage angeht, immer noch beim ersten Schritt: Beim ersten Kriterium, bei der Humanitären-Interventions-Präsupposition (i) (a). Und bei diesem Schritt, wenn wir ehrlich sind, keinen Schritt weiter.

Fragen wir uns also nochmal: Angenommen, es hätte wirklich keine Alternative gegeben: War dann angesichts der Kosovo-Dimension die NATO-Intervention wirklich geboten?

6    Die "Kosovo-Dimension" versus die Kosovo-Dimension

6.1    Um mit dieser Frage etwas anfangen zu können, muß man eines schon wissen: Wie groß war "die Kosovo-Dimension"? Was gehörte alles zu ihr? Was gab, sofern diese Dimension wirklich den Ausschlag gegeben hatte, den Auschlag dafür, daß der ehemalige spanische anti-NATO-Aktivist Javier Solana am 24. März 1999 als deren Generalsekretär den Befehl zum Angriff auf Yugoslawien gab?

Diese Frage mag nicht leicht zu beantworten sein. Aus der langen Liste meiner Fragen ist sie aber noch eine der leichtesten. Dabei zählt jetzt, wie eben gesagt, nicht alles, was hier ausschlaggebend gewesen sein mag: nur der fr üdie Bestimmung der damaligen "Kosovo-Dimension" relevante Humanitäre Aspekt. Also die Hauptmessage der uns alle damals (wie heute immer noch) mit tiefstem Entsetzen erfüllenden Berichte. Diese Dimension ist leicht verifizierbar. Die Berichte gibt es ja noch.

6.2    Gegeben, diese Berichte trafen zu. Waren wir dann wirklich zum Eingreifen verpflichtet? "Wir dürfen nicht einfach zuschauen" - das versteht sich bei solchen Humanitären Katastrophen von selbst. Aber das rechtfertigt noch lange nicht Krieg. Um aber der alten Frage nicht wie allenthalben üblich per Themenwechsel auszuweichen, wieder die Frage: Ist diese "Kosovo-Dimension" auch noch aus heutiger Sicht, mit etwas größerer Distanz zu dem ganzen Geschehen, eine Dimension, die Humanitäre Interventionen rechtfertigen würde? Per Universalisierbarkeitspostulat und unserem Erlaubt-gdw.-Geboten-Postulat also etwas, was zu tun ceteris paribus auch in anderen Fällen von gleicher Dimension etwas Gebotenes ist?

Angenommen, dem wäre so. Dann hätte das Folgen. Unter diesen, um nur eine der schwächsten zu nennen, zum Beispiel diese. Wir wären in allen Fällen, in denen, 1., die "Kosovo-Dimension" ebenfalls erreicht bzw. sogar deutlich übertroffen wird, wir, 2., zum Eingreifen nicht weniger in der Lage wären, dieses Eingreifen, 3., einer Humanitären Kriegs-Intervention, ja überhaupt eines Militäreinsatzes, überhaupt nicht bedürfte, und, viertens, alle anderen Nothilfe-Legimitations-Bedingungen (mit Ausnahme von (ii) (d)) ohnehin mit Leichtigkeit erfüllt wären - ja, was wären wir denn in so einem Fall? Zum allermindesten doch dies: unter Begründungszwang. Sie alle wissen: Solche Fälle sind nicht bloß hypothetisch. Stichwort: Türkisch Kurdistan. Was sind hier die Argumente? Und hielten diese Argumente einer näheren Analyse stand?

Hier geht es nicht um die Frage nach möglichen Erklärungen. Von denen liegen einige ziemlich nahe. Es geht um die Begründung dafür, warum bestimmte Unterschiede zwischen diesen beiden Fällen moralisch relevant sind. Wo ist eine solche Begründung?

6.3    Eine der vielen Erklärungen ist trivial: Gegen die Türkei kann die NATO schon begrifflicherweise nicht Humanitär Kriegs-Intervenieren. Das folgt aus der interventionistischen Fremdstaatenklausel. Aber wäre das nicht ein weiteres Argument für das Initiieren von pro-kurdischen Human-Interventionen? Von Interventionen, die, wie gesagt, 1. (über die Jahre hinweg) mindestens "Kosovo-Dimensions"-relevant-nötig, 2. unvergleichlich leichter durchführbar, 3. überhaupt keine Militär-Aktionen unsererseits involvierend und 4. sämtliche Nothilfe-Legitimationsansprüche optimal erfüllen würden.

Ähnliche Stichworte gäbe es viele. Ein Federstrich von Clinton zur Lockerung des Wirtschafts-Boykotts gegen Irak - und etwa 300.000 Kinder wären am Leben geblieben.

6.4    Dieses Inkonsistenz-Argument spricht nicht per se gegen die Legitimität der NATO-Intervention des letzten Jahres. Wenn an 3 Orten eine Intervention wirklich geboten ist, dann ist es immer noch besser, an einem der Orte wird interveniert als an keinem. Aber das wirft ein neues Begründungsproblem auf: Was sprach ex ante dafür, gerade dort zu intervenieren, wo diese Intervention am riskantesten ist? Wie sehen wir das jetzt ex post? Welche Regel ist es, die diese Unterschiede legitimiert? Sind Interventionen desto moralischer, je riskanter sie sind - für alle riskanter bis hin zur Gefährdung des Weltfriedens? Haben Kriegs-Interventionen wirklich generell Vorrang?

Klar, wir sind nicht doof. Wir wissen, daß in der internationalen Politik außer Moral noch vieles andere eine Rolle spielt. Wirtschaftsinteressen, Supermacht-Ambitionen und -Zwänge, exakt getimte Affären-Entlastung und tausenderlei mehr. Die einzig entscheidende Frage ist aber: Dürften all diese Dinge zusammen den Unterschied ausmachen? Den moralischen Unterschied, der zwischen Federstrich und 37.000 Bombenattacken liegt?

6.5    Wie schlimm war die "Kosovo-Dimension"? Hält diese Dimension als Kriegs-Interventions-Auslöser auch heute noch unserer moralischen Analyse stand? Die "Kosovo-Dimension" - das hieß dabei stets: die Dimension, von der wir über die Medien glauben gemacht wurden, dass sie die tatsächliche ist.

War sie das? Das ist für die ex post Beurteilung der NATO-Intervention gewiss keine unwichtige Frage. Wie verifiziert man sie? Über welche Kanäle bekommt man das raus? (CNN, ZDF, TV Belgrad, Piratensender der UCK, das Zet-Net, Human Wrights Watch ?) Wer hier anfängt, merkt schnell: Unsere ganzen philosophischen Probleme mit Veri- und Falsifikation, Hypothesentest, Kohärenz-Präsumptionen und was sonst - all diese eher an der Scientific Community orientierten Probleme sind ein Klacks gegenüber denen, auf die man trifft, wenn man "die Wahrheit" über die tatsächlichen Dimensionen unserer wirklichen Welt herausbekommen möchte. Probleme also, die auch für mich jetzt zu groß sind.

Aber in einem stimmen doch die allermeisten der Quellen, die ernster zu nehmen sich nahelegt, überein. Was allein die Zahl der Toten angeht, war die reale Kosovo-Dimension in etwa 1/10 der Medien-"Kosovo-Dimension". Das legt zumindest einen Rat nahe: Lasst uns, wenn wir wieder auf eine Humanitäre Kriegs-Intervention zusteuern, um mindestens das 3- fache skeptischer sein als im letzten Jahr. Aber alle Erfahrung lehrt: Ein solcher Ratschlag wurde noch nie befolgt.

Weitere Fragen zu Kriterium (i) (a).? Von den schon erwähnten 3 Groß-SFBs der DFG (drei Groß-Sonder-Forschungs-Bereiche der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft) benötigte dieses Kriterium einen ganzen SFB für sich allein. Die wichtigsten Fragen "War die Kosovo-Dimension ein Kriegs-Interventions-Grund?" - diese Frage verfolgt uns sicherlich weiter.

Wie steht es mit den übrigen Kriterien? Ad (i) (b): Alternativen? Erlaubte Alternativen zu was? Zum Bombenkrieg? Sicher. Zu einer militärischen Intervention überhaupt? Ich weiss es nicht.

7    Zum Kriterium (ii) (a)

Eine HKI ist nur dann erlaubt/gerechtfertigt, wenn (ii) die Art der Intervention (a) dem Interventions-Ziel dienlich ist.

7.1    Dem Interventions-Ziel? Jede Aktion kann viele Ziele haben. Und die betreffende Aktion kann zur Erreichung der einen dienlich sein, zur Erreichung anderer nicht. Das gilt auch für Interventionen, egal, ob Humanitär oder nicht. Das Ziel einer Aktion gibt es gewöhnlich nicht; es sei denn, man meint damit: entweder das Gesamtziel der Aktion, d.h. die Summe aller Ziele; oder das primäre Ziel, also das, dessetwegen der Akteur die Handlung überhaupt unternimmt, wobei die anderen Ziele dann ihrerseits nur Mittel zur Erreichung dieses Primärzieles sind.

7.2    Abgehoben ist in (ii) (a) usschließlich auf das Ziel, das die Kriegs-Intervention erst zu einer Humanitären macht: eben die Verhinderung jener massiven Menschenrechtsverletzungen, mit deren Dimensionsproblemen wir uns soeben herumgeschlagen haben. Und dieses Ziel braucht weder mit dem Gesamtziel der Intervention zusammenzufallen - warum sollten sich ausgerechnet mit so einer Riesenaktion (und so vielen involvierten Akteuren ) nicht auch viele weiteren Ziele verbinden? Noch braucht dieses Ziel auch nur das primäre sein.

7.3    Muß bei einer Humanitären Kriegs-Intervention das Humanitäre Ziel auch das primäre sein, damit eine solche Intervention moralisch o.k. sein kann? Nein, muß sie nicht. Auch bei simpleren Hilfs-Aktionen verlangen wir das nicht. Jedenfalls nicht, wenn es uns nur um die Bewertung der Handlung, nicht um die des Akteurs geht. Ein Kind ist in einem brennenden Haus eingeschlossen. Wenn jetzt jemand das Kind rausholt, obwohl er das vielleicht nur macht, um als der große Held dazustehen - in Ansehung der Rettung des Kindes kümmern uns diese weiteren Ziele, auch wenn sie die primären gewesen sein mögen, nicht weiter. Lieber eine Rettung auch aus anderen Motiven als keine.

Auch bei der NATO-Intervention sollen mir daher, entgegen dem weitverbreiteten Spiel der Spekulationen über alle möglichen mit ihr vielleicht auch noch verknüpften Ziele und Motive, eben diese jetzt einfach gestohlen bleiben. Auch dieses Spekulationsspiel lenkt nur von den zentralen moralischen Fragen ab.

7.4    Zu diesen gehört aber, auch wenn das immer noch zur Vorklärung gehört, diese: Was wäre, wenn eine Intervention zwar die und die positiven Folgen hat, diese aber gar nicht beabsichtig waren? Die Antwort ist klar: dann sind diese Folgen zwar nicht mehr dem Akteur zurechenbar, hängen aber weiterhin an der Aktion, die in dieser Folgen-Hinsicht somit selbst eine positive war. Also, selbst wenn das vielleicht nur schwer vorstellbar erscheint: Nehmen wir einmal (ziemlich kontrafaktisch) folgendes an: 1. Die NATO hat Brücken in der Vojvodina, also weit im Norden von Rest-Yugoslawien zerbombt; und 2. durch diese Nordbombardierungen wurden tatsächlich (eben irgendwie) die Vertreibungen im Kosovo, ganz im Süden des Landes, gestoppt - aber Ziel der NATO war gar nicht letzteres, sondern ... nun, egal was. Wie würde man denn diese Intervention in Hinsicht auf diese Humanitären Folgen (und alle anderen lassen wir jetzt einfach mal ausser Acht) bewerten? Nicht anders als den Fall jenes bei einem Schwelbrand in einem Reihenhaus eingeschlossenen Kindes, das seine Rettung nur der Tatsache verdankt, daß ein zum Glück ausgerechnet rechtzeitig zur Arbeit erschienener Einbrecher mit seiner Tätigkeit die elektronische Verriegelung löste, die das Kind am Verlassen des Hauses gehindert hatte.

7.5    War der Humanitäre NATO-Luftkrieg gegen Yugoslawien seinem (zumindest so erklärten) Humanitären Ziel dienlich? Wurde mittels der 78 Tage dauernden Tag und Nacht Bombardierung Yugoslawiens die "Kosovo-Dimension" minimiert?

Nein. Was das Humanitäre Ziel der Intervention betrifft, waren die Humanitären Bomben ausschließlich kontraproduktiv. Konnten es nur sein. Das müßte allen Experten von Anfang an klargewesen sein. Und den militärischen war es das auch. Kontraproduktiv war diese Art der Intervention aus zwei Gründen:

Erstens: Ohne die Bombardierungen hätte es die Flüchtlingsströme in der Größenordnung, die wir als die "Kosovo-Dimension" zu lesen bekamen, also mit den zuletzt, nach den Bombardierungen bis über eine Million reichenden Flüchtlingsströmen gar nicht gegeben; für Hunderttausende Kosovaner waren die beginnenden Bombardierungen selbst die Ursache der Flucht aus ihren Siedlungen und über die Grenzen; und erst mit dem Beginn dieser Bombardierungen (genauer: mit Beginn des Abzugs der OSZE-Beobachter und der Ankündigung dieser Bombardierungen) eskalierten die serbischen Übergriffe - was wiederum nicht nur voraussehbar war; genau diese Eskalation war von den Spitzen-"Experten" vorausgesagt worden: z.B. von dem in Oxford mit Auszeichnung in Philosophie und Politik promovierten amerikanischen Oberkommandieren Wesley Clark. Die NATO schüttete mit der Bombardierung Yugoslawiens Öl auf das im Kosovo keineswegs nur von den Serben geschürte Feuer.

7.6    Zweitens: Die Bombardierungen haben nicht nur direkt zur Eskalation der gegen den albanische Bevölkerung gerichteten Säuberungen beigetragen und damit die Vertreibungen erhöht statt gemindert, sie haben mitbewirkt, was durch die Intervention angeblich doch verhindert werden sollte: weitere ethnische Säuberungen Heute, dank der Bombardierungen und dem so herbeigebombten Sieg der UCK ist der Kosovo weitestgehend ethnisch gesäubert. Nur eben anders herum. Daß mit dem Bombardement weitere Menschenrechtsverletzungen verhindert wurden, ist falsch.

7.7    Heute berichten die damaligen Strategen stolz, daß inzwischen von den albanischen Kosovo-Flüchtlingen und Vertriebenen die meisten doch wieder in ihre Heimat zurückkehren hätten können. Das ist Gottseidank richtig. Aber kein Argument für die Rechtfertigbarkeit (via Notwendigkeit bzw.Ziel-Dienlichkeit) der Bombardierungen. Die Geflüchteten und Vertriebenen sind nicht in ihre Heimat zurückbombardiert worden; die Einstellung der Bombardierungen, nicht die Bombardierungen selbst haben die Rückkehr ermöglicht.

Als Schutz vor Morden und Vertreibungen waren die Bombardierungen nicht nur das schlechteste denkbare Mittel; sie waren zur Erreichung dieses Schutzes überhaupt kein taugliches Mittel.

7.8    Diese Einschätzung enthält viele Prämissen, für die ich nicht einstehen kann. Zu viel hängt an den Unsicherheiten bezüglich der faktischen, nicht der medialen Kosovo-Dimension.Und mindestens so viel an dem, wovon bisher noch mit keinem Wort die Rede war - von den Ursachen und den geschichtlichen, religiösen, sozialen Hintergründen des ganzen Geschehens. Betrachten Sie ob dieser ganzen Prämissen meiner Einschätzung diese also nur als so etwas wie meine persönliche Meinung. Aber lassen Sie mich's bitte wissen, wenn sie gute Gründe für eine andere haben.

Von meiner Einschätzung her komme ich freilich zu einem eindeutigen Schluß. Der NATO-Krieg verstieß gegen das Kriterium (ii) (a) - und war insofern, als eben dies auch ex ante den Intervenierenden klar sein mußte, weder ex ante erlaubt, noch ist er in Anbetracht der dann auch tatsächlich bewirkten Verschlimmerung der Situation ex post zu rechtfertigen.

7.9    Diese Einschätzung macht dann den weiteren Verstoß gegen die Regeln der gerechten Kriegsführung, den gegen (ii) ( b), umso gravierender.

Die NATO-Bombardierungen trafen nicht nur den Kosovo, sie trafen ganz Rest-Yugoslawien.
Getroffen wurde nicht nur die militärische Infrastruktur - die am allerwenigsten; die Angriffe zielten primr aufä die Zerstörung der Infrastruktur des Landes ab. Dieses Ziel wurde sehr weitgehend erreicht. Zu welchem Zweck? Wenn ich jemands Gewaltbereitschaft vermindern möchte, erreiche ich das ausgerechnet dadurch, daß ich seine Lebens-Basis zerstöre? Ich frage nochmal: Zu welchem Zweck? Zu welchem Zweck wohlgemerkt, der mit dem angeblich primären Humanitären Interventionsziel in eine einsichtige Verbindung zu bringen wäre? Und zu welchem Zweck, dessen notwendige Erreichung dann auch den "Kollateralschaden" von über 500 Toten, darunter ca 80 Kinder, als in Kauf zu nehmende weil unvermeidbare Nebenwirkung erscheinen lassen könnte? So angestrengt ich suche. Einen solchen Zweck finde ich nicht. Kann mich hier jemand eines Besseren belehren?

8    Zum Kriterium (ii) (b)

Eine HKI ist nur dann erlaubt/gerechtfertigt, wenn (ii) die Art der Intervention (b) die Gefährdung Dritter möglichst gering hält.

8.1    Humanitäre Interventionen sind Nothilfe-Fälle. Das war der Einstieg, der uns, falls Sie mir gefolgt sein sollten, zu Interventionisten gemacht hat. [5] Nach diesem Einstieg, wenn sich dieser wirklich strikt an unserem Ausgangspunkt (Notwehr und Nothilfe) orientieren wrde, übräuchten wir uns bei dem Kriterium (ii) (b) nicht lange aufhalten. Wer nämlich bei normaler Notwehr bzw. Nothilfe nicht geschädigt werden darf, das sagt das auf solche Fälle begrenzte Strafrecht recht klar: Die Notwehr bzw. -Hilfe darf sich nur gegen den Angreifer richten, nicht gegen die Rechtsgüter Dritter. Der gezielte Todesschuß gegen den Geiselnehmer mag, wenn das denn wirklich die letzte Rettungsmöglichkeit ist, strafrechtlich o.k. sein; er ist es nicht mehr, sobald durch diesen Schuß auch nur eine unschuldige Person gefährdet ist.

8.2    Dieses Verbot ist im Rahmen des Strafrechts völlig in Ordnung. Bei einer moralischen Überlegung, und bei einer solchen sind wir ja, wird man dieses Verbot aber nicht unter allen Umständen durchhalten können. Und jetzt müßte man in eben solche Abwägungen eintreten, wie sie in jedem Proseminar pro oder contra Utilitarismus durchgespielt werden. Angenommen, so eine der gängigsten Übungen, ein Geiselnehmer hat 20 Geiseln in seiner Gewalt; und angenommen, wir wären uns alle absolut dessen sicher, daß er sich, nachdem seine Forderungen nicht erfüllt worden sind, in den nächsten Sekunden mit allen Geiseln zusammen in die Luft sprengen wird. Sollte da der GSG-9-Scharfschütze, der den Gangster bereits im Visier hat, wirklich nicht auch dann abdrücken dürfen, wenn er nicht mit völliger Sicherheit ausschließen kann, daß durch seinen Schuß ein soeben plötzlich aufgetauchter und seine Visierlinie kreuzender unbeteiligter Passant in die Gefahr kommt, getroffen zu werden? Und wenn Sie jetzt zögern, täten Sie das auch noch bei 50 Geiseln? Auch bei 200? Auch bei 1000? Solche Reflexionsspiele sind schrecklich. Aber der Witz von Ethik ist nicht der, daß sie Spaß macht.

8.3    Die Kosovo-Dimension, egal wie eng oder weit diese wirklich war, übersteigt alle Bankräuber-Szenarien. Wer angesichts dieser Dimension eine Humanitäre Kriegs-Intervention auch nur als prima facie in Betracht kommend akzeptiert, der hat die Entscheidung bereits getroffen. Er überschreitet aus moralischen Gründen den Bereich des (in den verwandten Kontexten) strafrechtlich Zulässigen. Wir kommen hier also in ein Gebiet, in dem, was strafrechtlich verboten ist, moralisch erlaubt ist. Militärische Interventionen ohne Gefährdung sogenannter Unschuldiger gibt es nicht. Militärische Interventionen auch mit noch so Humanitären Absichten sind da keine Ausnahme. Man kann nicht Humanitäre Kriegs-Interventionen billigen - und die Gefährdung Dritter ausschließen.

8.4    Was freilich nicht heißt, daß, was die Gefährung Dritter angeht, damit der Damm gebrochen und mit dem Verbot dieser Gefährdung umso lockerer umgegangen werden kann je größer der Schrecken ist, den die Humanitäre Intervention zu bekämpfen hat. Wie weit trotzdem ein Zusammenhang zwischen notwendiger Bekämpfung des Interventions-Verursachers und Dritt-Gefährung gehen darf, auch dieser qualvollen Frage werden sich Interventions-Ethiker zu stellen haben. Menschen als auf die angreifenden Panzer gebundene Schutzschilder, Fabrikarbeiter, die in den kriegswichtigen Betrieben arbeiten usw. - das wäre die Art der für diese Frage genauer zu betrachtenden Fälle.

8.5    Für den 1. NATO-Krieg brauchen wir diese Diskussion jedoch nicht. Jedenfalls nicht, wenn man die Einschätzung teilt, daß die Bombardierungen kein ihrem Humanitären Zweck dienliches Mittel waren. Denn dann bestand für die, wie es hieß, angefallenen Kollateralschäden auch keine Notwendigkeit.

9    Schlußbemerkungen

9.1    Selbst wenn also die tatsächliche Kosovo-Dimension der von uns zumindest im letzten Jahr als ein guter Interventionsgrund akzeptierten medialen "Kosovo-Dimension" entsprochen hätte - die causa iusta also tatsächlich gegeben gewesen wäre, dieser causa die intentio der Intervenierenden sogar entsprochen und zudem auch noch wirklich keine andere Alternative bestanden hätte, selbst unter all diesen Unterstellungen, so meine Auffassung, verstieß die Art und Weise der Intervention gegen zentale Regeln des ius in bello - und ist somit zu verurteilen.

9.2    Völkerrechtliche Fragen spielten in meinem Beitrag kaum eine Rolle. Dies nicht deshalb, weil diese Fragen für eine Interventions-Ethik unwichtig wären. Der Grund ist ganz simpel der: Wenn etwas schon aus moralischen Gründen verboten ist, dann hebt auch eine rechtliche Legitimierung dieses Verbot nicht auf. Natürlich sind völkerrechtliche Klärungen interventions-ethisch höchst relevant; sie gingen aber am Kern der Frage, ob dieser Krieg moralisch zu rechtfertigen ist, weitgehend vorbei.

9.3    Die bundesrepublikanische Diskussion über den NATO-Krieg war sicher nicht analytisch. Das eigentliche Problem, ob dieser Krieg wirklich moralisch erlaubt, also wirklich moralisch geboten ist, blieb ziemlich unterbelichtet. Dazu hätte es, wie ich zu zeigen versuchte, einer Menge weiterer Fragen bedurft. Diese Fragen sind nicht ad acta. Humanitäre Interventionen stehen weiterhin auf der Agenda-Liste der USA, der NATO und anderer Staaten. Wir müssen uns diesen Fragen stellen, auch wenn sie weh tun. Wir sollten sie mit den besten Instrumenten angehen, die unser Denken besitzt - also auch mit denen unserer analytischen Philosophie.



Hinweis

Konferenz
HUMANITÄRE INTERVENTIONEN ./. ETHIK
Zentrum für Interdisziplinäre Forschung
Universität Bielefeld
5.-7. April 2001

Wissenschaftliche Leitung:
Georg Meggle



1Dies ist der etwas erweiterte Text meines Vortrags NATO's Gappy Morals, den ich am 27. Sept 2000 auf dem 4. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Analytische Philosophie (GAP), Argument und Analyse, gehalten habe - und mit dem ich meine Reflexionen zum Kosovo-Krieg fortsetze, die ich im Mai des letzten Jahres mit dem Vortrag "Ist dieser Krieg gut? Ein ethischer Kommentar" begonnen habe. (Erschienen in Reinhard Merkel (Hg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, Frankfurt (edition Suhrkamp), 2000.) Mit diesem vorliegenden Vortrag ist mein Nachdenken über diesen Krieg - und all die mit ihm verbundenen Moralaxiome und deren Implementierungen - nicht zu Ende. Auch wenn mir erst durch diesen Krieg vieles klar geworden ist - allzu viel ist mir noch viel zu unklar. Für Kritik und Anregung wäre ich daher dankbar.
Wieder haben mir viele beim Denken geholfen; einige nicht nur beim Denken. Ich danke Milan Brdrar, Marjorie Cohn, Judith Eckfelder, Anthony Ellis, Daniel Friedrich, Eva-Elise Gunkel, Gordana Jovanovic, Nikola Kompa, Claudia Kurzweg, Andreas Luckner, Geert-Lueke Lueken, William L. McBride, Ulrich Nortmann, Dietmar von der Pfordten, Christian Plunze, Thomas Pogge, Nikos Psarros, Hendrik Pupat, Jan-Ole Reichardt, Thomas Schramme, Michael Schwab-Trapp, Milan Skondric, Juliane Sper, Ralf Stöcker, Danilo und Ivan Vukovic, Ulla Wessels, Burleigh T. Wilkins und Harald Wohlrapp - besonders aber Mima Andjelkovic, Jovan Babic, Susanne Boshammer, Sarah Rebecca Meggle, Miroslav Prokopijevic, Richard Raatzsch, Mark Siebel und, am meisten, Weyma Lübbe.

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2Dieser Tatsache sollten sich alle, die Humanitäre Krieg eröffnen oder auch nur unterstützen, bewußt sein. Und diese Tatsache sollte in einer Demokratie auch offen artikulierbar sein. Spätestens dann wieder, wenn der Krieg doch, wie es heißt, "vorbei" ist. Also zum Beispiel, zumindest bis auf weiteres: heute. Während der Bombardierungen von Yugoslawien hielten es unsere Führer statt mit Offenrede aber lieber mit den New-Speak-Sprachregeln aus George Orwells 1984.

Diese Bemerkungen schreien nach einem Nachtrag. Denn nicht nur, daß unsere Polit-Rhetorik Humanitäre Kriege feige in Humanitäre Interventionen umtauft (was ja für die meisten zwar sehr viel besser klingt und ihnen somit auch besser verkäuflich ist, aber genau dasselbe meint: Krieg); diese 'bloß' (?) rhetorische Feigheit hat ihr Analogon durchaus auch in der Sache: Humanitäre Kriegs-Interventionen sollen von uns nur noch als asymmetrische geführt und gedacht werden. Verluste nur auf der Seite, wo interveniert wird: also auf der anderen. Das Paradebeispiel eines solchen Krieges: Die NATO-Luftangriffe auf Yugoslawien.

Zum "idealen" Ende weitergedacht werden derartige Kriege bald so aussehen: Der Interventions-Chef greift zum Telephon und befielt seiner Interventions-Behörde die Zerstörung der Ziele XYZ. Von den über die ganze Welt zerstreuten Interventionsbasen aus starten die auf diese Ziele programmierten Marschflugkörper, deren Effekt über die in sie eingebauten Kameras durch das Interventionszentrum kontrolliert wird; bei einem Fehlschuß wird nachgebessert. Zu diesen Zielen kann alles gehören: auch einzelne Menschen (= Schurken). Menschen stehen bei diesen Interventionen nur noch als Interventions-Ziele bzw. Interventions-Kollaterale zur Disposition. Die Intervenierenden sind (auf dieser Ebene) unangreifbar. Dieses Ideal-Bild deckt sich exakt mit dem, das sich in früheren Zeiten viele von Gott als dem Allmchtigen Lenäker der Welt machten, einem Wesen, dem es ein Leichtes ist, mit Blitzen aus heiterem Himmel zu intervenieren, wo immer ihm das geboten erscheint.

Dieses Bild ist, wie die NATO-Intervention zeigt, keine Utopie. Das Bild ergibt sich direkt aus zwei Dingen: Den Interventions-Axiomen und der Gewißheit, zwischen Gut und Böse scharf unterscheiden zu können. Das Interventions-Subjekt hat nicht nur die richtige Moral; es ist auch im Besitz des Baumes der Erkenntnis.
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3Wenn man, dem Umstand Rechnung tragend, daß sich nicht alle derartigen Interventionen zu umfassenden Kriegen entwickeln müssen, eine schwächere Ausdrucksreise whlen äwollte, so wäre - den inzwischen üblichen Unterschied zwischen Kriegen einerseits und bewaffneten Konflikten andererseits aufgreifend - die Rede von bewaffneten Humanitären-Interventions-Konflikten vielleicht angemessener. Aber diese Terminologie läßt vergessen, daß es bei Humanitären Kriegs-Interventionen durchaus um eine neue Art der Kriegsführung geht.
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4 Zur Begründung dieser Forderungen siehe meinen letztjährigen Vortrag. Die Liste ergibt sich aus der entsprechenden Liste für Nothilfe im allgemeinen - mit Ausnahme der Forderung (ii) (b): Drittschädigungen bzw. Gefährdungen sind nach § 32 II.2. Alt. STGB strikt verboten.
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5 Die §§ 8.1-8.3 sind wieder meinem "Ist dieser Krieg gut?"-Vortrag entnommen.
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