Christian Swertz

Computer als Spielzeug

Einleitung

Computertechnologie ist ein algorithmenverarbeitendes Medium. Algorithmen bestehen aus Kalkülzeichen, die keinerlei metasprachliche oder semantische Bezüge aufweisen (Krämer 1988). Daher konstituiert Computertechnologie einen Simulationsraum (Meder 1998). Wie ist dieser Raum aus pädagogischer Sicht zu verstehen?

Zunächst ist festzustellen, daß einerseits Handlungen in dem von der Computertechnologie eröffneten Simulationsraum ohne Folgen in der wirklichen Welt bleiben, und daß andererseits die Regeln des Simulationsraums in den Algorithmen verbindlich festgelegt sind. In einem Raum, in dem Handlungen folgenlos bleiben, gibt es keine Verantwortung. Nun sind in der theoretischen und praktischen Pädagogik erdachte Welten, in denen verantwortungsfrei nach vereinbarten Regeln gehandelt wird bekannt. Solche Welten sind Spielwelten.

Wenn es zutrifft, daß Computertechnologie eine Spielwelt konstituiert, ist Computertechnologie im Grunde ein Spielzeug. Computertechnologie ist, wenn die These zutrifft, ein Spielzeug nicht durch den Umstand, daß Bildschirmspiele gespielt werden können, sondern durch den Umstand, daß Computertechnologie Algorithmen abarbeiten kann. Spielerinnen und Spieler sind dann alle, die diese Eigenschaft der Computertechnologie im Umgang mit dem Medium verwenden, indem sie z.B. Algorithmen formulieren oder Superkalkülzeichen (Meder 1987) erzeugen.

Um nun zu untersuchen, ob Computertechnologie als Spielzeug ausgwiesen werden kann, ist zunächst der Begriff des Spielzeugs zu klären.

Der Begriff des Spielzeugs

In der wissenschaftlichen Pädagogik gibt es kaum Arbeiten zum Begriff des Spielzeugs (Oswald 1980: 120); ein Umstand, an dem sich seit 1980 wenig geändert hat. Oswald, der angesichts der Unzulänglichkeit bisheriger Versuche selbst einen Ansatz zu einer Theorie des Spielzeugs vorlegt, bestimmt den Begriff des Spielzeugs auf der Basis des Spielbegriffs. Danach sind Spielzeuge Gegenstände, mit denen von Menschen in einer meditativ tätigen Weise umgegangen wird, wobei der Umgang weder der unmittelbaren Triebbefriedigung, der Existenzsicherung, noch ökonomischen, politischen oder wissenschaftlichen Zielen dient. Als Spielzeug kann ein Gegenstand demnach nicht durch bestimmte Eigenschaften ausgewiesen werden, sondern nur durch einen spezifischen Umgang (Oswald 1980: 130f.).

Nun ist es tatsächlich wenig sinnvoll, Gegenstände durch bestimmte Eigenschaften auszuzeichnen und dann zu behaupten, sie wären ausschließlich als Spielzeug geeignet. Dagegen kann von einigen Gegenständen durchaus behauptet werden, daß sie eher Spielzeug denn etwas anderes sind. So ist etwa ein Spielzeugrevolver gut zum Spiel geeignet, aber schlecht zum Krieg. Der Grund dafür ist weniger in der spezifischen Verwendung zu sehen, sondern in erster Linie in den Eigenschaften des Gegenstands. Zwar ist es möglich, mit einem Spielzeugrevolver 'wirklich' zum kämpfen, und insofern ist der Gegenstand Spielzeug in Abhängigkeit vom spezifischen Umgang. Ein schußbereiter Revolver würde aber einem Kind kaum zum Spiel überlassen werden, weil damit eben nur möglicherweise gespielt, und doch eher getötet werden kann.

Ein Gegenstand kann also durch spezifische Eigenschaften zwar nicht ausschließlich, aber doch im wesentlichen ein Spielzeug sein.1 Es ist evident, daß der tätige Umgang mit einem Gegenstand, der als Spielzeug besonders geeignet ist, häufiger zum Spiel wird als der tätige Umgang mit einem Gegenstand, der als Spielzeug ungeeignet ist. Kurz: Ein Spielzeug verleitet zum Spielen.

Ein Gegenstand verleitet nun immer dann zum Spielen, wenn die Eigenschaften des Gegenstandes so geartet sind, daß sie mit den Eigenschaften des Spiels in Deckung zu bringen sind. Im Anschluß an Oswald ist anzunehmen, daß ein Gegenstand dann ein Spielzeug ist, wenn der Gegenstand zur meditativen Tätigkeit besonders geeignet ist. Die Frage ist also, ob Computertechnologie zur meditativen Tätigkeit besonders geeignet ist.

Meditative Tätigkeit bestimmt Oswald im Anschluß an den Spielbegriff von Scheuerl, der Spiel als Urphänomen und primäre Lebenskategorie ausweist, als stehende Bewegung, wobei Oswald im Unterschied zu Scheuerl den Spielbegriff nur für menschliche Tätigkeit verwendet (Oswald 1980: 129). Da Medien nur durch den Menschen zu Medien werden, kann das Medium Computertechnologie ein Spielzeug auch nur dann sein, wenn Menschen damit spielen. Hier genügt es also, den Spielbegriff im Blick auf den Menschen darzustellen, da klar ist, daß Computertechnologie selbst nicht spielen kann. Scheurl bestimmt Spiel durch sechs Hauptmomente:

"Spiel wäre das Urphänomen einer Bewegung, die durch die Ganzheit jener sechs Hauptmomente gekennzeichnet ist: durch Freiheit, innere Unendlichkeit, Scheinhaftigkeit, Ambivalenz, Geschlossenheit und Gegenwärtigkeit" (Scheuerl 1994: 111).

Frei ist ein Spiel, wenn die Handlung keinen Zweck außer sich verfolgt. Die Spielhandlung ist frei von drängenden Trieben, von Daseinskampf und ohne Verantwortung und Konsequenz. Im Spiel soll nichts erledigt werden. Das Spiel drängt insofern nicht auf ein Ende, sondern auf Wiederholung; es ist ein Kreisprozeß. Innerhalb seines Freiraums ist das Spiel als Kreisprozeß eine Bewegung von innerer Unendlichkeit. Dieser Bewegung geht es nicht um einen Zweck, sondern um den Schein. Damit ist nicht Abbildung gemeint, sondern Schönheit. Zwar kann im Spiel durchaus auch eine Realität abgebildet werden. Zum Spiel wird eine Tätigkeit aber erst durch den ästhetischen Moment des Scheins; der Rückfall in die Realität verdirbt das Spiel. Die Stellung zwischen Schein und Realität kennzeichnet die Ambivalenz des Spiels wie auch die Ambivalenz des Menschen, der zwischen Natur und Kultur steht. Die innere Unendlichkeit zwischen Realität und Schein macht einerseits eine Geschlossenheit des Spiels erforderlich, durch die sich das Spiel im Zwischenraum der Pole hält; andererseits hebt es das Spiel aus der Zeitreihe, da es nicht auf ein das Spiel beendendes Ziel hin gerichtet ist (Scheuerl 1994: 69-112).

Ein echter Revolver ist nun ein ungeeignetes Spielzeug, weil er die Eigenschaft hat, Menschen zu töten. Diese Eigenschaft des Gegenstands ist auf einen alles beendenden Zweck gerichtet, der zudem ernsthafte Konsequenzen hat. Die Eigenschaften eines Revolvers sind mit den Eigenschaften des Spiels also kaum vereinbar. Anders stellt sich dies für einen Spielzeugrevolver dar. Die Handlung hat keine ernsthaften Konsequenzen, sie ist nicht durch einen Zweck außerhalb des Spiels bestimmt2 und kann beliebig oft wiederholt werden.

Das kurze Beispiel demonstriert, daß es Gegenstände gibt, die mit den Eigenschaften des Spiels in Deckung zu bringen sind und die sich daher gut als Spielzeug eignen. Ebenso gibt es Gegenstände, die sich nicht gut als Spielzeug eignen. Um zu zeigen, daß es sich bei der Computertechnologie um ein Spielzeug handelt, ist zu untersuchen, ob die Eigenschaften der dynamisch - semiotischen Dimension der Computertechnologie mit den Eigenschaften des Spiels in Deckung zu bringen sind.

Das Spiel mit der Computertechnologie

Notwendige Voraussetzung für das Spiel mit einem Gegenstand ist, daß ein tätiger Umgang mit dem Gegenstand überhaupt möglich ist. Ein tätiger Umang mit einem Gegenstand wird unmöglich, wenn der Gegenstand, wie z.B. ein Amboß, zu groß oder zu schwer ist (Oswald 1980: 130).

Nun geht es hier nicht um das Spiel mit einem physikalischen Gegenstand. Mit Computertechnik läßt sich zwar durchaus spielen, wie das z.B. ein Kleinkind tut, das auf einer nicht angeschlossenen Tastatur herumtippt. Zur Diskussion steht hier aber das Spiel mit der semiotischen Dimension der Computertechnologie, also das Spiel mit Zeichen. Auch das Spiel mit Zeichen kann, metaphorisch gespochen, durch das Gewicht der Zeichen verhindert werden. So hat in Deutschland z.B. das Symbol der Nationalsozialisten ein erhebliches semiotisches Gewicht, weshalb der Umgang mit Hakenkreuzen in der Öffentlichkeit nicht als Spiel nachgesehen werden kann.

Für die Computertechnologie haben Zeichen allerdings kein Gewicht, weil Kalkülzeichen außerhalb der Kalkülsprache nichts bedeuten. Insofern verhindert Computertechnologie das Spiel nicht dadurch, daß den Zeichen im semiotischen Raum, den die Computertechnologie eröffnet, durch die Computertechnologie ein hohes Gewicht verliehen wird. Es ist also möglich, daß mit beliebigen Zeichen im semiotischen Raum, den die Computertechnologie eröffnet, gespielt wird. Inwiefern Computertechnologie zum Spiel auch verleitet, ist anhand der sechs Momente des Spiels zu untersuchen.

Das erste Moment des Spiels ist die Freiheit. Dieses Moment ist bestimmt durch die Freiheit von Daseinskampf und Verantwortung:

"Spiel ist frei vom Zwang ungebärdig drängender Triebe, frei von den gebieterischen Nötigungen des Instinkts. Es ist frei von den Bedürfnissen des Daseinskampfes, von der Not des Sich-Wehrens. [...] Es ist ohne Verantwortung und Konsequenzen." (Scheuerl 1994: 69).

Computertechnologie ist nicht dazu geeignet, Instinkte oder Triebe zu befriedigen, da es keinen Trieb oder Instinkt gibt, der sich auf Algorithmen richtet. In dem virtuellen Raum, den die Computertechnologie eröffnet, gibt es auch keine Verantwortung und keine Konsequenzen. Zum Daseinskampf, den Scheurl im Anschluß an Hegel als Kampf gegen die Natur bestimmt (Scheuerl 1994: 68), ist Computertechnologie ebenfalls nicht verwendbar, da Computertechnologie als Werkzeug zum Bearbeiten der Natur ungeeignet ist.

Nun läßt sich die Verbreitung von Computertechnologie im Wirtschaftsbereich als Argument für die Zuordnung zum Daseinskampf anführen. Dieses Argument ist jedoch nur dann überzeugend, wenn die Handlungen im Wirtschaftsbereich im allgemeinen dem Daseinskampf zuzuordnen sind. Das ist nicht der Fall. Huizinga stellt bereits 1939 fest, daß die Handlungen im Geschäftsleben zunehmend einen Spielcharakter entwickeln (Huizinga 1939: 321). Und Scheuerl bezeichnet die für das Spiel kennzeichnende Haltung als die höchste erreichbare Haltung in der Arbeit (Scheuerl 1994: 212). Arbeit und Spiel stehen also nicht in einem Widerspruch. Vielmehr kann Arbeit durchaus als Spiel betrieben werden, ebenso wie Spiel, z.B. für den Berufsspieler, zur Arbeit werden kann. Daher ist nicht anzunehmen, daß Handlungen im Wirtschaftsbereich im Allgemeinen dem Daseinskampf zuzuordnen sind. Vielmehr wird mit der zunehmenden Verbreitung von Computertechnologie im Wirtschaftsbereich die Arbeit immer mehr zum Spiel.

Das zweite Moment des Spiels ist die Bewegung innerer Unendlichkeit (Scheuerl 1994: 74). Die innere Unendlichkeit symbolisiert Scheuerl mit dem Kreis. Während eine Zweckhandlung mit dem Erreichen des Zieles beendet ist, ist die Spielbewegung nur von außen begrenzt, erreicht als in sich geschlossene Bewegung jedoch nie wirklich ein Ziel und weist in diesem Sinne eine Wiederholungstendenz auf.

Ein Gegenstand kann die Bewegung innerer Unendlichkeit leicht unterbrechen. Besonders deutlich wird das beim oben verwendeten Beispiel des Revolvers. Aber auch wenn ein Ballon platzt ist das Spiel vorbei und keine weitere Wiederholung mehr möglich. Solche Unterbrechungen des Spiels kommen im Falle der Computertechnologie nur durch technische Defekte zustande. Algorithmen werden nicht verbraucht und zerstören die Computertechnik nicht. Daher ist z.B. bei einem sogenannten Absturz eine Wiederholung ohne weiteres möglich. Computertechnologie verhindert wegen der Abgeschlossenheit von Kalkülsprachen zugleich die Unterbrechung durch die außerhalb liegende Wirklichkeit. Daher stört Computertechnologie die Bewegung innerer Unendlichkeit nicht.

Aber nicht nur Unterbrechungen, auch Beschränkungen durch einen Gegenstand können die Bewegung innerer Unendlichkeit verhindern. Daher lehnt Scheuerl detaillreiches Spielzeug ab. Detaillreiches Spielzeug setzt der Spielbewegung enge Grenzen, weil es kaum Variationen zuläßt. Während eine Steinchen, Sand oder Wasser voller Möglichkeiten stecken und so die innere Bewegung des Spiels anregen (Scheuerl 1994: 84), ist dies z.B. bei einer Puppe, die eine Filmfigur darstellt, nicht der Fall, weil die Puppe nur wenige Variationen zuläßt und so die innere Bewegung des Spiels eher verhindert. Nun steckt die semiotische Dimension der Computertechnologie durch den Umstand, daß sie jeden Algorithmus abarbeiten kann, voller Variationsmöglichkeiten. Daher ist anzunehmen, daß Computertechnologie wie Sand oder Wasser die innere Bewegung des Spiels anregt.

Das dritte Moment des Spiels ist die Scheinhaftigkeit. Schon die innere Unendlichkeit ist ein schwebender Schein, und die Freiheit des Spiels ist die Freiheit zur Hingabe an eine Scheinwelt. Die scheinhafte Ebene des Spiels ist nicht als Täuschung, sondern als positive Erweiterung zu verstehen. Der Schein kann nun als Zu - sein - Scheinen oder als reiner Schein auftreten. Für das Spiel ist nur der reiner Schein notwendige Bedingung (Scheuerl 1994: 84). Wenn diese Ebene nicht erreicht wird, wenn es z.B. zu einem Rückfall in die Realität kommt, wird das Spiel verdorben (Scheuerl 1994: 80). Plessner, an den Scheuerl sich anlehnt, schreibt dazu:

"Die Spielsphäre, in die er [der Mensch C.S.] eintritt, ist in sich geschlossen und hängt mit der Wirklichkeit als solcher nicht zusammen: sie liegt nicht in ihrer Ebene" (Plessner 1950: 104).

Das Spiel benötigt eine Spielspähre, die nicht mit der Wirklichkeit zusammenhängt. Das Spiel erfordert, wie Huizinga schreibt, einen abgegrenzten Spielraum (Huzizinga 1939: 21f.).

Spielzeug begünstigt also die Hingabe des Menschen an eine Scheinwelt, wenn es einen abgeschlossenen Raum konstituiert, der die Realität ausgrenzt. Das ist bei der Computertechnologie der Fall. Die semiotische Dimension dieses Mediums eröffnet einen Raum, in den die Realität mangels semantischer Bezüge der Kalkülzeichen nicht einbrechen kann und der durch die Regeln, die in der Bestimmung des Algorithmenbegriffs formuliert sind, klar begrenzt ist.

Daß Computertechnologie die spielerische Hingabe an eine Scheinwelt begünstigt klärt ein verbreitetes Mißverständnis: Von Weizenbaum stammt das oft zitierte Beispiel der zwanghaften Programmiererinnen und Programmierer, der Computersüchtigen. Der zwanghafte Programmierer unterscheidet sich vom Berufsprogrammierer nach Weizenbaum

"zunächst durch die Tatsache, daß der gewöhnliche Berufsprogrammierer sich dem Problem widmet, das gelöst werden soll, während sich der zwanghafte Programmierer es hauptsächlich als Mittel zu dem Zweck betrachtet, eine Interaktion mit dem Computer herzustellen" (Weizenbaum 1994: 161).

Da Computertechnologie die Hingabe an eine Scheinwelt in einer Bewegung innerer Unendlichkeit begünstigt, sind die intensiven Computernutzerinnen und -nutzer keine Süchtigen, sondern Spielende. Dem Süchtigen schlägt der Rausch in Reue und Ekel um (Scheuerl 1994: 75). Dagegen verspüren diejenigen, die im Rausch spielen, nach dem Spiel keinen Ekel, sondern allenfalls Reue, und auch diese nur, weil sie wegen dem Spiel etwas außerhalb des Spiels versäumt haben. Plessner beschreibt diesen Rausch als in den Bann ziehen:

"Ein gespanntes Gummiband, das ich in Spannung halte, damit es mir Widerstand leistet, zeigt sie unmittelbar. Ich bin auf nichts anderes an diesem Ding als auf seine Elastizität konzentriert und auch auf diese nicht - wie etwa der Techniker - als auf eine objektive Eigenschaft, sondern mache mit ihr mit. Wie sie mich anspricht, so erwidere ich ihr. Sie zieht mich in ihren Bann, insofern ich mich ihr überlasse" (Plessner 1950: 102).

Wie das Gummiband zieht Computertechnologie in ihren Bann, sofern man sich ihr überläßt. Den Programmierenden geht es dann nicht mehr um das Problem, das zu lösen ist, sondern um das Spiel mit dem Computer - das Problem wird im Spiel gelöst.3 Dieses Spiel kann durchaus zu einem Rausch werden. Berichte über Ekelempfinden nach diesem Rausch liegen jedoch nicht vor.

Die Ambivalenz als viertes Moment des Spiels ist eine Vielfältige Erscheinung.

"Von welcher Seite her man auch versucht, sich dem Spiele zu nähern, [...] fast in jeder Perspektive trifft man auch eine Ambivalenz" (Scheuerl 1994: 90).

Scheuerl führt dies auf dem Umstand zurück, daß die Ambivalenz zwischen Kultur und Natur dem Wesen des Menschen innewohnt und das Offenhalten dieser Ambivalenz "die menschliche Aufgabe schlechthin" (Scheuerl 1994: 90) ist, die insbesondere auch im Spiel erfüllt wird. Ein Aspekt der Ambivalenz des Spiels, den Scheuerl auf das Spielzeug bezieht, ist die Spannung zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Wenn anstelle der Bildhaftigkeit einer Sache plötzlich das wirklich Wirkliche tritt, ist das Spiel zu Ende. Das Spiel strebt danach, immer weitere Objekte zu erobern, um die Spannung zwischen Bekanntem und Unbekanntem zu erhalten. Je mehr Objekte einbezogen werden können, die neue Variationen eröffnen, desto länger kann das Spiel aufrechterhalten werden (Scheuerl 1994: 89).

Das Netzwerk simulierter Kalkülsprachen bietet nun eine Menge an Objekten, die dem Begriff der Berechenbarkeit entspricht. Daher ist es bei kaum einen anderen Spielzeug so unwahrscheinlich, daß eine Menge an Objekten in das Spiel einbezogen wird, die das wirklich Wirkliche - in diesem Fall den Begriff des universellen Turingautomaten - zum Vorschein treten läßt und so das Spiel zum Ende bringt. Es sind jederzeit neue Varianten möglich, und durch diese Vielfalt werden die Spielerinnen und Spieler wie die Artisten, die Scheuerl als Beispiel nennt, dazu verleitet, immer weitere Objekte in ihr Spiel einzubeziehen.

Die Geschlossenheit als fünftes Moment des Spiels ist durch Prozeß und Gestalt ausgezeichnet. Wenn eine Aktivität nur zeitlich begrenzt, aber formlos ist, handelt es sich um einen Exzeß o.ä. Erst die gestalthafte Geschlossenheit macht das Spiel zum Spiel (Scheuerl 1994: 94). Eine zeitliche Begrenzung ist nun auch beim Spiel mit der Computertechnologie gegeben, insofern Algorithmen in einer begrenzten Zeit abgearbeitet werden müssen. Und da Algorithmen explizit formuliert werden müssen, um mit der Computertechnologie spielen zu können, ist auch ein formloses Spiel ausgeschlossen. Computertechnologie macht also die gestalthafte Geschlossenheit als Form der Verwendung geradezu erforderlich.

Der sechste Moment des Spiels ist die zeitlose Gegenwärtigkeit:

"Allemal wird ein objektives Formgerüst vorgegeben oder improvisiert, und allemal wird innerhalb dieses Gerüstes ein gegenwärtiges, in sich unendliches Spielen von Wirkungen, denen man sich zeitenthoben hingibt, erzeugt" (Scheuerl 1994: 101).

Die Bedingung für die zeitloser Gegenwärtigkeit des Spiels ist ein objektives Formgerüst, dem die Spielerinnen und Spieler sich hingeben. Dieser objektive Rahmen wird entweder im Spiel improvisiert oder vor dem Spiel vereinbart. In dem objektiven Rahmen, in dem das Spiel ausgeführt wird, gelangen die Spielenden ihrem Erleben nach aus der Kontinuität der Zeitreihe heraus (Scheuerl 1994: 95).

Nun legt Computertechnologie den Nutzerinnen und Nutzer keine zyklische oder lineare, sondern punktuelle Wahrnehmung von Zeit nahe (Gendolla 1987). Insofern verleitet Computertechnologie dazu, aus der Kontinuität der Zeitreihe heraus zu treten.

Der zeitlose Gegenwärtigkeit kann nach Scheuerl in einem improvisierten oder vorgegebenen Formgerüst erreicht werden. Scheuerl kennzeichnet Improvisation durch zwei Aspekte: Zum einen wird das improvisierte Spiel ohne regelnden, planenden Entwurf aus der Situation für die Situation gespielt. Zum anderen fehlt der Improvisation das materielle Substrat. Der Umgang mit Computertechnologie ohne regelnden, planenden Entwurf ist ohne weiteres möglich. Im Umgang mit Computertechnologie kommen regelmäßig Situationen vor, in denen Nutzerinnen und Nutzer ohne planenden Entwurf herumprobieren. Allerdings ist es erforderlich, im Umgang mit der Computertechnologie alle Anweisungen explizit zu machen. Die Anweisungen sind nicht flüchtig wie die Melodie der Improvisation eines Musikers, die Scheuerl als Beispiel nennt, sondern werden im Speicher des Computers festgehalten. Improvisation ist in diesem Sinne also nicht möglich. Die Regeln vor dem Spiel zu vereinbaren ist durch die Entscheidung für eine Programmiersprache oder ein Betriebssystem jedoch ohne weiteres möglich.

Damit kann festgehalten werden, daß Computertechnologie zum Spiel verleitet. Ob mit diesem Spielzeug tatsächlich gespielt wird hängt letztlich vom Menschen ab, der die Computertechnologie als Medium verwendet. Insofern viele Dinge im Spiel leicht erledigt werden, weil sie keine Mühe bereiten, sondern Vergnügen, trägt dies zur motivierenden Wirkung von Computertechnologie bei. Computertechnologie ist aber nur dann ein geeignetes Medium der Bildung, wenn Bildung im Spiel erreicht werden soll. Wenn im Bildungsprozeß voller Ernst nötig ist, wenn es z.B. um Verantwortung geht, ist Computertechnologie ein ungeeignetes Medium.

Literatur

Gendolla, Peter: Auf dem Weg in die Punktzeit. Zur Zeiterfahrung in der Informationsgesellschaft. In: Bammé, Arno; Baumgartner, Peter; Berger, Wilhlem; Kotzmann, Ernst: Technologische Zivilisation. München: Profil 1987, S. 121-131

Huizinga, J.: Homo Ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelements der Kultur. Pantheon: Amsterdam 1939 ¶

Krämer, Sybille: Symbolische Maschinen: die Idee der Formalisierung im geschichtlichen Abriß. Darmstadt 1988

Meder, Norbert: Neue Technologien und Erziehung/Bildung. In: Borrelli, M.; Ruhloff, J.: Deutsche Gegenwartspädagogik Bd.3. Hohengehren 1998, S. 26-40

Meder, Norbert: Superzeichensemantik. In. ders.: Der Sprachspieler. Köln 1987, S. 165-190

Oswald, Paul: Ansatz zu einer Theorie des Spielzeugs. In: Viertelsjahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 1980, S. 120-138.

Plessner, Helmuth: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. 2. Aufl. Leo Lehnen: München 1950 (1. Aufl. 1941)¶

Scheuerl, Hans: Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. 12. Aufl. Beltz: Weinheim 1994 (1. Aufl. 1954)¶

Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Campus: Frankuft/Main 1992

Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. 9. Aufl. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994

1 Nach dem hier zu Grunde liegenden Medienbegriff haben Medien im Bildungsprozeß eine eigenen Stellenwert. Ebenso ist die Wirkung des Spielzeugs im Spielprozeß einzuschätzen. Daß Spielzeug überhaupt eine Wirkung auf das Spiel hat ist dabei unstrittig. So schreibt Scheuerl: "Seit John Locke und Jean Paul ist die Forderung oft wiederholt worden, daß man Kindern des Spielalters keinen luxuriösen Tand und keine bis ins Feinste naturgetreuen Nachbildungen, sondern möglichst einfache Dinge zum Spielen geben solle" (Scheuerl 1994: 84). Wenn aber bestimmtes Spielzeug vorzuziehen ist, dann muß auch eine Wirkung des Spielzeugs auf das Spiel angenommen werden. Nun schreibt Scheuerl weiter: "Die Sache ist immer nur Mittel der Einspielung (Il-lusio!)" (ebd.). Nach der hier vertretenen Auffassung wird die Wirkung des Spielzeugs auf das Spiel damit unterschätzt.

2 Huizinga zeigt im Eingang seiner Untersuchung des Homo Ludens, daß "wir es im Spiel mit einer Funktion des lebendigen Wesens zu tun haben, die sich weder biologisch noch logisch vollkommen determinieren läßt" (Huizinga 1939: 11). Damit bestreitet er nicht, daß Spiel eine psychische Funktion haben kann, wohl aber, daß Spiel in einer solchen Funktion aufgeht. Spiel ist, wie Scheuerl in seiner Diskussion dieser These von Huizinga feststellt, "ein Letztes (oder Erstes), das sich nicht mehr aus anderen Erscheinungen ableiten oder erklären läßt" (Scheuerl 1994: 111). Insofern kann das Spiel mit einem Spielzeugrevolver eine Funktion für die psychische Entwicklung des Kindes haben, ohne daß damit das Spiel durch die psychische Funktion bestimmt wäre.

3 Scheuerl bemerkt, daß der Arbeitende, der seine Arbeit als Spiel betreibt, die Mühe vergißt und 'spielend' arbeitet: "Was mit “äußerster Anstrengung nicht mehr zu leisten ist, das kann oft noch 'spielend' geschafft werden" (Scheuerl 1994: 144). Daß Computertechnologie zum Spiel verleitet, die Leistungsfähigkeit im Spiel aber höher ist als bei der Arbeit, begünstigt die Verbreitung der Computertechnologie im Wirtschaftsbereich. Allerdings wird das Spiel nach Scheuerl aus dem Gleichgewicht gebracht, wenn der Leistungsgedanke überhand nimmt oder das Spiel nicht ernsthaft betrieben wird (Scheuerl 1994: 139ff.). Das Gleichgewicht des Spiels aufrecht zu erhalten wird daher mit zunehmender Verbreitung der Computertechnologie im Wirtschaftsbereich zum Managementproblem. Erleichtert wird die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Spiels, wenn die Arbeitenden die Spielhaltung der Arbeitshaltung vorziehen, d.h. selbsttätig das Gleichgewicht des Spiels aufrechterhalten. Nun verdrängt, wie Schulze 1992 diagnostiziert hat, die Erlebnisorientierung als Grundhaltung der Beziehung von Mensch und Welt die Grundhaltung des Sparens auf aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung (Schulze 1992: 14, 36). Die Erlebnisorientierung ist aber die Haltung von Spielerinnen und Spielern. Der Wirtschaftsbedarf an Spielerinnen und Spielern läßt für die Pädagogik - provokativ zugespitzt - einerseits erwarten, daß die Relevanz der Erlebnispädagogik für die Schulpädagogik merklich steigt und andererseits hoffen, daß die ideologiekritische Pädagogik diese subtile Form von Ausbeutung zum Gegenstand der Aufklärung macht.