Philosophie des Kampfes

 

 

filÒsofow m°yodow   &   via meditationis

 

 

 

von

 

Robert Hammer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



»Lieber ein Bettler als ein Ungebildeter; jenem fehlt es nur an Geld, diesem aber an Menschlichkeit.«

Aristippos von Kyrene


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Robert Hammer, Wien 2004

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vor­behalten. Jede nicht vom Autor autorisierte Weitergabe oder kommer­zielle Nutzung ist untersagt. Dies be­trifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Text­abschnitte durch alle Verfahren wie Speiche­rung und Übertragung auf Papier, Film, Bänder, Platten und andere Medien, sowie jegliche Änderungen von Inhalt, Bedeutung und Form des Textes bzw. einzelner Textabschnitte.


INHALTSVERZEICHNIS

 

Prologium............................................................................................................................. 6

Einleitung.............................................................................................................................. 6

Der Kampf als Thema in der europäischen Philosophie....................... 6

Wettkampf und Zweikampf in der europäischen Tradition......................................................... 6

Die Kunst des Kampfes in der fernöstlichen Tradition....................... 6

Miyamoto Musashi.................................................................................................................. 6

Kung Fu................................................................................................................................... 6

WAIJIA, die „äußeren“ Schulen.................................................................................................. 6

NEIJIA, die „inneren“ Schulen.................................................................................................... 6

Element und Farbe.................................................................................................................. 6

Ist die alte Kampfkunst noch zeitgemäß?...................................................................................... 6

Qi Gong.................................................................................................................................... 6

Qi - eine „übernatürliche“ Energie?.............................................................................................. 6

Meditationsphilosophie......................................................................... 6

Kritik des traditionellen Meditationsverständnisses.............................................................. 6

Die indische Tradition............................................................................................................... 6

Die japanische Tradition............................................................................................................ 6

Kritik der empirischen Meditationsforschung.......................................................................... 6

Kritik der Philosophie.............................................................................................................. 6

Ein meditationsphilosophischer Entwurf.................................................................................. 6

Meditationsphilosophische Maximen des richtigen Meditierens......................................................... 6

Die Frage nach dem Sinn von Sein............................................................................................. 6

Das Postulat des Homo moralis als Ideal.................................................................................. 6

Ein persönliches Nachwort............................................................................................ 6

Chinesisches Glossar................................................................................................................ 6

Quellennachweis...................................................................................................................... 6

Quellenreferenz........................................................................................................................ 6

 



Prologium

 

Faust suchte durch das Studium der Philosophie, der Juristerei, der Medizin und der Theologie vergeblich zu erkennen, was die Welt im Innersten zusam­men­hielte und wandte sich in seiner Enttäuschung der Magie zu. In seinem Stre­­ben führte ihn die Offenbarung des Pudels dunkle Wege, die ihn als Mensch scheitern ließen. In seinem Streben, das Menschliche zu trans­zen­die­ren, verlor er sich. Das Streben nach übernatürlichem Wissen ließ Faust einen Pakt eingehen, der ihn fast seine Seele der ewigen Verdammnis preisge­geben hätte - nur ein göttliches „Machtwort“ rettete seine Seele.

 

Das menschliche Denken hat uns in einer Jahrtausende währenden Tradition ein reiches Erbe hinterlassen. Warum ist Faust in seinen wissen­schaft­lichen Studien gescheitert? Warum hat er bei transzen­denten Mächten seine Zuflucht gesucht?

 

Die Geschichte der Philosophie erzählt vom Kampf des menschlichen Geistes gegen die Unwissenheit. Philosophen berufen sich weder auf gött­liche Inspi­ra­tion, noch nehmen sie Zuflucht zu teuflischen Mächten.

 

Der strenge Denker Kant entwarf den existentiellen Interessens­horizont auf drei Fragen:

 

1. Was kann ich wissen?

2. Was soll ich tun?

3. Was darf ich hoffen?

 

Er entwarf damit die Grenzbedingungen für wissenschaftliche Erkenntnis, eine philosophische Argumentation für moralisches Handeln und drückte in seinem Hoffen die Sehnsucht der mensch­lichen Seele aus, welche in ihrem Da­sein den Tod fürchtet und zu ent­fliehen sucht.

 

Solange es Menschen gibt, werden sie von solchen Fragen gequält werden, solange es Denker gibt, werden sie versuchen, eine Antwort zu finden.

 

Die Frage nach dem Sinn von Sein harrt noch immer ihrer Beant­wortung.

 

Ist die Beantwortung dieser Frage nicht Kampf? Wie muß dieser Kampf ge­führt werden, um sein ureigenstes Dasein, das Selbst in dieser Welt, zu fin­den und sich im Existieren zu verwirklichen?

Läßt sich dieser Kampf auf rein theoretisches Nachdenken - auf die philo­so­phische Reflexion - beschränken?

 

Ein möglicher Weg soll hier aufgezeigt werden, diesen Kampf siegreich zu be­stehen.

 

Es ist einer von vielen Wegen, der hier aufgezeigt wird.

 

Es ist ein alter Weg, der neu beschritten wird.

 

Es ist kein leichter Weg.


 

»Homo liber de nulla re minus, quam de morte cogitat, & ejus sapientia non mortis, sed vitae meditatio est.«

Spinoza, Ethica, Pars IV, Propositio LXVII[i]

 

 

Einleitung

 

Weisheit lag für die alten Griechen in der Bewältigung der Alltagsprobleme und in der ver­nünftigen Führung des Gemeinwesens[1]. Die Philosophen wurden als diejenigen angesehen, welche am besten wußten, wie das Leben erfolgreich zu gestalten war. Die verschiedenen Philosophenschulen divergierten lediglich in der Beantwortung der Frage nach dem gelun­genen Leben und entwickelten verschiedene Bewältigungsstrategien, welche durchaus gegen­sätzlich sein konnten, wie am Beispiel der Kyniker und Kyrenaiker aufgezeigt werden kann. Die Begründer Antisthenes und Aristippos waren beide Schüler Sokrates’ und trotzdem be­ant­­wortete der eine die Frage nach der Tugend (éretÆ)[ii] mit Bedürfnislosigkeit, während der andere die Lust pries. Diese di­vergierenden Positionen zeigen die potentiellen Entwick­lungs­möglichkeiten menschlicher Existenz, die Freiheit in der menschlichen Lebens­gestal­tung auf: Der Mensch kann sein Dasein in dieser Welt - seine Welt - seiner Einsicht und seinen Fähig­­keiten entsprechend innerhalb bestimmter Grenzen seinen Vorstellungen ent­sprechend ge­stalten.

Mit der Ablösung des Mythos[iii] durch den Logos[iv] introduzierten die antiken Philo­sophen das wis­senschaftliche Denken, welches nach Überwindung der mittelalterlichen Scho­lastik seinen Siegeszug in der Neuzeit antrat. Die an den Universitäten betriebene Lehre und For­schung führte zu einem Aufschwung der theoretischen Wissenschaften. Die Philosophie im akademischen Betrieb führte zwar auch im 20. Jahrhundert zu einer ansehn­lichen Zahl nam­hafter Philosophen, welche Lehren von bleibendem Wert schufen, die ur­sprüngliche Ver­bundenheit mit der praktischen Lebensgestaltung ging aber als solche verloren. Philo­sophie kann in unserer Zeit nur im universitären Rahmen existieren - aber: nur hier kann der hohe wissen­schaftliche Standard gehalten werden.

Wie kann aber Philosophie in das praktische Leben eingreifen? Kann Philosophie in un­serer Zeit Menschen die Tugend (éretÆ) lehren, wie zur Zeit Sokrates’[2], und dadurch den Men­schen einen Weg aufzeigen, welcher zur Erringung existentieller Güter führt? Wie muß die­se éretÆ aus­sehen? In einer Zeit hemmungsloser Technisierung und Kom­mer­zia­lisierung, welche die natürlichen, ökologischen Lebens­grundlagen global zerstört, ist der Philo­soph eine seltene, allgemein belächelte, kuriose Pflanze. Wer versteht in unserer Zeit, daß es Werte gibt, die keine pekuniäre Entsprechung haben?

Bei Platon ist Eros (¶rvw)[v] die Triebfeder des Philosophierens: ¶rvw als Liebe zum Schönen und die Weisheit als das Schönste[3]; damit wird Philosophieren das Streben nach Schönheit. Aristoteles stellt für die Lehre der Philosophie einen Bezug zur Freundschaft her - hier wie dort wäre eine Entlohnung nicht adäquat. So wie es keine Freundschaft gegen Be­zah­lung geben kann, so wenig gäbe es einen adäquaten Lohn für einen philosophischen Lehrer.[4] Wer in unserer Zeit kann solche Denkweisen verstehen?

Der materialistische Zeitgeist befriedigt aber nicht alle Menschen, weshalb solcherart Unzufriedene sich in ihrem Bedürfnis „nach mehr“ dem Osten zuwenden, um von dort ihre spirituellen Bedürfnisse zu befriedigen. Die östliche Geisteswelt hat eine exotische Aus­strah­lung und man verspricht sich mit spirituellen Praktiken Glückseligkeit auf Erden - und nicht nur dies: verheißen wird der Zugang zur göttlichen Transzendenz schon in diesem Leben.

Philosophie kann in dieser Hinsicht generell nichts bieten: Indem die antiken Philo­sophen dem lÒgow den Vorrang zuwiesen, wurde der Tod zum Tod. Das im alt­grie­chischen Mythos jenseitige Leben war ein schattenhaftes Sein, aber es war zumindest eine Form von Existenz, auch für die, welche nicht ins Elysium kamen. In der Strenge des wissen­schaftlichen Denkens hatte eine solche Form des Existierens keinen Platz. Die aus der Philo­sophie sich emanzipierten Einzelwissenschaften haben in ihrer theoretischen Natur ein „seelenloses“ Dasein, welches die mythische Spiritualität in keiner Weise kompensieren kann. Sie können keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein und Dasein[vi] geben. - Gilt dies aber auch für die Philosophie? Kann die Mutter aller Wissenschaften ebenfalls keine Antworten auf die­se Frage geben oder liegt in ihr - auch im 21. Jahrhundert - noch eine Form von Geistigkeit, wel­che einem „Suchenden“ einen Weg (m°yodow)[vii] zeigen kann, in seinem Leben Sinn zu fin­den? … seinem Leben Sinn zu geben?

Vor allem soll hier der Frage nachgegangen werden, ob östliche, spirituelle Praktiken, d.h. in erster Linie meditative Techniken, mit der europäischen Intellektualität tatsächlich un­ver­­einbar sind. Der lÒgow hatte der mythischen Welterklärung im europäischen Raum ein Ende gesetzt, aber die im asiatischen Raum zu mythischer Zeit entwickelten Techniken stehen heutzutage noch hoch im Kurs. In meditativen Kreisen ist eine Rationalitätsfeindlichkeit zu beobachten, der Verstand wird als minderwertig angesehen[viii] - ist dies berechtigt? Die Natur­wis­senschaften können die mentalen Prozesse, welche in der Meditation auftreten, nicht er­klä­ren, und die quantifizierende Methodik erweist sich hier als unzureichend - ist dies Grund ge­nug, diese Techniken abzulehnen? Ein Naturwissenschaftler hat in Anbetracht der medi­tativen Be­wußtseinsformen zu schweigen. Gilt dies auch für den Philosophen? Die philo­sophische Intel­ligenz erweist sich aufgrund der Flexibilität einer in Jahrtausenden gewach­senen Be­griff­l­ich­keit als extrem ausdrucksfähig. Wird eine philosophische Analyse bei einer Unter­suchung medi­tativer Prozesse fehlschlagen? Was wird das Resultat einer solchen Ana­lyse sein? Wel­cher Horizont eröffnet sich für einen philosophierenden Geist, welcher medita­tive Prak­tiken ver­­wendet?

 

 

Der Kampf als Thema in der europäischen Philosophie

 

Hegel hat mit dem Satz »…das menschliche Leben überhaupt ist ein Leben des Streits, der Kämpfe und Schmerzen.«[5] eine Charakteristik des menschlichen Daseins gegeben, welche genauso auf den in die Reflexion vertieften Philosophen wie auf den Meditanten zutrifft, wenn auch nach dem allgemeinen Verständnis eher der Kampf zwischen Menschen, Völkern und einer feindlichen Umwelt verstanden wird. Schelling formuliert das Prinzip des Kampfes noch radikaler: »...denn wo nicht Kampf ist, da ist nicht Leben.«[6]

 

Der Ursprung der Kampfthematik liegt in der europäischen Philosophie bei Heraklit, welcher den pÒlemow, den Kampf, zum Vater aller Dinge erklärte.

Das Werden war für ihn Arche[ix]. Das eigentliche Wesen der Welt läge in einem Ewig-im-Fluß-Sein, was aber nicht ein Vor­über­gleiten von immer Neuem, sondern ein Sichdarleben von Gegensätzen sei. Mitten in allem Werden und Verströmen sieht Heraklit Ordnung und Fü­gung, Sinn und Einheit. Das Gemein­same in der Verschiedenheit ist der lÒgow, das Maß des Sich­entzündens und Erlöschens im ewigen Werden, der ewigen Wiederkunft aller Dinge. Der lÒgow ist nicht ein persönlicher Geist, sondern die immanente Werdegesetzlichkeit. In allem Fluß der Dinge sah er noch immer die Harmonie[x], die gegenstrebige Fügung, weshalb für ihn sehr wohl Wissenschaft möglich war. [7] Nach Aristoteles tadelte Heraklit einen Dichter, wel­cher den Streit aus Himmel und Erde bannen wollte, weil dadurch keine Harmonie mög­lich sei, welche nur aus dem Gegen­satz von hohen und tiefen Tönen, und bei den Lebe­wesen nur aus dem Gegensatz von Weib­lichem und Männlichem entstehen könne.[8]

Heraklit hat damit den Entwicklungsgedanken aufgegriffen und erkannt, daß erst im Wechsel des Seienden das Sein entsteht, dieser Wechsel aber nicht ohne Überwindung der Gegensätzlichkeiten stattfinden kann. Er nannte das Prinzip dieses Wechsels p```Òlemow und wurde damit zum „Vater der Kampfes“ in der philosophischen Tradition. Aus diesem Argu­men­­tations­horizont heraus, hat die ontologische Gegensätzlichkeit ihre „Daseins­berech­ti­gung“. Ethisch[xi]­ problematisch wird die Aussage des „Dunklen“, wie er genannt wurde, daß Gutes und Schlechtes ein und dasselbe seien[9], da daraus abgeleitet werden kann, daß es völlig gleich­gültig sei, ob man moralisch gut oder böse handelt. Die Nivellierung dieses Gegen­satzes würde den Handelnden seiner moralischen Verantwortung entheben.

Sein Gegenspieler, Parmenides, fragt - anders als die frühen Naturphilosophen - nicht nach den Prinzipien der Entstehung des Seins, sondern nach der inneren Notwendigkeit dessen, was ist. Er lehrte die formal-logische Kontravalenz[xii] von Sein und Nicht-Sein. Das­selbe sei Denken und Sein.[10] Werden und Vergehen des Seins werden zurückgewiesen. Wie für Heraklit das Individuelle, so ist für Parmenides das Allgemeine wesentlich. In der elea­tischen Schule gipfelte Parmenides’ Lehre in den Zenon’schen Paradoxien, womit er den „Beweis“ für die Unmöglichkeit von Bewegung erbrachte. Platon vereinigte die beiden Denk­ansätze, indem er der Welt der Ideen als das Ewige (des Seins) die Welt der Erscheinungen als das Vergängliche, welche dem Gesetz des Wechsels unterliegt, gegenüberstellte.

Dieser antike, philosophische Diskurs hat auch nach zweieinhalb Jahrtausenden noch höchste Relevanz. Die Differenz von Sein und Nicht-Sein[xiii] ist die notwendige Bedingung für jede Form des Wechsels, wobei sich unser Denken in weltimmanenten[xiv] Dimensionen bewegt und Sein und Nicht-Sein aus dem Wechsel von Seiendem und Nicht-Seiendem ableitet. Nicht-Sein zu denken ist für uns unmöglich.[xv] Jede Form des Denkens, welches dieses Sein[xvi] trans­zendiert und eine metaphysische Welt[xvii] zu erfassen sucht, ist a priori zum Scheitern ver­urteilt, weil unser Erkenntnisapparat auf Erfassung weltimmanenter Phänomene ausgerichtet ist. Wir können in unserem Erkennen die sinnliche Perzeptionsebene trans­zendieren, sogar unseren Erfahrungshorizont, nicht aber unser weltimmanentes (Da)Sein. Jede Form erkennt­nis­­­theore­tischen Transzendierens dieser Welt ist ein Produkt der menschlichen Phantasie.

Die auf formal-logische Strukturen reduzierte ontische Gegensätzlichkeit wird im Satz vom Widerspruch repräsentiert. Verifikation und Falsifikation von sprachlichen Aussagen kann nur dann eindeutig erfolgen, wenn sie in der formallogischen Struktur auf den Satz vom Widerspruch reduziert werden können.[xviii] Diese Form des (formal-logischen) Gegensatzes kann jedoch terminologisch kaum als »Kampf« gekennzeichnet werden.[xix] Auch der Wechsel physi­kalischer Gegebenheiten[xx] kann nicht unter dem Aspekt des Kampfes betrachtet werden. »Kampf« impliziert immer gegen­sätzliche, konfligierende Willens- bzw. Bewußtseinsformen.

 

Wettkampf und Zweikampf in der europäischen Tradition

 

Kein anderes Volk der Antike teilte die griechische Neigung zum Vergleichen, Werten und Bestimmen von Höchstleistungen in dem Ausmaß, wie sie bei den alten Griechen auftrat. Der Agon (ég≈n), das sportliche Kräftemessen, war in Hellas nicht auf die körperlichen Fähigkeiten beschränkt. Es gab auch musische Agone, in denen man den besten Sänger, Flö­ten­­spieler oder Rezitator ermittelte. Schönheit und Weisheit waren Gegenstand des Wett­kampfes.[11]

Burckhardt setzt den Beginn des agonalen Zeitalters[xxi] für die Zeit vom Abschluß der dorischen Wanderung bis fast zum Ende des 6. Jahrhunderts (v. Chr.) fest.[12] In der Verwirk­lichung des Agonalen wurde ein neuer Begriff für das Hellenentum geschaffen. Die Griechen zeichneten sich im Gegensatz zu den anderen, orientalischen Völkern dadurch aus, daß jeder geborene Grieche an den Wettkämpfen teilnehmen durfte. Dies wäre z.B. im Kastenwesen des alten Ägypten undenkbar gewesen. Schon in der Ilias wird als heroisches Ideal das Aristeuein (éristeÊein)[xxii] als vornehmste Triebkraft des Denkens und Handelns postuliert: »Allzeit allen voran der Beste zu sein und der Erste«.[13] Das Leben der Aristokraten war eine Weiterführung des heroischen. Obwohl der agonale Gedanke der elitären Schicht des Adels entsprang, wurde bereits auf diese Weise ein Gedanke von Gleichheit vertreten. In der heroischen Zeit Grie­chen­lands erfüllte der Heros noch große Zwecke, d.h. das Agonale als Selbstzweck war noch nicht ausgeprägt, in diesem Sinne tauchte es aber schon in der Odyssee und der Ilias auf. Nach dem Ausgang des heroischen Königtums wird das äußere und geistige Leben zum Agon, in wel­chem sich die Tüchtigkeit (éretÆ) und die Rasse manifestieren. Der Agonalsieg, der edle Sieg ohne Feindschaft, war das Ziel des Wetteifers. Das griechische Agonalwesen führte durch die Entstehung allhellenischer und ausschließlich hellenischer Agonalstätten in einer Zeit der zersplitterten und sich bekriegenden Poleis zur Entwicklung eines panhel­lenischen Bewußt­seins, welches sich auch auf die Kolonien erstreckte. Bei den Kampfspielen wurden die Kräfte und das Können gemessen, aber man lernte sich auch gegenseitig kennen. Infolge der für die Zeit der Agone herrschenden Waffenruhe konnten auch die Bürger ver­feindeter Poleis fried­lich zusammentreffen.

Der Stellenwert der Agone in der panhellenischen Gemeinschaft ist daran zu erkennen, daß die allgemeine, griechische Zeitrechnung an die Sieger im Stadion von Olympia ange­knüpft wurde.[xxiii] Olympia übertraf sogar Delphi als Stätte der allgemeinen griechischen Publi­zität. »Wer etwas an alle Griechen bringen wollte, mußte entweder in Olympia selbst auf­treten oder ein Bildwerk mit Inschrift hinstiften.«[14] Die Poleis, welche sich von der Teilnahme ausschlossen, verloren mehr oder weniger das Recht, sich als Hellenen zu betrachten.

»Das wahre Ziel des Kampfes ist der Sieg an sich, und dieser, namentlich der in Olympia, gilt als das Höchste auf Erden, indem er dem Sieger verbürgt, was im Grunde das Ziel jedes Griechen ist, daß er im Leben angestaunt und im Tode hochgepriesen werden muß.«[15] Der ständige Wettstreit in Übungen ohne direkten, praktischen Nutzen wurde für die volle Entwicklung des Individuums als notwendig erachtet. Die Durchdringung des grie­chischen Lebens mit dem Athletisch-Agonalen und dem Musisch-Agonalen dürfte sich auch in der Erziehung manifestiert haben; nicht in dem Sinne, daß sich jeder zum Wettkämpfer an einer feierlichen Kampfstätte ausgebildet hätte, sondern um sich in den Widerständen des täg­lichen Lebens zu behaupten.

Aus dem Traumbuch des Artemidor geht hervor, daß die Phantasie aller – nicht nur der Wettkämpfer - mit Agonen erfüllt ist. Nicht nur der Einzelne erringt den Triumph, sondern mit ihm sein ganzes Geschlecht und seine Vaterstadt. Der hohe Stellenwert des Ago­nalen zeigt sich an der kuriosen Geschichte von Dorieus, einem Sohn des Diagoras: Sieger in vielen Agonen ergriff er im Peloponnesischen Krieg mit einem eigenen Schiff Partei für Sparta. Er wurde gefangen genommen und vor die Volksversammlung von Athen gebracht - man entließ ihn, ohne ihm das geringste Leid zuzufügen![16] Dies zeigt die Verklärung auf, welche das Volk den Athleten entgegenbrachten – welche sogar einen Feind schonte.

Die Sieger der Agone wurden bis über den Tod hinaus geehrt, man setzte ihnen Denk­mäler. Im agonalen Denkmal soll das irdische Leben, sogar andeutungsweise das Moment­hafte des Sieges, transzendiert und unsterblich gemacht werden. Das Porträtbilden, welches hier mit der ganzen und zwar nackten Gestalt beginnt, hat auf der Welt nie mehr so begonnen. Die Athleten sind eine Kunstgattung, bevor Statuen von Staats- und Kriegs­män­nern oder Dich­tern angefertigt wurden. Der Agon bemächtigte sich des Kultus, indem er speziell dessen musischen Elemente in seinen Bereich zieht und zur Hauptbedingung für einen großen Teil der Poesie wird. Agonal ist das Drama; sowohl die Komödie, als auch die Tragödie. Es gab Agone der Rede, im Dialog als Form der philosophischen Darstellung, in der bildenden Kunst und sogar in Prozessen, sodaß »Agon« zum Terminus technicus für »Pro­zeß« werden konnte.

Daß der Agon eine Form von Rechtsdenken[xxiv] initiierte, geht schon daraus hervor, daß Olympia als bedeutendste Stätte des Agon außerhalb des Einflusses der mächtigsten und ehrgeizigsten Poleis gelegen und somit neutral war. Das gleiche galt für Delphi, welche als be­deutendste Stätte des Musisch-Agonalen aufgrund des Orakels heiliger Boden war, der gene­rell von allen Griechen respektiert wurde. Bei den Kämpfen wurden (idealiter) un­par­tei­ische Kampfrichter eingesetzt, welche gut geschult und redlich gesinnt waren. Ein Richter schien die Voraussetzung für einen Agon zu sein. So waren die Hirten des Theokrit mit ihrem Wettgesang in Verlegenheit, weil kein Richter da war.[17]

Neben den positiven Entwicklungen in der Blütezeit der Agone im fünften Jahr­hun­dert, waren natürlich auch durchaus negative Aspekte anzutreffen. So wie der Sieger umjubelt wurde, war andererseits die Niederlage mit Schande behaftet. Niederlagen wurden ganz ein­fach geleugnet, wie z.B. die Thessalier die des Polydamas leugneten. Aufgrund mangelnder Sach­lichkeit kam es durch Parteinahme des Volkes in Raserei zu Totschlägen, wie die Ermor­dung eines Kitharöden in Sybaris. Nichtkönner wurden blutig gegeißelt und fort­gejagt. Die Kämpfe selbst waren gefährlich, am gefährlichsten waren die Wagenrennen. Es kam zu Ver­letzungen, nicht selten Tötungen. Verstöße gegen die Regeln wurden kaum ge­ahndet. Wagen­rennen waren ein Privileg der Reichen, da nur sie sich den Luxus der Hippo­trophie leisten konnten, womit ein Sieg nicht mehr eine Angelegenheit der Tüchtigkeit war, sondern der peku­niären Ressourcen. Olymioniken wurden bestochen, damit sie andere als ihre wirk­liche Ge­burtstadt als diese ausgaben, wodurch der Ruhm des Siegers auf diese Stadt fiel.

In der Niedergangszeit ging die Bedeutung des Agonalen zurück. Militärs und Philo­sophen brachten den Athleten Geringschätzung entgegen, so Platon und die Hedo­nisten von Aristippos bis Epikur. Während zur Blütezeit die wetteifernde Geltendmachung im Staat im Vordergrund stand, schlug im vierten Jahrhundert die allgemeine Einstellung in Ruhm­sucht um: Der Hauptmaßstab für die Persönlichkeit wurde der Reichtum.[18] Die Gering­schätzung des agonalen Wesens ging sogar so weit, daß sich Athen um 332 v.Chr. lieber von den Olym­pien ausschließen ließ, als eine Geldstrafe wegen eines erkauften Sieges zu be­zahlen. Erst auf die Drohung von Delphi, daß der Gott den Athenern keinen Bescheid mehr geben würde, gab man nach.

Im Leben des antiken Griechen war alles vom Agon durchdrungen. Dieser bestimmte das tägliche Leben von Jugend an, ausgehend von diesem Grundfundament, daß durch Er­ziehen (paideÊein) alles zu erreichen sei.[19] Den Wert des Lebens suchte man im sieg­rei­chen Wettstreit irgendeiner Art, wenn auch nicht unbedingt der Tat, sondern nur der Anschauung nach. Während die griechische Paideusis auf künftiges Können ausgerichtet war[20], liegt nach Burckhardt das neue Ziel der Erziehung (zu seiner Zeit) in einer höheren Schulbildung, wel­che ein »gründliches und dennoch vielseitiges Wissen vermitteln soll«. An die Stelle der »Sehn­sucht nach Ruhm« sei die Geschäftskonkurrenz getreten. Der Mensch suche eher eine Stellung in der Welt und den Erfolg mehr auf der materiellen Seite als die plötzliche glän­zende Anerkennung. Auch die Einstellung zum Wettkampf habe sich derart geändert. Im grie­chischen Agon war die ganze Bevölkerung Zeuge, in der neuen Zeit sei das kaufende, respek­tive zahlende Publikum an deren Stelle getreten.[xxv]

 

In der darauffolgenden Geschichte Europas ist diese kulturfördernde Haltung nie wieder in dieser Form aufgetaucht.

 

Die römischen Feste und Spiele mit ihren Kämpfen in der Arena wurden von Gladiatoren geführt, welche um ihr Leben kämpfen mußten. Die Gladiatoren waren profes­sio­nelle Kämpfer, welche in erster Linie aus den Reihen der Sklaven, Verbrecher und Kriegs­ge­fan­genen rekrutiert wurden. Sie konnten sich ihre Rolle nicht aussuchen, sie hatten keine Wahl.

 

Die mittelalterlichen Ritterturniere wurden zwischen Angehörigen der gleichen, geho­benen, sozialen Schicht ausgetragen[xxvi]. Die Turniere dienten in Friedenszeiten der Auf­recht­er­hal­tung der Kampfkraft. Es wurden Scheingefechte nach festen Regeln geliefert.[21] Die Tur­niere wendeten den Krieg mehr ins Spielerische. Der Adelige verschmäht die Tarnung und die Fernwaffen. Der Krieg ist ein geregeltes Spiel der Elite. Nahkampf und Zweikampf stan­den im Vordergrund, ohne Hinterhalt und ohne Massenheere.[22] Die Kriege zwischen den abend­ländischen Staaten wurden zu Turnieren, zu Einzelgefechten von Rittern nach inter­nationalen Regeln, ohne Taktik und Täuschung.[23] Das Rittertum war wegen seiner hohen, gesellschaft­lichen Werte[xxvii] das Lebensideal für mehrerer Jahrhunderte.[24] Der Ritter kämpfte nicht für Ge­winn, sondern für Ehre und Ruhm.[25] Aus den illiteraten Anfängen des Rittertums im 9. Jahr­hundert ent­wickelte sich ein Ideal, welches sich derart utopisch übersteigerte, daß niemand - auch nicht die Dichter - danach leben konnte.[26] Die Ritterideen hatten auf die Kriegsführung einen nega­tiven Einfluß, da Ehrerwägungen hinter strategische Erwägungen zurücktraten.[27] So verlor König Johann der Gute die Schlacht von Poitiers gegen die zahlenmäßig unter­le­gene, eng­lische Armee, weil er sich auf ritterliche Kampfregeln versteifte.[28]

 

Die im 12. Jahrhundert vom französischen Adel zu einem hochkomplexen sportlichen Schauspiel entwickelten Turniere dienten als Chance für die unversorgten, jüngeren Söhnen von Adelsfamilien,­ sich ehrenhaft Dienst und Lohn zu verschaffen und hatten Zähmungs­charakter.[29] Auf diese Weise wurde eine geregelte Kontrolle als auch aktive Übung für die Fertigkeiten ausgeübt, welche zu aktiver Gewaltausübung im Kampf befähigten.[30] Das Duell, welches sich in der Ausgangszeit des Mittelalters ausbildete, war ein Kampf um die Ehre. »Um die Ehre zu kämpfen, erscheint um so notwendiger als eine Angelegenheit auf Leben und Tod, je geringer die Spielräume für aristokratische Ehre außerhalb der durch Kampf und Dienst begründeten Sondergemeinschaft zwischen Fürst und Adel werden.«[31] Die Duell­fähig­keit hatte eine soziale Qualität; Satisfaktionsfähigkeit bedeutete Zugehörigkeit zur obersten, sozialen Klasse, der Aristokratie.[32] Sie war der Garant für die Distinktion des Adels gegen­über den anderen Gruppierungen der Gesellschaft: den Untertanen. Wenn der Standes­unter­schied zu groß war, durfte man sich nicht duellieren.[33] So wies der Dichter Achim von Arnim im Jahr 1811 eine Herausforderung Moritz Itzigs zum Duell, welche er durch ein provokantes Verhalten in einer Gesellschaft hervorgerufen hatte, mit der Begründung zurück, daß er sich nicht mit einem Juden schlagen könne und ließ sich diese Position durch ein Gutachten von Edelleuten und Offizieren zertifizieren.[34] Heinrich Heine wurde durch die sogenannte Göt­tinger Duell-Affäre in seiner gesellschaftlichen Stellung geächtet, weil ihm durch einen Kon­trahenten, Wibel, die Satisfaktion verwehrt wurde, obwohl dieser zugab, den beleidi­genden Ausdruck nicht in Hitze, sondern absichtlich gebraucht zu haben.[35] Durch eine der­artige Vorgangsweise wurde eine Anerkennung des gleichwertigen sozialen Status ausge­drückt. Andererseits hatte die Ablehnung eines Duells bei gegebener sozialer Satis­fak­tions­fähigkeit eine Ächtung zur Folge. Wer nicht bereit war, unter Einsatz seines Lebens seine Ehre zu verteidigen, wurde als Feigling angesehen, dem man jede Form des Respekts ver­sagte. Der Sohn Goethes, August, wollte sich einer Duellforderung Rittmeisters von Werthern stellen, sein Vater machte jedoch seinen Einfluß geltend, sodaß das Duell verhindert wurde. August von Goethe erntete dafür den Spott Weimars.[36] Schnitzler zeigte in seiner Novelle Leutnant Gustl die Skurrilität des Duellwesens auf und handelte sich damit eine Duell­auf­forderung des Chefredakteurs der »Reichswehr« ein. Er nahm diese Herausforderung nicht an. Als der Re­serve­offizier Dr. Schnitzler auch der Ladung des »Ehrenrätlichen Ausschuß I für Land­wehr­of­fi­ziere und Kadetten« nicht nach­kam, wurde ihm sein Offiziersdiplom aberkannt.[37] Als Be­gründung wurde neben Herab­set­zung der Ehre und des Ansehens der Armee auch angeführt, daß er nichts gegen die per­sön­lichen Angriffe der Zeitung »Reichswehr« unternommen habe.[xxviii] Anfang 1807 bezeichnete Graf Colloredo-Mansfeld den Fürsten Pückler-Muskau in Zusammenhang mit einem anderen Duell als Feigling und verweigerte ihm die Genugtuung mit der Begründung, daß er sich zu­vor mit einem anderen Gegner schlagen müsse. Seine fluchtartige Abreise half nichts. Pückler ritt ihm nach und bearbeitete ihn auf schimpfliche Weise mit einer Reitpeitsche.[38] Diese Vor­gangs­weise kann durchaus als Ausdruck allergrößter Verachtung interpretiert wer­den und doku­mentiert die allgemeine Einstellung dieser Zeit: Wer nicht bereit war, seine Ehre zu ver­teidigen, galt - nichts.

Obwohl die staatliche Gewalt die Teilnehmer an Duellen mit drakonischen Strafen be­drohte und die Kirche sie exkommunizierte, weitete sich das Duellwesen zu einer richtigen Seuche aus. So leidet Frankreich seit Ausbruch der Religionskriege im Jahre 1562 unter der Pest der Duelle. Man schätzt, daß Anfang des 17. Jahrhunderts jährlich an die 350 Duelle mit töd­li­chem Aus­gang stattfinden.[39] Amerika war zu Beginn der Kolonialzeit nicht duell­freund­lich, aber das New York um 1780 ist eine Stätte, in der das Duellieren eine rich­tige Mode ge­worden ist und pro Woche fünf Duelle stattfinden.[40] Der geringfügigste Anlaß - es mußte nicht einmal eine Beleidigung sein - genügte als Anlaß für ein Duell - schon wegen einer spöt­­tischen Geste wurde zur Waffe gegriffen![41] Ursprünglich als Garant für die Zuge­hörigkeit zur aristokratischen Sonder­gemeinschaft des Fürstendienstes[42], wurde in späterer Zeit das Duell auch von bürger­lichen Schichten und sogar von Sozial­demokraten gepflogen - obwohl diese es ver­warfen![43] Trotz Bekämpfung der Duelle durch die staat­lichen Gewalten (welche von Adeligen, den Königen, repräsentiert wurden), duellierte sich der Politiker Andrew Jackson, der spätere, siebente Präsi­dent der Vereinigten Staaten[44], genauso wie der Vize­prä­si­dent der Vereinigten Staaten, Aaron Burr[45], der Generalpolizei­direktor von Berlin, Hinckel­dey[46] oder ein Bismarck[47]. Das ade­lige Standesdenken war stärker als das Rechts­empfinden.

Duelle waren keine Schauspiele mit Unterhaltungscharakter wie die Schaustellung eines Kamp­fes nach Regeln im Valencienne des Jahres 1455. Bei diesem berühmten Keulen­kampf zweier gewöhnlicher Bürger wurde der Unter­legene aufgehängt, was die Zuschauer genauso unterhielt wie der Kampf selbst![48] Duelle wurden heimlich ausgefochten und bewegten sich außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens, trotzdem wurden strenge Regeln eingehalten.

So kritisierte Andrew Jackson als Sekundant eines jungen Offiziers, Hauptmann William Carroll, dessen Gegner, Jesse Benton[xxix], weil sich dieser beim Kommando »Feuer« nieder­kauerte und aus dieser Position feuerte. Ein solches Verhalten sei eine Schande, er habe sich nicht korrekt dem Gegner zugekehrt.[49]

Bei einem Duell zwischen Charles Dickinson, dem besten Schützen von Tennesee, und Andrew Jackson wurde vereinbart, daß die Sekun­danten jeden erschießen würden, welcher zu früh feuern sollte. Dickinson hatte mit seinem Schuß Jackson in die Brust getroffen, dieser blieb jedoch stehen. Als Dickinson seinen Platz verließ, wurde er vom Duelleiter mit der Dro­hung, ihn zu erschießen, auf seinen Platz zurückbeordert. Jackson tötete Dickinson mit seinem Schuß, was ihm allerdings die Kritik einbrachte, einen wehrlosen Mann getötet zu haben.[50]

Beim Duell zwischen Friedrich von Hinckeldey und Hans von Rochow versagte die Pistole von Hinckeldey. Rochow senkte da­rauf­hin seine Waffe und erst als Hinckeldey eine andere, funktionstüchtige Pistole hatte, wurde das Duell ausgetragen. Hinckeldey fand dabei den Tod.[51] Die Bedeutung und Eigenart des damaligen, für unsere Zeit wohl unverständlichen, Ehr­begriffs geht aus den weiteren Ereignissen hervor: Rochow stellte sich nach dem Duell, wurde aller­dings gegen sein Ehren­wort, die Stadt nicht zu verlassen, nach Hause geschickt. Er wurde erst am Abend von der Kriminalpolizei verhaftet. Am Todestag Hinckeldeys bat dessen Gattin bei König Friedrich Wilhelm IV. um Gnade für den inhaftierten Rochow (!), welcher diesem Gesuch auch nach­kam und Rochow freisetzte.[52] Der König hatte schon bei der Benach­richtigung über den Tod seines General-Polizei-Direktors für Rochow die anerkennenden Worte gefunden, »er sei ein Edel­mann«[53]. Die Ursache des Duells lag in einer Amtshandlung Hinckeldeys, welche er über Auftrag des Königs durchgeführt hatte und bei der es darum ging, gegen das über­hand­nehmende Hasardspiel in adeligen und Offiziers­krei­sen vorzugehen. Die Tragödie nahm ihren Lauf, weil die einschreitenden Beamten sich an­scheinend nicht eines Benehmens befleißigten, welches den Angehörigen der höheren Stände zukam und Hans von Rochow dadurch verärgerten. In der Folge entstand für Rochow – an­scheinend sehr subjektiv - der Eindruck, daß in einem Ge­sprächsprotokoll einer Be­schwer­de seine Angaben nicht richtig wiederge­geben worden seien. Der angerufene Ehrenrat wies je­doch ein Einschreiten mit der Begrün­dung zurück, daß es sich bei der ganzen Ange­le­genheit um ein Mißverständnis hand­le, woraufhin Rochow Hinckeldey öffentlich einer »amt­lichen Lüge« bezichtigte. Es wäre un­vor­­stellbar gewesen, wenn Hinckeldey auf diesen ehren­rüh­rigen Vorwurf nicht reagiert hätte - er forderte Rochow zum Zwei­kampf. Das Kuriose an die­ser Geschichte: Rochow war gar nicht Gegenstand und Ziel dieser Amtshandlung, sondern zwei Offiziere, mit denen er Um­gang pflegte.[54]

Gerade dieses Duell zeigt einerseits eine „hohe Gesinnung“, die dem mittelalterlichen Ritter­ideal entspricht, Edelmut, Tapferkeit, andererseits aber auch die Skurrilität, Verwerf­lichkeit und nicht kontrollierbare Eigendynamik des Duell(un)wesens: Am Anfang dieser Tragödie stand eine Pflicht­handlung[xxx], durch ein Mißverständnis wurde das Ehrempfinden verletzt, was nach dem dama­ligen Verständnis nur mit Blut[xxxi] gesühnt werden konnte. Beide Akteure- und die betroffenen Dritt­personen - zeigten Noblesse im besten Sinne des Wortes und trotzdem en­de­te die Affäre mit dem Tod eines Menschen - wofür? Hier wurde nicht ein Raufbold, Tau­ge­­nichts, ein Ver­brecher oder ein Tunichtgut getötet, sondern unzweifelhaft ein Ehren­mann![xxxii]

Mit einer radikalen Verurteilung dieser barbarischen und unsinnigen Kulturerscheinung aus heutiger Sicht ist jedoch Skepsis angebracht: Obwohl Duelle eindeutig widerrechtlich, d.h. ge­setzwidrig waren, wäre es einem Duellanten niemals einge­fallen, seinen Gegner in den Rücken zu schießen oder einen waffenlosen Kontrahenten zu töten. Jeder der Duellanten hatte die gleiche Chance. In unserer Zeit ist es Mode gewor­den, unbe­waffnete Menschen mit mo­dernstem Kriegsgerät zu töten - und dies nur aus einer Posi­tion heraus, die eine Gefährdung der eigenen Person mit Sicherheit ausschließt. Es darf berechtigterweise angezweifelt werden, daß der Verlust der Ehre[xxxiii] in unserer Gesellschaft ein Fortschritt war.


 

Die Kunst des Kampfes in der fernöstlichen Tradition

 

Nach Dolin haben alle fernöstlichen Kampfkünste ihren Ursprung im Yoga, dem Prototyp aller Systeme eines psychophysischen Trainings, welches als Ziel die Vervoll­komm­nung von Körper und Geist hatte. Die Entstehungszeit des Yoga ist unbekannt, es wur­den je­doch Tontäfelchen mit Abbildungen von Yogis in ihrer typischen Haltung in den Rui­nen von Mohendscho-Daro und Harappa (3.Jahrtausend v.Chr.) gefunden.[55] Die ersten Er­wäh­nungen des Nahkampfes tauchten im Rigveda auf.[xxxiv] In Indien gab es bereits in prähistorischer Zeit zahllose Schulen der Kampf­künste. Unser Wissen über die Tradition der Kampfk­­ünste aus dieser Zeit ist mangels feh­lender Geschichtswissenschaft und der Geheim­haltung dieses Wis­sens nur bruchstückhaft[xxxv] überliefert worden. Sehr wenige Schulen der indischen Kampf­künste haben sich erhalten, vor allem, da sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ver­boten und von den Kolonialherren verfolgt wurden. Die Kampfkunst des Kalari-payat über­lebte jedoch in den entlegenen Provinzen. Die Ent­stehungsgeschichte dieser Kampfkunst, welche ihre Ur­sprünge in der Philosophie des Hindu­ismus hatte, reicht bis in die Mitte des ersten Jahr­hunderts v. Chr. zurück. Mangels schrift­licher Aufzeichnungen läßt sich die ur­sprüngliche Variante nicht mehr zurückverfolgen. Bekannt ist nur, daß das Kalari-payat vom 12. bis 14. Jahrhundert breite Anwendung auf den Schlacht­feldern fand und vom 15. bis zum 17. Jahr­hundert den Gipfel seines Ruhmes er­reichte. Heute existiert das einzige Zentrum in Tri­vandrum, der Hauptstadt des Staates Kerala.[56]

Im fernen Osten, wie in China, Korea, Japan und Vietnam, hatte der Begriff der Kampf­­künste einen anderen Sinn als im Westen: Nicht der Sieg über einen Gegner war das Ziel, sondern der Sieg über sich selbst, die Überwindung der eigenen Schwächen und Feh­ler.[57] Kampfkunst[xxxvi], als Waffe der Zerstörung, war für seine Schöpfer ein Mittel der Krea­tivi­tät, des Erschaffens des eigentlichen Menschen, seines Körpers und seines Geistes, seiner Form und auch seines Inhalts.[58]

 

 

 

»Man kann sich nicht selbst kennen, wenn man die anderen nicht kennt. In allem, was man tut, gibt es Irrwege.« Musashi, Das Buch der fünf Ringe, S. 65

 

 

Miyamoto Musashi.[xxxvii]

 

Das Leben von Shinmen Musashi-no-kami Fujiwara no Genshin, bekannter unter dem Namen Miyamoto Musashi[xxxviii], eines herrenlosen Samurai (Rônin), mag hier als Beispiel für die japanische Tradition der Kampfkunst angeführt werden.

Musashis Vorfahren stammten aus einer der einflußreichsten Adelsfamilien Japans. Als der mutterlose Musashi sieben Jahre alt war, verschwand oder starb sein Vater und er wurde von einem Onkel, welcher Priester war, großgezogen. Der Waisenknabe wuchs in einem bürgerkriegsähnlichen Land auf. Er dürfte ein eigenwilliger und ungestümer Raufbold gewesen sein. Seinen ersten Gegner erschlug er mit dreizehn Jahren und sein ganzes Leben widmete der dem „Weg des Schwertes“ (Kendô). Mit neunundzwanzig Jahren hatte er über 60 Kämpfe bestritten, ohne je besiegt worden zu sein. Seinen bedeutendsten Kampf führte er im Jahre 1612 gegen Sasaki Kojirô, der einen exzellenten Kampfstil entwickelt hatte, welcher sich aus der Bewegung des Schwalbenschwanzes beim Flug herleitete. Musashi erschlug Kojirô, welcher sein stählernes Langschwert benutzte, mit einem Holzschwert, welches er auf der Fahrt zum Ort des Kampfes aus dem Reserveruder des Bootes zurechtgeschnitzt hatte. An seiner Unbesieg­barkeit konnte nicht mehr gezweifelt werden und von da an wurde das Kendô für ihn immer mehr Mittel auf dem Weg zur vollkommenen Erkenntnis. Er und sein Adoptiv­sohn Iori, den er als heimatlosen Knaben auf einer Reise aufgelesen hatte, schlossen sich den Tokugawas an und er gehörte dem Generalstab vor Shimabara an, wo die japanischen Chris­ten in einem Blutbad umkamen. Nach einigen Jahren als Gast bei Hosokawa Chûri im Schloß von Kumamoto zog er sich als Einsiedler in die Höhle Reigendô zurück, wo er das Gorin-no-sho, das Buch der fünf Ringe, schrieb.

In diesem Lehrbuch entwickelt er den Weg des Kriegers (Bushidô) und grenzt diesen Weg gegen die anderen Wege, wie den Buddhas, des Konfuzius, des Arztes, des Dichters, des Bogenschießens oder Teetrinkens ab. Der Weg des Kriegers sei ein doppelter: der des Schwertes und der des Schreibpinsels. Beides übe der Krieger beharrlich. Der Weg Buddhas führt zur Erlösung, der Weg des Konfuzius zum Lernen, der Arzt heilt Krankheiten. Auch Priester, Frauen und Bauern haben aus Pflicht- und Ehrgefühl eine Bereitschaft zum Tod. Die unbedingte Bereitschaft des Kriegers zum Tod unterscheidet sich dadurch, daß er Heihô, das Gesetz der Samurai übt, mit dem Ziel, seinen Gegner zu besiegen. Der Krieger hofft dadurch Ruhm und Ansehen für sich oder seinen Herrn, dem Daimô, zu erwerben und sich in der Tugend des Schwertkampfes zu vervollkommnen. Musashi übt harte Kritik an den Lehrern der Schwertkunst, welche sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen und damit die Schwertkunst zu einer Fechtkunst degradieren. Die Schwertkunst sei zwar zweifellos eine Kunst, aber selbst als nützliche Tätigkeit beschränke sie sich nicht auf das bloße Kämpfen. In ihrem wahren Wert gehe sie immer über die reine Technik hinaus.[59]

 

Der Weg der Schwertkunst wird in fünf Wege[xxxix] unterteilt:

Im Buch der Erde erläutert Musashi die Anschauungen seiner eigenen Schule. »In der Aus­übung der Schwertkunst allein kann der wahre Weg des Schwertes nicht erfahren werden. Es geht darum, vom Kleinen zum Großen, vom Flachen zum Tiefen erkennend voranzu­schreiten.«[60]

Im Buch des Wassers geht es darum, daß das Herz wie Wasser werde. Wasser ist formlos und gestaltlos. Es schmiegt sich überall an, zuweilen ist es ein Tropfen, dann wieder ein Meer. Vom Einzelnen wird auf das Allgemeine geschlossen. »Das Prinzip der Schwertkunst ist es, an einem Ding zehntausend Dinge zu erkennen.«[61]

Das Buch des Feuers handelt vom Kämpfen. Das Feuer, ob groß oder klein, besitzt eine außer­­ordentliche Kraft und nach diesem Bild wird der Kampf beschrieben.

Im »Buch des Windes«[xl] findet eine Auseinandersetzung mit den anderen Schulen der Schwert­kunst statt.

Im Buch der Leere wird der wahre Weg entwickelt, indem man seiner Natur folgt. Aus der „Leere“ folgt, daß weder ein Anfang, noch ein Ende ist: Man darf sich nicht an ein ange­eig­netes Prinzip klammern. »Der Weg des Schwertes ist der Weg des Selbstver­ständ­lichen.«[62] Aus dem Selbstverständlichen erwächst eine ungewöhnliche Kraft. In Über­ein­stim­mung mit Zeit, Ort und richtigem Rhythmus wird der Hieb gegen den Gegner und die Abwehr des geg­ne­rischen Hiebs wie von selbst erfolgen.

 

            Als »Meister der Kampfkunst« wird genannt, wer das Langschwert beherrscht.[xli] Auch das Gewehr, der Speer und die Hellebarde gehören als Waffen zur Kampfkunst, aber nur durch die Tugend des Langschwerts beherrscht man die Welt und das eigene Ich, weshalb es die Grundlage der Kampfkunst ist. Die Schwertkunst ist eine Summe von Techniken, welche ein Samurai beherrschen sollte.[63] Musashi hebt die besondere Bedeutung der Wahl des rich­tigen Zeitpunkts und des richtigen Rhythmus für die Schwertkunst heraus. Bei Tanz und Mu­sik sei die Bedeutung des Rhythmus am klarsten, weil eine Harmonie nur durch den Einklang mit dem Rhythmus zustande kommen kann. So wie alle Lebensweisen[xlii] haben alle Kampf­tech­niken ihren eigenen Rhythmus. »Selbst das Nichtgreifbare besitzt Rhythmus.« Der Rhyth­mus bestimmt den Verlauf eines Kampfes, gleichgültig, ob in der Schlacht oder im Ein­zel­kampf. Entscheidend ist die Kenntnis des gegnerischen Rhythmus und des eigenen, um die eigene Taktik umsetzen zu können.[64]

 

Musashi stellt folgende Regeln zum Erlernen seiner Schwertkunst auf:

 

1.     Habe nie arglistige Gedanken.

2.     Übe dich unablässig darin, dem Weg zu folgen.

3.     Mache dich vertraut mit allen Techniken und Künsten.

4.     Studiere die Wege vieler Tätigkeiten und Berufe.

5.     Lerne an allen Dingen Gewinn und Verlust zu unterscheiden.

6.     Entwickle deine Fähigkeit, die Dinge auf den ersten Blick zu durchschauen

7.     Bemühe dich, das Wesen auch dessen zu erkennen, was unsichtbar bleibt.

8.     Vernachlässige nie deine Aufmerksamkeit auch gegenüber den kleinsten Dingen.

9.     Halte dich nicht mit nutzlosen Beschäftigungen auf.[65]

 

Er rät seinen Schülern im Buch des Wassers, dieses Buch zu überdenken, warnt aber andererseits davor, daß man die Regeln des Heihô nicht durch das ausschließliche Lesen des Buches begreift, sondern daß man diese Regeln internalisiert und sich so völlig durch inten­sives Studium zu eigen macht, daß man glaubt, sie selbst entdeckt zu haben.[66] In seiner Schwert­­kunst ginge es darum, daß einer mit jedem Kampf sein Schicksal herausfordere; daß er das Prinzip von Leben und Tod begreife; daß er beurteilen könne, ob der angreifende Geg­ner ein starkes oder schwaches Schwert führt; daß er die Techniken des Gebrauchs des Schwertes kenne und wisse, wie man dem Gegner das Schwert wegschlägt; daß er willens sei, zu üben.[67] Der einzig wahre Sinn des Heihô sei, mit dem Gegner zu kämpfen und ihn zu be­siegen, einen anderen Sinn gebe es nicht.[68] Erst wenn der Gegner innerlich zerbrochen, d.h. die geistige Kraft des Gegners gebrochen ist und er sich in seinem tiefsten Inneren geschla­gen fühlt, besteht keine Notwendigkeit mehr, ihn weiter zu bekämpfen. Musashi nennt dies »Durch­­stoßen bis zum Grund«.[69]

 

Das Buch der Leere [xliii]

 

»In diesem ›Buch der Leere‹ lege ich den Weg der Nitô-ichi-ryû-Schwertkunst nieder.

Die Leere ist das, in dem nichts existiert; sie ist das, was Menschen zu wissen unmöglich ist. Aller­dings – die Leere ist das Nichts.

Indem du das Existierende erkennst, wirst du auch fähig werden, das Nicht-Existierende zu erken­nen. Das Nicht-Existierende – das ist die Leere.

Die Menschen in dieser Welt sind der Ansicht, wenn sie etwas nicht begreifen können, sei dies die Leere. Das ist nichts als Täuschung.

Auf dem Weg der Schwertkunst gibt es diejenigen, die, weil sie als Samurai die Samurai-Art nicht erfassen, vielerlei Täuschungen ausgesetzt sind und das ihnen nicht Begreifbare als die Leere bezeichnen. Doch dies ist ebenfalls nicht die Leere im eigentlichen Sinne.

Als Samurai den Weg der Schwertkunst genau zu erfassen, sich die verschiedenen Techniken anzueignen, hinsichtlich des Berufs als Samurai nichts außer acht zu lassen, das Herz klar zu er­halten, sich täglich und stündlich der Ausbildung zu befleißigen, Weisheit und Kraft des Geistes zu schärfen, sich Urteilskraft und Wachsamkeit anzuerziehen, um mit alledem jegliche Täuschung fortzuwischen – dies erst versetzt dich in einen Zustand, der als die wahre Leere bezeichnet werden kann.

Solange du nicht zum wahren Weg erleuchtet bist, ob es nun der Weg Buddhas ist oder der Weg irdischer Vernunft, wirst du von dir aus glauben, die Dinge seien richtig und gut. Betrachtest du sie aber mit unverfälschtem Sinn und mißt du sie mit der Elle der wahren Welt, so erkennst du, daß ein jeder unterschiedliche Ansichten und Lehren hat, die vom wahren Weg abweichen. Begreife meine Lehre, halte dich an die Geradheit, nimm die Wahrheit zur Richtschnur, und verbreite so den Weg der Schwertkunst unter den Menschen, auf daß sie aufrecht, klar und mit dem richtigen Ur­teil über die Dinge leben.

Dann wirst du dahin kommen, daß du die Dinge klar und deutlich begreifst und erkennst: Die Leere, das ist der Weg, und der Weg, das ist die Leere.

Die Leere hat Gutes, nicht Böses. Es gibt Weisheit, Verstand und den Weg, und es gibt die Leere.«[70]

 

Die Essenz der Lehre Musashis ist sehr bemerkenswert: Sie zeigt die Entwicklung eines Raufbolds und Totschlägers auf dem Weg des Schwertes nicht nur zu einem exzellenten Krieger, sondern auch zu einem Künstler und Handwerker, dessen Arbeiten in Japan als höchste Meisterwerke geschätzt werden.[71] Kendô erweist sich derart als weit mehr, als die Kunst des Kämpfens zu erlernen.


Die Kunst des Kampfes besteht in der Über­windung eines überlegenen Gegners.

 

 

Kung Fu[xliv]

 

                Über die historische Entwicklung der Kampfkünste in China fehlen zuverlässige schriftliche Aufzeichnungen, da dieses Wissen unter höchster Geheimhaltung tra­diert wurde[72]. Nach Holcombe - im Gegensatz zu Dolin - waren die Kampfkunstmeister illiterat und deshalb nicht in der Lage ihr Wissen schriftlich zu tradieren. Eine weitere Fehlerquelle bildet die legendenhafte Weitergabe, welche es schwierig macht, die außerordentlichen Fähigkeiten der alten Meister zu beurteilen.

                Der Terminus »Kung Fu« ist per se schon höchst verwirrend. Er tauchte erst sehr spät in der chinesischen Kultur auf und ersetzte den Begriff »Dao Yin« (wörtliche Bedeutung: »Führer, Leiter des Qi«) als Verfahren zur Lebensverlängerung und Verbesserung der Ge­sundheit.[73]  Unter »Kung Fu« wurde die Gesamtheit der östlichen Körperübungen im 18. Jahr­hun­dert im Westen eingeführt und hat sich auch im heutigen China unter dieser Bezeich­nung eingebürgert, allerdings in der Bedeutung von sportlicher Tätigkeit. Die ursprüngliche Be­zeich­­­nung für »Kampfkunst« war 武術 (WUSHU) und dieser Terminus wird auch heute noch in einigen Regionen Chinas für »Kung Fu« verwendet. »Kung Fu« als Transliteration von 工夫 (GONGFU) hat die Bedeutung einer »mit Geschicklichkeit aus­geführten Übung«[74]bzw. »hartnäckige Arbeit«, »Eifer«, »hingebungsvoller Fleiß«[75]. Ein tradi­tioneller, chine­­sischer Meister wird jedoch auch heute noch die Schriftzeichen für WUSHU als »Kung Fu« lesen. Im allgemeinen Verständnis hat »Kung Fu« jedoch heute die Bedeutung von »Kampf­­­sport«.

                Kennzeichnend für ein traditionelles Verständnis von Kung Fu ist auch heute noch eine holistische Sichtweise: An erster Stelle eines Kampfkunst-Trainings steht immer die Ge­sundheit (an Körper, Geist und Seele), der Verteidigungsaspekt erst an zweiter. Der Zweck von Kung Fu liegt im Erwerb von Anstand (die Gesinnung), gutem Benehmen (das äußere Auf­treten), Geduld, Ausdauer und erst an letzter Stelle die Kunst des Kämpfens.

Im traditionellen Verständnis war das erste Gebot der Kampfkunst: »Gehe nie in einen Kampf ohne ein edles Ziel…«. Kampfkunst war eine Waffe der Zerstörung, aber »für seine Schöpfer auch Mittel der Kreativität, der Erschaffung des eigentlichen Menschen,[xlv] seines Körpers und seines Geistes, seiner Form und auch seines Inhalts.«[76] Nach dem chine­sischen Kriegskanon war nur ein Mensch mit einer weitherzigen Seele, ein gebildeter Mensch, würdig, sich das Erbe der alten Human- und Kriegswissenschaften anzueignen. Nur der edle Mensch im Sinne des Konfuzius konnte ein echter Krieger sein.[77] Der Philosophie der Kampfkunst liegt der ur­alte Gedanke des Kampfes des Guten mit dem Bösen zugrunde, es ist der Kampf des Men­schen um sich selbst.[78] Der Begriff der Kampfkünste hatte im Osten einen völlig anderen Sinn als im Westen. »Nicht der Sieg über einen Gegner war das Ziel beim Studium des Kempo[xlvi], son­dern der Sieg über sich selbst, die Überwindung der eigenen Schwächen und Mängel. Die Schule des Kempo war eine Schule des Lebens.«[79] Besonders für die Meister des QUAN­SHU[xlvii] der „inneren“ Stile war WUSHU die Aufgabe, „ein wahrer Mensch“- i.S.d. tao­is­tischen Tradition - zu werden.[80]

                Eine Erfassung der mentalen[xlviii] und körperlichen Aspekte dieses alten Weges ist nach Auffassung des Verfassers nur dadurch möglich, daß man diesen Weg „nachgeht“[xlix] - der eigenen Zeit und den eigenen Lebensumständen entsprechend angepaßt.[l] Eine wissen­schaft­liche (d.h. rein theoretische) Aufarbeitung, welche sich auf das Studium vorhan­dener Schrif­ten beschränkte, würde das Wesen der Kampfkunst genauso verfehlen wie eine Praxis als Kampf­sport, da hier die Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, in einem fairen[li] Wettkampf zu be­weisen, daß man der Bessere ist. Bei Wettbewerben ist das Ziel, der Beste, der Erste zu sein. Es liegt hier ein sehr restringierter Ansatz vor. Eine Praxis von Kung Fu orientiert sich nach einem existen­tiellem Horizont, d.h. es handelt sich um einen Lebensweg[lii]. Entscheidend ist nicht, der Bessere zu sein, sondern sich im Lebenskampf zu bewähren und zu bestehen – m.a.W.: ein erfolg­reiches, erfülltes Leben zu führen, „der Meister“ seines eigenen Lebens zu sein. Der physische Kampfaspekt ist die „primitive“ Ebene dieses Weges, welcher als Hilfs­mittel zum Verständnis der geistigen Aspekte dient.

 

                Die Ursprünge der chinesischen Kampfkünste sollen zwar auf die Zeit des legen­dären Kaiser Huang Ti[liii] zurückgehen[81], verläßlich können sie jedoch nur bis zur Zhou-Dynas­tie[liv] zurückverfolgt werden. Zu dieser Zeit existierte bereits der Brauch von Zwei­kampf­tur­nie­ren ohne Waffe und »QUAN« (»Faust«) wird das erste Mal als Variante von »WU­SHU« („Kampf­kunst“ - »die Kunst des Kampfes«) erwähnt.[82] Bei Grabbeigaben aus der Han-Dy­nas­tie zur Zeit des ersten Han-Kaisers[lv] fand man auf einem Tuch Darstellungen von tao­is­tischen Gym­­nastik­­übungen, welche die Vorläufer des chinesischen Schattenboxens waren.[83] Auf­grund dieser langen Tradition haben sich die verschiedensten Techniken und Stile ent­wickelt, wo­­bei sich heutige Angaben divergierend auf eine Anzahl zwischen 600 und 2000 be­laufen, d.h. un­übersehbar sind.

                In der Mitte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zeichnete sich eine Auf­spaltung in der WUSHU-Tradition ab.[84] Es entwickelte sich neben den taoistischen Wur­zeln eine buddhistische Tradition.

 

WAIJIA, die „äußeren“ Schulen

 

                WAIDAN, die Schule der „äußeren Chemie“, legt die Emphase auf die kör­per­lichen Aspekte der Kampfpraktiken. Das Training basiert auf Muskelkraft, die Ge­wandt­heit und die Beherrschung des Atems. Angestrebt wird eine Unverwundbarkeit des Kör­pers, nicht nur gegen Schläge, sondern auch gegen Verletzungen durch blanke Waffen.[85]

Das berühmte Shaolin-Kloster, welches auch heute noch die Sehnsucht aller Kung-Fu-Prak­ti­kan­ten in der ganzen Welt ist, in der Provinz Henan im Norden Chinas gilt als die Mutter aller Kampfkünste. Es existierte noch ein anderes Shaolin in der Provinz Fujian, wel­ches in der Mit­te des 8. Jahrhunderts erbaut wurde, sowie ein weiteres in der Provinz Hebei und zwei wei­­tere, kleinere Klöster in Guangdong und Sichuan.[86] Allgemein wird ange­nommen, daß die öst­lichen Kampfkünste sich aus Shaolin über Asien verbreitet haben. Von den südlichen Nach­barn Chinas, wie Korea, wird dies bestritten und auf eine eigene Tradition hingewiesen.[87]

                Das Shaolinsche QUANSHU ist der Ursprung der „äußeren“ Richtung, WAIDAN, und geht auf den legendären Bodhidharma zurück, dem Sohn eines indischen Radschas, welcher als Sohn des Herrschers die traditionellen Kampfkünste, die alten Veden und die buddhistischen Sutras studierte.[88] Mit vielseitigen Talenten ausgestattet, trat er aus Interesse an den heiligen Wahrheiten des Buddhismus in die Sekte des Yogacara ein und wurde An­hän­ger des Dhyana (chin.: Chan, japan. Zen). Die her­vor­stechendste Besonderheit der zu jener Zeit populären Yogazauberer war die sitzende Meditation. Von Missionarseifer erfüllt, ging er 520 n. Chr. nach China, weil dort angeblich der Buddhismus unterdrückt würde. Entgegen seinen Er­war­tungen fand er ein Land vor, in welchem der Buddhismus prosperierte, gab nach einer religiösen Meinungs­ver­schiedenheit mit Wu, dem Herrscher des Reiches der Nörd­lichen Wei, seinen Mis­sio­nie­rungs­­gedanken auf und zog sich in das kleine Kloster Shaolin zurück. Bod­hid­harma soll neun Jahre lang völlig un­beweglich in einer Berggrotte in der Nähe des Klosters ohne Schlaf und Ruhe meditiert habe. Er hielt es für unmöglich, die „Erleuchtung“ ohne lange und harte Prüfungen von Körper und Seele zu erlangen. Seine Lehre zeichnete sich im Unterschied zum orthodoxen Buddhismus durch Flexibilität, Liberalität, Weitherzig­keit der Anschauungen und durch eine besondere Anpas­sungsfähigkeit aus. Die Verbindung der chinesischen, religionsphilosophischen Theorie mit der Praxis des Yoga führ­te zu zahl­reich angewandte Chan-Disziplinen und sein Einfluß auf die klösterlichen Kampf­künste ist als hoch ein­zu­schätzen. Die Tradition der klösterlichen Kampfkunst wurde schon vor Bodhi­dharma ge­pflegt, war jedoch fast einhundert Jahre in Ver­gessenheit geraten. Als Bodhidharma zum Shaolin-Kloster kam, fand er die Mönche in einem schlechten, kör­per­lichen Zustand vor. Als er seine neunjährige Meditation beendet hatte, schrieb er zwei Bücher: das Yi Jin Jing (»Abhandlung über die Übung der Muskeln«) und das Si Souei Jing (»Ab­handlung über die Spülung des Marks«). Das zweite ging verloren, aber die Technik des Qi Gong, die diesen Namen trägt, wird noch immer geübt. Durch das von Bodhi­dharma ange­regte Training des Yi Jin Jing wurden die Mönche robuster und kraftvoller. Da­raus ent­wickelten sie eine Form der Kampfkunst, die von fünf Tieren inspiriert war: dem Tiger, dem Leoparden, dem Drachen, der Schlange und dem Kranich.[89] Bodhidharma war kein berufs­mäßiger Lehrer der Kampf­künste.[90] Er und seine Nachfolger erfanden keine neue Tech­nik, sondern sie versuchten le­dig­lich bekannte Verfahren mit der Philosophie des Chan in Ein­klang zu bringen.[91] Es gab durch­aus praktische Gründe für das Erlernen der Kampf­kunst: Zur Zeit Bodhidharmas waren die bettelnd herumziehenden Mönche eine leichte Beute für Straßen­räuber, Militärpatrouillen oder Rowdies. Es war für Mönche nicht unge­fähr­lich, mit einem vollen Almosenbeutel allein durch das Land zu ziehen. Kaufmanns­karawanen waren gut geschützt, weshalb Mönche ein bevorzugtes Opfer von Räubern waren. Dies änderte sich im Laufe der Zeit allerdings gründ­lich. Räuber ließen sich lieber mit einer Abtei­lung Soldaten ein als mit einem Zögling aus Shaolin.

                Vom 6. bis zum 9. Jahrhundert konnte sich das Klostersystem unter Geheimhaltung der wesentlichsten Elemente erfolgreich weiterentwickeln.

                Der Tag begann für die Mönche um fünf Uhr. Nach zwei Stunden Meditation folgten gym­nastische Übungen. Einem leichten Frühstück folgten mehrere Stunden theore­tische Übungen, wie Lesen von Sutras oder religions­philosophische Dispute. Die Hauptbe­schäf­tigung der Shaolinmönche bildeten Quanfa-Übungen und Zweikämpfe, welche als Fort­setzung der religiösen Praxis, als Art aktive Meditation, betrachtet wurden. Unterbrochen wur­den das Training durch ein vegetarisches Mittagessen. Gegen Abend wurden mit gegen­seitigen Demonstrationen die Fortschritte überprüft. Abgeschlossen wurde der Tagesablauf mit Meditationen, philosophischen Gesprächen und Disputationen.

Da die Zweikämpfe mit voller Kraft durchgeführt wurden und bei den Übungen keine Zuge­ständnisse gemacht wurden, waren Verletzungen nicht selten. Die Mönche behandelten ihre geschlagenen Brüder selbst, da sie über ein traditionelles, medizinischen Wissen[lvi] verfügten.[92]

Als Abschluß des Unterrichts in der durchschnittlichen Dauer von 12 bis 15 Jahren (bei einer täglichen Trainingszeit von bis zu 18 Stunden)[93] mußte sich der Anwärter auf den Titel »Shi­fu« (Meister) verschiedenen, schwierigen Examina unterziehen. Es wurden Fragen über Ge­­schichte, Theorie und Ethik des Quanshu in Konnex mit der Lehre des Chan gestellt. Intel­lek­tuelle Fähigkeiten, gesunder Menschenverstand, emotionale Eigenkontrolle, körperliche Kraft, Konzentration des Qi, und Selbstbeherrschung wurden geprüft. Die Prüflinge mußten ver­schiedene Kammern, wie die »Kammer der Macht«, die »Kammer der Finsternis«, die »Kammer der Rache« oder den »Korridor des Todes« durch­schreiten, welche mit komplexen mechanischen Vorrichtungen ausgestattet waren. Eine nicht entsprechende Reaktion auf die ver­schiedenen Mechanismen konnte zu schweren Verletzungen, Verstümmelungen oder zum Tod führen. Nicht alle schafften diese Abschluß­prüfungen. Hatte ein Mönch alle Prüfungen erfolgreich bestanden[lvii], näherte er sich einer ovalen Tür. Der Ausgang war durch eine eiserne, 200 kg schwere Urne, gefüllt mit glühenden Kohlen, ver­sperrt. Er mußte sie durch Drücken mit seinen beiden Unterarmen zur Seite schieben. Da­durch wurde ein Stempel mit den Abbildungen von Drache und Tiger eingebrannt, das hoch­ver­diente Diplom eines Shaolin-Shifu.[94]

                Die eindeutig humanistische Ausrichtung des „Weges der Kampfkünste“, welche der mön­chischen Kampfkunsttradition zugrunde lag, konnte jedoch nicht verhindern, daß sich die Shaolin-Mönche in weltliche Belange verstrickten und die Priorität auf das Element des Kampfes gelegt wurde, welche dem Verteidigungsaspekt nicht Genüge tat. Sie verteidigten ihr Kloster erfolgreich gegen Räuber[95], aber darüber hinaus waren sie auch politisch tätig. Der Begründer der Tang-Dynastie[lviii], Gao Zu, wurde mit Hilfe einer 100 Mann starken Abteilung von Shaolin-Mönchen Kaiser. Die mit harten Holz- oder Eisenstöcken bewaffneten Krieger des Shaolin erwiesen sich im Nahkampf als unbesiegbar, und ihr Ruhm verbreitete sich nach der Machtergreifung der neuen Dynastie über ganz China.[96] Mit Ende der Tang-Dynastie wur­de das Shaolin-Kloster - wie auch andere buddhistische Klöster - zerstört, da die Regie­rung die buddhistische Geistlichkeit als Quelle für die Volkserhebungen hielt. Dadurch drang das Wissen des QUANSHU in die Volksmassen ein und nahm weltlichen Charakter an.[97]

Das Kloster hielt enge Beziehungen zur Ming-Dynastie[lix]. Zur Regierungszeit des Kaisers Yongle (1403 - 1425) war der Shaolin-Mönch Zhang Wo (1376 - 1426) Chef der Geheim­poli­zei und das Shaolin-Kloster bestimmte die gesamte Politik. Mit dem neuen Kaiser kam es zum Bruch und er ließ Zhang Wo hinrichten. [98] Mit Zusammenbruch der Ming-Dynastie kamen die Man­dschu an die Macht und Shaolin verhielt sich anfänglich neutral, gewährte jedoch jahr­zehn­telang den Anhängern der Ming-Dynastie im Shaolin von Henan Zuflucht.[99] Viele Jahre ge­lang es dem Kloster den Anschein von Loyalität zu wahren und gleich­zeitig das Stabs­quar­tier für die Verschwörung zum Sturz der Mandschu zu sein. Nach Auf­deckung der Ver­schwö­rung wur­de das Shaolin-Kloster 1723 zer­stört.[100] Nach der Legende konnten fünf Shifu flie­hen, das Wissen der Shaolin­schen Schule auf dem Gebiet des klösterlichen WUSHU nahm welt­lichen Charakter an. Geheim­gesell­schaften zum Sturz der Qing und der Wiederein­set­zung der Ming wurden gegründet. Ein solcher Geheim­bund, die »Triade«, baute ihre kämp­­fe­rische Aus­bildung auf den Grundlagen des Shao­lin­schen WU­SHU[lx] auf. Zu den heili­gen Reli­quien dieser Triade gehörten, u.a., ein Schwert und eine Räucherpfanne, welche in der Legen­de um die Flucht der fünf Shifus eine Rolle gespielt hatten.[101] Im Laufe der Zeit wurde der Sturz der Qing zweitrangig und der Kampf gegen die europäischen Großmächte trat in den Vor­dergrund.[102] Der von der Geheim­gesellschaft »Yihe­tuan« organisierte Boxer­aufstand (1899 - 1901) wurde blutig niedergeschlagen. Die Vernich­tung der Yihetuan hatte für die Ent­wicklung des WUSHU negative Auswirkungen.[103] Viele Geheim­gesell­schaften wandten sich kriminellen Tätig­keiten zu und verwandelten sich in Gangster­ban­den.[104]

Das Shaolin-Kloster wurde 1928 während des Bürger­krieges in die Kampf­hand­lungen hin­ein­gezogen und zerstört. 1956 wur­den die WUSHU-Meister in der Chine­sischen Volksrepublik reha­bilitiert und 1957 wurde mit der Re­konstruktion des Klosters begon­nen.[105] Während der Kultur­­revolution (1966 - 1972) waren die WUSHU-Meister er­neu­ten Verfolgungen aus­ge­setzt, 1973 begann die Wieder­geburt der Kampfkünste.[106] 1980 wurde im Kloster eine Meister­schaft der nationalen Kampf­künste unter Beteiligung einer japanischen Kempo-Mann­schaft veran­staltet.[107]

                Durch die Zerstörungen des Shaolin-Klosters und der damit verbundenen Flucht der Mönche ge­­langte das mönchische WUSHU-Wissen immer mehr in die nicht-mönchische Welt und wur­de auf die Kampfeffizienz reduziert, wie z.B. in verkürzter und verein­fachter Form zur Aus­­bildung von Soldaten[108]. Die geistigen Inhalte des chan-buddhistischen Weges gingen damit verloren.

 

NEIJIA, die „inneren“ Schulen

 

                NEIDAN, die Schule der „inneren Alchemie“, verwendet sowohl im Training, als auch im Kampf die Atmung, konzentriert auf den DANTIAN, die untere Partie des Unter­leibs[lxi].[109]

                Als Entstehungsort der inneren Stilrichtungen wird traditionsgemäß der Berg Wu­dang in der Provinz Hubei betrachtet. Eng damit verbunden ist der taoistische Zweig der Kampf­­kunst, welcher zahlreiche Schulen der sogenannten „sanften“ bzw. „inneren“ Stile her­vor­brachte.[110] Nach taoistischer Weltanschauung wurde das Wesen des Menschen von Himmel und Erde gemeinsam geschaffen. Am Anfang des Seins stieg die durchsichtige Luft empor und die schwere, verschleierte Luft sank hinab und bildete die Erde. Aus der Vereini­gung der winzigen Partikel entstanden YIN und YANG, die beiden gegensätzlichen und doch zusam­mengehörigen, formenden Prinzipien. YIN, das Prinzip des Weiblichen, des Dunklen, des Weichen, des Bösen und YANG, das Prinzip des Männlichen, des Lichten, des Harten, des Guten stehen in ständigem Wechsel zueinander. Diese Bewegung ist unendlich wie die Be­wegung des Weltalls unendlich ist. Nur das relative Zentrum des Weltalls kann sich in Ruhe be­finden, von hier breitet sich die Bewegung, das Sein, aus. Der Mensch im Zentrum des Welt­alls vermag Harmonie, Ruhe und Selbstsicherheit zu gewinnen.

YIN und YANG sind der Ursprung des QI, der „Lebensenergie“, welche sich sowohl in be­lebter als auch unbelebter Materie manifestiert. Die groben Qi-Varianten bilden die mate­riel­len, die feinen die geistigen Wesen. Das gereinigte, geklärte Qi geht in Geist (Shen) über und wird zur bewegenden Kraft des Weltalls. Die Reinigung des Qi führt im Menschen zur völligen körperlichen, moralischen und geistigen Gesundung. Nach Cheng Yichuan (10. - 11. Jhdt.) geht das Wesen des Menschen aus dem Himmel, der Charakter des Menschen aus dem Qi hervor. Bei reinem Qi ist der Charakter rein, bei verdorbenem Qi ist der Charakter ver­dorben.[111] Die fünf Elemente, Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser bilden sich aus der Wechsel­wirkung von Yin und Yang aus der Aufteilung des Qi des Himmels und des Qi der Erde.[112] Jedes der Elemente befindet sich in Über­einstimmung mit den entsprechenden Pla­neten des Tierkreises, den psychischen Eigen­schaften und Zuständen, den ethischen Normen und physischen Entsprechungen wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich.[113]

 

Element und Farbe

 

Planet

 

System des Organismus

Eigenschaften

 

ethische Normen

seelische Zustände

Holz (grün, blau)

Jupiter

Skelett

Geduld

Humanität

Härte

Feuer (rot, blau)

Mars

Atmung

Höflichkeit

Ritual, Anstand

Erleuchtung

Erde (gelb)

Saturn

Haut

Standhaftigkeit

Vertrauen

Aufrichtigkeit

Metall (weiß)

Venus

Muskeln

Mut

Ehrlichkeit

Begeisterung

Wasser (schwarz)

Merkur

Blut

Sanftheit

Weisheit, Vorsicht

Ruhe

 

Das Training, die »Arbeit mit den Elementen«, wurde den spezifischen Anforderungen des ent­sprechenden Elements angepaßt.[114]

                In der taoistischen Naturphilosophie galt die Atmung als Träger des lebensspenden Qi. Mit diätetischen Vorschriften wurde die Nahrungsaufnahme reguliert; so waren Alkohol, Fleisch, Gewürze, viele Gemüsearten oder Teigwaren verboten. Solche Vorschriften wurden auch von den Quanshu-Schulen beachtet.[115] Einen besonderen Stellenwert in der Kampf­kunst-Tradition haben Tiere, was ihre Wurzeln in den taoistischen Lehren hat. Die Wushu-Meister studierten die Bewegungen der Tiere und entwickelten daraus eine entsprechende Kampf­technik: Es wurden nicht ethologische Studien betrieben, sondern mit der Nachahmung wollte man das Qi des betreffenden Tieres verstehen lernen und für den Kampf verwenden.[116] Von großer Bedeutung sind stilisierte, formal-figurale Übungen[lxii], Katas, in welchen die ver­schie­denen Techniken erlernt werden. Die Katas wurden als Essenz der Selbsterkenntnis, der aktiven Meditation und der Selbstver­vollkomm­nung betrachtet - sie führten zum Tao der Tao­isten[117], zur Verschmelzung mit dem Weltall, der großen Leere[118]. Praktiziert mit Kraft, Schnel­­­lig­keit und Rhythmus[lxiii] führten sie nicht nur zur Beherrschung der verschiedenen Tech­niken und zum Kennenlernen des eigenen Körpers, sondern nach alter Vorstellung wurde der Prak­­tikant von der kos­mischen Energie Qi durchströmt.[119] Nach Liu Shao (3. Jhdt.) bildet das ursprüngliche Qi das Substrat des Menschen.

 

                Nach dem Yijing[lxiv], dem Buch der Wandlungen, ist das Leben eine endlose Folge von Metamorphosen, die aus der Wechselwirkung und dem Kampf von Yin und Yang hervor­gehen.[120] Sowohl im Lebenskampf, als auch im Kampf gegen einen konkreten Gegner[lxv] siegt nur derjenige, welcher die Gesetzmäßigkeiten der Wandlungen erkannt hat.[121] Das höchste Sta­dium des QUANSHU umfaßt extrasensorische Fähigkeiten, wie »den Gegner aus der Fer­ne auch mit geschlossenen Augen zu spüren und sich im Dunkeln zu orientieren, die Fähig­keit zu telepathischer Einwirkung, zur Telekinese, zur Hypnose usw.«[122]

               

                Die erste Unterscheidung zwischen „äußerer“ und „innerer“ Richtung hat Zhang Sanfeng (12. Jhdt.) gemacht. Die Grundlage des WAIJIA sei die Kräftigung der Muskeln und Knochen, die Regulierung der Atmung und läge in der taktischen Vereinigung von Sanftheit und Härte, sowie im Über­gang vom Zurückweichen zum Angriff. Beim NEIJIA liege jedoch die Priorität auf der Steuerung der eigenen Lebensenergie Qi. Diese Taktik beruhe auf dem Prinzip des Nichts-Tuns und der Ausnutzung der Fehler des Gegners.[123] Von allen Schulen der inneren Richtung hat das TAIJIQUAN eine unvergleichliche Popularität erlangt, welche bis in unsere Zeit angehalten hat.[124] Ziel des TAIJI-Trainings ist »die Entwicklung eines „kos­mischen Bewußtseins“ und das „Verschmelzen mit dem Weltall“.«[125] Im Unterschied zu den anderen Kampfkunst-Schulen verfügt das TAIJIQUAN über Lehrbücher, in denen alte Meister theoretische Abhandlungen festgehalten haben.[126] Diese älteste Schule der inneren Richtung war der Ursprung für die beiden anderen, großen Schulen, Bagua und Xingyi. Die Grundlage aller drei Schulen war das Buch der Wandlungen.[127] Das Geheimnis der inneren Schulen besteht darin, die rein körperliche Anstrengung durch einen Strom men­taler Energie zu verstärken.[128] Allgemein ist anzunehmen, daß die Aneignung der äußeren Kampf­kunst-Richtungen leichter ist, während man für die Kenntnisse und Fähigkeiten der inneren Stile mehr Zeit zur Aneignung braucht und erst im hohen Alter Meisterschaft er­reichen kann.[129]

 

                Die Kombination der Atmung mit gymnastischen Übungen und dem Psychotraining der Kampfkunst-Tradition hat die Ausübenden schon immer zu außerordentlichen Leistungen befähigt. Das Training war darauf ausgerichtet, sich in Grenzsituationen zu bewähren, in denen es nur zwei Ausgänge gab: Sieg oder Tod.[130] Dementsprechend führte das Training zu außer­gewöhnlichen Fähigkeit bzw. zu einem gesteigerten Leistungspotential. So berichtet Dolin von einer traditionellen Quanshu-Schule, deren Mitglieder es verstanden, ein „Abwehr­feld“ auf­zu­bauen, welches nach dem Prinzip der magnetischen Abstoßung Schläge auf­hielt.[131] Zwei­kämpfe dauerten tagelang.[132] Bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes tötete ein Bagua-Meister, Cheng Tinghua, mit nur zwei Messern bewaffnet, ein Dutzend mit Schuß­waffen ausgerüstete, deutsche Soldaten, bevor er getötet werden konnte. Er hatte sich bis da­hin aus den Kämpfen herausgehalten, die vertierten Plünderungen und Vergewal­ti­gungen hat­ten ihn offenbar zu einem Eingreifen veranlaßt.[133] In einigen Bagua-Schulen war der Test für die Meisterschaft das Vermögen, Übungen mit gefüllten Teeschalen in beiden Händen aus­zuführen, wobei kein Tropfen Tee verschüttet werden durfte.[134] Meister konnten sich schon durch Aussprechen eines Mantra in einen Zustand der Kampfbereitschaft und er­forder­lichen­falls in einen Trancezustand versetzen.[135] Ein sechzig­jähriger, kränk­licher Händ­ler kann einen betrunkenen, langen Kerl, welcher ihn niederschlagen will, durch die Be­rührung des Beins mit zwei Finger bewußtlos machen.[136] Ein Meister kann einen athletisch gebauten, jungen Mann durch einen Stoß mit dem Gelenk des Mittel­fingers in die Seite bewußtlos nieder­strecken oder bei einem derartigen Experiment voraussagen, daß der gesunde, junge Mann in drei Tagen bewußtlos umfallen wird - was dann auch tatsächlich eintritt.[137] Eine Legende berichtet von einem alten Bauern, der einen grau­samen Feldherrn nur durch die Be­rührung mit der Hand tötete. Der Tod trat einige Stunden nach der Be­rührung schlag­artig ein.[138] Das Training in der Schule des Trunkenbolds führt in der höchsten Stufe zu katalep­tischen Trancezuständen, welche zur Analgesie führen und der Mensch in eine gepan­zerte Kampf­maschine wird.[139] Eine Legende besagt, daß ein wahrer Meister des Quan­shu das Körper­gewicht so weit vermindern konnte, daß er auf Schnee gehen konnte, fast ohne Spuren zu hinterlassen, während er andererseits die Fähigkeit hatte, seine Füße gleich­sam am Boden festkleben zu lassen.[140] Die Sekte »Eisenkittel« (Tebu­zhen) hatte spe­zielle Übungen, welche schmerzunempfindlich machten. Schwerthiebe auf beliebige Kör­per­stellen der Meister sollen ab­ge­prallt sein wie von einem Panzer.[141]

 

                Andererseits wurden diese Fähigkeiten auch in weniger rühmlichen Weisen ange­wendet und mißbraucht. Die taoistischen Lehren von der Erlangung der Unsterblichkeit durch Körperübungen und magische Praktiken führten zu okkulten Wissenschaften, wie Geomantie und Chiromantie.[142] Taoisten betätigten sich als Kurpfuscher und Astrologen.[143] Nicht wenige Meister des Quanshu verletzten die heiligen Gebote der Lehre: Sie betranken sich, betätigten sich als Magier, traten in Schaubuden auf oder arbeiteten beim Film.[144] Mei­ster des Wushu nahmen an Theatervorstellungen teil. Erzählungen von Levitationen oder para­psycho­lo­gi­schen Phänomenen gehören zum Taijiquan.[145] Nach der Theorie des Chan liegt die Wahrheit außer­halb von Worten und kann nicht durch Bücher weitergegeben werden[146], was eine Ab­sage an die rationale Erkenntnis bedeutet. Der Weg der Kampfkunst als Weg zur „Voll­kom­men­heit“ verwandelte sich bei den Pragmatikern zu einer Wissenschaft des Tötens.[147] Die Geschichte des Shaolin-Klosters zeigt, daß aus der Be­herr­schung der Kunst des Kämpfens zum Zwecke der Selbstverteidigung und der Selbst­ver­voll­komm­nung der Wille zur Macht, die Gier nach Macht, entsteht. Aus der Tradition der Kampf­kunst entwickelte sich eine „Volksbewegung“: Meister der Kampfkünste überfluteten China und führten den Zwei­kampf in den breiten Alltag ein. Nach ungeschriebenem Recht hatte jeder das Recht, jeden zum Kampf herauszufordern. Bei den Kämpfen kam es nicht selten zu Todesfällen[148]. Die „Meis­ter“ des Quanshu veranstalteten kostenlose Vorführungen - sie betätigten sich als Schau­­stel­ler.[149] Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts betrieben Auf­ständische und Un­ru­he­stifter das kämp­ferische Quanshu in böswilliger Absicht.[150] Die Führer der Yihetuan for­derten beim Boxer­aufstand im Glauben an ihre eigene Unverwund­barkeit Qing-Soldaten und Euro­päer auf, auf sie zu schießen. Alle diese Experimente ver­liefen tragisch: entweder mit dem Tod oder mit schweren Verletzungen.[151] Die heutigen, ange­wandten Kampfkunstformen in Armee und Schule sind nicht dazu bestimmt, die Men­schen zu Sanftheit und Güte zu erziehen, sondern zu äußerster Härte.[152]

 

 

Ist die alte Kampfkunst noch zeitgemäß[lxvi]?

 

Es stellt sich die Frage, ob ein Training der Kampfkünste im alten Geist auch in unserer Zeit noch Sinn hat oder ob es sich um antiquierte Verfahren handelt, welche in unserer Zeit obso­let sind.

Als in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts diese Kampftechniken in die Auf­merk­samkeit der westlichen Öffentlichkeit gelangten[lxvii], bemächtigte sich ihrer die Filmindustrie und stellte sie weitgehend auf Showelemente reduziert dar. Die westlichen Nacheiferer der alt­chinesischen Kampfkünste transformierten den Kampfaspekt zu Kampfsport, d.h. sie brachten den olympischen Gedanken des Kräftemessens hinein, welcher dem Geist der alten, chine­sischen Kampfkunst fremd war. Dadurch wurde aus einer Methode zur Beschreitung des Tao eine dem ursprünglichen Sinne abartige Betätigung. Aus dem Weg zur Voll­kommenheit - in europäischen Denkmustern besser als Weg zu menschlicher Reife ausge­drückt[lxviii] - wurde, dem modernen Zeitgeist und unserer „kulturellen“ Orientierung ent­spre­chend, eine finanzielle Ein­nahmequelle oder eine Freizeitbetätigung - ein Sport[lxix].

Es mag überraschen, daß sich analoge Strukturen zwischen Kung Fu und der philosophischen Lebenshaltung nach dem europäischen Verständnis aufzeigen lassen:

 

•) Entfremdung bzw. Verfälschung:

Wie aus der obigen Darstellung der historischen Ent­wicklung hervorgeht, wurde Kung Fu zu einer pekuniären Einnahmequelle[lxx] und zu einem Frei­zeitsport, wodurch es seinem ursprünglichen Wesen entfremdet wurde.

In der Philosophie besteht die Entfremdung darin, daß sie heute im allgemeinen Verständnis als rein theoretische Disziplin aufgefaßt wird. Re­stringiert auf den universitären Wissen­schafts­betrieb vergißt man in der Regel, daß sie durch­­aus praktische Wurzeln hatte[lxxi] und in der Antike auch eine Lebens­haltung repräsentierte. Die heutigen Bestrebungen, philo­so­phische Praxen zur Berufs­aus­übung zu errichten, ent­sprechen aber ebenfalls nicht dem genuin philosophischen Geist[lxxii].

 

•) Lebenseinstellung:

So wie Kung Fu im eigentlichen Sinne philosophische Lebens­ein­stel­lung und Ethos ist, kann auch der philosophische Geist der europäischen Tradition als via vitae verstanden wer­den, welcher durch die Auseinan­dersetzung mit dem philoso­phi­schen Denken einiger Jahr­tausende er­worben wird.

So wie Kung Fu mit zwingender Not­wen­digkeit eine Lebenseinstellung generiert[lxxiii], d.h. zu entsprechenden Gesinnungen führt, so resultiert das Studium der Philosophie auf der rein intellektuellen Ebene in äquivalenten, existentiellen Ein­stellungen.

 

•) Einheit trotz Differenz - Harmonie:

Der chinesische Kung-Fu-Kämpfer muß den Angreifer überwinden, um nicht verletzt oder getötet zu werden; der europäische Philosoph muß die existentiellen Widerstände über­winden, welche seiner Erkenntnis des Weltganzen[lxxiv] entgegenstehen.

Die traditionelle, chinesische Kampfkunst ent­wickelt sich auf zwei Ebenen:

1) Der Kampf des Geistes mit dem Körper um innere Harmonie[lxxv]. Nur eine harmo­nische Ein­heit garantiert höchste Effizienz in einer kämpferischen Auseinandersetzung. Als Syn­chro­ni­sie­­rungs­mittel wird die Atmung eingesetzt. Die komplexen Bewegungs­abläufe för­dern die mentale und körperliche Entwicklung.

2) Der Kampf mit einem Gegner: Hier handelt es sich um die „Synchronisation“ mit der Umwelt[lxxvi]. Der freundschaftliche Kampf mit einem Partner zu Trainingszwecken fördert den Außen­aspekt - der Kämpfer lernt, seine innere Harmonie zu transzendieren und auf die Außen­­welt zu erstrecken. Während im freundschaftlichen Trainingskampf der „Gegner“ auf keinen Fall verletzt werden darf und dadurch der Gemeinschaftssinn gefördert wird, trans­formiert sich im Ernstfall der Schonungsgedanke zu einer destruktiven, kompromißlosen In­ten­­tion, um den feind­lichen Angreifer zu bezwingen.

Der intel­lek­tuelle Erkenntnisweg des europäischen Philosophen[lxxvii] soll zu einer geis­tigen Entwicklung führen, welche in geistiger Reife resultiert - Weisheit genannt.[lxxviii] Dieses Rin­gen des rationalen Denkens gegen die seelischen Eigendünkel auf der intel­lektuellen Ebe­ne[lxxix] kann durchaus mit dem Ringen um innere Harmonie in der chinesischen Kampf­kunst gleich­gesetzt werd­en.[lxxx] Der Außen­aspekt artikuliert sich im philoso­phisch er­kenn­tnis­theore­tischen Wahr­heits­begriff als Ver­bindung zur Außenwelt in der adaequatio intellectus et rei.

 

•) Erwerb des Wissens:

Ein Kung-Fu-Adept übt die Katas der alten Meister viele Jahre intensiv und aus­dauernd, um in diesem (Nach-)Üben im Laufe der Zeit das nötige Bewußtsein für die Ent­wick­lung eigener Katas zu erlangen. Das Verständnis über den richtigen Aufbau dieser for­malen Figuren ist ein Kriterium für den geistigen Ent­wick­lungs­stand des Schülers.

Ein Student der Philosophie denkt die Lehren der großen Phi­lo­sophen nach, um in diesem (kritischen) Nachdenken das Philosophieren zu erlernen.

 

•) Moral und Ethik:

Die martialische Natur des Kung Fu bringt es mit sich, daß sich aus den Konflikt­situ­ationen moralische Probleme ergeben. Während jedoch im Kung Fu der Außen­aspekt des Kamp­fes dem moralischen Prinzip der Verteidigung untergeordnet ist, agiert der Philosoph „moralisch“ als „Angreifer“, der seinen Wissenstrieb sehr „aggressiv“ auf alle unbe­kannten Phänomene richtet, welche sich ihm darbieten[lxxxi].

Durch das Training der alten, chinesischen Kampfkunst wird eine Haltung er­zeugt, wel­che Auswirkungen auf sämtliche moralischen Einstellungen hat - der Philosoph nähert sich existentiell durch seine theore­tische Auseinandersetzung mit der ethischen Proble­matik dem mora­lischen Lebens­bereich.[lxxxii]

 

•) Tod und Sterben:

Die klassischen Trainingsmethoden des Kung Fu führen in eine mentale Aus­ein­ander­setzung mit dem Tod: einerseits in die Möglichkeit, im Kampf getötet zu werden, ande­rer­seits in die mögliche Notwendigkeit, jemanden töten zu müssen.[lxxxiii] Er­staun­licherweise führen diese Methoden nicht zu einer gewalt­tätigen Lebens­ein­stel­lung. Töten wird nur als letzte Mög­lich­keit zur Rettung des eigenen Lebens ins Kalkül gezogen. Das Training führt zu einer (kontrol­lier­ten) Angstfreiheit vor dem eigenen Tod, was als Über­lebens­strategie in lebens­gefährlichen Situationen unerläßlich ist.

Die Auseinandersetzung mit der Tod zählt zu einem der elementarsten Themenkreise der euro­päischen Philosophie. Von überragender Priorität für das menschliche Sein, geht sie auf die antike, griechische Philosophie zurück, welche das gesamte europäische Denken mit der Ab­lösung des Mythos durch den Logos auf neue Bahnen lenkte und dadurch die Konfron­tation der eigenen Existenz mit ihrem endlichen Sein auslöste. Die philosophische Reflexion scheint jedoch Philosophen zu befähigen, mit der Faktizität des Todes leichter fertig zu wer­den, wie z.B. der Umgang mit dem Tod in Akten der Euthanasie durch die antiken Philo­sophen zeigt[153].

 

Die exemplarisch aufgezeigten Parallelen zwischen diesen beiden Lebenswegen haben den Verfasser zu einer elementaren Frage geführt: Wäre es nicht möglich, durch die Ver­eini­gung des philosophischen Geistes mit dem altchinesischen Weg der Kampfkunst einen Lebens­­weg zu gestalten, welcher zur menschlichen Reife führt? Kann diese Vereinigung des europäischen und des chinesischen Geistes nicht einen neuen Bildungsweg gestalten, welcher den Menschen zu einer Antwort auf die alte, philosophische Frage »Was bist du Mensch?« führen kann?

 

            Abgesehen vom philosophischen Interesse stellt sich die Frage noch nach der Nütz­lichkeit in der Beschreitung eines traditionellen Kampfkunst-Weges in unserer Zeit. Als Kunst des Krieges ist Kampfkunst sicherlich obsolet, da aufgrund der Waffenentwicklung eine direkte Umsetzung unmöglich ist. Die Schußwaffen haben die „unverwundbaren“ Kampf­kunst-Meister zu einer leichten Beute gemacht und einem Soldaten, der im Artillerie­hagel liegt, nützt die Fähigkeit, einen Gegner mit bloßer Hand töten zu können, sehr wenig.

Entscheidend ist der psychophysische Aspekt. Ein traditionelles Training fördert - abgesehen vom kämpferischen Aspekt - die Gesundheit[lxxxiv], welche als allgemein erstre­bens­wertes Gut betrachtet werden kann. Ein derartiges Training umfaßt jedoch in der mentalen Aus­ein­ander­setzung mit den Gesetzmäßigkeiten des Zweikampfes auch strategische und taktische Aspekte. So würde ein aufgrund seines technischen Know-how unschlagbarer Meister einen Kampf verlieren, wenn im situativen Kontext keine Möglichkeit gegeben wäre, dieses tech­nische Können umzusetzen. Der „beste“ Meister würde besiegt werden, wenn er seinen Gegner nicht richtig einschätzen könnte. Überschätzung der Fähigkeiten des Gegners wäre genauso fatal wie ein Unterschätzen. Meisterschaft zeichnet sich dadurch aus, daß der Gegner richtig eingeschätzt wird - und zwar auch dann, wenn der Gegner täuscht; ein Meister „liest“ im Gegner seine emotionale Befindlichkeit, sein Können, etc. Während bei einer kampf­sportlichen Ausrichtung die Orientierung auf ein sportliches Kräftemessen ausgerichtet ist, wird bei einer traditionellen Ausrichtung für eine Notwehrsituation trainiert. Dieser Ver­teidi­gungsaspekt impliziert - heute noch genau so, wie früher - einen Trainingsmodus, der da­rauf aus­gerichtet ist, einen Angriff unverletzt zu überstehen, weshalb Letalschläge zum Stan­dard­repertoire zählen. Beim Sport ist Ziel und Grenze der Sieg im Ring, in der Kampf­kunst ist das Ziel, einen Angriff unverletzt zu überstehen, die Grenze ist der Tod. Wenn ein Letal­schlag die einzige Möglichkeit ist „davonzukommen“, wird ein solcher angebracht. Dies mag vielleicht blutrünstig klingen, de facto führt jedoch eine solches Training[lxxxv] zu einem Respekt vor menschlichem Leben, ja zu einer Bewunderung für jede Lebens­form[lxxxvi]. Nur wer Ver­ant­wor­tungsbewußtsein hat, wird à la longue nicht zu einem Tot­schläger. Ein tradi­tio­nel­les Trai­ning ist darauf ausgerichtet, ein Bewußtsein für Ver­antwortung zu schaffen – Ver­ant­wortung für das eigene und fremdes Leben. Ein wahrer Kampf­kunst-Meister ist aus­ge­sprochen fried­fertig.

Ein Kampfsporttraining reduziert sich auf die Auseinandersetzung im Ring, im Kampfkunst­training liegt auch der soziale Aspekt des Miteinander. Die wahre Kunst des Kampfes kann nicht auf ein kleines Quadrat reduziert werden. Im - unüberschaubaren - Leben können Pro­bleme auftauchen, welche man nicht alleine bewältigen kann, weshalb Allianzen notwendig werden. Durch entsprechende Trainingsmodi werden soziale Einstellungen geför­dert, welche einerseits die kameradschaftliche Hilfeleistung betonen und andererseits - im Laufe der Zeit - in menschlichen Führerqualitäten[lxxxvii] münden.[lxxxviii]

Das Mentaltraining der traditionellen Kampfkünste führt zu Einstellungen und Fähigkeiten, welche auch heute noch im militärischen Bereich von Interesse sind. Die körperliche Leistungs­fähigkeit ist bei der heutigen Hightech-Kriegsführung weniger wichtig, die psy­chi­schen Belastungen sind jedoch enorm. Um diesem Druck standhalten zu können, wäre eine emo­tionale Kontrolle hilfreich. - Ein Kennzeichen eines Meisters der Kampfkünste liegt in der Kon­trolle der Emotionen. Jede Emotion ist im Ernstfall gefährlich, da sie Reaktion und Ur­teils­­vermögen trübt - gleichgültig, ob es Angst oder Wut ist. Sogar Mitleid kann in einem sol­chen Fall tödlich sein. Nur ein absolut emotionsloses Agieren führt in Extremsituationen zum zuverlässigen Ausschöpfen des eigenen Leistungspotentials.

Solche Eigenschaften können aber auch im zivilen Bereich von Vorteil sein. So z.B. in der Luft­­fahrt: Untersuchungen von Flugzeugabstürzen haben gezeigt, daß Abstürze von zwar schon beschädigten, aber noch immer manövrierfähigen Flugzeugen nur deshalb zustande ge­kommen sind, weil der Flugkapitän die Nerven verlor und deshalb falsche Entscheidungen traf. Einem Flugkapitän mit Kampfkunsttraining würde dies wohl kaum passieren[lxxxix].

Summa summarum kann feststellt werden, daß ein Kampfkunsttraining auch in unseren Tagen noch Sinn hat, wenn es richtig für unsere Verhältnisse adaptiert wird und wenn nicht die alt­chinesische Perspektive aus den Augen verloren geht: Geschult werden muß der ganze Mensch und nicht nur ein partikulärer Aspekt seiner Person.

 


Qi Gong

 

Die ältesten Hinweise auf die chinesischen Körperübungen finden sich im Nei Jing[xc], den medi­zinischen Ratschlägen des Arztes Qi Bo an den Gelben Kaiser Huang Di, welcher um ca. 2600 v. Chr. gelebt haben soll. Das Buch selbst wird auf ca. 200 v. Chr. datiert.[154] Die Weisen des Alter­­tums lehrten, durch Ruhe und Konzentration ihren Atem zu kontrollieren, um ihren Geist im Inneren zu halten.[155] Anweisungen für Atemübungen gehen auf Schriften aus der Bronze­zeit, der Chou-Dynastie (1100 bis 221 v. Chr.) zurück.[156]

 

Es sind vier Schulen zu unterscheiden: die taoistische, die konfuzianische, die bud­dhis­tische und die medizinische. Jede dieser Schulen übte Einfluß auf die Kampfkunst-Tra­di­tion aus.[157]

1) Für Theorie und Praxis der taoistischen Körperübungen gilt neben dem Nei Jing das Tao Te King des Laotse, einer mythischen Figur des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts. Diese Körperübungen dienten als Prophylaxe für die Gesundheit. Das eigentliche Ziel war, »die Energien des Körpers zu verfeinern, um in höhere geistige Ebenen und durch Intuition und innere Visionen zu einem transzendentalen Wesen zu gelangen.«[158] Die Chinesen als Er­finder der Alchemie, unterschieden zwischen der äußeren Alchemie, Wai Dan, der Alche­mie der Metalle, welche von den Arabern in den Westen gelangte, und der inneren Alchemie, Nei Dan, den körperlichen und spirituellen Übungen. Im Nei Dan stellen Jing, Qi und Shen die „Drei Schätze“ des Körpers dar. Zwischen dem Dan Tian (Punkt: QIHAI), dem „mittleren Er­wärmer“ in Höhe des Solarplexus (Punkt: ZHONGWAN) und dem „Dritten Auge“ zwi­schen den Augen (Punkt: YINTANG), wird Jing zu Qi und weiter zu Shen sublimiert.[159] »Diese Etap­pen der alchimistischen Umwandlung beruhen auf der Beherrschung der Atmung, ver­bunden mit der gedanklichen Bewußtmachung und der körperlichen Empfindung des Qi, der Energie, die in den Leitbahnen und im Inneren des Körpers zirkulieren.«[160]

2) In der konfuzianischen Tradition wurde Qi Gong in Hinblick auf die Beherrschung des Denkens, auf Wahrhaftigkeit und moralische Kraft betrieben.[161] »Was die Taoisten dem Lauf der Dinge überlassen, haben die Konfuzianisten in geregelte Bahnen geleitet, um dem durch­schnittlichen Menschen zu helfen, sich zu orientieren und geistige Fortschritte zu machen.«[162]

3) Der Buddhismus hatte Einfluß auf Kunst, Religion, Philosophie, die spirituellen Prak­tiken und Körperübungen und damit auch auf die Kampfkünste. Die Techniken des Qi Gong wur­den eingesetzt, um die Gesundheit zu bewahren und zu verbessern, den Körper zu kräf­tigen und abzuhärten, den Alterungsprozeß zu verlangsamen und spirituelle Erfahrungen zu machen, sowie als Schutz gegen äußere Gefahren, wie durch Räuber.[163]

»Die Kampfkünste entstanden also unter dem Zwang äußerer Umstände, allerdings in einem ur­sprüng­lich meist religiösen oder spirituellen Umfeld. Daraus erklärt sich, daß sie in einem umfas­senden Sinn viele Ziele zugleich abdecken: Vorbeugung und Anpassungsfähigkeit, Stärkung und Wider­standsfähigkeit, langes Leben und Spiritualität. Und diese Vielseitigkeit ist das Cha­rakte­ristische des auf den Kampf und die Verteidigung ausgerichteten Qi Gong.«[164]

 

Mit dem Begriff »Wai Dan« wurde die äußere Beherrschung des Körpers, mit »Nei Dan« die innere Alchemie, also die spirituellen Körperübungen und Meditationen bezeichnet.[165] Aller­dings hat Nei Dan auch eine kämpferische Ausprägung, wobei die innere Übung als »Nei Gong«, „inner Arbeit“, bezeichnet wird.[166] Die Schule Shaolin gilt als äußeres Kung Fu, Wai Dan, die Schule vom Berg Wu Dang als inneres Kung Fu, Nei Dan. Die Vertreter des Nei Dan halten ihren Stil für den überlegenen.[xci]

4) Das therapeutische Potential macht Qi Gong für die Medizin interessant. In ganz China werden die Wirkungen von Qi Gong auf chronische oder funktionelle Krankheiten, Blut­­hochdruck, Herzbeschwerden, Asthma, Krebs oder degenerative Erkrankungen unter­sucht.[167] »Die chinesische Physiologie stützt sich auf drei dynamische Elemente: Die Energie (Qi), das Blut (Xue) und die Körpersäfte (Jin Ye). Das Blut zirkuliert in den Gefäßen, die Körper­säfte im Fleisch und in der Haut, in den Sehnen, das Qi in den Leitbahnen.«[168] Es gibt ver­schiedene Arten von Qi, wie Zhen Qi, die „wahre, authentische Energie“; Zheng Qi, die „korrekte Energie“; Yuan Qi, angeborenes Jing Qi, erworbenes Jing Qi, Zong Qi, Yong Qi und Wei Qi.[169] Über die zwölf Hauptleitbahnen[xcii] werden die Organe mit nährender Energie, Yong Qi, versorgt.[170] Die acht Sonder­leitbahnen[xciii] versorgen vorrangig die inneren Organe, wie Gehirn, Kno­chen, Gallen­blase, Genitalien und die Gefäße mit der Energie Jing.[171] Be­stimmte Punkte an der Oberfläche der Haut, die Akupunkturpunkte, sind Sammelpunkte von Qi.[172] Während die westliche Medi­zin die Organe als morphologische Untereinheiten des Orga­nismus den phy­sio­logischen Funk­­tionen entsprechend auffaßt, werden in der tradi­tionel­len, chinesischen Medizin die Funk­tionskreise als in funktionellem Zusammenhang stehende Körperfunktionen, Emotionen, menschliche Fähigkeiten und korrespondierende Phänomene im makroskopischen Bereich ver­­standen. Wenn auch Überschneidungen zwischen Organ und Funktionskreis zu­stande kom­­­men, ist doch zwischen Organ und dem gleichnamigen Funktionskreis streng zu tren­nen.[173]

 

 

Qi - eine „übernatürliche“ Energie?

 

Der Begriff »Qi« war für die Kosmogonie der Taoisten von fundamentaler Bedeutung, ver­gleichbar mit der érxÆ der ionischen Naturphilosophen. Der ganze Kosmos war mit Qi er­füllt, der Kosmos ist durch Qi geworden. Qi war eine wunderbare Energie, die alles entstehen ließ. Im alten China waren die Praktikanten von Qi Gong sicherlich der Überzeugung, daß sie durch Übungen das Qi des Universums aus der Luft und der Erde auf­nehmen konnten. Beim Üben der verschiedenen Tierformen in der Quanshu-Tradition wollte man das Qi der betref­fenden Tiere auf­nehmen, um es im Kampf einzusetzen. Nach dem Klassiker des Faust­kampfes, Quan­jing[174], trainiert z.B. der Schlangen-Kata das Qi der Schlange. Die Schlange gibt sich so als wäre sie kein Tier, völlig ohne Kraft, doch wenn sie ein anderes Tier erblickt, hält sie ihr Qi zusammen, sie übertrifft darin einen mutigen Krieger. Das Trainieren des Schlangen-Qi machte den Körper geschmeidig. Die Schlange konnte ihr Qi sofort in jeden Teil ihres Kör­pers verlegen, was sie beweglich und schnell machte. Jedes Tier hatte ein anderes Qi, welches andere Qualitäten hatte. Indem man das Qi des betreffenden Tieres trai­nierte, nahm man es auf und konnte es im Kampf entsprechend einsetzen. Nach allge­meiner Meinung war es völlig unmöglich, sich ohne Beherrschung des Qi mit irgendeiner Sache zu beschäftigen, ob dies etwa Malerei, Poesie, Astronomie, Bogenschießen oder Speerfechten war[175]. Das Yuan Qi war die wichtigste Form von Qi, die pränatale Energie. Wenn es er­schöpft war, bedeutete dies den Tod.[176] Das angeborene Jing Qi, die Samenenergie, hatte ihren Sitz - wie das Yuan Qi - in der Niere.[177] Das Zong Qi, die dritte ererbte Energie, ver­leihte die Fähigkeit, durch Atmung und Er­nährung Energien zu assimilieren. Es wird durch die Lungen er­neuert und ist mit Herz und Kreislauf verbunden.[178] Das erworbene Jing Qi wird durch die Aktivität des Organismus verbraucht.[179]

Das Yong Qi ist die Energie der Nahrung:

»Magen und Milz-Pankreas sind die beiden inneren Organe, die die jeweilige Quintessenz, Gou Qi, aus den Nahrungsmitteln und Getränken herausziehen. Nachdem die reine Energie in einem ersten Schritt auf der Ebene des Solarplexus herausgefiltert ist, wird sie durch diese Organe über die Blutgefäße und entsprechenden Körperleitbahnen verteilt. Die Milz leitet diese Essenz zur Lunge hoch, die sie mit der Quintessenz der reinen Energie der Luft, Ta Qi, vermischt. Dann treibt die Lunge diese aus der Luft und den Nahrungsmitteln gefilterte Nahrungsenergie in die Endlosschleife der zwölf Leitbahnen, von denen alle Körperzonen berührt werden.«[180]

 

Krankheiten werden in der chinesischen Medizin energetisch erklärt. So dringt z.B. Kälte in die Leitbahnen ein, wodurch es zu einer Blockierung des Kreislaufes von Qi und Blut führen kann und Symptome wie Schmerzen und Jucken hervorruft. Je stärker das Qi, desto wider­stands­fähiger ist die betreffende Person.[181] Erblindung tritt ein, wenn der Qi-Fluß zu den Augen blockiert ist.[182] Bei SUNZI (Sun tzu), dem legendären, klassischen Militärstrategen, ist Qi »the foundation and basis of courage, the vital spirit that is directed by will and intention. When men are well-trained, rested, properly fed, clothed and equipped, if their spirits are roused they will fight vigorously. However, if physical or material conditions have blunted their spirit; if there is any imbalance in the relationship between command and troops; or if for any reason they have lost their motivation, they will be defeated.«[183]

Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, daß in den altchinesischen Erklärungsmodellen der phänomenalen Welt der Qi-Begriff von eminenter Bedeutung war. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Erklärungsmodelle auch in unserer Zeit noch ihre Gültigkeit haben. Kön­nen nach einem halben Jahrtausend neuzeitlicher Naturwissenschaften die altchinesischen Phäno­menal­inter­pretationen übernommen werden? Es soll hier in keiner Weise die phäno­menale Faktizität der Gigong-Erfahrungen in Frage gestellt werden. Hinterfragt werden soll, ob die Erklä­rungs­modelle der alten Chinesen noch heute Gültigkeit haben. Ist das Qi tat­sächlich eine „Universal­energie“, welche immer und überall angewendet werden kann? Oder haben wir ein völlig falsches Verständnis dessen, was bei Qigong-Übungen vor sich geht[xciv]?

Das chinesische Schriftzeichen für »QI« bedeutet (traditionell: modern: ) Atem, während der klassische Begriff »Energie« bedeutet.[xcv]

In An­lehnung an diese Differenzierung wird mit dieser Arbeit die terminologische Kenn­­zeichnung »Atem-Qi« für Bewußt­seins­zu­stände mit psychophysischen bzw. physio­lo­gischen Auswirkungen als Folge von QIGONG-Übungen getroffen, welche durch Übun­gen erreicht werden, in denen Bewegung mit Atmung in formalen Strukturen synchro­nisiert wird und das Atmen eine „leitende“ Funk­tion über­nimmt.

Die Kennzeichnung »mentales Qi« diene als Beschreibung der Bewußt­seinsformen, welche bei NEIGONG-Übungen auftreten. Das mentale Qi tritt in Form von „Wärme­bewußt­sein“ auf, welches man auf „Leitbahnen“ fließen läßt. Die Leitbahnen der Kampfkunst­tra­dition entsprechen nicht den medizinischen Leitbahnen, da die Anfor­de­rungen anders sind. Die Bezeichnung »Leitbahn« oder »Meridian« ist schon irreführend, weil sie ein Ver­ständnis nahe­legen, als ob das Qi durch eine Art „Leitung“ fließen würde. So wird als Ur­sache für eine Beeinträchtigung des Qi eine Störung des elektromagnetischen Gleich­ge­wichts im Be­reich der Leitbahnen[xcvi] angegeben. Das Qi werde blockiert und stagniere dort, wo sich die Leit­bah­nen kreuzen. Die negativen Auswirkungen seien Müdigkeit und vermin­derte Kon­zen­trations­fähig­keit.[184] Durch das Anlegen der Zunge an die richtige Stelle würden die beiden Leit­bah­nen Du Mai und Ren Mai verbunden, wodurch der Kleine Energie­kreislauf ge­öffnet wür­de.[185] »Als Öffnung bezeichnet man die Tatsache, daß es einem wirk­lich ge­lungen ist, das Qi in Um­lauf zu bringen, alle Punkte zu erwecken und sie zu spüren.«[186]

»Es gibt auch Reaktionen, die den Körper direkter betreffen, obwohl sie selten sind und keine ernst­hafte Gefahr darstellen. Bei einer Person mit Migräne kann der ›Kleine Energiekreislauf‹ bei­spiels­weise Kopfweh auslösen; das ist normal. Es zeigt, daß das Qi gut in den Kopf gestiegen ist, dort aber aufgrund einer Asymmetrie der Schädelknochen, einer latenten Störung der Zirku­lation im Rückgrat und der Rückenmarksflüssigkeit blockiert wird.«[187]

 

Diese Art der sprachlichen Formulierungen insinuiert eine Vorstellung, als ob das Qi sich quasi wie elek­trischer Strom verhalten würde[xcvii]. Wenn eine elektrische Leitung blockiert ist, weil z.B. der Draht gebrochen ist, so kann die (elektrische) Energie nicht mehr fließen; wenn eine Was­ser­leitung verstopft ist, kann das Wasser - eine Form von Energie - nicht mehr fließen. Kann dies auch auf den mysteriösen und mythischen Qi-Begriff zutreffen? Handelt es sich beim Deno­tat von »Qi« um eine subsistierende, ontische Entität - wie z.B. im Sinne eines physi­ka­lischen Phänomens - oder ist das Qi ein rein mentales Phänomen? In der ersteren Ver­ständ­nis­form wären verschiedene Phänomene erklärbar, auch solche, welche auf eine „Fern­wirkung“ des Qi schließen ließen, wie z.B. die in der Dissertation von Catherine Despeux an­ge­führte Projektion von Qi auf einen Gegner, wodurch dieser gelähmt oder getötet wer­den könne[188]; oder Berichte über Tai-Ji-Meister, welche in der Lage seien, andere Men­schen durch die Luft zu schleudern, ohne sie zu berühren.[189] Genauso ließen sich Fern­hei­lungen durch Aussenden eines Qi-Stroms erklären, wie bei Kit dargestellt[190]. Großmeister Wong Kiew Kit kann als Ver­treter des tradi­tionellen Qi Gong angesehen werden. Für ihn wird die (Qi-) Energie als uner­schöpf­liche Ressource aus dem Kosmos ergänzt.[191] Die höchste Stufe von Qi Gong ist die spirituelle Erfül­lung, welche ihm gestattet, seine ange­borene Unsterb­lichkeit zu aktua­li­sieren.[192] Große Qigong-Meister hätten Macht über die Natur­ele­mente[193]; sie könnten Qi durch Wände schicken, durch den Körper von Menschen blicken, Ast­ral­reisen zu fernen Orten unter­nehmen oder sich an frühere Leben zurück­er­innern.[194]

Solche Berichte sind - nach Auffassung des Verfassers - mit großer Skepsis zu betrachten. Es soll nicht bestritten werden, daß es Phänomene gibt, welche von unseren Natur- und Geistes­wissenschaften (noch) nicht erklärt worden sind und vielleicht auch nie erklärt werden kön­nen - solche Weltsichten stammen jedoch aus mythischer Zeit, in denen das Wissen noch keine wis­sen­schaftliche Grundlage hatte und weshalb auftretende Phänomene mit Sicherheit nicht richtig interpretiert wurden. Die geheimnisvoll-esoterischen und mystifizierenden Welt­sichten sind generell ein Wesenszug meditativer Kreise, welcher auf die tausendjährigen Tra­di­tionen auf diesem Gebiet zurückzuführen ist[xcviii].

Für die zweite Verständnisform, das Qi als mentales Bewußtsein aufzufassen, spricht, daß beim autogenen Training von Schultz[xcix] dieses „Qi-Bewußtsein“ in der Wärmeübung der Un­ter­­­stufe[195] und im besonderen bei der Sonnengeflechtübung [196] auftaucht. Schultz konnte das Wär­me­erleb­nis keinen physiologischen Vorgängen zuordnen[197]. Der Unterschied zum chine­si­schen Qi-Verständnis besteht darin, daß beim autogenen Training das Wärme­emp­finden lediglich hervor­gerufen wird, während beim NEIGONG das (mentale) Qi fließt, d.h. der Steue­rung durch den Willen unterliegt[c].


Meditationsphilosophie

 

Der Münchner Anthroposoph Lorenzo Ravagli introduzierte diesen Begriff 1993 mit einem Buch diesen Titels. Für Ravagli ist »Meditationsphilosophie« oder »meditative Philo­sophie« eine Mittelstellung zwischen gewöhnlicher Philosophie und Anthroposophie. Sie stellt sich als Möglichkeit der Selbsttranszendierung des philosophierenden Bewußtseins dar, wodurch notwendig eine geistige Entwicklung zur anthroposophischen, d.h. höheren Bewußt­seins­form einsetzt, welche auf das „gewöhnliche“, wissenschaftliche Erkennen und die Refle­xions­philosophie „zurückblicken“ läßt. Die Frage der Bewußtseinserweiterung sei die Ent­schei­dungsfrage des neuen Jahrtausends. »Wer im „gewöhnlichen philosophischen Be­wußt­sein“[ci] verharren will oder weiterhin dem exzessiven Rationalismus huldigt, macht sich selbst zum immer fragwürdiger werdenden Denkmal einer untergehenden Epoche.«[198] Trotz Wert­schätzung der „gewöhnlichen“ Philosophie und des akademischen Denkens[199] wird der Vers­tand als naiv und trivial, als »der schlechteste aller Hermeneuten« bezeichnet, weil er auf Kausalität, Linearität und Finalität beschränkt ist.[200]

            Aus einem philosophischen Verständnis heraus ist »Meditationsphilosophie« eine Syn­these von Philosophie, dem Geiste der europäischen Tradition entsprechend, und Medi­ta­tion, im Sinne der Verwendung meditativer Techniken zur Erzeugung mentaler Ver­senkungs­zustände[cii]. Die asiatische Herkunft solcher Techniken soll und darf nicht geleugnet werden[ciii], um aber einen optimalen Erfolg zu erzielen, ist es unerläßlich, die originär asia­tische Men­ta­lität (und Lehre) für einen praktizierenden, westlichen Menschen in eine originär westliche Form der Geistigkeit zu transformieren. Im westlichen Kulturraum bietet sich idealiter die Philosophie als Grund­lage einer solchen Umformung an. Die Basis des philo­sophischen Ver­ständnisses ist jedoch eine streng wissenschaftliche (logisch-rationale) Orien­tierung[civ], wes­halb der anthropo­soph­ische Ansatz, die mythisch-asiatischen Lehren durch eine anthro­po­sophisch-metaphysische zu ersetzen, zurückzuweisen ist.[cv]

Eine inhaltlose, rein formale Praxis solcher Techniken mag durchaus gewisse Effekte im psychophysischen Bereich erzeugen, das Potential der darin liegenden Möglichkeiten wird jedoch nicht ausgeschöpft. Sowohl die Einzelwissenschaften, als auch die empirische Medi­tations­forschung[cvi] sind nicht in der Lage, solchen Techniken einen Inhalt zu geben. Außer der Philosophie ist nur die Theologie im westlichen Wissenschaftsbetrieb in der Lage einen geis­tigen Inhalt zu liefern. Die theologische Weltsicht kommt dem mythischen Ursprung die­ser Techniken am nächsten, wäre jedoch lediglich eine Transformation von einem religiösen Welt­bild in ein anderes. Der Wert von Religion möge unbestritten sein, im meditativen Be­reich würde sich jedoch der Inhalt lediglich von einer östlichen zu einer westlichen, religiösen Sichtweise ändern.

 

 

Kritik des traditionellen Meditationsverständnisses

 

            Die »meditatio« in der europäischen Philosophie hat die Bedeutung von »Studium« und »Nachdenken«. Der Philosoph denkt intensiv, kontemplativ, über ein Problem oder ein Thema nach. Spinoza meint mit seiner Aussage » …sapientia non mortis, sed vitae meditatio est« keineswegs, daß man sich in einen meditativen Versenkungszustand versetzen soll und als meditativ Versenkter „in das Leben eintauchen“ soll, um wahre Weisheit zu erlan­gen, son­dern daß ein Mensch, welcher frei in seinem Willen und seinen Entscheidungen ist, weise tut, nicht den Tod, sondern das Leben zum Thema seiner Reflexion zu machen. Damit diver­giert der europäische, philosophische Meditationsbegriff sehr stark vom asiatischen.

            In der empirischen Meditationsforschung werden Bezüge zur christlichen Tradition hergestellt, um zu zeigen, daß auch im Abendland eine dem asiatischen Verständnis nahe kom­­mende Tradition bestünde[201], obwohl sehr wohl das Bewußtsein vorhanden ist, daß bei den Religionsgründern der Offenbarungsreligionen Meditation eine geringe bzw. überhaupt keine Bedeutung hatte.[202] Das Neue Testament wird strapaziert, um die Visionen Paulus’ oder Johannes’ als meditative Erlebnisse zu interpretieren. Prominente Kirchenväter wie Origines oder Augustinus, u.a., werden bemüht, die mystische Tradition wird mit Dionysios Areo­pagita, Meister Eckehard, Bonaventura, u.a., beschworen, um die Legitimität einer europä­ischen, me­di­ta­tiven Tradition aufzuzeigen. Bei diesen Versuchen wird übersehen, daß in der asiatischen Tradition Meditation ein In-sich-Hineingehen (Versenkung) ist. Im medita­tiven Versenkungs­zustand erhebt sich der Meditierende zu den Göttern, wie im Buddhis­mus.[203] Die Götter befinden sich in einem glückseligen Zustand. Der Mensch, der sich zu den Göttern begibt, gelangt eben­falls in einen solchen Zustand.[cvii] In der jüdischen, christ­lichen und islamischen Tradition nähert sich der Gläubige seinem Gott im Gebet. Das Gebet mag ja meditative Elemente enthalten - aber es ist ein Du-Sagen, ein vertrauensvolles Hin­wenden zu einem allmächtigen Wesen, das eine andere Person ist, nicht ein „Verlöschen“. Das medita­tive Prinzip ist das Sich-Selbst-zur-Einheit-Werden, ein mit sich selbst eins werdend, wobei ein persönlicher Gott irrelevant ist. Die Grundlage des Gebets ist aber eine duale, dialo­gische Kommu­nikation mit dem göttlichen Einen. In einer mono­theistischen Religion ist es ein ewiger, personaler Gott, welcher antwortet.

In der christ­lichen Religion wird Gott sogar Mensch und läßt sich kreuzigen, um denen, die zu ihm ge­hören, zu zeigen, daß er bereit ist, das Höchste zu geben, was ein Lebewesen geben kann - sein eigenes Leben. Da er selbst ewig - d.h. unsterblich - ist, kann er nicht ster­ben und muß des­halb erst geboren werden, um dieses höchste Opfer für die Seinen erbringen zu können.

Das Mitleid Buddhas hat eine andere Natur. Er ging zu den Menschen, um ihnen den Weg ins Nirwana zu zeigen. Er gab nicht ein göttliches Sein auf, sondern er verzögerte lediglich seinen Eintritt ins Nirwana, um seinen Mitmenschen den Weg zu zeigen. Meditation ist das Mittel, aber die eigene Kraft und Stärke, die eigene Tugend bringt den Buddhisten ins Nirwana. Buddha hätte nie behauptet, der Schöpfer der Welt zu sein. Es ist ein unpersönlicher Welten­grund, in dem alles ruht.

Im Taoismus kreist das Tao ohne Namen und ohne Gestalt in alle Ewigkeit. Nur unwissende, nicht erleuchtete Menschen klammern sich an die zeitlichen und vergänglichen Erscheinungs­formen von »Namen und Gestalt«.[204]

Schon aus dieser Weltsicht ergibt sich - auch im religi­ösen Bereich - eine völlig andere Weise von Existenz: das Gebet für das persönliche, göttliche Du und die Meditation als Ein­tauchen in den unpersönlichen Welten­grund.

 

 

Die indische Tradition

 

Die Wurzeln der meditativen Entwicklung lassen sich in Indien bis in die Zeit der Veden, zurückverfolgen. Neben der schriftlichen Überlieferung kristallisierten sich einzelne Gestalten heraus, Munis genannt, welche in der Meditation besondere Erfahrungen hatten und denen übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden.[205] Das Wort »Yoga« taucht das erste Mal in den Upanischaden auf.[206] Die frühesten Upanischaden gehen vermutlich auf eine Zeit zwi­schen 900 und 600 v.Chr. zurück. In diesen heiligen Texten des Hinduismus wird die Frage nach der Natur der Wirklichkeit gestellt. Gelehrt wird die Identität der individuellen Seele, Atman, mit der universellen, allumfassenden Weltseele, Brahman. In einem endlosen Kreislauf von Geburt und Tod, dem Samsara, durchwandert die Seele die verschiedenen Exis­tenzen. Das Karma, die guten und schlechten Taten, bestimmen das Schicksal der wan­dern­den Seele durch die Maja, dem Trugbild der Welt der Erscheinung, in der wir leben. Das Heil, die Befreiung von dieser Wanderung, ist das Ziel der verschiedenen Yoga-Schulen und wird auf verschiedene Weisen beantwortet. Das Karma-Yoga ist der Weg der Arbeit, das Jnana-Yoga der Weg der Erkenntnis, das Bhakti-Yoga der Weg der verehrenden Liebe[207] und das Raja-Yoga, welches als der Königsweg des Yoga angesehen wird, der Weg der Schauung.[208] Der aus dem fünften Jahrhundert v.Chr. aus Indien stammende Buddhismus hat ebenfalls das Ziel, diesem Rad der Wieder­geburt, der Welt des Leidens zu entfliehen. Der Eintritt in das Nirwana stellt die Erlösung dar.

Die traditionsreichen, meditativen Praktiken müssen aus diesem Blickwinkel heraus beur­teilt werden. Die Praktiken wurden schon mit Blick­rich­tung auf Vereinigung mit dem Brahman bzw. im Buddhismus auf das Verlöschen der individuellen Seele ausgerichtet. Das mythische Weltbild stellte den Horizont für die Entwick­lung solcher Tech­niken dar. Aber - wäre die Entwicklung der traditionellen, medita­tiven Prak­tiken so verlaufen, wenn diese Tech­niken erst im wissenschaftlichen Zeit­alter entdeckt worden wären?

In seinem Buch Der Tod eines Guru schildert Maharaj, ein zum Christentum konver­tierter Sohn eines Brahmanen, seinen Lebensweg bis zu seiner Bekehrung. Sein Vater begab sich einige Tage nach der Hochzeit[209] in ständige, meditative Versenkung, acht Jahre sprach er kein einziges Wort, auch nicht mit seinem Sohn[210]. Seine Zeit verbrachte er auf einem Brett mit Lesen der heiligen Schriften und in Meditation. Er war völlig in sich gekehrt, um das wahre Selbst zu verwirk­lichen, ohne von irgend einer menschlichen Gegenwart Notiz zu nehmen, obwohl Bewun­derer von weit herkamen, um ihn anzubeten und vor ihm Opfer niederzulegen.[211] »Er war ein Gott, den man pflegen, waschen, speisen und kleiden muss­te.«[212] Um seinem Vater nachzu­eifern, begann er mit fünf Jahren täglich die Versenkung zu üben[213], sein Vater starb nach acht Jahren seines Rückzugs aus der Welt.[214] Der Knabe eiferte seinen Vater nach und widmete sich extensiv den täglichen Medi­ta­tionen. Er begann psyche­delische Farben wahrzunehmen, hörte überirdische Musik und be­suchte geheim­nis­volle Pla­ne­­ten, wo die Götter mit ihm sprachen und ihn ermutigten, noch höhere Bewußt­seins­stufen anzustreben. Er begegnete in Trance schrecklichen, dämonischen Wesen, erlebte Gefühle der mystischen Vereinigung mit dem Universum, er wurde das Univer­sum, Herr über allem, allmächtig, allgegenwärtig. Seine Lehrer waren von ihm begeistert.[215] Sein Trachten war auf die Befreiung aus der Illusion, ein indivi­duell existierendes Wesen zu sein, ausgerichtet: »Ich war der eine und alleinige Brahman, reine Sein-Bewusstsein-Glück­selig­keit. Darum durfte ich auch erwarten, dass andere die Stufe anerkannten, zu der ich bereits gelangt war, indem sie sich vor mir verneigten und mir Anbetung zollten. Tatsächlich, vor einem Spiegel sitzend betete ich mich selbst an. Warum nicht? Ich war Gott.«[216] Im Alter von elf Jahren verneigten sich bereits viele vor ihm und legten ihm Gaben von Geld, Baum­woll­stoff und andere Kostbarkeiten zu Füßen.[217] In tiefer Medi­tation gelangte er zu Shiva, dem Gott der Zerstörung und des Heiles und war mit ihm allein.[218] Der Friede, den er während der Meditation erlebte, verließ ihn zwar wieder, die okkulten Kräfte, welche durch die Yoga­übungen gefördert wurden, blieben ihm und begannen in der Öffentlichkeit wirksam zu wer­den. Seine geistliche Macht wuchs. Im Alter von dreizehn nahmen Menschen, welche sich vor ihm verneigten, einen Glanz um ihn wahr und erlebten eine Art innerliche Erleuchtung, wenn er sie segnend bei der Stirn berührte. In den Meditationen wurden oft Götter sichtbar und sprachen mit ihm. Zuweilen schien er durch Astralprojektionen auf andere Planeten und in Welten anderer Dimensionen versetzt.[219] Seine Gewißheit in Bezug auf seine Bestimmung wuchs immer mehr: »Durch Yoga erfuhr ich zunehmend die Gegenwart von Geistwesen, die mich leiteten und mir psychische Kräfte verliehen. Die Götter waren real! Daran konnten alle Ein­wände meiner Schulkameraden nichts ändern.«[220] Aus seinen Schilderungen spricht aber auch eine stark soziale Einstellung: »Ich wollte Nirwana nicht allein erreichen, denn ein Guru ist ein Lehrer, der andere zur ewigen Glückseligkeit führt.«[221] Bei einem Spaziergang hatte er eine Vision[cviii].

»Das ‹OM namah Ahivaya› singend - man durfte natürlich nie seine Pflicht gegenüber dem Zerstörer vernachlässigen - drehte ich eine skorpionartige Orchidee zwischen meinen Fingern. Dabei bewunderte ich ihre bleiche, zarte Musterung und die unglaubliche Tiefe ihrer Farbe, die eine Tür in andere Welten öffnete. Durch ein vielsagendes, rasselndes Geräusch hinter mir im Unterholz erschreckt, drehte ich mich ruckartig um. Zu meinem Entsetzen sah ich eine große, dicke Schlange, die mich mit gläsernen Augen fixierte und direkt auf mich zukroch. Ich war wie hypnotisiert, gelähmt, unfähig mich zu bewegen. Es gab keinen Fluchtweg - hinter mir der abstürzende Fels und vor mir die Schlange. Obwohl das hässliche Reptil nicht den breiten Kopf der Kobra hatte, glich es doch der Schlange, die Shiva stets um seinen Nacken trug. Auch fühlte ich seine Gegenwart wie bei den Begegnungen, die ich während der Meditation mit ihm hatte, als ich in einer fremden Welt ihm zu Füßen saß und seine Kobra mich drohend anfauchte und die Zunge hervorschnellen ließ. Meine Lage glich einer zuvor bestimmten Erfüllung dieser Visionen. Diesmal würde ich dem Zer­störer nicht entkommen.

Die Schlange war schon so nahe, dass ich sie hätte berühren können. Da hob sie ihren keil­förmigen Kopf übers Gras und begann rückwärts zum Schlagen auszuholen. In jenem Augen­blick starren Schreckens vernahm ich, gleichsam aus weit zurückliegender Vergangenheit, Mutters Stim­me längst vergessene Worte wiederholen: ‹Rabi, wenn du je in wirklicher Gefahr sein solltest und nichts anderes hilft, dann gibt es noch einen Gott, zu dem du beten kannst. Sein Name ist Jesus.›

‹Jesus, hilf!›, versuchte ich zu schreien, aber der verzweifelte Ruf kam nur erstickt und kaum hör­bar über meine Lippen.

Ich war fassungslos, als die Schlange plötzlich ihren Kopf sinken ließ, sich abdrehte und schnell ins Unterholz zurückkroch.«[222]

 

Durch dieses Erlebnis wurde eine Entwicklung eingeleitet, welche schließlich zu einer Bekeh­rung zum Christentum führte. In der Trance des Yoga fühlte er das Einssein mit dem ganzen Universum. Es bestand kein Unterschied zwischen einem Käfer, einer Kuh oder einem fernen Stern. Alles war Brahman und Brahman war alles. Maharaj begann jedoch seine Erleb­nisse zu hinterfragen. In der Meditation erklomm er höhere Bewußtseinsstufen, in denen er der wahren Wirklichkeit angeblich immer näher kam, jedoch bestand eine starke Diskrepanz zum alltäglichen Leben, welche er auf Dauer nicht als Illusion abtun konnte.[223] Die Hindu­götter, denen er in Trance begegnete, flößten ihm Furcht und Schrecken ein, immer mehr be­gann er Gott als Schöpfer zu denken. Er war sich innerlich gewiß, daß der wahre Gott liebe­voll und gütig sei.[224] Sein Ansehen unter den Hindus wuchs. Mit fünfzehn Jahren legte ihm eine arme Witwe anläßlich eines Festes (Puja) ein Geldstück zu Füßen, um seinen Segen zu emp­fangen. Die Götter hatten dieses System, den Brahmanen Gaben zu überbringen, fest­gelegt. Nach Lehre der Veden würde der Geber reich gesegnet. Als er jedoch seinen Segen erteilen wollte, vernahm er eine Stimme, welche ihm mitteilte, daß er nicht Gott sei. Er wußte instinktiv, daß der wahre Gott, der Schöpfer der Welt, diese Worte gesprochen hatte.[225] Die Ein­heit aller Dinge, die er in der Meditation erlebt hatte, erschien ihm völlig lächerlich.[226]

Er begegnete einer jungen Christin, welche ihm vom Gott der Liebe erzählte,[227] was dazu führte, daß er zu beten begann[228] und sich von den hinduistischen Göttern lossagte: Er zer­schlug die Götzenbilder.[229] Friede und Har­monie kehrten in seine Familie ein. Das keine Vergebung ken­nen­de Karma wurde gegen die Gnade des christlichen Gottes ausgetauscht.[230] Die Men­schen, welche sich früher vor ihm verneigt hatten, haßten und beschimpften ihn des­halb.[231] Die medi­tativen, höheren Bewußtseins­stufen, welche ihm einst göttlich er­schienen, wurden als aus­geklügelte Erweiterung des Kasten­systems inter­pretiert.[232] Als Konvertit be­gann er die christ­liche Religion zu predigen und kam in Kontakt mit Drogen­süch­tigen. Zu seinem Erstaunen erzählten ihm die Drogensüchtigen von Erlebnissen im Dro­genrausch, wel­che er in der Meditation und im Yoga kennengelernt hatte.[233] Er kam zu der Schlußfolgerung, daß hinter Meditation und Drogen die gleichen Dämonen stünden, es handle sich um eine sata­nische Strategie.[234] Er folgerte, daß die Selbstverleugnung, die der östliche Mysti­zismus fordert, auf der irrtümlichen Auffassung basierte, »dass falsches Denken das ein­zige Problem des Menschen sei und dass er nur lernen müsse, zu erkennen, dass er Gott sei«[235]. Wenn er wirklich Brahman wäre, dann hätte er dies ursprünglich wissen müssen. Für ihn bedeutete der Tod Christi eine echte Lösung[236]. Transzendentale Meditation sei Hinduis­mus mit Zucker­guß.[237] Er übte Kritik an der Lebensweise der Gurus als Oase des Wohlstandes in­mitten schrei­­ender Armut.[238] Sein wei­teres Leben widmete er der Verbreitung der christ­lichen Lehre.

            Aus den Schilderungen Maharajs ergibt sich eine scharfe Kritik an den hinduistischen Reli­gions- und Meditationspraktiken, sie zeigen aber auch andererseits das Visualisierungs­poten­tial dieser alten Tradition und welche Auswirkungen es auf das Denken hat. Seine Kritik ent­springt weit­gehend aus Sicht seiner neuen, der christlichen Religion. Es wird aufgezeigt, daß sich auf­grund dieser Praktiken eine Reali­sierungs­fähigkeit[cix] ergibt, welche dem Gese­henen und Emp­fun­denen eine objektive, unabhängig subsistierende Wirklichkeit zu­schreibt. Maha­raj be­gann seine „Erlebnisse“ erst zu hinter­fragen, als er sich dem Chris­ten­tum zu­wandte, d.h. seine Erlebnisse aus anderen Denkstrukturen heraus betrachtete. Er wird aber an der objek­tiven Wirk­lichkeit der Erlebnisse wahrscheinlich auch später nicht ge­zweifelt haben, da seine neue Welt­sicht wieder eine metaphysisch transzendente war. Wie wäre sein Urteil ausge­fallen, wenn er Atheist geworden wäre?

            Als weiteres Beispiel enormer Visualisierungsfähigkeiten mag hier Ramakrischna, einem Yogi des 19. Jahrhunderts angeführt werden[239]. Schon als Kind fiel er in besondere Be­wußt­seins­zustände. Er wurde Kalipriester und lebte sich derart in seine Liebe zu dieser Göttin hinein, daß er in seelische Ausnahmezustände und Verwirrungszustände geriet, sodaß ihn seine Umgebung für verrückt erklärte. Er versetzte sich in Zustände, sodaß er zum Affen­gott Hanuman wurde. Seine Verähnlichung mit dem Affengott ging so weit, daß er sich wie ein Affe bewegte und die Affenlaute nachahmte. Eine Brahmanin, welche dem tantrischen An­satz verpflichtet war, nahm sich seiner an und führte ihn in die Übungen des rechts­händ­rigen Tantra ein, »der Verinnerlichung und Vereinigung von männlichem und weib­lichem Prin­zip, d.h. keine konkrete, sexuelle Beziehung, die dann weiterführend bearbeitet wird«.[240] Durch einen Wandermönch gelangte er in den Zustand der Einheit - nirvikalp-samadhi - und blieb regungs­los drei Tage sitzen. Der nackte Asket, welcher ihm dazu ver­holfen hatte, war erstaunt, da er selbst 40 Jahre dazu gebraucht hatte, was Ramakrischna in einem Tag schaffte. Rama­krischna zog sich nicht zurück, sondern engagierte sich sozial. Sein Ruf verbreitete sich. Mit seiner außer­ordent­lichen Visualisierungsbegabung wandte er sich der Reihe nach den hin­du­­istischen, mos­le­mi­schen und christlichen Glaubensvorstellungen zu. Er hatte Visi­onen von Christus und Moham­med.[241] Auf die Frage seines Schülers, Vivekananda, ob er Gott ge­sehen habe, ant­wor­tete er, daß er ihn nicht nur gesehen, sondern auch mit ihm ver­traut ge­sprochen habe.[242] Seine Erfah­rungen führ­ten Ramakrischna zu der Schlußfolgerung, daß man auf verschiedenen Wegen zu Gott kom­men könne, nur nicht mit mehrere Arten gleich­zeitig.[243]

            Aus diesen Darstellungen spricht eine tiefe Überzeugung, daß der Mensch aufgrund medi­tativer Praktiken Zugang zu einem transzendenten (metaphysischen) Sein hat. Die Fra­gen und Zweifel, ob dies tatsächlich wahr ist, d.h. einer adaequatio intellectus et rei ent­spricht, weichen einer bedingungslosen Akzeptanz der Faktizität. Wunderberichte werden gläubig ver­trauend hinge­nom­men[244]. Für die psychotischen Zustände, welche auftauchen[cx], werden alle For­men von „Pathologisierung“ zurückgewiesen[245] und es wird das Gegenteil ange­nom­men - eine Ver­körperung des Göttlichen.[246] Auch von modernen Meditations­for­schern wird die Tendenz, derartige Erscheinungsformen zu pathologisieren, zurückge­wiesen und man spricht dann von spirituellen Krisen.[cxi] Beim Lesen der Berichte von derar­tigen Exis­tenz­krisen entsteht der Ein­druck, daß die Autoren krampfhaft versuchen, jede Form von psycho­­patho­logischer Persön­lich­keitsgenese zu leugnen wie z.B. bei Huth in Bezug auf Ignatius von Loyola, Rudolf Steiner oder Ramana Maharshi.[247] Ramana Maharshi (1879-1950), Vertreter des Jnana-Yoga, hatte mit sechzehn Jah­ren in seiner meditativen Erfahrung ein Sterbe­erlebnis, welches er allerdings erfolgreich be­wältigte.[248] Derartige Erfahrungen als nicht-pathologisch zu be­trachten, wäre nach Auffassung des Verfassers falsch. Es handelt sich um pathologische Erscheinungsformen, welche allerdings - im günstigsten Falle - erfolgreich bewältigt wurden[cxii]. Solche Erfahrungen als „natürlich“ zu eva­luieren, würde auf einem meditativen Weg dazu führen, daß man solche Zustände bewußt auf­sucht und vielleicht auch noch glaubt, daß - wie in tiefster, mythischer Zeit - sich Gott in diesen Zuständen zeigt, d.h. diese eksta­tischen Zustände als Ergebnis von Gottesnähe inter­pretieren. Gleichzeitig wird die ratio­nale Erkenntnis unter Hinweis auf ihre Begrenztheit pejorisiert. Allerdings ist gerade die rationale Kritik nach logischen Kriterien der schärfste Gegner jeglicher „supra­naturaler Phänomene“, weil in der Geschichte immer wieder Beweise geliefert wurden, daß „göttliche Er­­scheinungen“ durch­aus irdischen Ursprungs waren[cxiii]. Die physikalisch wissenschaftliche Welt­erklärung hat mehr Erkenntnisse über die Natur unserer Welt geliefert als alle mystisch-mythischen „Offen­barungen“ vorher. Ohne hier auf die Aufklärung der Neuzeit zu rekur­rieren, sei an dieser Stelle auf die antiken Philosophen verwiesen, die schon zu ihrer Zeit mit ihrer Kritik die Götter entthronten. So hatte schon Anaxagoras (ca. 500-428 v.Chr.) erklärt, die Sonne (der Gott Helios) wäre kein Gott, son­dern ein glühender Steinhaufen.[249] Als érxÆ des Seins wurde bei Thales von Milet (ca. 624-546 v.Chr.) das Wasser, bei Anaximenes (ca. 585-528 v.Chr.) die Luft, bei Anaxi­man­dros (ca. 610-545 v.Chr.) das Apeiron[cxiv] bestimmt. Damit hatte die wissen­schaft­liche Welterklärung das Licht der Welt erblickt und nahm langsam ihren Lauf. Im 18. Jahr­hundert untersuchte Kant die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis­fähigkeit und hätte ver­mutlich als gläubiger Mensch die Existenz Gottes liebend gerne be­wiesen. Als er jedoch in seiner Arbeit erkannte, daß die Vernunft Gott nicht beweisen konnte, zer­störte er als »Zer­trüm­merer der Metaphysik«, wie er genannt wurde, sämtliche bis dahin existierenden, ratio­nal basierten Gottesbeweise und verwies Gott in den Bereich des (moralisch notwen­di­gen) Glaubens. Zu glauben, daß diese Erkenntnis nicht auf meditative Praktiken anwendbar sei, weil im meditativen Akt eine Annäherung an das Numinose mög­lich und durch entspre­chende Er­fah­rungen zu beweisen wäre, muß als unzureichend begründ­bar zurückgewiesen werden. Abgesehen vom weiten Feld des Betruges, welches durch angeblich esoterisches und nur für Eingeweihte zugängliches Wissen gegeben ist[cxv], kann auch jemand, der solche Erfah­run­gen besitzt, nicht wissen[cxvi], ob es sich um die genuine Erfahrungen eines Gotteserlebnisses handelt. Die geschil­derten, medi­ta­tiven Erlebnisse sind kein Nachweis transzendenter Erfah­run­gen, sondern das Resultat medi­tativer Techniken[cxvii]. Es darf vermutet werden, daß gerade die besonders in Indien behei­ma­teten, imaginativen Techniken sich wahrscheinlich besonders gut für solche „Gotteser­fahrungen“ eignen[cxviii], weil gerade hier die psychische Visua­lisie­rungs­fähigkeit zum Tragen kommt. In der Meditationsliteratur wird meditatives „Wissen“ oft mit dem Begriff der Wissen­schaft­lichkeit verbunden, um damit die Glaub­­wür­digkeit der Natur­wissen­schaften in einer wissenschaftsgläubigen Welt für sich ver­ein­nahmen zu können[250]. Eine natur­wis­sen­schaft­liche, allgemeingültige Beweis­bar­keit solcher rein subjektiver Erleb­nisse kann jedoch nicht erbracht werden und meditative Erfah­rungen unterliegen genauso der subjektiven Fehler­haftig­keit wie die „normale“ Erfah­rungs­erkenntnis.


 

 

Die japanische Tradition

 

Die zen-buddhistische Praxis ist in den letzten fünfzig Jahren nach Europa gekommen und hat eine besondere Popularität erlangt. Es sind zwei Hauptschulen zu unter­scheiden: Soto, nur sitzen und atmen, sowie Rinzai, die Hinzunahme eines Koan[251]. Die Soto-Schule geht davon aus, daß es genügt, sich ohne Gegenstand für die Betrachtung in der Versenkung hinzu­setzen. »Sich in Ver­senkung niederzusetzen und Erweckung[cxix] (Satori) sind nicht zwei ver­schiedene Dinge. Man soll nicht die Erweckung erwarten und anstreben. Die Erweckung ist nicht etwas, das man von außen her erhält.«[252] In der Rinzai-Schule werden mantram-ähnliche Koans verwendet[253], welche nicht nach logischen Kriterien aufgebaut sind. So lautet ein sol­ches Koan etwa:

»- Warum kam Bodhidharma aus Indien nach China?

Die klassische Antwort lautet:

- Sieh die Zypresse dort im Garten…«[254]

 

Viallet sieht die Schwierigkeit in der Beantwortung darin, daß die Koans übersetzt und daher aus ihrem Bezugssystem herausgenommen worden sind. Der Sinn sei nur innerhalb der tra­ditionellen Gemeinschaft zwischen Meister und Schüler verständlich. Er führt die Bevor­zugung der Soto-Richtung im Abendland darauf zurück, daß bei uns die entsprechenden sozi­alen und psycho­logischen Gege­ben­heiten vorhanden sind.[255]

Tatsächlich ist der Zu­gang zu solchen Rätseln einem westlichen Menschen wohl deshalb verwehrt, weil das west­liche Denken aufgrund der bei Aristoteles ihren Ausgang ge­nom­menen Logik im Satz vom Wider­spruch verankert ist und eine Beantwortung nach logischen Kriterien nicht möglich ist. Es ist für einen westlichen Menschen unverständlich, daß in einer logisch wider­sprüchlichen Aus­sage Sinn liegen kann. Der Sinn liegt jedoch hier darin, daß ein Meister aufgrund der Antwort seines Schülers dessen Ent­wick­lungsgrad er­kennen kann.

Im Buch Einladung zum Zen erzählt Viallet aus seinen Erfahrungen mit dem Soto-Zen, welches er mit Konsequenz betreibt.

»Heute glaube ich zu verstehen, weshalb ich im Zen mündete; der Große Zweifel kam mir, an­gesichts einer Zertrümmerung der Welt in Unordnung und Schmerz; zunächst ein Argwohn seit meiner Kindheit, später Gewißheit: Krieg, Gefangenschaft, Deportierung; nicht allein mein eigenes Geschick; dieses wurde zum Spiegel des Unglücks aller Mitmenschen, aller fühlenden Wesen.

Schließlich noch, wie ein Zerreißen meiner Eingeweide, durch egoistisches Klammern an einen anderen Menschen: ein Wesen, ebenso vorübergehend und begrenzt wie ich im großen Lebens­strom. Sein Verschwinden, besser sein Fortgehen von meiner Seite, brannte den Hochmut, den Stolz zu Asche. In jenem Augenblick gab mir niemand Antwort und Hilfe, nur ein Meisterwort, das sich in mir unablässig eingrub:

- Vergiß dich, vergiß dich selbst!

So trat Zen endgültig in mein Leben; ich mußte ihm folgen, ohne Zweck und Absicht.«[256]

 

Aus seinen Schilderungen und Reflexionen tauchen Fragen auf, ob Zen nicht eine Einbildung sei (S. 22). Der Zen-Weg sei «kein blumenbestreuter Friedenspfad», der Weg aus dem Leiden sei lang und hart (S. 23).

»Zen kam spät in mein Leben; es ist die große Begegnung, ich muß sie bis aufs letzte ausnützen.

- Ist denn Zen alles? Gibt es sonst keinen Weg?

  Darauf kann ich nur sagen, was mir widerfährt. Wenn man eine Frau liebt, so fragt man nicht, ob es schönere und bessere Frauen auf der Welt gibt. Ich kenne keinen besseren Weg. Wenn Sie einen kennen, dann folgen Sie ihm.« (S. 24)

 

Er begibt sich in das Kloster Antai-ji, im Nordosten Kyotos, um die Bürden des »Klos­ter-lebens« auf sich zu nehmen (S. 28). Neun Stunden Zazen schrecken ihn nicht ab (S. 30). Er schildert von den Sprachschwierigkeiten (S. 29), von den Schmerzen in den Knien und den Knöcheln bei den Zazen-Sitzungen (S. 39). Er weist auf die Gefahren des Zen hin und daß zwei Europäer, welche in einem Kloster Zen übten, sich das Leben genommen hatten (S. 56). Zen im Zazen (Sitzen in Versenkung) mag einfach aussehen und harmlos erscheinen, in Wirk­lichkeit sei es das Gegenteil. Bei längerem Zazen würde eine starke körperlich-seeli­sche Span­nung erzeugt, die für einen Unerfahrenen oder nicht fachlich Beratenen zu ernst­lichen Schäden führen könne (S. 57). »Denn Zen ist ein Risiko auf Leben und Tod.« (S. 64)

Insgesamt spricht aus diesem Buch der Geist eines Mannes, der bei allem Bewußtsein der Gefahren meditativer Praktiken - in diesem Falle des Soto-Zen - mit dem, was er tut, zu­frie­­den ist und in diesem Tun Erfüllung findet.

 

Einen anderen Bericht gibt Janwillem van de Wetering, welcher als 26jähriger für acht­zehn Mo­nate in einem japanischen Zen-Kloster gelebt hatte. In seinem Buch Der leere Spiegel schil­dert er den täglichen Ablauf in einem Zen-Kloster und die Zwänge, denen die Be­wohner eines solchen Klosters ausgesetzt sind. Seine Schilderung beginnt mit den Hoff­nungen und Erwar­tungen, mit denen er sich zum Kloster begeben hat und endet mit einer fast flucht­artigen Ab­reise. Sein Ziel, den Zen-Weg zu beschreiten, gab der nach eineinhalb Jahren auf. Seine Schlußfolgerung, was er gelernt hätte »nach anderthalb Jahren des Umfallens und Wieder­aufstehens« (S. 149), war, daß er sein Bestes zu tun habe und daß er sich bemühen müsse, alles so gut wie möglich zu machen - und dies hätte er auch in Rotter­dam lernen kön­nen. Bei seinem Aufenthalt hatte er noch etwas anderes gelernt: »Nicht nur sein Bestes muß man tun, man muß dabei auch Abstand bewahren von dem, was man zu er­reichen trachtet.« (ebd.). Diese Erkenntnis ist für einen eineinhalbjährigen Aufenthalt etwas dürftig.[cxx]

Seine Schilderungen zeigen jedoch eine Menge Fehler auf, welche sich auf einem medi­ta­tiven Weg ergeben können. Gerade hier zeigt es sich, daß ein Weg, welcher für Japaner - hier handelt es sich um Zen, welches in Japan für japanische Verhältnisse aus dem ursprüng­lichen CHAN umgeformt wurde - geeignet ist, für Europäer problematisch werden kann.

Immer wieder wird betont, daß der Sitz, die Meditationshaltung, beim Sitzen von größ­ter Bedeutung ist - trotzdem müssen die Europäer das Meditieren im Lotus bzw. Halb­lotus er­ler­­nen, was mit enormen Schmerzen[cxxi] ver­bunden ist[257]. Das Erlernen des Meditierens auf einem Sessel wird als Schwäche ausgelegt und mit Spott überschüttet[258], obwohl anderer­seits sehr genau verstanden wird, daß nur in einer richtigen Meditationshaltung das Medi­tieren richtig er­lernt werden kann.

In den Sesshins, den Meditationswochen in einem Zen-Kloster, wird im Sommer bis zu neun Stunden täglich, im Winter bis zu elf Stunden täglich meditiert. Die erste Woche im Dezember ist Rohatsu, die Sesshins aller Sesshins mit bis zu siebzehn Stunden Meditation täg­lich (S. 85). Laien, die aus diesem Anlaß ins Kloster kommen, halten in der Regel diese Stra­pazen nicht aus und brechen die Meditationen ab[cxxii] (S. 91). Vor der ersten Ro­ha­tsu wurde Wete­ring zum Kloster-Vorsteher gerufen. Gemeinsam mit zwei Brüdern redete dieser auf ihn ein, welcher verstand, daß wenn er die Rohatsu nicht durchstand, das Kloster ver­lassen müsse. Er stand unter schwierigsten Bedingungen die Rohatsu durch, nachträglich stellte sich aber heraus, daß der Vorsteher ihm nur verständlich machen hatte wollen, daß er, wenn er die Belastungen nicht mehr ertragen konnte, für die Zeit der Rohatsu außerhalb des Klosters hätte wohnen können (S. 88, S. 94). Diese Episode zeigt das enorme Problem beim Erlernen von Meditation in einem östlichen Land auf: das Sprachproblem[259]. Im meditativen Kontext sind sprachliche Dar­stel­lungen immer nur Annäherungen und Kommunikation muß oft mit meta­phorischen Mitteln durch­ge­führt werden, um sich (halbwegs) verständlich machen zu können. Bei diesem Beispiel war es die simple Aussage, er soll während der Ro­hatsu in einem Hotel wohnen. Wie sollen meditative Er­leb­nisse richtig interpretiert werden kön­­nen, wenn keine zu­ver­lässige, sprachliche Kom­muni­kation mög­lich ist? Wie soll ein öst­licher (anerkannt wirk­licher) Meister auf diese Weise sein Wissen an einen west­lichen Menschen weitergeben können, wenn nicht einmal die minimalste, sprachliche Kommuni­kations­fähigkeit gegeben ist?

Ein Zen-Praktizierender sucht alles mit voller Aufmerksamkeit zu verrichten, er wird sich immer bewußt sein, was er tut[260]. Typisch für Zen ist »das Ausfüllen eines jeden Augen­blicks, einer jeden Tätigkeit mit einem restlosen Bewußtsein der Bedeutung dessen, was man tut«[261], in einer die »jeden Augenblick ausfüllende absolute Selbstdisziplin«.[262] Die­ses auf­merk­same Leben hat aller­dings auch seine kleinen Schwächen, wie eine Ge­schichte bei Wetering (S. 50f) zeigt: Bei einem heftigen Erdbeben wurde ein Teil eines Tem­pels zer­stört. Ein Priester, welcher mit einem jungen Mann dort lebte, nahm bei Ausbruch des Erd­bebens seinen Schützling bei der Hand und begab sich in die Küche, welche der sicherste Ort im Klos­ter war. Beide überstanden das Beben ohne Verletzung. Als das Beben vorbei war, wies der Priester seinen Schützling darauf hin, wie ruhig er als Zen-Mann auf die Bedrohung reagiert hatte. Ohne Panik mit vollem Bewußtsein sei er mit ihm in die Küche gegangen. Einen leichten Schock habe er aber doch erlitten, weil er nachher ein großes Glas Wasser ge­trunken habe. Sein Schützling reagierte auf die Darstellung des Mönchs leicht amüsiert, weil dieser nicht ein Glas Wasser, sondern - ein großes Glas Sojasoße getrunken hatte. Diese kleine, sehr menschliche Geschichte zeigt auch die Grenzen meditativer Übungen und die eigenen Fehleinschätzungen von Meditanten auf.

Die Intensität, mit der im Zen meditiert wird, ist wohl darauf zurückzuführen, daß Satori gesucht wird. In der Wirklichkeit des Zen gelangen die Adepten zu ihrem wahren Ich, zur Selbst­verwirklichung. Zen ist Selbst-Erkenntnis, nicht rational oder emo­tional, sondern in einer Umwandlung, welche das Verhalten zum Leben, zu den Problemen und zu den anderen Menschen wesentlich ändert und neu bestimmt.[263] Die Idee des persönlichen Ich muß auf­gegeben werden, genauso wie das ich-gerichtete Streben nach Dingen der Erschei­nungs­welt.[264] Das Grundmotiv des Zen ist die Ich-Zerstörung.[265] Altmeister Lin-Tsi (Rinzai) for­dert die Anwärter auf, frei zu werden von ihrem kleinen «Ich», frei zu sein von sich selbst, den eigenen Egoismus zu zerstören.[266] Es kommt darauf an, daß man vor seinem Selbst steht, in sein Selbst eindringt. Im Augenblick, da alles zerrinnt, erscheint das Selbst, der volle Lebens­strom, das All.[267] Für einen Zen-Adepten existiert das Ich nicht, da sich das Ich ständig ver­ändert.[268] Diese Denkweise ist asiatischer Provenienz. Das „Auflösen des Ich“ im meditativen Akt wird hier in eine Weltanschauung transponiert, welche die Reinkarnation als Hintergrund hat. In diesem Fall ist das jeweilige (präsente) Ich tatsächlich eines, welches einem ständigen Wandel unterworfen ist (durch die Äonen der Wiedergeburten hindurch). Es ist jedoch eine falsche Welt­sicht, wenn dieses Leben das einzige ist. Nach europäischer Sicht ist dieses Leben das einzige, das wir haben. Wenn ein westlicher Mensch in der Vollziehung dieser Prak­­tiken zu der Einsicht gelangt, daß er nur eine von vielen Reinkarnationen ist und die Ein­heit mit dem (unper­sön­lichen) All-Einen sucht - handelt es sich um eine genuine (natür­lich ent­standene) Über­zeugung oder handelt es sich um eine, welche durch die Zen-Exer­zi­tien ver­ursacht wurde?[cxxiii]

 

 

Kritik der empirischen Meditationsforschung

 

            In unserer Zeit wurde das wissenschaftliche Interesse an solchen Praktiken geweckt; die Einzelwissen­schaften, wie Psychologie und Medizin, wandten sich der Meditation zu und begannen dieses Phänomen mit den ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln zu unter­suchen. Durch die methodischen Untersuchungen stellte sich bald heraus, daß meditativ ver­ur­sachte Mentalprozesse auch auf der somatischen Ebene ihre Spuren hinterlassen. Zur Objek­tivierung der verschiedenen Meditations­formen nach wissenschaftlichen Kriterien werden neben psy­cho­logischen Erhebungen auch physiologische Parameter benutzt. Mit dem Elektro-En­ze­pha­lo­gramm (EEG) werden die Aktionsströme des Gehirns gemessen. Erfaßt werden auch die elek­tro­dermalen Aktivitäten bzw. der galvanische Hautwiderstand (GHR), die kar­dio­vasku­lären Parameter wie Puls und Blutdruck, Atemwerte wie Anzahl, Tiefe der Atem­züge, der Sauer­stoffverbrauch oder Stoff­wechsel­werte.[269] So wurde durch die empirische Medi­tations­forschung herausgefunden, daß bei auf Ruhe und Entspannung aus­gerichteten Meditations­formen (TM, Zen, Yoga) eine Sauerstoffreduktion bis zu mehr als 50% auftritt.[270] Die Herz­frequenz wird gesenkt und bei relaxierenden Meditationstechniken tritt eine Senkung des arteriellen Blutdrucks auf.[271] Die Muskelspannung wird während der Medi­tation redu­ziert.[272] Das Serum-Cholesterol wird wäh­rend und nach der Meditation ge­senkt, ohne ursäch­liche Zu­sam­menhänge plausibel machen zu können.[273] Verminderter Lactat­serum­spiegel wird als physio­logisches Korrelat für ver­minderte Angstwerte inter­pretiert.[274] Eine Ver­lang­samung der Alterungsprozesse konnte durch Unter­suchungen an Serum Dehydro­epiandrosteron Sulfat gezeigt werden.[275] Ein Ver­gleich zwischen Meditanten mit einer durch­schnittlichen Medita­tions­praxis von über 6,5 Jahren und Marathon­läufern zeigte Ähnlich­keiten in der hormonalen Ver­änderung (Beta-Endo­morphin) und Cortico­tro­pin-Releasing Hor­mon (CRH) mit den damit verbundenen Aus­wir­kun­gen im emotionalen Bereich. Subjektiv erlebte positive Ver­änderungen der Stim­mung bei ge­steigerter CRH-Aktivität weist auf erhebliche neuro­endo­krine Veränderungen während der Meditation hin.[276] Der Anstieg des elek­trischen Hautwider­standes während der Meditation wird als Zei­chen für nachlassenden Streß gedeutet. Meditie­rende haben eine schnellere Erho­lungs­fähigkeit.[277] Langzeitmeditierende wie Zen-Meister wiesen bei Unter­su­chungen während der Meditation einen Alpha-Rhythmus von 8 - 13 Zyk­len/sec. bei hoher Ampli­tude auf.[278] Bei Yogis wurde festgestellt, daß in tiefer Meditation bei externen Stimuli, wie starkes Licht, laute Geräu­sche, Berührung mit heißem Glas, Ein­tauchen der Hände in 4° kaltes Wasser über 45 bis 55 Minu­ten, keine Änderung des Alpha-Rhythmus festzustellen war[cxxiv]. Das Aus­bleiben der Alpha-Blockade wird, als Korrelat der Ab­schir­mung bzw. der Unempfind­lichkeit gegenüber exter­nen Stimuli, als zentraler Nachweis einer gelun­genen Meditationsform, der introvertierten Medi­ta­tion, gewertet.[279] Bei Unter­suchungen an Prakti­kanten der trans­zenden­talen Medita­tion wurde eine stärkere Aktivität der rechten Hirn-Hemisphäre fest­gestellt[280], in einer Viel­zahl von empirischen Untersuchungen wurde eine Syn­chro­nisation und Kohärenz beider Hirn­hemi­sphären während der Meditation berichtet.[281]

            An diesen paar Beispielen ist schon ersichtlich, daß durch die empirische Meditations­for­schung nachgewiesen wurde, daß die mentalen Prozesse, welche während des meditativen Aktes auf­treten, nicht als reine „Einbildung“ oder als Schein abgetan werden können. Die durch Meditation kausierten Effekte werden heute im klinischen Bereich, aber auch im Be­rufs­leben ange­wendet.

            So kann nach Delmonte (1982) der positive Effekt der Meditation zur Reduzierung von Angst und Neuro­tizis­mus als gesichert gelten; in der Behandlung der essentiellen Hyper­tonie scheint sie anderen Ent­spannungstechniken überlegen zu sein. Hilfreich ist sie bei der Ver­min­de­rung von Drogenkonsum und zur Verbesserung des Selbstwertgefühls. Meditation sei als zusätzliche Behandlung auf leichtere Störungen, wie Psychoneurosen und Psycho­somatosen, zu beschränken; ihr Einsatz kann bei schweren Störungen, wie Psychosen, nur in besonderen Fällen und bei sehr erfahrener Anleitung als nicht schäd­lich gelten.[282] In einer Feldstudie (1981 - 1985) wurde in einem Vergleich von TM-Prak­ti­­zierenden zu anderen Ver­sicherten der gleichen Versicherungsgesellschaft mit ver­gleich­baren sozialen Parametern ohne Meditationspraxis fest­gestellt, daß die Meditanten signifikant weniger krank waren.[cxxv] Studien an Kindern[283] und älteren Menschen[284] zeigen, daß jede Alters­gruppe von Meditation profitieren kann. Untersuchungen am Arbeitsplatz[285] weisen auf eine Re­duktion von arbeits­bedingtem Streß mit gesenktem Blutdruck, eine Verringerung der Krank­heitstage und auf einen Anstieg sozialer Zu­frie­denheit hin. Traditionelle Meditationstechniken – wissen­schaft­lich belegt im wesentlichen für die Transzendentale Meditation - eignen sich gut zum Lösen von gewohnten Gedanken­struk­turen. Sie eignen sich zur Förderung von Krea­tivität und zum Abbau von Streß und werden auch auf diese Weise in Unternehmen einge­setzt. Beim Chemieunternehmen Mont­gomery/USA gingen nach Einführung der TM (Beo­bach­tungs­zeit 3 Jahre) die Fehlzeiten um 85% und die Arbeitsunfälle um 70% zurück.[286] Grup­pen­kohärenz und Kreativität werden gefördert, wenn Gruppenmitglieder regelmäßig medi­tieren. So scheinen innerbetriebliche Har­monie, Kreativität und Produktivität eines Unter­nehmens er­staunlich gefördert zu wer­den[287].

            Diese äußerst positiven Berichte würden eigentlich Meditation als Allheil­mittel nahe­legen. Andere Forschungsergebnisse zeigen jedoch auch die negativen Aspekte von Medita­tion auf.

            Huth[288] berichtet von Bewußtseinsveränderungen, wie sie bei schamanistischen Prak­ti­ken auftreten. Es treten ekstatische Zustände auf, parapsychologische Phänomene, sowie der Eindruck, sich außerhalb des Körpers aufzuhalten; psychosomatische Erscheinungen, vor allem vege­tativ-ener­getischer Art; affekt- und stimmungsdominante Phänomene, wie depressive Ver­stim­mungen, Ver­zagtheit, Selbstzweifel, Unrast, etc.; mnestische Phänomene, wie Ein­drüc­ke, in frü­here Be­wußt­seinszustände zurückzukehren, zum Teil bis zur Geburt und in Aus­nahme­fällen als Reinkarnationserfahrungen; Zustände der Besessenheit von fremden Kräf­ten, Geis­tern und Dämo­nen; Zustände der Ichauflösung, die meist von schwerer Angst und ge­legent­lich vom Ge­fühl der Weltauflösung begleitet werden.

            Engel (S.278) differenziert zwischen pseudospirituellen Krisen, wie psycho­soma­ti­schen, -neurotischen bis psychotischen Erkrankungen und spirituell-religiöse Phä­nomenen, in denen Medi­tation zur Flucht vor Lebensbewältigung verwendet wird. Als echte spirituelle Krise sieht er energetische Phänomene, die bei einem unbalancierten, abrupten oder unvor­bereiteten Vorgehen auf dem meditativen Weg auftreten können. Aufbauende, die Kräfte aus­balancierende Wege wie bei Yoga oder im Buddhismus könnten nicht eingehalten werden und die Energien suchten sich ihre eigene Bahnen.

            In der Zen-Tradition zählt man ca. 50 sogenannte Zen-Krankheiten, wie etwa das Ent­stehen von Hypersensibilität, unmotiviertes Weinen oder Lachkrämpfe. Bei Zazen-Übun­gen tau­chen Visionen auf, Farben, Geräusche; manchmal ein berauschendes Gefühl der Ein­heit mit dem All. Viallet interpretiert diese Phänomene als Erscheinungen auf dem Weg zur Selbst­­ver­wirklichung, auf dem Weg zum wahren Ich.[289] Rhyner (1997) nennt mehrere Be­reiche der Zen-Krankheit: täuschende Empfindungen und Erscheinungen, die außerhalb der Medita­tion nicht vorhanden sind; die eigene Erleuchtungserfahrung führt zum Glauben, er­leuchtet zu sein; psychosomatische und somatische Beschwerden; der Zen-Koller: psychische De­kom­pen­sation mit Aversionen gegen Lehrer und Mitübende, welche bis zum Aufgeben der Übun­gen oder zu Suizid und Psychose führen.[290] Andere Autoren beschreiben Symptome wie Übel­­keit, Ver­wirrt­heit, kinästhetische Empfindungen und Formen der Dissoziation oder Angst­reak­­­tionen.[291]

            Die Gefahren von Meditation lassen sich aber auch in der Medi­tations­literatur an­hand der Darstellungs- bzw. Argumentationsformen, ohne krankheitsspezifischer Ausprä­gung, auf­zeigen. Zwei Beispiele von Autoren, welche nach Auffassung des Verfas­sers als gute Autoren auf dem Gebiet der wissenschaft­lichen Meditationsliteratur einzu­stufen sind, mögen hier an­ge­führt wer­den: Engel und Huth.

            Engel vertritt in seinem Buch Meditation (S.382f) die Position, daß aufgrund der Ent­wicklung die Meditationsforschung auf den Boden der überprüfbaren Wissenschaft ge­stellt würde. Aufgrund der Affinität von Meditation in der theoretischen Grundlegung weit in die religiösen Systeme sei damit die Grundlage für eine empirische Theologie ge­schaffen. »Mit der Meditationsforschung wird die Theologie aus der Tradierung von Glaubens­sätze heraus in eine überprüfbare empirische Wissenschaft überführt.«[292] Ob Gott tot oder ein le­ben­­diges Phänomen darstelle, sei nicht mehr eine Sache der Verkündigung oder des philoso­phischen Glaubens, sondern werde ein überprüfbares Ergebnis experimentellen Vor­gehens.

»Die Meditationsforschung ermutigt uns, je weiter sie fortschreitet, desto mehr zu dem Satz: Gott lebt, gestern haben wir ihn erfahren, und hebt damit die Aussage des Philosophen[cxxvi], auf den wir bewußt anspielen, auf einer breiten Basis wieder auf. Nichts anderes war das Ziel dieses Buches.«[293]

 

Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden[cxxvii]. Persönliche Erlebnisse metaphysischer Transzendenz - auch wenn sie auf meditative Erfahrung zurückgehen - als „Beweis“ für die Wahrheit[cxxviii] metaphysischer Transzendenz zu interpretieren, wäre ein gravierender Fehler. Kant hat in seiner Vernunft- und Verstandeskritik die Grenzen menschlicher Erkenntnis auf die Welt der Erfahrung restringiert, weil er erkannte, daß ein Transzendieren dieser Grenze die Ver­nunft in Bereiche entschweben läßt, worüber sie keine Aussagen machen kann. Er de­struierte auf diese Weise die Ansprüche der klassischen Metaphysik. Jaspers wußte um die Be­weiskraft der Kantschen Argumente und aus diesem Horizont heraus formulierte er seinen philosophischen Glauben. Kant hatte zwar keine meditative Erfahrung, es läßt sich aber kein Argument finden, warum Erfahrungen (Erlebnisse) im meditativen Versenkungszustand nicht den Gesetzmäßig­keiten der mensch­lichen Erkenntnisfähigkeit gehorchen sollen. Warum sol­len sich meditative Erfah­rungen von den „normalen“ unterscheiden? Die intellektuellen Leis­tungen des Menschen sind das Ergebnis zerebraler Vorgänge. Anzunehmen, daß medi­tativ ver­ur­sachte Mentalprozesse anders kausiert würden, wäre eine ziemlich absurde Schluß­folge­rung. Eine Fata Morgana als Sinnestäuschung wird als sehr real empfunden und doch ist sie nur eine Luft­spiegelung, die heute sogar nach naturwissen­schaft­lichen Kriterien erklärt wer­den kann. Welche Gewähr gibt es gegen die Täuschung „medi­tativer Fata Morganas“? Wel­che Falsi­fizierungskriterien können für meditative Erlebnisse angegeben wer­den? Jeder Medi­tant kennt das Problem, meditative Erlebnisse sprachlich darzustellen. Eine sprachliche Des­krip­tion ver­fremdet das ur­sprüng­lich Erlebte oder Empfun­dene derart, daß ein Un­kundiger durch eine Erzählung mit Sicher­heit nicht den richtigen Eindruck erhalten kann![cxxix] Sogar Medi­tanten der gleichen Medi­tationstechnik sind genötigt, Zuflucht zu meta­phorischen Aus­drucksweisen zu nehmen, um sich verständlich zu machen. Im medita­tiven Akt werden offen­sichtlich Sphären des Unbe­wußten der eigenen Seele aktiv. Anzu­nehmen, daß durch das Ein­tauchen in Bereiche der eigene Seele eine Trans­zen­denz in ein meta­physisches (anderes) Sein vonstatten ginge, läßt sich nicht veri­fizieren. In einem medita­tiven Akt ist rationales Den­ken extrem hinder­lich, weil dadurch eine meditationsabträgliche Dyna­mik hineinkäme. Denken und Meditieren sind inkompa­tibel.[cxxx] Ein unbegründ­bares Denken in der Wissenschaft wäre genauso widersinnig wie ein ratio­nales im medita­tiven Akt.

            Beim Meditieren werden die tiefsten, seelischen Schichten angesprochen, welche nicht den Gesetzen des rationalen Denkens gehorchen. Auch Triebe, Emotionen oder verdrängte Be­dürfnisse werden wach und fordern ihre Befriedigung. Zu glauben, daß man diese elemen­taren, aus der Urzeit unserer Hominidenentwicklung stammenden Kräfte rein volitional steu­ern könnte, wäre ein Fehlschluß.

Es ist ein Kennzeichen von falschem Meditieren, daß die logische Kritik­fähig­keit leidet. Wenn z.B. eine Anhängerin des Yoga[cxxxi], welches sie aus einem Buch gelernt hatte, plötz­­lich die Meinung vertritt, daß jeder, der nicht an Wunder glaube, ein Vollidiot sei. Aller­dings sah sie Berichten zufolge auch am hellichten Tag Ufos, welche für alle anderen unsicht­bar waren. Diese aus den tiefsten Schichten der Seele stam­menden Kräfte beherrschen dann das Den­ken in einer Weise, daß das Realitätsbewußtsein darunter leidet. Wenn ein Meditant nicht zwischen objektiver Wirklichkeit und subjektiver Realität unter­scheiden kann, d.h. wenn er nicht mehr die Differenz zwischen den verschiedenen Realitätsebenen wahr­nimmt, so ist dies ein zu­ver­lässiges Kriterium für fehlgelaufene Medita­tionen. Bei rich­tigem Meditieren lernt man diese Dynamik zu steuern. Selbst-sein hat viel damit zu tun, daß man sich bei medi­ta­tiven Übungen nicht an das Irra­tionale verliert, welches unbe­strit­tener­weise auftritt. Selbst-wer­den beim Meditieren ist eine Form des Kampfes - des Kamp­fes, nicht sein eigen­stes Ich[cxxxii] zu ver­lieren. Meditation kann weitgehend als Selbst-Entwick­lung betrachtet werden.

 

            Im Buch Meditation von Huth & Huth findet man bei der Erklärung der richtigen Medi­tations­haltung folgende Textstelle[294]:

»Zur richtigen Haltung gehört auch der gute Brauch in Ost und West, daß man sich zu Beginn und am Ende der Meditation tief verneigt. Darin drückt sich die Verehrung jener geistigen Wirklichkeit aus, zu der man bei der Meditation in Beziehung treten möchte. Zugleich ist die Verneigung ein Zeichen der Dankbarkeit für den Platz, an dem man die Kräfte zu konzentrieren versucht, und für die Zeit, die einem zur Sammlung, Einkehr und Begegnung mit dieser geistigen Wirklichkeit ge­schenkt worden ist.«

 

Welche geistige Wirklichkeit wird hier verehrt? Warum soll ich einem Platz dankbar sein? Im Zen ist die Verneigung vor dem Niedersetzen (Gasshó) ein Zeichen für die innere Demut und den Willen, die Einheit mit dem ganzen Universum zu erreichen.[295] Dies wäre für einen euro­pä­ischen Materialisten ein völlig unverständliches Unterfangen. Dies würde bedeuten, daß er seinem eigenen Geist Verehrung zuwen­den müßte[cxxxiii] und der un-bewußte Platz ist ein physi­ka­lischer Lokus, der nach Kriterien der Zweck­mäßigkeit auszusuchen ist. Diesem Platz Dank­bar­keit entgegenzubringen wäre paradox.

Aller­dings hätte diese Verneigung Sinn, wenn sie als Beginn und Abschluß des meditativen Aktes verstanden würde und hätte damit eine psycho­hygienische Funktion[cxxxiv]. Der meditativen Tätigkeit Respekt entgegenzubringen[cxxxv], ist sehr ratsam - weil dadurch der Meditierende nicht leichtsinnig und im Üben schlampig wird. Leichtsinn und Schlampigkeit bergen nicht nur die Mög­lichkeit erfolglosen Bemühens in sich, sondern auch die Gefahr, gesundheitlichen Scha­den zu nehmen.

Die Argumentationsstruktur bei diesen Beispielen von Engel und Huth läßt schließen, daß ein „trans­zen­dentes Denken“, welches durch meditative Praktiken kausiert wurde, die Logik der Argumentation diktiert[cxxxvi].

 

            In der empirische Meditationsforschung wird versucht, Meditation nach (natur)wissen­schaft­lichen Kriterien zu erfassen und durch quantifizierende Verfahren einer vergleichenden Eva­lu­ierung zuzuführen. Diese Vorgangsweise ist zwar genuin wissenschaftlich, es stellt sich jedoch die Frage, ob damit das Wesen von Meditation erfaßt werden kann. Der Zweck von Meditation ist die bewußte Formung des menschlichen Geistes, als Produkt von Intellekt und Seele[cxxxvii]. Läßt sich der menschliche Geist quantifizieren? Kausalzusammenhänge mit me­dita­tiven Vorgängen herzustellen ist extrem schwierig. Meditanten üben regelmäßig, d.h. täglich, wo­durch ein Kontinuum in der Entwicklung in beständiger Reziprozität mit dem exi­sten­tiellen Sein gegeben ist. Die direkte Unterscheidung von Wir­kungen aufgrund exo­gener[cxxxviii] oder endogener[cxxxix], nicht mit Meditation zusammenhängender Einflüsse ist oft un­mög­lich. Bei fehl­ge­lau­fe­nen Meditationen ist der Meditant oft nicht in der Lage fest­zu­stellen, ob seine Emo­tionen, wie Aggressionen, Ängste, etc., seiner eigenen Hyper­sensi­bilität zuzu­schreiben sind, ob er die Ursache (fälschlicherweise) auf einen exogenen Verursacher proji­ziert, oder ob tat­sächlich exoge­ne, d.h. objek­tive Einwirkungen vorliegen. Meditation heißt, sich mit Willen einer Bewußtseins­genese zu unterziehen. Der Wechsel der ver­schiedenen Bewußt­seins­formen bringt immer eine gewisse Instabilität bzw. Unsicherheit bezüglich der vergangenen oder zu­künftigen Bewußt­seinsform mit sich[cxl]. Da es sich um geistige Prozesse handelt, sind sie sehr schwer „dingfest“ zu mache. Das Erlebnisbewußtsein ist kein zuver­lässiges Krite­rium, wes­halb die Anwendung psychometrischer Mittel äußerst problematisch ist. Bei der Beant­wor­tung von Fragebogen hat der Proband das Problem, seine eigene subjektive Sicht, sowie sein eigenes Sprachempfinden der vorgegebenen Struktur der Frage anzupassen, was oft in einer nur sehr defizienten Weise durchgeführt werden kann. Wenn es sich um keine Lang­zeit­studie handelt, ist die Beantwortung immer nur eine Momentaufnahme, d.h. sie unter­liegt sehr stark dem Zufall der jeweiligen endogenen oder exogenen Bedingungen. Bei Lang­zeit­studien ergibt sich das Problem, das sich die Zuordnung eines bestimmten Phä­no­mens in der sub­jektiven Welt des Erlebens im Laufe der Jahre ändert und sprachlich anders arti­kuliert[cxli], d.h. die Sprache ändert sich, womit ein Fragebogen „veraltet“. Ändert sich im Laufe der Zeit das Phänomen? Oder das subjektive Empfinden (Bewußtsein)? Oder ändert sich nur der sprach­liche Ausdruck?

Als Alternative werden physiologische Messungen vorgenommen, was eine eindeutige Ob­jek­tivie­rung darstellt. Problematisch ist hier jedoch die Interpretation der Ergebnisse. Wenn eine Studie eine Erhöhung des galvanischen Hautwiderstandes von 160%, eine andere aber nur einen Anstieg von 30 - 40% berichtet:[296] Stützen solche - stark divergierende - Werte[cxlii] tat­säch­­lich die Hypothese, daß diese Erhöhung als Symptom für nach­las­senden Streß zu deuten ist?[297] Was be­deu­tet es, wenn Yogis in der meditativen Versenkung exo­genen, phy­sischen Reizen aus­ge­setzt wer­den und sich der Alpha-Rhythmus nicht ändert?[298] Sind solche physi­kalisch meßbaren Er­geb­nisse[cxliii] ein Zeichen für den Wert von Medi­ta­tion?

Die Operationalisierungskriterien stellen ein weiteres Problem dar. So wird z.B. Intelligenz zu dem, was ein bestimmter Intelligenztest mißt.[299] Ott weist auf die Schwierigkeit hin, daß die ent­sprech­enden Kriterien von modernen Forschern stammen, welche den traditionell-religi­ösen Inter­pretationsmustern vieler Meditationsformen fremd sind.[300] Außerdem wird der Ver­lauf einer Meditation schon durch das Faktum des Erfassens eines bestimmten Kriteriums be­ein­flußt, wie der Verfasser aus eigener Erfahrung weiß. So wird z.B. eine Bewußtseins­beein­träch­ti­gung schon durch das Wissen um eine Zeitmessung verursacht.

Da sich Meditation auf die gesamte Existenz entwirft und sich auch auf das ganze existentielle Sein auswirkt, kann man von der empirischen Meditationsforschung nicht erwar­ten, daß sie das Wesen der meditativen Prozesse erfaßt. Erwarten läßt sich aber sicherlich à la longue ein wissenschaftliches[cxliv] Verständnis der psychischen und physischen Abläufe im medi­ta­tiven Akt.

 

 

 

»Philosophieren ist der Entschluß, den Ursprung wach werden zu lassen, zurückzufinden zu sich und im inneren Handeln nach Kräften sich selbst zu helfen.«

Karl Japsers, Einführung in die Philosophie, S. 93

 

 

 

 

Kritik der Philosophie

 

In der indischen Philosophie wurde die Richtigkeit eines Systems darin gesehen, daß der Weise sich an die Prinzipien seiner Lehre gebunden fühlte und sie in die Praxis umsetzte[301]. In der euro­päischen Antike implizierte Philosophie zwar immer eine bestimmte Lebensweise, Priorität wurde jedoch auf die erkenntnistheoretische Wahrheit einer Lehre gelegt. In den Plato­nischen Dialogen zeigt sich der Geist des Logos im dialektischen Diskurs. Es wäre un­denkbar gewesen, eine philosophische Lehre nur deshalb zu akzeptieren, weil sie vom Philo­sophen gelebt wurde. Wenn auch der Bezug zur Praxis wich­tig war[cxlv], so war die Wahrheit[cxlvi] der Lehre unerläßlich.  In der chinesischen Philo­sophie war ein Konfuzius Bewahrer und Wieder­­her­steller der alten Ordnung; der antike, alt­griechische Philosoph richtete seine Blick jedoch in die Weite, sodaß ein Thales in die Grube fiel, weil er nach den Sternen blickte und die Magd, welche dies sah, amü­sierte sich darüber köstlich. Sie, die in den praktischen Dingen bewan­dert war, konnte offensichtlich nicht ver­stehen, daß ein Weiser so dumm sein und in den ein­fachsten Dinge des Lebens so ver­sagen konnte[cxlvii]. Diese Eigenschaft des altgrie­chischen Geis­tes, für neue Dinge offen zu sein und nach logischen Kriterien zu analysieren, hat die euro­päische Form von Wissenschaftlichkeit hervorgebracht, welche heute in der Ero­berung des Weltraums gipfelt. Entscheidend für diese Entwicklung war die Emphase des rationalen, logischen Denkens, welches sogar im dunklen Mittelalter, als die Philosophen nur durch die Erfin­dung der doppelten Wahrheit in einem religi­ösen Zeitalter des Wunder- und Aber­glaubens überleben und philosophieren konnten, ihre Ver­treter hatte[cxlviii]. Mit der mittel­alter­lichen Universität als Stätte der weltlichen Lehre von Wissen­schaft und Forschung hatte auch die Philosophie, die Magd der Theologie, ihren Wirkungskreis gefunden. Die rudimen­tären Kennt­nisse der antiken Philosophie erweiterten sich schlagartig mit dem Fall von Konstan­tino­pel im Jahr 1453 und der damit verbundenen Flucht der griechischen Gelehrten in den Wes­ten. Die Veränderung des Weltbildes durch die Entdeckung Amerikas, das Bekannt­werden Koper­nikus’ De revolutionibus orbium coelestium, so­wie der naturwissen­schaft­lichen Er­kennt­nisse Galileis und Keplers trug dazu bei, das Primat der kirchlichen Welt­sicht zu bre­chen. Während im 17. Jahrhundert die letzten großen Vertreter der indische Philo­so­phie leb­ten[302], leitete Descartes in Europa die neuzeitliche Philosophie ein. Mit seinem »cogito, ergo sum« setzte er das mensch­lichen Bewußtsein seiner selbst in das Zentrum der Welter­kennt­nis, dieses Ich war der Garant für Existenz, für Dasein. Noch immer mußte man die kirch­liche Inquisition fürch­ten, wissen­schaftliche Erkenntnisse wurden anonym publi­ziert, die Aufklärung war aber nicht mehr aufzuhalten, und Kant, ein gläubiger Christ, kam in seiner Unter­suchung der mensch­lichen Erkenntnisfähigkeit zum Schluß, daß sich Gott nicht mit rationalen Mitteln beweisen ließ und destruierte nicht nur sämtliche bis auf das Mittelalter zu­rückgehenden Gottesbeweise, sondern auch die gesamte Metaphysik derart nachhaltig, daß sich nach ihm kein Philosoph als Metaphysiker im Sinne der klassischen Metaphysik be­zeichnen würde. Die Einzelwissen­schaften haben sich im Laufe der Geschichte von der Mutter aller Wissenschaften, der Philo­sophie, emanzipiert, nun tritt eine gegenläufige Be­wegung ein: Die Ergebnisse der Einzel­wis­senschaften befruchten das philosophische Denken bis zum heutigen Tag. So produziert die Physik ein Weltbild, welches nicht mit dem physi­ka­lischen Wissen interpre­tierbar ist. Physiker werden Philoso­phen, um Antworten auf ihre Fra­gen zu bekommen. Philosophen deu­ten die Er­geb­nisse der physikalischen Forschung und hin­ter­­fragen sie.

So wird in der Physik die Raum­krüm­mung gelehrt, eine paradoxe, rational für den allge­meinen Verstand nicht einsehbare Lehre. Wie kann der Raum ge­krümmt sein? Man mache ein Gedan­kenexperiment: Man lasse die gesamte Materie des Univer­sum ver­schwin­den - ist der Raum dann noch ge­krümmt? Angenommen, die „Raumkrüm­mung“ wird durch die Gravita­tions­felder der Materie[cxlix] ver­ursacht und das Licht, das schnellste Medium unserer Kenn­tnis nach, wird dadurch aufgrund seiner Partikel-Natur[cl] abgelenkt: Erfolgt die Ab­len­kung aufgrund einer im Raum be­find­lichen, „unsichtbaren Struktur“ oder aufgrund der Anzie­hung der Partikel-Masse des Photons durch die Gravitation? Wenn Kant sagt, »der Ver­stand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor«[303], so kann dies als Beispiel dafür an­geführt wer­den[cli]. Einstein fand in der Riemann­schen Geo­metrie die Berechnungs­mög­lich­keiten, welche in der Euklidischen nicht gege­ben waren - und nahm eine „Raumkrümmung“ an, wodurch astronomische Phänomene in den Be­reich der mathe­ma­tischen Verfügbarkeit kamen.

Es sei weiters auf die Quantenphysik hingewiesen, welche mit ihren Experimenten enorme Probleme für die Logik aufwirft. Durch die quantenphysikalische Forschungsarbeit werden die elemen­tarsten Sätze der Logik[clii] in Frage gestellt[cliii], welche die Grundlage jeder ratio­nalen Analyse und da­mit von Welt­erkenntnis sind. Sind die Quantenphysiker deshalb nicht in der Lage, die auf­tretenden quanten­physi­kalischen Phänomene zu deuten, weil sie in empirischen Kategorien der makros­kopischen Welt denken? Sie denken in „makrosko­pischen Sprachkategorien“[cliv], wel­che offen­sichtlich nicht geeignet sind, die mikroskopische Welt der Quanten zu erfassen. Durch die Quan­ten­physik wird die Frage nach der rationalen Erkenn­barkeit des Seins auf­geworfen; beim derzeitigen Stand der Forschung wäre es jedoch ein großer Fehler, deshalb das Denken nach ratio­nalen Kriterien aufzugeben. Rationalität hat ihre Grenzen, die Undeut­barkeit der quanten­physi­kalischen Forschungsergebnisse aber als Argu­ment für irrationale Lebens­weisen und Er­klärungsmodelle anzuführen und das wissen­schaft­liche Denken als minder­wertig zu be­trach­ten[clv], würde einen Rückschritt in der Ent­wicklung der Menschheit bedeuten.

 

            Philosophisches Denken ist universalistisches Denken in dem Sinne, daß es nicht einer be­stimmten Methodenrestriktion unterliegt oder sich ausschließlich partikulären Aspekten des Seienden zuwendet, es ist jedoch immer logischer Konsistenz und Strin­genz verpflichtet. Logische Intelligenz hat sich als besonders geeig­net für die Analyse natur­wissen­schaft­licher Phänomene erwiesen und die Philosophie europäischer Provenienz ist auch in unserer Zeit noch immer in der Lage mit den Ergebnisse der naturwissenschaftlichen For­schung Schritt zu halten, wozu Philosophien eher mythischer Orientierung, wie die indische, offen­sicht­lich nicht in der Lage waren. Die europäische Philosophie reduzierte sich aber schon in der Antike nicht auf eine (physikalische) Welterklärung. Es wurde nicht nur die Frage nach dem Wesen der Dinge, sondern auch die Frage nach dem Wesen des Menschen gestellt. Prota­goras beantwortete die Frage mit dem Homo-mensura-Satz, wodurch die Relativität der mensch­lichen Existenz und ihrer Erkenntnisfähigkeit in ihren verschiedenen Aspekten aus­gedrückt wurde[304]. Die Frage nach dem Mensch-Sein wurde jedoch nicht nur in der Philo­sophie tradiert, sondern auch in der christlichen Lehre. Der Apostel Paulus forderte die Bekehrten auf, ihren früheren Wandel in der Sünde, den alten Menschen, abzulegen und in Christus neue Menschen zu werden, d.h. ein Leben zu führen, welches dem Tugendkatalog der christlichen Lehre entspricht. Ihr Trachten soll auf das Himmlische gerichtet sein.[305] Dieser Gedanke des neuen Menschen taucht im Mittel­alter (Augustinus, Anselm von Canterbury)[306] bis in die Neu­zeit (Jakob Böhme, Kant)[307] noch in religiösem Kontext auf. Mit Herder bekommt dieser Begriff jedoch die Bedeutung einer kulturellen Entwicklung[308]. Bei Schleiermacher taucht die For­derung nach einer individuellen Aus­prägung von Religion für den Menschen auf[309], »… in­dem ein Teil des unendlichen Be­wußt­seins sich losreißt und als ein endliches an einen be­stimm­ten Moment in der Reihe orga­nischer Evolutionen sich anknüpft, ein neuer Mensch ent­steht, ein eignes Wesen …«.[310] Die Auf­klärung führte zur religiösen Toleranz und zum Ideal einer Erziehung zur Humanität[clvi]. Kant forderte: »Habe Mut, dich deines eigenen Ver­standes zu bedienen!«[311].

Der neue Mensch wurde einer, welcher seinen Weg aus eigener Kraft ging und sich eigene Ziele setzte. In der Antike hatte das »Übermenschliche« die Bedeu­tung von »gött­lich«, bei Nietzsche war der Übermensch einer, der den Menschen über­winden sollte[clvii]. In Nietz­sches Ab­wendung vom Christentums ließ er seinen Über­menschen das Ziel im Ir­dischen sehen.[312] Gott könne man nicht schaffen, aber den Über­menschen,[313] nur im Tod Got­tes könne der Über­mensch ent­stehen.[314] Nietzsche propagierte die absolute Selbst-Ständigkeit des Indivi­du­ums, die Freiheit des Willens in seiner Eigen-Mächtigkeit. »Da es keinen Gott mehr gibt, ist die Einsamkeit nicht mehr zu ertragen«, deshalb müsse der hohe Mensch ans Werk[315]. Das Wesent­lichste im höheren Menschen ist das Gefühl »wer bin ich? wer ist der andere im Ver­hältnis zu mir?«; Mitleid ist nicht die Motivierung seines Handelns.[316] Eudä­mo­nis­tische Wert­maße sind ein Zeichen von Rückgang. Der höhere Mensch unterscheidet sich vom niederen durch die Furcht­losigkeit und Herausforderung des Unglücks. Das Chris­tentum mit seiner Per­spektive auf Selig­keit sei eine typische Denkweise für eine leidende und verarmte Gattung Mensch. Eine volle Kraft wolle schaffen, leiden, unter­gehen.[317] »Wer ganz tief und stark sein eigenes Ideal för­dert, kann gar nicht an andere glauben, ohne sie abschätzig zu be­urteilen - Ideale geringerer Wesen, als er ist. Die absolute Höhe unseres Maßstabes ist eben der Glaube an das Ideal.«[318] »Wir haben die Welt, welche Wert hat, geschaffen!«[319] »Moral ist die Lehre von der Rang­ordnung der Menschen … also die Lehre von den mensch­lichen Wert­schätzungen in be­treff alles Menschlichen.«[320] Nietzsche sieht in einer absoluten Moral mit ihrem unbedingten Wahrheits- und Gefolgsanspruch für sich - und die Men­schen - den Unter­gang, weshalb die Ver­nichtung von Moral in seinem Interesse liege. »Um leben und höher wer­den zu können - um den Willen zur Macht zu befrie­digen -, müßte jedes absolute Ge­bot beseitigt werden. Für den mächtigsten Menschen ist auch die Lüge ein erlaubtes Mit­tel, beim Schaffen: ganz so verfährt die Natur.«[321] » - es gibt weder moralische, noch unmoralische Hand­lun­gen.«[322] Das Moralische ist we­sens­gleich mit dem Un­moralischen. Jede Entwicklung der Moral ist mit unmora­lischen Mitteln zu unmoralischen Zwecken ermöglicht worden. Das verrufene Unmoralische ist, öko­nomisch betrachtet, das Höhere und Prinzipiellere und eine größere Fülle des Lebens bedingt notwendig auch den Fortschritt der Unmoralität.[323] »Moral gehört ins Reich der Erschei­nung.«[324] Die Moral der Selbsterhaltung ist bei weitem das feinste System der Moral.[325] »Alles Ge­schehen aus Absicht ist reduzierbar auf die Absicht der Meh­rung der Macht.«[326] Dem Begriff «Kraft», mit dem die Physiker Gott und die Welt ge­schaffen haben, muß nach Nietzsche ein innerer Wille zugesprochen werden, welchen er »als „Willen zur Macht“, d.h. als unersättliches Verlangen nach Bezeigung der Macht; oder Ver­wendung, Ausübung der Macht, als schöp­ferischen Trieb, usw.« bezeichnet.[327] Der Mensch strebt nicht nach Glück, sondern nach Macht.[328] Unsere Werte werden in die Dinge hin­ein­interpretiert[329], »Wert ist das höchste Quantum Macht, das der Mensch sich einzuver­lei­ben ver­mag - der Mensch: nicht die Mensch­heit! Die Menschheit ist viel eher noch ein Mittel als ein Ziel.«[330] Der Mächtige, der gewohnt ist, Wert zu geben, urteilt, daß etwas an sich gut ist, was für ihn gut ist.[331] Gut und Böse sind nur Perspektiven, im ganzen ist alles Böse genauso notwendig wie das Gute.[332] Das Böse ist die Quelle des Guten.[333] Ein tugendhafter Mensch ist eine nied­rigere Spezies, weil er keine «Person» ist und seinen Wert dadurch erhält, daß er in ein Sche­ma Mensch paßt; er kann verglichen werden, er soll nicht einzeln sein.[334] Alle großen Men­schen waren Ver­brecher, im großen Stil und nicht im erbärmlichen, das Verbrechen ge­hört zur Größe.[335] Ein Verbrecher ist ein Mensch, der sein Leben, seine Ehre, seine Freiheit ris­kiert, er ist ein Mann des Muts.[336] »Ein großer Mensch wird gestoßen, gedrückt, gedrängt, hin­aufgemartert in seine Höhe.«[337] An die Stelle des Genies setzt Nietzsche den Menschen, der über sich selber den Menschen hinausschafft, an die Stelle des Philosophen den freien Geist, den Erlöser von Moral.[338] Wir wehren uns gegen die wilden Energien, solange wir sie nicht als Kraft zu nützen wissen, und so lange nennen wir sie böse. Die Frage ist, wie macht man Verbrechen nützlich, wie macht man seine eigene Wildheit nützlich?[339] »Werde fort und fort, der du bist - der Leh­rer und Bildner deiner selber![340] Der ökonomische Verbrauch von Mensch und Mensch­heit be­dingt die Entwicklung eines Luxusüberschusses der Menschheit, einen Menschen der stär­keren Art, des höheren Typus, den Übermenschen, welcher die Geg­ner­schaft der Menge und der «Nivellierten» braucht.[341] Ein großer Mensch verachtet alles kleine Zeug und wirft es weg[clviii]. Es fehlen ihm die Tugenden, welche mit «Achtung» und Ge­ach­tet-werden zusammen­hängen, er hat keine Furcht vor der «Meinung». Er will kein «teil­neh­mendes» Herz, sondern Diener und Werkzeuge, er will etwas aus ihnen machen. In ihm ist Einsamkeit, unerreichbar für Lob und Tadel, »eine eigene Gerichtsbarkeit, welche keine In­stanz über sich hat.«[342] Die Selbst­über­win­dung ist die Stufe der Überwindung des Men­schen.[343] Ziel ist es nicht, Men­schen «besser» zu machen, einen idealen, moralischen Men­schen zu schaffen, »sondern Zu­stände schaf­fen, un­ter denen stärkere Menschen nötig sind, welche ihrerseits eine Moral (deut­licher: eine leiblich-geistige Disziplin), wel­che stark macht, brauchen und folglich haben wer­den.«[344]

Dieses Menschenbild zeugt von dem Wunsch einer maßlosen Entfaltung der eigenen Bedürf­nisse. Nietzsche entwickelte es aus einem tödlichen Haß gegen das Christentum[345] und seine Ablehnung richtet sich gegen das christliche Verständnis von Moral, er verwirft damit aber jegliche Form von Moralität. Das hemmungslose Ausleben der eigenen Triebhaftigkeit ent­spricht einem infantilen Lebensgefühl, nicht der Weltsicht eines reifen Menschen, der sich der Unmöglichkeit einer hemmungslosen Befriedigung im gemeinschaftlichen Leben bewußt ist. Bei einem primitiven Verständnis dieser Lehre, d.h. ohne die huma­nistischen Aspekte zu be­rück­sichtigen[clix], entartet es in ein Herrenmensch-Denken, welches alle Mitmenschen instru­men­­ta­li­siert und als Untermenschen, d.h. als „Gebrauchsgegenstand“ betrachtet. Das Ego steht im Zen­trum des Machtdenkens.[clx] Diese Destruktion von Moral ist nicht einer Kritik von Moral gleich­zusetzen. Es läßt sich wohl heute nicht mehr feststellen, inwieweit das Denken Nietzsches die Entwicklung Europas im 19. und 20. Jahrhundert beeinflußt hat, aber die De­struk­tion der Werte hat im 20. Jahrhundert in Verbindung mit der politischen und wirtschaft­lichen Ent­wick­lung zu einer Werte-losen Gesellschaft geführt, welche ihr Ziel und ihre Be­stimmung in einer maß­losen Vergnügungs- und Konsumsucht sieht und in ihrem Streben sogar die eigenen Lebens­grundlagen zer­stört. Die Auflösung der Moral hat nicht nur zur Zer­störung der Schein­moral, sondern zur Auf­lösung jeglicher moralischer Wertvor­stel­lungen ge­führt.

 

In der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts wird das Menschenbild anders defi­niert. Martin Heidegger untersucht in Sein und Zeit die Bedin­gungen und Möglichkeiten, wel­che das Sein und das Wesen des Menschen in seinem Existieren, seinem Da-sein, in dieser Welt ausmachen[clxi]. Die Frage nach dem Sinn von Sein und eine Interpretation der Zeit als des (einzig) möglichen Hori­zonts jedes Seinsverständnisses überhaupt wird gestellt. Der Mensch heißt »Dasein«[clxii] und die (physikalische) Welt, in der er sich aufhält, ist das Seiende im »Sein«. Die Frage, was der Mensch sei, wird als gleich­rangig betrachtet wie die Seins­frage selbst. Das In-der-Welt-sein wird als Grundver­fassung des Daseins definiert. Räum­lichkeit und Zeitlichkeit wer­den als Grenze des Daseins bestimmt. Selbstsein und Mit­sein, die Ge­mein­schaft mit ande­ren Men­schen in der Welt wird als wesentlich erachtet. Analy­siert wird das eigentliche Sein des Men­schen, das Selbstsein, und das »Verfallen« des Men­schen in der Welt. Im Verfallen geht der Mensch seines eigensten Selbstseins verlustig, m.a.W. der Mensch verliert seine nur ihm eigene, sub­jektive Indivi­dualität. Er existiert nicht seinem ihm eigensten Wesen entsprechend. Der Mensch kann sich an die alltägliche Geschäf­tig­keit seiner Umwelt verlieren, aber auch an die ent­fremdete Form der menschlichen Ge­mein­schaft, dem »Man«. Das »Man« ist jeder und nie­mand, es ist niemand zuständig oder ver­antwortlich, es fehlt das konkrete Individuum. Heidegger läßt das Ge­wis­sen, den Men­schen zum eigensten Selbstseinkönnen aufrufen. Es ist kein mora­lisches Ge­wissen, sondern ein existenziales[clxiii]­; es ist der Ruf zu einer unverfälschten Lebens­weise (zur »eigentlichen Exis­tenz«). Daraus erst ent­springt die Voraussetzung für das mora­lisch Gute und Böse[clxiv]. Heidegger hat nicht eine ethische Analyse des Menschen ge­liefert, son­dern eine existenzial-ontologische. Die Priorität des Todes in seinem Denken, wo­für er oft kritisiert wurde, ist nicht eine „Todessehnsucht“ oder ein Favorisieren des Todes, son­dern die richtige Erkenn­tnis, daß sich dem Menschen im Angesicht des Todes seine eigene Endlichkeit bewußt wird[clxv]. Die Endgültigkeit dieses un­abwendbaren Geschehens drängt sich auf - kein Mensch kann dem Tod entfliehen. Welche Strategien er auch im Existieren entwickelt, welche ihn seinem eigens­ten Sein entfremden, alle diese Strategien des Verfallens versagen, wenn der Tod zuschlägt. Dem eige­nen Tod kann niemand entkommen. Der Verlust ge­liebter Menschen hinterläßt traumatische Narben, die Be­ob­ach­tung des Todes der anderen Men­schen läßt den unausweichlichen Schluß zu: Alle Menschen sind sterblich - ich auch! Der Tod führt den Menschen in die Angst. Mit dem Tod ist die Wieder­holbarkeit endlicher Ge­gebenheiten zu Ende, wird das Sein zum Nicht-mehr-sein. Diese Angst[clxvi] um die je eigene Existenz läßt den Menschen seine eigene Zukunft erken­nen und sein Schicksal (d.h. sein je eigenstes Sein) ergreifen. Der Tod be­wahrt damit den Menschen - nach Heidegger – da­vor, sein eigenstes Selbst-Sein zu verlieren bzw. ermöglicht, es zu ge­winnen. Um sich in seinem Leben zu ver­wirklichen[clxvii], ist das eigent­liche Sein das notwendige Apriori. Die »Eigentlichkeit« der Exis­tenzphilosophie ist als das un­verfälschte Be­wußt­sein seiner selbst und der damit ver­bundenen Lebensweise zu charak­terisieren. Falsches Wis­sen und die damit verbundene fal­sche Lebensweise führt zum Verlust des eigenen Lebens, weil z.B. falsche Ziele verfolgt wer­den. Die Transzendenz ist bei Heideg­ger die Frage nach der Realität überhaupt. Wesentlich für die Transzendenz ist die Fä­hig­keit des menschlichen Geistes, die Zeit - Vergangenheit, Zu­kunft und Gegenwart - zu er­fassen[clxviii].

 

In der Existenzphilosophie Karl Jaspers’ ist »Transzendenz« die phi­lo­so­phische Ent­sprechung für die mythische Bezeichnungen »Gott«[346]. Das echte Be­wußt­sein von Trans­zen­denz wehrt sich gegen eine Vorstellung von Gott als Per­sön­lich­keit.[347] Die Wirklichkeit von Trans­zendenz ist zwar nicht eine empirische, sie jedoch als jen­seitige, als metaphy­sische, anzu­sehen, wäre eine trügerische Weltverdoppelung.[348] »Trans­zen­denz ist uns nur wirklich als Gegen­wart in der Zeit[349] Die eigentliche Wahrheit von Trans­zen­denz erfaßt sich als ge­schicht­liche und nicht als allgemeingültige.[350] In den Chiffren als Sprache der Trans­zendenz ist die metaphysische Gegenständlichkeit präsent.[351] »Die Chiffre ist das Sein, das Trans­zen­denz zur Gegenwart bringt…«[352], sie ist jedoch nicht deutbar.[353] Trans­zendenz hat zwar Sub­sis­tenz, ist jedoch nicht wie die Dinge der Welt zugänglich. Im Lesen ihrer Chiffren­schrift wird nicht ein unabhängig bestehendes Sein erfaßt. Das Lesen der Chiffren wird nur durch Selbst­sein mög­lich. »Von der Transzendenz aber ver­nehme ich nur soviel, als ich selbst werde; erlahme ich, so trübt sie sich in ihrer an sich steten Gegen­wärtigkeit; er­lösche ich bis zum Dasein[clxix] eines bloßen Bewußtseins überhaupt, ist sie ver­schwunden; er­fasse ich sie, so ist sie für mich das Sein, das allein ist und ohne mich bleibt, was es ist.«[354] Ohne Trans­zendenz verliert Existenz ihr eigentliches Selbstsein[355].

»Existenz ist, was nie Objekt wird, Ur­sprung, aus dem ich denke und handle, worüber ich spreche in Gedankenfolgen, die nichts er­kennen; Exis­tenz ist, was sich zu sich selbst und da­rin zu seiner Transzendenz verhält.«[356] Der Kern der Welt­anschauung ist Glaube; es ist un­mög­lich, allein durch Denken die Wahrheit zu finden.[357] »Der Zugriff zur Erhellung der Exis­tenz bleibt für den bloßen Verstand ein hoffnungsloser Ver­such.«[358] »Existenz selbst ist un­ver­­­stehbar.«[359] In der Existenzerhellung erfolgt die denkende Ver­gewisserung des Durch­bruchs des Welt­daseins. Mögliche Existenz ver­wirklicht sich, ohne die Grenze der Möglich­keit verlassen zu können.[360] Mögliche Existenz trans­zendiert alles Da­sein und Objektsein.[361] »Das eigentliche Sein, in einem wißbaren Sinn nicht zu finden, ist in seiner Transzendenz zu suchen, zu der kein Bewußtsein überhaupt, sondern nur jeweils Existenz in Bezug tritt.«[362]

»Wenn ich frage, was ich meine, wenn ich „Ich“ sage, so ist die erste Antwort: Ich habe mich, wenn ich über mich nachdenke, zum Objekt gemacht; ich bin dieser Körper als dieses Individuum, mit einem unbestimmten Selbstbewußtsein im Spiegel meiner Geltung für meine Umgebung: Ich bin als empirisches Dasein. - Ich bin zweitens als ein „Ich“ wesentlich identisch mit jedem anderen Ich: ich bin vertretbar. Diese Vertretbarkeit ist nicht gemeint als die Identität der Durch­schnitts­eigenschaften empirischer Individuen, sondern als das Ichsein überhaupt, das die Sub­jek­ti­vi­tät als Be­dingung allen Objektseins bedeutet: ich bin als Bewußtsein überhaupt. - Drittens er­fahre ich mich in der Möglichkeit zur Unbedingtheit. Ich will nicht nur wissen, was da ist, in Grund und Gegengrund, sondern aus der Unbegründbarkeit eines Ursprungs wissen, und habe han­delnd Augen­blicke, in denen ich mir gewiß werde: was ich jetzt will und tue, das will ich eigent­lich selbst. So will ich sein, daß dieses Wissenwollen und Handeln zu mir gehört. In der Weise wie ich wissen und handeln will, überkommt mich mein Wesen, das ich, seiner gewiß, dennoch nicht kenne. Als diese Möglichkeit, daß Freiheit des Wissens und Handelns ist, bin ich „mögliche Exis­tenz“«.[363]

 

Für Jaspers ist das einzige, eigentlich Seiende, das ihm begegnet, der Mensch, der er selbst ist.[364] Der eigentliche Mensch ist sich zugleich Aufgabe und sich selbst verantwortlich.[365] Selbst­­werdung geschieht durch Selbstüberwindung in der Selbstreflexion, bis sich das über dem Charakter stehende »ich selbst« als ein frei gewolltes entfaltet und sich als Schuld (für sein Sosein) übernimmt.[366] In der Kommunikation liegt der Ursprung für das Selbstsein in der Ge­meinschaft.[367] Den Lebenssinn im »ich allein« zu fassen, ist ungenügend.[368] Der Mensch kann nur er selbst werden, wenn der andere er selbst sein will; kann nicht frei sein, wenn der andere nicht frei ist; kann sich seiner nicht gewiß sein, wenn er sich nicht auch des anderen gewiß ist.[369] Selbstliebe ist nur durch Liebe zum anderen möglich.[370] In der Kommunikation als Da­sein, d.h. im Leben mit den anderen, fällt das einzelne Bewußtsein mit dem all­ge­meinen Be­wußt­sein der ihn umgebenden Menschen zusammen. Im naiven Dasein wird der Mensch vom Den­ken, Glauben und Tun der anderen assimiliert. Undifferenziert werden die Meinungen, Ziele, Ängste, Freuden von einem zum anderen übertragen.[371] In der existen­tiel­len Kom­muni­ka­tion wird der andere in seiner Einzigartigkeit erfaßt und ist nur aus Freiheit als Möglichkeit zu er­greifen.[372] Kommunikation wird nur in möglicher Existenz verwirk­licht.[373] Dasein ist ein stän­dig wechselndes Sein in Situationen. Der Mensch kann nie aus einer Situation heraus-, ohne in eine andere Situation einzutreten.[374] In der Grenzsituation[clxx], d.h. in »Situationen wie die, daß ich immer in Situationen bin, daß ich nicht ohne Kampf und ohne Leid leben kann, daß ich un­ver­meidlich Schuld auf mich nehme«[375], entsteht mögliche Exis­tenz[clxxi]. »Wir werden wir selbst, indem wir in die Grenzsituation offenen Auges ein­treten.«[376]

Kampf ist bei Jaspers ein zentrales Thema[clxxii]. Er differenziert zwischen dem Daseins­kampf, in dem der andere als Feind gilt, die Nutzung aller Waffen, die Anwendung von Trug und List un­ver­meidbar sind, und dem existentiellen Kampf[clxxiii], in dem es »um die restlose Offen­heit, um die Aus­schaltung jeder Macht und Überlegenheit, um das Selbstsein des Anderen so gut wie um das eigene« geht.[377] Zwei Existenzen kämpfen nicht gegeneinander, sondern es ist »ein gemein­samer Kampf gegen sich selbst und den anderen, aber allein Kampf um Wahrheit«[378]. Dieser Kampf ist nicht Trennung, sondern »der Weg der wahrhaften Ver­knüp­fung der Existenzen«.[379] In dieser kämpfenden Kommunikation[380] »werde ich mir mit dem Anderen offenbar. Dieses Offenbarwerden ist jedoch zugleich erst Wirklichwerden des Ich als Selbst«.[381] Im Kampf mit Gewalt wird bezwungen, begrenzt, unterdrückt, Raum ge­schaf­­fen. In diesem Kampf kann Dasein eingebüßt werden. Im Kampf der Liebe gibt es keine Ge­walt. Hier handelt es sich um eine Infragestellung mit dem ausschließlichen Willen zur Of­fen­­barkeit; »in diesem Kampf kann ich mich versteckend ausweichen und als Existenz ver­sagen.«[382]

 

            In der Existenzphilosophie, sowohl bei Heidegger als auch bei Jaspers, ist die gleiche Thematik zu finden. Bei beiden geht es um das Menschsein, wobei Heidegger mit seiner Sprache eine Analyse mit formalen Strukturen geliefert hat, welche eine Umsetzung für das prak­tische Leben sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich macht. Heidegger differenziert zwischen einer ontologischen und einer theologischen Transzendenz[383], wobei die theolo­gische für ihn eine eher historische Bedeutung hat.[384] Die Transzendenzproblematik stellt sich für ihn als Frage nach dem Sinn von Realität, »nach der möglichen Transzendenz des Be­wußtseins in die ›Sphäre‹ des Realen«[385]. Dieser Zugang des subjektiven Individuums zur objektiven Welt hat einen herausragenden Stellenwert.[clxxiv] Die Fähigkeit des Menschen, „aus sich herauszugehen“ und mit seinen intellektuellen Fähigkeiten die zeitlichen Dimensionen zu er­fassen, ermöglicht ihm die Welt zu verstehen und in ihr zu leben.[clxxv] In diesem Transzendenz­ver­ständnis liegt keine „Jenseitsorientierung“. Die Frage nach Transzendenz ist die Frage der Subjekt-Objekt-Bezie­hung und das Verstehen, was Welt ist.[clxxvi] Im Denken wird diese (physi­ka­lische) Welt jedoch nicht transzendiert.

Bei Jaspers wird jedoch »Existenz« von der Transzendenz her definiert, der Sinn von Sein ohne Transzendenz führt in die Sinnlosigkeit. Es ist eine denkerische Form des Glau­bens, welche nicht ein Sein in einem Jenseits sucht, dieses mögliche Jenseits jedoch als das sinn­volle Apriori von Existenz postuliert. Die Zurückweisung von Transzendenz als Per­son und die Emphase auf »Transzendenz« als philosophischen Begriff darf nicht darüber hin­weg­täu­schen, daß der mythische Gottesbegriff hier in einer veränderten Sprachgestalt wie­der einge­führt wird. Philo­sophisch interessant sind diese verschiedenen Transzendenzbegriffe des­halb, weil diese verschiedenen Denkhorizonte divergierende Weltorientierungen nach sich ziehen, d.h. ver­schie­dene Welthorizonte statuieren. Das Denken verläuft anders, wenn auch jede Hoff­nung auf Trans­zendenz aufgegeben wird. Theis­tisches Denken unterliegt anderen Gesetz­mäßig­keiten als atheistisches. Es verändert sich, z.B., die Wertewelt des Daseins durch die Erwar­tung eines ewigen Lebens.[clxxvii]

 

In der Person Martin Heideggers wird ein philosophisches Problem virulent: Führt die Beschäf­tigung mit Philosophie zur Weisheit? In welcher Weise wird ein Mensch durch philo­so­phische Studien geformt?

Heidegger wird als einer der größten Philosophen des zwanzigsten Jahr­hunderts – wenn nicht überhaupt als der größte - an­ge­sehen. Trotzdem folgte er zwischen 1933 und 1934 dem damaligen politischen Trend und stellte sich in die Reihen der nationalsozia­lis­tischen Bewe­gung. Am 21. April 1933 zum Rektor der Universität Freiburg gewählt, reichte er am 23. April 1934 sein Rücktrittsgesuch ein und enthielt sich in der Folge jeglicher poli­tischer Tätigkeit. Jaspers übte an Heidegger die Kritik, daß er in seiner politischen Betätigung wie ein dummes Kind seine Arme in den Gang der Geschichte gestreckt und dabei das Glück gehabt habe, vom Rad der Geschichte nicht zermalmt zu werden, sondern nur einige Schram­men da­von­getragen zu haben[386]. Diese Kritik ist keine Empfehlung für den größten, philo­so­phischen Geist des zwan­zig­sten Jahr­hunderts. Es stellt sich die Frage, wie dies passieren konnte: Wie konnte es passieren, daß Heidegger die Zeichen der Zeit nicht ver­stand? Liegt dies daran, daß die universitäre Philosophie zu einem weltfremden Theore­tisieren verleitet, sodaß die Refle­xion des Lebens zu kurz kommt und dadurch eine defiziente Welt­orientierung auftritt? Die Mög­lich­keit zu irren, ist der menschlichen Natur eigen und deshalb nichts Beson­deres, Philo­sophen sind davon nicht ausgenommen. Bei Heidegger handelt es sich jedoch nicht um „irgend­­einen“ Denker, sondern um einen der ganz großen, weshalb dieser Fehler be­son­ders schwer wiegt. Er führt aber auch zur Frage, worin der Sinn einer Beschäftigung mit Philo­sophie liegt, wenn einer ihrer größten Vertreter in seinem Denken so irren kann.

 

 

 

»…nicht der Schein und die Täuschung, son­dern nur das Wahr­hafte vermag das Wahr­hafte erzeugen.«

Hegel, Vorlesungen über Ästhetik,

Bd. I, S. 17

 

Ein meditationsphilosophischer Entwurf

 

Es werden in dieser Arbeit keine Meditationstechniken vorgestellt, weil für das gefahr­lose Erlernen solcher Techniken nach Auffassung des Verfassers ein Lehrer notwendig ist.[clxxviii]

Aufgezeigt werden soll, daß diese alten Techniken noch immer hoch aktuell sind, aber aus heutiger Sicht die traditionell damit verbundenen Weltbilder - die Sicht­weisen von Welt – nicht als notwendiges Apriori einer erfolgreichen Meditationspraxis betrachtet werden müs­sen. Es besteht keine Notwendigkeit, Medi­tation mit einer metaphysisch trans­zen­denten Ausrichtung zu verbinden, damit sie „wirkt“. Unbe­stritten sei, daß das spiri­tuell-religiöse Ele­ment solcher Praktiken, das wich­tigste Ingrediens eines meditativen Weges ist, weil dadurch die Richtung vorgegeben wird. Im westlichen Kulturraum bietet sich Philosophie als „Ersatz“ für die religi­öse Spiri­tualität des Ostens an. Das philosophische Denken des Abend­landes stellt ein reiches geistiges Erbe dar, welches durchaus in der Lage ist, die religiös-mythische Kompo­nente des Ostens in medi­tativen Tech­niken vollwertig zu ersetzen. In der philoso­phischen Tradition gibt es allerdings nicht das blinde Vertrauen in eine bestimmte Lehre, die mit einem absoluten Wahr­heitsanspruch als die beste aller Lehren auftritt[clxxix]. Philosophieren heißt kritisch zu prüfen - Kritik zu üben - bevor ein Philoso­phem akzep­tiert wird. Der philo­sophische Geist ist nicht ein ein­deutiger, wie auch die großen Philo­so­phen immer ver­schie­dene Defini­tionen vom Philoso­phieren liefern.

Es mag vielleicht son­der­bar erschei­nen, Philo­sophie und Medi­tation mit dem Prädikat des Kampfes zu versehen und eine Verbindung zur öst­lichen Kampf­kunst herzustellen. Dem all­gemeinen Verständnis ent­spre­chend, ist der Philo­soph einer, der im stillen Kämmerlein sitzt - und denkt. Er denkt nichts Nützliches, denn das, was er denkt, ist - abgesehen davon, daß es völlig unver­ständlich ist - zu nichts zu ge­brau­chen. Die Proponenten solcher Argu­mente haben nur unzureichendes Wis­sen von Philo­sophie. Sie über­sehen, daß sich bei einer zweiein­halb­­tausendjährigen, europäischen Tradition der Philosophie unabwendbar hoch­diffe­ren­­zierende Denkstruk­turen mit einer entspre­chenden Ter­mino­logie heraus­gebildet haben müssen, was für einen philoso­phischen Laien natürlich eine gewisse Unver­ständ­lichkeit der philosophischen Argumen­ta­tionen nach sich ziehen muß. Die Geschichte der Philosophie zeigt auch die Schwie­rigkeit in der geistigen Entwicklung einer Kultur auf, die Irrtümer und „Ge­burts­nöte“ eines Gedan­ken im Laufe der Jahrtausende bis er seine jeweilige Gestalt ange­nom­men hat. Philosophen haben immer das Denken ihrer jeweiligen Kultur bestimmt und den Verlauf der Weltan­schau­ungen be­einflußt. So wird das westliche Denken heute noch weit­gehend von Platon und Aris­toteles bestimmt, weil sie in ihrer Zeit Denkschemata initiiert haben, welche über die Jahr­tausende hinweg noch immer in unserem Denken (weitgehend unbewußt) wirken – so­wohl im posi­tiven, als auch im negativen Sinn. Für die neuere Ge­schich­te seien Nietzsche und Marx an­geführt, wel­che das politische Geschehen unserer Zeit nach­hal­tigst beeinflußt haben. Kon­fuzius be­stimm­te über zwei Jahr­tau­sende die chinesische Ent­­wick­lung, obwohl es ihm ver­wehrt war, seine Ideen zu seiner Zeit in die Praxis um­zu­setzen und er in dem Bewußt­sein starb, in seinem Vor­­haben als Bewahrer der Tradition völlig gescheitert zu sein. Erst Jahr­hunderte nach seinem Tod wurde sein Denken auf­gegriffen und im politischen Ge­schehen umgesetzt.

 

Die Ge­schich­te der Philosophie ist eine Geschichte des Kampfes um Wahrheit[clxxx]. Das Streben nach Wahrheit auf­zugeben würde zu Lebensun­fähig­keit führen. Generell läßt sich sa­gen, daß die Kongruenz von Denken und Sein im Lebenskontext immer gegeben sein muß[clxxxi]. In pri­mi­tiven Ge­sell­schaftsformen ist es eine Überlebensfrage. So können in Jäger- und Samm­­ler­­ge­sell­schaf­ten, z.B., falsche Ent­scheidungen des Führers zum Untergang einer Gruppe oder Groß­familie führen. In einer hochentwickelten Gesellschafts­form sind die un­mit­tel­baren Fol­gen nicht mehr der Verlust des Lebens, aber es treten defizi­ente Adaptionsmodi ein, wel­che nega­tive Auswirkungen sowohl für die individuelle, als auch kollek­tive Ent­wicklung haben können. Philosophie ist ein Schritt im Denken, der zu allerhöchstem Ab­strak­tions­niveau führt, d.h. sie ist das Produkt eines hohen, kulturellen Entwicklungsstandes. Die Welt zu sehen, wie sie ist und den Schein zu entlarven, die Erkenntnis des wahren Seins, ist der Kampf des Philo­sophen. Es ist ein stiller, intellektueller Kampf, der im Käm­merlein vor sich geht.

 

Der in bewegungsloser Meditation Verharrende scheint nichts zu tun, er scheint der Inbe­griff des Nichtstuns zu sein, und doch liegt das Prinzip der Meditation nicht in der sta­tischen Ruhe, sondern in der Bewegung, im ständigen Wandel. Meditieren heißt, sich einer geistigen Ent­wick­lung hinzugeben, welche den Meditierenden zu wechselnden Bewußt­seins­formen führt. Der Meditierende geht in seiner meditativen Vereinzelung zu sich selbst, wird durch sein sich ständig wan­delndes Bewußtsein auf sich selbst geworfen und mit seinen posi­tiven, aber auch negativen Eigenschaften konfrontiert. Meditation heißt Arbeit, in wel­cher der Meditierende sein „Ich-Selbst“ in seinen bewußten und unbewußten Komponenten formt und weiterentwickelt. Diese Entwicklung führt in einen Kampf mit sich selbst - um sich selbst. Es ist ein seelischer Kampf, der für Außenstehende nicht erkennbar ist.

 

            Meditation soll in dieser Arbeit als „Weg zur Mitte“ verstanden werden. Diese Mitte ist aber nicht ein universaler Urgrund wie in den asiatischen Traditionen, sondern die Mitte der eigenen Seele aus einem personalen Selbstverständnis heraus, wie es der abend­ländischen Tra­di­tion entspricht. Diese meditative Fokussierung auf das eigene Selbst ist keine Form des Ego­is­mus, sondern ein Modus der Selbstfindung, welcher zu seinen Mit­menschen führt.[clxxxii]­ Auf­grund der auf­treten­den Bewußtseinsformen[clxxxiii] anzunehmen, daß hier ein Trans­zendieren in eine meta­phy­sische Welt statt­fin­det, wird zurückgewiesen. Der Weg zur eige­nen Mitte ist der Weg in die Tiefen der eigenen Seele. Die im meditativen Akt auftau­chenden For­men von Einheits­bewußt­sein können weder falsifiziert noch verifiziert werden, weshalb ihnen nicht der Wahr­heitswert von Wissen, son­dern der von Glauben zuzuordnen ist[clxxxiv].

Zurückgewiesen wird der Anspruch, daß mystische Erlebnisse eine Form von Medi­ta­tion sind. Der Mystiker verliert sich in der Ekstase[clxxxv], er tritt in der Unio mystica aus sich her­aus, um sich in einer nicht durch Sprache artikulierbaren Verzückung mit dem göttlichen Du zu vereinigen. Dieses göttliche Du ist eine andere Person, eine andere Wesenheit, mit der sich der Mystiker vereinigt und da­bei seinen Verstand[clxxxvi]­ verliert. Gemeinsam mit Meditation ist nur das durch Sprache Nicht-Mitteilbare der Erleb­nisse. Das Aufgeben des Identitäts­be­wußtseins im meditativen Akt, die Orien­tierung auf die „Leere“, kann gewissermaßen als „heuris­tisches Prinzip“ des meditativen Übens betrachtet wer­den, wodurch allerdings eine Stärkung des Selbst-Bewußt­seins eintritt[clxxxvii]. Das in den asiatischen Traditionen auftretende Selbst­ver­ständnis, das Ich als flüchtige Un­wesent­lichkeit zu interpretieren, läßt sich nur aus dem Verständnis die­ser Kulturen heraus verstehen und ist wahrscheinlich auf die in diesen Breiten weit­ver­breiteten Medi­ta­tions­techniken zurückzuführen. In einem psychischen Ratio­nalisieren kann auch ein gläu­bi­ger, christlicher Mönch sein Ich als unwesentlich im Kon­text mit dem gött­lichen Sein be­trachten. Er wird aber seine Schmerzen und Leiden, seine Freuden, noch immer als die seinen betrach­ten und nur in Hinblick auf das zukünftige himm­lische Sein die Bürden des irdischen Daseins ertragen und seine persönlichen Interessen hint­an­stellen. Im Reinkarna­tions­­denken löst sich das Ich jedoch aufgrund der unendlichen Dauer für diese Existenz völlig auf. Jede Form von personaler Identität geht dabei verloren.

 

In den traditionellen Kampfkünsten wird Meditation einerseits zur Steigerung der Kampf­effizienz praktiziert, andererseits werden dadurch die Dimensionen der eigenen Seele als Arena des Kampfes um eine Weiterentwicklung des eigenen Selbst verwendet. Der wahre Mensch des alten China, der in diesem Kampf gesucht wurde, war nach taoistischer Tradition ein anderer, als derjenige der buddhistischen oder konfuzianischen. Für die alten Meister war der Kampf gegen äußere Feinde nur ein Mittel[clxxxviii], die Erleuch­tung zu erlangen und war mit Sicher­heit nur von sekundärer Bedeutung. Wenn sie dem Tao (DAO: )[clxxxix] folgten, suchten sie die Harmonie zwischen den Gegensätzen finden und wenn dies nicht möglich war, diese Har­monie zu schaffen. Durch ein hartes Training und die ent­sprechende Schulung formten sie sich in ihrem Sosein und paßten sich - den erforderlichen Prinzipien des Kampfes gemäß - den jeweiligen Bedingungen an, um zu ihrem Ziel zu gelangen. In alter Zeit gab es keine Krite­rien für Meisterschaft, solche wurden erst später geschaffen. Solche Kriterien konnten nur gefunden werden, indem Wettkämpfe ausgetragen wurden, d.h. ein äußerer Maßstab an­ge­legt wurde. Der Sieg in einem Wettkampf war jedoch ein sehr zweifelhaftes Kriterium für das Beschrei­ten des Tao[cxc]. Diese holistische Annäherung an die Kunst, sich im Lebens­kampf[cxci] zu bewähren, fehlt in der europäischen Tradition. Das Kräfte­messen im Kampf stand hier im Vordergrund, welches im alten Griechenland mit den Agonen begann und sich in den Tur­nieren des Ritter­tums, welches durch ein ausgeprägtes Konkurrenz­den­ken ge­kenn­zeich­net war, fortsetzte. Das Duell war darauf ausgerichtet, seine Ehre zu be­wah­ren. Wenn die Ehre ver­letzt wurde, war man verpflichtet, diese unter Einsatz seines Lebens wieder her­zu­stellen. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkam, bekundete damit, daß er den Anfor­de­run­gen seines sozialen (gehobenen) Standes nicht gerecht wurde und fiel der Ächtung an­heim. Im Unter­schied zur chinesischen Kampf­kunst­tradition wurden in der europä­ischen Kampf­tradition im­mer nur partikuläre Aspekte heraus­gehoben.

 

Bei Jaspers werden verschiedene Aspekte des Kampfes philo­sophisch derart thema­tisiert, sodaß sie für die Bewältigung von Hindernissen im Lebenskampf brauchbar sind und den Blick für die Notwendigkeit kämp­ferischer Qualitäten schärfen. Der Horizont des Kamp­fes wird auf die Dimen­sion des Lebens[cxcii] ausgerichtet. Gerade der Existenzbegriff Jaspers’ bietet durch seine Ori­en­tie­rung des Daseins von der Transzendenz her eine geistige Hilfe für das Be­schrei­ten eines chine­sischen Kampf­kunst­weges. Die Taoisten, welche einen starken Ein­fluß auf die Ent­wicklung der konkreten Kampftechniken hatten, machten sich über die anthro­po­­morphen Vorstellungen eines göttlichen Urgrundes lustig und kon­statierten, daß der Ur­grund vor Zeit und Raum liege und mit den Kategorien von Raum und Zeit nicht erfaßbar wäre. Jaspers hat mit Vorsicht philoso­phisch formuliert, was die Taoisten als metaphysisch ge­­­­gebenes Sein er­ach­teten. Während die tao­istischen Lehren im Wissenschaftsbereich heute kaum noch halt­bar sind, bieten sie im Bereich des Kampfes noch immer sehr brauchbare Hin­weise auf die tech­nische Umsetzung der kämp­ferischen Anforderungen im engsten Sinn[cxciii]. Mit dem Jasper­schen Denken kann aller­dings auch die Ausrichtung der Anforderungen für den Lebens­kampf das ursprünglich tao­istische Weltbild in unsere Zeit transferiert werden, wobei noch immer eine gewisse Ursprünglichkeit des taoistischen Denkens gewahrt und philo­so­phisch akzeptiert wer­den kann. Seine Refle­xionen zur Wahr­haftigkeit bieten eine aus­ge­zeich­nete Hilfe für das Be­­schrei­ten des inneren Kampfweges, als welcher Meditation angesehen wer­­den kann. Ein Medi­tant, welcher in seinem Kampf um sein je eigenstes Selbst falsche Ziele verfolgt und sich dabei selbst betrügt, wird genauso scheitern wie ein Meister, welcher in einer Kampf­situation seinen Gegner falsch einschätzt. Die sym­metrische Entsprechung von Wahrhaftig­keit zur Wahr­heit, übertragen auf den inneren Kampf (um sich selbst) und den äußeren Kampf (um einen Angreifer abzuwehren), bildet die ge­forderte Harmonie zwischen dem Ich und der äußeren Welt, um aus einem Kampf siegreich her­vorzugehen. Fehlt diese Har­­monie, ist jeder Kampf verloren, wenn man auf einen Gegner trifft, der diese Harmonie be­sitzt.

Jeder Mensch, der mit seiner Geburt ungefragt in diese Welt geworfen wird, ist mit der Proble­matik des inneren und äußeren Kampfes konfrontiert. Er befindet sich in einer exis­tentiellen Situation, der er nicht entfliehen kann, es sei denn, er flieht in den Suizid, was normaler­weise den grundlegenden Gesetzen des Überlebens widerspricht. Der Mensch muß sich diesem Kampf stellen – ob mit oder gegen seinen eigenen Willen. Bei einer erfolgreichen Bewäl­tigung dieses Kampfes winkt der Lohn eines erfüllten, erfolgreichen Lebens. Im Falle des Scheiterns geht man mit dem bitteren Geschmack aus diesem Leben, daß es ein ver­geude­tes Leben war. Die Ergebnisse der empirischen Thanatologie zeigen, daß Menschen, welche ein erfülltes Leben führen, keine Angst vor ihrem eigenen Tod haben. Schon aus die­sem Grund ist es ratsam, den Kampf des Lebens erfolgreich zu bestehen. Die große Frage, wel­che alle Menschen bewegt, ist die Frage nach dem Wie[cxciv]. Die verschiedensten Strategien wer­den ent­wickelt, mit mehr oder weniger Erfolg, und es stellt sich die Frage, ob es allgemeingültige Kriterien für ein erfülltes Leben gibt[cxcv]. Es zeigt sich, daß keine objektiven Kriterien zu finden sind. Materieller Reichtum, das Ausleben von Leidenschaften, die Orientierung auf Lust, das fanatische Verfolgen einer Überzeugung mit z.B. einem religiösen Inhalt, sein Glück zu suchen, etc., sind immer nur Teilaspekte des mensch­lichen Daseins. Kultur, situative Rah­men­­­bedingungen, geschichtliche Entwicklung, etc., aber auch individuelle Bedürfnisse und Ziele lassen eine umfassende Objektivierung[cxcvi] nicht zu. Existentielle Anforderungen[cxcvii] lassen auf­­grund der hohen Variabilität der Bedingungen und der nicht vorhersehbaren Entwicklung der Geschehnisse keine defi­nitiven, positiven Bestim­mungen zu, welche alle Aspekte des Seins umfassen. Die Kon­kre­tisierung des eigenen Schicksals ist immer mit Wagnis ver­bun­den. Die Aspekte des individuellen, inneren und äußeren Kampfes können nicht ge­trennt werden, die Bewältigung des Lebens entwirft sich immer auf das Ganze. Die Ge­schichte spricht das Urteil über den Wert des individuellen Tuns oder läßt es in Ver­ges­sen­heit geraten.

Es wird in dieser Arbeit die These vertreten, daß in der Verbindung von Philosophie mit Meditation ein ausgezeichneter Modus zur Lebensbewältigung zur Verfügung steht. Das Ele­ment der Kampfkunst hat auch in diesem Kontext einen herausragenden Stellenwert, da bei einer traditionellen Ausrichtung des Trainings das lebensbewältigende Potential auch in unse­rer Zeit noch immer wirksam ist. Aufgrund der Gefährlichkeit einer traditionellen Aus­rich­tung ist dem physischen Kampf eine echte Erprobung verwehrt[cxcviii], bei den partner­schaft­lichen Trainings­kämpfen schält sich jedoch das körperliche Element heraus. Hier wird der „Geist“ des Kampfes auf der äußeren Ebene in einer sehr einfachen Art und Weise ver­ständ­lich, während er in den komplexen Abläufen der meditativen Ent­spre­chung nur um ein Viel­faches schwieriger zugänglich ist. Das Training für den äußeren Kampf bildet damit eine gute Ergän­zung zum Meditieren.

Ein rein auf Meditation aus­gerichtetes Leben[cxcix] würde in einer Welt­ab­wendung münden. Es mag davon ausge­gangen werden, daß es zwar eine große Leis­tung darstellt, den Großteil seines Lebens in medi­tativer Ver­senkung zu verbringen, daß aber eine solche Praxis andererseits auch den Ver­lust des realen Lebens darstellt – und zwar auch dann, wenn dies bedeutet, daß man sich andauern­d in Glück­seligkeitszuständen befindet. Der Wert der medita­tiven Versenkung liegt darin, daß in diesem zeitlich beschränkten „Rück­zug“ auf sein eigenstes, innerstes Selbst eine mentale Ent­wicklung einsetzt, welche im norma­len Leben, d.h. im außermeditativen Zustand, positive Resultate zeitigt. Es taucht eine sonder­bare Kon­gruenz zwischen der Weise des Meditierens und dem Lebensstil auf. Problem­bewäl­ti­gungs­strategien des Lebens werden im meditativen Akt virulent, während andererseits die Art der Ausführung von Übungen im meditativen Akt sich im normalen Leben modus­ähn­lich in der Problem­bewältigung und der Weise des Lebens nieder­schlägt. Eine ge­wisse Ähn­lich­keit mit der Philo­sophie ist insofern gegeben, daß der Philo­soph sich von Zeit zu Zeit aus dem existen­tiellen Ge­schehen zurückzieht[cc], um sein Den­ken zu entwickeln. Jedoch wird hier - wenn auch bei gegebener Selbst­reflexion - die Priorität  im Den­ken auf die Welt ausge­rich­tet[cci].

 

 

Meditationsphilosophische Maximen des richtigen Meditierens[ccii]

 

Es ist ausgesprochen problematisch, von einer „richtigen“ oder „falschen“ Weise des Medi­tierens zu sprechen, da aufgrund der unendlichen Anzahl divergierender Techniken eine um­fas­­sende Analyse unmöglich ist. Es muß jedoch angenommen werden, daß falsch meditiert wird, wenn gesundheitliche Schäden an Körper, Geist oder Seele auftreten oder – und dies sei die meditationsphilosophische Position – wenn durch Meditation eine Verformung der Per­sön­lich­keits­struktur in eine negative Richtung eintritt[cciii]. Als negativ kann jede Ent­wick­lung an­­ge­­sehen werden, welche den Meditanten von seinem eigenen Wesen wegführt, statt es zu ent­falten.

          1.       M°tron êriston.[cciv]

          2.       Das Sein, nicht der Schein ist wesentlich.

          3.       Meditation ist immer nur Mittel, nie Zweck.

          4.       Die philosophische Reflexion bildet den Geist.

          5.       Die meditative Versenkung führt zu innerer Ruhe und seelischer Kraft.

          6.       Für eine positive, personale Genese ist die adäquate Synchronizität von geistiger Ent­wick­lung und Zeit notwendig. Die Unzeit ist schädlich.

          7.       Philosophie und Meditation sind zwei verschiedene Weisen der Erkenntnis. Die eine Weise ist die des logischen, die andere die des intuitiven Verstehens.

          8.       Meditation ist Arbeit, Philosophie ist Plage. Als Synthese versprechen sie viel Mühsal.

          9.       Der philosophisch-meditative Lebensweg ist ein Bildungsweg. Das Ich macht sich auf den Weg, sich selbst zu formen.

             10.       Suche dein daimÒnion!

             11.       Ein kleiner, unscheinbarer Kieselstein ist manchesmal von viel größerem Wert als ein fun­keln­der Diamant.

             12.       Meditation ist der Weg zur Wahrhaftigkeit. Die Täuschung anderer Menschen kann eine notwendige Überlebenstechnik sein; sich selbst zu täuschen, ist für einen Meditanten der Weg in den Untergang[ccv].

             13.       Meditieren heißt: sich seiner selbst bewußt und verfügbar zu werden. Das Streben nach Glück[ccvi] ist keine hinreichende Bedingung für Meditation.

             14.       Ein Geheimnis des richtigen Meditierens liegt in der regelmäßigen Praxis. Besser, wenig und regelmäßig zu üben, als selten und viel.

             15.       Geduld und Ausdauer sind die Tugenden[ccvii], Erfahrung der Schatz des Meditierens.

             16.       In der Regel wird von Meditationsunkundigen unter Meditation etwas Geheimnisvolles ver­standen, eine esoterische Kunst, die nur wenigen zugänglich ist. Meditieren kann aber jeder „Durchschnittsmensch“ erlernen, wenn er nur ausreichend Geduld hat. In einem meditativen Versenkungszustand treten keine „außergewöhnlichen“ Kräfte auf, sondern es scheint so zu sein, daß in einem sich selbst vereinzelnden Ruhezustand[ccviii] ganz einfach eine psychogen bedingte Dynamik eintritt, welche den Übenden zu Leistungen befähigt, welche der nichtmeditierende Mensch nicht erreicht. Durch diesen Zustand der „Ruhe“ werden u.U. auch potentielle Eigenschaften geweckt, welche ansonst nie zutage treten würden. ABER: Meditation ist mit Sicherheit nichts „Übernatürliches“!

             17.       Meditation führt zu innerer Kraft.

             18.       These: Eine teleologische Weltorientierung[ccix] ist für ein gelungenes Leben konstitutiv. Dies trifft auf alle Menschen zu – der Meditant hat jedoch aufgrund seines geduldigen, unauf­hör­lichen Übens die Fähigkeit, sein t°low leichter zu finden und zu verfolgen.

             19.       Philosophieren ist kein rein theoretisches Abhandeln von Problemen. Der akademische Philosoph ist ein nach wissenschaftlichen Kriterien arbeitender Denker. Dies ist kein hin­reichendes Kriterium für Philosophentum, welches immer Ausdruck einer Lebenshaltung ist. Sokrates bekundete, er wisse, daß er nichts wisse­. Kant verachtete diejenigen, welche eine Lehre kritiklos nachplapperten und legte Priorität auf das Selbst-Denken. Jede Lehre muß geprüft[ccx] werden, bevor sie angenommen wird und er forderte dies von seinen Schü­lern auch in bezug auf seine eigene Lehre. Heidegger definierte Philosophieren als »Den­ken lernen«. Aus dem geistigen Horizont dieser Tradition heraus läßt sich die medi­tations­­philosophische Lebensorientierung als Selbst-Denken-Lernen[ccxi] definieren, wobei das Selbst nicht nur als Ich-Problematik im klassischen, philoso­phischen Ver­ständnis als ratio­nale Auseinandersetzung mit einem philosophischen Thema zu verstehen ist, son­dern auch als Werden der eigenen Seele in einem existentiellen Rei­fungsprozeß. Das Selbst-Denken-Lernen ist nicht nur ein rationaler, sondern auch ein psy­chischer (geis­tiger) Ent­wick­lungs­prozeß. In der meditationsphilosophischen Genese wird das Ich-Be­wußt­sein aus einer diesem Prozeß immanenten Dynamik zum eigensten Selbstsein ge­lenkt.

             20.       Meditation ist Seelenhygiene. Es wird das „psychische Immunsystem“ gestärkt.

             21.       Zum richtigen Meditieren gehört das Nicht-Meditieren.

             22.       Meditation hat keine „Nebenwirkungen“. Tauchen negative Auswirkungen als Folge einer meditativen Praxis auf, so ist dies immer ein Zeichen für falsches Meditieren.

             23.       These: Der richtige Meditationsmodus führt einen Meditanten unaufhaltbar zu seinem eigen­­sten Wesen.

             24.       Der meditationsphilosophische Asket übt die Kunst des Verstehens.

             25.       Meditationsphilosophie ist ein exzellenter Modus der Selbstverwirklichung - ein Weg in die Freiheit.

             26.       Meditation und Philosophie setzen einen geistigen Horizont.

             27.       Aus meditationsphilosophischer Sicht kann nur das Mensch-Sein, Humanität, als genu­ines t°low definiert werden. Alles andere wäre Reduktion des eigenen Potentials auf Parti­­ku­­laritäten oder eine überhebliche Transzendenz des eigenen Seins als Mensch.

 

 

 

Die Frage nach dem Sinn von Sein

 

Die wohl elementarste Frage der Menschheit ist die Frage nach dem Sinn von Sein. Der existen­tielle Hori­zont des personalen Individuums muß Sinn haben, um das Leben le­bens­­wert zu machen. Die Conditio sine qua non für eine hinreichende Beantwortung ist die Wahr­heit.[ccxii] Eine Welt des Scheins hat in hoffnungslosen, situativen Kon­texten Sinn - und zwar nur dann, wenn eine Flucht ins Reich der Phanta­sie eine lebenserhaltende und exis­tenz­sichernde Funktion hat. In allen ande­ren Fällen ist die Welt des Scheins eine priva­tive Er­schei­nungsform des exis­ten­tiellen Seins.

Im Mythos und in der Religion hat die Frage nach einem sinnvollen Leben eine positive Beantwortung erfahren. Sie wurde mit dem Ursprung von Sein als göttlichem Schöp­fungs­akt oder ewig perpetuierender, wechselnder Dauer des Seienden beantwortet, und es wurde die Perspektive einer ewigen Lebensdauer eröffnet.

Die Wissenschaften können auch nach einer zweieinhalbjahrtausend währenden Wis­sen­schafts­geschichte keine Antwort liefern und werden sie auch aufgrund ihrer Metho­den­struktur nie liefern können.

Die Philo­sophie, welche zwar nicht den Methodenrestrik­tionen der Einzelwissen­schaften unter­liegt, wird sich hüten, Aussagen zu treffen, von denen schon a priori fest­steht, daß sie weder po­si­tiv, noch negativ - nach Kriterien eines sicheren Wissens - beantwortet wer­den kön­nen. Der Er­kennt­niswille des Philosophen ist auf Wahrheit aus­gerichtet. Bedeut­sam ist eine Welt nur, wenn sie wahr ist, d.h. wenn die indi­vi­duel­len (er­kennt­nis­theore­tischen) Vor­­­stel­­lungen und Gedanken mit der objektiven Welt über­ein­­stimmen.

Mit Kant ist die kopernikanische Wende in die Geschichte der Erkenntnistheorie ge­treten, wodurch die Richtung des Erkennens von der objektiven Welt auf die menschliche Er­kennt­nis­fähig­keit und ihre Bedingungen gelenkt wurde.

Diesen Denkansatz auf die Frage nach dem Sinn von Sein anzuwenden und auf die Frage nach dem Sinn von Dasein abzu­ändern, wodurch sich eine Verengung der mög­lichen Beantwortung auf eine ausschließlich subjektiv-individuelle Sichtweise von Welt ergibt, liegt nahe. Damit ist jeder dazu ange­halten, den Sinn für sein eigenes Leben selbst zu finden[ccxiii]. So wie niemand dem anderen seinen je­wei­ligen Tod ab­neh­men kann[387], kann keiner dem anderen sein jeweiliges Leben[ccxiv] abnehmen oder einem anderen Leben Sinn geben[ccxv]. Ein be­friedigender, existenzialer Entwurf kann nur holistisch - aus dem je­weili­gen Lebens­kon­text heraus - im Hori­zont eines endlichen[ccxvi] Daseins gefunden werden.

 

Die Frage nach dem Sinn von Dasein[ccxvii] mag damit beantwortet werden, daß sich dieser Sinn aus einem gelungenen Leben ergibt.

 

Was sind die strukturellen Komponenten eines gelungenen Lebens? Eine aus negativen Lebens­bedingungen bestehende Existenz kann nicht als sinnvolles Ziel postuliert werden[ccxviii]. Ein Leben nach aus­schließ­lich hedonistischen Kriterien muß ebenfalls zurück­ge­wiesen werden, da sich zufolge des hedonis­tischen Para­doxons[ccxix] jedes aus­schließliche Lust­streben von selbst ad absurdum führt.[ccxx] Als Lösungs­möglichkeit bietet sich der altgriechische Eudä­monie-Begriff[ccxxi] an. Er drückte ursprünglich eigentlich aus, »daß je­mand von seinem da€mon, seiner Schutz­gott­­heit, gut (eÔ) be­dacht wurde, also >glücklich< bzw. >wohl­ha­bend< ist«[388], d.h. war mythi­schen Ursprungs. Bei Aristoteles ist die eÈdaimon€a das Endziel allen Han­delns[ccxxii], als ein in sich selbst genü­gen­d Voll­endetes. Es handelt sich um eine Vollkommen­heit, welche primär im Tätigsein liegt und ist nicht ein ausschließlicher Zu­stand der Lust. In An­­­knüpfung an diese Tradition mag die zu findenden strukturellen Komponenten eines gelun­genen Lebens als die duale Verbindung von Sinn[ccxxiii] und Freude[ccxxiv] postuliert werden. Bei Fehlen einer dieser struk­turellen Kompo­nen­ten kann nicht von einem gelungenen Leben ge­sprochen werden. Sinn ohne Freude mag allgemeine Achtung für ein individuelles Schick­sal einflößen, für das betroffene Individuum bedeutet es Tragik. Freude ohne Sinn in seinem Sein oder Tun zu sehen, erschöpft sich auf Dauer von selbst und endet in Langeweile und Über­­druß.

            Der Mensch muß mit sich selbst ins reine kommen, um sich in seinem Dasein - seinem (selbst-bewußten) Sein in die­ser objektiven Welt - behaupten zu können, und in diesem Sinne ist Meditation als Modus der Sinnfindung ein ausge­zeich­netes Apriori der Lebens­be­wälti­gung.

 

 

Das Postulat des Homo moralis als Ideal

 

            Die alte, philosophische Frage »Was bist du Mensch?« stellt sich als Frage nach dem Wesen des Mensch-seins. Nietzsche argumentiert, daß der Mensch nur ein Durchgangs­sta­dium, ein Mittel, für die Entwicklung des höheren Menschen sei. Der höhere Mensch stehe über der Moral von Gut und Böse und er prädiziert den Verbrecher in einer psychisch positiv be­setzten Weise: Er bezeichnet ihn als „Mann des Mutes“, der seine „Ehre“, sein Leben und seine Frei­heit riskiere, um Großes zu schaffen. Sein Wille zur Macht ist jedoch nicht eine mensch­liche Errungenschaft, sondern eines der elementarsten der atavistischen Bedürfnisse des Menschen, wel­ches ursprünglich als Überlebensstrategie fungierte. Was gren­zen­lose Macht­­ausübung Menschen antun kann, ist sehr gut bei Sueton nachzulesen. Die Cäsa­ren re­gierten mit unbeschränkter Macht über ein Weltreich. Sie schufen Kultur, aber sie ver­brei­te­ten auch in ihrem Willen zur Machtausweitung Tod und Verderben, schufen Leid für un­zäh­lige Menschen und fielen selbst dem Wahnsinn anheim.[ccxxv] Nietzsche hat mit seiner Lehre vom Willen zur Macht mit philosophischen Mitteln die intellektuelle Rechtfert­igung[ccxxvi] zur Ent­faltung von Macht geliefert. Der Logik dieses Denkens ist die Zurückweisung von Moral mit zwin­gender Notwendigkeit immanent, da moralische Kriterien immer einer grenzenlosen Ent­fal­tung der sich bietenden Möglichkeiten im Wege stehen.

Moral - als Unter­schei­dung zwischen Gut und Böse[ccxxvii] - dürfte eines der fun­damen­tal­sten Anliegen der Menschheit sein[ccxxviii]. Die alten Mythen er­zäh­len seit Men­schen­ge­denken ­vom Kampf zwi­schen Gut und Böse und die Religionen belohnen oder be­strafen nicht die mensch­lichen Errungenschaften, sondern die guten und bösen Taten[ccxxix]. Das hohe Alter dieser Legen­den weist auf einen herausragenden Stellen­wert hin, den moralische Werte schon in der ältes­ten Geschichte der Menschheit innehatten. Auch nach der Ablösung des Mythos durch das wis­sen­­schaft­liche Denken behielt diese Thematik in der Philosophie Priorität.[ccxxx] Der Homo scientiae hat in kurzer Zeit die technologische Entwicklung vorangetrieben, sodaß nach zweieinhalb Jahr­tausenden Wiss­en­schafts­ge­schichte die Menschheit ihre natürliche, biotische Lebenswelt verläßt und nach dem Weltraum greift. Mit dem raschen Voranschreiten der zivi­lisatorischen Entwicklung konnte allerdings die Entwicklung des Menschen als Mensch, nach huma­nitären Gesichtspunkten, nicht Schritt halten. Vor noch nicht langer Zeit tötete der Homo belli einen anderen Menschen mit einem Stein oder einer primitiven Keule, während in unse­rer Zeit, dem 21. Jahr­hundert, das Potential vorhanden ist, Menschenmassen mit „klini­scher Sterilität“ zu töten. Nach den Erfah­rungen im 20. Jahrhundert ist zu erwar­ten, daß das gehäufte Auftreten von Massenmorden nur eine Frage der Zeit ist. Der Homo oecono­mi­cus, der in der Ver­gangenheit mit Raub und Mord offen als Eroberer aufge­treten ist, um seinen Be­sitz zu ver­mehren, gibt sich in unserer Zeit unter dem Vor­wand der allge­meinen, wirt­schaftlichen Pro­s­perität als Philanthrop, um ein ureigenstes mensch­liches Laster zu be­frie­digen: die maß­lose Habgier. Daß dabei eine selbstzerstörerische Eigendynamik auftritt, wel­che nicht nur die öko­no­mischen, sondern auch die ökologischen Lebensgrundlagen[ccxxxi] der zu­künf­­tigen Genera­tionen vernichtet, wird beflissent­lich übersehen.

Im Denken setzt sich immer mehr der Personenbegriff[ccxxxii] statt des Menschenbegriffs durch. Auch Kant verankerte den kategorischen Imperativ in der Personenhaftigkeit[ccxxxiii]. Dies ist in­sofern richtig, als daß eine Priorität des Menschen in der Dif­ferenz zum Tier ethisch mit einer speziezistischen Argumentation nicht hinreichend begründbar ist. Diese Begründung er­gibt sich erst aus der Personenhaftig­keit des Menschen[ccxxxiv].

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lautet die Definition des Wesen einer Person bei Scheler , wie folgt: »Person ist die konkrete, selbst wesenhafte Seinseinheit von Akten verschiedenartigen Wesens, die an sich (nicht also prÚw ≤mçw) allen wesen­haften Aktdifferenzen (insbesondere auch der Differenz äußerer und innerer Wahr­neh­mung, äußeren und inneren Wollens, äußeren und inneren Fühlens und Liebens, Hassens usw.) vorhergeht. Das Sein der Person <fundiert> alle wesenhaft verschiedenen Akte.«[389] Auch im ethischen Kontext weist er für den Personen­be­griff den Menschen qua Mensch zurück und fordert eine bestimmte Stufe mensch­licher Exis­­tenz als hinreichende Bedingung für die Per­sonen­haftigkeit.[390] Als Bedingungen nennt er Voll­sinnigkeit[ccxxxv], Mündigkeit[ccxxxvi]; Herrschaft über den eigenen Leib[ccxxxvii]. Streng zurückgewiesen wer­­­den »die Real- und Dingbegriffe der <Seelen­sub­stanz> und des sogenannten <Charak­ters>.«[391]

Am Ende des 20. Jahrhunderts erfuhr der Per­sonen­begriff in der Ethik Peter Singers aus utili­taristischer Sicht eine weitere Modifikation. Singer lehnt eine speziezistische Begrün­dung in bezug auf einen höheren Wert des menschlichen Lebens im Vergleich zu anderen Spezies­for­men ab[ccxxxviii]. Die herausragende Stellung personalen Lebens - komparativ zu den ande­ren Lebens­formen - wird mit den Eigenschaften des Bewußtseins-seiner-selbst als Indi­viduum mit tem­po­ra­lem Ori­en­tierungsvermögen für Vergangenheit und Zukunft ange­geben[ccxxxix]. Nur Personen sind auf­grund dieser Eigenschaften in der Lage, Präferenzen zu ent­wickeln[ccxl]. Ein Lebe­we­sen, wel­ches keine antizipatorische Disposition zu seiner zukünftigen Existenz hat, kann keine Präfe­renzen in Hinblick auf diese Zukunft entwickeln[ccxli]. Allerdings fallen aufgrund seiner Ar­gu­men­tations­struktur auch Affen, eventuell Katzen, Hunde oder Schweine unter das Per­so­na­li­täts­kriterium[392], während geistig Behinderte oder Neugeborene nicht als Personen gel­ten.

Obwohl der Personenbegriff im ethischen Kontext diskutiert wird, werden Priorität auf Selbst­bewußtsein und Grad der Intelligenz als relevante Kriterien für eine höhere, ethische Wer­tigkeit angesetzt. Moralische Werte per se haben keine Bedeutung[ccxlii]. Wird damit nicht eine defizient ethische Kriterien­relevanz propagiert? Die Frage nach dem wahren Menschen nach den Gesichtspunkten rein personaler Kriterien auf unsere Zeit übertragen, würde zu einem Menschen führen, für welchen eine Beantwortung nach positiven Moral­wertig­keitskriterien a priori ausgeschlossen ist. Der philosophische Diskurs hat im Laufe der Jahrtausende von der For­mulierung absoluter, mora­lischer Werte Abstand genommen, da es sich gezeigt hatte, daß eine derartige Kate­go­ria­li­sierung sich nicht allgemeingültig formulieren ließ. Die verschie­denen Erschei­nungs­formen von Moral korrelieren mit Kultur, geschichtlichem Entwicklungs­stand, Anpassung an die ver­schiedenen situativen Bedingungen, etc. Kant versuchte noch eine formale Struktur ein­zu­führen, um das moralisch gute Handeln in gesetzmäßige Formen zu fassen und bestimmte den Willen  als das ausschließliche Wesen des moralisch Guten, d.h. er ver­legte das moralisch Gute in die Gesinnung, in die subjektive Intention. Nietz­sche verwarf in seinem Haß auf christliche Moralvorstellungen jegliche Moral[ccxliii]. Im zwan­­zigsten Jahr­hundert hat sich die Frage nach moralischen Werten in der Existenz­philo­sophie Heideg­gers fast völlig, in der Entwicklung des Personenbegriffs – wie oben ausgeführt - weitgehend auf­gelöst. Wegen der Schwierigkeit der ethischen Problematik zu resignieren, wäre eine ver­fehlte „Problem­lösung“. Aus der traditionellen Kampfkunst kann man lernen, daß man einen Kampf niemals aufgibt. Erst der Tod beendet einen Kampf– entweder mit Sieg oder Niederlage. Es mag des­halb die Frage nach dem wahren Menschen in Fortsetzung der alten WUSHU-Tradition für unsere Zeit mit dem Homo moralis als Ziel der menschlichen Ent­wicklung eine positive Beantwortung finden. Personalität ohne moralisches Verant­wor­tungs­bewußtsein ist eine defiziente Charakteristik des Mensch-Seins. Das schein­bar unbe­wäl­tig­bare Problem einer ethisch hinreichenden Fun­dierung von Moral resultiert daraus, daß der menschliche Geist Moral konstituiert.[ccxliv] Nur per­sonale Lebensformen haben diese Fähig­keit, Tiere folgen ihrem Instinkt. Die Hervorbringung von Moralität unter­liegt einem Ent­wick­lungs­prozeß, welcher von den Ursprüngen der Mensch­heits­ge­schichte her bis in unsere Zeit reicht und sich in die Zukunft erstreckt. Der Mensch muß lernen moralisch zu werden, da sich erst daraus seine Würde als Mensch ergibt.[ccxlv] Der Über­mensch Nietzsches, für den seine Mit­menschen nur Mittel und „Auswurf“, Abfall sind[ccxlvi], er­weist sich als Un­mensch[ccxlvii]. Nietz­sches Lobpreisung der Unmoral ist ein (sprach­liches) Unding, weil es keine unmoralische Men­­schen gibt: Jeder Mensch ist mora­lisch. Die Unmoral ist die Zurückweisung der jewei­ligen (oder aller) mora­lischen Normen, aber diese Ablehnung muß nicht unbedingt erfolgen, weil sie der Be­friedigung der eigenen Be­gier­den oder Laster entgegensteht, sie kann auch aus höchst mo­ra­lischen Motiven erfolgen[ccxlviii]. Die moral­philo­sophische Differen­zierung von »Gut« und »Bö­se« ist deshalb als »positive« oder »nega­tive Moral« vorzunehmen. Die positive Mora­­li­tät hat Kant mit dem Willen als das allein Gute definiert[ccxlix], woraus folgt, daß negative Mora­lität dann vorliegt, wenn sich der Wille auf das Böse richtet[ccl]. Negative Moral­werte wer­den hier als „gut“ eva­luiert[ccli]. Positive Moralität im Sinne einer Wertethik wäre die Wert­schätzung posi­tiver Werte.

 

            Hier ist nicht der Ort für eine ethische Begründung von Moral, da eine Philosophie des Kampfes ihr Denken auf die Welt des Kämpfens und ihre moralische Relevanz richtet. In die­sem Kontext soll die Phänomenalität des (moralischen) Kampfes mit dem damit verbundenen Ethos für den Homo moralis aufgezeigt werden.

Der Homo moralis muß ein Kämp­­fer sein, da er mora­lische Werte zu erkennen und zu ver­wirk­lichen sucht. Die Aktualisierung von Moralität ist immer mit Widerstand verbunden, wel­cher über­­wunden werden muß, weshalb Kampf als essentieller Aspekt von Moral erachtet werden kann.

Im inneren Kampf kämpft der Homo moralis um seine eigene Moral und versucht sie zum Positiven zu wenden[cclii]. Diesen Kampf muß er mit sich selbst austragen.

Wie zeigt sich aber Moral und Moralität im äußeren Kampf? Ist schon Kämpfen per se der negativen Moral zuzuordnen?

Menschen nur dann als guten Menschen zu betrachten, wenn sie nach dem christ­lichen Gebot »Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin[393]« handeln, wäre eine absolute Verkennung des Wesens von Moral. Solche Verhaltensweisen fördern das Böse, welches in jedem Menschen potentiell vor­handen ist. Diese Moral läßt sich nur in Hinblick auf eine „jen­seitige“ Vergeltung ver­treten, wie sie auch im Christentum gelehrt wird[ccliii]. Dadurch, daß Gott ein fürchterlicher Rächer ist, gerät allerdings das christ­liche Verzeihen in ein sehr schiefes Licht.

Kon­fu­zius vertritt eine sehr „diesseitig“ orien­tierte Vergeltungsmoral[ccliv]:

Als jemand fragte: »Was ist von dem Wort >Vergilt Böses[cclv] mit Gutem[cclvi]< zu halten?«, antwortet der Meister: »Womit soll man dann Gutes vergelten? Vergilt Böses mit Gerechtigkeit[cclvii] und Gutes mit Gutem.«[394]

 

Dieses Gespräch verrät, daß auch im alten China das Problem des moralisch Guten im Kontext mit Ver­gel­tung thematisiert wurde und von Konfuzius mit »ange­messener Vergeltung« beant­wor­tet wurde. Dadurch wurde einer maßlosen Rachsucht Einhalt geboten. Hier ergibt sich eine interessante Parallele zur WUSHU-Tradition. Als gutes Kung Fu wurde und wird bis zum heu­tigen Tag nur ein solches erachtet, welches auf Verteidigung[cclviii] ausge­richtet ist. Das Training wird dementsprechend aufgebaut, und zwar so, daß auf einen Angriff „instinktiv“ mit einer adäquaten Verteidigung reagiert wird, welche der Gefährlichkeit des An­griffs entspricht. Je gefährlicher der Angriff, desto härter und kompromißloser die Reak­tion. Bei einem Angriff mit Tötungsvorsatz wird der Angreifer mit großer Wahrscheinlichkeit selbst getötet. Dies ent­spricht genau dem Konfuzianischen Prinzip der Vergeltung im mora­lischen Bereich. Dadurch, daß die Verteidigung als  (moralische) Orientierung des Kampfes dient, wird ein exzel­lentes Regulativ vor­­ge­geben, welches unmoralische[cclix] Dimensionen aus­schließt, was bei offen­siven Akten im Gegen­satz dazu sehr wohl gegeben ist.

In Anknüpfung an diese Tradition sei das Ethos des äußeren Kampfes für den Homo moralis analog dem Ethos der Kampfkunst auf Verteidigung ausgerichtet. Ihn als „heiligen Krieger gegen das Böse“ zu verstehen, wäre ein Fehler, da in der Mensch­heits­geschichte viele „heilige Kriege“ im Namen des (moralisch) Guten gegen das Böse geführt wurden, welche sich in der Folge als Erscheinungsformen der negativen Moral erwie­sen haben.[cclx] Jeder Mensch aber darf seine Rechte verteidigen und um sie kämpfen. Moralität darf nicht so ver­stan­den werden, daß Verteidigung gegen feindselige Angriffe (Akte des Bösen) schon per se als böse zu evaluieren sind. Einen moralischen Kodex zu schaffen, welcher eine Vertei­digung gegen offensive Akte einer negativen Moral nicht zuließe, wäre selbstdestruktiv und damit ein ethisches Paradoxon. Moralität darf nicht lebensunfähig machen.

 

 

 

Als positiv moralische Werte seien definiert:

 

·        Mitgefühl für alle empfindenden Lebewesen;

·       Achtung der Rechte anderer, personaler Lebensformen;

·        Toleranz gegenüber anderen Wertewelten (Kulturen, fremde Sitten und Bräuche, etc., generell für alles „an­ders Seiende“).

 

 

In diesem rudimentären Wertekatalog wird nicht die Liebe angeführt, auch nicht im Sinne der égãph. Es wurden schon zu viele Be­trü­gereien mit diesem Wort begangen, als daß es noch ver­­trauens­wür­dig wäre. Wer alle liebt, liebt keinen. Liebe ist kein hinreichendes Kriterium für eine ethische Fundierung von Moral.

 

Liebe ist eine schöne Blume, welche nur sehr selten und ver­borgen in sehr kleinen Kreisen an versteckten Orten blüht.

 

Es wird in dieser Arbeit die These vertreten, daß Philosophie in Verbindung mit Meditation eine Möglichkeit darstellt, das t°low der personalen Evolution, den Homo moralis, zu errei­chen.

 

Meditations­philo­sophie erhebt nicht den Anspruch, „Wunder“ zu bewirken, son­dern daß in der Ver­­schmel­zung von philo­so­phischer Rationalität mit meditativer Versenkung ein vielver­sprechendes Poten­tial liegt.

 

Der meditationsphilosophische Weg wird wahrscheinlich nur von wenigen beschritten wer­den, denn er ist mit Arbeit, Geduld und Ausdauer verbunden.

 

Für die wenigen, die bereit sind, diesen Weg zu beschreiten, wurde dieses Buch geschrieben.


Ein persönliches Nachwort

 

Dieses Büchlein richtet sich an alle, welche einen Sinn in ihrem Leben suchen, vorwiegend aber an die Philosophen,

um sie wachzu­rütteln und ihnen zuzurufen: »Nehmt euch der Medi­ta­tion an! Man muß nicht Metaphysiker oder Mystiker werden, um sich da­mit zu be­schäftigen! Aus der Synthese von Meditation (rich­tig prak­­tiziert) und Philo­sophie (als rationaler Erkenntnisweg) läßt sich in der Zu­kunft etwas Neues erwarten. Was dies sein wird, muß man ab­warten, weil min­destens einige Jahrzehnte meditations­philo­so­phi­scher Praxis und kritischer Unter­su­chung not­wendig sein wer­den, um das Potential wenig­stens ein biß­chen aus­zu­loten.

 

Denjenigen, welche sich auf dem Weg der Kampfkunst ver­suchen wol­len, rate ich, einen Kampfstil auszusuchen, welcher die At­mung als we­sent­lichen, technischen Bestandteil des Trainings er­achtet und in den moto­­rischen Bewegungsablauf harmonisch inte­griert. Mit dem Beiseitelassen der Atmung lassen sich Kampf­tech­niken zwar viel schneller erlernen, die Es­senz dieses Weges geht je­doch verloren. Ich habe beobachtet, daß in den asia­­tischen Kampf­kunst­traditionen dieses Ele­ment generell zu finden ist. Ide­al ist eine Technik, welche das Training, sons­tige Übungen und Medita­tion har­monisch miteinander ver­eini­gt. Ich persönlich bin aufgrund mei­ner posi­tiven Erfahrungen mit Kung Fu natürlich von diesem an­ge­tan, es muß aber jeder für sich selbst herausfinden, was ihm zusagt. Man nimmt ein der­arti­ges Training nicht auf, um es ein paar Jahre zu machen, sondern es ist ein Training auf Lebenszeit.

Ich rate ab, viele, ver­schie­dene Tech­niken zu kombinieren bzw. aus­zuprobieren. In Filmen und litera­rischen Ver­öffent­lichun­gen wird immer wie­der sug­geriert, daß durch der­artige Kom­bina­tionen über­legene Kampf­tech­­niken entstehen. - Nach meinen Er­fah­run­gen und Beo­bachtungen bleibt durch derartige Kombina­tio­nen die mentale Ent­wick­lung auf der Strecke. Nur wirk­liche Meis­ter kön­nen nach jahr­zehntelangem Training fremde Ele­mente in die eigene Tech­nik harmo­nisch integ­rieren.

 

Denen, die sich der Meditation zuwenden, rate ich, sich ihren Leh­rer als Person anzusehen. Persönliche Charaktereigenschaften sind in diesem Kon­text viel wichtiger, als das Beherrschen besonders effizienter Medita­tions­techniken. Als Anfänger hat niemand die Kenntnisse, um das Können eines Lehrers zu beurteilen. Wenn jedoch der Lehrer charak­ter­lich integer ist, kann man sich wenigstens da­rauf verlassen, daß er seinen Schülern nicht be­­­wußt Schaden zufügt. Der Markt pros­pe­riert von selbsternannten Meis­tern und Gurus, welche angeblich über esote­ri­sches „Ge­heim­wissen“ ver­fügen und unter dem Deck­mäntel­chen auf­opfernder Selbstlosigkeit ihre Adep­­ten aus­­beuten, in den exis­ten­tiellen Ruin und in extremen Fäl­len so­gar in den Tod treiben.

 

Bei der Wahl eines Lehrers ist höchste Vorsicht angebracht.

 

Ich rate ab, Medi­tie­ren aus einem Buch zu ler­nen. Gute Bücher auf diesem Gebiet sind nur selten zu finden und auch dann nur für erfah­rene Medi­tanten von Nutzen.

 

         Das Numi­nose ist – auch wenn es existiert – für den Verstand un­be­greif­lich und alle (auch die meditativen) Techniken, welche an­geb­lich zum Gött­lichen führen, sind nach meiner tiefsten Über­zeu­gung Irrwege. Der Mensch muß sich damit abfinden, daß es keine Ge­wiß­heit für die Existenz Gottes gibt – er muß sich auf das Wag­nis des religiösen Glaubens ohne jede Sicherheit ein­lassen. Meine rigo­rose Zurück­wei­sung jeglicher metaphysischer Trans­zen­denz soll aber nicht als Athe­ismus verstanden werden. Atheismus ist ge­nau­so­wenig be­gründ­­bar wie Theismus.

Die Annahme, daß wir uns einem göttlichen Schöpfer oder Ur­grund nähern könnten, halte ich für menschliche Hybris. Sich als Diener oder Kind Got­tes zu verstehen, ist eine zwar für die eigene Eitelkeit sehr angenehme – nicht mehr weiter steigerungsfähige - Steigerung des Selbstwertgefühls, hält aber den Menschen davon ab, sich seiner eigentlichen Wesensnatur zu be­sin­nen.

Über dem Eingang zum Ora­kel zu Delphi stand ein kluger Satz: »Er­kenne dich selbst.«

Er hatte die Be­deu­tung: Erkenne, daß du dich auf göttlichem Boden befindest und erkenne – daß du nur ein Mensch bist.

Der Mensch muß akzeptieren, daß er sein eigener Gesetzgeber ist und damit auch die volle (mora­lische) Verant­wor­tung für sein Den­ken und Tun zu tragen hat. Nicht der Teufel oder die Dämonen ver­ur­sachen das Böse. Diese bequemen Ausreden zur Zurückweisung jeder moralischen Schuld für die eigenen bösen Taten sind in einem wissenschaft­lichen Zeitalter obsolet. Nur per­sonale Lebewesen haben die Fähig­keit, Gutes und Böses zu tun, weil nur sie das da­zu erforderliche Wis­sen und Bewußtsein haben. Der Mensch ist ein solches Lebe­wesen.

 

Ich habe mich bemüht, eine Sprache und Darstellungsform zu fin­den, welche verständlich ist. Dieses Buch ist so aufgebaut, daß die ver­schie­denen As­pekte aus verschiedenen Perspektiven in den verschie­de­nen Teilen auf das Ganze hinweisen.

 

Die etwas kryptischen Formulierungen der meditationsphilo­so­phi­schen Maximen des richtigen Meditierens sind nur bedingt für ein sprach­liches Ver­stehen oder ein (rationales) Studium vor­ge­sehen. Zweck ist, Meditanten – gleichgültig welcher Prove­nienz – Ein­sich­ten zu ver­mitteln, welche ihrem je­wei­­ligen meditativen Ent­wick­lungs­stand ent­sprechen.

 

Ich wünsche jedem Sucher, der sich auf den Weg macht, seinem Leben Sinn zu geben, viel Glück und die Beharrlichkeit, welche zum Erfolg führt.


Chinesisches Glossar

 

 

 

NEIDAN       內丹       „innere Alchemie“

 

WAIDAN            外丹              „äußere Alchemie“

 

NEIGONG     內工       „innere Arbeit“

 

NEIJIA       內家       innere Schule, innere Richtung

 

QIGONG        氣工       „Atemarbeit“

 

WAIJIA               外家              äußere Schule, äußere Richtung

 

QI                                                  taoistisch: „Lebensenergie“; Luft, Atem, Dampf

 

TAIJI                   太極              allergrößter, höchster Grad, Grenze, Prinzip;

 

TAIJIQUAN        太極拳 »Große Schwelle« (nach Dolin); »Boxen des großen Geistes« (nach Yao/Fassi)

 

JING                                »Essenz« (nach Requena); das energetische Funda­ment des Lebens, vergleichbar mit angeborener Kon­stitution (nach Hempen)

 

SHEN                                Mut, geistige Energie (nach Yao/Fassi); die konstellierende Kraft, die lebendigen Aspekte der Persönlichkeit, mentale Aktivität oder geistige Kraft (nach Hempen)

 

DANTIAN      丹田              Unterleibsgegend

 

CHAN                                           tiefe Meditation;  buddhistische Sekte (des Bodhidharma)

 


Quellennachweis

Albertus Magnus; Ausgewählte Texte, Darmstadt 2001

Aristoteles; Philosophische Schriften, Darmstadt 1995

Borst, Arno (Hrsg.); Das Rittertum im Mittelalter; Darmstadt 1998

Burckhardt, Jacob; Griechische Kulturgeschichte; 4 Bde, München 1982

Capelle, Wilhelm; Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968

Chang Dsu Yao und Fassi, Roberto; Shaolin Kung-Fu 1; Falken-Verlag 1993/1996; Übers. Till Louis Schreiber.

Confucius, Confucian Analects, The Great Learning & The Doctrine of the Mean, New York 1971; Übers. James Legge 1893

Dolin, Alexander; Kempo, Sportverlag Berlin 1988

Engel, Klaus; Meditation, 2. Auflage; Frankfurt am Main 1999

Fehr, Theo; Beitrag in Transpersonale Forschung im Kontext, Transpersonale Studien 5, S.351 - 392; Hrsg. Wilfried Belschner, Joachim Galuska, Harald Walach, Edith Zuridel; Universität Oldenburg 2002

Fink, Gerhard; Die griechische Sprache, München 1992

Glasenapp; Philosophie der Inder, Stuttgart 1985

Guorui, Jiao; Qigong Yangsheng, Uelzen 1997

Hammer, Robert; EUTHANASIA, Dissertation der Universität Wien, 1997

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm; Ästhetik, Frankfurt am Main, 1986

Heidegger, Martin; Nietzsche II; 5. Auflage, 1989

Heidegger, Martin; Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, 3 Aufl., 1994

Heidegger, Martin; Sein und Zeit, 16. Aufl., Tübingen 1986

Hempen, Carl-Hermann; dtv-Atlas zur Akupunktur; München 1995

Herrigel, Eugen; ZEN in der Kunst des Bogenschießens, 44. Auflage, Bern 2003

Hirschberger, Johannes; Geschichte der Philosophie, Freiburg, 1991

Holcombe, Charles; Theater of combat: A critical look at the Chinese martial arts; Historian Vol. 52 No. 3 May 1990, pp. 411-432

Hume, David; On Human Nature and the Understanding, New York 1962

Huth, Almuth und Werner; Handbuch der Meditation, 2. Auflage; München 1996

Huth, Almuth und Werner; Meditation, München 1988

Jaspers, Karl; Einführung in die Philosophie, München 1971

Jaspers, Karl; Notizen zu Martin Heidegger, 3. Aufl., 1989

Jaspers, Karl; Philosophie I-III, München 1994

Jaspers, Karl; Von der Wahrheit, 4. Aufl., 1991

Kairies, Klaus u. Schrott, Ernst; Transzendenz - Basis für Kreativität im Management, Arbeitspapier 44/2000 Faschschule Hannover

Kant, Immanuel; Werke,  Darmstadt 1998

Kit, Wong Kiew; Die Kunst des Qi-Gong; München 1995; Übers. Clemens Wilhelm

Lao Tzu (Laotse);The Tao of Power; Glasgow 1988; Übers. R.L. Wing.

Laotse; Tao te king; München 1989; Übers. Richard Wilhelm.

MacIntyre, Alasdair; A Short History of Ethics, London 1995

Maharaj, Rabindranath R.; Der Tod eines Guru, Berneck, 16. Auflage 2000; Übers. Benedikt Peters

Maoshing, Ni, Dr., Hrsg.; Der gelbe Kaiser, 5. Auflage 2003; übersetzt aus dem Englischen Ingrid Fischer-Schreiber. Englischer Titel: The Yellow Emperor’s Classic of Medicine. Übersetzung des NEIJING

Mishra, Rammurti S.; Vollendung durch Yoga, Düsseldorf 1990; Übers. Ursula von Mangoldt

Miyuki, Mokusen; Die Erfahrung der Goldenen Blüte, 1984; Übers. Elisabeth Freivogel-Steffen.

Musashi, Miyamoto; Das Buch der fünf Ringe; Düsseldorf und Wien 1993; englische Übersetzung durch Victor Harris, übersetzt aus dem Englischen durch Jürgen Bode.

Needham, Joseph; Wissenschaft und Zivilisation in China; 2 Bde, Frankfurt am Main 1979 u. 1988; Dt. Ausgabe von Colin A. Ronan, The Shorter Science and Civilisation in China; Übers. u. Hrsg. Tilman Spengler.

Nietzsche, Friedrich; Werke in vier Bänden, Salzburg 1983

Olschak, Blanche Christine; Die Heiterkeit der Seele, Zürich 1988

Ott, Bernd-Christian, in: Spirita, Zeitschrift für Religionswissenschaft, April 2002; Seiten F13 - F16

Platon; Werke, WBG Darmstadt 1990

Ravagli, Lorenzo; Meditationsphilosophie, München 2000

Requena, Yves; QI GONG; Editions de la Maisnie, 1989 (das französische Original)

Requena, Yves; Qi Gong; München 1997; Übers. Frank Fiedeler

Scheler, Max; Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 6. Auflage, Bern 1980

Schelling, Friedrich Wilhelm Josef, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Darmstadt 1997

Schultz, I.H.; Das autogene Training; , 14. Auflage; Stuttgart 1973

Schultz, Uwe (Hrsg.); Das Duell; Frankfurt am Main und Leipzig 1996

Singer, Peter; Practical Ethics; Cambridge University Press, 2. Auflage, 1994

Spinoza, Benedictus de; Die Ethik, Stuttgart 1984

Stange, Hans O.H.; Die Weisheit des Konfuzius, Frankfurt am Main 1964

Sun Tzu (SUNZI); Art of War, USA 1994; Übers. Ralph D. Sawyer

Thukydides; Der peloponnesische Krieg; Hrsg. Hermann Strasburger, Phaidon Verlag, Essen

Viallet, François-Albert; Einladung zum Zen, Düsseldorf 1988

Wetering, Janwillem van de; Der leere Spiegel, 24. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2003; Übers. Herbert Graf

Wilhelm, Richard; I Ging, Köln 1985

Windelband, Wilhelm; Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen 1980

Zeilinger, Anton; Einsteins Schleier, München 2003

 

 

Nachschlagwerke:

 

Enzyklopädie Philosophie, CD-ROM-Edition; Hrsg. Hans Jörg Sandkühler; Felix Meiner Verlag Hamburg 2003

Geschichte der Philosophie, CD-ROM-Edition Digitale Bibliothek Band 3 (DB03), Berlin 1998

Philosophie von Platon bis Nietzsche, CD-ROM-Edition Digitale Bibliothek Band 2 (DB02), Berlin 2000



Quellenreferenz



[i] Der freie Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod; und seine Weisheit ist nicht ein Nachsinnen über den Tod, sondern über das Leben.

(Übers. Jakob Stern)

[ii] Im Sinne von spezifischer Tüchtigkeit zu einer spezifischen Leistung.

[iii] ı mËyow:Rede, Erzählung, insbes. erdichtete oder sagenhafte Erzählung.

[iv] ı lÒgow: Rede, Rechnen, Vernunft, Beweisführung, Schlußfolge.

[v] »…¶rvw hovers halfway between love and desire…« und »ÖErvw is thus desire for what we do not possess. The lover is a man who is unsatisfied.« sowie »Good therefore is not just that which we happen to desire at any given moment; it is that which would satisfy us, and which would continue to satisfy us once we had made the ascent of abstraction from particulars to the Form of the Beautiful.«(MacIntyre, S. 52).

[vi] »Dasein« i.S.v. »Existenz« der Existenzphilosophie.

[vii] Eigentlich: das Nachgehen. Der Weg, etwas zu erreichen; Methode; kunstgemäßes oder geregeltes Verfahren.

[viii] Daisetz T. Suzuki, welcher als erster japanischer Zen-Meister, der auch mit dem abendländischen Denken vertraut war, die Zen-Lehre in den Westen brachte: »Der Mensch ist ein denkendes Wesen, aber seine großen Werke werden vollbracht, wenn er nicht rechnet und denkt.« (Herrigel, S.9)

[ix] ≤ érxÆ: »Der Grund, dasjenige, womit etwas in seinem Wesen anfängt, woraus es hervorkommt und worin es ge­wurzelt bleibt, heißt griechisch érxÆ, lateinisch principium, Prinzip‹.« (Heidegger; Nietzsche I)

[x] ≤ èrmon€a: Verbindung, Übereinstimmung, richtiges Verhältnis, Harmonie; insbesonders in der Musik: Ein­klang, Wohl­klang.

[xi] In dieser Arbeit wird terminologisch streng zwischen »Ethik« als Theorie bzw. Lehre von Moral und »Moral« als der empirischen Entsprechung unterschieden.

[xii] In der philosophischen Terminologie des 21. Jhdts. ausgedrückt.

[xiii] Nicht-Sein = das „Nichts“.

[xiv] I.S.v.: in den Grenzen unseres physikalischen Universums.

[xv] Kant hat die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens auf unsere empirische Welt festgelegt:

»Es gibt also ein unbegrenztes, aber auch unzugängliches Feld für unser gesamtes Erkenntnisvermögen, nämlich das Feld des Übersinnlichen, worin wir keinen Boden für uns finden, also auf demselben weder für die Verstandes- noch Vernunftbegriffe ein Gebiet zum theoretischen Erkenntnis haben können; ein Feld, welches wir zwar zum Behuf des theoretischen sowohl als praktischen Gebrauchs der Vernunft mit Ideen besetzen müssen, denen wir aber, in Beziehung auf die Gesetze aus dem Freiheitsbegriffe, keine andere als praktische Realität verschaffen können, wodurch demnach unser theoretisches Erkenntnis nicht im mindesten zu dem Übersinnlichen erweitert wird.« [Kritik der Urteilskraft, S. 18. DB02, S. 25761]

Diese agnostische Weltsicht wurde Kant immer wieder vorgeworfen, seine Kritiker konnten jedoch bis zum heuti­gen Tag kein schlüssiges Gegenargument liefern.

[xvi] D.h. unsere physikalische Welt.

[xvii] D.h. ein „Jenseits“.

[xviii] Höherwertige Logikkalküle sind zu äquivok.

[xix] Der Kampf kommt ins Spiel, wenn formal-logische Strukturen als Mittel der Eristik in der Argumentation ver­wendet werden.

[xx] M.a.W. der nicht-denkenden und nicht-empfindenden Materie.

[xxi] Neben dem kolonialen.

[xxii] Der Beste zu sein, der Tapferste, der Erste, der Vorzüglichste. Sich auszuzeichnen, sich hervorzutun, die anderen zu übertreffen. Als Superlativ von égayÒw (gut, tüchtig, trefflich) ist das êriston der erste Platz in der Reihe, während das b°ltiston das sittlich Beste ist.

[xxiii] Die ersten Olympischen Agone datieren nach unserer Zeitrechnung auf 776 v.Chr und sie wurden alle vier Jahre abgehalten.

[xxiv] Wir würden von »Regeln der Fairneß« sprechen.

[xxv] Heute wäre dieses Urteil noch zu verschärfen: Der heutige Sport, der „Nachfolger des Agon“ hat jeglichen Bezug zur Bildung verloren und ist in eine kommerzielle Industrie pervertiert, deren primärer Zweck ökono­mischer Natur ist.

[xxvi] Was den Unterschied zum altgriechischen Agon ausmachte: hier durfte jeder gebürtiger (freie) Hellene teil­nehmen.

[xxvii] Frauendienst, Herrendienst, Gottesdienst (Borst S. 239). In der Ritterethik war Ehre der zentrale Gedanke, Tapferkeit, Kampfesmut, Verläßlichkeit, Ergebenheit, Opfersinn (François Louis Ganshof in Das Rittertum im Mittelalter, S. 137); Treue, Loyalität, Achtung der Frau, Schutz der Schwachen (ebd. S. 141).

[xxviii] Obwohl nicht explizit angeführt - was aufgrund der gesetzlichen Lage nicht möglich war -, zeigt diese Begründung an, daß man von Schnitzler erwartet hat, sich einem Duell zu stellen und damit seine Ehre her­zu­stellen.

[xxix] Obwohl er mit dessen Bruder befreundet war!

[xxx] Der Auftrag des Königs.

[xxxi] Das Ziel eines Duells war nicht notwendigerweise der Tod. Es kam nicht auf die Tötung des Gegners an, son­dern auf den Beweis des eigenen Muts und auf das Sichstellen. (V. Ute Frevert in: Das Duell, S. 392)

[xxxii] Es möge aus dieser Argumentation nicht die Schlußfolgerung gezogen werde, daß es gut und gerechtfertigt sei, asoziale, von der Gesellschaft geächtete Menschen zu töten!

[xxxiii] Und hier ist der genuine Ehrbegriff gemeint, wie z.B. kein Unrecht zu tun, sich der Sitte ent­sprechend un­tadelig zu verhalten, etc.

[xxxiv] Der Text des Rigveda reicht bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurück.

[xxxv] Dieses Problem ergibt sich in allen Kampfkunsttraditionen wie z.B. der chinesischen, da dieses Wissen aufgrund seiner martialischen Natur nur im engsten Kreis unter höchster Geheimhaltung tradiert wurde. Aufgrund des Fehlens verläßlicher Quellen ist eine wissenschaftliche Erfassung ausgesprochen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

[xxxvi] Dolin verwendet den japanischen Ausdruck »Kempo«.

[xxxvii] Zugrundegelegt wurde die deutsche Ausgabe, übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bode. Der Verf. ist sich der Problematik solcher Vorlagen durchaus bewußt, ist jedoch mangels Kenntnis des Japanischen auf solche angewiesen. Hier gilt es lediglich aufzuzeigen, daß Parallelen in der Ausübung der verschiedenen Kampfkünste bestehen und daß im japanischen Kulturraum literarische Vorlagen mit kampfspezifischen Gesetzmäßigkeiten existieren, welche sich auch auf andere Kampfkünste über­tragen lassen.

[xxxviii] 1584 - 1645

[xxxix] Fünf Ringe!

[xl] Das Schriftzeichen für »Wind« bedeutet auch »Stil«. (S. Musashi, S. 63, Fußnote)

[xli] Die Samurai trugen zwei Schwerter auf der linken Seite im Gürtel. Das kurze wurde immer getragen, das Langschwert nur außerhalb des Hauses. Die Angehörigen anderer Stände (zur Tokugawa-Zeit: Bauer, Handwerker, Kaufmann) hatten nur ein Schwert zur Verteidigung.

[xlii] Hier wird der Weg des Kaufmanns als Beispiel angeführt.

[xliii] Aufgrund der eminenten Bedeutung dieses Buches, generell in bezug auf Kampfkunst als auch auf Meditation, wird es vollständig zitiert.

[xliv] Aufgrund der verschiedenen Transliterationssysteme ist es schwierig, chinesische Termini eindeutig zuzu­ordnen. Sämtliche Termini in dieser Arbeit werden in der Transliteration der zugrundegelegten Quellen wieder­gegeben. PINYIN-Transliteration - das sich heute durchsetzende Transliterations­verfahren - wird durch Block­buch­staben angezeigt.

[xlv] Kursiv durch Verf.

[xlvi] Dolin verwendet für den chinesischen Ausdruck »Quanfa« („Faustweg“, „Faustmethode“, „Faustgesetz“ - die »Lehre von der Faust«) den japanischen Begriff »Kempo« als Überbegriff für die östlichen Kampfkünste.

[xlvii] 拳術:„Faustkunst“

[xlviii]Der Terminus »mental« wird als zerebraler Prozeß verstanden, unter welchem die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen mit den damit verbundenen psychischen Prozessen verstanden wird. Die methodische Tricho­tomie Körper - Geist - Seele, die schon von Kant vorgenommen wurde, stellt in diesem Kontext eine zu hoch differenzierte Begrifflichkeit dar, da der geistige Aspekt eines derartigen Trainings nicht auf rein intellektuelle, rein psychische oder rein somatische Prozesse reduziert werden kann.

[xlix]Analog dem Sinn der »Nachfolge« Kants, welche dieser im Kontext mit der Eigentümlichkeit des Ge­schmacksurteils vorbringt (s. Kritik der Urteilskraft, B136ff): Nicht blinde Nachahmung ist anzustreben, sondern ein Lernen von den Vorgängern, sich schöpferisch tätig weiter zu entwickeln.

So werden die gleichen Übungen bei Übenden verschiedener Kulturen und verschiedener Zeiten – abgesehen von den individuellen Unter­schieden - andere Ergebnisse evozieren, aber gewisse Strukturen werden gleich oder ähnlich bleiben.

[l]Ein „Nachleben“ der alten chinesischen Lebensweise wäre sicher eine Verfehlung für einen modernen, westlichen Menschen. Die Kunst des Kampfes im 21. Jahrhundert ist aufgrund geänderter Anforderungen eine andere als im alten China, wenn auch bestimmte Prinzipien gleich geblieben sind.

[li] Aufzufassen als ideale Voraussetzung für den Sportgedanken, dem Kräftemessen unter gleichen Aus­gangsbedingungen. Dem Verfasser ist durchaus bewußt, daß in unserer Zeit die Kommerzialisierung eine Sportindustrie – auch auf dem Kampfsportsektor - geschaffen hat, welche diesem hehren Gedanken nicht mehr entspricht.

[lii] Im alten China wurde Kung Fu als Weg zur Vollkommenheit angesehen.

[liii] Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends.

[liv] Frühe Zhou-Dynastie: ca. 1030 bis 722 v. Chr. (nach Needham).

[lv] Frühe oder westliche Han-Zeit: 202 v. Chr. bis 9 n. Chr. (nach Needham).

[lvi] Auch in unseren Tagen wird in Asien ein Meister nicht als Meister anerkannt, wenn er nicht über das heilende Wissen verfügt. Es ist kennzeichnend für die Kampfkunst-Tradition, daß die Fähigkeit, mit bloßen Händen töten zu können, mit heilendem Wissen gepaart ist.

[lvii] Der »Korridor des Todes« (eine Galerie mit 108 menschenähnlichen, mit den verschiedensten Waffen ausge­statteten, mechanischen Puppen, welche nicht vorher kal­kulier­bare, töd­liche Schläge austeilten) war die letzte Prüfung.

[lviii] 618 bis 906 n. Chr. (nach Needham)

[lix] 1368 bis 1644 n. Chr. (nach Needham)

[lx] Das chinesische QUANSHU, die »Kunst des (waffenlosen) Faustkampfes«, ist ein Unterbegriff von WUSHU („Kampfkunst“), der »Kunst des Kampfes«, womit auch der Kampf mit Waffen verstanden wird. Die bud­dhis­tischen Shaolin-Mönche waren der Achtung allen Lebens verpflichtet und bevorzugten deshalb das waf­fen­lose QUANSHU oder verwendeten nur Stöcke, um Leben zu schonen, sie beherrschten jedoch auch höchst effizient achtzehn verschiedene Waffen.

[lxi] Diese Charakteristik Requenas für die inneren Kampfkunst-Stile ist nach Auffassung des Verfassers nicht hin­reichend. Eine wesent­liche Komponente des NEIGONG ist Meditation, sowie die Kontrolle des QI. Nur durch solche Techniken können die mentalen Resultate der äußeren Stile transzendiert werden. Einen reinen Stil wird man heute nur noch sehr selten finden, wenn überhaupt; am ehesten noch einen „äußeren“, und hier insbesondere beim Kampfsport, da das NEI­GONG-Training für eine sportliche Anwendung zu gefährlich ist.

Siehe auch Dolin, S. 128.

[lxii] Bezüglich der Bezeichnungen herrscht eine große Vielfalt. Von Dolin chinesisch als »Tao« bezeichnet; im Japanischen »Kata«; nach Fassi/Yao »LU«; nach dem chinesischen Meister des Klubs, an dem der Verfasser trainiert, als »QUAN«. Wegen des großen Bekanntheitsgrades des Ausdrucks »Kata« wird in dieser Arbeit derselbe verwendet - auch wenn es sich hier um ein Buch aus dem Erfahrungshorizont eines (chinesischen) Kung-Fu-Stils heraus handelt.

[lxiii] In einem Kung-Fu-Kata manifestiert sich die Harmonie von Kraft, Atmung und Bewegung mit Orientierung auf Kampf, in einem Qigong-Kata die Harmonie von Atmung und Bewegung mit primär gesundheitlicher Aus­rich­tung. Es wird jedoch bei Qigong-Katas das für den Kampf erforderliche Körperbewußtsein geformt, sodaß Qi­gong indirekt zur Steigerung der Kampfeffizienz dient.

[lxiv] Nach Richard Wilhelm: »I Ging«

[lxv] Dieses Prinzip der Wechselwirkung ist kennzeichnend für einen inneren, „sanften“ Stil - nur auf diese Weise kann ein stärkerer Gegner überwunden werden.

[lxvi] Der Verfasser blickt (im Jahr 2004) auf eine 19jährige Erfahrung in der Praxis von Kung Fu, HONGQUAN-Stil, zurück, wovon ca. 14 Jahre effektive Trainingszeit sind. Der HONGQUAN-Stil geht auf den Abt des Shaolin-Klosters, Zhi Shang zurück. Sein Schüler Hong Qiguan kombinierte die Besonderheiten der harten mit denen der sanften Stile, was dazu führte, daß er alle seine Gegner überwinden konnte (v. Dolin S. 210). Das HONGQUAN-Training umfaßt auch heute noch die Abhärtung des Körpers im Sinne der äußeren Kampfstile, als auch das Mentaltraining der inneren Stilrichtungen. Trainiert wird nicht in kampfsportlicher Aus­richtung, son­dern im Geiste der klassischen WUSHU-Tradition.

[lxvii]Qigong bzw. Kung Fu wurde bereits 1779 durch die Arbeit des Jesuitenpaters P.M.Cibot, Notice du Cong-Fu des Bonzes Tao-sée, der abendländischen Welt vorgestellt (Requena, S. 51).

[lxviii]Die Übersetzung altchinesischer Denkkategorien scheint schon für das moderne Chinesisch mit Schwie­rig­keiten behaftet, den Sinn dieses alten Denkens in eine europäische Sprache zu transportieren kann wohl nur mit einer sehr bescheidenen Annäherung erreicht werden.

[lxix] Kampfsport soll an dieser Stelle in keiner Art und Weise abqualifiziert werden. Für junge Menschen, welche noch kein ausgeglichenes Selbstbewußtsein besitzen und sich noch beweisen müssen, ist dies eine gute Sache. Durch strenge Regeln werden bei den Wettkämpfen schwere Verletzungen vermieden und man lernt dadurch das kennen, was als »sportliche Fairneß« bezeichnet wird. Ein Sieg, der durch Betrug oder „unsaubere“ Praktiken er­rungen worden ist, ist kein Sieg. Ein echter Sieger ist nur derjenige, welcher einen anderen, der den gleichen Rah­menbedingungen im Wettbewerb unterworfen ist, besiegt. Solche Einstellungen äußern sich auch im exis­tentiellen Kontext, und der Ruf, seine Mitmenschen fair zu behandeln, ist nicht gerade die schlechteste Empfehlung für einen Menschen.

[lxx]Im heutigen China wird Kung-Fu-Ausbildung in Hinblick auf eine spätere berufliche Umsetzung betrieben.

[lxxi] Die Differenzierung von praxis und theoria wurde erst durch Aristoteles vorge­nommen .

[lxxii]Welcher sich wohl auch in unserer Zeit noch immer in einer entsprechenden Lebenshaltung artikuliert.

[lxxiii]Und zwar auch auf der rein physischen Trainingsebene!

[lxxiv]Als intendiertes Ideal postuliert.

[lxxv] Der innere Kampf.

[lxxvi] Der äußere Kampf.

[lxxvii]In der Antike handelte es sich beim philosophischen Kampf keineswegs nur um eine rein theoretische, reflek­tive Auseinandersetzung mit der Kampfthematik, wie aus der Schilderung des Verhaltens Sokrates’ in der Schlacht bei Delion im Symposion (221a-b) und im Laches Platos (181a-b) hervorgeht.

[lxxviii]Wenn auch nur als nie erreichbares Ideal postuliert.

Hegel artikuliert sehr schön den geistigen Harmoniegedanken im Kontext mit Kunst: »Denn der Mensch hat ernstere Interessen und Zwecke, welche aus der Entfaltung und Vertiefung des Geistes in sich herkommen und in denen er in Harmonie mit sich bleiben muß. Die höhere Kunst wird diejenige sein, welche sich die Darstellung dieses höheren Inhalts zur Aufgabe macht.« (Ästhetik I, S. 225)

[lxxix]So spricht Jaspers (Philosophie I, S. 176) vom »Kampfe des Geistes mit sich selbst« im Kontext mit der Sphäreneinteilung des Geistes, wie z.B. Logik, Ästhetik, Religionsphilosophie, etc. Das Problem des scheinbar einen Geistes seien die vielen Sphären, welche sich gegenseitig ausschlössen und im Kampfe stünden. (S. 180)

[lxxx]Bei der chinesischen Kampfkunst wird der Körperaspekt mit einbezogen - ein Aspekt, welcher im westlichen Bildungswesen völlig fehlt bzw. nicht in Kontext mit dem Bildungsgedanken auftritt.

[lxxxi]Offensichtlich war aber im antiken Griechenland die Kunst des Kämpfens (gegen andere Menschen) ebenfalls auf Verteidigung ausgerichtet (vgl. Plato, Gorgias 456e). Dies weist auf kulturindifferente Strukturen in den mora­lischen Einstellungen in bezug auf Kampf hin.

[lxxxii]Was allerdings nicht mit notwendiger Konsequenz zu einer moralischen Lebensweise führt.

[lxxxiii] Kampf in Notwehrsituationen bringt es mit sich, daß sich u.U. aus situativen Umständen heraus eine Not­wen­dig­keit zum Töten anderer Menschen ergibt, d.h. auch aus einem ethisch zu rechtfertigenden Kontext kann sich eine Situation ergeben, welche zum Tode eines anderen Menschen führen kann.

[lxxxiv] Im alten China war damit vermutlich die Gesundheit an (in europäischen Denkkategorien ausgedrückt) Körper, Geist und Seele gemeint.

[lxxxv] Und dies sind nicht nur eigene Erfahrungen des Verfassers. Dies trifft bei einer richtigen Trainingsweise wahr­schein­lich auf jeden zu, der traditionell trainiert.

[lxxxvi] Es mag hier angemerkt werden, daß eine traditionelle Trainingsmethode auf Lebensbewältigung ausgerichtet ist, und im Leben wird einem nichts geschenkt. Eine rein spielerische Auseinandersetzung mit dem Leben im exis­tentiellen Kontext wäre nicht ratsam, da dies zum Scheitern führen würde.

[lxxxvii] Mit »Führer« sei an dieser Stelle natürlich nicht jene Verzerrung des ursprünglich positiven Begriffs durch die Nazi-Ideologen gemeint. Ein wahrer Führer ist einer, welcher zum Wohle derjenigen handelt, welche ihm nach­folgen.

[lxxxviii] Im alten China wurden die Sieger von Wettkämpfen zu Minister und Feldherren gekürt.

[lxxxix] Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, daß ein Kampfkunstmeister unfehlbar bzw. unbesiegbar wäre.

[xc] In diesem Standardwerk der traditionellen, chinesischen Medizin werden die verschiedenen Faktoren erörtert, wel­che für ein langes und gesundes Leben, sowie für die Heilung von Krankheiten von Bedeutung sind. In Dia­log­form werden die kosmischen Einflüsse auf den Menschen und die Wechselwirkung mit der Natur erörtert. Es zeigt sich in diesem Werk der Geist des alten China, welcher von einer universalistischen Harmonie zwischen Kosmos, Mensch und Natur ausgeht.

[xci] Nach Beurteilung des Verfassers trifft dies zu. Erst das NEIGONG-Training führt zu den Bewußt­seinsformen, welche einem Kämpfer Zugang zum Wesen des Kampfes als Kunst gewähren.

[xcii] Lungen-, Dickdarm-, Magen-, Milz-, Herz-, Dünn­darm-, Blasen-, Nieren-, Herzbeutel-, „Dreifacher-Erwärmer“-, Galenblasen-, Leber-Leitbahn.

[xciii] Du-Mai-, Ren-Mai-, Chong-Mai-, Dai-Mai-, Yin- und Yang-Qiao-Mai-, Yin- und Yang-Wei-Mai-Leitbahn.

[xciv] Der Verfasser blickt (im Jahr 2004) auf eine fünfjährige Praxis des Drachenweges zurück. Der Drachenweg be­steht aus den Gigong-Katas Drache, Tiger, Schlange, Leopard, Kranich und geht auf die Shaolin-Tradition zu­rück. Die ohne Kraft, basierend auf einer Harmonie von Bewegung und Atmung, praktizierten formalen Figu­ren fördern in erster Linie die für den Kampf notwendigen, gesamtkörperbewußten Mental­zustände, welche die Kampf­effizienz steigern. Der gesundheitliche Aspekt dürfte - für den Drachenweg - in alter Zeit erst an zweiter Stel­le gestanden haben. Qigong-Übungen dürften in alter Zeit generell als Auflockerung von Ver­kramp­fungen nach längeren Meditationssitzungen gedient haben. In intensiver Form praktiziert, ist der Drachenweg eine Form von Bewegungsmeditation.

Kung Fu ist - nach dem traditionellen Verständnis - eine Form des „kämpfenden Qi Gong“, da hier die Atmung als „Kampfmittel“ eingesetzt wird, in dem Sinne, daß durch Synchronisierung der Atmung mit Kraft und Be­we­gung das körperliche Leistungspotential und die bewußte Perzeptions- und Reaktionsfähigkeit gesteigert werden.

Der Verfasser hat keine Erfahrung mit dem therapeutischen Qi Gong. Da jedoch das zugrundeliegende Prinzip das gleiche wie im kämpfenden Qi Gong ist, erlaubt er sich eine - ansatzweise - extrapolierende Kritik an den heu­ti­gen traditionell-medizinischen Qigong-Praktiken.

[xcv] Requena in der deutschen Übersetzung, S. 55: »Überall im menschlichen Körper zirkuliert Energie. Das Wort Energie gibt annäherungsweise die Bedeutung des chinesischen Schriftzeichens Qi wieder, das im Wort Qi Gong enthalten ist. Die Sinologen bieten uns eine sprachlich genauere Übersetzung an, die Atem bedeuten würde, doch wird Energie als klassischer Begriff benutzt.«

Requena im Original, S. 49: »Partout dans le corps humain l’énergie circule. Le mot ‹ énergie › est l’approxi­mation du caractère chinois ‹ Qi › qui forme le mot Qi Gong. Les sinologues nous invitent à une traduction plus puriste qui devrait être ‹ les souffles ›. Cependant, ‹ énergie › est le terme classiquement employé.«

Aus dem Original geht die Emphase auf den Akt des Atmens (die Tätigkeit) besser hervor als aus der deutschen Übersetzung. Außerdem schwingen im französischen Begriff noch „Geist“,Inspiration bzw. intuitives Potential mit, was im Deutschen fehlt. Das Potential von Qi Gong liegt nicht im Atem, sondern im Atmen.

[xcvi] Es stellt sich die Frage, warum die europäische Medizin die Leitbahnen nicht gefunden hat, wenn elektro­magnetische Wellen diese anzeigen? - Elektromagnetische Phänomene sind meßbar.

[xcvii] Diese Vorstellung legt auch das französische Original (S. 279f) nahe, d.h. ist nicht auf die deutsche Über­setzung zurückzuführen.

[xcviii] Es soll an dieser Stelle kein apotheosierender Szientismus (Wissenschaft hat ihre Grenzen) vertreten werden, wis­sen­schaftliches Wissen ist aber Gewähr für eine relative Sicherheit des Wissens, während die mythischen Welt­erklärungen weitgehend auch auf (bereits nachgewiesenem) Aberglauben beruhen.

[xcix] Der Verfasser hatte bis zum Jahr 1987, als er sich mit Meditation zu beschäftigen begann, eine ca. 20jährige Er­fahrung mit dem autogenen Training nach Schultz, vorwiegend Unterstufe, gesammelt. Bei dieser Form der Ent­spannungsübung mit einem guten therapeutischen Potential handelt sich um eine Methode, welche der euro­päischen Mentalität angepaßt ist. Aufgrund der sprachlich orientierten Basis handelt es sich um eine schwa­che Technik, welche aber gerade dadurch für eine therapeutische Anwendung besonders gut geeignet ist. Kranke haben eine schwache Konstitution, weshalb der Einsatz einer „starken“ Meditationstechnik nicht emp­fehlens­wert wäre. Die Problematik besteht - nach Dafürhalten des Verfassers - darin, daß die heutigen Mediziner die Tech­nik nicht mehr richtig erlernen und deshalb unterschätzen. Schon Schultz hat sich über Kurpfuscherei, Modi­fi­ka­tionen und Mißbrauch des Verfahrens im Vorwort zur zehnten Auflage beklagt.

[c] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß diese Form des Übens für Unkundige höchst gefährlich ist und bei unsachgemäßer Anwendung zu schweren, gesundheitlichen Schäden führen kann.

[ci] Dieses Anführungszeichen durch Verfasser.

[cii] Diese Verständnisform liegt der vorliegenden Arbeit zugrunde.

[ciii] Der asiatische Kulturraum als Wiege solcher Techniken ist von herausragender Bedeutung.

[civ] Wenn auch philosophisches Denken Wissenschaft transzendiert.

[cv] Für eine nähere Auseinandersetzung zwischen dem philosophischen Denken und der anthroposophischen Lehre wird auf den Aufsatz Meditationsphilosophie, publiziert vom Verfasser im Marburger Forum, verwiesen .

(Internet-Adresse: http://www.philosophia-online.de/)

[cvi] Siehe die nachfolgenden Kapitel.

[cvii] Meditative Zustände führen zu Glückseligkeitsgefühlen, welche – so die Vermutung des Verfassers - aus einer vermehrten Ausschüttung körpereigener Endorphine resultieren, d.h. eine physische Entsprechung haben. Derartige Hinweise liegen bereits vor, eine dies­bezügliche Bestätigung kann allerdings nicht von philoso­phischer, sondern nur von medi­zi­nischer Seite erbracht werden.

[cviii] Eine Interpretation, daß es sich hier um die Schilderung eines Wunders oder einer Vision handelt, muß zurück­gewiesen werden. Diese Schilderung weist auf einen mentalen Zustand hin, welcher normalerweise in kontrol­lierter Form im meditativen Versenkungszustand auftritt, sich jedoch „verselbständigt“ hat, d.h. unkontrolliert im außermeditativen Normalzustand aufgetreten ist.

[cix] Real i.S.v. subjektivem Realitätsbewußtsein im Gegensatz zur objektiven Wirklichkeit.

[cx] Nicht nur bei Ramakrischna - die gesamte Meditationsliteratur ist voll von solchen Berichten, daß ein außergewöhnlich Begabter solche Phasen durchlaufen und besondere Befähigungen erworben habe.

[cxi] Bzgl. medizinischer Differenzierung v. Engel, S. 268ff

[cxii] Die Zahl der tragisch verlaufenen, welche in Krankheit oder Tod geendet haben, mögen Legion sein.

[cxiii] Es sei an dieser Stelle auf die scharfe Kritik Humes an den sogenannten „Wundern“ in On Human Nature and the Understanding, Section 10, Of Miracles, S. 115 – 136, verwiesen.

[cxiv] Das unbestimmte Unendliche oder unendlich Unbestimmte.

[cxv] Gerade angebliches „Geheimwissen“ eignet sich besonders gut für falsche Prätentionen.

[cxvi] »Wissen« i.S.v. relativ sicherem, rationalen Wissen, welches beweis- bzw. begründbar sein muß.

[cxvii] D.h. die Erlebnisse werden durch die verwendeten Techniken kausiert, haben aber ihren Ursprung im Unter­bewußtsein, d.h. es sind psychogene Ursachen anzunehmen.

[cxviii] Meditative Techniken, welche auf die „Leere“ ausgerichtet sind, haben in diesem Bereich doch eine andere Dynamik.

[cxix] »Erweckung« ist mit »Erleuchtung« gleichzusetzen (v. Viallet, S. 77).

[cxx] Anzumerken wäre, daß er zwar auf seinem Zen-Weg gescheitert ist, sein weiterer Lebenslauf zeugt jedoch von einem erfolgreichen Leben. In seinem „Scheitern“ hat er offensichtlich etwas gelernt, was ihn zu diesem Leben befähigte.

[cxxi] Aus Sicht des Verfassers sind präsente Schmerzen im meditativen Akt, also während des Meditierens, - gleich­gültig, ob durch eine falsche Medita­tions­haltung oder aus sonstigen Gründen - eine starke, meditative Kon­tra­indikation. Der Lotus mag die ideale Meditationshaltung sein, nicht jedoch für jemanden, der diesen Sitz nicht vom Kleinstkindalter an geübt hat.

[cxxii] Es stellt sich aus medita­tions­philo­sophischer Sicht die Frage, ob solche Gewaltkuren sinnvoll sind.

[cxxiii] M.a.W.: Wurde dieser Über­zeugung vielleicht erst durch das Meditieren kausiert und wäre ohne solche nie entstanden?

[cxxiv] Mit dem EEG werden vier Hauptarten von Wellen beim Messen der Hirnströme unterschieden:

Beta-Rhythmus: normale Hirnaktivität Erwachsener im Wachzustand; geringe Amplitude, Frequenz 13 - 30 Hz.

Alpha-Rhythmus: Hirntätigkeit bei wachen, ruhenden Erwachsenen mit geschlossenen Augen ohne optische oder akustische Reize; höhere Amplitude als bei Beta-Wellen, geringere Frequenz von 8 - 12 Hz (nach Kairies u. Schrott 8 - 13 Hz).

Theta-Rhythmus: 4 - 7 Hz (nach Kairies u. Schrott 4-8 Hz); z.B. bei Kindern und Erwachsenen im Einschlaf­stadium.

Delta-Rhythmus: große, langsame Wellen unter 4 Hz; typisch für traumlosen Tiefschlaf (nach Engel, S. 198).

[cxxv] »Orme-Johnson, D. (1987) Medical Care Utilization and the Transcendental Meditation Program. Psycho­somatic Medicine 49: 493-507

»In einer fünfjährigen Feldstudie wurden 2000 Meditierende mit den 600.000 Versi­cherten desselben Trägers ver­glichen. Bei vergleichbaren demographischen Grund­daten zeigten Meditierende in allen Kategorien ge­ringere medizinische Nutzungsraten. Im Vergleich mit fünf anderen Versiche­rungen gleicher Größe und berufs­bezoge­ner Mitgliedschaft wies die Meditations­gruppe 53,3 % weniger Patientenaufnah­men und 44,4 % weniger Arztbe­suche auf. Arztbesuche waren 46,8 % weniger für Kinder (0-18 Jahre), 54,7 % weniger für junge Er­wach­sene (19-39 Jahre) und 73,7 % niedriger für äl­tere Erwachsene (40+). Bei den Kranken­haus­ein­wei­sungen lagen die Patiententage 50,2 % niedriger für Kinder (0-18 Jahre), 50,1 % niedriger für junge Erwachsene (19-39 Jahre) und 69,4 % niedriger für äl­tere Erwachsene (40+).« (Fehr, Pkt. 6.1; s.a. Engel, S. 237)

[cxxvi] Damit ist Jaspers gemeint.

[cxxvii] Hier wird die Grenze des (möglichen) wissenschaftlichen Untersuchungshorizonts überschritten.

[cxxviii] I.S.v adaequatio rei et intellectus.

[cxxix] Dies spricht gegen das Erlernen von Meditation durch Bücher!

[cxxx] Die „rationale Meditation“ wäre dem Wesen nach philosophische Reflexion. In dieser wäre ein unbewußter (d.h. unbegründbarer) Faktor undenkbar, da ein inkonsistentes Philosophem keiner kritischen, rational-logischen Unter­suchung standhalten würde.

[cxxxi] Dem Verfasser persönlich bekannt. Sie hatte in Medjugorje das Erlebnis eines Lichtwunders.

[cxxxii] Rationalität gehört genauso zum Ich wie das Irrationale.

[cxxxiii] Der Meditierende wendet sich im meditativen Akt seinem eigenen Selbst zu.

[cxxxiv] Die mentalen Prozesse, welche im Meditieren initiiert werden, müssen immer abgeschlossen werden, da ansonst mit gesundheitlichen Schäden zu rechnen ist. Meditation ist ein Weg: der Weg in die tiefsten Schichten der eigenen Seele. Man muß immer zum Ausgangspunkt (d.h. zum normalen Wachbewußtsein) zurück­kehren.

[cxxxv] Nicht als Verehrung einer anderen geistigen Wirklichkeit.

[cxxxvi] Problematisch ist die ausschließliche Zuordnung dieser Argumentationsstruktur der meditativen Praxis, da derartige Argumente durchaus auch einen nicht-meditativen Ursprung haben können.

[cxxxvii] Beim Menschen als psychophysische Entität hinterlassen somatische Vorgänge auch im „Geist“ ihre Spuren und vice versa.

[cxxxviii] D.h. von Einflüssen, welche „von außen“ - wie durch die Umwelt - auf den Meditanten wirken.

[cxxxix] Einflüsse, welche „von innen“ - wie durch psychische oder physiologische Prozesse, Hormone, etc. - wirken.

[cxl] Das Vergangene ist noch nicht ganz weg und das Zukünftige ist noch nicht da. Veränderungen bringen generell eine gewisse Instabilität mit sich, Meditation ist hier keine Ausnahme.

[cxli] Es sei darunter ein Zeitraum von Jahrzehnten verstanden.

[cxlii] Wie ist diese extreme Differenz zu interpretieren?

[cxliii] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß statistische, mit stochastischen Mitteln erzielte Untersuchungs­er­geb­nisse keine zuverlässigen Kausalschlüsse zulassen.

[cxliv] D.h. eines, welches auf wissenschaftliche Kriterien reduziert ist.

[cxlv] V. Aristoteles: »Man wird daher annehmen dürfen, daß diejenigen Lehren, die der Wahrheit entsprechen, nicht nur im Sinne der Theorie, sondern auch für die Praxis des Lebens die wertvolleren sind. Man schenkt ihnen Glau­ben, weil ihnen die Taten entsprechen, und sie bilden deshalb für die Hörer den Antrieb, sich nach ihnen zu richten.« (Nikomachische Ethik, S. 217; DB02, S. 5140)

[cxlvi] I.S.v. adaequatio intellectus et rei.

[cxlvii] Es war doch nur notwendig, ein bißchen auf den Boden zu sehen…wie konnte man nicht sehen, wohin man ging!

[cxlviii] V. Albertus Magnus: »Philosophi enim est id, quod dicit, dicere cum ratione.« (S. 170)

[cxlix] Der Galaxien, Sonnen, Planeten, etc.

[cl] Auf die Problematik der Wellennatur oder korpuskularen Natur des Lichts sei hier nicht eingegangen. Dieses Problem kann nur von der Physik gelöst werden.

[cli] M.a.W. der menschliche Verstand pro­ji­ziert seine ihm imma­nenten Gesetzmäßigkeiten in die Natur hinaus.

[clii] Satz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten.

[cliii] So lassen beim Doppelspaltexperiment die auftretenden Interferenzstreifen keine Deutung zu, ob das Licht eine Wellen- oder ein Partikelnatur hat. (V. Zeilinger, S. 30f, S145f)

[cliv] Wozu auch die Sprache der Mathematik zählt.

[clv] In Meditationskreisen wird Wissenschaft und Rationalität sehr geringschätzig gegenüber dem „höheren“ durch Medi­tation erworbenen „Wissen“ betrachtet.

[clvi] »Das ist: dieser Teil des Menschengeschlechts war in der Ausübung seiner Vernunft so weit gekommen, daß er zu seinen moralischen Handlungen edlere, würdigere Bewegungsgründe bedurfte und brauchen konnte, als zeit­liche Belohnung und Strafen waren, die ihn bisher geleitet hatten.«

[Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts, S. 26. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deut­scher Dichter und Denker, S. 31731 (vgl. Lessing-W Bd. 8, S. 502)]

[clvii] »Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.«

[Also sprach Zarathustra, DB02, S. 67748 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 279)]

[clviii] Kant: »Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, so­wohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.«

[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 73. DB02, S. 25019 (vgl. Kant-W Bd. 7, S. 59-60)]

[clix] Ein humanistisch gebildeter Rezipient wird diese Aspekte des Denkens Nietzsches nicht über­sehen.

[clx] Die fürchterlichste Konsequenz dieser Denkweise ist im 20. Jahrhundert in der Umsetzung der Nazi-Ideologie zu beobachten.

[clxi] Heideggerkenner mögen diese Kurzcharakteristik des »Daseins« mit Nachsicht beurteilen. Heidegger hat in seiner Arbeit weitgehend das Weltbild des westlichen Menschen des 20. Jahrhunderts in einer allgemeingültigen Sprache dargestellt, deren Verständnis ein eingehendes Studium erforderlich macht. Hier soll nur in einer allge­mein­verständlichen Weise die Perspektive des Heideggerschen Menschenbegriffs im Umriß aufgezeigt werden.

[clxii] Im »Dasein« wird implicite das Wissen um das Dasein ausgedrückt. Nur der Mensch weiß um sein Dasein; nur der Mensch ist sich dessen bewußt. Diese terminologische Kennzeichnung im Kontext mit der sprachlichen Struk­tur des Werkes läßt die Frage zu, ob diese Charakterisierung nur auf die Spezies Mensch zutrifft, oder ob da­mit nicht sämtliche personalen Lebensformen, wie sie sich auf anderen Planeten in unserem Universum ent­wickelt haben könnten, zuträfen.

[clxiii] »Der Gewissensruf hat den Charakter des Anrufs des Daseins auf sein eigenstes Selbstseinkönnen und das in der Weise des Aufrufs zum eigensten Schuldigsein.« (S. 269)

[clxiv] »Seiendes, dessen Sein Sorge ist, kann sich nicht nur mit faktischer Schuld beladen, sondern ist im Grund seines Seins schuldig. Welches Schuldigsein allererst die ontologische Bedingung dafür gibt, daß das Dasein fak­tisch existierend schuldig werden kann. Dieses wesenhafte Schuldigsein ist gleichursprünglich die exis­ten­ziale Bedingung der Möglichkeit für das ›moralisch‹ Gute und Böse, d.h. für die Moralität überhaupt und deren faktisch mögliche Ausformungen.« (S. 286)

[clxv] »Erst im Sterben kann man gewissermaßen absolut sagen >Ich bin<.« (Prolegomena, S. 440)

[clxvi] »Angst« nicht als psychologischer, sondern als ontologisch-existenzialer Terminus verstanden: als »Befind­lich­keit«. Die »Stimmung«, die seelischer Komponente, bestimmt wesentlich die Verfassung des Menschen. Er muß diese Zustände auch rational verarbeiten: In welchem Zustand befindet er sich?

[clxvii] D.h. ein erfolgreiches, erfülltes Leben führen zu können.

[clxviii] »Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit, das heißt die Einheit des ›Außer-sich‹ in den Entrückungen von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart, ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß ein Seiendes sein kann, das als sein ›Da‹ existiert.« (Sein und Zeit, S. 350)

[clxix] Jaspers definiert »Dasein« als das Umgreifende des Lebewesens; das Leben des Menschen, der Tiere, der Pflanzen. (Von der Wahrheit, S. 53ff)

Als Existenz transzendiert der Mensch sein Dasein. »Was ich eigentlich bin, ist das Umgreifende des Selbst­seins. Selbstsein heißt Existenz.« (Ebd., S. 76ff)

[clxx] Wie Tod, Leiden, Kampf, Schuld (Philosophie, Bd. II, S. 209)

[clxxi] »Es ist das Wesen der Existenz, daß in ihr, zu ihr gehörig, ein Über-sie-Hinaus ist.«

(Philosophie, Bd. II, S. 145)

[clxxii] »Kampf ist ein Grundphänomen des Lebens.« (Von der Wahrheit, S. 478)

[clxxiii] »Existenz ist im Prozeß des Selbstwerdens, der ein Kampf mit sich ist. Ich knicke in mir Möglichkeiten, vergewaltige meine Antriebe, ich forme meine gegebenen Anlagen, stelle in Frage, was ich geworden bin, und bin mir bewußt, nur zu sein, wenn ich mein Sein nicht als Besitz anerkenne.« (Philosophie, Bd. II, S. 234)

[clxxiv] »Die Transzendenz des Seins des Daseins ist eine ausgezeichnete, sofern in ihr die Möglichkeit und Not­wendigkeit der radikalsten Individuation liegt.« (Sein und Zeit, S. 38)

[clxxv] »In der horizontalen Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründend, ist die Welt transzendent. Sie muß schon ekstatisch erschlossen sein, damit aus ihr her innerweltliches Seiendes begegnen kann.« (Sein und Zeit, S. 366)

[clxxvi] »Das ›Transzendenzproblem‹ kann nicht auf die Frage gebracht werden: wie kommt ein Subjekt hinaus zu einem Objekt, wobei die Gesamtheit der Objekte mit der Idee der Welt identifiziert wird. Zu fragen ist: was ermöglicht es ontologisch, daß Seiendes innerweltlich begegnen und als begegnendes objektiviert werden kann? Der Rückgang auf die ekstatisch-horizontal fundierte Transzendenz der Welt gibt die Antwort.«

(Sein und Zeit, S. 366)

[clxxvii] So argumentiert Laktantius, einer der letzten beiden christlichen Apologeten zur Zeit Konstantins, daß Tugend das unnützeste und törichste Ding der Welt sei, wenn es keine Aussicht auf das höchste Gut, die Unsterblichkeit, als göttlichen Lohn gäbe.

[V. Vorländer: Geschichte der Philosophie; DB03, S. 7416 (vgl. Vorländer-Gesch. Bd. 1, S. 223)]

[clxxviii] In der Antike war die Basis des Umgangs zwischen einem philosophischen Lehrer und seinen Schülern die fil€a, die freundschaftliche Zuwendung. Diese Form des Du-Sagens ist auch die beste Voraussetzung zum Er­ler­nen von Meditations­philosophie bzw. von Meditation generell.

[clxxix] In den verschiedenen, traditionellen Meditationsrichtungen läßt sich ein hohes Ausmaß an Toleranz gegenüber anderen Lehren feststellen. Durch Meditation scheinen sich konkordante Verständnisformen zu bilden, was da­rauf hin­deutet, daß beim Meditieren ähnliche, mentale Prozesse ablaufen, und zwar auch dann, wenn ver­schie­dene Techniken verwendet werden.

[clxxx] Dies sowohl im erkenntnistheoretischen, als auch ethischen Sinne.

[clxxxi] Die richtige Erkenntnis.

[clxxxii] Es ist ein sonderbares Phänomen, daß Meditieren eine höchst sozialisierende Komponente in sich trägt. In der Regel wird mit esoterischen Eigendünkel begonnen, wie dem Bewußtsein eines exklusiven „Geheimwissens“, was den Eigenwert natürlich wesentlich hebt und der eigenen Eitelkeit fürchterlich schmeichelt. Nach geraumer Zeit kommt man zu der Schlußfolgerung, daß das, was man macht, gut ist und fragt sich, warum man dieses Wissen für sich behalten soll. Dies ist - nach Berichten der Meditationsliteratur - die Geburt eines Guru.

[clxxxiii] Wie Einheit mit dem Univer­sum, Gott, etc.

[clxxxiv] Es wäre ausgesprochen paradox, einerseits rationales Wissen als defizient zurückzuweisen, um andererseits genau diese Form von Beweisführung für meditative Erlebnisse in Anspruch zu nehmen.

[clxxxv] §k-st∞na: das Außersichgeraten.

[clxxxvi] I.S.v.: »nicht einer rationalen Beurteilung zugänglich«.

[clxxxvii] Das „Ich“ wird immer stärker. Meditieren bedeutet nicht, seine Identität zu ver­lieren, sondern diese zu stärken und im­mer mehr selbst zu werden, d.h. eine höhere Selbst­ver­fügung zu ent­wickeln.

[clxxxviii] Der innere Kampf hatte einen höheren Stellenwert.

[clxxxix] »Tao« bedeutet wörtlich »Weg« oder »Straße«. In den ältesten Formen des Ideogramms zeigen sich drei Elemente: ein Weg, ein menschliches Haupt und ein menschlicher Fuß. Bei einer etymologischen Deutung, daß es sich bei diesen Elementen um einen Führer mit seinen Jüngern handelt, welche gemeinsam ihren Weg suchen, be­inhalte sie eine ethische Komponente und beziehe sich auf die äußeren, mitmenschlichen Beziehungen, während sie sich beim „Sitzen“ nach der Lehre des Inneren Elixiers als Konzentration der psychischen Energien ins Unter­be­wußte auswirke. (Miyuki, S. 22f)

Wenn es allerdings richtig ist, daß in diesem Ideogramm nicht ein einzelnes Individuum gemeint ist, kann eine Inter­pre­tation in der Weise erfolgen, daß damit die Menschheit als solche auf ihrem Weg zum universellen Ur­grund dar­gestellt wird.

[cxc] Auf unsere Zeit übertragen würde dies bedeuten, daß das beständige Siegen in Wettkämpfen kein Kriterium für die Bewährung im Lebenskampf darstellt.

[cxci] Welcher diesem Denken entsprechend auf eine metaphysische Transzendenz ausgerichtet war.

[cxcii] In der Sprache Jaspers’: »Existenz«.

[cxciii] D.h. diese Denkkategorien sind auch heute noch immer praktisch verwertbar.

[cxciv] Was ist die richtige Methode, die zum Erfolg führt? Gibt es eine ausschließlich richtige Methode?

[cxcv] M.a.W.: Läßt sich das erfüllte Leben objektivieren?

[cxcvi] »Objektivierung« in dem Sinne, daß es sich um ein außerhalb des subjektiven Individuums befindliches, sub­sis­tierendes Objekt handelt.

[cxcvii] D.h. in der Wirklichkeit des Menschen.

[cxcviii] Solche „Tests“ würden von einer grenzenlosen Verantwortungslosigkeit und menschlicher Unreife zeugen, da am Ende immer der Tod ins Spiel käme. D.h. die Effizienz traditioneller Trainingspraktiken zeigt sich erst in ech­ten Notwehrsituationen.

[cxcix] Als ausschließlicher Lebensinhalt.

[cc] Eine qualitative Gleichsetzung mit der meditativen Versenkung kann nicht vorgenommen werden.

[cci] Die wissenschaftliche Untersuchung der psychischen Vorgänge ist Gegenstand der Psychologie.

[ccii] Das Setzen des Modushorizonts.

[cciii] Wie z.B. bei einem Menschen, welcher sich bei seinen Mitmenschen nicht durchsetzen kann und deshalb Yoga erlernt. Aufgrund des Unterrichts erlangt er allerdings nicht nur die Fähigkeit sich durchzusetzen, sondern er wird derart aggressiv und unausstehlich, daß seine Mitmenschen nicht mehr mit ihm zusammenleben kön­nen und er sich in ärztliche Behandlung begeben muß.

[cciv] »Maß (ist das) Beste.« (Fink, S.30)

Dieser Satz des Kleobulos, eines der sagenhaften Sieben Weisen, spiegelt den Ethos des altgriechischen Geistes wi­der und wurde in der Ethik Aristoteles’ als mesÒthw, als (Maß der) Mitte, überliefert. Aus einer existen­tiel­len Er­fah­rung heraus entworfen, ist er jedoch in meditativer Hinsicht von höchster Relevanz: Ein Verstoß gegen die­se Regel führt Meditanten in Gefahr.

[ccv] Suche den Schein und du verlierst das Sein. Suche das Sein und du benötigst keinen Schein. Begib dich auf den Weg der Wahrhaftigkeit und du brauchst weder dich noch andere täuschen…

[ccvi] I.S.v. Glücksgefühl.

[ccvii] éretÆ!

[ccviii] …und wenn es nur 5 Minuten pro Tag sind…

[ccix] Dies bedeutet nicht, daß ein mechanistisches Weltbild falsch ist.

[ccx] D.h. kritisch zu untersuchen.

[ccxi] - selber denken lernen.

[ccxii] Interessant ist in diesem Kontext der chinesische Seins-Begriff »SHI« (), in welchem die Bedeutung des Wahr­-seins mitschwingt, d.h. eine Verknüpfung des prädikativen »ist« mit »wahr« auftritt.

[ccxiii] Dies ist der existentielle Hintergrund der existenzialen Interpretation des Gewissens durch Heidegger.

»Dem angerufenen Selbst wird ›nichts‹ zu-gerufen, sondern es ist aufgerufen zu ihm selbst, d.h. zu seinem eigen­sten Seinkönnen.« (Sein und Zeit, S. 273)

[ccxiv] Das Existieren.

[ccxv] Der Frage einer Sinngebung des eigenen Lebens durch die Existenz eines geliebten Menschen, d.h. einer Sinn­gebung durch Liebe, sei hier nicht nachgegangen.

[ccxvi] Sowohl in seiner existentiellen Potentialität, als auch in seiner zeitlichen Begrenztheit.

[ccxvii] Eine speziezistische Argumentation, daß die Sinngebung als rein menschliches Problem angenommen werden kann, wird hier nicht verfolgt, da anzunehmen ist, daß jede personale Lebensform dieses Universums mit der gleichen Problematik kon­­frontiert ist.

[ccxviii] Wenn auch Leid und Not, Schmerzen und Qualen faktisch in jedem indivi­duellen Schicksal auftreten, wäre es doch abstrus, diese existentiellen Komponenten als Lebensziel zu definieren.

[ccxix] »That those who aim at happiness for happiness’s sake often fail to find it, while others find happiness in pursuing altogether different goals, has been called ‘the paradox of hedonism’. It is not, of course, a logical paradox but a claim about the way in which we come to be happy. Like other generalisations on this subject, it lacks empirical confirmation. Yet it matches our everyday observations and is consistent with our nature as evolved, purposive beings.« (Singer, S. 332)

[ccxx] Es mag an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß der antike Hedonismus eine Beherrschung der Lust ver­trat, während in unserer Zeit unter »Hedonismus« das maß- und zügellose Ausleben der Triebe und Begier­den ver­standen wird.

[ccxxi]≤ eÈdaimon€a: Glück, Glückseligkeit, glücklicher Zustand; Wohlstand, Macht. (Menge-Güthling)

»…: the name eÈdaimon€a is badly but inevitably translated by happiness, badly because it includes both the notion of behaving well and the notion of faring well. Aristotle’s use of this word reflects the strong Greek sense that virtue and happiness, in the sense of prosperity, cannot be entirely divorced.« (MacIntyre, S.59)

[ccxxii] t°leion dÆ ti fa€netai ka‹ aÎtarkes ≤ eÈdaimon€a, t«n prakt«n oÔsa t°low.

(Nikomachische Ethik, 1097b 20)

[ccxxiii] In der Bedeutung von »Deutbarkeit, Verstehen« und »bedeutend, wichtig«.

[ccxxiv] Als sublimierte Form von Lust.

[ccxxv] Zu hinterfragen ist, ob die kulturellen Errungenschaften die Unter­drückung und Ausbeutung unzähliger Men­schen­generationen rechtfertigen.

[ccxxvi] Auf dem „Untergrund“ eines psychischen Rationalisierens.

[ccxxvii] Nicht im religiösen, sondern im ethischen, „profanen“ Sinne.

[ccxxviii] Moral ist von fundamentalerer Bedeutung als Recht, welches sich auf die äußere Ebene des sozialen Umgangs bezieht. Moralität ist das innere Sein des Menschen und manifestiert sich als Gesinnung. Die Einhaltung des Rechts kann als Pflicht (gegen die anderen) eingefordert werden, Moralität nicht.

[ccxxix] Ihrem jeweiligen Normenkatalog entsprechend.

[ccxxx] Ethik hat sich als das schwierigste Gebiet der Philosophie erwiesen. Die Einzelwissen­schaften habe sich aus der Philo­sophie herausgelöst und sind selbständige Disziplinen mit durch­aus respektablen Ergebnissen ge­worden. Die Ethik, als wissenschaftliche Begründung von Moral, hat noch immer nicht den Schoß der Philo­sophie ver­las­sen und es liegen auch nach zwei­ein­halb Jahrtausenden noch immer keine end­gültigen Resultate vor.

[ccxxxi] D.h. die für Leben generell notwendigen, von der Natur gegebenen Voraussetzungen.

[ccxxxii] Der moderne Personenbegriff fand seine Grundlegung bei John Locke. »Eine Person müsse als ein intel­ligen­tes und denkendes Wesen begriffen werden, das über Vernunft, Reflexionsvermögen und Selbstbewußt­sein verfüge und aufgrund seiner Fähigkeit, sein Leben überlegt führen zu können, in besonderer Weise mit zu­künf­tigen Hand­­lungs­weisen umgehen müsse.« (Enzyklopädie Philosophie, S. EP:994b)

[ccxxxiii] »Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zu­gleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«

[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 75. DB02 S. 25021]

[ccxxxiv] Die Allgemeingültigkeit des kategorischen Imperativs wird erst einsichtig, wenn er aus der argumentativen Be­grün­dungs­ebene von vernunftbegabten Lebewesen dieses Universums heraus verstanden wird. Niedrigere Argu­men­tationswertigkeiten lassen Schlußfolgerungen zu, welche der ursprünglichen, Kantschen, Intention fern lagen.

[ccxxxv] Als phänomenale Vollsinnigkeit. Priorität liegt auf dem Verstehen der Lebensäußerungen eines Menschen aus dem geistigen Zentrum des anderen heraus, im Unterschied zu einer „kausalen“ Erklärung. Den Sinn erfassen. Psychisches Sein habe mit Personsein nichts zu tun.

(V. Formalismusbuch, S. 470f)

[ccxxxvi] Als echtes Verstehenkönnen. »Der Mensch ist unmündig, solange er die Erlebnisintentionen seiner Umwelt, ohne sie primär zu verstehen, einfach mitvollzieht, solange also die Form der Ansteckung, des Mittuns, im wei­teren Sinne der Tradition, die für sein geistiges Grundverhältnis zu anderen fundierende Übertragungsform ist.« Kenn­zeichen ist, daß er einen fremden Willen für seinen eigenen hält. (V. Formalismusbuch, S. 471f)

[ccxxxvii] »Erst, wer den ihm in äußerer und innerer Wahrnehmung identifizierbaren Leib noch durch das Band <mein Leib> zu sich <gehörig> erlebt …, darf diesen Namen (Person; Einf.d.Verf.) führen.«

(Formalismusbuch, S. 472f)

[ccxxxviii] »The biological facts upon which the boundary of our species is drawn do not have moral significance. To give preference to the life of a being simply because that being is a member of our species would put us in the same position as racists who give preference to those who are members of their race.« (S. 88)

[ccxxxix] »A self-conscious being is aware of itself as a distinct entity, with a past and future.« (S. 90)

[ccxl] »… there is special value in the life of a person.« (S. 89)

[ccxli] Singer ist ein Vertreter des Präferenzutilitarismus. (V.S. 94f)

[ccxlii] D.h. unmoralische Werte haben Priorität!

[ccxliii] Inwieweit ihm das Schaffen neuer, moralischer Werte gelungen wäre, mag da­hin­gestellt bleiben. Seine Erkran­kung läßt eine Beantwortung dieser Frage nicht zu.

[ccxliv] Kant ließ sich noch vom Gedanken einer analogen Problemlösung leiten, welche sich an den (physikalischen) Natur­gesetzen orientierte.

[ccxlv] D.h. eine speziezistische Begründung für Menschenwürde ist nicht haltbar.

[ccxlvi] Es sei an dieser Stelle auf den Menschen des Kantschen kategorischen Imperativs verwiesen, welcher sich in sei­ner „Inferiorität“ als éme€nvn zum „Übermenschen“ Nietzsches erweist.

[ccxlvii] Dem Juden, welcher mit seiner Zahnbürste die Pflastersteine reinigen muß, wurde seine Würde geraubt. Der­jenige jedoch, welcher mit gezückter Pistole daneben steht und ihn erschießen würde, wenn er dies nicht täte, hat seine Würde als Mensch weggeworfen. Jener ist bedauernswert, dieser verachtenswürdig. Er hat sich als Un­mensch erwiesen.

[ccxlviii] Weil z.B. die herrschenden Moralvorstellungen ethisch nicht akzeptabel sind.

[ccxlix] »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschrän­kung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.«

[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 13. DB02 S. 24959]

Diese Argumentation wird auch hier befürwortet, weil alle Versuche, eine ethisch hinreichende Begründung von Moral nach Kant, ohne auf die Aspekte der Gesinnungsethik einzugehen, fehlgeschlagen sind. Moralität – so­wohl in der positiven, als auch negativen Ausprägung – ist ohne entsprechende Gesinnung nicht begründbar.

[ccl] Z.B. sind die Satansanhänger deshalb nicht als Vertreter einer nichtchristlichen, d.h. heidnischen Religion an­zu­­sehen. Die Verteufelung der heidnischen Kulte durch die Kirche hatte durchaus machtpolitische Motive. In­dem man heidnische Kulte dem Teufel zuschrieb, insinuierte man, daß dies das Böses sei, weshalb man (natür­lich) der christ­lichen Lehre folgen mußte, um der jenseitigen Strafe zu entgehen. Die Anhänger der Satanskulte be­­kennen sich nicht zu einem heidnischen Kult, sondern zum personifizierten Bösen, was in my­thischer Form der Ausdruck für das höchste Prinzip des Bösen ist.

[ccli] D.h. es liegt eine axiologische Verkehrung vor.

[cclii] In der Kampfkunst äußerst sich dies so, daß die Versuchung auftritt, sein Können auszuprobieren. Derartige Kämpfe enden immer mit schweren Verletzungen oder Tod. Der Sieger eines solchen Kampfes hat damit zwar gezeigt, daß er seine Kunst beherrscht, hat aber andererseits die größte Niederlage erlitten, welche ein Kämpfer in diesem Bereich erleiden kann: Er hat dem hohen, moralischen Ethos der Kampfkunsttradition nicht Genüge getan, wodurch sich erwiesen hat, daß er bei der Förderung seiner menschlichen Qualitäten, welche das Ziel eines solchen Trainings ist, versagt hat.

[ccliii] Diese Form von Vergeltung kann man direkt als grausam bezeichnen, wenn man bedenkt, daß die Strafen in alle Ewigkeit – d.h. ohne Ende – andauern. Paulus forderte seine Anhänger sogar auf, dem Bösen keinen Wi­der­stand ent­­gegen­zusetzen und dadurch feurige Kohlen auf ihrem Haupt zu sammeln (Röm. 12,19f), d.h. die „bö­­sen“ Men­schen zu verleiten, einer negativen Moral zu folgen! Dies ist die Vorgangsweise eines Agent provo­ca­teurs. Weiters scheint es problematisch, jegliche Form von Vergeltung als böse zu erachten, wie es in dem Satz »Ver­geltet niemand Böses (kakÒn) mit Bösem;…« ausgedrückt wird (Röm. 12,17).

[ccliv] Legge, ein christlicher Missionar, welcher das Lun Yü des Konfuzius in einer nach Fachleuten auch heute noch un­übertroffenen Weise editierte und übersetzte, bemerkte dazu: »How far the ethics of Confucius fall below our Christian standard is evident…«. (S. 288)

Das Problem dieser divergierenden Evaluierung ergibt sich aus der Differenz einer ethischen Argumentation, welche sich nach „diesseitigen“ oder „jenseitigen“ Kriterien richtet.

[cclv] : YUAN; Haß, Feindseligkeit, Groll.

[cclvi] : DE; Tugend, Moral, Sittlichkeit.

[cclvii] : ZHI; gerade, gerecht, redlich.

[cclviii] Im weitesten Sinne.

[cclix] I.S.d. negativen Moralität.

[cclx] M.a.W.: Im Kampf für das „Gute“ wurde das Böse verwirklicht.



[1] Fink, S. 26

[2] S.a. MacIntyre, S. 5ff, 21f

[3] Platon, Das Gastmahl, 204a-c (Bd. 3, S. 321)

[4] Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1164b (Bd. 3, S. 210)

[5]Ästhetik I, S. 234

[6] Freiheitsschrift, S. 71

[7] S. Hirschberger, S.27f und Windelband, S.27; S. 32f

[8] Capelle, S. 134

[9] Fink, S. 59

[10] S. Hirschberger, S.31f und Enzyklopädie Philosophie, 1418f

[11] V. Fink, S. 25

[12] V. Burckhardt, Bd. IV, bes. S. 59 - 159

[13] Strasburger in: Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Einleitung, S. XVII

[14] Burckhardt, Bd. IV, S. 109

[15] Ebd., S.100

[16] Ebd., S. 96

[17] Ebd. S. 114

[18] V. Burckhardt, Bd. IV, S. 371

[19] Ebd. S. 116

[20] Ebd.

[21] Gina Fasoli in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 202f

[22] Borst, S. 243

[23] Ebd. S. 221

[24] Johan Huizinga in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 30

[25] Sidney Painter in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 43

[26] Borst, S. 240

[27] Johan Huizinga in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 25

[28] Ebd. S. 21

[29] Achatz von Müller, in: Das Duell, S. 18

[30] Ebd., S. 19

[31] Ebd., S. 26

[32] Ebd., S. 13

[33] Eckhart Kleßmann, in: Das Duell, S. 69

[34] Klaus Günzel, in: Das Duell, S. 176f

[35] Fritz J. Raddatz, in: Das Duell, S. 198ff

[36] Gert Ueding, in: Das Duell, S.96f

[37] Klaus Harpprecht, in: Das Duell, S. 382

[38] Heinz Ohff, in: Das Duell, S. 222

[39] Karsten Garscha, in: Das Duell, S. 48

[40] Helmut Winter, in: Das Duell, S. 119f

[41] Ivo Frenzel, in: Das Duell, S. 120

[42] Achatz von Müller, in: Das Duell, S. 26

[43] Gerhard Neumann, in: Das Duell, S. 282

[44] Hans E. Tütsch, in: Das Duell, S. 138ff

[45] Helmut Winter, in: Das Duell, S. 122ff

[46] Ralf Borchers, in: Das Duell, S. 251ff

[47] Gerhard Neumann, in: Das Duell, S. 267ff

[48] Achatz von Müller, in: Das Duell, S. 23

[49] Hans E. Tütsch, in: Das Duell, S. 148f

[50] Ebd. S. 146f

[51] Ralf Borchers, in: Das Duell, S. 253

[52] Ebd. S. 261f

[53] Ebd. S. 251

[54] Ebd. S.256ff

[55] Dolin, S. 26

[56] Ebd. S. 22f

[57] Ebd. S. 14

[58] Ebd. S. 16

[59] S. Musashi, S. 58

[60] Ebd. S. 63f

[61] Ebd. S. 64

[62] Ebd. S. 66

[63] Ebd. S. 68f

[64] Ebd. S.71f

[65] Ebd. S. 73

[66] Ebd. S. 77

[67] Ebd. S. 99

[68] Ebd. S. 119

[69] Ebd. S. 116

[70] Ebd. S. 135f

[71] Ebd. S. 44; Einführung durch Victor Harris

[72] S.a. Dolin, S. 48 u. 82f

[73] Requena, S. 21

[74] Chang Dsu Yao, S.116

[75] Dolin, S. 28

[76] Ebd., S. 16

[77] Ebd., S. 78

[78] Ebd., S. 20

[79] Ebd. S. 14

[80] Ebd., S. 47

[81] Ebd., S. 71

[82] Ebd., S. 72

[83] TV-Reportage China, 5000 Jahre Zivilisation, 1998

[84] Dolin, S. 13

[85] Requena, S. 34; Dolin S. 128

[86] Dolin, S. 156

[87] Ebd., S. 222

[88] V. Dolin, S. 146ff

[89] Requena, S. 30f

[90] Dolin, S. 159

[91] Ebd., S. 158

[92] Ebd., S. 161ff

[93] Ebd., S. 86

[94] Ebd., S. 197

[95] V. Dolin, S. 156

[96] Dolin, S. 158

[97] Ebd., S. 164

[98] V. Dolin, S.176f

[99] Dolin, S. 192

[100] Ebd., S. 200

[101] V. Dolin, S. 202f

[102] Dolin, S. 215

[103] Ebd., S. 219

[104] Ebd., S. 220

[105] Ebd., S. 200

[106] Ebd., S. 220

[107] Ebd., S. 200

[108] V. Dolin, S. 12

[109] V. Requena, S. 37

[110] Dolin, S. 13

[111] V. Dolin, S. 40

[112] Dolin, S. 41

[113] Ebd., S. 118

[114] V. Dolin, S. 119f

[115] Dolin, S. 59

[116] Ebd., S. 64

[117] V. Dolin, S. 110f

[118] Dolin, S. 113

[119] V. Dolin, S. 113

[120] Dolin, S. 43

[121] Ebd., S. 44

[122] Ebd., S. 122

[123] Ebd., S. 128

[124] Ebd., S. 131

[125] Ebd., S. 132

[126] Ebd., S. 134

[127] Ebd., S. 139

[128] Ebd., S. 140

[129] V. Dolin S. 144

[130] Dolin, S. 108

[131] Ebd., S. 132

[132] Ebd., S. 140, S. 143

[133] Ebd., S. 140

[134] Ebd., S. 141

[135] Ebd., S. 168

[136] Ebd., S. 178f

[137] Ebd., S. 179

[138] Ebd., S. 179

[139] Ebd., S. 187

[140] Ebd., S. 195

[141] Ebd., S. 218

[142] Ebd., S. 57

[143] Ebd., S. 62

[144] Ebd., S. 86f

[145] Ebd., S. 131

[146] Ebd., S. 151

[147] Ebd., S. 154

[148] Ebd., S. 143

[149] Ebd., S. 212

[150] Ebd., S. 215

[151] Ebd., S. 217

[152] Ebd., S. 370

[153] V. Hammer

[154] Requena, S. 18

[155] Ebd., S. 20

[156] Ebd., S. 21

[157] Ebd., S. 24

[158] Ebd., S. 25

[159] Ebd., S25f und S.113

[160] Ebd., S. 26

[161] Ebd., S. 28

[162] Ebd., S. 29

[163] Ebd., S. 31

[164] Ebd., S. 31f

[165] Ebd., S. 33

[166] Ebd., S. 36

[167] Ebd., S. 48

[168] Ebd., S. 55

[169] Ebd., S. 55

[170] Requena, S. 115ff

[171] Ebd., S. 123ff

[172] Ebd., S. 55

[173] Guorui, S. 293

[174] Ebd., S. 231

[175] Dolin, S. 62

[176] Requena, S. 57

[177] Ebd., S. 62

[178] Ebd., S. 66

[179] Ebd., S. 68

[180] Ebd., S. 69

[181] Ebd., S. 132

[182] Kit, S. 67

[183] Sawyer, S. 142

[184] Requena, S. 280

[185] Ebd., S. 299

[186] Ebd., S. 296

[187] Ebd., S. 302

[188] Ebd., S. 39

[189] Ebd., S. 41

[190] Kit, S. 90f

[191] Ebd., S. 126, S. 224

[192] Ebd., S. 25

[193] Ebd., S. 31

[194] Ebd., S. 248

[195] V. Schultz S. 59ff

[196] V. ebd. S. 90ff

[197] V. ebd. S. 83

[198] Ebd. S. 12

[199] Ebd. S. 357

[200] Ebd. S. 55

[201] V. Engel, S. 32ff

[202] V. ebd., S. 32

[203] Olschak, S. 47

[204] Miyuki, S. 178, Anm. 4

[205] Engel, S. 17

[206] Glasenapp, S. 165

[207] S.a. Engel, S17ff

[208] S.a. Huth & Huth, S. 254

[209] Maharaj, S. 12

[210] Ebd., S. 11

[211] Ebd., S. 13

[212] Ebd., S. 15

[213] Ebd., S. 21

[214] Ebd., S. 27

[215] Ebd., S. 65

[216] Ebd., S. 70

[217] Ebd., S. 77

[218] Ebd., S. 84

[219] Ebd., S. 87

[220] Ebd., S. 105

[221] Ebd., S. 106

[222] Ebd., S. 112f

[223] Ebd., S. 115

[224] Ebd., S. 117

[225] Ebd., S. 130f

[226] Ebd., S. 132

[227] Ebd., S. 135f

[228] Ebd., S. 140f

[229] Ebd., S. 163

[230] Maharaj, S. 165

[231] Ebd., S. 168

[232] Ebd., S. 169

[233] Ebd., S. 193

[234] Ebd., S. 194f

[235] Ebd., S. 211

[236] Ebd., S. 211

[237] Ebd., S. 215

[238] Ebd., S. 224

[239] S.a. Engel S. 73ff

[240] Engel, S. 75

[241] Ebd., S. 123

[242] Ebd., S. 77

[243] Ebd., S. 76

[244] S.a. Engel, S. 79f u. 87

[245] V. Engel, S. 83

[246] V. ebd., S. 75

[247] V. Huth, S. 61

[248] Engel, S. 28

[249] Hirschberger-Geschichte Bd. 1, S. 47 (DB03, S. 8739)

[250] V. Mishra, S. 15

[251] V. Engel, S. 90ff u. S. 133ff; Viallet, S. 10

[252] Viallet, S. 10

[253] Engel, S. 133

[254] Viallet, S. 81

[255] Ebd., S. 82

[256] Ebd., S. 17

[257] V. Wetering, S.19, 54; s.a. Viallet, S. 125, S. 39

[258] V. Wetering, S. 19

[259] S.a. Viallet, S. 29

[260] V. Wetering, S. 125f;

[261] Viallet, S. 32

[262] Ebd., S. 32

[263] V. Viallet, S. 99

[264] Viallet, S. 71

[265] Ebd., S. 117

[266] Ebd., S. 63f

[267] Ebd., S. 41

[268] Wetering, S. 146f

[269] Engel, S. 198

[270] Ebd., S. 201

[271] Ebd., S. 202

[272] Ebd., S. 203

[273] Ebd., S. 203

[274] Ebd., S. 203

[275] Ebd., S. 204

[276] Ebd., S. 204

[277] Ebd., S. 205

[278] Ebd., S. 205f

[279] Ebd., S. 207

[280] Ebd., S. 208

[281] Ebd., S. 209

[282] Ebd., S. 239

[283] V. Engel, S. 240

[284] V. ebd., S. 242f

[285] V. ebd., S. 245f

[286] Kairies u. Schrott, Pkt. 6

[287] Ebd., Pkt. 7.2

[288] Handbuch der Meditation, S. 244

[289] Viallet, S.99

[290] Engel, S. 351

[291] Ebd., S. 351

[292] Ebd., S. 383

[293] Ebd., S. 383

[294] Huth & Huth, Meditation, S. 24

[295] Viallet, S.98

[296] V. Engel, S. 205

[297] V. ebd., S. 205

[298] V. Huth & Huth, S. 48f

[299] V. Engel. S. 385f

[300] Spirita, April 2002, S. F16

[301] Glasenapp, S. 17

[302] Ebd., S. 11

[303] Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, DB02, S. 24799 (vgl. Kant-W Bd. 5, S. 189)

[304] V. Platon; Kratylos, DB02, S. 813 (vgl. Platon-SW Bd. 1, S. 546), etc.

[305] V. Brief an die Epheser, 4,17-24; Kolosser 3,1 - 4,6

[306] Augustinus, Bekenntnisse, DB02, S. 8230 (vgl. Augustinus-Bek., S. 231);

Anselm von Canterbury: Warum Gott Mensch geworden, DB02, S. 8637 (vgl. Anselm-Gott, S. 73)

[307] ) Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, DB02, S. 11772ff (vgl. Böhme-Aurora, S. 337);

Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.

[308] Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, DB02, S. 27865 (vgl. SuD-Müller Bd. 1, S. 163); Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, DB02, S. 29017 (vgl. Herder-Ideen Bd. 2, S. 244)

[309] Schleiermacher: Über die Religion, DB02, S. 31943 (vgl. Schleierm.-Rel., S. 147)

[310] Über die Religion, DB02, S. 31944 (vgl. Schleierm.-Rel., S. 148)

[311] Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, A 481

[312] Also sprach Zarathustra, DB02, S. 67749 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 280)

[313] Ebd., S. 67856 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 343-3

[314] Ebd., S. 68162 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 522-523)

[315] Der Wille zur Macht, 2. Bd., 3. Buch, Z. 201

[316] Ebd., 2. Buch, Z. 62

[317] Ebd.,  2. Bd., 2. Buch, Z. 311

[318] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 31

[319] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 32

[320] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 164

[321] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 166

[322] Ebd., 2. Bd., 1. Buch, Z. 133

[323] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 220

[324] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 204

[325] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 206

[326] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 244

[327] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 228

[328] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 192

[329] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 194

[330] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 200

[331] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 304

[332] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 233

[333] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 249

[334] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 356

[335] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 272

[336] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 215

[337] Ebd., 2. Bd., Grundanschauung und Aufgabe, Z. 10

[338] Ebd., 2. Bd., Grundanschauung und Aufgabe, Z. 82

[339] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 97

[340] Ebd., 2. Bd., Grundanschauung und Aufgabe, Z. 87

[341] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 339

[342] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 404

[343] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 253

[344] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 342

[345] V. ebd., 2. Bd., 1. Buch, Z. 234

[346] Philosophie, Bd. II, S. 1

[347] Ebd., Bd. III, S. 166

[348] Ebd., Bd. III, S. 9

[349] Ebd.,  Bd. III, S. 19

[350] Ebd., Bd. III, S. 25

[351] Ebd., Bd. III, S. 129

[352] Ebd., Bd. III, S. 137

[353] Ebd., Bd. III, S. S. 141

[354] Ebd., Bd. III, S. 150

[355] Ebd., Bd. I, S. 52

[356] Ebd., Bd. I, S. 15

[357] Ebd., Bd. I, S. 246

[358] Ebd., Bd. II, S. 11

[359] Ebd., Bd. II, S. 12

[360] Ebd., Bd. II, S. 8

[361] Ebd., Bd. I, S. 19

[362] Ebd., Bd. I, S. 23

[363] Ebd., Bd. I, S. 13

[364] Ebd., Bd. II, S. 44

[365] Ebd., Bd. II, S. 45

[366] Ebd., Bd. II, S. 47

[367] Ebd., Bd. II, S. 50

[368] Ebd., Bd. II, S. 56

[369] Ebd., Bd. II, S. 57

[370] Ebd., Bd. II, S. 56

[371] Ebd., Bd. II, S. 51

[372] Ebd., Bd. II, S. 58

[373] Ebd., Bd. II, S. 61

[374] Ebd., Bd. II, S. 203

[375] Ebd., Bd. II, S. 203

[376] Ebd., Bd. II, S. 204

[377] Ebd., Bd. II, S. 65

[378] Ebd., Bd. II, S. 66

[379] Ebd., Bd. II, S. 67

[380] Ebd., Bd. II, S. 69

[381] Ebd., Bd. II, S. 64

[382] Ebd., Bd. II, S. 235

[383] V. Nietzsche II, S.378f

[384] V. Sein und Zeit, S. 49

[385] V. Sein und Zeit, S. 202

[386] Notizen zu Martin Heidegger, S. 187

[387] V. Heidegger, Sein und Zeit, S. 263

[388] Fink, S.71

[389] Formalismusbuch, S. 382f

[390] Ebd., S. 470

[391] Ebd., s. 475

[392] S. 119

[393] Matthäus 5,39.

[394] Stange, S. 50