Philosophie
des Kampfes
filÒsofow m°yodow &
via meditationis
von
Robert
Hammer
»Lieber ein Bettler als ein
Ungebildeter; jenem fehlt es nur an Geld, diesem aber an Menschlichkeit.«
Aristippos von Kyrene
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Prologium............................................................................................................................. 6
Einleitung.............................................................................................................................. 6
Der Kampf als Thema in der europäischen Philosophie....................... 6
Wettkampf und Zweikampf in der europäischen Tradition......................................................... 6
Die Kunst des Kampfes in der fernöstlichen Tradition....................... 6
Miyamoto Musashi.................................................................................................................. 6
Kung Fu................................................................................................................................... 6
WAIJIA, die „äußeren“ Schulen.................................................................................................. 6
NEIJIA, die „inneren“ Schulen.................................................................................................... 6
Element und Farbe.................................................................................................................. 6
Ist die alte Kampfkunst noch zeitgemäß?...................................................................................... 6
Qi Gong.................................................................................................................................... 6
Qi - eine „übernatürliche“ Energie?.............................................................................................. 6
Meditationsphilosophie......................................................................... 6
Kritik des traditionellen Meditationsverständnisses.............................................................. 6
Die indische Tradition............................................................................................................... 6
Die japanische Tradition............................................................................................................ 6
Kritik der empirischen Meditationsforschung.......................................................................... 6
Kritik der Philosophie.............................................................................................................. 6
Ein meditationsphilosophischer Entwurf.................................................................................. 6
Meditationsphilosophische Maximen des richtigen Meditierens......................................................... 6
Die Frage nach dem Sinn von Sein............................................................................................. 6
Das Postulat des Homo
moralis als Ideal.................................................................................. 6
Ein persönliches
Nachwort............................................................................................ 6
Chinesisches Glossar................................................................................................................ 6
Quellennachweis...................................................................................................................... 6
Quellenreferenz........................................................................................................................ 6
Faust suchte durch das Studium der Philosophie, der Juristerei, der Medizin und der Theologie vergeblich zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhielte und wandte sich in seiner Enttäuschung der Magie zu. In seinem Streben führte ihn die Offenbarung des Pudels dunkle Wege, die ihn als Mensch scheitern ließen. In seinem Streben, das Menschliche zu transzendieren, verlor er sich. Das Streben nach übernatürlichem Wissen ließ Faust einen Pakt eingehen, der ihn fast seine Seele der ewigen Verdammnis preisgegeben hätte - nur ein göttliches „Machtwort“ rettete seine Seele.
Das menschliche Denken hat uns in einer
Jahrtausende währenden Tradition ein reiches Erbe hinterlassen. Warum ist Faust
in seinen wissenschaftlichen Studien gescheitert? Warum hat er bei transzendenten
Mächten seine Zuflucht gesucht?
Die
Geschichte der Philosophie erzählt vom Kampf des menschlichen Geistes gegen die
Unwissenheit. Philosophen berufen sich weder auf göttliche Inspiration, noch
nehmen sie Zuflucht zu teuflischen Mächten.
Der
strenge Denker Kant entwarf den existentiellen Interessenshorizont auf drei
Fragen:
1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
Er
entwarf damit die Grenzbedingungen für wissenschaftliche Erkenntnis, eine philosophische
Argumentation für moralisches Handeln und drückte in seinem Hoffen die
Sehnsucht der menschlichen Seele aus, welche in ihrem Dasein den Tod fürchtet
und zu entfliehen sucht.
Solange
es Menschen gibt, werden sie von solchen Fragen gequält werden, solange es
Denker gibt, werden sie versuchen, eine Antwort zu finden.
Die
Frage nach dem Sinn von Sein harrt noch immer ihrer Beantwortung.
Ist
die Beantwortung dieser Frage nicht Kampf? Wie muß dieser Kampf geführt
werden, um sein ureigenstes Dasein, das Selbst in dieser Welt, zu finden und
sich im Existieren zu verwirklichen?
Läßt
sich dieser Kampf auf rein theoretisches Nachdenken - auf die philosophische
Reflexion - beschränken?
Ein
möglicher Weg soll hier aufgezeigt werden, diesen Kampf siegreich zu bestehen.
Es
ist einer von vielen Wegen, der hier aufgezeigt wird.
Es
ist ein alter Weg, der neu beschritten wird.
Es
ist kein leichter Weg.
»Homo liber de nulla re minus, quam de morte cogitat, & ejus sapientia non mortis, sed vitae meditatio est.«
Spinoza, Ethica, Pars IV, Propositio LXVII[i]
Weisheit lag für die alten Griechen in der Bewältigung der Alltagsprobleme und in der vernünftigen Führung des Gemeinwesens[1]. Die Philosophen wurden als diejenigen angesehen, welche am besten wußten, wie das Leben erfolgreich zu gestalten war. Die verschiedenen Philosophenschulen divergierten lediglich in der Beantwortung der Frage nach dem gelungenen Leben und entwickelten verschiedene Bewältigungsstrategien, welche durchaus gegensätzlich sein konnten, wie am Beispiel der Kyniker und Kyrenaiker aufgezeigt werden kann. Die Begründer Antisthenes und Aristippos waren beide Schüler Sokrates’ und trotzdem beantwortete der eine die Frage nach der Tugend (éretÆ)[ii] mit Bedürfnislosigkeit, während der andere die Lust pries. Diese divergierenden Positionen zeigen die potentiellen Entwicklungsmöglichkeiten menschlicher Existenz, die Freiheit in der menschlichen Lebensgestaltung auf: Der Mensch kann sein Dasein in dieser Welt - seine Welt - seiner Einsicht und seinen Fähigkeiten entsprechend innerhalb bestimmter Grenzen seinen Vorstellungen entsprechend gestalten.
Mit der Ablösung des Mythos[iii] durch den Logos[iv] introduzierten die antiken Philosophen das wissenschaftliche Denken, welches nach Überwindung der mittelalterlichen Scholastik seinen Siegeszug in der Neuzeit antrat. Die an den Universitäten betriebene Lehre und Forschung führte zu einem Aufschwung der theoretischen Wissenschaften. Die Philosophie im akademischen Betrieb führte zwar auch im 20. Jahrhundert zu einer ansehnlichen Zahl namhafter Philosophen, welche Lehren von bleibendem Wert schufen, die ursprüngliche Verbundenheit mit der praktischen Lebensgestaltung ging aber als solche verloren. Philosophie kann in unserer Zeit nur im universitären Rahmen existieren - aber: nur hier kann der hohe wissenschaftliche Standard gehalten werden.
Wie kann aber Philosophie in das praktische Leben eingreifen? Kann Philosophie in unserer Zeit Menschen die Tugend (éretÆ) lehren, wie zur Zeit Sokrates’[2], und dadurch den Menschen einen Weg aufzeigen, welcher zur Erringung existentieller Güter führt? Wie muß diese éretÆ aussehen? In einer Zeit hemmungsloser Technisierung und Kommerzialisierung, welche die natürlichen, ökologischen Lebensgrundlagen global zerstört, ist der Philosoph eine seltene, allgemein belächelte, kuriose Pflanze. Wer versteht in unserer Zeit, daß es Werte gibt, die keine pekuniäre Entsprechung haben?
Bei Platon ist Eros (¶rvw)[v] die Triebfeder des Philosophierens: ¶rvw als Liebe zum Schönen und die Weisheit als das Schönste[3]; damit wird Philosophieren das Streben nach Schönheit. Aristoteles stellt für die Lehre der Philosophie einen Bezug zur Freundschaft her - hier wie dort wäre eine Entlohnung nicht adäquat. So wie es keine Freundschaft gegen Bezahlung geben kann, so wenig gäbe es einen adäquaten Lohn für einen philosophischen Lehrer.[4] Wer in unserer Zeit kann solche Denkweisen verstehen?
Der materialistische Zeitgeist befriedigt aber nicht alle Menschen, weshalb solcherart Unzufriedene sich in ihrem Bedürfnis „nach mehr“ dem Osten zuwenden, um von dort ihre spirituellen Bedürfnisse zu befriedigen. Die östliche Geisteswelt hat eine exotische Ausstrahlung und man verspricht sich mit spirituellen Praktiken Glückseligkeit auf Erden - und nicht nur dies: verheißen wird der Zugang zur göttlichen Transzendenz schon in diesem Leben.
Philosophie kann in dieser Hinsicht generell nichts bieten: Indem die antiken Philosophen dem lÒgow den Vorrang zuwiesen, wurde der Tod zum Tod. Das im altgriechischen Mythos jenseitige Leben war ein schattenhaftes Sein, aber es war zumindest eine Form von Existenz, auch für die, welche nicht ins Elysium kamen. In der Strenge des wissenschaftlichen Denkens hatte eine solche Form des Existierens keinen Platz. Die aus der Philosophie sich emanzipierten Einzelwissenschaften haben in ihrer theoretischen Natur ein „seelenloses“ Dasein, welches die mythische Spiritualität in keiner Weise kompensieren kann. Sie können keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein und Dasein[vi] geben. - Gilt dies aber auch für die Philosophie? Kann die Mutter aller Wissenschaften ebenfalls keine Antworten auf diese Frage geben oder liegt in ihr - auch im 21. Jahrhundert - noch eine Form von Geistigkeit, welche einem „Suchenden“ einen Weg (m°yodow)[vii] zeigen kann, in seinem Leben Sinn zu finden? … seinem Leben Sinn zu geben?
Vor allem soll hier der Frage nachgegangen werden, ob östliche, spirituelle Praktiken, d.h. in erster Linie meditative Techniken, mit der europäischen Intellektualität tatsächlich unvereinbar sind. Der lÒgow hatte der mythischen Welterklärung im europäischen Raum ein Ende gesetzt, aber die im asiatischen Raum zu mythischer Zeit entwickelten Techniken stehen heutzutage noch hoch im Kurs. In meditativen Kreisen ist eine Rationalitätsfeindlichkeit zu beobachten, der Verstand wird als minderwertig angesehen[viii] - ist dies berechtigt? Die Naturwissenschaften können die mentalen Prozesse, welche in der Meditation auftreten, nicht erklären, und die quantifizierende Methodik erweist sich hier als unzureichend - ist dies Grund genug, diese Techniken abzulehnen? Ein Naturwissenschaftler hat in Anbetracht der meditativen Bewußtseinsformen zu schweigen. Gilt dies auch für den Philosophen? Die philosophische Intelligenz erweist sich aufgrund der Flexibilität einer in Jahrtausenden gewachsenen Begrifflichkeit als extrem ausdrucksfähig. Wird eine philosophische Analyse bei einer Untersuchung meditativer Prozesse fehlschlagen? Was wird das Resultat einer solchen Analyse sein? Welcher Horizont eröffnet sich für einen philosophierenden Geist, welcher meditative Praktiken verwendet?
Hegel hat mit dem Satz »…das menschliche Leben überhaupt ist ein Leben des Streits, der Kämpfe und Schmerzen.«[5] eine Charakteristik des menschlichen Daseins gegeben, welche genauso auf den in die Reflexion vertieften Philosophen wie auf den Meditanten zutrifft, wenn auch nach dem allgemeinen Verständnis eher der Kampf zwischen Menschen, Völkern und einer feindlichen Umwelt verstanden wird. Schelling formuliert das Prinzip des Kampfes noch radikaler: »...denn wo nicht Kampf ist, da ist nicht Leben.«[6]
Der Ursprung der Kampfthematik liegt in der europäischen Philosophie bei Heraklit, welcher den pÒlemow, den Kampf, zum Vater aller Dinge erklärte.
Das Werden war für ihn Arche[ix]. Das eigentliche Wesen der Welt läge in einem Ewig-im-Fluß-Sein, was aber nicht ein Vorübergleiten von immer Neuem, sondern ein Sichdarleben von Gegensätzen sei. Mitten in allem Werden und Verströmen sieht Heraklit Ordnung und Fügung, Sinn und Einheit. Das Gemeinsame in der Verschiedenheit ist der lÒgow, das Maß des Sichentzündens und Erlöschens im ewigen Werden, der ewigen Wiederkunft aller Dinge. Der lÒgow ist nicht ein persönlicher Geist, sondern die immanente Werdegesetzlichkeit. In allem Fluß der Dinge sah er noch immer die Harmonie[x], die gegenstrebige Fügung, weshalb für ihn sehr wohl Wissenschaft möglich war. [7] Nach Aristoteles tadelte Heraklit einen Dichter, welcher den Streit aus Himmel und Erde bannen wollte, weil dadurch keine Harmonie möglich sei, welche nur aus dem Gegensatz von hohen und tiefen Tönen, und bei den Lebewesen nur aus dem Gegensatz von Weiblichem und Männlichem entstehen könne.[8]
Heraklit hat damit den Entwicklungsgedanken aufgegriffen und erkannt, daß erst im Wechsel des Seienden das Sein entsteht, dieser Wechsel aber nicht ohne Überwindung der Gegensätzlichkeiten stattfinden kann. Er nannte das Prinzip dieses Wechsels p```Òlemow und wurde damit zum „Vater der Kampfes“ in der philosophischen Tradition. Aus diesem Argumentationshorizont heraus, hat die ontologische Gegensätzlichkeit ihre „Daseinsberechtigung“. Ethisch[xi] problematisch wird die Aussage des „Dunklen“, wie er genannt wurde, daß Gutes und Schlechtes ein und dasselbe seien[9], da daraus abgeleitet werden kann, daß es völlig gleichgültig sei, ob man moralisch gut oder böse handelt. Die Nivellierung dieses Gegensatzes würde den Handelnden seiner moralischen Verantwortung entheben.
Sein Gegenspieler, Parmenides, fragt - anders als die frühen Naturphilosophen - nicht nach den Prinzipien der Entstehung des Seins, sondern nach der inneren Notwendigkeit dessen, was ist. Er lehrte die formal-logische Kontravalenz[xii] von Sein und Nicht-Sein. Dasselbe sei Denken und Sein.[10] Werden und Vergehen des Seins werden zurückgewiesen. Wie für Heraklit das Individuelle, so ist für Parmenides das Allgemeine wesentlich. In der eleatischen Schule gipfelte Parmenides’ Lehre in den Zenon’schen Paradoxien, womit er den „Beweis“ für die Unmöglichkeit von Bewegung erbrachte. Platon vereinigte die beiden Denkansätze, indem er der Welt der Ideen als das Ewige (des Seins) die Welt der Erscheinungen als das Vergängliche, welche dem Gesetz des Wechsels unterliegt, gegenüberstellte.
Dieser antike, philosophische Diskurs hat auch nach zweieinhalb Jahrtausenden noch höchste Relevanz. Die Differenz von Sein und Nicht-Sein[xiii] ist die notwendige Bedingung für jede Form des Wechsels, wobei sich unser Denken in weltimmanenten[xiv] Dimensionen bewegt und Sein und Nicht-Sein aus dem Wechsel von Seiendem und Nicht-Seiendem ableitet. Nicht-Sein zu denken ist für uns unmöglich.[xv] Jede Form des Denkens, welches dieses Sein[xvi] transzendiert und eine metaphysische Welt[xvii] zu erfassen sucht, ist a priori zum Scheitern verurteilt, weil unser Erkenntnisapparat auf Erfassung weltimmanenter Phänomene ausgerichtet ist. Wir können in unserem Erkennen die sinnliche Perzeptionsebene transzendieren, sogar unseren Erfahrungshorizont, nicht aber unser weltimmanentes (Da)Sein. Jede Form erkenntnistheoretischen Transzendierens dieser Welt ist ein Produkt der menschlichen Phantasie.
Die auf formal-logische Strukturen reduzierte ontische Gegensätzlichkeit wird im Satz vom Widerspruch repräsentiert. Verifikation und Falsifikation von sprachlichen Aussagen kann nur dann eindeutig erfolgen, wenn sie in der formallogischen Struktur auf den Satz vom Widerspruch reduziert werden können.[xviii] Diese Form des (formal-logischen) Gegensatzes kann jedoch terminologisch kaum als »Kampf« gekennzeichnet werden.[xix] Auch der Wechsel physikalischer Gegebenheiten[xx] kann nicht unter dem Aspekt des Kampfes betrachtet werden. »Kampf« impliziert immer gegensätzliche, konfligierende Willens- bzw. Bewußtseinsformen.
Kein anderes Volk der Antike teilte die griechische Neigung zum Vergleichen, Werten und Bestimmen von Höchstleistungen in dem Ausmaß, wie sie bei den alten Griechen auftrat. Der Agon (ég≈n), das sportliche Kräftemessen, war in Hellas nicht auf die körperlichen Fähigkeiten beschränkt. Es gab auch musische Agone, in denen man den besten Sänger, Flötenspieler oder Rezitator ermittelte. Schönheit und Weisheit waren Gegenstand des Wettkampfes.[11]
Burckhardt setzt den Beginn des agonalen Zeitalters[xxi] für die Zeit vom Abschluß der dorischen Wanderung bis fast zum Ende des 6. Jahrhunderts (v. Chr.) fest.[12] In der Verwirklichung des Agonalen wurde ein neuer Begriff für das Hellenentum geschaffen. Die Griechen zeichneten sich im Gegensatz zu den anderen, orientalischen Völkern dadurch aus, daß jeder geborene Grieche an den Wettkämpfen teilnehmen durfte. Dies wäre z.B. im Kastenwesen des alten Ägypten undenkbar gewesen. Schon in der Ilias wird als heroisches Ideal das Aristeuein (éristeÊein)[xxii] als vornehmste Triebkraft des Denkens und Handelns postuliert: »Allzeit allen voran der Beste zu sein und der Erste«.[13] Das Leben der Aristokraten war eine Weiterführung des heroischen. Obwohl der agonale Gedanke der elitären Schicht des Adels entsprang, wurde bereits auf diese Weise ein Gedanke von Gleichheit vertreten. In der heroischen Zeit Griechenlands erfüllte der Heros noch große Zwecke, d.h. das Agonale als Selbstzweck war noch nicht ausgeprägt, in diesem Sinne tauchte es aber schon in der Odyssee und der Ilias auf. Nach dem Ausgang des heroischen Königtums wird das äußere und geistige Leben zum Agon, in welchem sich die Tüchtigkeit (éretÆ) und die Rasse manifestieren. Der Agonalsieg, der edle Sieg ohne Feindschaft, war das Ziel des Wetteifers. Das griechische Agonalwesen führte durch die Entstehung allhellenischer und ausschließlich hellenischer Agonalstätten in einer Zeit der zersplitterten und sich bekriegenden Poleis zur Entwicklung eines panhellenischen Bewußtseins, welches sich auch auf die Kolonien erstreckte. Bei den Kampfspielen wurden die Kräfte und das Können gemessen, aber man lernte sich auch gegenseitig kennen. Infolge der für die Zeit der Agone herrschenden Waffenruhe konnten auch die Bürger verfeindeter Poleis friedlich zusammentreffen.
Der Stellenwert der Agone in der panhellenischen Gemeinschaft ist daran zu erkennen, daß die allgemeine, griechische Zeitrechnung an die Sieger im Stadion von Olympia angeknüpft wurde.[xxiii] Olympia übertraf sogar Delphi als Stätte der allgemeinen griechischen Publizität. »Wer etwas an alle Griechen bringen wollte, mußte entweder in Olympia selbst auftreten oder ein Bildwerk mit Inschrift hinstiften.«[14] Die Poleis, welche sich von der Teilnahme ausschlossen, verloren mehr oder weniger das Recht, sich als Hellenen zu betrachten.
»Das wahre Ziel des Kampfes ist der Sieg an sich, und dieser, namentlich der in Olympia, gilt als das Höchste auf Erden, indem er dem Sieger verbürgt, was im Grunde das Ziel jedes Griechen ist, daß er im Leben angestaunt und im Tode hochgepriesen werden muß.«[15] Der ständige Wettstreit in Übungen ohne direkten, praktischen Nutzen wurde für die volle Entwicklung des Individuums als notwendig erachtet. Die Durchdringung des griechischen Lebens mit dem Athletisch-Agonalen und dem Musisch-Agonalen dürfte sich auch in der Erziehung manifestiert haben; nicht in dem Sinne, daß sich jeder zum Wettkämpfer an einer feierlichen Kampfstätte ausgebildet hätte, sondern um sich in den Widerständen des täglichen Lebens zu behaupten.
Aus dem Traumbuch des Artemidor geht hervor, daß die Phantasie aller – nicht nur der Wettkämpfer - mit Agonen erfüllt ist. Nicht nur der Einzelne erringt den Triumph, sondern mit ihm sein ganzes Geschlecht und seine Vaterstadt. Der hohe Stellenwert des Agonalen zeigt sich an der kuriosen Geschichte von Dorieus, einem Sohn des Diagoras: Sieger in vielen Agonen ergriff er im Peloponnesischen Krieg mit einem eigenen Schiff Partei für Sparta. Er wurde gefangen genommen und vor die Volksversammlung von Athen gebracht - man entließ ihn, ohne ihm das geringste Leid zuzufügen![16] Dies zeigt die Verklärung auf, welche das Volk den Athleten entgegenbrachten – welche sogar einen Feind schonte.
Die Sieger der Agone wurden bis über den Tod hinaus geehrt, man setzte ihnen Denkmäler. Im agonalen Denkmal soll das irdische Leben, sogar andeutungsweise das Momenthafte des Sieges, transzendiert und unsterblich gemacht werden. Das Porträtbilden, welches hier mit der ganzen und zwar nackten Gestalt beginnt, hat auf der Welt nie mehr so begonnen. Die Athleten sind eine Kunstgattung, bevor Statuen von Staats- und Kriegsmännern oder Dichtern angefertigt wurden. Der Agon bemächtigte sich des Kultus, indem er speziell dessen musischen Elemente in seinen Bereich zieht und zur Hauptbedingung für einen großen Teil der Poesie wird. Agonal ist das Drama; sowohl die Komödie, als auch die Tragödie. Es gab Agone der Rede, im Dialog als Form der philosophischen Darstellung, in der bildenden Kunst und sogar in Prozessen, sodaß »Agon« zum Terminus technicus für »Prozeß« werden konnte.
Daß der Agon eine Form von Rechtsdenken[xxiv] initiierte, geht schon daraus hervor, daß Olympia als bedeutendste Stätte des Agon außerhalb des Einflusses der mächtigsten und ehrgeizigsten Poleis gelegen und somit neutral war. Das gleiche galt für Delphi, welche als bedeutendste Stätte des Musisch-Agonalen aufgrund des Orakels heiliger Boden war, der generell von allen Griechen respektiert wurde. Bei den Kämpfen wurden (idealiter) unparteiische Kampfrichter eingesetzt, welche gut geschult und redlich gesinnt waren. Ein Richter schien die Voraussetzung für einen Agon zu sein. So waren die Hirten des Theokrit mit ihrem Wettgesang in Verlegenheit, weil kein Richter da war.[17]
Neben den positiven Entwicklungen in der Blütezeit der Agone im fünften Jahrhundert, waren natürlich auch durchaus negative Aspekte anzutreffen. So wie der Sieger umjubelt wurde, war andererseits die Niederlage mit Schande behaftet. Niederlagen wurden ganz einfach geleugnet, wie z.B. die Thessalier die des Polydamas leugneten. Aufgrund mangelnder Sachlichkeit kam es durch Parteinahme des Volkes in Raserei zu Totschlägen, wie die Ermordung eines Kitharöden in Sybaris. Nichtkönner wurden blutig gegeißelt und fortgejagt. Die Kämpfe selbst waren gefährlich, am gefährlichsten waren die Wagenrennen. Es kam zu Verletzungen, nicht selten Tötungen. Verstöße gegen die Regeln wurden kaum geahndet. Wagenrennen waren ein Privileg der Reichen, da nur sie sich den Luxus der Hippotrophie leisten konnten, womit ein Sieg nicht mehr eine Angelegenheit der Tüchtigkeit war, sondern der pekuniären Ressourcen. Olymioniken wurden bestochen, damit sie andere als ihre wirkliche Geburtstadt als diese ausgaben, wodurch der Ruhm des Siegers auf diese Stadt fiel.
In der Niedergangszeit ging die Bedeutung des Agonalen zurück. Militärs und Philosophen brachten den Athleten Geringschätzung entgegen, so Platon und die Hedonisten von Aristippos bis Epikur. Während zur Blütezeit die wetteifernde Geltendmachung im Staat im Vordergrund stand, schlug im vierten Jahrhundert die allgemeine Einstellung in Ruhmsucht um: Der Hauptmaßstab für die Persönlichkeit wurde der Reichtum.[18] Die Geringschätzung des agonalen Wesens ging sogar so weit, daß sich Athen um 332 v.Chr. lieber von den Olympien ausschließen ließ, als eine Geldstrafe wegen eines erkauften Sieges zu bezahlen. Erst auf die Drohung von Delphi, daß der Gott den Athenern keinen Bescheid mehr geben würde, gab man nach.
Im Leben des antiken Griechen war alles vom Agon durchdrungen. Dieser bestimmte das tägliche Leben von Jugend an, ausgehend von diesem Grundfundament, daß durch Erziehen (paideÊein) alles zu erreichen sei.[19] Den Wert des Lebens suchte man im siegreichen Wettstreit irgendeiner Art, wenn auch nicht unbedingt der Tat, sondern nur der Anschauung nach. Während die griechische Paideusis auf künftiges Können ausgerichtet war[20], liegt nach Burckhardt das neue Ziel der Erziehung (zu seiner Zeit) in einer höheren Schulbildung, welche ein »gründliches und dennoch vielseitiges Wissen vermitteln soll«. An die Stelle der »Sehnsucht nach Ruhm« sei die Geschäftskonkurrenz getreten. Der Mensch suche eher eine Stellung in der Welt und den Erfolg mehr auf der materiellen Seite als die plötzliche glänzende Anerkennung. Auch die Einstellung zum Wettkampf habe sich derart geändert. Im griechischen Agon war die ganze Bevölkerung Zeuge, in der neuen Zeit sei das kaufende, respektive zahlende Publikum an deren Stelle getreten.[xxv]
In der darauffolgenden Geschichte Europas ist diese kulturfördernde Haltung nie wieder in dieser Form aufgetaucht.
Die römischen Feste und Spiele mit ihren Kämpfen in der Arena wurden von Gladiatoren geführt, welche um ihr Leben kämpfen mußten. Die Gladiatoren waren professionelle Kämpfer, welche in erster Linie aus den Reihen der Sklaven, Verbrecher und Kriegsgefangenen rekrutiert wurden. Sie konnten sich ihre Rolle nicht aussuchen, sie hatten keine Wahl.
Die mittelalterlichen Ritterturniere wurden zwischen Angehörigen der gleichen, gehobenen, sozialen Schicht ausgetragen[xxvi]. Die Turniere dienten in Friedenszeiten der Aufrechterhaltung der Kampfkraft. Es wurden Scheingefechte nach festen Regeln geliefert.[21] Die Turniere wendeten den Krieg mehr ins Spielerische. Der Adelige verschmäht die Tarnung und die Fernwaffen. Der Krieg ist ein geregeltes Spiel der Elite. Nahkampf und Zweikampf standen im Vordergrund, ohne Hinterhalt und ohne Massenheere.[22] Die Kriege zwischen den abendländischen Staaten wurden zu Turnieren, zu Einzelgefechten von Rittern nach internationalen Regeln, ohne Taktik und Täuschung.[23] Das Rittertum war wegen seiner hohen, gesellschaftlichen Werte[xxvii] das Lebensideal für mehrerer Jahrhunderte.[24] Der Ritter kämpfte nicht für Gewinn, sondern für Ehre und Ruhm.[25] Aus den illiteraten Anfängen des Rittertums im 9. Jahrhundert entwickelte sich ein Ideal, welches sich derart utopisch übersteigerte, daß niemand - auch nicht die Dichter - danach leben konnte.[26] Die Ritterideen hatten auf die Kriegsführung einen negativen Einfluß, da Ehrerwägungen hinter strategische Erwägungen zurücktraten.[27] So verlor König Johann der Gute die Schlacht von Poitiers gegen die zahlenmäßig unterlegene, englische Armee, weil er sich auf ritterliche Kampfregeln versteifte.[28]
Die im 12. Jahrhundert vom französischen Adel zu einem hochkomplexen sportlichen Schauspiel entwickelten Turniere dienten als Chance für die unversorgten, jüngeren Söhnen von Adelsfamilien, sich ehrenhaft Dienst und Lohn zu verschaffen und hatten Zähmungscharakter.[29] Auf diese Weise wurde eine geregelte Kontrolle als auch aktive Übung für die Fertigkeiten ausgeübt, welche zu aktiver Gewaltausübung im Kampf befähigten.[30] Das Duell, welches sich in der Ausgangszeit des Mittelalters ausbildete, war ein Kampf um die Ehre. »Um die Ehre zu kämpfen, erscheint um so notwendiger als eine Angelegenheit auf Leben und Tod, je geringer die Spielräume für aristokratische Ehre außerhalb der durch Kampf und Dienst begründeten Sondergemeinschaft zwischen Fürst und Adel werden.«[31] Die Duellfähigkeit hatte eine soziale Qualität; Satisfaktionsfähigkeit bedeutete Zugehörigkeit zur obersten, sozialen Klasse, der Aristokratie.[32] Sie war der Garant für die Distinktion des Adels gegenüber den anderen Gruppierungen der Gesellschaft: den Untertanen. Wenn der Standesunterschied zu groß war, durfte man sich nicht duellieren.[33] So wies der Dichter Achim von Arnim im Jahr 1811 eine Herausforderung Moritz Itzigs zum Duell, welche er durch ein provokantes Verhalten in einer Gesellschaft hervorgerufen hatte, mit der Begründung zurück, daß er sich nicht mit einem Juden schlagen könne und ließ sich diese Position durch ein Gutachten von Edelleuten und Offizieren zertifizieren.[34] Heinrich Heine wurde durch die sogenannte Göttinger Duell-Affäre in seiner gesellschaftlichen Stellung geächtet, weil ihm durch einen Kontrahenten, Wibel, die Satisfaktion verwehrt wurde, obwohl dieser zugab, den beleidigenden Ausdruck nicht in Hitze, sondern absichtlich gebraucht zu haben.[35] Durch eine derartige Vorgangsweise wurde eine Anerkennung des gleichwertigen sozialen Status ausgedrückt. Andererseits hatte die Ablehnung eines Duells bei gegebener sozialer Satisfaktionsfähigkeit eine Ächtung zur Folge. Wer nicht bereit war, unter Einsatz seines Lebens seine Ehre zu verteidigen, wurde als Feigling angesehen, dem man jede Form des Respekts versagte. Der Sohn Goethes, August, wollte sich einer Duellforderung Rittmeisters von Werthern stellen, sein Vater machte jedoch seinen Einfluß geltend, sodaß das Duell verhindert wurde. August von Goethe erntete dafür den Spott Weimars.[36] Schnitzler zeigte in seiner Novelle Leutnant Gustl die Skurrilität des Duellwesens auf und handelte sich damit eine Duellaufforderung des Chefredakteurs der »Reichswehr« ein. Er nahm diese Herausforderung nicht an. Als der Reserveoffizier Dr. Schnitzler auch der Ladung des »Ehrenrätlichen Ausschuß I für Landwehroffiziere und Kadetten« nicht nachkam, wurde ihm sein Offiziersdiplom aberkannt.[37] Als Begründung wurde neben Herabsetzung der Ehre und des Ansehens der Armee auch angeführt, daß er nichts gegen die persönlichen Angriffe der Zeitung »Reichswehr« unternommen habe.[xxviii] Anfang 1807 bezeichnete Graf Colloredo-Mansfeld den Fürsten Pückler-Muskau in Zusammenhang mit einem anderen Duell als Feigling und verweigerte ihm die Genugtuung mit der Begründung, daß er sich zuvor mit einem anderen Gegner schlagen müsse. Seine fluchtartige Abreise half nichts. Pückler ritt ihm nach und bearbeitete ihn auf schimpfliche Weise mit einer Reitpeitsche.[38] Diese Vorgangsweise kann durchaus als Ausdruck allergrößter Verachtung interpretiert werden und dokumentiert die allgemeine Einstellung dieser Zeit: Wer nicht bereit war, seine Ehre zu verteidigen, galt - nichts.
Obwohl die staatliche Gewalt die Teilnehmer an Duellen mit drakonischen Strafen bedrohte und die Kirche sie exkommunizierte, weitete sich das Duellwesen zu einer richtigen Seuche aus. So leidet Frankreich seit Ausbruch der Religionskriege im Jahre 1562 unter der Pest der Duelle. Man schätzt, daß Anfang des 17. Jahrhunderts jährlich an die 350 Duelle mit tödlichem Ausgang stattfinden.[39] Amerika war zu Beginn der Kolonialzeit nicht duellfreundlich, aber das New York um 1780 ist eine Stätte, in der das Duellieren eine richtige Mode geworden ist und pro Woche fünf Duelle stattfinden.[40] Der geringfügigste Anlaß - es mußte nicht einmal eine Beleidigung sein - genügte als Anlaß für ein Duell - schon wegen einer spöttischen Geste wurde zur Waffe gegriffen![41] Ursprünglich als Garant für die Zugehörigkeit zur aristokratischen Sondergemeinschaft des Fürstendienstes[42], wurde in späterer Zeit das Duell auch von bürgerlichen Schichten und sogar von Sozialdemokraten gepflogen - obwohl diese es verwarfen![43] Trotz Bekämpfung der Duelle durch die staatlichen Gewalten (welche von Adeligen, den Königen, repräsentiert wurden), duellierte sich der Politiker Andrew Jackson, der spätere, siebente Präsident der Vereinigten Staaten[44], genauso wie der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Aaron Burr[45], der Generalpolizeidirektor von Berlin, Hinckeldey[46] oder ein Bismarck[47]. Das adelige Standesdenken war stärker als das Rechtsempfinden.
Duelle waren keine Schauspiele mit Unterhaltungscharakter wie die Schaustellung eines Kampfes nach Regeln im Valencienne des Jahres 1455. Bei diesem berühmten Keulenkampf zweier gewöhnlicher Bürger wurde der Unterlegene aufgehängt, was die Zuschauer genauso unterhielt wie der Kampf selbst![48] Duelle wurden heimlich ausgefochten und bewegten sich außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens, trotzdem wurden strenge Regeln eingehalten.
So kritisierte Andrew Jackson als Sekundant eines jungen Offiziers, Hauptmann William Carroll, dessen Gegner, Jesse Benton[xxix], weil sich dieser beim Kommando »Feuer« niederkauerte und aus dieser Position feuerte. Ein solches Verhalten sei eine Schande, er habe sich nicht korrekt dem Gegner zugekehrt.[49]
Bei einem Duell zwischen Charles Dickinson, dem besten Schützen von Tennesee, und Andrew Jackson wurde vereinbart, daß die Sekundanten jeden erschießen würden, welcher zu früh feuern sollte. Dickinson hatte mit seinem Schuß Jackson in die Brust getroffen, dieser blieb jedoch stehen. Als Dickinson seinen Platz verließ, wurde er vom Duelleiter mit der Drohung, ihn zu erschießen, auf seinen Platz zurückbeordert. Jackson tötete Dickinson mit seinem Schuß, was ihm allerdings die Kritik einbrachte, einen wehrlosen Mann getötet zu haben.[50]
Beim Duell zwischen Friedrich von Hinckeldey und Hans von Rochow versagte die Pistole von Hinckeldey. Rochow senkte daraufhin seine Waffe und erst als Hinckeldey eine andere, funktionstüchtige Pistole hatte, wurde das Duell ausgetragen. Hinckeldey fand dabei den Tod.[51] Die Bedeutung und Eigenart des damaligen, für unsere Zeit wohl unverständlichen, Ehrbegriffs geht aus den weiteren Ereignissen hervor: Rochow stellte sich nach dem Duell, wurde allerdings gegen sein Ehrenwort, die Stadt nicht zu verlassen, nach Hause geschickt. Er wurde erst am Abend von der Kriminalpolizei verhaftet. Am Todestag Hinckeldeys bat dessen Gattin bei König Friedrich Wilhelm IV. um Gnade für den inhaftierten Rochow (!), welcher diesem Gesuch auch nachkam und Rochow freisetzte.[52] Der König hatte schon bei der Benachrichtigung über den Tod seines General-Polizei-Direktors für Rochow die anerkennenden Worte gefunden, »er sei ein Edelmann«[53]. Die Ursache des Duells lag in einer Amtshandlung Hinckeldeys, welche er über Auftrag des Königs durchgeführt hatte und bei der es darum ging, gegen das überhandnehmende Hasardspiel in adeligen und Offizierskreisen vorzugehen. Die Tragödie nahm ihren Lauf, weil die einschreitenden Beamten sich anscheinend nicht eines Benehmens befleißigten, welches den Angehörigen der höheren Stände zukam und Hans von Rochow dadurch verärgerten. In der Folge entstand für Rochow – anscheinend sehr subjektiv - der Eindruck, daß in einem Gesprächsprotokoll einer Beschwerde seine Angaben nicht richtig wiedergegeben worden seien. Der angerufene Ehrenrat wies jedoch ein Einschreiten mit der Begründung zurück, daß es sich bei der ganzen Angelegenheit um ein Mißverständnis handle, woraufhin Rochow Hinckeldey öffentlich einer »amtlichen Lüge« bezichtigte. Es wäre unvorstellbar gewesen, wenn Hinckeldey auf diesen ehrenrührigen Vorwurf nicht reagiert hätte - er forderte Rochow zum Zweikampf. Das Kuriose an dieser Geschichte: Rochow war gar nicht Gegenstand und Ziel dieser Amtshandlung, sondern zwei Offiziere, mit denen er Umgang pflegte.[54]
Gerade dieses Duell zeigt einerseits eine „hohe Gesinnung“, die dem mittelalterlichen Ritterideal entspricht, Edelmut, Tapferkeit, andererseits aber auch die Skurrilität, Verwerflichkeit und nicht kontrollierbare Eigendynamik des Duell(un)wesens: Am Anfang dieser Tragödie stand eine Pflichthandlung[xxx], durch ein Mißverständnis wurde das Ehrempfinden verletzt, was nach dem damaligen Verständnis nur mit Blut[xxxi] gesühnt werden konnte. Beide Akteure- und die betroffenen Drittpersonen - zeigten Noblesse im besten Sinne des Wortes und trotzdem endete die Affäre mit dem Tod eines Menschen - wofür? Hier wurde nicht ein Raufbold, Taugenichts, ein Verbrecher oder ein Tunichtgut getötet, sondern unzweifelhaft ein Ehrenmann![xxxii]
Mit einer radikalen Verurteilung dieser barbarischen und unsinnigen Kulturerscheinung aus heutiger Sicht ist jedoch Skepsis angebracht: Obwohl Duelle eindeutig widerrechtlich, d.h. gesetzwidrig waren, wäre es einem Duellanten niemals eingefallen, seinen Gegner in den Rücken zu schießen oder einen waffenlosen Kontrahenten zu töten. Jeder der Duellanten hatte die gleiche Chance. In unserer Zeit ist es Mode geworden, unbewaffnete Menschen mit modernstem Kriegsgerät zu töten - und dies nur aus einer Position heraus, die eine Gefährdung der eigenen Person mit Sicherheit ausschließt. Es darf berechtigterweise angezweifelt werden, daß der Verlust der Ehre[xxxiii] in unserer Gesellschaft ein Fortschritt war.
Nach Dolin haben alle fernöstlichen Kampfkünste ihren Ursprung im Yoga, dem Prototyp aller Systeme eines psychophysischen Trainings, welches als Ziel die Vervollkommnung von Körper und Geist hatte. Die Entstehungszeit des Yoga ist unbekannt, es wurden jedoch Tontäfelchen mit Abbildungen von Yogis in ihrer typischen Haltung in den Ruinen von Mohendscho-Daro und Harappa (3.Jahrtausend v.Chr.) gefunden.[55] Die ersten Erwähnungen des Nahkampfes tauchten im Rigveda auf.[xxxiv] In Indien gab es bereits in prähistorischer Zeit zahllose Schulen der Kampfkünste. Unser Wissen über die Tradition der Kampfkünste aus dieser Zeit ist mangels fehlender Geschichtswissenschaft und der Geheimhaltung dieses Wissens nur bruchstückhaft[xxxv] überliefert worden. Sehr wenige Schulen der indischen Kampfkünste haben sich erhalten, vor allem, da sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verboten und von den Kolonialherren verfolgt wurden. Die Kampfkunst des Kalari-payat überlebte jedoch in den entlegenen Provinzen. Die Entstehungsgeschichte dieser Kampfkunst, welche ihre Ursprünge in der Philosophie des Hinduismus hatte, reicht bis in die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. zurück. Mangels schriftlicher Aufzeichnungen läßt sich die ursprüngliche Variante nicht mehr zurückverfolgen. Bekannt ist nur, daß das Kalari-payat vom 12. bis 14. Jahrhundert breite Anwendung auf den Schlachtfeldern fand und vom 15. bis zum 17. Jahrhundert den Gipfel seines Ruhmes erreichte. Heute existiert das einzige Zentrum in Trivandrum, der Hauptstadt des Staates Kerala.[56]
Im fernen Osten, wie in China, Korea, Japan und Vietnam, hatte der Begriff der Kampfkünste einen anderen Sinn als im Westen: Nicht der Sieg über einen Gegner war das Ziel, sondern der Sieg über sich selbst, die Überwindung der eigenen Schwächen und Fehler.[57] Kampfkunst[xxxvi], als Waffe der Zerstörung, war für seine Schöpfer ein Mittel der Kreativität, des Erschaffens des eigentlichen Menschen, seines Körpers und seines Geistes, seiner Form und auch seines Inhalts.[58]
»Man kann sich nicht selbst kennen, wenn man die anderen nicht kennt. In allem, was man tut, gibt es Irrwege.« Musashi, Das Buch der fünf Ringe, S. 65
Das Leben von Shinmen Musashi-no-kami Fujiwara no Genshin, bekannter unter dem Namen Miyamoto Musashi[xxxviii], eines herrenlosen Samurai (Rônin), mag hier als Beispiel für die japanische Tradition der Kampfkunst angeführt werden.
Musashis Vorfahren stammten aus einer der einflußreichsten Adelsfamilien Japans. Als der mutterlose Musashi sieben Jahre alt war, verschwand oder starb sein Vater und er wurde von einem Onkel, welcher Priester war, großgezogen. Der Waisenknabe wuchs in einem bürgerkriegsähnlichen Land auf. Er dürfte ein eigenwilliger und ungestümer Raufbold gewesen sein. Seinen ersten Gegner erschlug er mit dreizehn Jahren und sein ganzes Leben widmete der dem „Weg des Schwertes“ (Kendô). Mit neunundzwanzig Jahren hatte er über 60 Kämpfe bestritten, ohne je besiegt worden zu sein. Seinen bedeutendsten Kampf führte er im Jahre 1612 gegen Sasaki Kojirô, der einen exzellenten Kampfstil entwickelt hatte, welcher sich aus der Bewegung des Schwalbenschwanzes beim Flug herleitete. Musashi erschlug Kojirô, welcher sein stählernes Langschwert benutzte, mit einem Holzschwert, welches er auf der Fahrt zum Ort des Kampfes aus dem Reserveruder des Bootes zurechtgeschnitzt hatte. An seiner Unbesiegbarkeit konnte nicht mehr gezweifelt werden und von da an wurde das Kendô für ihn immer mehr Mittel auf dem Weg zur vollkommenen Erkenntnis. Er und sein Adoptivsohn Iori, den er als heimatlosen Knaben auf einer Reise aufgelesen hatte, schlossen sich den Tokugawas an und er gehörte dem Generalstab vor Shimabara an, wo die japanischen Christen in einem Blutbad umkamen. Nach einigen Jahren als Gast bei Hosokawa Chûri im Schloß von Kumamoto zog er sich als Einsiedler in die Höhle Reigendô zurück, wo er das Gorin-no-sho, das Buch der fünf Ringe, schrieb.
In diesem Lehrbuch entwickelt er den Weg des Kriegers (Bushidô) und grenzt diesen Weg gegen die anderen Wege, wie den Buddhas, des Konfuzius, des Arztes, des Dichters, des Bogenschießens oder Teetrinkens ab. Der Weg des Kriegers sei ein doppelter: der des Schwertes und der des Schreibpinsels. Beides übe der Krieger beharrlich. Der Weg Buddhas führt zur Erlösung, der Weg des Konfuzius zum Lernen, der Arzt heilt Krankheiten. Auch Priester, Frauen und Bauern haben aus Pflicht- und Ehrgefühl eine Bereitschaft zum Tod. Die unbedingte Bereitschaft des Kriegers zum Tod unterscheidet sich dadurch, daß er Heihô, das Gesetz der Samurai übt, mit dem Ziel, seinen Gegner zu besiegen. Der Krieger hofft dadurch Ruhm und Ansehen für sich oder seinen Herrn, dem Daimô, zu erwerben und sich in der Tugend des Schwertkampfes zu vervollkommnen. Musashi übt harte Kritik an den Lehrern der Schwertkunst, welche sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen und damit die Schwertkunst zu einer Fechtkunst degradieren. Die Schwertkunst sei zwar zweifellos eine Kunst, aber selbst als nützliche Tätigkeit beschränke sie sich nicht auf das bloße Kämpfen. In ihrem wahren Wert gehe sie immer über die reine Technik hinaus.[59]
Der Weg der Schwertkunst wird in fünf Wege[xxxix] unterteilt:
Im Buch der Erde erläutert Musashi die Anschauungen seiner eigenen Schule. »In der Ausübung der Schwertkunst allein kann der wahre Weg des Schwertes nicht erfahren werden. Es geht darum, vom Kleinen zum Großen, vom Flachen zum Tiefen erkennend voranzuschreiten.«[60]
Im Buch des Wassers geht es darum, daß das Herz wie Wasser werde. Wasser ist formlos und gestaltlos. Es schmiegt sich überall an, zuweilen ist es ein Tropfen, dann wieder ein Meer. Vom Einzelnen wird auf das Allgemeine geschlossen. »Das Prinzip der Schwertkunst ist es, an einem Ding zehntausend Dinge zu erkennen.«[61]
Das Buch des Feuers handelt vom Kämpfen. Das Feuer, ob groß oder klein, besitzt eine außerordentliche Kraft und nach diesem Bild wird der Kampf beschrieben.
Im »Buch des Windes«[xl] findet eine Auseinandersetzung mit den anderen Schulen der Schwertkunst statt.
Im Buch der Leere wird der wahre Weg entwickelt, indem man seiner Natur folgt. Aus der „Leere“ folgt, daß weder ein Anfang, noch ein Ende ist: Man darf sich nicht an ein angeeignetes Prinzip klammern. »Der Weg des Schwertes ist der Weg des Selbstverständlichen.«[62] Aus dem Selbstverständlichen erwächst eine ungewöhnliche Kraft. In Übereinstimmung mit Zeit, Ort und richtigem Rhythmus wird der Hieb gegen den Gegner und die Abwehr des gegnerischen Hiebs wie von selbst erfolgen.
Als »Meister der Kampfkunst« wird genannt, wer das Langschwert beherrscht.[xli] Auch das Gewehr, der Speer und die Hellebarde gehören als Waffen zur Kampfkunst, aber nur durch die Tugend des Langschwerts beherrscht man die Welt und das eigene Ich, weshalb es die Grundlage der Kampfkunst ist. Die Schwertkunst ist eine Summe von Techniken, welche ein Samurai beherrschen sollte.[63] Musashi hebt die besondere Bedeutung der Wahl des richtigen Zeitpunkts und des richtigen Rhythmus für die Schwertkunst heraus. Bei Tanz und Musik sei die Bedeutung des Rhythmus am klarsten, weil eine Harmonie nur durch den Einklang mit dem Rhythmus zustande kommen kann. So wie alle Lebensweisen[xlii] haben alle Kampftechniken ihren eigenen Rhythmus. »Selbst das Nichtgreifbare besitzt Rhythmus.« Der Rhythmus bestimmt den Verlauf eines Kampfes, gleichgültig, ob in der Schlacht oder im Einzelkampf. Entscheidend ist die Kenntnis des gegnerischen Rhythmus und des eigenen, um die eigene Taktik umsetzen zu können.[64]
Musashi stellt folgende Regeln zum Erlernen seiner Schwertkunst auf:
1. Habe nie arglistige Gedanken.
2. Übe dich unablässig darin, dem Weg zu folgen.
3. Mache dich vertraut mit allen Techniken und Künsten.
4. Studiere die Wege vieler Tätigkeiten und Berufe.
5. Lerne an allen Dingen Gewinn und Verlust zu
unterscheiden.
6. Entwickle deine Fähigkeit, die Dinge auf den ersten
Blick zu durchschauen
7. Bemühe dich, das Wesen auch dessen zu erkennen, was
unsichtbar bleibt.
8. Vernachlässige nie deine Aufmerksamkeit auch gegenüber den kleinsten Dingen.
9. Halte dich nicht mit nutzlosen Beschäftigungen auf.[65]
Er rät seinen Schülern im Buch des Wassers, dieses Buch zu überdenken, warnt aber andererseits davor, daß man die Regeln des Heihô nicht durch das ausschließliche Lesen des Buches begreift, sondern daß man diese Regeln internalisiert und sich so völlig durch intensives Studium zu eigen macht, daß man glaubt, sie selbst entdeckt zu haben.[66] In seiner Schwertkunst ginge es darum, daß einer mit jedem Kampf sein Schicksal herausfordere; daß er das Prinzip von Leben und Tod begreife; daß er beurteilen könne, ob der angreifende Gegner ein starkes oder schwaches Schwert führt; daß er die Techniken des Gebrauchs des Schwertes kenne und wisse, wie man dem Gegner das Schwert wegschlägt; daß er willens sei, zu üben.[67] Der einzig wahre Sinn des Heihô sei, mit dem Gegner zu kämpfen und ihn zu besiegen, einen anderen Sinn gebe es nicht.[68] Erst wenn der Gegner innerlich zerbrochen, d.h. die geistige Kraft des Gegners gebrochen ist und er sich in seinem tiefsten Inneren geschlagen fühlt, besteht keine Notwendigkeit mehr, ihn weiter zu bekämpfen. Musashi nennt dies »Durchstoßen bis zum Grund«.[69]
Das Buch der Leere [xliii]
»In diesem ›Buch der Leere‹ lege ich den Weg der Nitô-ichi-ryû-Schwertkunst nieder.
Die Leere ist das, in dem nichts existiert; sie ist das, was Menschen zu wissen unmöglich ist. Allerdings – die Leere ist das Nichts.
Indem du das Existierende erkennst, wirst du auch fähig werden, das Nicht-Existierende zu erkennen. Das Nicht-Existierende – das ist die Leere.
Die Menschen in dieser Welt sind der Ansicht, wenn sie etwas nicht begreifen können, sei dies die Leere. Das ist nichts als Täuschung.
Auf dem Weg der Schwertkunst gibt es diejenigen, die, weil sie als Samurai die Samurai-Art nicht erfassen, vielerlei Täuschungen ausgesetzt sind und das ihnen nicht Begreifbare als die Leere bezeichnen. Doch dies ist ebenfalls nicht die Leere im eigentlichen Sinne.
Als Samurai den Weg der Schwertkunst genau zu erfassen, sich die verschiedenen Techniken anzueignen, hinsichtlich des Berufs als Samurai nichts außer acht zu lassen, das Herz klar zu erhalten, sich täglich und stündlich der Ausbildung zu befleißigen, Weisheit und Kraft des Geistes zu schärfen, sich Urteilskraft und Wachsamkeit anzuerziehen, um mit alledem jegliche Täuschung fortzuwischen – dies erst versetzt dich in einen Zustand, der als die wahre Leere bezeichnet werden kann.
Solange du nicht zum wahren Weg erleuchtet bist, ob es nun der Weg Buddhas ist oder der Weg irdischer Vernunft, wirst du von dir aus glauben, die Dinge seien richtig und gut. Betrachtest du sie aber mit unverfälschtem Sinn und mißt du sie mit der Elle der wahren Welt, so erkennst du, daß ein jeder unterschiedliche Ansichten und Lehren hat, die vom wahren Weg abweichen. Begreife meine Lehre, halte dich an die Geradheit, nimm die Wahrheit zur Richtschnur, und verbreite so den Weg der Schwertkunst unter den Menschen, auf daß sie aufrecht, klar und mit dem richtigen Urteil über die Dinge leben.
Dann wirst du dahin kommen, daß du die Dinge klar und deutlich begreifst und erkennst: Die Leere, das ist der Weg, und der Weg, das ist die Leere.
Die Leere hat Gutes, nicht Böses. Es gibt Weisheit, Verstand und den Weg, und es gibt die Leere.«[70]
Die Essenz der Lehre Musashis ist sehr bemerkenswert: Sie zeigt die Entwicklung eines Raufbolds und Totschlägers auf dem Weg des Schwertes nicht nur zu einem exzellenten Krieger, sondern auch zu einem Künstler und Handwerker, dessen Arbeiten in Japan als höchste Meisterwerke geschätzt werden.[71] Kendô erweist sich derart als weit mehr, als die Kunst des Kämpfens zu erlernen.
Die Kunst des Kampfes besteht in der Überwindung eines überlegenen Gegners.
Über die historische Entwicklung der Kampfkünste in China fehlen zuverlässige schriftliche Aufzeichnungen, da dieses Wissen unter höchster Geheimhaltung tradiert wurde[72]. Nach Holcombe - im Gegensatz zu Dolin - waren die Kampfkunstmeister illiterat und deshalb nicht in der Lage ihr Wissen schriftlich zu tradieren. Eine weitere Fehlerquelle bildet die legendenhafte Weitergabe, welche es schwierig macht, die außerordentlichen Fähigkeiten der alten Meister zu beurteilen.
Der
Terminus »Kung Fu« ist per se schon höchst verwirrend. Er tauchte erst sehr
spät in der chinesischen Kultur auf und ersetzte den Begriff »Dao Yin«
(wörtliche Bedeutung: »Führer, Leiter des Qi«) als Verfahren zur
Lebensverlängerung und Verbesserung der Gesundheit.[73] Unter »Kung Fu« wurde die Gesamtheit
der östlichen Körperübungen im 18. Jahrhundert im Westen eingeführt und hat
sich auch im heutigen China unter dieser Bezeichnung eingebürgert, allerdings
in der Bedeutung von sportlicher Tätigkeit. Die ursprüngliche Bezeichnung
für »Kampfkunst« war 武術
(WUSHU) und dieser Terminus wird auch heute noch in einigen Regionen
Chinas für »Kung Fu« verwendet. »Kung Fu« als Transliteration von 工夫 (GONGFU) hat die
Bedeutung einer »mit
Geschicklichkeit ausgeführten Übung«[74]bzw.
»hartnäckige Arbeit«, »Eifer«, »hingebungsvoller Fleiß«[75].
Ein traditioneller, chinesischer Meister wird jedoch auch heute noch die
Schriftzeichen für WUSHU als »Kung Fu« lesen. Im allgemeinen Verständnis hat
»Kung Fu« jedoch heute die Bedeutung von »Kampfsport«.
Kennzeichnend
für ein traditionelles Verständnis von Kung Fu ist auch heute noch eine holistische Sichtweise: An erster Stelle
eines Kampfkunst-Trainings steht immer die Gesundheit (an Körper, Geist und Seele), der Verteidigungsaspekt
erst an zweiter. Der Zweck von Kung Fu liegt im Erwerb von Anstand (die
Gesinnung), gutem Benehmen (das äußere Auftreten), Geduld, Ausdauer und erst an
letzter Stelle die Kunst des Kämpfens.
Im traditionellen
Verständnis war das erste Gebot der Kampfkunst: »Gehe nie in einen Kampf ohne
ein edles Ziel…«. Kampfkunst war eine Waffe der Zerstörung, aber »für seine
Schöpfer auch Mittel der Kreativität, der Erschaffung des eigentlichen
Menschen,[xlv]
seines Körpers und seines Geistes, seiner Form und auch seines Inhalts.«[76]
Nach dem chinesischen Kriegskanon war nur ein Mensch mit einer weitherzigen
Seele, ein gebildeter Mensch, würdig, sich das Erbe der alten Human- und
Kriegswissenschaften anzueignen. Nur der edle Mensch im Sinne des Konfuzius
konnte ein echter Krieger sein.[77]
Der Philosophie der Kampfkunst liegt der uralte Gedanke des Kampfes des Guten
mit dem Bösen zugrunde, es ist der Kampf des Menschen um sich selbst.[78]
Der Begriff der Kampfkünste hatte im Osten einen völlig anderen Sinn als im
Westen. »Nicht der Sieg über einen Gegner war das Ziel beim Studium des Kempo[xlvi],
sondern der Sieg über sich selbst, die Überwindung der eigenen Schwächen und
Mängel. Die Schule des Kempo war eine
Schule des Lebens.«[79]
Besonders für die Meister des QUANSHU[xlvii]
der „inneren“ Stile war WUSHU die Aufgabe, „ein wahrer Mensch“- i.S.d. taoistischen
Tradition - zu werden.[80]
Eine Erfassung der mentalen[xlviii] und körperlichen Aspekte dieses alten Weges ist nach Auffassung des Verfassers nur dadurch möglich, daß man diesen Weg „nachgeht“[xlix] - der eigenen Zeit und den eigenen Lebensumständen entsprechend angepaßt.[l] Eine wissenschaftliche (d.h. rein theoretische) Aufarbeitung, welche sich auf das Studium vorhandener Schriften beschränkte, würde das Wesen der Kampfkunst genauso verfehlen wie eine Praxis als Kampfsport, da hier die Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, in einem fairen[li] Wettkampf zu beweisen, daß man der Bessere ist. Bei Wettbewerben ist das Ziel, der Beste, der Erste zu sein. Es liegt hier ein sehr restringierter Ansatz vor. Eine Praxis von Kung Fu orientiert sich nach einem existentiellem Horizont, d.h. es handelt sich um einen Lebensweg[lii]. Entscheidend ist nicht, der Bessere zu sein, sondern sich im Lebenskampf zu bewähren und zu bestehen – m.a.W.: ein erfolgreiches, erfülltes Leben zu führen, „der Meister“ seines eigenen Lebens zu sein. Der physische Kampfaspekt ist die „primitive“ Ebene dieses Weges, welcher als Hilfsmittel zum Verständnis der geistigen Aspekte dient.
Die Ursprünge der chinesischen Kampfkünste sollen zwar auf die Zeit des legendären Kaiser Huang Ti[liii] zurückgehen[81], verläßlich können sie jedoch nur bis zur Zhou-Dynastie[liv] zurückverfolgt werden. Zu dieser Zeit existierte bereits der Brauch von Zweikampfturnieren ohne Waffe und »QUAN« (»Faust«) wird das erste Mal als Variante von »WUSHU« („Kampfkunst“ - »die Kunst des Kampfes«) erwähnt.[82] Bei Grabbeigaben aus der Han-Dynastie zur Zeit des ersten Han-Kaisers[lv] fand man auf einem Tuch Darstellungen von taoistischen Gymnastikübungen, welche die Vorläufer des chinesischen Schattenboxens waren.[83] Aufgrund dieser langen Tradition haben sich die verschiedensten Techniken und Stile entwickelt, wobei sich heutige Angaben divergierend auf eine Anzahl zwischen 600 und 2000 belaufen, d.h. unübersehbar sind.
In der Mitte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zeichnete sich eine Aufspaltung in der WUSHU-Tradition ab.[84] Es entwickelte sich neben den taoistischen Wurzeln eine buddhistische Tradition.
WAIDAN, die Schule der „äußeren Chemie“, legt die Emphase auf die körperlichen Aspekte der Kampfpraktiken. Das Training basiert auf Muskelkraft, die Gewandtheit und die Beherrschung des Atems. Angestrebt wird eine Unverwundbarkeit des Körpers, nicht nur gegen Schläge, sondern auch gegen Verletzungen durch blanke Waffen.[85]
Das berühmte Shaolin-Kloster, welches auch heute noch die Sehnsucht aller Kung-Fu-Praktikanten in der ganzen Welt ist, in der Provinz Henan im Norden Chinas gilt als die Mutter aller Kampfkünste. Es existierte noch ein anderes Shaolin in der Provinz Fujian, welches in der Mitte des 8. Jahrhunderts erbaut wurde, sowie ein weiteres in der Provinz Hebei und zwei weitere, kleinere Klöster in Guangdong und Sichuan.[86] Allgemein wird angenommen, daß die östlichen Kampfkünste sich aus Shaolin über Asien verbreitet haben. Von den südlichen Nachbarn Chinas, wie Korea, wird dies bestritten und auf eine eigene Tradition hingewiesen.[87]
Das Shaolinsche QUANSHU ist der Ursprung der „äußeren“ Richtung, WAIDAN, und geht auf den legendären Bodhidharma zurück, dem Sohn eines indischen Radschas, welcher als Sohn des Herrschers die traditionellen Kampfkünste, die alten Veden und die buddhistischen Sutras studierte.[88] Mit vielseitigen Talenten ausgestattet, trat er aus Interesse an den heiligen Wahrheiten des Buddhismus in die Sekte des Yogacara ein und wurde Anhänger des Dhyana (chin.: Chan, japan. Zen). Die hervorstechendste Besonderheit der zu jener Zeit populären Yogazauberer war die sitzende Meditation. Von Missionarseifer erfüllt, ging er 520 n. Chr. nach China, weil dort angeblich der Buddhismus unterdrückt würde. Entgegen seinen Erwartungen fand er ein Land vor, in welchem der Buddhismus prosperierte, gab nach einer religiösen Meinungsverschiedenheit mit Wu, dem Herrscher des Reiches der Nördlichen Wei, seinen Missionierungsgedanken auf und zog sich in das kleine Kloster Shaolin zurück. Bodhidharma soll neun Jahre lang völlig unbeweglich in einer Berggrotte in der Nähe des Klosters ohne Schlaf und Ruhe meditiert habe. Er hielt es für unmöglich, die „Erleuchtung“ ohne lange und harte Prüfungen von Körper und Seele zu erlangen. Seine Lehre zeichnete sich im Unterschied zum orthodoxen Buddhismus durch Flexibilität, Liberalität, Weitherzigkeit der Anschauungen und durch eine besondere Anpassungsfähigkeit aus. Die Verbindung der chinesischen, religionsphilosophischen Theorie mit der Praxis des Yoga führte zu zahlreich angewandte Chan-Disziplinen und sein Einfluß auf die klösterlichen Kampfkünste ist als hoch einzuschätzen. Die Tradition der klösterlichen Kampfkunst wurde schon vor Bodhidharma gepflegt, war jedoch fast einhundert Jahre in Vergessenheit geraten. Als Bodhidharma zum Shaolin-Kloster kam, fand er die Mönche in einem schlechten, körperlichen Zustand vor. Als er seine neunjährige Meditation beendet hatte, schrieb er zwei Bücher: das Yi Jin Jing (»Abhandlung über die Übung der Muskeln«) und das Si Souei Jing (»Abhandlung über die Spülung des Marks«). Das zweite ging verloren, aber die Technik des Qi Gong, die diesen Namen trägt, wird noch immer geübt. Durch das von Bodhidharma angeregte Training des Yi Jin Jing wurden die Mönche robuster und kraftvoller. Daraus entwickelten sie eine Form der Kampfkunst, die von fünf Tieren inspiriert war: dem Tiger, dem Leoparden, dem Drachen, der Schlange und dem Kranich.[89] Bodhidharma war kein berufsmäßiger Lehrer der Kampfkünste.[90] Er und seine Nachfolger erfanden keine neue Technik, sondern sie versuchten lediglich bekannte Verfahren mit der Philosophie des Chan in Einklang zu bringen.[91] Es gab durchaus praktische Gründe für das Erlernen der Kampfkunst: Zur Zeit Bodhidharmas waren die bettelnd herumziehenden Mönche eine leichte Beute für Straßenräuber, Militärpatrouillen oder Rowdies. Es war für Mönche nicht ungefährlich, mit einem vollen Almosenbeutel allein durch das Land zu ziehen. Kaufmannskarawanen waren gut geschützt, weshalb Mönche ein bevorzugtes Opfer von Räubern waren. Dies änderte sich im Laufe der Zeit allerdings gründlich. Räuber ließen sich lieber mit einer Abteilung Soldaten ein als mit einem Zögling aus Shaolin.
Vom 6. bis zum 9. Jahrhundert konnte sich das Klostersystem unter Geheimhaltung der wesentlichsten Elemente erfolgreich weiterentwickeln.
Der Tag begann für die Mönche um fünf Uhr. Nach zwei Stunden Meditation folgten gymnastische Übungen. Einem leichten Frühstück folgten mehrere Stunden theoretische Übungen, wie Lesen von Sutras oder religionsphilosophische Dispute. Die Hauptbeschäftigung der Shaolinmönche bildeten Quanfa-Übungen und Zweikämpfe, welche als Fortsetzung der religiösen Praxis, als Art aktive Meditation, betrachtet wurden. Unterbrochen wurden das Training durch ein vegetarisches Mittagessen. Gegen Abend wurden mit gegenseitigen Demonstrationen die Fortschritte überprüft. Abgeschlossen wurde der Tagesablauf mit Meditationen, philosophischen Gesprächen und Disputationen.
Da die Zweikämpfe mit voller Kraft durchgeführt wurden und bei den Übungen keine Zugeständnisse gemacht wurden, waren Verletzungen nicht selten. Die Mönche behandelten ihre geschlagenen Brüder selbst, da sie über ein traditionelles, medizinischen Wissen[lvi] verfügten.[92]
Als Abschluß des Unterrichts in der durchschnittlichen Dauer von 12 bis 15 Jahren (bei einer täglichen Trainingszeit von bis zu 18 Stunden)[93] mußte sich der Anwärter auf den Titel »Shifu« (Meister) verschiedenen, schwierigen Examina unterziehen. Es wurden Fragen über Geschichte, Theorie und Ethik des Quanshu in Konnex mit der Lehre des Chan gestellt. Intellektuelle Fähigkeiten, gesunder Menschenverstand, emotionale Eigenkontrolle, körperliche Kraft, Konzentration des Qi, und Selbstbeherrschung wurden geprüft. Die Prüflinge mußten verschiedene Kammern, wie die »Kammer der Macht«, die »Kammer der Finsternis«, die »Kammer der Rache« oder den »Korridor des Todes« durchschreiten, welche mit komplexen mechanischen Vorrichtungen ausgestattet waren. Eine nicht entsprechende Reaktion auf die verschiedenen Mechanismen konnte zu schweren Verletzungen, Verstümmelungen oder zum Tod führen. Nicht alle schafften diese Abschlußprüfungen. Hatte ein Mönch alle Prüfungen erfolgreich bestanden[lvii], näherte er sich einer ovalen Tür. Der Ausgang war durch eine eiserne, 200 kg schwere Urne, gefüllt mit glühenden Kohlen, versperrt. Er mußte sie durch Drücken mit seinen beiden Unterarmen zur Seite schieben. Dadurch wurde ein Stempel mit den Abbildungen von Drache und Tiger eingebrannt, das hochverdiente Diplom eines Shaolin-Shifu.[94]
Die eindeutig humanistische Ausrichtung des „Weges der Kampfkünste“, welche der mönchischen Kampfkunsttradition zugrunde lag, konnte jedoch nicht verhindern, daß sich die Shaolin-Mönche in weltliche Belange verstrickten und die Priorität auf das Element des Kampfes gelegt wurde, welche dem Verteidigungsaspekt nicht Genüge tat. Sie verteidigten ihr Kloster erfolgreich gegen Räuber[95], aber darüber hinaus waren sie auch politisch tätig. Der Begründer der Tang-Dynastie[lviii], Gao Zu, wurde mit Hilfe einer 100 Mann starken Abteilung von Shaolin-Mönchen Kaiser. Die mit harten Holz- oder Eisenstöcken bewaffneten Krieger des Shaolin erwiesen sich im Nahkampf als unbesiegbar, und ihr Ruhm verbreitete sich nach der Machtergreifung der neuen Dynastie über ganz China.[96] Mit Ende der Tang-Dynastie wurde das Shaolin-Kloster - wie auch andere buddhistische Klöster - zerstört, da die Regierung die buddhistische Geistlichkeit als Quelle für die Volkserhebungen hielt. Dadurch drang das Wissen des QUANSHU in die Volksmassen ein und nahm weltlichen Charakter an.[97]
Das Kloster hielt enge Beziehungen zur Ming-Dynastie[lix]. Zur Regierungszeit des Kaisers Yongle (1403 - 1425) war der Shaolin-Mönch Zhang Wo (1376 - 1426) Chef der Geheimpolizei und das Shaolin-Kloster bestimmte die gesamte Politik. Mit dem neuen Kaiser kam es zum Bruch und er ließ Zhang Wo hinrichten. [98] Mit Zusammenbruch der Ming-Dynastie kamen die Mandschu an die Macht und Shaolin verhielt sich anfänglich neutral, gewährte jedoch jahrzehntelang den Anhängern der Ming-Dynastie im Shaolin von Henan Zuflucht.[99] Viele Jahre gelang es dem Kloster den Anschein von Loyalität zu wahren und gleichzeitig das Stabsquartier für die Verschwörung zum Sturz der Mandschu zu sein. Nach Aufdeckung der Verschwörung wurde das Shaolin-Kloster 1723 zerstört.[100] Nach der Legende konnten fünf Shifu fliehen, das Wissen der Shaolinschen Schule auf dem Gebiet des klösterlichen WUSHU nahm weltlichen Charakter an. Geheimgesellschaften zum Sturz der Qing und der Wiedereinsetzung der Ming wurden gegründet. Ein solcher Geheimbund, die »Triade«, baute ihre kämpferische Ausbildung auf den Grundlagen des Shaolinschen WUSHU[lx] auf. Zu den heiligen Reliquien dieser Triade gehörten, u.a., ein Schwert und eine Räucherpfanne, welche in der Legende um die Flucht der fünf Shifus eine Rolle gespielt hatten.[101] Im Laufe der Zeit wurde der Sturz der Qing zweitrangig und der Kampf gegen die europäischen Großmächte trat in den Vordergrund.[102] Der von der Geheimgesellschaft »Yihetuan« organisierte Boxeraufstand (1899 - 1901) wurde blutig niedergeschlagen. Die Vernichtung der Yihetuan hatte für die Entwicklung des WUSHU negative Auswirkungen.[103] Viele Geheimgesellschaften wandten sich kriminellen Tätigkeiten zu und verwandelten sich in Gangsterbanden.[104]
Das Shaolin-Kloster wurde 1928 während des Bürgerkrieges in die Kampfhandlungen hineingezogen und zerstört. 1956 wurden die WUSHU-Meister in der Chinesischen Volksrepublik rehabilitiert und 1957 wurde mit der Rekonstruktion des Klosters begonnen.[105] Während der Kulturrevolution (1966 - 1972) waren die WUSHU-Meister erneuten Verfolgungen ausgesetzt, 1973 begann die Wiedergeburt der Kampfkünste.[106] 1980 wurde im Kloster eine Meisterschaft der nationalen Kampfkünste unter Beteiligung einer japanischen Kempo-Mannschaft veranstaltet.[107]
Durch die Zerstörungen des Shaolin-Klosters und der damit verbundenen Flucht der Mönche gelangte das mönchische WUSHU-Wissen immer mehr in die nicht-mönchische Welt und wurde auf die Kampfeffizienz reduziert, wie z.B. in verkürzter und vereinfachter Form zur Ausbildung von Soldaten[108]. Die geistigen Inhalte des chan-buddhistischen Weges gingen damit verloren.
NEIDAN, die Schule der „inneren Alchemie“, verwendet sowohl im Training, als auch im Kampf die Atmung, konzentriert auf den DANTIAN, die untere Partie des Unterleibs[lxi].[109]
Als Entstehungsort der inneren Stilrichtungen wird traditionsgemäß der Berg Wudang in der Provinz Hubei betrachtet. Eng damit verbunden ist der taoistische Zweig der Kampfkunst, welcher zahlreiche Schulen der sogenannten „sanften“ bzw. „inneren“ Stile hervorbrachte.[110] Nach taoistischer Weltanschauung wurde das Wesen des Menschen von Himmel und Erde gemeinsam geschaffen. Am Anfang des Seins stieg die durchsichtige Luft empor und die schwere, verschleierte Luft sank hinab und bildete die Erde. Aus der Vereinigung der winzigen Partikel entstanden YIN und YANG, die beiden gegensätzlichen und doch zusammengehörigen, formenden Prinzipien. YIN, das Prinzip des Weiblichen, des Dunklen, des Weichen, des Bösen und YANG, das Prinzip des Männlichen, des Lichten, des Harten, des Guten stehen in ständigem Wechsel zueinander. Diese Bewegung ist unendlich wie die Bewegung des Weltalls unendlich ist. Nur das relative Zentrum des Weltalls kann sich in Ruhe befinden, von hier breitet sich die Bewegung, das Sein, aus. Der Mensch im Zentrum des Weltalls vermag Harmonie, Ruhe und Selbstsicherheit zu gewinnen.
YIN und YANG sind der Ursprung des QI, der „Lebensenergie“, welche sich sowohl in belebter als auch unbelebter Materie manifestiert. Die groben Qi-Varianten bilden die materiellen, die feinen die geistigen Wesen. Das gereinigte, geklärte Qi geht in Geist (Shen) über und wird zur bewegenden Kraft des Weltalls. Die Reinigung des Qi führt im Menschen zur völligen körperlichen, moralischen und geistigen Gesundung. Nach Cheng Yichuan (10. - 11. Jhdt.) geht das Wesen des Menschen aus dem Himmel, der Charakter des Menschen aus dem Qi hervor. Bei reinem Qi ist der Charakter rein, bei verdorbenem Qi ist der Charakter verdorben.[111] Die fünf Elemente, Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser bilden sich aus der Wechselwirkung von Yin und Yang aus der Aufteilung des Qi des Himmels und des Qi der Erde.[112] Jedes der Elemente befindet sich in Übereinstimmung mit den entsprechenden Planeten des Tierkreises, den psychischen Eigenschaften und Zuständen, den ethischen Normen und physischen Entsprechungen wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich.[113]
Element und Farbe |
Planet |
System des Organismus |
Eigenschaften |
ethische Normen |
seelische Zustände |
Holz (grün, blau) |
Jupiter |
Skelett |
Geduld |
Humanität |
Härte |
Feuer (rot, blau) |
Mars |
Atmung |
Höflichkeit |
Ritual, Anstand |
Erleuchtung |
Erde (gelb) |
Saturn |
Haut |
Standhaftigkeit |
Vertrauen |
Aufrichtigkeit |
Metall (weiß) |
Venus |
Muskeln |
Mut |
Ehrlichkeit |
Begeisterung |
Wasser (schwarz) |
Merkur |
Blut |
Sanftheit |
Weisheit, Vorsicht |
Ruhe |
Das Training, die »Arbeit mit den Elementen«, wurde den spezifischen Anforderungen des entsprechenden Elements angepaßt.[114]
In der taoistischen Naturphilosophie galt die Atmung als Träger des lebensspenden Qi. Mit diätetischen Vorschriften wurde die Nahrungsaufnahme reguliert; so waren Alkohol, Fleisch, Gewürze, viele Gemüsearten oder Teigwaren verboten. Solche Vorschriften wurden auch von den Quanshu-Schulen beachtet.[115] Einen besonderen Stellenwert in der Kampfkunst-Tradition haben Tiere, was ihre Wurzeln in den taoistischen Lehren hat. Die Wushu-Meister studierten die Bewegungen der Tiere und entwickelten daraus eine entsprechende Kampftechnik: Es wurden nicht ethologische Studien betrieben, sondern mit der Nachahmung wollte man das Qi des betreffenden Tieres verstehen lernen und für den Kampf verwenden.[116] Von großer Bedeutung sind stilisierte, formal-figurale Übungen[lxii], Katas, in welchen die verschiedenen Techniken erlernt werden. Die Katas wurden als Essenz der Selbsterkenntnis, der aktiven Meditation und der Selbstvervollkommnung betrachtet - sie führten zum Tao der Taoisten[117], zur Verschmelzung mit dem Weltall, der großen Leere[118]. Praktiziert mit Kraft, Schnelligkeit und Rhythmus[lxiii] führten sie nicht nur zur Beherrschung der verschiedenen Techniken und zum Kennenlernen des eigenen Körpers, sondern nach alter Vorstellung wurde der Praktikant von der kosmischen Energie Qi durchströmt.[119] Nach Liu Shao (3. Jhdt.) bildet das ursprüngliche Qi das Substrat des Menschen.
Nach dem Yijing[lxiv], dem Buch der Wandlungen, ist das Leben eine endlose Folge von Metamorphosen, die aus der Wechselwirkung und dem Kampf von Yin und Yang hervorgehen.[120] Sowohl im Lebenskampf, als auch im Kampf gegen einen konkreten Gegner[lxv] siegt nur derjenige, welcher die Gesetzmäßigkeiten der Wandlungen erkannt hat.[121] Das höchste Stadium des QUANSHU umfaßt extrasensorische Fähigkeiten, wie »den Gegner aus der Ferne auch mit geschlossenen Augen zu spüren und sich im Dunkeln zu orientieren, die Fähigkeit zu telepathischer Einwirkung, zur Telekinese, zur Hypnose usw.«[122]
Die erste Unterscheidung zwischen „äußerer“ und „innerer“ Richtung hat Zhang Sanfeng (12. Jhdt.) gemacht. Die Grundlage des WAIJIA sei die Kräftigung der Muskeln und Knochen, die Regulierung der Atmung und läge in der taktischen Vereinigung von Sanftheit und Härte, sowie im Übergang vom Zurückweichen zum Angriff. Beim NEIJIA liege jedoch die Priorität auf der Steuerung der eigenen Lebensenergie Qi. Diese Taktik beruhe auf dem Prinzip des Nichts-Tuns und der Ausnutzung der Fehler des Gegners.[123] Von allen Schulen der inneren Richtung hat das TAIJIQUAN eine unvergleichliche Popularität erlangt, welche bis in unsere Zeit angehalten hat.[124] Ziel des TAIJI-Trainings ist »die Entwicklung eines „kosmischen Bewußtseins“ und das „Verschmelzen mit dem Weltall“.«[125] Im Unterschied zu den anderen Kampfkunst-Schulen verfügt das TAIJIQUAN über Lehrbücher, in denen alte Meister theoretische Abhandlungen festgehalten haben.[126] Diese älteste Schule der inneren Richtung war der Ursprung für die beiden anderen, großen Schulen, Bagua und Xingyi. Die Grundlage aller drei Schulen war das Buch der Wandlungen.[127] Das Geheimnis der inneren Schulen besteht darin, die rein körperliche Anstrengung durch einen Strom mentaler Energie zu verstärken.[128] Allgemein ist anzunehmen, daß die Aneignung der äußeren Kampfkunst-Richtungen leichter ist, während man für die Kenntnisse und Fähigkeiten der inneren Stile mehr Zeit zur Aneignung braucht und erst im hohen Alter Meisterschaft erreichen kann.[129]
Die Kombination der Atmung mit gymnastischen Übungen und dem Psychotraining der Kampfkunst-Tradition hat die Ausübenden schon immer zu außerordentlichen Leistungen befähigt. Das Training war darauf ausgerichtet, sich in Grenzsituationen zu bewähren, in denen es nur zwei Ausgänge gab: Sieg oder Tod.[130] Dementsprechend führte das Training zu außergewöhnlichen Fähigkeit bzw. zu einem gesteigerten Leistungspotential. So berichtet Dolin von einer traditionellen Quanshu-Schule, deren Mitglieder es verstanden, ein „Abwehrfeld“ aufzubauen, welches nach dem Prinzip der magnetischen Abstoßung Schläge aufhielt.[131] Zweikämpfe dauerten tagelang.[132] Bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes tötete ein Bagua-Meister, Cheng Tinghua, mit nur zwei Messern bewaffnet, ein Dutzend mit Schußwaffen ausgerüstete, deutsche Soldaten, bevor er getötet werden konnte. Er hatte sich bis dahin aus den Kämpfen herausgehalten, die vertierten Plünderungen und Vergewaltigungen hatten ihn offenbar zu einem Eingreifen veranlaßt.[133] In einigen Bagua-Schulen war der Test für die Meisterschaft das Vermögen, Übungen mit gefüllten Teeschalen in beiden Händen auszuführen, wobei kein Tropfen Tee verschüttet werden durfte.[134] Meister konnten sich schon durch Aussprechen eines Mantra in einen Zustand der Kampfbereitschaft und erforderlichenfalls in einen Trancezustand versetzen.[135] Ein sechzigjähriger, kränklicher Händler kann einen betrunkenen, langen Kerl, welcher ihn niederschlagen will, durch die Berührung des Beins mit zwei Finger bewußtlos machen.[136] Ein Meister kann einen athletisch gebauten, jungen Mann durch einen Stoß mit dem Gelenk des Mittelfingers in die Seite bewußtlos niederstrecken oder bei einem derartigen Experiment voraussagen, daß der gesunde, junge Mann in drei Tagen bewußtlos umfallen wird - was dann auch tatsächlich eintritt.[137] Eine Legende berichtet von einem alten Bauern, der einen grausamen Feldherrn nur durch die Berührung mit der Hand tötete. Der Tod trat einige Stunden nach der Berührung schlagartig ein.[138] Das Training in der Schule des Trunkenbolds führt in der höchsten Stufe zu kataleptischen Trancezuständen, welche zur Analgesie führen und der Mensch in eine gepanzerte Kampfmaschine wird.[139] Eine Legende besagt, daß ein wahrer Meister des Quanshu das Körpergewicht so weit vermindern konnte, daß er auf Schnee gehen konnte, fast ohne Spuren zu hinterlassen, während er andererseits die Fähigkeit hatte, seine Füße gleichsam am Boden festkleben zu lassen.[140] Die Sekte »Eisenkittel« (Tebuzhen) hatte spezielle Übungen, welche schmerzunempfindlich machten. Schwerthiebe auf beliebige Körperstellen der Meister sollen abgeprallt sein wie von einem Panzer.[141]
Andererseits wurden diese Fähigkeiten auch in weniger rühmlichen Weisen angewendet und mißbraucht. Die taoistischen Lehren von der Erlangung der Unsterblichkeit durch Körperübungen und magische Praktiken führten zu okkulten Wissenschaften, wie Geomantie und Chiromantie.[142] Taoisten betätigten sich als Kurpfuscher und Astrologen.[143] Nicht wenige Meister des Quanshu verletzten die heiligen Gebote der Lehre: Sie betranken sich, betätigten sich als Magier, traten in Schaubuden auf oder arbeiteten beim Film.[144] Meister des Wushu nahmen an Theatervorstellungen teil. Erzählungen von Levitationen oder parapsychologischen Phänomenen gehören zum Taijiquan.[145] Nach der Theorie des Chan liegt die Wahrheit außerhalb von Worten und kann nicht durch Bücher weitergegeben werden[146], was eine Absage an die rationale Erkenntnis bedeutet. Der Weg der Kampfkunst als Weg zur „Vollkommenheit“ verwandelte sich bei den Pragmatikern zu einer Wissenschaft des Tötens.[147] Die Geschichte des Shaolin-Klosters zeigt, daß aus der Beherrschung der Kunst des Kämpfens zum Zwecke der Selbstverteidigung und der Selbstvervollkommnung der Wille zur Macht, die Gier nach Macht, entsteht. Aus der Tradition der Kampfkunst entwickelte sich eine „Volksbewegung“: Meister der Kampfkünste überfluteten China und führten den Zweikampf in den breiten Alltag ein. Nach ungeschriebenem Recht hatte jeder das Recht, jeden zum Kampf herauszufordern. Bei den Kämpfen kam es nicht selten zu Todesfällen[148]. Die „Meister“ des Quanshu veranstalteten kostenlose Vorführungen - sie betätigten sich als Schausteller.[149] Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts betrieben Aufständische und Unruhestifter das kämpferische Quanshu in böswilliger Absicht.[150] Die Führer der Yihetuan forderten beim Boxeraufstand im Glauben an ihre eigene Unverwundbarkeit Qing-Soldaten und Europäer auf, auf sie zu schießen. Alle diese Experimente verliefen tragisch: entweder mit dem Tod oder mit schweren Verletzungen.[151] Die heutigen, angewandten Kampfkunstformen in Armee und Schule sind nicht dazu bestimmt, die Menschen zu Sanftheit und Güte zu erziehen, sondern zu äußerster Härte.[152]
Es stellt sich die Frage, ob ein Training der Kampfkünste im alten Geist auch in unserer Zeit noch Sinn hat oder ob es sich um antiquierte Verfahren handelt, welche in unserer Zeit obsolet sind.
Als in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts diese Kampftechniken in die Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit gelangten[lxvii], bemächtigte sich ihrer die Filmindustrie und stellte sie weitgehend auf Showelemente reduziert dar. Die westlichen Nacheiferer der altchinesischen Kampfkünste transformierten den Kampfaspekt zu Kampfsport, d.h. sie brachten den olympischen Gedanken des Kräftemessens hinein, welcher dem Geist der alten, chinesischen Kampfkunst fremd war. Dadurch wurde aus einer Methode zur Beschreitung des Tao eine dem ursprünglichen Sinne abartige Betätigung. Aus dem Weg zur Vollkommenheit - in europäischen Denkmustern besser als Weg zu menschlicher Reife ausgedrückt[lxviii] - wurde, dem modernen Zeitgeist und unserer „kulturellen“ Orientierung entsprechend, eine finanzielle Einnahmequelle oder eine Freizeitbetätigung - ein Sport[lxix].
Es mag überraschen, daß sich analoge Strukturen zwischen Kung Fu und der philosophischen Lebenshaltung nach dem europäischen Verständnis aufzeigen lassen:
•) Entfremdung bzw. Verfälschung:
Wie aus der obigen Darstellung der historischen Entwicklung hervorgeht, wurde Kung Fu zu einer pekuniären Einnahmequelle[lxx] und zu einem Freizeitsport, wodurch es seinem ursprünglichen Wesen entfremdet wurde.
In der Philosophie besteht die Entfremdung darin, daß sie heute im allgemeinen Verständnis als rein theoretische Disziplin aufgefaßt wird. Restringiert auf den universitären Wissenschaftsbetrieb vergißt man in der Regel, daß sie durchaus praktische Wurzeln hatte[lxxi] und in der Antike auch eine Lebenshaltung repräsentierte. Die heutigen Bestrebungen, philosophische Praxen zur Berufsausübung zu errichten, entsprechen aber ebenfalls nicht dem genuin philosophischen Geist[lxxii].
•) Lebenseinstellung:
So wie Kung Fu im eigentlichen Sinne philosophische Lebenseinstellung und Ethos ist, kann auch der philosophische Geist der europäischen Tradition als via vitae verstanden werden, welcher durch die Auseinandersetzung mit dem philosophischen Denken einiger Jahrtausende erworben wird.
So wie Kung Fu mit zwingender Notwendigkeit eine Lebenseinstellung generiert[lxxiii], d.h. zu entsprechenden Gesinnungen führt, so resultiert das Studium der Philosophie auf der rein intellektuellen Ebene in äquivalenten, existentiellen Einstellungen.
•) Einheit trotz Differenz - Harmonie:
Der chinesische Kung-Fu-Kämpfer muß den Angreifer überwinden, um nicht verletzt oder getötet zu werden; der europäische Philosoph muß die existentiellen Widerstände überwinden, welche seiner Erkenntnis des Weltganzen[lxxiv] entgegenstehen.
Die traditionelle, chinesische Kampfkunst entwickelt sich auf zwei Ebenen:
1) Der Kampf des Geistes mit dem Körper um innere Harmonie[lxxv]. Nur eine harmonische Einheit garantiert höchste Effizienz in einer kämpferischen Auseinandersetzung. Als Synchronisierungsmittel wird die Atmung eingesetzt. Die komplexen Bewegungsabläufe fördern die mentale und körperliche Entwicklung.
2) Der Kampf mit einem Gegner: Hier handelt es sich um die „Synchronisation“ mit der Umwelt[lxxvi]. Der freundschaftliche Kampf mit einem Partner zu Trainingszwecken fördert den Außenaspekt - der Kämpfer lernt, seine innere Harmonie zu transzendieren und auf die Außenwelt zu erstrecken. Während im freundschaftlichen Trainingskampf der „Gegner“ auf keinen Fall verletzt werden darf und dadurch der Gemeinschaftssinn gefördert wird, transformiert sich im Ernstfall der Schonungsgedanke zu einer destruktiven, kompromißlosen Intention, um den feindlichen Angreifer zu bezwingen.
Der intellektuelle
Erkenntnisweg des europäischen Philosophen[lxxvii]
soll zu einer geistigen Entwicklung führen, welche in geistiger Reife
resultiert - Weisheit genannt.[lxxviii] Dieses Ringen des rationalen Denkens gegen
die seelischen Eigendünkel auf der intellektuellen Ebene[lxxix]
kann durchaus mit dem Ringen um innere Harmonie in der chinesischen Kampfkunst
gleichgesetzt werden.[lxxx]
Der Außenaspekt artikuliert sich im philosophisch erkenntnistheoretischen
Wahrheitsbegriff als Verbindung zur Außenwelt in der adaequatio
intellectus et rei.
•) Erwerb des Wissens:
Ein Kung-Fu-Adept übt die Katas der alten Meister viele Jahre intensiv und ausdauernd, um in diesem (Nach-)Üben im Laufe der Zeit das nötige Bewußtsein für die Entwicklung eigener Katas zu erlangen. Das Verständnis über den richtigen Aufbau dieser formalen Figuren ist ein Kriterium für den geistigen Entwicklungsstand des Schülers.
Ein Student der Philosophie denkt die Lehren der großen Philosophen nach, um in diesem (kritischen) Nachdenken das Philosophieren zu erlernen.
•) Moral und Ethik:
Die martialische Natur des Kung Fu bringt es mit sich, daß sich aus den Konfliktsituationen moralische Probleme ergeben. Während jedoch im Kung Fu der Außenaspekt des Kampfes dem moralischen Prinzip der Verteidigung untergeordnet ist, agiert der Philosoph „moralisch“ als „Angreifer“, der seinen Wissenstrieb sehr „aggressiv“ auf alle unbekannten Phänomene richtet, welche sich ihm darbieten[lxxxi].
Durch
das Training der alten, chinesischen Kampfkunst wird eine Haltung erzeugt, welche
Auswirkungen auf sämtliche moralischen Einstellungen hat - der Philosoph nähert
sich existentiell durch seine theoretische Auseinandersetzung mit der
ethischen Problematik dem moralischen Lebensbereich.[lxxxii]
•) Tod und Sterben:
Die klassischen Trainingsmethoden des Kung Fu führen in eine mentale Auseinandersetzung mit dem Tod: einerseits in die Möglichkeit, im Kampf getötet zu werden, andererseits in die mögliche Notwendigkeit, jemanden töten zu müssen.[lxxxiii] Erstaunlicherweise führen diese Methoden nicht zu einer gewalttätigen Lebenseinstellung. Töten wird nur als letzte Möglichkeit zur Rettung des eigenen Lebens ins Kalkül gezogen. Das Training führt zu einer (kontrollierten) Angstfreiheit vor dem eigenen Tod, was als Überlebensstrategie in lebensgefährlichen Situationen unerläßlich ist.
Die Auseinandersetzung mit der Tod zählt zu einem der elementarsten Themenkreise der europäischen Philosophie. Von überragender Priorität für das menschliche Sein, geht sie auf die antike, griechische Philosophie zurück, welche das gesamte europäische Denken mit der Ablösung des Mythos durch den Logos auf neue Bahnen lenkte und dadurch die Konfrontation der eigenen Existenz mit ihrem endlichen Sein auslöste. Die philosophische Reflexion scheint jedoch Philosophen zu befähigen, mit der Faktizität des Todes leichter fertig zu werden, wie z.B. der Umgang mit dem Tod in Akten der Euthanasie durch die antiken Philosophen zeigt[153].
Die exemplarisch aufgezeigten Parallelen zwischen diesen beiden Lebenswegen haben den Verfasser zu einer elementaren Frage geführt: Wäre es nicht möglich, durch die Vereinigung des philosophischen Geistes mit dem altchinesischen Weg der Kampfkunst einen Lebensweg zu gestalten, welcher zur menschlichen Reife führt? Kann diese Vereinigung des europäischen und des chinesischen Geistes nicht einen neuen Bildungsweg gestalten, welcher den Menschen zu einer Antwort auf die alte, philosophische Frage »Was bist du Mensch?« führen kann?
Abgesehen vom philosophischen Interesse stellt sich die Frage noch nach der Nützlichkeit in der Beschreitung eines traditionellen Kampfkunst-Weges in unserer Zeit. Als Kunst des Krieges ist Kampfkunst sicherlich obsolet, da aufgrund der Waffenentwicklung eine direkte Umsetzung unmöglich ist. Die Schußwaffen haben die „unverwundbaren“ Kampfkunst-Meister zu einer leichten Beute gemacht und einem Soldaten, der im Artilleriehagel liegt, nützt die Fähigkeit, einen Gegner mit bloßer Hand töten zu können, sehr wenig.
Entscheidend ist der psychophysische Aspekt. Ein traditionelles Training fördert - abgesehen vom kämpferischen Aspekt - die Gesundheit[lxxxiv], welche als allgemein erstrebenswertes Gut betrachtet werden kann. Ein derartiges Training umfaßt jedoch in der mentalen Auseinandersetzung mit den Gesetzmäßigkeiten des Zweikampfes auch strategische und taktische Aspekte. So würde ein aufgrund seines technischen Know-how unschlagbarer Meister einen Kampf verlieren, wenn im situativen Kontext keine Möglichkeit gegeben wäre, dieses technische Können umzusetzen. Der „beste“ Meister würde besiegt werden, wenn er seinen Gegner nicht richtig einschätzen könnte. Überschätzung der Fähigkeiten des Gegners wäre genauso fatal wie ein Unterschätzen. Meisterschaft zeichnet sich dadurch aus, daß der Gegner richtig eingeschätzt wird - und zwar auch dann, wenn der Gegner täuscht; ein Meister „liest“ im Gegner seine emotionale Befindlichkeit, sein Können, etc. Während bei einer kampfsportlichen Ausrichtung die Orientierung auf ein sportliches Kräftemessen ausgerichtet ist, wird bei einer traditionellen Ausrichtung für eine Notwehrsituation trainiert. Dieser Verteidigungsaspekt impliziert - heute noch genau so, wie früher - einen Trainingsmodus, der darauf ausgerichtet ist, einen Angriff unverletzt zu überstehen, weshalb Letalschläge zum Standardrepertoire zählen. Beim Sport ist Ziel und Grenze der Sieg im Ring, in der Kampfkunst ist das Ziel, einen Angriff unverletzt zu überstehen, die Grenze ist der Tod. Wenn ein Letalschlag die einzige Möglichkeit ist „davonzukommen“, wird ein solcher angebracht. Dies mag vielleicht blutrünstig klingen, de facto führt jedoch eine solches Training[lxxxv] zu einem Respekt vor menschlichem Leben, ja zu einer Bewunderung für jede Lebensform[lxxxvi]. Nur wer Verantwortungsbewußtsein hat, wird à la longue nicht zu einem Totschläger. Ein traditionelles Training ist darauf ausgerichtet, ein Bewußtsein für Verantwortung zu schaffen – Verantwortung für das eigene und fremdes Leben. Ein wahrer Kampfkunst-Meister ist ausgesprochen friedfertig.
Ein Kampfsporttraining reduziert sich auf die Auseinandersetzung im Ring, im Kampfkunsttraining liegt auch der soziale Aspekt des Miteinander. Die wahre Kunst des Kampfes kann nicht auf ein kleines Quadrat reduziert werden. Im - unüberschaubaren - Leben können Probleme auftauchen, welche man nicht alleine bewältigen kann, weshalb Allianzen notwendig werden. Durch entsprechende Trainingsmodi werden soziale Einstellungen gefördert, welche einerseits die kameradschaftliche Hilfeleistung betonen und andererseits - im Laufe der Zeit - in menschlichen Führerqualitäten[lxxxvii] münden.[lxxxviii]
Das Mentaltraining der traditionellen Kampfkünste führt zu Einstellungen und Fähigkeiten, welche auch heute noch im militärischen Bereich von Interesse sind. Die körperliche Leistungsfähigkeit ist bei der heutigen Hightech-Kriegsführung weniger wichtig, die psychischen Belastungen sind jedoch enorm. Um diesem Druck standhalten zu können, wäre eine emotionale Kontrolle hilfreich. - Ein Kennzeichen eines Meisters der Kampfkünste liegt in der Kontrolle der Emotionen. Jede Emotion ist im Ernstfall gefährlich, da sie Reaktion und Urteilsvermögen trübt - gleichgültig, ob es Angst oder Wut ist. Sogar Mitleid kann in einem solchen Fall tödlich sein. Nur ein absolut emotionsloses Agieren führt in Extremsituationen zum zuverlässigen Ausschöpfen des eigenen Leistungspotentials.
Solche Eigenschaften können aber auch im zivilen Bereich von Vorteil sein. So z.B. in der Luftfahrt: Untersuchungen von Flugzeugabstürzen haben gezeigt, daß Abstürze von zwar schon beschädigten, aber noch immer manövrierfähigen Flugzeugen nur deshalb zustande gekommen sind, weil der Flugkapitän die Nerven verlor und deshalb falsche Entscheidungen traf. Einem Flugkapitän mit Kampfkunsttraining würde dies wohl kaum passieren[lxxxix].
Summa summarum kann feststellt werden, daß ein Kampfkunsttraining auch in unseren Tagen noch Sinn hat, wenn es richtig für unsere Verhältnisse adaptiert wird und wenn nicht die altchinesische Perspektive aus den Augen verloren geht: Geschult werden muß der ganze Mensch und nicht nur ein partikulärer Aspekt seiner Person.
Die ältesten Hinweise auf die chinesischen Körperübungen finden sich im Nei Jing[xc], den medizinischen Ratschlägen des Arztes Qi Bo an den Gelben Kaiser Huang Di, welcher um ca. 2600 v. Chr. gelebt haben soll. Das Buch selbst wird auf ca. 200 v. Chr. datiert.[154] Die Weisen des Altertums lehrten, durch Ruhe und Konzentration ihren Atem zu kontrollieren, um ihren Geist im Inneren zu halten.[155] Anweisungen für Atemübungen gehen auf Schriften aus der Bronzezeit, der Chou-Dynastie (1100 bis 221 v. Chr.) zurück.[156]
Es sind vier Schulen zu unterscheiden: die taoistische, die konfuzianische, die buddhistische und die medizinische. Jede dieser Schulen übte Einfluß auf die Kampfkunst-Tradition aus.[157]
1) Für Theorie und Praxis der taoistischen Körperübungen gilt neben dem Nei Jing das Tao Te King des Laotse, einer mythischen Figur des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts. Diese Körperübungen dienten als Prophylaxe für die Gesundheit. Das eigentliche Ziel war, »die Energien des Körpers zu verfeinern, um in höhere geistige Ebenen und durch Intuition und innere Visionen zu einem transzendentalen Wesen zu gelangen.«[158] Die Chinesen als Erfinder der Alchemie, unterschieden zwischen der äußeren Alchemie, Wai Dan, der Alchemie der Metalle, welche von den Arabern in den Westen gelangte, und der inneren Alchemie, Nei Dan, den körperlichen und spirituellen Übungen. Im Nei Dan stellen Jing, Qi und Shen die „Drei Schätze“ des Körpers dar. Zwischen dem Dan Tian (Punkt: QIHAI), dem „mittleren Erwärmer“ in Höhe des Solarplexus (Punkt: ZHONGWAN) und dem „Dritten Auge“ zwischen den Augen (Punkt: YINTANG), wird Jing zu Qi und weiter zu Shen sublimiert.[159] »Diese Etappen der alchimistischen Umwandlung beruhen auf der Beherrschung der Atmung, verbunden mit der gedanklichen Bewußtmachung und der körperlichen Empfindung des Qi, der Energie, die in den Leitbahnen und im Inneren des Körpers zirkulieren.«[160]
2) In der konfuzianischen Tradition wurde Qi Gong in Hinblick auf die Beherrschung des Denkens, auf Wahrhaftigkeit und moralische Kraft betrieben.[161] »Was die Taoisten dem Lauf der Dinge überlassen, haben die Konfuzianisten in geregelte Bahnen geleitet, um dem durchschnittlichen Menschen zu helfen, sich zu orientieren und geistige Fortschritte zu machen.«[162]
3) Der Buddhismus hatte Einfluß auf Kunst, Religion, Philosophie, die spirituellen Praktiken und Körperübungen und damit auch auf die Kampfkünste. Die Techniken des Qi Gong wurden eingesetzt, um die Gesundheit zu bewahren und zu verbessern, den Körper zu kräftigen und abzuhärten, den Alterungsprozeß zu verlangsamen und spirituelle Erfahrungen zu machen, sowie als Schutz gegen äußere Gefahren, wie durch Räuber.[163]
»Die Kampfkünste entstanden also unter dem Zwang äußerer Umstände, allerdings in einem ursprünglich meist religiösen oder spirituellen Umfeld. Daraus erklärt sich, daß sie in einem umfassenden Sinn viele Ziele zugleich abdecken: Vorbeugung und Anpassungsfähigkeit, Stärkung und Widerstandsfähigkeit, langes Leben und Spiritualität. Und diese Vielseitigkeit ist das Charakteristische des auf den Kampf und die Verteidigung ausgerichteten Qi Gong.«[164]
Mit dem Begriff »Wai Dan« wurde die äußere Beherrschung des Körpers, mit »Nei Dan« die innere Alchemie, also die spirituellen Körperübungen und Meditationen bezeichnet.[165] Allerdings hat Nei Dan auch eine kämpferische Ausprägung, wobei die innere Übung als »Nei Gong«, „inner Arbeit“, bezeichnet wird.[166] Die Schule Shaolin gilt als äußeres Kung Fu, Wai Dan, die Schule vom Berg Wu Dang als inneres Kung Fu, Nei Dan. Die Vertreter des Nei Dan halten ihren Stil für den überlegenen.[xci]
4) Das therapeutische Potential macht Qi Gong für die Medizin interessant. In ganz China werden die Wirkungen von Qi Gong auf chronische oder funktionelle Krankheiten, Bluthochdruck, Herzbeschwerden, Asthma, Krebs oder degenerative Erkrankungen untersucht.[167] »Die chinesische Physiologie stützt sich auf drei dynamische Elemente: Die Energie (Qi), das Blut (Xue) und die Körpersäfte (Jin Ye). Das Blut zirkuliert in den Gefäßen, die Körpersäfte im Fleisch und in der Haut, in den Sehnen, das Qi in den Leitbahnen.«[168] Es gibt verschiedene Arten von Qi, wie Zhen Qi, die „wahre, authentische Energie“; Zheng Qi, die „korrekte Energie“; Yuan Qi, angeborenes Jing Qi, erworbenes Jing Qi, Zong Qi, Yong Qi und Wei Qi.[169] Über die zwölf Hauptleitbahnen[xcii] werden die Organe mit nährender Energie, Yong Qi, versorgt.[170] Die acht Sonderleitbahnen[xciii] versorgen vorrangig die inneren Organe, wie Gehirn, Knochen, Gallenblase, Genitalien und die Gefäße mit der Energie Jing.[171] Bestimmte Punkte an der Oberfläche der Haut, die Akupunkturpunkte, sind Sammelpunkte von Qi.[172] Während die westliche Medizin die Organe als morphologische Untereinheiten des Organismus den physiologischen Funktionen entsprechend auffaßt, werden in der traditionellen, chinesischen Medizin die Funktionskreise als in funktionellem Zusammenhang stehende Körperfunktionen, Emotionen, menschliche Fähigkeiten und korrespondierende Phänomene im makroskopischen Bereich verstanden. Wenn auch Überschneidungen zwischen Organ und Funktionskreis zustande kommen, ist doch zwischen Organ und dem gleichnamigen Funktionskreis streng zu trennen.[173]
Der Begriff »Qi« war für die Kosmogonie der Taoisten von
fundamentaler Bedeutung, vergleichbar mit der érxÆ der ionischen
Naturphilosophen. Der ganze Kosmos war mit Qi erfüllt, der Kosmos ist durch Qi
geworden. Qi war eine wunderbare Energie, die alles entstehen ließ. Im alten
China waren die Praktikanten von Qi Gong sicherlich der Überzeugung, daß sie
durch Übungen das Qi des Universums aus der Luft und der Erde aufnehmen
konnten. Beim Üben der verschiedenen Tierformen in der Quanshu-Tradition wollte
man das Qi der betreffenden Tiere aufnehmen, um es im Kampf einzusetzen. Nach
dem Klassiker des Faustkampfes, Quanjing[174],
trainiert z.B. der Schlangen-Kata das Qi der Schlange. Die Schlange gibt sich
so als wäre sie kein Tier, völlig ohne Kraft, doch wenn sie ein anderes Tier
erblickt, hält sie ihr Qi zusammen, sie übertrifft darin einen mutigen Krieger.
Das Trainieren des Schlangen-Qi machte den Körper geschmeidig. Die Schlange
konnte ihr Qi sofort in jeden Teil ihres Körpers verlegen, was sie beweglich
und schnell machte. Jedes Tier hatte ein anderes Qi, welches andere Qualitäten
hatte. Indem man das Qi des betreffenden Tieres trainierte, nahm man es auf
und konnte es im Kampf entsprechend einsetzen. Nach allgemeiner Meinung war es
völlig unmöglich, sich ohne Beherrschung des Qi mit irgendeiner Sache zu
beschäftigen, ob dies etwa Malerei, Poesie, Astronomie, Bogenschießen oder
Speerfechten war[175].
Das Yuan Qi war die wichtigste Form von Qi, die pränatale Energie. Wenn es erschöpft
war, bedeutete dies den Tod.[176]
Das angeborene Jing Qi, die Samenenergie, hatte ihren Sitz - wie das Yuan Qi -
in der Niere.[177] Das Zong
Qi, die dritte ererbte Energie, verleihte die Fähigkeit, durch Atmung und Ernährung
Energien zu assimilieren. Es wird durch die Lungen erneuert und ist mit Herz
und Kreislauf verbunden.[178]
Das erworbene Jing Qi wird durch die Aktivität des Organismus verbraucht.[179]
Das Yong Qi ist die Energie der
Nahrung:
»Magen und Milz-Pankreas sind die beiden inneren Organe, die die jeweilige Quintessenz, Gou Qi, aus den Nahrungsmitteln und Getränken herausziehen. Nachdem die reine Energie in einem ersten Schritt auf der Ebene des Solarplexus herausgefiltert ist, wird sie durch diese Organe über die Blutgefäße und entsprechenden Körperleitbahnen verteilt. Die Milz leitet diese Essenz zur Lunge hoch, die sie mit der Quintessenz der reinen Energie der Luft, Ta Qi, vermischt. Dann treibt die Lunge diese aus der Luft und den Nahrungsmitteln gefilterte Nahrungsenergie in die Endlosschleife der zwölf Leitbahnen, von denen alle Körperzonen berührt werden.«[180]
Krankheiten werden in der chinesischen Medizin energetisch
erklärt. So dringt z.B. Kälte in die Leitbahnen ein, wodurch es zu einer
Blockierung des Kreislaufes von Qi und Blut führen kann und Symptome wie
Schmerzen und Jucken hervorruft. Je stärker das Qi, desto widerstandsfähiger
ist die betreffende Person.[181]
Erblindung tritt ein, wenn der Qi-Fluß zu den Augen blockiert ist.[182]
Bei SUNZI (Sun tzu), dem legendären, klassischen Militärstrategen, ist Qi »the foundation and basis of
courage, the vital spirit that is directed by will and intention. When men are
well-trained, rested, properly fed, clothed and equipped, if their spirits are
roused they will fight vigorously. However, if physical or material conditions
have blunted their spirit; if there is any imbalance in the relationship
between command and troops; or if for any reason they have lost their
motivation, they will be defeated.«[183]
Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, daß in den altchinesischen Erklärungsmodellen der phänomenalen Welt der Qi-Begriff von eminenter Bedeutung war. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Erklärungsmodelle auch in unserer Zeit noch ihre Gültigkeit haben. Können nach einem halben Jahrtausend neuzeitlicher Naturwissenschaften die altchinesischen Phänomenalinterpretationen übernommen werden? Es soll hier in keiner Weise die phänomenale Faktizität der Gigong-Erfahrungen in Frage gestellt werden. Hinterfragt werden soll, ob die Erklärungsmodelle der alten Chinesen noch heute Gültigkeit haben. Ist das Qi tatsächlich eine „Universalenergie“, welche immer und überall angewendet werden kann? Oder haben wir ein völlig falsches Verständnis dessen, was bei Qigong-Übungen vor sich geht[xciv]?
Das chinesische Schriftzeichen für »QI« bedeutet
(traditionell: 氣,modern: 气) Atem, während der klassische Begriff
»Energie« bedeutet.[xcv]
In Anlehnung an diese Differenzierung wird mit dieser Arbeit die
terminologische Kennzeichnung »Atem-Qi« für Bewußtseinszustände mit
psychophysischen bzw. physiologischen Auswirkungen als Folge von QIGONG-Übungen
getroffen, welche durch Übungen erreicht werden, in denen Bewegung mit Atmung
in formalen Strukturen synchronisiert wird und das Atmen eine „leitende“ Funktion übernimmt.
Die Kennzeichnung »mentales Qi« diene als Beschreibung der Bewußtseinsformen,
welche bei NEIGONG-Übungen auftreten. Das mentale Qi tritt in Form von „Wärmebewußtsein“
auf, welches man auf
„Leitbahnen“ fließen läßt. Die Leitbahnen der Kampfkunsttradition entsprechen
nicht den medizinischen Leitbahnen, da die Anforderungen anders sind. Die
Bezeichnung »Leitbahn« oder »Meridian« ist schon irreführend, weil sie ein Verständnis
nahelegen, als ob das Qi durch eine Art „Leitung“ fließen würde. So wird als
Ursache für eine Beeinträchtigung des Qi eine Störung des elektromagnetischen
Gleichgewichts im Bereich der Leitbahnen[xcvi]
angegeben. Das Qi werde blockiert und stagniere dort, wo sich die Leitbahnen
kreuzen. Die negativen Auswirkungen seien Müdigkeit und verminderte Konzentrationsfähigkeit.[184]
Durch das Anlegen der Zunge an die richtige Stelle würden die beiden Leitbahnen
Du Mai und Ren Mai verbunden, wodurch der Kleine Energiekreislauf geöffnet
würde.[185] »Als
Öffnung bezeichnet man die Tatsache, daß es einem wirklich gelungen ist, das
Qi in Umlauf zu bringen, alle Punkte zu erwecken und sie zu spüren.«[186]
»Es gibt auch Reaktionen, die den Körper direkter betreffen, obwohl sie selten sind und keine ernsthafte Gefahr darstellen. Bei einer Person mit Migräne kann der ›Kleine Energiekreislauf‹ beispielsweise Kopfweh auslösen; das ist normal. Es zeigt, daß das Qi gut in den Kopf gestiegen ist, dort aber aufgrund einer Asymmetrie der Schädelknochen, einer latenten Störung der Zirkulation im Rückgrat und der Rückenmarksflüssigkeit blockiert wird.«[187]
Diese Art der sprachlichen Formulierungen insinuiert eine Vorstellung, als ob das Qi sich quasi wie elektrischer Strom verhalten würde[xcvii]. Wenn eine elektrische Leitung blockiert ist, weil z.B. der Draht gebrochen ist, so kann die (elektrische) Energie nicht mehr fließen; wenn eine Wasserleitung verstopft ist, kann das Wasser - eine Form von Energie - nicht mehr fließen. Kann dies auch auf den mysteriösen und mythischen Qi-Begriff zutreffen? Handelt es sich beim Denotat von »Qi« um eine subsistierende, ontische Entität - wie z.B. im Sinne eines physikalischen Phänomens - oder ist das Qi ein rein mentales Phänomen? In der ersteren Verständnisform wären verschiedene Phänomene erklärbar, auch solche, welche auf eine „Fernwirkung“ des Qi schließen ließen, wie z.B. die in der Dissertation von Catherine Despeux angeführte Projektion von Qi auf einen Gegner, wodurch dieser gelähmt oder getötet werden könne[188]; oder Berichte über Tai-Ji-Meister, welche in der Lage seien, andere Menschen durch die Luft zu schleudern, ohne sie zu berühren.[189] Genauso ließen sich Fernheilungen durch Aussenden eines Qi-Stroms erklären, wie bei Kit dargestellt[190]. Großmeister Wong Kiew Kit kann als Vertreter des traditionellen Qi Gong angesehen werden. Für ihn wird die (Qi-) Energie als unerschöpfliche Ressource aus dem Kosmos ergänzt.[191] Die höchste Stufe von Qi Gong ist die spirituelle Erfüllung, welche ihm gestattet, seine angeborene Unsterblichkeit zu aktualisieren.[192] Große Qigong-Meister hätten Macht über die Naturelemente[193]; sie könnten Qi durch Wände schicken, durch den Körper von Menschen blicken, Astralreisen zu fernen Orten unternehmen oder sich an frühere Leben zurückerinnern.[194]
Solche Berichte sind - nach Auffassung des Verfassers - mit großer Skepsis zu betrachten. Es soll nicht bestritten werden, daß es Phänomene gibt, welche von unseren Natur- und Geisteswissenschaften (noch) nicht erklärt worden sind und vielleicht auch nie erklärt werden können - solche Weltsichten stammen jedoch aus mythischer Zeit, in denen das Wissen noch keine wissenschaftliche Grundlage hatte und weshalb auftretende Phänomene mit Sicherheit nicht richtig interpretiert wurden. Die geheimnisvoll-esoterischen und mystifizierenden Weltsichten sind generell ein Wesenszug meditativer Kreise, welcher auf die tausendjährigen Traditionen auf diesem Gebiet zurückzuführen ist[xcviii].
Für die zweite Verständnisform, das Qi als mentales Bewußtsein aufzufassen, spricht, daß beim autogenen Training von Schultz[xcix] dieses „Qi-Bewußtsein“ in der Wärmeübung der Unterstufe[195] und im besonderen bei der Sonnengeflechtübung [196] auftaucht. Schultz konnte das Wärmeerlebnis keinen physiologischen Vorgängen zuordnen[197]. Der Unterschied zum chinesischen Qi-Verständnis besteht darin, daß beim autogenen Training das Wärmeempfinden lediglich hervorgerufen wird, während beim NEIGONG das (mentale) Qi fließt, d.h. der Steuerung durch den Willen unterliegt[c].
Der Münchner Anthroposoph Lorenzo Ravagli introduzierte diesen Begriff 1993 mit einem Buch diesen Titels. Für Ravagli ist »Meditationsphilosophie« oder »meditative Philosophie« eine Mittelstellung zwischen gewöhnlicher Philosophie und Anthroposophie. Sie stellt sich als Möglichkeit der Selbsttranszendierung des philosophierenden Bewußtseins dar, wodurch notwendig eine geistige Entwicklung zur anthroposophischen, d.h. höheren Bewußtseinsform einsetzt, welche auf das „gewöhnliche“, wissenschaftliche Erkennen und die Reflexionsphilosophie „zurückblicken“ läßt. Die Frage der Bewußtseinserweiterung sei die Entscheidungsfrage des neuen Jahrtausends. »Wer im „gewöhnlichen philosophischen Bewußtsein“[ci] verharren will oder weiterhin dem exzessiven Rationalismus huldigt, macht sich selbst zum immer fragwürdiger werdenden Denkmal einer untergehenden Epoche.«[198] Trotz Wertschätzung der „gewöhnlichen“ Philosophie und des akademischen Denkens[199] wird der Verstand als naiv und trivial, als »der schlechteste aller Hermeneuten« bezeichnet, weil er auf Kausalität, Linearität und Finalität beschränkt ist.[200]
Aus einem philosophischen Verständnis heraus ist »Meditationsphilosophie« eine Synthese von Philosophie, dem Geiste der europäischen Tradition entsprechend, und Meditation, im Sinne der Verwendung meditativer Techniken zur Erzeugung mentaler Versenkungszustände[cii]. Die asiatische Herkunft solcher Techniken soll und darf nicht geleugnet werden[ciii], um aber einen optimalen Erfolg zu erzielen, ist es unerläßlich, die originär asiatische Mentalität (und Lehre) für einen praktizierenden, westlichen Menschen in eine originär westliche Form der Geistigkeit zu transformieren. Im westlichen Kulturraum bietet sich idealiter die Philosophie als Grundlage einer solchen Umformung an. Die Basis des philosophischen Verständnisses ist jedoch eine streng wissenschaftliche (logisch-rationale) Orientierung[civ], weshalb der anthroposophische Ansatz, die mythisch-asiatischen Lehren durch eine anthroposophisch-metaphysische zu ersetzen, zurückzuweisen ist.[cv]
Eine inhaltlose, rein formale Praxis solcher Techniken mag durchaus gewisse Effekte im psychophysischen Bereich erzeugen, das Potential der darin liegenden Möglichkeiten wird jedoch nicht ausgeschöpft. Sowohl die Einzelwissenschaften, als auch die empirische Meditationsforschung[cvi] sind nicht in der Lage, solchen Techniken einen Inhalt zu geben. Außer der Philosophie ist nur die Theologie im westlichen Wissenschaftsbetrieb in der Lage einen geistigen Inhalt zu liefern. Die theologische Weltsicht kommt dem mythischen Ursprung dieser Techniken am nächsten, wäre jedoch lediglich eine Transformation von einem religiösen Weltbild in ein anderes. Der Wert von Religion möge unbestritten sein, im meditativen Bereich würde sich jedoch der Inhalt lediglich von einer östlichen zu einer westlichen, religiösen Sichtweise ändern.
Die »meditatio« in der europäischen Philosophie hat die Bedeutung von »Studium« und »Nachdenken«. Der Philosoph denkt intensiv, kontemplativ, über ein Problem oder ein Thema nach. Spinoza meint mit seiner Aussage » …sapientia non mortis, sed vitae meditatio est« keineswegs, daß man sich in einen meditativen Versenkungszustand versetzen soll und als meditativ Versenkter „in das Leben eintauchen“ soll, um wahre Weisheit zu erlangen, sondern daß ein Mensch, welcher frei in seinem Willen und seinen Entscheidungen ist, weise tut, nicht den Tod, sondern das Leben zum Thema seiner Reflexion zu machen. Damit divergiert der europäische, philosophische Meditationsbegriff sehr stark vom asiatischen.
In der empirischen Meditationsforschung werden Bezüge zur christlichen Tradition hergestellt, um zu zeigen, daß auch im Abendland eine dem asiatischen Verständnis nahe kommende Tradition bestünde[201], obwohl sehr wohl das Bewußtsein vorhanden ist, daß bei den Religionsgründern der Offenbarungsreligionen Meditation eine geringe bzw. überhaupt keine Bedeutung hatte.[202] Das Neue Testament wird strapaziert, um die Visionen Paulus’ oder Johannes’ als meditative Erlebnisse zu interpretieren. Prominente Kirchenväter wie Origines oder Augustinus, u.a., werden bemüht, die mystische Tradition wird mit Dionysios Areopagita, Meister Eckehard, Bonaventura, u.a., beschworen, um die Legitimität einer europäischen, meditativen Tradition aufzuzeigen. Bei diesen Versuchen wird übersehen, daß in der asiatischen Tradition Meditation ein In-sich-Hineingehen (Versenkung) ist. Im meditativen Versenkungszustand erhebt sich der Meditierende zu den Göttern, wie im Buddhismus.[203] Die Götter befinden sich in einem glückseligen Zustand. Der Mensch, der sich zu den Göttern begibt, gelangt ebenfalls in einen solchen Zustand.[cvii] In der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition nähert sich der Gläubige seinem Gott im Gebet. Das Gebet mag ja meditative Elemente enthalten - aber es ist ein Du-Sagen, ein vertrauensvolles Hinwenden zu einem allmächtigen Wesen, das eine andere Person ist, nicht ein „Verlöschen“. Das meditative Prinzip ist das Sich-Selbst-zur-Einheit-Werden, ein mit sich selbst eins werdend, wobei ein persönlicher Gott irrelevant ist. Die Grundlage des Gebets ist aber eine duale, dialogische Kommunikation mit dem göttlichen Einen. In einer monotheistischen Religion ist es ein ewiger, personaler Gott, welcher antwortet.
In der christlichen Religion wird Gott sogar Mensch und läßt sich kreuzigen, um denen, die zu ihm gehören, zu zeigen, daß er bereit ist, das Höchste zu geben, was ein Lebewesen geben kann - sein eigenes Leben. Da er selbst ewig - d.h. unsterblich - ist, kann er nicht sterben und muß deshalb erst geboren werden, um dieses höchste Opfer für die Seinen erbringen zu können.
Das Mitleid Buddhas hat eine andere Natur. Er ging zu den Menschen, um ihnen den Weg ins Nirwana zu zeigen. Er gab nicht ein göttliches Sein auf, sondern er verzögerte lediglich seinen Eintritt ins Nirwana, um seinen Mitmenschen den Weg zu zeigen. Meditation ist das Mittel, aber die eigene Kraft und Stärke, die eigene Tugend bringt den Buddhisten ins Nirwana. Buddha hätte nie behauptet, der Schöpfer der Welt zu sein. Es ist ein unpersönlicher Weltengrund, in dem alles ruht.
Im Taoismus kreist das Tao ohne Namen und ohne Gestalt in alle Ewigkeit. Nur unwissende, nicht erleuchtete Menschen klammern sich an die zeitlichen und vergänglichen Erscheinungsformen von »Namen und Gestalt«.[204]
Schon aus dieser Weltsicht ergibt sich - auch im religiösen Bereich - eine völlig andere Weise von Existenz: das Gebet für das persönliche, göttliche Du und die Meditation als Eintauchen in den unpersönlichen Weltengrund.
Die Wurzeln der meditativen Entwicklung lassen sich in Indien bis in die Zeit der Veden, zurückverfolgen. Neben der schriftlichen Überlieferung kristallisierten sich einzelne Gestalten heraus, Munis genannt, welche in der Meditation besondere Erfahrungen hatten und denen übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden.[205] Das Wort »Yoga« taucht das erste Mal in den Upanischaden auf.[206] Die frühesten Upanischaden gehen vermutlich auf eine Zeit zwischen 900 und 600 v.Chr. zurück. In diesen heiligen Texten des Hinduismus wird die Frage nach der Natur der Wirklichkeit gestellt. Gelehrt wird die Identität der individuellen Seele, Atman, mit der universellen, allumfassenden Weltseele, Brahman. In einem endlosen Kreislauf von Geburt und Tod, dem Samsara, durchwandert die Seele die verschiedenen Existenzen. Das Karma, die guten und schlechten Taten, bestimmen das Schicksal der wandernden Seele durch die Maja, dem Trugbild der Welt der Erscheinung, in der wir leben. Das Heil, die Befreiung von dieser Wanderung, ist das Ziel der verschiedenen Yoga-Schulen und wird auf verschiedene Weisen beantwortet. Das Karma-Yoga ist der Weg der Arbeit, das Jnana-Yoga der Weg der Erkenntnis, das Bhakti-Yoga der Weg der verehrenden Liebe[207] und das Raja-Yoga, welches als der Königsweg des Yoga angesehen wird, der Weg der Schauung.[208] Der aus dem fünften Jahrhundert v.Chr. aus Indien stammende Buddhismus hat ebenfalls das Ziel, diesem Rad der Wiedergeburt, der Welt des Leidens zu entfliehen. Der Eintritt in das Nirwana stellt die Erlösung dar.
Die traditionsreichen, meditativen Praktiken müssen aus diesem Blickwinkel heraus beurteilt werden. Die Praktiken wurden schon mit Blickrichtung auf Vereinigung mit dem Brahman bzw. im Buddhismus auf das Verlöschen der individuellen Seele ausgerichtet. Das mythische Weltbild stellte den Horizont für die Entwicklung solcher Techniken dar. Aber - wäre die Entwicklung der traditionellen, meditativen Praktiken so verlaufen, wenn diese Techniken erst im wissenschaftlichen Zeitalter entdeckt worden wären?
In seinem Buch Der Tod eines Guru schildert Maharaj, ein zum Christentum konvertierter Sohn eines Brahmanen, seinen Lebensweg bis zu seiner Bekehrung. Sein Vater begab sich einige Tage nach der Hochzeit[209] in ständige, meditative Versenkung, acht Jahre sprach er kein einziges Wort, auch nicht mit seinem Sohn[210]. Seine Zeit verbrachte er auf einem Brett mit Lesen der heiligen Schriften und in Meditation. Er war völlig in sich gekehrt, um das wahre Selbst zu verwirklichen, ohne von irgend einer menschlichen Gegenwart Notiz zu nehmen, obwohl Bewunderer von weit herkamen, um ihn anzubeten und vor ihm Opfer niederzulegen.[211] »Er war ein Gott, den man pflegen, waschen, speisen und kleiden musste.«[212] Um seinem Vater nachzueifern, begann er mit fünf Jahren täglich die Versenkung zu üben[213], sein Vater starb nach acht Jahren seines Rückzugs aus der Welt.[214] Der Knabe eiferte seinen Vater nach und widmete sich extensiv den täglichen Meditationen. Er begann psychedelische Farben wahrzunehmen, hörte überirdische Musik und besuchte geheimnisvolle Planeten, wo die Götter mit ihm sprachen und ihn ermutigten, noch höhere Bewußtseinsstufen anzustreben. Er begegnete in Trance schrecklichen, dämonischen Wesen, erlebte Gefühle der mystischen Vereinigung mit dem Universum, er wurde das Universum, Herr über allem, allmächtig, allgegenwärtig. Seine Lehrer waren von ihm begeistert.[215] Sein Trachten war auf die Befreiung aus der Illusion, ein individuell existierendes Wesen zu sein, ausgerichtet: »Ich war der eine und alleinige Brahman, reine Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit. Darum durfte ich auch erwarten, dass andere die Stufe anerkannten, zu der ich bereits gelangt war, indem sie sich vor mir verneigten und mir Anbetung zollten. Tatsächlich, vor einem Spiegel sitzend betete ich mich selbst an. Warum nicht? Ich war Gott.«[216] Im Alter von elf Jahren verneigten sich bereits viele vor ihm und legten ihm Gaben von Geld, Baumwollstoff und andere Kostbarkeiten zu Füßen.[217] In tiefer Meditation gelangte er zu Shiva, dem Gott der Zerstörung und des Heiles und war mit ihm allein.[218] Der Friede, den er während der Meditation erlebte, verließ ihn zwar wieder, die okkulten Kräfte, welche durch die Yogaübungen gefördert wurden, blieben ihm und begannen in der Öffentlichkeit wirksam zu werden. Seine geistliche Macht wuchs. Im Alter von dreizehn nahmen Menschen, welche sich vor ihm verneigten, einen Glanz um ihn wahr und erlebten eine Art innerliche Erleuchtung, wenn er sie segnend bei der Stirn berührte. In den Meditationen wurden oft Götter sichtbar und sprachen mit ihm. Zuweilen schien er durch Astralprojektionen auf andere Planeten und in Welten anderer Dimensionen versetzt.[219] Seine Gewißheit in Bezug auf seine Bestimmung wuchs immer mehr: »Durch Yoga erfuhr ich zunehmend die Gegenwart von Geistwesen, die mich leiteten und mir psychische Kräfte verliehen. Die Götter waren real! Daran konnten alle Einwände meiner Schulkameraden nichts ändern.«[220] Aus seinen Schilderungen spricht aber auch eine stark soziale Einstellung: »Ich wollte Nirwana nicht allein erreichen, denn ein Guru ist ein Lehrer, der andere zur ewigen Glückseligkeit führt.«[221] Bei einem Spaziergang hatte er eine Vision[cviii].
»Das ‹OM namah Ahivaya› singend - man durfte natürlich nie seine Pflicht gegenüber dem Zerstörer vernachlässigen - drehte ich eine skorpionartige Orchidee zwischen meinen Fingern. Dabei bewunderte ich ihre bleiche, zarte Musterung und die unglaubliche Tiefe ihrer Farbe, die eine Tür in andere Welten öffnete. Durch ein vielsagendes, rasselndes Geräusch hinter mir im Unterholz erschreckt, drehte ich mich ruckartig um. Zu meinem Entsetzen sah ich eine große, dicke Schlange, die mich mit gläsernen Augen fixierte und direkt auf mich zukroch. Ich war wie hypnotisiert, gelähmt, unfähig mich zu bewegen. Es gab keinen Fluchtweg - hinter mir der abstürzende Fels und vor mir die Schlange. Obwohl das hässliche Reptil nicht den breiten Kopf der Kobra hatte, glich es doch der Schlange, die Shiva stets um seinen Nacken trug. Auch fühlte ich seine Gegenwart wie bei den Begegnungen, die ich während der Meditation mit ihm hatte, als ich in einer fremden Welt ihm zu Füßen saß und seine Kobra mich drohend anfauchte und die Zunge hervorschnellen ließ. Meine Lage glich einer zuvor bestimmten Erfüllung dieser Visionen. Diesmal würde ich dem Zerstörer nicht entkommen.
Die Schlange war schon so nahe, dass ich sie hätte berühren können. Da hob sie ihren keilförmigen Kopf übers Gras und begann rückwärts zum Schlagen auszuholen. In jenem Augenblick starren Schreckens vernahm ich, gleichsam aus weit zurückliegender Vergangenheit, Mutters Stimme längst vergessene Worte wiederholen: ‹Rabi, wenn du je in wirklicher Gefahr sein solltest und nichts anderes hilft, dann gibt es noch einen Gott, zu dem du beten kannst. Sein Name ist Jesus.›
‹Jesus, hilf!›, versuchte ich zu schreien, aber der verzweifelte Ruf kam nur erstickt und kaum hörbar über meine Lippen.
Ich war fassungslos, als die Schlange plötzlich ihren Kopf sinken ließ, sich abdrehte und schnell ins Unterholz zurückkroch.«[222]
Durch dieses Erlebnis wurde eine Entwicklung eingeleitet, welche schließlich zu einer Bekehrung zum Christentum führte. In der Trance des Yoga fühlte er das Einssein mit dem ganzen Universum. Es bestand kein Unterschied zwischen einem Käfer, einer Kuh oder einem fernen Stern. Alles war Brahman und Brahman war alles. Maharaj begann jedoch seine Erlebnisse zu hinterfragen. In der Meditation erklomm er höhere Bewußtseinsstufen, in denen er der wahren Wirklichkeit angeblich immer näher kam, jedoch bestand eine starke Diskrepanz zum alltäglichen Leben, welche er auf Dauer nicht als Illusion abtun konnte.[223] Die Hindugötter, denen er in Trance begegnete, flößten ihm Furcht und Schrecken ein, immer mehr begann er Gott als Schöpfer zu denken. Er war sich innerlich gewiß, daß der wahre Gott liebevoll und gütig sei.[224] Sein Ansehen unter den Hindus wuchs. Mit fünfzehn Jahren legte ihm eine arme Witwe anläßlich eines Festes (Puja) ein Geldstück zu Füßen, um seinen Segen zu empfangen. Die Götter hatten dieses System, den Brahmanen Gaben zu überbringen, festgelegt. Nach Lehre der Veden würde der Geber reich gesegnet. Als er jedoch seinen Segen erteilen wollte, vernahm er eine Stimme, welche ihm mitteilte, daß er nicht Gott sei. Er wußte instinktiv, daß der wahre Gott, der Schöpfer der Welt, diese Worte gesprochen hatte.[225] Die Einheit aller Dinge, die er in der Meditation erlebt hatte, erschien ihm völlig lächerlich.[226]
Er begegnete einer jungen Christin, welche ihm vom Gott der Liebe erzählte,[227] was dazu führte, daß er zu beten begann[228] und sich von den hinduistischen Göttern lossagte: Er zerschlug die Götzenbilder.[229] Friede und Harmonie kehrten in seine Familie ein. Das keine Vergebung kennende Karma wurde gegen die Gnade des christlichen Gottes ausgetauscht.[230] Die Menschen, welche sich früher vor ihm verneigt hatten, haßten und beschimpften ihn deshalb.[231] Die meditativen, höheren Bewußtseinsstufen, welche ihm einst göttlich erschienen, wurden als ausgeklügelte Erweiterung des Kastensystems interpretiert.[232] Als Konvertit begann er die christliche Religion zu predigen und kam in Kontakt mit Drogensüchtigen. Zu seinem Erstaunen erzählten ihm die Drogensüchtigen von Erlebnissen im Drogenrausch, welche er in der Meditation und im Yoga kennengelernt hatte.[233] Er kam zu der Schlußfolgerung, daß hinter Meditation und Drogen die gleichen Dämonen stünden, es handle sich um eine satanische Strategie.[234] Er folgerte, daß die Selbstverleugnung, die der östliche Mystizismus fordert, auf der irrtümlichen Auffassung basierte, »dass falsches Denken das einzige Problem des Menschen sei und dass er nur lernen müsse, zu erkennen, dass er Gott sei«[235]. Wenn er wirklich Brahman wäre, dann hätte er dies ursprünglich wissen müssen. Für ihn bedeutete der Tod Christi eine echte Lösung[236]. Transzendentale Meditation sei Hinduismus mit Zuckerguß.[237] Er übte Kritik an der Lebensweise der Gurus als Oase des Wohlstandes inmitten schreiender Armut.[238] Sein weiteres Leben widmete er der Verbreitung der christlichen Lehre.
Aus den Schilderungen Maharajs ergibt sich eine scharfe Kritik an den hinduistischen Religions- und Meditationspraktiken, sie zeigen aber auch andererseits das Visualisierungspotential dieser alten Tradition und welche Auswirkungen es auf das Denken hat. Seine Kritik entspringt weitgehend aus Sicht seiner neuen, der christlichen Religion. Es wird aufgezeigt, daß sich aufgrund dieser Praktiken eine Realisierungsfähigkeit[cix] ergibt, welche dem Gesehenen und Empfundenen eine objektive, unabhängig subsistierende Wirklichkeit zuschreibt. Maharaj begann seine „Erlebnisse“ erst zu hinterfragen, als er sich dem Christentum zuwandte, d.h. seine Erlebnisse aus anderen Denkstrukturen heraus betrachtete. Er wird aber an der objektiven Wirklichkeit der Erlebnisse wahrscheinlich auch später nicht gezweifelt haben, da seine neue Weltsicht wieder eine metaphysisch transzendente war. Wie wäre sein Urteil ausgefallen, wenn er Atheist geworden wäre?
Als weiteres Beispiel enormer Visualisierungsfähigkeiten mag hier Ramakrischna, einem Yogi des 19. Jahrhunderts angeführt werden[239]. Schon als Kind fiel er in besondere Bewußtseinszustände. Er wurde Kalipriester und lebte sich derart in seine Liebe zu dieser Göttin hinein, daß er in seelische Ausnahmezustände und Verwirrungszustände geriet, sodaß ihn seine Umgebung für verrückt erklärte. Er versetzte sich in Zustände, sodaß er zum Affengott Hanuman wurde. Seine Verähnlichung mit dem Affengott ging so weit, daß er sich wie ein Affe bewegte und die Affenlaute nachahmte. Eine Brahmanin, welche dem tantrischen Ansatz verpflichtet war, nahm sich seiner an und führte ihn in die Übungen des rechtshändrigen Tantra ein, »der Verinnerlichung und Vereinigung von männlichem und weiblichem Prinzip, d.h. keine konkrete, sexuelle Beziehung, die dann weiterführend bearbeitet wird«.[240] Durch einen Wandermönch gelangte er in den Zustand der Einheit - nirvikalp-samadhi - und blieb regungslos drei Tage sitzen. Der nackte Asket, welcher ihm dazu verholfen hatte, war erstaunt, da er selbst 40 Jahre dazu gebraucht hatte, was Ramakrischna in einem Tag schaffte. Ramakrischna zog sich nicht zurück, sondern engagierte sich sozial. Sein Ruf verbreitete sich. Mit seiner außerordentlichen Visualisierungsbegabung wandte er sich der Reihe nach den hinduistischen, moslemischen und christlichen Glaubensvorstellungen zu. Er hatte Visionen von Christus und Mohammed.[241] Auf die Frage seines Schülers, Vivekananda, ob er Gott gesehen habe, antwortete er, daß er ihn nicht nur gesehen, sondern auch mit ihm vertraut gesprochen habe.[242] Seine Erfahrungen führten Ramakrischna zu der Schlußfolgerung, daß man auf verschiedenen Wegen zu Gott kommen könne, nur nicht mit mehrere Arten gleichzeitig.[243]
Aus diesen Darstellungen spricht eine tiefe Überzeugung, daß der Mensch aufgrund meditativer Praktiken Zugang zu einem transzendenten (metaphysischen) Sein hat. Die Fragen und Zweifel, ob dies tatsächlich wahr ist, d.h. einer adaequatio intellectus et rei entspricht, weichen einer bedingungslosen Akzeptanz der Faktizität. Wunderberichte werden gläubig vertrauend hingenommen[244]. Für die psychotischen Zustände, welche auftauchen[cx], werden alle Formen von „Pathologisierung“ zurückgewiesen[245] und es wird das Gegenteil angenommen - eine Verkörperung des Göttlichen.[246] Auch von modernen Meditationsforschern wird die Tendenz, derartige Erscheinungsformen zu pathologisieren, zurückgewiesen und man spricht dann von spirituellen Krisen.[cxi] Beim Lesen der Berichte von derartigen Existenzkrisen entsteht der Eindruck, daß die Autoren krampfhaft versuchen, jede Form von psychopathologischer Persönlichkeitsgenese zu leugnen wie z.B. bei Huth in Bezug auf Ignatius von Loyola, Rudolf Steiner oder Ramana Maharshi.[247] Ramana Maharshi (1879-1950), Vertreter des Jnana-Yoga, hatte mit sechzehn Jahren in seiner meditativen Erfahrung ein Sterbeerlebnis, welches er allerdings erfolgreich bewältigte.[248] Derartige Erfahrungen als nicht-pathologisch zu betrachten, wäre nach Auffassung des Verfassers falsch. Es handelt sich um pathologische Erscheinungsformen, welche allerdings - im günstigsten Falle - erfolgreich bewältigt wurden[cxii]. Solche Erfahrungen als „natürlich“ zu evaluieren, würde auf einem meditativen Weg dazu führen, daß man solche Zustände bewußt aufsucht und vielleicht auch noch glaubt, daß - wie in tiefster, mythischer Zeit - sich Gott in diesen Zuständen zeigt, d.h. diese ekstatischen Zustände als Ergebnis von Gottesnähe interpretieren. Gleichzeitig wird die rationale Erkenntnis unter Hinweis auf ihre Begrenztheit pejorisiert. Allerdings ist gerade die rationale Kritik nach logischen Kriterien der schärfste Gegner jeglicher „supranaturaler Phänomene“, weil in der Geschichte immer wieder Beweise geliefert wurden, daß „göttliche Erscheinungen“ durchaus irdischen Ursprungs waren[cxiii]. Die physikalisch wissenschaftliche Welterklärung hat mehr Erkenntnisse über die Natur unserer Welt geliefert als alle mystisch-mythischen „Offenbarungen“ vorher. Ohne hier auf die Aufklärung der Neuzeit zu rekurrieren, sei an dieser Stelle auf die antiken Philosophen verwiesen, die schon zu ihrer Zeit mit ihrer Kritik die Götter entthronten. So hatte schon Anaxagoras (ca. 500-428 v.Chr.) erklärt, die Sonne (der Gott Helios) wäre kein Gott, sondern ein glühender Steinhaufen.[249] Als érxÆ des Seins wurde bei Thales von Milet (ca. 624-546 v.Chr.) das Wasser, bei Anaximenes (ca. 585-528 v.Chr.) die Luft, bei Anaximandros (ca. 610-545 v.Chr.) das Apeiron[cxiv] bestimmt. Damit hatte die wissenschaftliche Welterklärung das Licht der Welt erblickt und nahm langsam ihren Lauf. Im 18. Jahrhundert untersuchte Kant die Grundlagen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und hätte vermutlich als gläubiger Mensch die Existenz Gottes liebend gerne bewiesen. Als er jedoch in seiner Arbeit erkannte, daß die Vernunft Gott nicht beweisen konnte, zerstörte er als »Zertrümmerer der Metaphysik«, wie er genannt wurde, sämtliche bis dahin existierenden, rational basierten Gottesbeweise und verwies Gott in den Bereich des (moralisch notwendigen) Glaubens. Zu glauben, daß diese Erkenntnis nicht auf meditative Praktiken anwendbar sei, weil im meditativen Akt eine Annäherung an das Numinose möglich und durch entsprechende Erfahrungen zu beweisen wäre, muß als unzureichend begründbar zurückgewiesen werden. Abgesehen vom weiten Feld des Betruges, welches durch angeblich esoterisches und nur für Eingeweihte zugängliches Wissen gegeben ist[cxv], kann auch jemand, der solche Erfahrungen besitzt, nicht wissen[cxvi], ob es sich um die genuine Erfahrungen eines Gotteserlebnisses handelt. Die geschilderten, meditativen Erlebnisse sind kein Nachweis transzendenter Erfahrungen, sondern das Resultat meditativer Techniken[cxvii]. Es darf vermutet werden, daß gerade die besonders in Indien beheimateten, imaginativen Techniken sich wahrscheinlich besonders gut für solche „Gotteserfahrungen“ eignen[cxviii], weil gerade hier die psychische Visualisierungsfähigkeit zum Tragen kommt. In der Meditationsliteratur wird meditatives „Wissen“ oft mit dem Begriff der Wissenschaftlichkeit verbunden, um damit die Glaubwürdigkeit der Naturwissenschaften in einer wissenschaftsgläubigen Welt für sich vereinnahmen zu können[250]. Eine naturwissenschaftliche, allgemeingültige Beweisbarkeit solcher rein subjektiver Erlebnisse kann jedoch nicht erbracht werden und meditative Erfahrungen unterliegen genauso der subjektiven Fehlerhaftigkeit wie die „normale“ Erfahrungserkenntnis.
Die zen-buddhistische Praxis ist in den letzten fünfzig Jahren nach Europa gekommen und hat eine besondere Popularität erlangt. Es sind zwei Hauptschulen zu unterscheiden: Soto, nur sitzen und atmen, sowie Rinzai, die Hinzunahme eines Koan[251]. Die Soto-Schule geht davon aus, daß es genügt, sich ohne Gegenstand für die Betrachtung in der Versenkung hinzusetzen. »Sich in Versenkung niederzusetzen und Erweckung[cxix] (Satori) sind nicht zwei verschiedene Dinge. Man soll nicht die Erweckung erwarten und anstreben. Die Erweckung ist nicht etwas, das man von außen her erhält.«[252] In der Rinzai-Schule werden mantram-ähnliche Koans verwendet[253], welche nicht nach logischen Kriterien aufgebaut sind. So lautet ein solches Koan etwa:
»- Warum kam Bodhidharma aus Indien nach China?
Die klassische Antwort lautet:
- Sieh die Zypresse dort im Garten…«[254]
Viallet sieht die Schwierigkeit in der Beantwortung darin, daß die Koans übersetzt und daher aus ihrem Bezugssystem herausgenommen worden sind. Der Sinn sei nur innerhalb der traditionellen Gemeinschaft zwischen Meister und Schüler verständlich. Er führt die Bevorzugung der Soto-Richtung im Abendland darauf zurück, daß bei uns die entsprechenden sozialen und psychologischen Gegebenheiten vorhanden sind.[255]
Tatsächlich ist der Zugang zu solchen Rätseln einem westlichen Menschen wohl deshalb verwehrt, weil das westliche Denken aufgrund der bei Aristoteles ihren Ausgang genommenen Logik im Satz vom Widerspruch verankert ist und eine Beantwortung nach logischen Kriterien nicht möglich ist. Es ist für einen westlichen Menschen unverständlich, daß in einer logisch widersprüchlichen Aussage Sinn liegen kann. Der Sinn liegt jedoch hier darin, daß ein Meister aufgrund der Antwort seines Schülers dessen Entwicklungsgrad erkennen kann.
Im Buch Einladung zum Zen erzählt Viallet aus seinen Erfahrungen mit dem Soto-Zen, welches er mit Konsequenz betreibt.
»Heute glaube ich zu verstehen, weshalb ich im Zen mündete; der Große Zweifel kam mir, angesichts einer Zertrümmerung der Welt in Unordnung und Schmerz; zunächst ein Argwohn seit meiner Kindheit, später Gewißheit: Krieg, Gefangenschaft, Deportierung; nicht allein mein eigenes Geschick; dieses wurde zum Spiegel des Unglücks aller Mitmenschen, aller fühlenden Wesen.
Schließlich noch, wie ein Zerreißen meiner Eingeweide, durch egoistisches Klammern an einen anderen Menschen: ein Wesen, ebenso vorübergehend und begrenzt wie ich im großen Lebensstrom. Sein Verschwinden, besser sein Fortgehen von meiner Seite, brannte den Hochmut, den Stolz zu Asche. In jenem Augenblick gab mir niemand Antwort und Hilfe, nur ein Meisterwort, das sich in mir unablässig eingrub:
- Vergiß dich, vergiß dich selbst!
So trat Zen endgültig in mein Leben; ich mußte ihm folgen, ohne Zweck und Absicht.«[256]
Aus seinen Schilderungen und Reflexionen tauchen Fragen auf, ob Zen nicht eine Einbildung sei (S. 22). Der Zen-Weg sei «kein blumenbestreuter Friedenspfad», der Weg aus dem Leiden sei lang und hart (S. 23).
»Zen kam spät in mein Leben; es ist die große Begegnung, ich muß sie bis aufs letzte ausnützen.
- Ist denn Zen alles? Gibt es sonst keinen Weg?
Darauf kann ich nur sagen, was mir widerfährt. Wenn man eine Frau liebt, so fragt man nicht, ob es schönere und bessere Frauen auf der Welt gibt. Ich kenne keinen besseren Weg. Wenn Sie einen kennen, dann folgen Sie ihm.« (S. 24)
Er begibt sich in das Kloster Antai-ji, im Nordosten Kyotos, um die Bürden des »Kloster-lebens« auf sich zu nehmen (S. 28). Neun Stunden Zazen schrecken ihn nicht ab (S. 30). Er schildert von den Sprachschwierigkeiten (S. 29), von den Schmerzen in den Knien und den Knöcheln bei den Zazen-Sitzungen (S. 39). Er weist auf die Gefahren des Zen hin und daß zwei Europäer, welche in einem Kloster Zen übten, sich das Leben genommen hatten (S. 56). Zen im Zazen (Sitzen in Versenkung) mag einfach aussehen und harmlos erscheinen, in Wirklichkeit sei es das Gegenteil. Bei längerem Zazen würde eine starke körperlich-seelische Spannung erzeugt, die für einen Unerfahrenen oder nicht fachlich Beratenen zu ernstlichen Schäden führen könne (S. 57). »Denn Zen ist ein Risiko auf Leben und Tod.« (S. 64)
Insgesamt spricht aus diesem Buch der Geist eines Mannes, der bei allem Bewußtsein der Gefahren meditativer Praktiken - in diesem Falle des Soto-Zen - mit dem, was er tut, zufrieden ist und in diesem Tun Erfüllung findet.
Einen anderen Bericht gibt Janwillem van de Wetering, welcher als 26jähriger für achtzehn Monate in einem japanischen Zen-Kloster gelebt hatte. In seinem Buch Der leere Spiegel schildert er den täglichen Ablauf in einem Zen-Kloster und die Zwänge, denen die Bewohner eines solchen Klosters ausgesetzt sind. Seine Schilderung beginnt mit den Hoffnungen und Erwartungen, mit denen er sich zum Kloster begeben hat und endet mit einer fast fluchtartigen Abreise. Sein Ziel, den Zen-Weg zu beschreiten, gab der nach eineinhalb Jahren auf. Seine Schlußfolgerung, was er gelernt hätte »nach anderthalb Jahren des Umfallens und Wiederaufstehens« (S. 149), war, daß er sein Bestes zu tun habe und daß er sich bemühen müsse, alles so gut wie möglich zu machen - und dies hätte er auch in Rotterdam lernen können. Bei seinem Aufenthalt hatte er noch etwas anderes gelernt: »Nicht nur sein Bestes muß man tun, man muß dabei auch Abstand bewahren von dem, was man zu erreichen trachtet.« (ebd.). Diese Erkenntnis ist für einen eineinhalbjährigen Aufenthalt etwas dürftig.[cxx]
Seine Schilderungen zeigen jedoch eine Menge Fehler auf, welche sich auf einem meditativen Weg ergeben können. Gerade hier zeigt es sich, daß ein Weg, welcher für Japaner - hier handelt es sich um Zen, welches in Japan für japanische Verhältnisse aus dem ursprünglichen CHAN umgeformt wurde - geeignet ist, für Europäer problematisch werden kann.
Immer wieder wird betont, daß der Sitz, die Meditationshaltung, beim Sitzen von größter Bedeutung ist - trotzdem müssen die Europäer das Meditieren im Lotus bzw. Halblotus erlernen, was mit enormen Schmerzen[cxxi] verbunden ist[257]. Das Erlernen des Meditierens auf einem Sessel wird als Schwäche ausgelegt und mit Spott überschüttet[258], obwohl andererseits sehr genau verstanden wird, daß nur in einer richtigen Meditationshaltung das Meditieren richtig erlernt werden kann.
In den Sesshins, den Meditationswochen in einem Zen-Kloster, wird im Sommer bis zu neun Stunden täglich, im Winter bis zu elf Stunden täglich meditiert. Die erste Woche im Dezember ist Rohatsu, die Sesshins aller Sesshins mit bis zu siebzehn Stunden Meditation täglich (S. 85). Laien, die aus diesem Anlaß ins Kloster kommen, halten in der Regel diese Strapazen nicht aus und brechen die Meditationen ab[cxxii] (S. 91). Vor der ersten Rohatsu wurde Wetering zum Kloster-Vorsteher gerufen. Gemeinsam mit zwei Brüdern redete dieser auf ihn ein, welcher verstand, daß wenn er die Rohatsu nicht durchstand, das Kloster verlassen müsse. Er stand unter schwierigsten Bedingungen die Rohatsu durch, nachträglich stellte sich aber heraus, daß der Vorsteher ihm nur verständlich machen hatte wollen, daß er, wenn er die Belastungen nicht mehr ertragen konnte, für die Zeit der Rohatsu außerhalb des Klosters hätte wohnen können (S. 88, S. 94). Diese Episode zeigt das enorme Problem beim Erlernen von Meditation in einem östlichen Land auf: das Sprachproblem[259]. Im meditativen Kontext sind sprachliche Darstellungen immer nur Annäherungen und Kommunikation muß oft mit metaphorischen Mitteln durchgeführt werden, um sich (halbwegs) verständlich machen zu können. Bei diesem Beispiel war es die simple Aussage, er soll während der Rohatsu in einem Hotel wohnen. Wie sollen meditative Erlebnisse richtig interpretiert werden können, wenn keine zuverlässige, sprachliche Kommunikation möglich ist? Wie soll ein östlicher (anerkannt wirklicher) Meister auf diese Weise sein Wissen an einen westlichen Menschen weitergeben können, wenn nicht einmal die minimalste, sprachliche Kommunikationsfähigkeit gegeben ist?
Ein Zen-Praktizierender sucht alles mit voller Aufmerksamkeit zu verrichten, er wird sich immer bewußt sein, was er tut[260]. Typisch für Zen ist »das Ausfüllen eines jeden Augenblicks, einer jeden Tätigkeit mit einem restlosen Bewußtsein der Bedeutung dessen, was man tut«[261], in einer die »jeden Augenblick ausfüllende absolute Selbstdisziplin«.[262] Dieses aufmerksame Leben hat allerdings auch seine kleinen Schwächen, wie eine Geschichte bei Wetering (S. 50f) zeigt: Bei einem heftigen Erdbeben wurde ein Teil eines Tempels zerstört. Ein Priester, welcher mit einem jungen Mann dort lebte, nahm bei Ausbruch des Erdbebens seinen Schützling bei der Hand und begab sich in die Küche, welche der sicherste Ort im Kloster war. Beide überstanden das Beben ohne Verletzung. Als das Beben vorbei war, wies der Priester seinen Schützling darauf hin, wie ruhig er als Zen-Mann auf die Bedrohung reagiert hatte. Ohne Panik mit vollem Bewußtsein sei er mit ihm in die Küche gegangen. Einen leichten Schock habe er aber doch erlitten, weil er nachher ein großes Glas Wasser getrunken habe. Sein Schützling reagierte auf die Darstellung des Mönchs leicht amüsiert, weil dieser nicht ein Glas Wasser, sondern - ein großes Glas Sojasoße getrunken hatte. Diese kleine, sehr menschliche Geschichte zeigt auch die Grenzen meditativer Übungen und die eigenen Fehleinschätzungen von Meditanten auf.
Die Intensität, mit der im Zen meditiert wird, ist wohl darauf zurückzuführen, daß Satori gesucht wird. In der Wirklichkeit des Zen gelangen die Adepten zu ihrem wahren Ich, zur Selbstverwirklichung. Zen ist Selbst-Erkenntnis, nicht rational oder emotional, sondern in einer Umwandlung, welche das Verhalten zum Leben, zu den Problemen und zu den anderen Menschen wesentlich ändert und neu bestimmt.[263] Die Idee des persönlichen Ich muß aufgegeben werden, genauso wie das ich-gerichtete Streben nach Dingen der Erscheinungswelt.[264] Das Grundmotiv des Zen ist die Ich-Zerstörung.[265] Altmeister Lin-Tsi (Rinzai) fordert die Anwärter auf, frei zu werden von ihrem kleinen «Ich», frei zu sein von sich selbst, den eigenen Egoismus zu zerstören.[266] Es kommt darauf an, daß man vor seinem Selbst steht, in sein Selbst eindringt. Im Augenblick, da alles zerrinnt, erscheint das Selbst, der volle Lebensstrom, das All.[267] Für einen Zen-Adepten existiert das Ich nicht, da sich das Ich ständig verändert.[268] Diese Denkweise ist asiatischer Provenienz. Das „Auflösen des Ich“ im meditativen Akt wird hier in eine Weltanschauung transponiert, welche die Reinkarnation als Hintergrund hat. In diesem Fall ist das jeweilige (präsente) Ich tatsächlich eines, welches einem ständigen Wandel unterworfen ist (durch die Äonen der Wiedergeburten hindurch). Es ist jedoch eine falsche Weltsicht, wenn dieses Leben das einzige ist. Nach europäischer Sicht ist dieses Leben das einzige, das wir haben. Wenn ein westlicher Mensch in der Vollziehung dieser Praktiken zu der Einsicht gelangt, daß er nur eine von vielen Reinkarnationen ist und die Einheit mit dem (unpersönlichen) All-Einen sucht - handelt es sich um eine genuine (natürlich entstandene) Überzeugung oder handelt es sich um eine, welche durch die Zen-Exerzitien verursacht wurde?[cxxiii]
In unserer Zeit wurde das wissenschaftliche Interesse an solchen Praktiken geweckt; die Einzelwissenschaften, wie Psychologie und Medizin, wandten sich der Meditation zu und begannen dieses Phänomen mit den ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln zu untersuchen. Durch die methodischen Untersuchungen stellte sich bald heraus, daß meditativ verursachte Mentalprozesse auch auf der somatischen Ebene ihre Spuren hinterlassen. Zur Objektivierung der verschiedenen Meditationsformen nach wissenschaftlichen Kriterien werden neben psychologischen Erhebungen auch physiologische Parameter benutzt. Mit dem Elektro-Enzephalogramm (EEG) werden die Aktionsströme des Gehirns gemessen. Erfaßt werden auch die elektrodermalen Aktivitäten bzw. der galvanische Hautwiderstand (GHR), die kardiovaskulären Parameter wie Puls und Blutdruck, Atemwerte wie Anzahl, Tiefe der Atemzüge, der Sauerstoffverbrauch oder Stoffwechselwerte.[269] So wurde durch die empirische Meditationsforschung herausgefunden, daß bei auf Ruhe und Entspannung ausgerichteten Meditationsformen (TM, Zen, Yoga) eine Sauerstoffreduktion bis zu mehr als 50% auftritt.[270] Die Herzfrequenz wird gesenkt und bei relaxierenden Meditationstechniken tritt eine Senkung des arteriellen Blutdrucks auf.[271] Die Muskelspannung wird während der Meditation reduziert.[272] Das Serum-Cholesterol wird während und nach der Meditation gesenkt, ohne ursächliche Zusammenhänge plausibel machen zu können.[273] Verminderter Lactatserumspiegel wird als physiologisches Korrelat für verminderte Angstwerte interpretiert.[274] Eine Verlangsamung der Alterungsprozesse konnte durch Untersuchungen an Serum Dehydroepiandrosteron Sulfat gezeigt werden.[275] Ein Vergleich zwischen Meditanten mit einer durchschnittlichen Meditationspraxis von über 6,5 Jahren und Marathonläufern zeigte Ähnlichkeiten in der hormonalen Veränderung (Beta-Endomorphin) und Corticotropin-Releasing Hormon (CRH) mit den damit verbundenen Auswirkungen im emotionalen Bereich. Subjektiv erlebte positive Veränderungen der Stimmung bei gesteigerter CRH-Aktivität weist auf erhebliche neuroendokrine Veränderungen während der Meditation hin.[276] Der Anstieg des elektrischen Hautwiderstandes während der Meditation wird als Zeichen für nachlassenden Streß gedeutet. Meditierende haben eine schnellere Erholungsfähigkeit.[277] Langzeitmeditierende wie Zen-Meister wiesen bei Untersuchungen während der Meditation einen Alpha-Rhythmus von 8 - 13 Zyklen/sec. bei hoher Amplitude auf.[278] Bei Yogis wurde festgestellt, daß in tiefer Meditation bei externen Stimuli, wie starkes Licht, laute Geräusche, Berührung mit heißem Glas, Eintauchen der Hände in 4° kaltes Wasser über 45 bis 55 Minuten, keine Änderung des Alpha-Rhythmus festzustellen war[cxxiv]. Das Ausbleiben der Alpha-Blockade wird, als Korrelat der Abschirmung bzw. der Unempfindlichkeit gegenüber externen Stimuli, als zentraler Nachweis einer gelungenen Meditationsform, der introvertierten Meditation, gewertet.[279] Bei Untersuchungen an Praktikanten der transzendentalen Meditation wurde eine stärkere Aktivität der rechten Hirn-Hemisphäre festgestellt[280], in einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen wurde eine Synchronisation und Kohärenz beider Hirnhemisphären während der Meditation berichtet.[281]
An diesen paar Beispielen ist schon ersichtlich, daß durch die empirische Meditationsforschung nachgewiesen wurde, daß die mentalen Prozesse, welche während des meditativen Aktes auftreten, nicht als reine „Einbildung“ oder als Schein abgetan werden können. Die durch Meditation kausierten Effekte werden heute im klinischen Bereich, aber auch im Berufsleben angewendet.
So kann nach Delmonte (1982) der positive Effekt der Meditation zur Reduzierung von Angst und Neurotizismus als gesichert gelten; in der Behandlung der essentiellen Hypertonie scheint sie anderen Entspannungstechniken überlegen zu sein. Hilfreich ist sie bei der Verminderung von Drogenkonsum und zur Verbesserung des Selbstwertgefühls. Meditation sei als zusätzliche Behandlung auf leichtere Störungen, wie Psychoneurosen und Psychosomatosen, zu beschränken; ihr Einsatz kann bei schweren Störungen, wie Psychosen, nur in besonderen Fällen und bei sehr erfahrener Anleitung als nicht schädlich gelten.[282] In einer Feldstudie (1981 - 1985) wurde in einem Vergleich von TM-Praktizierenden zu anderen Versicherten der gleichen Versicherungsgesellschaft mit vergleichbaren sozialen Parametern ohne Meditationspraxis festgestellt, daß die Meditanten signifikant weniger krank waren.[cxxv] Studien an Kindern[283] und älteren Menschen[284] zeigen, daß jede Altersgruppe von Meditation profitieren kann. Untersuchungen am Arbeitsplatz[285] weisen auf eine Reduktion von arbeitsbedingtem Streß mit gesenktem Blutdruck, eine Verringerung der Krankheitstage und auf einen Anstieg sozialer Zufriedenheit hin. Traditionelle Meditationstechniken – wissenschaftlich belegt im wesentlichen für die Transzendentale Meditation - eignen sich gut zum Lösen von gewohnten Gedankenstrukturen. Sie eignen sich zur Förderung von Kreativität und zum Abbau von Streß und werden auch auf diese Weise in Unternehmen eingesetzt. Beim Chemieunternehmen Montgomery/USA gingen nach Einführung der TM (Beobachtungszeit 3 Jahre) die Fehlzeiten um 85% und die Arbeitsunfälle um 70% zurück.[286] Gruppenkohärenz und Kreativität werden gefördert, wenn Gruppenmitglieder regelmäßig meditieren. So scheinen innerbetriebliche Harmonie, Kreativität und Produktivität eines Unternehmens erstaunlich gefördert zu werden[287].
Diese äußerst positiven Berichte würden eigentlich Meditation als Allheilmittel nahelegen. Andere Forschungsergebnisse zeigen jedoch auch die negativen Aspekte von Meditation auf.
Huth[288] berichtet von Bewußtseinsveränderungen, wie sie bei schamanistischen Praktiken auftreten. Es treten ekstatische Zustände auf, parapsychologische Phänomene, sowie der Eindruck, sich außerhalb des Körpers aufzuhalten; psychosomatische Erscheinungen, vor allem vegetativ-energetischer Art; affekt- und stimmungsdominante Phänomene, wie depressive Verstimmungen, Verzagtheit, Selbstzweifel, Unrast, etc.; mnestische Phänomene, wie Eindrücke, in frühere Bewußtseinszustände zurückzukehren, zum Teil bis zur Geburt und in Ausnahmefällen als Reinkarnationserfahrungen; Zustände der Besessenheit von fremden Kräften, Geistern und Dämonen; Zustände der Ichauflösung, die meist von schwerer Angst und gelegentlich vom Gefühl der Weltauflösung begleitet werden.
Engel (S.278) differenziert zwischen pseudospirituellen Krisen, wie psychosomatischen, -neurotischen bis psychotischen Erkrankungen und spirituell-religiöse Phänomenen, in denen Meditation zur Flucht vor Lebensbewältigung verwendet wird. Als echte spirituelle Krise sieht er energetische Phänomene, die bei einem unbalancierten, abrupten oder unvorbereiteten Vorgehen auf dem meditativen Weg auftreten können. Aufbauende, die Kräfte ausbalancierende Wege wie bei Yoga oder im Buddhismus könnten nicht eingehalten werden und die Energien suchten sich ihre eigene Bahnen.
In der Zen-Tradition zählt man ca. 50 sogenannte Zen-Krankheiten, wie etwa das Entstehen von Hypersensibilität, unmotiviertes Weinen oder Lachkrämpfe. Bei Zazen-Übungen tauchen Visionen auf, Farben, Geräusche; manchmal ein berauschendes Gefühl der Einheit mit dem All. Viallet interpretiert diese Phänomene als Erscheinungen auf dem Weg zur Selbstverwirklichung, auf dem Weg zum wahren Ich.[289] Rhyner (1997) nennt mehrere Bereiche der Zen-Krankheit: täuschende Empfindungen und Erscheinungen, die außerhalb der Meditation nicht vorhanden sind; die eigene Erleuchtungserfahrung führt zum Glauben, erleuchtet zu sein; psychosomatische und somatische Beschwerden; der Zen-Koller: psychische Dekompensation mit Aversionen gegen Lehrer und Mitübende, welche bis zum Aufgeben der Übungen oder zu Suizid und Psychose führen.[290] Andere Autoren beschreiben Symptome wie Übelkeit, Verwirrtheit, kinästhetische Empfindungen und Formen der Dissoziation oder Angstreaktionen.[291]
Die Gefahren von Meditation lassen sich aber auch in der Meditationsliteratur anhand der Darstellungs- bzw. Argumentationsformen, ohne krankheitsspezifischer Ausprägung, aufzeigen. Zwei Beispiele von Autoren, welche nach Auffassung des Verfassers als gute Autoren auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Meditationsliteratur einzustufen sind, mögen hier angeführt werden: Engel und Huth.
Engel vertritt in seinem Buch Meditation (S.382f) die Position, daß aufgrund der Entwicklung die Meditationsforschung auf den Boden der überprüfbaren Wissenschaft gestellt würde. Aufgrund der Affinität von Meditation in der theoretischen Grundlegung weit in die religiösen Systeme sei damit die Grundlage für eine empirische Theologie geschaffen. »Mit der Meditationsforschung wird die Theologie aus der Tradierung von Glaubenssätze heraus in eine überprüfbare empirische Wissenschaft überführt.«[292] Ob Gott tot oder ein lebendiges Phänomen darstelle, sei nicht mehr eine Sache der Verkündigung oder des philosophischen Glaubens, sondern werde ein überprüfbares Ergebnis experimentellen Vorgehens.
»Die Meditationsforschung ermutigt uns, je weiter sie fortschreitet, desto mehr zu dem Satz: Gott lebt, gestern haben wir ihn erfahren, und hebt damit die Aussage des Philosophen[cxxvi], auf den wir bewußt anspielen, auf einer breiten Basis wieder auf. Nichts anderes war das Ziel dieses Buches.«[293]
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden[cxxvii]. Persönliche Erlebnisse metaphysischer Transzendenz - auch wenn sie auf meditative Erfahrung zurückgehen - als „Beweis“ für die Wahrheit[cxxviii] metaphysischer Transzendenz zu interpretieren, wäre ein gravierender Fehler. Kant hat in seiner Vernunft- und Verstandeskritik die Grenzen menschlicher Erkenntnis auf die Welt der Erfahrung restringiert, weil er erkannte, daß ein Transzendieren dieser Grenze die Vernunft in Bereiche entschweben läßt, worüber sie keine Aussagen machen kann. Er destruierte auf diese Weise die Ansprüche der klassischen Metaphysik. Jaspers wußte um die Beweiskraft der Kantschen Argumente und aus diesem Horizont heraus formulierte er seinen philosophischen Glauben. Kant hatte zwar keine meditative Erfahrung, es läßt sich aber kein Argument finden, warum Erfahrungen (Erlebnisse) im meditativen Versenkungszustand nicht den Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Erkenntnisfähigkeit gehorchen sollen. Warum sollen sich meditative Erfahrungen von den „normalen“ unterscheiden? Die intellektuellen Leistungen des Menschen sind das Ergebnis zerebraler Vorgänge. Anzunehmen, daß meditativ verursachte Mentalprozesse anders kausiert würden, wäre eine ziemlich absurde Schlußfolgerung. Eine Fata Morgana als Sinnestäuschung wird als sehr real empfunden und doch ist sie nur eine Luftspiegelung, die heute sogar nach naturwissenschaftlichen Kriterien erklärt werden kann. Welche Gewähr gibt es gegen die Täuschung „meditativer Fata Morganas“? Welche Falsifizierungskriterien können für meditative Erlebnisse angegeben werden? Jeder Meditant kennt das Problem, meditative Erlebnisse sprachlich darzustellen. Eine sprachliche Deskription verfremdet das ursprünglich Erlebte oder Empfundene derart, daß ein Unkundiger durch eine Erzählung mit Sicherheit nicht den richtigen Eindruck erhalten kann![cxxix] Sogar Meditanten der gleichen Meditationstechnik sind genötigt, Zuflucht zu metaphorischen Ausdrucksweisen zu nehmen, um sich verständlich zu machen. Im meditativen Akt werden offensichtlich Sphären des Unbewußten der eigenen Seele aktiv. Anzunehmen, daß durch das Eintauchen in Bereiche der eigene Seele eine Transzendenz in ein metaphysisches (anderes) Sein vonstatten ginge, läßt sich nicht verifizieren. In einem meditativen Akt ist rationales Denken extrem hinderlich, weil dadurch eine meditationsabträgliche Dynamik hineinkäme. Denken und Meditieren sind inkompatibel.[cxxx] Ein unbegründbares Denken in der Wissenschaft wäre genauso widersinnig wie ein rationales im meditativen Akt.
Beim Meditieren werden die tiefsten, seelischen Schichten angesprochen, welche nicht den Gesetzen des rationalen Denkens gehorchen. Auch Triebe, Emotionen oder verdrängte Bedürfnisse werden wach und fordern ihre Befriedigung. Zu glauben, daß man diese elementaren, aus der Urzeit unserer Hominidenentwicklung stammenden Kräfte rein volitional steuern könnte, wäre ein Fehlschluß.
Es ist ein Kennzeichen von falschem Meditieren, daß die logische Kritikfähigkeit leidet. Wenn z.B. eine Anhängerin des Yoga[cxxxi], welches sie aus einem Buch gelernt hatte, plötzlich die Meinung vertritt, daß jeder, der nicht an Wunder glaube, ein Vollidiot sei. Allerdings sah sie Berichten zufolge auch am hellichten Tag Ufos, welche für alle anderen unsichtbar waren. Diese aus den tiefsten Schichten der Seele stammenden Kräfte beherrschen dann das Denken in einer Weise, daß das Realitätsbewußtsein darunter leidet. Wenn ein Meditant nicht zwischen objektiver Wirklichkeit und subjektiver Realität unterscheiden kann, d.h. wenn er nicht mehr die Differenz zwischen den verschiedenen Realitätsebenen wahrnimmt, so ist dies ein zuverlässiges Kriterium für fehlgelaufene Meditationen. Bei richtigem Meditieren lernt man diese Dynamik zu steuern. Selbst-sein hat viel damit zu tun, daß man sich bei meditativen Übungen nicht an das Irrationale verliert, welches unbestrittenerweise auftritt. Selbst-werden beim Meditieren ist eine Form des Kampfes - des Kampfes, nicht sein eigenstes Ich[cxxxii] zu verlieren. Meditation kann weitgehend als Selbst-Entwicklung betrachtet werden.
Im Buch Meditation von Huth & Huth findet man bei der Erklärung der richtigen Meditationshaltung folgende Textstelle[294]:
»Zur richtigen Haltung gehört auch der gute Brauch in Ost und West, daß man sich zu Beginn und am Ende der Meditation tief verneigt. Darin drückt sich die Verehrung jener geistigen Wirklichkeit aus, zu der man bei der Meditation in Beziehung treten möchte. Zugleich ist die Verneigung ein Zeichen der Dankbarkeit für den Platz, an dem man die Kräfte zu konzentrieren versucht, und für die Zeit, die einem zur Sammlung, Einkehr und Begegnung mit dieser geistigen Wirklichkeit geschenkt worden ist.«
Welche geistige Wirklichkeit wird hier verehrt? Warum soll ich einem Platz dankbar sein? Im Zen ist die Verneigung vor dem Niedersetzen (Gasshó) ein Zeichen für die innere Demut und den Willen, die Einheit mit dem ganzen Universum zu erreichen.[295] Dies wäre für einen europäischen Materialisten ein völlig unverständliches Unterfangen. Dies würde bedeuten, daß er seinem eigenen Geist Verehrung zuwenden müßte[cxxxiii] und der un-bewußte Platz ist ein physikalischer Lokus, der nach Kriterien der Zweckmäßigkeit auszusuchen ist. Diesem Platz Dankbarkeit entgegenzubringen wäre paradox.
Allerdings hätte diese Verneigung Sinn, wenn sie als Beginn und Abschluß des meditativen Aktes verstanden würde und hätte damit eine psychohygienische Funktion[cxxxiv]. Der meditativen Tätigkeit Respekt entgegenzubringen[cxxxv], ist sehr ratsam - weil dadurch der Meditierende nicht leichtsinnig und im Üben schlampig wird. Leichtsinn und Schlampigkeit bergen nicht nur die Möglichkeit erfolglosen Bemühens in sich, sondern auch die Gefahr, gesundheitlichen Schaden zu nehmen.
Die Argumentationsstruktur bei diesen Beispielen von Engel und Huth läßt schließen, daß ein „transzendentes Denken“, welches durch meditative Praktiken kausiert wurde, die Logik der Argumentation diktiert[cxxxvi].
In der empirische Meditationsforschung wird versucht, Meditation nach (natur)wissenschaftlichen Kriterien zu erfassen und durch quantifizierende Verfahren einer vergleichenden Evaluierung zuzuführen. Diese Vorgangsweise ist zwar genuin wissenschaftlich, es stellt sich jedoch die Frage, ob damit das Wesen von Meditation erfaßt werden kann. Der Zweck von Meditation ist die bewußte Formung des menschlichen Geistes, als Produkt von Intellekt und Seele[cxxxvii]. Läßt sich der menschliche Geist quantifizieren? Kausalzusammenhänge mit meditativen Vorgängen herzustellen ist extrem schwierig. Meditanten üben regelmäßig, d.h. täglich, wodurch ein Kontinuum in der Entwicklung in beständiger Reziprozität mit dem existentiellen Sein gegeben ist. Die direkte Unterscheidung von Wirkungen aufgrund exogener[cxxxviii] oder endogener[cxxxix], nicht mit Meditation zusammenhängender Einflüsse ist oft unmöglich. Bei fehlgelaufenen Meditationen ist der Meditant oft nicht in der Lage festzustellen, ob seine Emotionen, wie Aggressionen, Ängste, etc., seiner eigenen Hypersensibilität zuzuschreiben sind, ob er die Ursache (fälschlicherweise) auf einen exogenen Verursacher projiziert, oder ob tatsächlich exogene, d.h. objektive Einwirkungen vorliegen. Meditation heißt, sich mit Willen einer Bewußtseinsgenese zu unterziehen. Der Wechsel der verschiedenen Bewußtseinsformen bringt immer eine gewisse Instabilität bzw. Unsicherheit bezüglich der vergangenen oder zukünftigen Bewußtseinsform mit sich[cxl]. Da es sich um geistige Prozesse handelt, sind sie sehr schwer „dingfest“ zu mache. Das Erlebnisbewußtsein ist kein zuverlässiges Kriterium, weshalb die Anwendung psychometrischer Mittel äußerst problematisch ist. Bei der Beantwortung von Fragebogen hat der Proband das Problem, seine eigene subjektive Sicht, sowie sein eigenes Sprachempfinden der vorgegebenen Struktur der Frage anzupassen, was oft in einer nur sehr defizienten Weise durchgeführt werden kann. Wenn es sich um keine Langzeitstudie handelt, ist die Beantwortung immer nur eine Momentaufnahme, d.h. sie unterliegt sehr stark dem Zufall der jeweiligen endogenen oder exogenen Bedingungen. Bei Langzeitstudien ergibt sich das Problem, das sich die Zuordnung eines bestimmten Phänomens in der subjektiven Welt des Erlebens im Laufe der Jahre ändert und sprachlich anders artikuliert[cxli], d.h. die Sprache ändert sich, womit ein Fragebogen „veraltet“. Ändert sich im Laufe der Zeit das Phänomen? Oder das subjektive Empfinden (Bewußtsein)? Oder ändert sich nur der sprachliche Ausdruck?
Als Alternative werden physiologische Messungen vorgenommen, was eine eindeutige Objektivierung darstellt. Problematisch ist hier jedoch die Interpretation der Ergebnisse. Wenn eine Studie eine Erhöhung des galvanischen Hautwiderstandes von 160%, eine andere aber nur einen Anstieg von 30 - 40% berichtet:[296] Stützen solche - stark divergierende - Werte[cxlii] tatsächlich die Hypothese, daß diese Erhöhung als Symptom für nachlassenden Streß zu deuten ist?[297] Was bedeutet es, wenn Yogis in der meditativen Versenkung exogenen, physischen Reizen ausgesetzt werden und sich der Alpha-Rhythmus nicht ändert?[298] Sind solche physikalisch meßbaren Ergebnisse[cxliii] ein Zeichen für den Wert von Meditation?
Die Operationalisierungskriterien stellen ein weiteres Problem dar. So wird z.B. Intelligenz zu dem, was ein bestimmter Intelligenztest mißt.[299] Ott weist auf die Schwierigkeit hin, daß die entsprechenden Kriterien von modernen Forschern stammen, welche den traditionell-religiösen Interpretationsmustern vieler Meditationsformen fremd sind.[300] Außerdem wird der Verlauf einer Meditation schon durch das Faktum des Erfassens eines bestimmten Kriteriums beeinflußt, wie der Verfasser aus eigener Erfahrung weiß. So wird z.B. eine Bewußtseinsbeeinträchtigung schon durch das Wissen um eine Zeitmessung verursacht.
Da sich Meditation auf die gesamte Existenz entwirft und sich auch auf das ganze existentielle Sein auswirkt, kann man von der empirischen Meditationsforschung nicht erwarten, daß sie das Wesen der meditativen Prozesse erfaßt. Erwarten läßt sich aber sicherlich à la longue ein wissenschaftliches[cxliv] Verständnis der psychischen und physischen Abläufe im meditativen Akt.
»Philosophieren ist der Entschluß, den Ursprung wach werden
zu lassen, zurückzufinden zu sich und im inneren Handeln nach Kräften sich
selbst zu helfen.«
Karl Japsers, Einführung in die Philosophie, S. 93
In der indischen Philosophie wurde die Richtigkeit eines Systems darin gesehen, daß der Weise sich an die Prinzipien seiner Lehre gebunden fühlte und sie in die Praxis umsetzte[301]. In der europäischen Antike implizierte Philosophie zwar immer eine bestimmte Lebensweise, Priorität wurde jedoch auf die erkenntnistheoretische Wahrheit einer Lehre gelegt. In den Platonischen Dialogen zeigt sich der Geist des Logos im dialektischen Diskurs. Es wäre undenkbar gewesen, eine philosophische Lehre nur deshalb zu akzeptieren, weil sie vom Philosophen gelebt wurde. Wenn auch der Bezug zur Praxis wichtig war[cxlv], so war die Wahrheit[cxlvi] der Lehre unerläßlich. In der chinesischen Philosophie war ein Konfuzius Bewahrer und Wiederhersteller der alten Ordnung; der antike, altgriechische Philosoph richtete seine Blick jedoch in die Weite, sodaß ein Thales in die Grube fiel, weil er nach den Sternen blickte und die Magd, welche dies sah, amüsierte sich darüber köstlich. Sie, die in den praktischen Dingen bewandert war, konnte offensichtlich nicht verstehen, daß ein Weiser so dumm sein und in den einfachsten Dinge des Lebens so versagen konnte[cxlvii]. Diese Eigenschaft des altgriechischen Geistes, für neue Dinge offen zu sein und nach logischen Kriterien zu analysieren, hat die europäische Form von Wissenschaftlichkeit hervorgebracht, welche heute in der Eroberung des Weltraums gipfelt. Entscheidend für diese Entwicklung war die Emphase des rationalen, logischen Denkens, welches sogar im dunklen Mittelalter, als die Philosophen nur durch die Erfindung der doppelten Wahrheit in einem religiösen Zeitalter des Wunder- und Aberglaubens überleben und philosophieren konnten, ihre Vertreter hatte[cxlviii]. Mit der mittelalterlichen Universität als Stätte der weltlichen Lehre von Wissenschaft und Forschung hatte auch die Philosophie, die Magd der Theologie, ihren Wirkungskreis gefunden. Die rudimentären Kenntnisse der antiken Philosophie erweiterten sich schlagartig mit dem Fall von Konstantinopel im Jahr 1453 und der damit verbundenen Flucht der griechischen Gelehrten in den Westen. Die Veränderung des Weltbildes durch die Entdeckung Amerikas, das Bekanntwerden Kopernikus’ De revolutionibus orbium coelestium, sowie der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse Galileis und Keplers trug dazu bei, das Primat der kirchlichen Weltsicht zu brechen. Während im 17. Jahrhundert die letzten großen Vertreter der indische Philosophie lebten[302], leitete Descartes in Europa die neuzeitliche Philosophie ein. Mit seinem »cogito, ergo sum« setzte er das menschlichen Bewußtsein seiner selbst in das Zentrum der Welterkenntnis, dieses Ich war der Garant für Existenz, für Dasein. Noch immer mußte man die kirchliche Inquisition fürchten, wissenschaftliche Erkenntnisse wurden anonym publiziert, die Aufklärung war aber nicht mehr aufzuhalten, und Kant, ein gläubiger Christ, kam in seiner Untersuchung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit zum Schluß, daß sich Gott nicht mit rationalen Mitteln beweisen ließ und destruierte nicht nur sämtliche bis auf das Mittelalter zurückgehenden Gottesbeweise, sondern auch die gesamte Metaphysik derart nachhaltig, daß sich nach ihm kein Philosoph als Metaphysiker im Sinne der klassischen Metaphysik bezeichnen würde. Die Einzelwissenschaften haben sich im Laufe der Geschichte von der Mutter aller Wissenschaften, der Philosophie, emanzipiert, nun tritt eine gegenläufige Bewegung ein: Die Ergebnisse der Einzelwissenschaften befruchten das philosophische Denken bis zum heutigen Tag. So produziert die Physik ein Weltbild, welches nicht mit dem physikalischen Wissen interpretierbar ist. Physiker werden Philosophen, um Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Philosophen deuten die Ergebnisse der physikalischen Forschung und hinterfragen sie.
So wird in der Physik die Raumkrümmung gelehrt, eine paradoxe, rational für den allgemeinen Verstand nicht einsehbare Lehre. Wie kann der Raum gekrümmt sein? Man mache ein Gedankenexperiment: Man lasse die gesamte Materie des Universum verschwinden - ist der Raum dann noch gekrümmt? Angenommen, die „Raumkrümmung“ wird durch die Gravitationsfelder der Materie[cxlix] verursacht und das Licht, das schnellste Medium unserer Kenntnis nach, wird dadurch aufgrund seiner Partikel-Natur[cl] abgelenkt: Erfolgt die Ablenkung aufgrund einer im Raum befindlichen, „unsichtbaren Struktur“ oder aufgrund der Anziehung der Partikel-Masse des Photons durch die Gravitation? Wenn Kant sagt, »der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor«[303], so kann dies als Beispiel dafür angeführt werden[cli]. Einstein fand in der Riemannschen Geometrie die Berechnungsmöglichkeiten, welche in der Euklidischen nicht gegeben waren - und nahm eine „Raumkrümmung“ an, wodurch astronomische Phänomene in den Bereich der mathematischen Verfügbarkeit kamen.
Es sei weiters auf die Quantenphysik hingewiesen, welche mit ihren Experimenten enorme Probleme für die Logik aufwirft. Durch die quantenphysikalische Forschungsarbeit werden die elementarsten Sätze der Logik[clii] in Frage gestellt[cliii], welche die Grundlage jeder rationalen Analyse und damit von Welterkenntnis sind. Sind die Quantenphysiker deshalb nicht in der Lage, die auftretenden quantenphysikalischen Phänomene zu deuten, weil sie in empirischen Kategorien der makroskopischen Welt denken? Sie denken in „makroskopischen Sprachkategorien“[cliv], welche offensichtlich nicht geeignet sind, die mikroskopische Welt der Quanten zu erfassen. Durch die Quantenphysik wird die Frage nach der rationalen Erkennbarkeit des Seins aufgeworfen; beim derzeitigen Stand der Forschung wäre es jedoch ein großer Fehler, deshalb das Denken nach rationalen Kriterien aufzugeben. Rationalität hat ihre Grenzen, die Undeutbarkeit der quantenphysikalischen Forschungsergebnisse aber als Argument für irrationale Lebensweisen und Erklärungsmodelle anzuführen und das wissenschaftliche Denken als minderwertig zu betrachten[clv], würde einen Rückschritt in der Entwicklung der Menschheit bedeuten.
Philosophisches Denken ist universalistisches Denken in dem Sinne, daß es nicht einer bestimmten Methodenrestriktion unterliegt oder sich ausschließlich partikulären Aspekten des Seienden zuwendet, es ist jedoch immer logischer Konsistenz und Stringenz verpflichtet. Logische Intelligenz hat sich als besonders geeignet für die Analyse naturwissenschaftlicher Phänomene erwiesen und die Philosophie europäischer Provenienz ist auch in unserer Zeit noch immer in der Lage mit den Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung Schritt zu halten, wozu Philosophien eher mythischer Orientierung, wie die indische, offensichtlich nicht in der Lage waren. Die europäische Philosophie reduzierte sich aber schon in der Antike nicht auf eine (physikalische) Welterklärung. Es wurde nicht nur die Frage nach dem Wesen der Dinge, sondern auch die Frage nach dem Wesen des Menschen gestellt. Protagoras beantwortete die Frage mit dem Homo-mensura-Satz, wodurch die Relativität der menschlichen Existenz und ihrer Erkenntnisfähigkeit in ihren verschiedenen Aspekten ausgedrückt wurde[304]. Die Frage nach dem Mensch-Sein wurde jedoch nicht nur in der Philosophie tradiert, sondern auch in der christlichen Lehre. Der Apostel Paulus forderte die Bekehrten auf, ihren früheren Wandel in der Sünde, den alten Menschen, abzulegen und in Christus neue Menschen zu werden, d.h. ein Leben zu führen, welches dem Tugendkatalog der christlichen Lehre entspricht. Ihr Trachten soll auf das Himmlische gerichtet sein.[305] Dieser Gedanke des neuen Menschen taucht im Mittelalter (Augustinus, Anselm von Canterbury)[306] bis in die Neuzeit (Jakob Böhme, Kant)[307] noch in religiösem Kontext auf. Mit Herder bekommt dieser Begriff jedoch die Bedeutung einer kulturellen Entwicklung[308]. Bei Schleiermacher taucht die Forderung nach einer individuellen Ausprägung von Religion für den Menschen auf[309], »… indem ein Teil des unendlichen Bewußtseins sich losreißt und als ein endliches an einen bestimmten Moment in der Reihe organischer Evolutionen sich anknüpft, ein neuer Mensch entsteht, ein eignes Wesen …«.[310] Die Aufklärung führte zur religiösen Toleranz und zum Ideal einer Erziehung zur Humanität[clvi]. Kant forderte: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«[311].
Der neue Mensch wurde einer, welcher seinen Weg aus eigener Kraft ging und sich eigene Ziele setzte. In der Antike hatte das »Übermenschliche« die Bedeutung von »göttlich«, bei Nietzsche war der Übermensch einer, der den Menschen überwinden sollte[clvii]. In Nietzsches Abwendung vom Christentums ließ er seinen Übermenschen das Ziel im Irdischen sehen.[312] Gott könne man nicht schaffen, aber den Übermenschen,[313] nur im Tod Gottes könne der Übermensch entstehen.[314] Nietzsche propagierte die absolute Selbst-Ständigkeit des Individuums, die Freiheit des Willens in seiner Eigen-Mächtigkeit. »Da es keinen Gott mehr gibt, ist die Einsamkeit nicht mehr zu ertragen«, deshalb müsse der hohe Mensch ans Werk[315]. Das Wesentlichste im höheren Menschen ist das Gefühl »wer bin ich? wer ist der andere im Verhältnis zu mir?«; Mitleid ist nicht die Motivierung seines Handelns.[316] Eudämonistische Wertmaße sind ein Zeichen von Rückgang. Der höhere Mensch unterscheidet sich vom niederen durch die Furchtlosigkeit und Herausforderung des Unglücks. Das Christentum mit seiner Perspektive auf Seligkeit sei eine typische Denkweise für eine leidende und verarmte Gattung Mensch. Eine volle Kraft wolle schaffen, leiden, untergehen.[317] »Wer ganz tief und stark sein eigenes Ideal fördert, kann gar nicht an andere glauben, ohne sie abschätzig zu beurteilen - Ideale geringerer Wesen, als er ist. Die absolute Höhe unseres Maßstabes ist eben der Glaube an das Ideal.«[318] »Wir haben die Welt, welche Wert hat, geschaffen!«[319] »Moral ist die Lehre von der Rangordnung der Menschen … also die Lehre von den menschlichen Wertschätzungen in betreff alles Menschlichen.«[320] Nietzsche sieht in einer absoluten Moral mit ihrem unbedingten Wahrheits- und Gefolgsanspruch für sich - und die Menschen - den Untergang, weshalb die Vernichtung von Moral in seinem Interesse liege. »Um leben und höher werden zu können - um den Willen zur Macht zu befriedigen -, müßte jedes absolute Gebot beseitigt werden. Für den mächtigsten Menschen ist auch die Lüge ein erlaubtes Mittel, beim Schaffen: ganz so verfährt die Natur.«[321] » - es gibt weder moralische, noch unmoralische Handlungen.«[322] Das Moralische ist wesensgleich mit dem Unmoralischen. Jede Entwicklung der Moral ist mit unmoralischen Mitteln zu unmoralischen Zwecken ermöglicht worden. Das verrufene Unmoralische ist, ökonomisch betrachtet, das Höhere und Prinzipiellere und eine größere Fülle des Lebens bedingt notwendig auch den Fortschritt der Unmoralität.[323] »Moral gehört ins Reich der Erscheinung.«[324] Die Moral der Selbsterhaltung ist bei weitem das feinste System der Moral.[325] »Alles Geschehen aus Absicht ist reduzierbar auf die Absicht der Mehrung der Macht.«[326] Dem Begriff «Kraft», mit dem die Physiker Gott und die Welt geschaffen haben, muß nach Nietzsche ein innerer Wille zugesprochen werden, welchen er »als „Willen zur Macht“, d.h. als unersättliches Verlangen nach Bezeigung der Macht; oder Verwendung, Ausübung der Macht, als schöpferischen Trieb, usw.« bezeichnet.[327] Der Mensch strebt nicht nach Glück, sondern nach Macht.[328] Unsere Werte werden in die Dinge hineininterpretiert[329], »Wert ist das höchste Quantum Macht, das der Mensch sich einzuverleiben vermag - der Mensch: nicht die Menschheit! Die Menschheit ist viel eher noch ein Mittel als ein Ziel.«[330] Der Mächtige, der gewohnt ist, Wert zu geben, urteilt, daß etwas an sich gut ist, was für ihn gut ist.[331] Gut und Böse sind nur Perspektiven, im ganzen ist alles Böse genauso notwendig wie das Gute.[332] Das Böse ist die Quelle des Guten.[333] Ein tugendhafter Mensch ist eine niedrigere Spezies, weil er keine «Person» ist und seinen Wert dadurch erhält, daß er in ein Schema Mensch paßt; er kann verglichen werden, er soll nicht einzeln sein.[334] Alle großen Menschen waren Verbrecher, im großen Stil und nicht im erbärmlichen, das Verbrechen gehört zur Größe.[335] Ein Verbrecher ist ein Mensch, der sein Leben, seine Ehre, seine Freiheit riskiert, er ist ein Mann des Muts.[336] »Ein großer Mensch wird gestoßen, gedrückt, gedrängt, hinaufgemartert in seine Höhe.«[337] An die Stelle des Genies setzt Nietzsche den Menschen, der über sich selber den Menschen hinausschafft, an die Stelle des Philosophen den freien Geist, den Erlöser von Moral.[338] Wir wehren uns gegen die wilden Energien, solange wir sie nicht als Kraft zu nützen wissen, und so lange nennen wir sie böse. Die Frage ist, wie macht man Verbrechen nützlich, wie macht man seine eigene Wildheit nützlich?[339] »Werde fort und fort, der du bist - der Lehrer und Bildner deiner selber![340] Der ökonomische Verbrauch von Mensch und Menschheit bedingt die Entwicklung eines Luxusüberschusses der Menschheit, einen Menschen der stärkeren Art, des höheren Typus, den Übermenschen, welcher die Gegnerschaft der Menge und der «Nivellierten» braucht.[341] Ein großer Mensch verachtet alles kleine Zeug und wirft es weg[clviii]. Es fehlen ihm die Tugenden, welche mit «Achtung» und Geachtet-werden zusammenhängen, er hat keine Furcht vor der «Meinung». Er will kein «teilnehmendes» Herz, sondern Diener und Werkzeuge, er will etwas aus ihnen machen. In ihm ist Einsamkeit, unerreichbar für Lob und Tadel, »eine eigene Gerichtsbarkeit, welche keine Instanz über sich hat.«[342] Die Selbstüberwindung ist die Stufe der Überwindung des Menschen.[343] Ziel ist es nicht, Menschen «besser» zu machen, einen idealen, moralischen Menschen zu schaffen, »sondern Zustände schaffen, unter denen stärkere Menschen nötig sind, welche ihrerseits eine Moral (deutlicher: eine leiblich-geistige Disziplin), welche stark macht, brauchen und folglich haben werden.«[344]
Dieses Menschenbild zeugt von dem Wunsch einer maßlosen Entfaltung der eigenen Bedürfnisse. Nietzsche entwickelte es aus einem tödlichen Haß gegen das Christentum[345] und seine Ablehnung richtet sich gegen das christliche Verständnis von Moral, er verwirft damit aber jegliche Form von Moralität. Das hemmungslose Ausleben der eigenen Triebhaftigkeit entspricht einem infantilen Lebensgefühl, nicht der Weltsicht eines reifen Menschen, der sich der Unmöglichkeit einer hemmungslosen Befriedigung im gemeinschaftlichen Leben bewußt ist. Bei einem primitiven Verständnis dieser Lehre, d.h. ohne die humanistischen Aspekte zu berücksichtigen[clix], entartet es in ein Herrenmensch-Denken, welches alle Mitmenschen instrumentalisiert und als Untermenschen, d.h. als „Gebrauchsgegenstand“ betrachtet. Das Ego steht im Zentrum des Machtdenkens.[clx] Diese Destruktion von Moral ist nicht einer Kritik von Moral gleichzusetzen. Es läßt sich wohl heute nicht mehr feststellen, inwieweit das Denken Nietzsches die Entwicklung Europas im 19. und 20. Jahrhundert beeinflußt hat, aber die Destruktion der Werte hat im 20. Jahrhundert in Verbindung mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung zu einer Werte-losen Gesellschaft geführt, welche ihr Ziel und ihre Bestimmung in einer maßlosen Vergnügungs- und Konsumsucht sieht und in ihrem Streben sogar die eigenen Lebensgrundlagen zerstört. Die Auflösung der Moral hat nicht nur zur Zerstörung der Scheinmoral, sondern zur Auflösung jeglicher moralischer Wertvorstellungen geführt.
In der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts wird das Menschenbild anders definiert. Martin Heidegger untersucht in Sein und Zeit die Bedingungen und Möglichkeiten, welche das Sein und das Wesen des Menschen in seinem Existieren, seinem Da-sein, in dieser Welt ausmachen[clxi]. Die Frage nach dem Sinn von Sein und eine Interpretation der Zeit als des (einzig) möglichen Horizonts jedes Seinsverständnisses überhaupt wird gestellt. Der Mensch heißt »Dasein«[clxii] und die (physikalische) Welt, in der er sich aufhält, ist das Seiende im »Sein«. Die Frage, was der Mensch sei, wird als gleichrangig betrachtet wie die Seinsfrage selbst. Das In-der-Welt-sein wird als Grundverfassung des Daseins definiert. Räumlichkeit und Zeitlichkeit werden als Grenze des Daseins bestimmt. Selbstsein und Mitsein, die Gemeinschaft mit anderen Menschen in der Welt wird als wesentlich erachtet. Analysiert wird das eigentliche Sein des Menschen, das Selbstsein, und das »Verfallen« des Menschen in der Welt. Im Verfallen geht der Mensch seines eigensten Selbstseins verlustig, m.a.W. der Mensch verliert seine nur ihm eigene, subjektive Individualität. Er existiert nicht seinem ihm eigensten Wesen entsprechend. Der Mensch kann sich an die alltägliche Geschäftigkeit seiner Umwelt verlieren, aber auch an die entfremdete Form der menschlichen Gemeinschaft, dem »Man«. Das »Man« ist jeder und niemand, es ist niemand zuständig oder verantwortlich, es fehlt das konkrete Individuum. Heidegger läßt das Gewissen, den Menschen zum eigensten Selbstseinkönnen aufrufen. Es ist kein moralisches Gewissen, sondern ein existenziales[clxiii]; es ist der Ruf zu einer unverfälschten Lebensweise (zur »eigentlichen Existenz«). Daraus erst entspringt die Voraussetzung für das moralisch Gute und Böse[clxiv]. Heidegger hat nicht eine ethische Analyse des Menschen geliefert, sondern eine existenzial-ontologische. Die Priorität des Todes in seinem Denken, wofür er oft kritisiert wurde, ist nicht eine „Todessehnsucht“ oder ein Favorisieren des Todes, sondern die richtige Erkenntnis, daß sich dem Menschen im Angesicht des Todes seine eigene Endlichkeit bewußt wird[clxv]. Die Endgültigkeit dieses unabwendbaren Geschehens drängt sich auf - kein Mensch kann dem Tod entfliehen. Welche Strategien er auch im Existieren entwickelt, welche ihn seinem eigensten Sein entfremden, alle diese Strategien des Verfallens versagen, wenn der Tod zuschlägt. Dem eigenen Tod kann niemand entkommen. Der Verlust geliebter Menschen hinterläßt traumatische Narben, die Beobachtung des Todes der anderen Menschen läßt den unausweichlichen Schluß zu: Alle Menschen sind sterblich - ich auch! Der Tod führt den Menschen in die Angst. Mit dem Tod ist die Wiederholbarkeit endlicher Gegebenheiten zu Ende, wird das Sein zum Nicht-mehr-sein. Diese Angst[clxvi] um die je eigene Existenz läßt den Menschen seine eigene Zukunft erkennen und sein Schicksal (d.h. sein je eigenstes Sein) ergreifen. Der Tod bewahrt damit den Menschen - nach Heidegger – davor, sein eigenstes Selbst-Sein zu verlieren bzw. ermöglicht, es zu gewinnen. Um sich in seinem Leben zu verwirklichen[clxvii], ist das eigentliche Sein das notwendige Apriori. Die »Eigentlichkeit« der Existenzphilosophie ist als das unverfälschte Bewußtsein seiner selbst und der damit verbundenen Lebensweise zu charakterisieren. Falsches Wissen und die damit verbundene falsche Lebensweise führt zum Verlust des eigenen Lebens, weil z.B. falsche Ziele verfolgt werden. Die Transzendenz ist bei Heidegger die Frage nach der Realität überhaupt. Wesentlich für die Transzendenz ist die Fähigkeit des menschlichen Geistes, die Zeit - Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart - zu erfassen[clxviii].
In der Existenzphilosophie Karl Jaspers’ ist »Transzendenz« die philosophische Entsprechung für die mythische Bezeichnungen »Gott«[346]. Das echte Bewußtsein von Transzendenz wehrt sich gegen eine Vorstellung von Gott als Persönlichkeit.[347] Die Wirklichkeit von Transzendenz ist zwar nicht eine empirische, sie jedoch als jenseitige, als metaphysische, anzusehen, wäre eine trügerische Weltverdoppelung.[348] »Transzendenz ist uns nur wirklich als Gegenwart in der Zeit.«[349] Die eigentliche Wahrheit von Transzendenz erfaßt sich als geschichtliche und nicht als allgemeingültige.[350] In den Chiffren als Sprache der Transzendenz ist die metaphysische Gegenständlichkeit präsent.[351] »Die Chiffre ist das Sein, das Transzendenz zur Gegenwart bringt…«[352], sie ist jedoch nicht deutbar.[353] Transzendenz hat zwar Subsistenz, ist jedoch nicht wie die Dinge der Welt zugänglich. Im Lesen ihrer Chiffrenschrift wird nicht ein unabhängig bestehendes Sein erfaßt. Das Lesen der Chiffren wird nur durch Selbstsein möglich. »Von der Transzendenz aber vernehme ich nur soviel, als ich selbst werde; erlahme ich, so trübt sie sich in ihrer an sich steten Gegenwärtigkeit; erlösche ich bis zum Dasein[clxix] eines bloßen Bewußtseins überhaupt, ist sie verschwunden; erfasse ich sie, so ist sie für mich das Sein, das allein ist und ohne mich bleibt, was es ist.«[354] Ohne Transzendenz verliert Existenz ihr eigentliches Selbstsein[355].
»Existenz ist, was nie Objekt wird, Ursprung, aus dem ich denke und handle, worüber ich spreche in Gedankenfolgen, die nichts erkennen; Existenz ist, was sich zu sich selbst und darin zu seiner Transzendenz verhält.«[356] Der Kern der Weltanschauung ist Glaube; es ist unmöglich, allein durch Denken die Wahrheit zu finden.[357] »Der Zugriff zur Erhellung der Existenz bleibt für den bloßen Verstand ein hoffnungsloser Versuch.«[358] »Existenz selbst ist unverstehbar.«[359] In der Existenzerhellung erfolgt die denkende Vergewisserung des Durchbruchs des Weltdaseins. Mögliche Existenz verwirklicht sich, ohne die Grenze der Möglichkeit verlassen zu können.[360] Mögliche Existenz transzendiert alles Dasein und Objektsein.[361] »Das eigentliche Sein, in einem wißbaren Sinn nicht zu finden, ist in seiner Transzendenz zu suchen, zu der kein Bewußtsein überhaupt, sondern nur jeweils Existenz in Bezug tritt.«[362]
»Wenn ich frage, was ich meine, wenn ich „Ich“ sage, so
ist die erste Antwort: Ich habe mich, wenn ich über mich nachdenke, zum Objekt
gemacht; ich bin dieser Körper als dieses Individuum, mit einem unbestimmten
Selbstbewußtsein im Spiegel meiner Geltung für meine Umgebung: Ich bin als empirisches
Dasein. - Ich bin zweitens als ein „Ich“
wesentlich identisch mit jedem anderen Ich: ich bin vertretbar. Diese
Vertretbarkeit ist nicht gemeint als die Identität der Durchschnittseigenschaften
empirischer Individuen, sondern als das Ichsein überhaupt, das die Subjektivität
als Bedingung allen Objektseins bedeutet: ich bin als Bewußtsein
überhaupt. - Drittens erfahre ich mich in
der Möglichkeit zur Unbedingtheit. Ich will nicht nur wissen, was da ist, in
Grund und Gegengrund, sondern aus der Unbegründbarkeit eines Ursprungs wissen,
und habe handelnd Augenblicke, in denen ich mir gewiß werde: was ich jetzt
will und tue, das will ich eigentlich selbst. So will ich sein, daß dieses
Wissenwollen und Handeln zu mir gehört. In der Weise wie ich wissen und handeln
will, überkommt mich mein Wesen, das ich, seiner gewiß, dennoch nicht kenne.
Als diese Möglichkeit, daß Freiheit des Wissens und Handelns ist, bin ich „mögliche
Existenz“«.[363]
Für Jaspers ist das einzige, eigentlich Seiende, das ihm begegnet, der Mensch, der er selbst ist.[364] Der eigentliche Mensch ist sich zugleich Aufgabe und sich selbst verantwortlich.[365] Selbstwerdung geschieht durch Selbstüberwindung in der Selbstreflexion, bis sich das über dem Charakter stehende »ich selbst« als ein frei gewolltes entfaltet und sich als Schuld (für sein Sosein) übernimmt.[366] In der Kommunikation liegt der Ursprung für das Selbstsein in der Gemeinschaft.[367] Den Lebenssinn im »ich allein« zu fassen, ist ungenügend.[368] Der Mensch kann nur er selbst werden, wenn der andere er selbst sein will; kann nicht frei sein, wenn der andere nicht frei ist; kann sich seiner nicht gewiß sein, wenn er sich nicht auch des anderen gewiß ist.[369] Selbstliebe ist nur durch Liebe zum anderen möglich.[370] In der Kommunikation als Dasein, d.h. im Leben mit den anderen, fällt das einzelne Bewußtsein mit dem allgemeinen Bewußtsein der ihn umgebenden Menschen zusammen. Im naiven Dasein wird der Mensch vom Denken, Glauben und Tun der anderen assimiliert. Undifferenziert werden die Meinungen, Ziele, Ängste, Freuden von einem zum anderen übertragen.[371] In der existentiellen Kommunikation wird der andere in seiner Einzigartigkeit erfaßt und ist nur aus Freiheit als Möglichkeit zu ergreifen.[372] Kommunikation wird nur in möglicher Existenz verwirklicht.[373] Dasein ist ein ständig wechselndes Sein in Situationen. Der Mensch kann nie aus einer Situation heraus-, ohne in eine andere Situation einzutreten.[374] In der Grenzsituation[clxx], d.h. in »Situationen wie die, daß ich immer in Situationen bin, daß ich nicht ohne Kampf und ohne Leid leben kann, daß ich unvermeidlich Schuld auf mich nehme«[375], entsteht mögliche Existenz[clxxi]. »Wir werden wir selbst, indem wir in die Grenzsituation offenen Auges eintreten.«[376]
Kampf ist bei Jaspers ein zentrales Thema[clxxii]. Er differenziert zwischen dem Daseinskampf, in dem der andere als Feind gilt, die Nutzung aller Waffen, die Anwendung von Trug und List unvermeidbar sind, und dem existentiellen Kampf[clxxiii], in dem es »um die restlose Offenheit, um die Ausschaltung jeder Macht und Überlegenheit, um das Selbstsein des Anderen so gut wie um das eigene« geht.[377] Zwei Existenzen kämpfen nicht gegeneinander, sondern es ist »ein gemeinsamer Kampf gegen sich selbst und den anderen, aber allein Kampf um Wahrheit«[378]. Dieser Kampf ist nicht Trennung, sondern »der Weg der wahrhaften Verknüpfung der Existenzen«.[379] In dieser kämpfenden Kommunikation[380] »werde ich mir mit dem Anderen offenbar. Dieses Offenbarwerden ist jedoch zugleich erst Wirklichwerden des Ich als Selbst«.[381] Im Kampf mit Gewalt wird bezwungen, begrenzt, unterdrückt, Raum geschaffen. In diesem Kampf kann Dasein eingebüßt werden. Im Kampf der Liebe gibt es keine Gewalt. Hier handelt es sich um eine Infragestellung mit dem ausschließlichen Willen zur Offenbarkeit; »in diesem Kampf kann ich mich versteckend ausweichen und als Existenz versagen.«[382]
In
der Existenzphilosophie, sowohl bei Heidegger als auch bei Jaspers, ist die
gleiche Thematik zu finden. Bei beiden geht es um das Menschsein, wobei
Heidegger mit seiner Sprache eine Analyse mit formalen Strukturen geliefert
hat, welche eine Umsetzung für das praktische Leben sehr schwierig, wenn nicht
sogar unmöglich macht. Heidegger differenziert zwischen einer ontologischen und
einer theologischen Transzendenz[383],
wobei die theologische für ihn eine eher historische Bedeutung hat.[384]
Die Transzendenzproblematik stellt sich für ihn als Frage nach dem Sinn von
Realität, »nach der möglichen Transzendenz des Bewußtseins in die ›Sphäre‹ des
Realen«[385]. Dieser
Zugang des subjektiven Individuums zur objektiven Welt hat einen herausragenden
Stellenwert.[clxxiv] Die
Fähigkeit des Menschen, „aus sich herauszugehen“ und mit seinen intellektuellen
Fähigkeiten die zeitlichen Dimensionen zu erfassen, ermöglicht ihm die Welt zu
verstehen und in ihr zu leben.[clxxv]
In diesem Transzendenzverständnis liegt keine „Jenseitsorientierung“. Die
Frage nach Transzendenz ist die Frage der Subjekt-Objekt-Beziehung und das
Verstehen, was Welt ist.[clxxvi]
Im Denken wird diese (physikalische)
Welt jedoch nicht transzendiert.
Bei
Jaspers wird jedoch »Existenz« von der Transzendenz her definiert, der Sinn von Sein ohne Transzendenz führt in
die Sinnlosigkeit. Es ist eine denkerische Form des Glaubens, welche nicht ein
Sein in einem Jenseits sucht, dieses mögliche Jenseits jedoch als das sinnvolle
Apriori von Existenz postuliert. Die Zurückweisung von Transzendenz als Person
und die Emphase auf »Transzendenz« als philosophischen Begriff darf nicht
darüber hinwegtäuschen, daß der mythische Gottesbegriff hier in einer
veränderten Sprachgestalt wieder eingeführt wird. Philosophisch interessant
sind diese verschiedenen Transzendenzbegriffe deshalb, weil diese
verschiedenen Denkhorizonte
divergierende Weltorientierungen nach sich ziehen, d.h. verschiedene Welthorizonte statuieren. Das Denken verläuft anders, wenn auch
jede Hoffnung auf Transzendenz aufgegeben wird. Theistisches Denken unterliegt
anderen Gesetzmäßigkeiten als atheistisches. Es verändert sich, z.B., die
Wertewelt des Daseins durch die Erwartung eines ewigen Lebens.[clxxvii]
In der
Person Martin Heideggers wird ein philosophisches Problem virulent: Führt die
Beschäftigung mit Philosophie zur Weisheit? In welcher Weise wird ein Mensch
durch philosophische Studien geformt?
Heidegger
wird als einer der größten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts – wenn
nicht überhaupt als der größte - angesehen. Trotzdem folgte er zwischen 1933
und 1934 dem damaligen politischen Trend und stellte sich in die Reihen der
nationalsozialistischen Bewegung. Am 21. April 1933 zum Rektor der
Universität Freiburg gewählt, reichte er am 23. April 1934 sein
Rücktrittsgesuch ein und enthielt sich in der Folge jeglicher politischer
Tätigkeit. Jaspers übte an Heidegger die Kritik, daß er in seiner politischen
Betätigung wie ein dummes Kind seine Arme in den Gang der Geschichte gestreckt
und dabei das Glück gehabt habe, vom Rad der Geschichte nicht zermalmt zu
werden, sondern nur einige Schrammen davongetragen zu haben[386].
Diese Kritik ist keine Empfehlung für den größten, philosophischen Geist des
zwanzigsten Jahrhunderts. Es stellt sich die Frage, wie dies passieren
konnte: Wie konnte es passieren, daß Heidegger die Zeichen der Zeit nicht verstand?
Liegt dies daran, daß die universitäre Philosophie zu einem weltfremden Theoretisieren
verleitet, sodaß die Reflexion des Lebens zu kurz kommt und dadurch eine
defiziente Weltorientierung auftritt? Die Möglichkeit zu irren, ist der
menschlichen Natur eigen und deshalb nichts Besonderes, Philosophen sind
davon nicht ausgenommen. Bei Heidegger handelt es sich jedoch nicht um „irgendeinen“
Denker, sondern um einen der ganz großen, weshalb dieser Fehler besonders
schwer wiegt. Er führt aber auch zur Frage, worin der Sinn einer Beschäftigung
mit Philosophie liegt, wenn einer ihrer größten Vertreter in seinem Denken so irren kann.
»…nicht der Schein und die Täuschung, sondern nur das Wahrhafte
vermag das Wahrhafte erzeugen.«
Hegel, Vorlesungen über Ästhetik,
Bd. I, S. 17
Es werden in dieser Arbeit keine Meditationstechniken vorgestellt, weil für das gefahrlose Erlernen solcher Techniken nach Auffassung des Verfassers ein Lehrer notwendig ist.[clxxviii]
Aufgezeigt werden soll, daß diese alten Techniken noch immer hoch aktuell sind, aber aus heutiger Sicht die traditionell damit verbundenen Weltbilder - die Sichtweisen von Welt – nicht als notwendiges Apriori einer erfolgreichen Meditationspraxis betrachtet werden müssen. Es besteht keine Notwendigkeit, Meditation mit einer metaphysisch transzendenten Ausrichtung zu verbinden, damit sie „wirkt“. Unbestritten sei, daß das spirituell-religiöse Element solcher Praktiken, das wichtigste Ingrediens eines meditativen Weges ist, weil dadurch die Richtung vorgegeben wird. Im westlichen Kulturraum bietet sich Philosophie als „Ersatz“ für die religiöse Spiritualität des Ostens an. Das philosophische Denken des Abendlandes stellt ein reiches geistiges Erbe dar, welches durchaus in der Lage ist, die religiös-mythische Komponente des Ostens in meditativen Techniken vollwertig zu ersetzen. In der philosophischen Tradition gibt es allerdings nicht das blinde Vertrauen in eine bestimmte Lehre, die mit einem absoluten Wahrheitsanspruch als die beste aller Lehren auftritt[clxxix]. Philosophieren heißt kritisch zu prüfen - Kritik zu üben - bevor ein Philosophem akzeptiert wird. Der philosophische Geist ist nicht ein eindeutiger, wie auch die großen Philosophen immer verschiedene Definitionen vom Philosophieren liefern.
Es mag vielleicht sonderbar erscheinen, Philosophie und Meditation mit dem Prädikat des Kampfes zu versehen und eine Verbindung zur östlichen Kampfkunst herzustellen. Dem allgemeinen Verständnis entsprechend, ist der Philosoph einer, der im stillen Kämmerlein sitzt - und denkt. Er denkt nichts Nützliches, denn das, was er denkt, ist - abgesehen davon, daß es völlig unverständlich ist - zu nichts zu gebrauchen. Die Proponenten solcher Argumente haben nur unzureichendes Wissen von Philosophie. Sie übersehen, daß sich bei einer zweieinhalbtausendjährigen, europäischen Tradition der Philosophie unabwendbar hochdifferenzierende Denkstrukturen mit einer entsprechenden Terminologie herausgebildet haben müssen, was für einen philosophischen Laien natürlich eine gewisse Unverständlichkeit der philosophischen Argumentationen nach sich ziehen muß. Die Geschichte der Philosophie zeigt auch die Schwierigkeit in der geistigen Entwicklung einer Kultur auf, die Irrtümer und „Geburtsnöte“ eines Gedanken im Laufe der Jahrtausende bis er seine jeweilige Gestalt angenommen hat. Philosophen haben immer das Denken ihrer jeweiligen Kultur bestimmt und den Verlauf der Weltanschauungen beeinflußt. So wird das westliche Denken heute noch weitgehend von Platon und Aristoteles bestimmt, weil sie in ihrer Zeit Denkschemata initiiert haben, welche über die Jahrtausende hinweg noch immer in unserem Denken (weitgehend unbewußt) wirken – sowohl im positiven, als auch im negativen Sinn. Für die neuere Geschichte seien Nietzsche und Marx angeführt, welche das politische Geschehen unserer Zeit nachhaltigst beeinflußt haben. Konfuzius bestimmte über zwei Jahrtausende die chinesische Entwicklung, obwohl es ihm verwehrt war, seine Ideen zu seiner Zeit in die Praxis umzusetzen und er in dem Bewußtsein starb, in seinem Vorhaben als Bewahrer der Tradition völlig gescheitert zu sein. Erst Jahrhunderte nach seinem Tod wurde sein Denken aufgegriffen und im politischen Geschehen umgesetzt.
Die Geschichte der Philosophie ist eine Geschichte des Kampfes um Wahrheit[clxxx]. Das Streben nach Wahrheit aufzugeben würde zu Lebensunfähigkeit führen. Generell läßt sich sagen, daß die Kongruenz von Denken und Sein im Lebenskontext immer gegeben sein muß[clxxxi]. In primitiven Gesellschaftsformen ist es eine Überlebensfrage. So können in Jäger- und Sammlergesellschaften, z.B., falsche Entscheidungen des Führers zum Untergang einer Gruppe oder Großfamilie führen. In einer hochentwickelten Gesellschaftsform sind die unmittelbaren Folgen nicht mehr der Verlust des Lebens, aber es treten defiziente Adaptionsmodi ein, welche negative Auswirkungen sowohl für die individuelle, als auch kollektive Entwicklung haben können. Philosophie ist ein Schritt im Denken, der zu allerhöchstem Abstraktionsniveau führt, d.h. sie ist das Produkt eines hohen, kulturellen Entwicklungsstandes. Die Welt zu sehen, wie sie ist und den Schein zu entlarven, die Erkenntnis des wahren Seins, ist der Kampf des Philosophen. Es ist ein stiller, intellektueller Kampf, der im Kämmerlein vor sich geht.
Der in bewegungsloser Meditation Verharrende scheint nichts zu tun, er scheint der Inbegriff des Nichtstuns zu sein, und doch liegt das Prinzip der Meditation nicht in der statischen Ruhe, sondern in der Bewegung, im ständigen Wandel. Meditieren heißt, sich einer geistigen Entwicklung hinzugeben, welche den Meditierenden zu wechselnden Bewußtseinsformen führt. Der Meditierende geht in seiner meditativen Vereinzelung zu sich selbst, wird durch sein sich ständig wandelndes Bewußtsein auf sich selbst geworfen und mit seinen positiven, aber auch negativen Eigenschaften konfrontiert. Meditation heißt Arbeit, in welcher der Meditierende sein „Ich-Selbst“ in seinen bewußten und unbewußten Komponenten formt und weiterentwickelt. Diese Entwicklung führt in einen Kampf mit sich selbst - um sich selbst. Es ist ein seelischer Kampf, der für Außenstehende nicht erkennbar ist.
Meditation soll in dieser Arbeit als „Weg zur Mitte“ verstanden werden. Diese Mitte ist aber nicht ein universaler Urgrund wie in den asiatischen Traditionen, sondern die Mitte der eigenen Seele aus einem personalen Selbstverständnis heraus, wie es der abendländischen Tradition entspricht. Diese meditative Fokussierung auf das eigene Selbst ist keine Form des Egoismus, sondern ein Modus der Selbstfindung, welcher zu seinen Mitmenschen führt.[clxxxii] Aufgrund der auftretenden Bewußtseinsformen[clxxxiii] anzunehmen, daß hier ein Transzendieren in eine metaphysische Welt stattfindet, wird zurückgewiesen. Der Weg zur eigenen Mitte ist der Weg in die Tiefen der eigenen Seele. Die im meditativen Akt auftauchenden Formen von Einheitsbewußtsein können weder falsifiziert noch verifiziert werden, weshalb ihnen nicht der Wahrheitswert von Wissen, sondern der von Glauben zuzuordnen ist[clxxxiv].
Zurückgewiesen wird der Anspruch, daß mystische Erlebnisse eine Form von Meditation sind. Der Mystiker verliert sich in der Ekstase[clxxxv], er tritt in der Unio mystica aus sich heraus, um sich in einer nicht durch Sprache artikulierbaren Verzückung mit dem göttlichen Du zu vereinigen. Dieses göttliche Du ist eine andere Person, eine andere Wesenheit, mit der sich der Mystiker vereinigt und dabei seinen Verstand[clxxxvi] verliert. Gemeinsam mit Meditation ist nur das durch Sprache Nicht-Mitteilbare der Erlebnisse. Das Aufgeben des Identitätsbewußtseins im meditativen Akt, die Orientierung auf die „Leere“, kann gewissermaßen als „heuristisches Prinzip“ des meditativen Übens betrachtet werden, wodurch allerdings eine Stärkung des Selbst-Bewußtseins eintritt[clxxxvii]. Das in den asiatischen Traditionen auftretende Selbstverständnis, das Ich als flüchtige Unwesentlichkeit zu interpretieren, läßt sich nur aus dem Verständnis dieser Kulturen heraus verstehen und ist wahrscheinlich auf die in diesen Breiten weitverbreiteten Meditationstechniken zurückzuführen. In einem psychischen Rationalisieren kann auch ein gläubiger, christlicher Mönch sein Ich als unwesentlich im Kontext mit dem göttlichen Sein betrachten. Er wird aber seine Schmerzen und Leiden, seine Freuden, noch immer als die seinen betrachten und nur in Hinblick auf das zukünftige himmlische Sein die Bürden des irdischen Daseins ertragen und seine persönlichen Interessen hintanstellen. Im Reinkarnationsdenken löst sich das Ich jedoch aufgrund der unendlichen Dauer für diese Existenz völlig auf. Jede Form von personaler Identität geht dabei verloren.
In den traditionellen
Kampfkünsten wird Meditation einerseits zur Steigerung der Kampfeffizienz
praktiziert, andererseits werden dadurch die Dimensionen der eigenen Seele als
Arena des Kampfes um eine Weiterentwicklung des eigenen Selbst verwendet. Der
wahre Mensch des alten China, der in diesem Kampf gesucht wurde, war nach
taoistischer Tradition ein anderer, als derjenige der buddhistischen oder
konfuzianischen. Für die alten Meister war der Kampf gegen äußere Feinde nur ein Mittel[clxxxviii],
die Erleuchtung zu erlangen und war mit Sicherheit nur von sekundärer
Bedeutung. Wenn sie dem Tao (DAO: 道)[clxxxix]
folgten, suchten sie die Harmonie zwischen den Gegensätzen finden und wenn dies
nicht möglich war, diese Harmonie zu schaffen. Durch ein hartes Training und
die entsprechende Schulung formten sie sich in ihrem Sosein und paßten sich -
den erforderlichen Prinzipien des Kampfes gemäß - den jeweiligen Bedingungen
an, um zu ihrem Ziel zu gelangen. In alter Zeit gab es keine Kriterien für
Meisterschaft, solche wurden erst später geschaffen. Solche Kriterien konnten
nur gefunden werden, indem Wettkämpfe ausgetragen wurden, d.h. ein äußerer
Maßstab angelegt wurde. Der Sieg in einem Wettkampf war jedoch ein sehr
zweifelhaftes Kriterium für das Beschreiten des Tao[cxc].
Diese holistische Annäherung an die Kunst, sich im Lebenskampf[cxci]
zu bewähren, fehlt in der europäischen Tradition. Das Kräftemessen im Kampf
stand hier im Vordergrund, welches im alten Griechenland mit den Agonen begann
und sich in den Turnieren des Rittertums, welches durch ein ausgeprägtes
Konkurrenzdenken gekennzeichnet war, fortsetzte. Das Duell war darauf
ausgerichtet, seine Ehre zu bewahren. Wenn die Ehre verletzt wurde, war man
verpflichtet, diese unter Einsatz seines Lebens wieder herzustellen. Wer
dieser Verpflichtung nicht nachkam, bekundete damit, daß er den Anforderungen
seines sozialen (gehobenen) Standes nicht gerecht wurde und fiel der Ächtung anheim.
Im Unterschied zur chinesischen Kampfkunsttradition wurden in der europäischen
Kampftradition immer nur partikuläre Aspekte herausgehoben.
Bei Jaspers werden verschiedene
Aspekte des Kampfes philosophisch derart thematisiert, sodaß sie für die
Bewältigung von Hindernissen im Lebenskampf brauchbar sind und den Blick für
die Notwendigkeit kämpferischer Qualitäten schärfen. Der Horizont des Kampfes
wird auf die Dimension des Lebens[cxcii]
ausgerichtet. Gerade der Existenzbegriff Jaspers’ bietet durch seine Orientierung
des Daseins von der Transzendenz her eine geistige Hilfe für das Beschreiten
eines chinesischen Kampfkunstweges. Die Taoisten, welche einen starken Einfluß
auf die Entwicklung der konkreten Kampftechniken hatten, machten sich über die
anthropomorphen Vorstellungen eines göttlichen Urgrundes lustig und konstatierten,
daß der Urgrund vor Zeit und Raum liege und mit den Kategorien von Raum und
Zeit nicht erfaßbar wäre. Jaspers hat mit Vorsicht philosophisch formuliert,
was die Taoisten als metaphysisch gegebenes Sein erachteten. Während die
taoistischen Lehren im Wissenschaftsbereich heute kaum noch haltbar sind,
bieten sie im Bereich des Kampfes noch immer sehr brauchbare Hinweise auf die
technische Umsetzung der kämpferischen Anforderungen im engsten Sinn[cxciii].
Mit dem Jasperschen Denken kann allerdings auch die Ausrichtung der
Anforderungen für den Lebenskampf das ursprünglich taoistische Weltbild in
unsere Zeit transferiert werden, wobei noch immer eine gewisse Ursprünglichkeit
des taoistischen Denkens gewahrt und philosophisch akzeptiert werden kann.
Seine Reflexionen zur Wahrhaftigkeit bieten eine ausgezeichnete Hilfe für
das Beschreiten des inneren Kampfweges, als welcher Meditation angesehen werden
kann. Ein Meditant, welcher in seinem Kampf um sein je eigenstes Selbst
falsche Ziele verfolgt und sich dabei selbst betrügt, wird genauso scheitern
wie ein Meister, welcher in einer Kampfsituation seinen Gegner falsch
einschätzt. Die symmetrische Entsprechung von Wahrhaftigkeit zur Wahrheit,
übertragen auf den inneren Kampf (um sich selbst) und den äußeren Kampf (um
einen Angreifer abzuwehren), bildet die geforderte Harmonie zwischen dem Ich
und der äußeren Welt, um aus einem Kampf siegreich hervorzugehen. Fehlt diese
Harmonie, ist jeder Kampf verloren, wenn man auf einen Gegner trifft, der
diese Harmonie besitzt.
Jeder Mensch, der mit seiner
Geburt ungefragt in diese Welt geworfen wird, ist mit der Problematik des
inneren und äußeren Kampfes konfrontiert. Er befindet sich in einer existentiellen
Situation, der er nicht entfliehen kann, es sei denn, er flieht in den Suizid,
was normalerweise den grundlegenden Gesetzen des Überlebens widerspricht. Der
Mensch muß sich diesem Kampf stellen – ob mit oder gegen seinen eigenen Willen.
Bei einer erfolgreichen Bewältigung dieses Kampfes winkt der Lohn eines
erfüllten, erfolgreichen Lebens. Im Falle des Scheiterns geht man mit dem
bitteren Geschmack aus diesem Leben, daß es ein vergeudetes Leben war. Die
Ergebnisse der empirischen Thanatologie zeigen, daß Menschen, welche ein
erfülltes Leben führen, keine Angst vor ihrem eigenen Tod haben. Schon aus diesem
Grund ist es ratsam, den Kampf des Lebens erfolgreich zu bestehen. Die große
Frage, welche alle Menschen bewegt, ist die Frage nach dem Wie[cxciv].
Die verschiedensten Strategien werden entwickelt, mit mehr oder weniger
Erfolg, und es stellt sich die Frage, ob es allgemeingültige Kriterien für ein
erfülltes Leben gibt[cxcv].
Es zeigt sich, daß keine objektiven Kriterien zu finden sind. Materieller
Reichtum, das Ausleben von Leidenschaften, die Orientierung auf Lust, das
fanatische Verfolgen einer Überzeugung mit z.B. einem religiösen Inhalt, sein
Glück zu suchen, etc., sind immer nur Teilaspekte des menschlichen Daseins.
Kultur, situative Rahmenbedingungen, geschichtliche Entwicklung, etc., aber
auch individuelle Bedürfnisse und Ziele lassen eine umfassende Objektivierung[cxcvi]
nicht zu. Existentielle Anforderungen[cxcvii]
lassen aufgrund der hohen Variabilität der Bedingungen und der nicht
vorhersehbaren Entwicklung der Geschehnisse keine definitiven, positiven
Bestimmungen zu, welche alle Aspekte des Seins umfassen. Die Konkretisierung
des eigenen Schicksals ist immer mit Wagnis verbunden. Die Aspekte des
individuellen, inneren und äußeren Kampfes können nicht getrennt werden, die
Bewältigung des Lebens entwirft sich immer auf das Ganze. Die Geschichte
spricht das Urteil über den Wert des individuellen Tuns oder läßt es in Vergessenheit
geraten.
Es wird in dieser Arbeit die
These vertreten, daß in der Verbindung von Philosophie mit Meditation ein
ausgezeichneter Modus zur Lebensbewältigung zur Verfügung steht. Das Element
der Kampfkunst hat auch in diesem Kontext einen herausragenden Stellenwert, da
bei einer traditionellen Ausrichtung des Trainings das lebensbewältigende
Potential auch in unserer Zeit noch immer wirksam ist. Aufgrund der
Gefährlichkeit einer traditionellen Ausrichtung ist dem physischen Kampf eine
echte Erprobung verwehrt[cxcviii],
bei den partnerschaftlichen Trainingskämpfen schält sich jedoch das
körperliche Element heraus. Hier wird der „Geist“ des Kampfes auf der äußeren
Ebene in einer sehr einfachen Art und Weise verständlich, während er in den
komplexen Abläufen der meditativen Entsprechung nur um ein Vielfaches
schwieriger zugänglich ist. Das Training für den äußeren Kampf bildet damit
eine gute Ergänzung zum Meditieren.
Ein rein auf Meditation ausgerichtetes
Leben[cxcix] würde in
einer Weltabwendung münden. Es mag davon ausgegangen werden, daß es zwar
eine große Leistung darstellt, den Großteil seines Lebens in meditativer Versenkung
zu verbringen, daß aber eine solche Praxis andererseits auch den Verlust des
realen Lebens darstellt – und zwar auch dann, wenn dies bedeutet, daß man sich
andauernd in Glückseligkeitszuständen befindet. Der Wert der meditativen
Versenkung liegt darin, daß in diesem zeitlich beschränkten „Rückzug“ auf sein
eigenstes, innerstes Selbst eine mentale Entwicklung einsetzt, welche im normalen
Leben, d.h. im außermeditativen Zustand, positive Resultate zeitigt. Es taucht
eine sonderbare Kongruenz zwischen der Weise des Meditierens und dem
Lebensstil auf. Problembewältigungsstrategien des Lebens werden im
meditativen Akt virulent, während andererseits die Art der Ausführung von
Übungen im meditativen Akt sich im normalen Leben modusähnlich in der Problembewältigung
und der Weise des Lebens niederschlägt. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der
Philosophie ist insofern gegeben, daß der Philosoph sich von Zeit zu Zeit aus
dem existentiellen Geschehen zurückzieht[cc],
um sein Denken zu entwickeln. Jedoch wird hier - wenn auch bei gegebener
Selbstreflexion - die Priorität
im Denken auf die Welt ausgerichtet[cci].
Es ist ausgesprochen problematisch, von einer „richtigen“
oder „falschen“ Weise des Meditierens zu sprechen, da aufgrund der unendlichen
Anzahl divergierender Techniken eine umfassende Analyse unmöglich ist. Es
muß jedoch angenommen werden, daß falsch meditiert wird, wenn gesundheitliche
Schäden an Körper, Geist oder Seele auftreten oder – und dies sei die
meditationsphilosophische Position – wenn durch Meditation eine Verformung der
Persönlichkeitsstruktur in eine negative Richtung eintritt[cciii].
Als negativ kann jede Entwicklung angesehen werden, welche den Meditanten
von seinem eigenen Wesen wegführt, statt es zu entfalten.
1.
M°tron êriston.[cciv]
2.
Das Sein, nicht der Schein ist wesentlich.
3.
Meditation ist immer nur Mittel, nie Zweck.
4. Die philosophische Reflexion bildet den Geist.
5. Die meditative Versenkung führt zu innerer Ruhe und seelischer Kraft.
6. Für eine positive, personale Genese ist die adäquate Synchronizität von geistiger Entwicklung und Zeit notwendig. Die Unzeit ist schädlich.
7. Philosophie und Meditation sind zwei verschiedene Weisen der Erkenntnis. Die eine Weise ist die des logischen, die andere die des intuitiven Verstehens.
8. Meditation ist Arbeit, Philosophie ist Plage. Als Synthese versprechen sie viel Mühsal.
9.
Der philosophisch-meditative Lebensweg ist ein Bildungsweg.
Das Ich macht sich auf den Weg, sich selbst zu formen.
10.
Suche dein daimÒnion!
11.
Ein kleiner, unscheinbarer Kieselstein ist manchesmal von viel
größerem Wert als ein funkelnder Diamant.
12. Meditation ist der Weg zur Wahrhaftigkeit. Die Täuschung anderer Menschen kann eine notwendige Überlebenstechnik sein; sich selbst zu täuschen, ist für einen Meditanten der Weg in den Untergang[ccv].
13.
Meditieren heißt: sich seiner selbst bewußt und verfügbar zu
werden. Das Streben nach Glück[ccvi]
ist keine hinreichende Bedingung für Meditation.
14.
Ein Geheimnis des richtigen Meditierens liegt in der
regelmäßigen Praxis. Besser, wenig und regelmäßig zu üben, als selten und viel.
15.
Geduld und Ausdauer sind die Tugenden[ccvii],
Erfahrung der Schatz des Meditierens.
16.
In der Regel wird von Meditationsunkundigen unter Meditation
etwas Geheimnisvolles verstanden, eine esoterische Kunst, die nur wenigen
zugänglich ist. Meditieren kann aber jeder „Durchschnittsmensch“ erlernen, wenn
er nur ausreichend Geduld hat. In einem meditativen Versenkungszustand treten
keine „außergewöhnlichen“ Kräfte auf, sondern es scheint so zu sein, daß in
einem sich selbst vereinzelnden Ruhezustand[ccviii]
ganz einfach eine psychogen bedingte Dynamik eintritt, welche den Übenden zu
Leistungen befähigt, welche der nichtmeditierende Mensch nicht erreicht. Durch
diesen Zustand der „Ruhe“ werden u.U. auch potentielle Eigenschaften geweckt,
welche ansonst nie zutage treten würden. ABER: Meditation ist mit Sicherheit
nichts „Übernatürliches“!
17.
Meditation führt zu innerer Kraft.
18.
These: Eine teleologische
Weltorientierung[ccix]
ist für ein gelungenes Leben konstitutiv. Dies trifft auf alle Menschen zu – der
Meditant hat jedoch aufgrund seines geduldigen, unaufhörlichen Übens die
Fähigkeit, sein t°low leichter zu finden und zu verfolgen.
19. Philosophieren ist kein rein theoretisches Abhandeln von Problemen. Der akademische Philosoph ist ein nach wissenschaftlichen Kriterien arbeitender Denker. Dies ist kein hinreichendes Kriterium für Philosophentum, welches immer Ausdruck einer Lebenshaltung ist. Sokrates bekundete, er wisse, daß er nichts wisse. Kant verachtete diejenigen, welche eine Lehre kritiklos nachplapperten und legte Priorität auf das Selbst-Denken. Jede Lehre muß geprüft[ccx] werden, bevor sie angenommen wird und er forderte dies von seinen Schülern auch in bezug auf seine eigene Lehre. Heidegger definierte Philosophieren als »Denken lernen«. Aus dem geistigen Horizont dieser Tradition heraus läßt sich die meditationsphilosophische Lebensorientierung als Selbst-Denken-Lernen[ccxi] definieren, wobei das Selbst nicht nur als Ich-Problematik im klassischen, philosophischen Verständnis als rationale Auseinandersetzung mit einem philosophischen Thema zu verstehen ist, sondern auch als Werden der eigenen Seele in einem existentiellen Reifungsprozeß. Das Selbst-Denken-Lernen ist nicht nur ein rationaler, sondern auch ein psychischer (geistiger) Entwicklungsprozeß. In der meditationsphilosophischen Genese wird das Ich-Bewußtsein aus einer diesem Prozeß immanenten Dynamik zum eigensten Selbstsein gelenkt.
20.
Meditation ist Seelenhygiene. Es wird das „psychische
Immunsystem“ gestärkt.
21.
Zum richtigen Meditieren gehört das Nicht-Meditieren.
22.
Meditation hat keine „Nebenwirkungen“. Tauchen negative
Auswirkungen als Folge einer meditativen Praxis auf, so ist dies immer ein Zeichen für falsches Meditieren.
23.
These: Der richtige Meditationsmodus führt einen Meditanten
unaufhaltbar zu seinem eigensten Wesen.
24.
Der meditationsphilosophische Asket übt die Kunst des
Verstehens.
25. Meditationsphilosophie ist ein exzellenter Modus der Selbstverwirklichung - ein Weg in die Freiheit.
26.
Meditation und Philosophie setzen
einen geistigen Horizont.
27.
Aus meditationsphilosophischer Sicht kann nur das Mensch-Sein,
Humanität, als genuines t°low definiert
werden. Alles andere wäre Reduktion des eigenen Potentials auf Partikularitäten
oder eine überhebliche Transzendenz des eigenen Seins als Mensch.
Die wohl elementarste Frage der
Menschheit ist die Frage nach dem Sinn von Sein. Der
existentielle Horizont des personalen Individuums muß Sinn haben, um das
Leben lebenswert zu machen. Die Conditio sine qua non für eine hinreichende
Beantwortung ist die Wahrheit.[ccxii] Eine Welt des Scheins hat in hoffnungslosen, situativen
Kontexten Sinn - und zwar nur dann, wenn eine Flucht ins Reich der Phantasie
eine lebenserhaltende und existenzsichernde Funktion hat. In allen anderen
Fällen ist die Welt des Scheins eine privative Erscheinungsform des existentiellen
Seins.
Im Mythos und in der Religion hat
die Frage nach einem sinnvollen Leben eine positive Beantwortung erfahren. Sie
wurde mit dem Ursprung von Sein als göttlichem Schöpfungsakt oder ewig
perpetuierender, wechselnder Dauer des Seienden beantwortet, und es wurde die
Perspektive einer ewigen Lebensdauer eröffnet.
Die Wissenschaften können auch
nach einer zweieinhalbjahrtausend währenden Wissenschaftsgeschichte keine
Antwort liefern und werden sie auch aufgrund ihrer Methodenstruktur nie
liefern können.
Die Philosophie, welche zwar
nicht den Methodenrestriktionen der Einzelwissenschaften unterliegt, wird
sich hüten, Aussagen zu treffen, von denen schon a priori feststeht, daß sie
weder positiv, noch negativ - nach Kriterien eines sicheren Wissens -
beantwortet werden können. Der Erkenntniswille des Philosophen ist auf
Wahrheit ausgerichtet. Bedeutsam ist eine Welt nur,
wenn sie wahr ist, d.h. wenn die individuellen (erkenntnistheoretischen)
Vorstellungen und Gedanken mit der objektiven Welt übereinstimmen.
Mit
Kant ist die kopernikanische Wende in die Geschichte der Erkenntnistheorie getreten,
wodurch die Richtung des Erkennens von der objektiven Welt auf die menschliche
Erkenntnisfähigkeit und ihre Bedingungen gelenkt wurde.
Diesen
Denkansatz auf die Frage nach dem Sinn von Sein anzuwenden und auf die Frage
nach dem Sinn von Dasein abzuändern,
wodurch sich eine Verengung der möglichen Beantwortung auf eine ausschließlich
subjektiv-individuelle Sichtweise von Welt ergibt, liegt nahe. Damit ist jeder
dazu angehalten, den Sinn für sein eigenes Leben selbst zu finden[ccxiii].
So wie niemand dem anderen seinen jeweiligen Tod abnehmen kann[387],
kann keiner dem anderen sein jeweiliges Leben[ccxiv]
abnehmen oder einem anderen Leben Sinn geben[ccxv].
Ein befriedigender, existenzialer Entwurf kann nur holistisch - aus dem jeweiligen
Lebenskontext heraus - im Horizont eines endlichen[ccxvi]
Daseins gefunden werden.
Die Frage
nach dem Sinn von Dasein[ccxvii]
mag damit beantwortet werden, daß sich dieser Sinn aus einem gelungenen
Leben ergibt.
Was
sind die strukturellen Komponenten eines gelungenen Lebens? Eine aus negativen
Lebensbedingungen bestehende Existenz kann nicht als sinnvolles Ziel
postuliert werden[ccxviii].
Ein Leben nach ausschließlich hedonistischen Kriterien muß ebenfalls zurückgewiesen
werden, da sich zufolge des hedonistischen Paradoxons[ccxix]
jedes ausschließliche Luststreben von selbst ad absurdum führt.[ccxx]
Als Lösungsmöglichkeit bietet sich der altgriechische Eudämonie-Begriff[ccxxi]
an. Er drückte ursprünglich eigentlich aus, »daß jemand von seinem da€mon, seiner Schutzgottheit,
gut (eÔ) bedacht wurde, also
>glücklich< bzw. >wohlhabend< ist«[388],
d.h. war mythischen Ursprungs. Bei Aristoteles ist die eÈdaimon€a das Endziel allen Handelns[ccxxii],
als ein in sich selbst genügend Vollendetes. Es handelt sich um eine
Vollkommenheit, welche primär im Tätigsein liegt und ist nicht ein
ausschließlicher Zustand der Lust. In Anknüpfung an diese Tradition mag die
zu findenden strukturellen Komponenten eines gelungenen Lebens als die duale
Verbindung von Sinn[ccxxiii]
und Freude[ccxxiv]
postuliert werden. Bei Fehlen einer dieser strukturellen Komponenten kann
nicht von einem gelungenen Leben gesprochen werden. Sinn ohne Freude mag
allgemeine Achtung für ein individuelles Schicksal einflößen, für das
betroffene Individuum bedeutet es Tragik. Freude ohne Sinn in seinem Sein oder
Tun zu sehen, erschöpft sich auf Dauer von selbst und endet in Langeweile und
Überdruß.
Der
Mensch muß mit sich selbst ins reine kommen, um sich in seinem Dasein - seinem
(selbst-bewußten) Sein in dieser objektiven Welt - behaupten zu können, und in
diesem Sinne ist Meditation als Modus der Sinnfindung ein ausgezeichnetes
Apriori der Lebensbewältigung.
Die alte, philosophische Frage »Was bist du Mensch?« stellt sich als Frage nach dem Wesen des Mensch-seins. Nietzsche argumentiert, daß der Mensch nur ein Durchgangsstadium, ein Mittel, für die Entwicklung des höheren Menschen sei. Der höhere Mensch stehe über der Moral von Gut und Böse und er prädiziert den Verbrecher in einer psychisch positiv besetzten Weise: Er bezeichnet ihn als „Mann des Mutes“, der seine „Ehre“, sein Leben und seine Freiheit riskiere, um Großes zu schaffen. Sein Wille zur Macht ist jedoch nicht eine menschliche Errungenschaft, sondern eines der elementarsten der atavistischen Bedürfnisse des Menschen, welches ursprünglich als Überlebensstrategie fungierte. Was grenzenlose Machtausübung Menschen antun kann, ist sehr gut bei Sueton nachzulesen. Die Cäsaren regierten mit unbeschränkter Macht über ein Weltreich. Sie schufen Kultur, aber sie verbreiteten auch in ihrem Willen zur Machtausweitung Tod und Verderben, schufen Leid für unzählige Menschen und fielen selbst dem Wahnsinn anheim.[ccxxv] Nietzsche hat mit seiner Lehre vom Willen zur Macht mit philosophischen Mitteln die intellektuelle Rechtfertigung[ccxxvi] zur Entfaltung von Macht geliefert. Der Logik dieses Denkens ist die Zurückweisung von Moral mit zwingender Notwendigkeit immanent, da moralische Kriterien immer einer grenzenlosen Entfaltung der sich bietenden Möglichkeiten im Wege stehen.
Moral - als Unterscheidung
zwischen Gut und Böse[ccxxvii]
- dürfte eines der fundamentalsten Anliegen der Menschheit sein[ccxxviii].
Die alten Mythen erzählen seit Menschengedenken vom Kampf zwischen Gut
und Böse und die Religionen belohnen oder bestrafen nicht die menschlichen
Errungenschaften, sondern die guten und bösen Taten[ccxxix].
Das hohe Alter dieser Legenden weist auf einen herausragenden Stellenwert
hin, den moralische Werte schon in der ältesten Geschichte der Menschheit
innehatten. Auch nach der Ablösung des Mythos durch das wissenschaftliche
Denken behielt diese Thematik in der Philosophie Priorität.[ccxxx]
Der Homo scientiae hat in kurzer Zeit die technologische Entwicklung
vorangetrieben, sodaß nach zweieinhalb Jahrtausenden Wissenschaftsgeschichte
die Menschheit ihre natürliche, biotische Lebenswelt verläßt und nach dem
Weltraum greift. Mit dem raschen Voranschreiten der zivilisatorischen
Entwicklung konnte allerdings die Entwicklung des Menschen als Mensch, nach humanitären Gesichtspunkten, nicht Schritt
halten. Vor noch nicht langer Zeit tötete der Homo belli einen anderen Menschen
mit einem Stein oder einer primitiven Keule, während in unserer Zeit, dem 21.
Jahrhundert, das Potential vorhanden ist, Menschenmassen mit „klinischer Sterilität“ zu töten. Nach den
Erfahrungen im 20. Jahrhundert ist zu erwarten, daß das gehäufte Auftreten
von Massenmorden nur eine Frage der Zeit ist. Der Homo oeconomicus, der
in der Vergangenheit mit Raub und Mord
offen als Eroberer aufgetreten ist, um seinen Besitz zu vermehren, gibt sich
in unserer Zeit unter dem Vorwand der allgemeinen, wirtschaftlichen Prosperität
als Philanthrop, um ein ureigenstes menschliches Laster zu befriedigen: die
maßlose Habgier. Daß dabei eine selbstzerstörerische Eigendynamik auftritt,
welche nicht nur die ökonomischen, sondern auch die ökologischen
Lebensgrundlagen[ccxxxi]
der zukünftigen Generationen vernichtet, wird beflissentlich übersehen.
Im Denken setzt sich immer mehr der Personenbegriff[ccxxxii] statt des Menschenbegriffs durch. Auch Kant verankerte den kategorischen Imperativ in der Personenhaftigkeit[ccxxxiii]. Dies ist insofern richtig, als daß eine Priorität des Menschen in der Differenz zum Tier ethisch mit einer speziezistischen Argumentation nicht hinreichend begründbar ist. Diese Begründung ergibt sich erst aus der Personenhaftigkeit des Menschen[ccxxxiv].
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lautet die Definition des Wesen einer Person bei Scheler , wie folgt: »Person ist die konkrete, selbst wesenhafte Seinseinheit von Akten verschiedenartigen Wesens, die an sich (nicht also prÚw ≤mçw) allen wesenhaften Aktdifferenzen (insbesondere auch der Differenz äußerer und innerer Wahrnehmung, äußeren und inneren Wollens, äußeren und inneren Fühlens und Liebens, Hassens usw.) vorhergeht. Das Sein der Person <fundiert> alle wesenhaft verschiedenen Akte.«[389] Auch im ethischen Kontext weist er für den Personenbegriff den Menschen qua Mensch zurück und fordert eine bestimmte Stufe menschlicher Existenz als hinreichende Bedingung für die Personenhaftigkeit.[390] Als Bedingungen nennt er Vollsinnigkeit[ccxxxv], Mündigkeit[ccxxxvi]; Herrschaft über den eigenen Leib[ccxxxvii]. Streng zurückgewiesen werden »die Real- und Dingbegriffe der <Seelensubstanz> und des sogenannten <Charakters>.«[391]
Am Ende des 20. Jahrhunderts erfuhr der Personenbegriff in der Ethik Peter Singers aus utilitaristischer Sicht eine weitere Modifikation. Singer lehnt eine speziezistische Begründung in bezug auf einen höheren Wert des menschlichen Lebens im Vergleich zu anderen Speziesformen ab[ccxxxviii]. Die herausragende Stellung personalen Lebens - komparativ zu den anderen Lebensformen - wird mit den Eigenschaften des Bewußtseins-seiner-selbst als Individuum mit temporalem Orientierungsvermögen für Vergangenheit und Zukunft angegeben[ccxxxix]. Nur Personen sind aufgrund dieser Eigenschaften in der Lage, Präferenzen zu entwickeln[ccxl]. Ein Lebewesen, welches keine antizipatorische Disposition zu seiner zukünftigen Existenz hat, kann keine Präferenzen in Hinblick auf diese Zukunft entwickeln[ccxli]. Allerdings fallen aufgrund seiner Argumentationsstruktur auch Affen, eventuell Katzen, Hunde oder Schweine unter das Personalitätskriterium[392], während geistig Behinderte oder Neugeborene nicht als Personen gelten.
Obwohl der Personenbegriff im ethischen Kontext diskutiert wird, werden Priorität auf Selbstbewußtsein und Grad der Intelligenz als relevante Kriterien für eine höhere, ethische Wertigkeit angesetzt. Moralische Werte per se haben keine Bedeutung[ccxlii]. Wird damit nicht eine defizient ethische Kriterienrelevanz propagiert? Die Frage nach dem wahren Menschen nach den Gesichtspunkten rein personaler Kriterien auf unsere Zeit übertragen, würde zu einem Menschen führen, für welchen eine Beantwortung nach positiven Moralwertigkeitskriterien a priori ausgeschlossen ist. Der philosophische Diskurs hat im Laufe der Jahrtausende von der Formulierung absoluter, moralischer Werte Abstand genommen, da es sich gezeigt hatte, daß eine derartige Kategorialisierung sich nicht allgemeingültig formulieren ließ. Die verschiedenen Erscheinungsformen von Moral korrelieren mit Kultur, geschichtlichem Entwicklungsstand, Anpassung an die verschiedenen situativen Bedingungen, etc. Kant versuchte noch eine formale Struktur einzuführen, um das moralisch gute Handeln in gesetzmäßige Formen zu fassen und bestimmte den Willen als das ausschließliche Wesen des moralisch Guten, d.h. er verlegte das moralisch Gute in die Gesinnung, in die subjektive Intention. Nietzsche verwarf in seinem Haß auf christliche Moralvorstellungen jegliche Moral[ccxliii]. Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich die Frage nach moralischen Werten in der Existenzphilosophie Heideggers fast völlig, in der Entwicklung des Personenbegriffs – wie oben ausgeführt - weitgehend aufgelöst. Wegen der Schwierigkeit der ethischen Problematik zu resignieren, wäre eine verfehlte „Problemlösung“. Aus der traditionellen Kampfkunst kann man lernen, daß man einen Kampf niemals aufgibt. Erst der Tod beendet einen Kampf– entweder mit Sieg oder Niederlage. Es mag deshalb die Frage nach dem wahren Menschen in Fortsetzung der alten WUSHU-Tradition für unsere Zeit mit dem Homo moralis als Ziel der menschlichen Entwicklung eine positive Beantwortung finden. Personalität ohne moralisches Verantwortungsbewußtsein ist eine defiziente Charakteristik des Mensch-Seins. Das scheinbar unbewältigbare Problem einer ethisch hinreichenden Fundierung von Moral resultiert daraus, daß der menschliche Geist Moral konstituiert.[ccxliv] Nur personale Lebensformen haben diese Fähigkeit, Tiere folgen ihrem Instinkt. Die Hervorbringung von Moralität unterliegt einem Entwicklungsprozeß, welcher von den Ursprüngen der Menschheitsgeschichte her bis in unsere Zeit reicht und sich in die Zukunft erstreckt. Der Mensch muß lernen moralisch zu werden, da sich erst daraus seine Würde als Mensch ergibt.[ccxlv] Der Übermensch Nietzsches, für den seine Mitmenschen nur Mittel und „Auswurf“, Abfall sind[ccxlvi], erweist sich als Unmensch[ccxlvii]. Nietzsches Lobpreisung der Unmoral ist ein (sprachliches) Unding, weil es keine unmoralische Menschen gibt: Jeder Mensch ist moralisch. Die Unmoral ist die Zurückweisung der jeweiligen (oder aller) moralischen Normen, aber diese Ablehnung muß nicht unbedingt erfolgen, weil sie der Befriedigung der eigenen Begierden oder Laster entgegensteht, sie kann auch aus höchst moralischen Motiven erfolgen[ccxlviii]. Die moralphilosophische Differenzierung von »Gut« und »Böse« ist deshalb als »positive« oder »negative Moral« vorzunehmen. Die positive Moralität hat Kant mit dem Willen als das allein Gute definiert[ccxlix], woraus folgt, daß negative Moralität dann vorliegt, wenn sich der Wille auf das Böse richtet[ccl]. Negative Moralwerte werden hier als „gut“ evaluiert[ccli]. Positive Moralität im Sinne einer Wertethik wäre die Wertschätzung positiver Werte.
Hier ist nicht der Ort für eine ethische Begründung von Moral, da eine Philosophie des Kampfes ihr Denken auf die Welt des Kämpfens und ihre moralische Relevanz richtet. In diesem Kontext soll die Phänomenalität des (moralischen) Kampfes mit dem damit verbundenen Ethos für den Homo moralis aufgezeigt werden.
Der Homo moralis muß ein Kämpfer sein, da er moralische Werte zu erkennen und zu verwirklichen sucht. Die Aktualisierung von Moralität ist immer mit Widerstand verbunden, welcher überwunden werden muß, weshalb Kampf als essentieller Aspekt von Moral erachtet werden kann.
Im inneren Kampf kämpft der Homo moralis um seine eigene Moral und versucht sie zum Positiven zu wenden[cclii]. Diesen Kampf muß er mit sich selbst austragen.
Wie zeigt sich aber Moral und Moralität im äußeren Kampf? Ist schon Kämpfen per se der negativen Moral zuzuordnen?
Menschen nur dann als guten Menschen zu betrachten, wenn sie nach dem christlichen Gebot »Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin[393]« handeln, wäre eine absolute Verkennung des Wesens von Moral. Solche Verhaltensweisen fördern das Böse, welches in jedem Menschen potentiell vorhanden ist. Diese Moral läßt sich nur in Hinblick auf eine „jenseitige“ Vergeltung vertreten, wie sie auch im Christentum gelehrt wird[ccliii]. Dadurch, daß Gott ein fürchterlicher Rächer ist, gerät allerdings das christliche Verzeihen in ein sehr schiefes Licht.
Konfuzius vertritt eine sehr „diesseitig“ orientierte Vergeltungsmoral[ccliv]:
Als jemand fragte: »Was ist von dem Wort >Vergilt Böses[cclv] mit Gutem[cclvi]< zu halten?«, antwortet der Meister: »Womit soll man dann Gutes vergelten? Vergilt Böses mit Gerechtigkeit[cclvii] und Gutes mit Gutem.«[394]
Dieses Gespräch verrät, daß auch im alten China das Problem des moralisch Guten im Kontext mit Vergeltung thematisiert wurde und von Konfuzius mit »angemessener Vergeltung« beantwortet wurde. Dadurch wurde einer maßlosen Rachsucht Einhalt geboten. Hier ergibt sich eine interessante Parallele zur WUSHU-Tradition. Als gutes Kung Fu wurde und wird bis zum heutigen Tag nur ein solches erachtet, welches auf Verteidigung[cclviii] ausgerichtet ist. Das Training wird dementsprechend aufgebaut, und zwar so, daß auf einen Angriff „instinktiv“ mit einer adäquaten Verteidigung reagiert wird, welche der Gefährlichkeit des Angriffs entspricht. Je gefährlicher der Angriff, desto härter und kompromißloser die Reaktion. Bei einem Angriff mit Tötungsvorsatz wird der Angreifer mit großer Wahrscheinlichkeit selbst getötet. Dies entspricht genau dem Konfuzianischen Prinzip der Vergeltung im moralischen Bereich. Dadurch, daß die Verteidigung als (moralische) Orientierung des Kampfes dient, wird ein exzellentes Regulativ vorgegeben, welches unmoralische[cclix] Dimensionen ausschließt, was bei offensiven Akten im Gegensatz dazu sehr wohl gegeben ist.
In Anknüpfung an diese Tradition sei das Ethos des äußeren Kampfes für den Homo moralis analog dem Ethos der Kampfkunst auf Verteidigung ausgerichtet. Ihn als „heiligen Krieger gegen das Böse“ zu verstehen, wäre ein Fehler, da in der Menschheitsgeschichte viele „heilige Kriege“ im Namen des (moralisch) Guten gegen das Böse geführt wurden, welche sich in der Folge als Erscheinungsformen der negativen Moral erwiesen haben.[cclx] Jeder Mensch aber darf seine Rechte verteidigen und um sie kämpfen. Moralität darf nicht so verstanden werden, daß Verteidigung gegen feindselige Angriffe (Akte des Bösen) schon per se als böse zu evaluieren sind. Einen moralischen Kodex zu schaffen, welcher eine Verteidigung gegen offensive Akte einer negativen Moral nicht zuließe, wäre selbstdestruktiv und damit ein ethisches Paradoxon. Moralität darf nicht lebensunfähig machen.
Als positiv moralische Werte seien definiert:
· Mitgefühl für alle empfindenden Lebewesen;
· Achtung der Rechte anderer, personaler Lebensformen;
· Toleranz gegenüber anderen Wertewelten (Kulturen, fremde Sitten und Bräuche, etc., generell für alles „anders Seiende“).
In diesem rudimentären Wertekatalog wird nicht die Liebe angeführt, auch nicht im Sinne der égãph. Es wurden schon zu viele Betrügereien mit diesem Wort begangen, als daß es noch vertrauenswürdig wäre. Wer alle liebt, liebt keinen. Liebe ist kein hinreichendes Kriterium für eine ethische Fundierung von Moral.
Liebe ist eine schöne Blume, welche nur sehr selten und verborgen in sehr kleinen Kreisen an versteckten Orten blüht.
Es wird in dieser Arbeit die These vertreten, daß Philosophie in Verbindung mit Meditation eine Möglichkeit darstellt, das t°low der personalen Evolution, den Homo moralis, zu erreichen.
Meditationsphilosophie erhebt nicht den Anspruch, „Wunder“ zu bewirken, sondern daß in der Verschmelzung von philosophischer Rationalität mit meditativer Versenkung ein vielversprechendes Potential liegt.
Der meditationsphilosophische Weg wird wahrscheinlich nur von wenigen beschritten werden, denn er ist mit Arbeit, Geduld und Ausdauer verbunden.
Für die wenigen, die bereit sind, diesen Weg zu beschreiten, wurde dieses Buch geschrieben.
Dieses Büchlein richtet sich an alle,
welche einen Sinn in ihrem Leben suchen, vorwiegend aber an die Philosophen,
um
sie wachzurütteln und ihnen zuzurufen: »Nehmt euch der Meditation an! Man
muß nicht Metaphysiker oder Mystiker werden, um sich damit zu beschäftigen!
Aus der Synthese von Meditation (richtig praktiziert) und Philosophie (als
rationaler Erkenntnisweg) läßt sich in der Zukunft etwas Neues erwarten. Was
dies sein wird, muß man abwarten, weil mindestens einige Jahrzehnte
meditationsphilosophischer Praxis und kritischer Untersuchung notwendig
sein werden, um das Potential wenigstens ein bißchen auszuloten.
Denjenigen, welche sich auf dem Weg der
Kampfkunst versuchen wollen, rate ich, einen Kampfstil auszusuchen, welcher
die Atmung als wesentlichen, technischen Bestandteil des Trainings erachtet
und in den motorischen Bewegungsablauf harmonisch integriert. Mit dem
Beiseitelassen der Atmung lassen sich Kampftechniken zwar viel schneller
erlernen, die Essenz dieses Weges geht jedoch verloren. Ich habe beobachtet,
daß in den asiatischen Kampfkunsttraditionen dieses Element generell zu
finden ist. Ideal ist eine Technik, welche das Training, sonstige Übungen und
Meditation harmonisch miteinander vereinigt. Ich persönlich bin aufgrund
meiner positiven Erfahrungen mit Kung Fu natürlich von diesem angetan, es
muß aber jeder für sich selbst herausfinden, was ihm zusagt. Man nimmt ein derartiges
Training nicht auf, um es ein paar Jahre zu machen, sondern es ist ein Training
auf Lebenszeit.
Ich
rate ab, viele, verschiedene Techniken zu kombinieren bzw. auszuprobieren.
In Filmen und literarischen Veröffentlichungen wird immer wieder suggeriert,
daß durch derartige Kombinationen überlegene Kampftechniken entstehen. -
Nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen bleibt durch derartige Kombinationen
die mentale Entwicklung auf der Strecke. Nur wirkliche Meister können nach
jahrzehntelangem Training fremde Elemente in die eigene Technik harmonisch
integrieren.
Denen, die sich der Meditation zuwenden, rate
ich, sich ihren Lehrer als Person anzusehen. Persönliche
Charaktereigenschaften sind in diesem Kontext viel wichtiger, als das Beherrschen
besonders effizienter Meditationstechniken. Als Anfänger hat niemand die
Kenntnisse, um das Können eines Lehrers zu beurteilen. Wenn jedoch der Lehrer
charakterlich integer ist, kann man sich wenigstens darauf verlassen, daß er
seinen Schülern nicht bewußt Schaden zufügt. Der Markt prosperiert von
selbsternannten Meistern und Gurus, welche angeblich über esoterisches „Geheimwissen“
verfügen und unter dem Deckmäntelchen aufopfernder Selbstlosigkeit ihre
Adepten ausbeuten, in den existentiellen Ruin und in extremen Fällen sogar
in den Tod treiben.
Bei der Wahl eines
Lehrers ist höchste Vorsicht angebracht.
Ich
rate ab, Meditieren aus einem Buch zu lernen. Gute Bücher auf diesem Gebiet
sind nur selten zu finden und auch dann nur für erfahrene Meditanten von
Nutzen.
Das
Numinose ist – auch wenn es existiert – für den Verstand unbegreiflich und
alle (auch die meditativen) Techniken, welche angeblich zum Göttlichen
führen, sind nach meiner tiefsten Überzeugung Irrwege. Der Mensch muß sich
damit abfinden, daß es keine Gewißheit für die Existenz Gottes gibt – er muß
sich auf das Wagnis des religiösen Glaubens ohne jede Sicherheit einlassen.
Meine rigorose Zurückweisung jeglicher metaphysischer Transzendenz soll
aber nicht als Atheismus verstanden werden. Atheismus ist genausowenig begründbar
wie Theismus.
Die Annahme, daß wir uns einem göttlichen
Schöpfer oder Urgrund nähern könnten, halte ich für menschliche Hybris. Sich
als Diener oder Kind Gottes zu verstehen, ist eine zwar für die eigene
Eitelkeit sehr angenehme – nicht mehr weiter steigerungsfähige - Steigerung des
Selbstwertgefühls, hält aber den Menschen davon ab, sich seiner eigentlichen
Wesensnatur zu besinnen.
Über dem Eingang zum Orakel zu Delphi stand
ein kluger Satz: »Erkenne dich selbst.«
Er hatte die Bedeutung: Erkenne, daß du
dich auf göttlichem Boden befindest und erkenne – daß du nur ein Mensch
bist.
Der Mensch muß akzeptieren, daß er sein
eigener Gesetzgeber ist und damit auch die volle (moralische) Verantwortung
für sein Denken und Tun zu tragen hat. Nicht der Teufel oder die Dämonen verursachen
das Böse. Diese bequemen Ausreden zur Zurückweisung jeder moralischen Schuld
für die eigenen bösen Taten sind in einem wissenschaftlichen Zeitalter
obsolet. Nur personale Lebewesen haben die Fähigkeit, Gutes und Böses zu tun,
weil nur sie das dazu erforderliche Wissen und Bewußtsein haben. Der Mensch
ist ein solches Lebewesen.
Ich habe mich bemüht, eine Sprache und Darstellungsform
zu finden, welche verständlich ist. Dieses Buch ist so aufgebaut, daß die verschiedenen
Aspekte aus verschiedenen Perspektiven in den verschiedenen Teilen auf das
Ganze hinweisen.
Die etwas kryptischen Formulierungen der
meditationsphilosophischen Maximen des richtigen Meditierens sind nur
bedingt für ein sprachliches Verstehen oder ein (rationales) Studium vorgesehen.
Zweck ist, Meditanten – gleichgültig welcher Provenienz – Einsichten zu vermitteln,
welche ihrem jeweiligen meditativen Entwicklungsstand entsprechen.
Ich wünsche jedem Sucher, der sich auf den
Weg macht, seinem Leben Sinn zu geben, viel Glück und die Beharrlichkeit,
welche zum Erfolg führt.
NEIDAN 內丹 „innere
Alchemie“
WAIDAN 外丹 „äußere
Alchemie“
NEIGONG 內工 „innere
Arbeit“
NEIJIA 內家 innere
Schule, innere Richtung
QIGONG 氣工 „Atemarbeit“
WAIJIA 外家 äußere
Schule, äußere Richtung
QI 氣 taoistisch:
„Lebensenergie“; Luft, Atem, Dampf
TAIJI 太極 allergrößter, höchster Grad, Grenze,
Prinzip;
TAIJIQUAN 太極拳 »Große Schwelle« (nach Dolin); »Boxen des
großen Geistes« (nach Yao/Fassi)
JING 精 »Essenz«
(nach Requena); das energetische Fundament des Lebens, vergleichbar mit
angeborener Konstitution (nach Hempen)
SHEN 神 Mut,
geistige Energie (nach Yao/Fassi); die konstellierende Kraft, die lebendigen
Aspekte der Persönlichkeit, mentale Aktivität oder geistige Kraft (nach Hempen)
DANTIAN 丹田 Unterleibsgegend
CHAN 單 tiefe Meditation;
buddhistische Sekte (des Bodhidharma)
Albertus
Magnus; Ausgewählte Texte,
Darmstadt 2001
Aristoteles; Philosophische
Schriften, Darmstadt 1995
Borst, Arno (Hrsg.); Das Rittertum im Mittelalter; Darmstadt 1998
Burckhardt, Jacob; Griechische
Kulturgeschichte; 4 Bde, München 1982
Capelle, Wilhelm; Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968
Chang Dsu Yao und Fassi, Roberto; Shaolin
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[i] Der freie Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod; und seine Weisheit ist nicht ein Nachsinnen über den Tod, sondern über das Leben.
(Übers. Jakob Stern)
[ii] Im Sinne von spezifischer Tüchtigkeit zu einer spezifischen Leistung.
[iii] ı mËyow:Rede, Erzählung, insbes. erdichtete oder sagenhafte Erzählung.
[iv] ı lÒgow: Rede, Rechnen, Vernunft, Beweisführung, Schlußfolge.
[v] »…¶rvw hovers halfway between love and desire…« und »ÖErvw is thus desire for what we do not possess. The lover is a man who is unsatisfied.« sowie »Good therefore is not just that which we happen to desire at any given moment; it is that which would satisfy us, and which would continue to satisfy us once we had made the ascent of abstraction from particulars to the Form of the Beautiful.«(MacIntyre, S. 52).
[vi] »Dasein«
i.S.v. »Existenz« der Existenzphilosophie.
[vii] Eigentlich: das Nachgehen. Der Weg, etwas zu erreichen; Methode; kunstgemäßes oder geregeltes Verfahren.
[viii] Daisetz T. Suzuki, welcher als erster japanischer Zen-Meister, der auch mit dem abendländischen Denken vertraut war, die Zen-Lehre in den Westen brachte: »Der Mensch ist ein denkendes Wesen, aber seine großen Werke werden vollbracht, wenn er nicht rechnet und denkt.« (Herrigel, S.9)
[ix] ≤ érxÆ: »Der Grund, dasjenige, womit etwas in seinem Wesen anfängt, woraus es hervorkommt und worin es gewurzelt bleibt, heißt griechisch érxÆ, lateinisch principium, ›Prinzip‹.« (Heidegger; Nietzsche I)
[x] ≤ èrmon€a: Verbindung, Übereinstimmung, richtiges Verhältnis, Harmonie; insbesonders in der Musik: Einklang, Wohlklang.
[xi] In dieser Arbeit wird terminologisch streng zwischen »Ethik« als Theorie bzw. Lehre von Moral und »Moral« als der empirischen Entsprechung unterschieden.
[xii] In der philosophischen Terminologie des 21. Jhdts. ausgedrückt.
[xiii] Nicht-Sein = das „Nichts“.
[xiv] I.S.v.: in den Grenzen unseres physikalischen Universums.
[xv] Kant hat die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens auf unsere empirische Welt festgelegt:
»Es gibt also ein unbegrenztes, aber auch unzugängliches Feld für unser gesamtes Erkenntnisvermögen, nämlich das Feld des Übersinnlichen, worin wir keinen Boden für uns finden, also auf demselben weder für die Verstandes- noch Vernunftbegriffe ein Gebiet zum theoretischen Erkenntnis haben können; ein Feld, welches wir zwar zum Behuf des theoretischen sowohl als praktischen Gebrauchs der Vernunft mit Ideen besetzen müssen, denen wir aber, in Beziehung auf die Gesetze aus dem Freiheitsbegriffe, keine andere als praktische Realität verschaffen können, wodurch demnach unser theoretisches Erkenntnis nicht im mindesten zu dem Übersinnlichen erweitert wird.« [Kritik der Urteilskraft, S. 18. DB02, S. 25761]
Diese agnostische Weltsicht wurde Kant immer wieder vorgeworfen, seine Kritiker konnten jedoch bis zum heutigen Tag kein schlüssiges Gegenargument liefern.
[xvi] D.h. unsere physikalische Welt.
[xvii] D.h. ein „Jenseits“.
[xviii] Höherwertige Logikkalküle sind zu äquivok.
[xix] Der Kampf kommt ins Spiel, wenn formal-logische Strukturen als Mittel der Eristik in der Argumentation verwendet werden.
[xx] M.a.W. der nicht-denkenden und nicht-empfindenden Materie.
[xxi] Neben dem kolonialen.
[xxii] Der Beste zu sein, der Tapferste, der Erste, der Vorzüglichste. Sich auszuzeichnen, sich hervorzutun, die anderen zu übertreffen. Als Superlativ von égayÒw (gut, tüchtig, trefflich) ist das êriston der erste Platz in der Reihe, während das b°ltiston das sittlich Beste ist.
[xxiii] Die ersten Olympischen Agone datieren nach unserer Zeitrechnung auf 776 v.Chr und sie wurden alle vier Jahre abgehalten.
[xxiv] Wir würden von »Regeln der Fairneß« sprechen.
[xxv] Heute wäre dieses Urteil noch zu verschärfen: Der heutige Sport, der „Nachfolger des Agon“ hat jeglichen Bezug zur Bildung verloren und ist in eine kommerzielle Industrie pervertiert, deren primärer Zweck ökonomischer Natur ist.
[xxvi] Was den Unterschied zum altgriechischen Agon ausmachte: hier durfte jeder gebürtiger (freie) Hellene teilnehmen.
[xxvii] Frauendienst, Herrendienst, Gottesdienst (Borst S. 239). In der Ritterethik war Ehre der zentrale Gedanke, Tapferkeit, Kampfesmut, Verläßlichkeit, Ergebenheit, Opfersinn (François Louis Ganshof in Das Rittertum im Mittelalter, S. 137); Treue, Loyalität, Achtung der Frau, Schutz der Schwachen (ebd. S. 141).
[xxviii] Obwohl nicht explizit angeführt - was aufgrund der gesetzlichen Lage nicht möglich war -, zeigt diese Begründung an, daß man von Schnitzler erwartet hat, sich einem Duell zu stellen und damit seine Ehre herzustellen.
[xxix] Obwohl er mit dessen Bruder befreundet war!
[xxx] Der Auftrag des Königs.
[xxxi] Das Ziel eines Duells war nicht notwendigerweise der Tod. Es kam nicht auf die Tötung des Gegners an, sondern auf den Beweis des eigenen Muts und auf das Sichstellen. (V. Ute Frevert in: Das Duell, S. 392)
[xxxii] Es möge aus dieser Argumentation nicht die Schlußfolgerung gezogen werde, daß es gut und gerechtfertigt sei, asoziale, von der Gesellschaft geächtete Menschen zu töten!
[xxxiii] Und hier ist der genuine Ehrbegriff gemeint, wie z.B. kein Unrecht zu tun, sich der Sitte entsprechend untadelig zu verhalten, etc.
[xxxiv] Der Text des Rigveda reicht bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurück.
[xxxv] Dieses Problem ergibt sich in allen Kampfkunsttraditionen wie z.B. der chinesischen, da dieses Wissen aufgrund seiner martialischen Natur nur im engsten Kreis unter höchster Geheimhaltung tradiert wurde. Aufgrund des Fehlens verläßlicher Quellen ist eine wissenschaftliche Erfassung ausgesprochen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.
[xxxvi] Dolin verwendet den japanischen Ausdruck »Kempo«.
[xxxvii] Zugrundegelegt wurde die deutsche Ausgabe, übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bode. Der Verf. ist sich der Problematik solcher Vorlagen durchaus bewußt, ist jedoch mangels Kenntnis des Japanischen auf solche angewiesen. Hier gilt es lediglich aufzuzeigen, daß Parallelen in der Ausübung der verschiedenen Kampfkünste bestehen und daß im japanischen Kulturraum literarische Vorlagen mit kampfspezifischen Gesetzmäßigkeiten existieren, welche sich auch auf andere Kampfkünste übertragen lassen.
[xxxviii] 1584 - 1645
[xxxix] Fünf Ringe!
[xl] Das Schriftzeichen für »Wind« bedeutet auch »Stil«. (S. Musashi, S. 63, Fußnote)
[xli] Die Samurai trugen zwei Schwerter auf der linken Seite im Gürtel. Das kurze wurde immer getragen, das Langschwert nur außerhalb des Hauses. Die Angehörigen anderer Stände (zur Tokugawa-Zeit: Bauer, Handwerker, Kaufmann) hatten nur ein Schwert zur Verteidigung.
[xlii] Hier wird der Weg des Kaufmanns als Beispiel angeführt.
[xliii] Aufgrund der eminenten Bedeutung dieses Buches, generell in bezug auf Kampfkunst als auch auf Meditation, wird es vollständig zitiert.
[xliv] Aufgrund der verschiedenen Transliterationssysteme ist es schwierig, chinesische Termini eindeutig zuzuordnen. Sämtliche Termini in dieser Arbeit werden in der Transliteration der zugrundegelegten Quellen wiedergegeben. PINYIN-Transliteration - das sich heute durchsetzende Transliterationsverfahren - wird durch Blockbuchstaben angezeigt.
[xlv] Kursiv durch Verf.
[xlvi] Dolin verwendet für den chinesischen Ausdruck »Quanfa« („Faustweg“, „Faustmethode“, „Faustgesetz“ - die »Lehre von der Faust«) den japanischen Begriff »Kempo« als Überbegriff für die östlichen Kampfkünste.
[xlvii] 拳術:„Faustkunst“
[xlviii]Der Terminus »mental« wird als zerebraler Prozeß verstanden, unter welchem die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen mit den damit verbundenen psychischen Prozessen verstanden wird. Die methodische Trichotomie Körper - Geist - Seele, die schon von Kant vorgenommen wurde, stellt in diesem Kontext eine zu hoch differenzierte Begrifflichkeit dar, da der geistige Aspekt eines derartigen Trainings nicht auf rein intellektuelle, rein psychische oder rein somatische Prozesse reduziert werden kann.
[xlix]Analog dem Sinn der »Nachfolge« Kants, welche dieser im Kontext mit der Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils vorbringt (s. Kritik der Urteilskraft, B136ff): Nicht blinde Nachahmung ist anzustreben, sondern ein Lernen von den Vorgängern, sich schöpferisch tätig weiter zu entwickeln.
So werden die gleichen Übungen bei Übenden verschiedener Kulturen und verschiedener Zeiten – abgesehen von den individuellen Unterschieden - andere Ergebnisse evozieren, aber gewisse Strukturen werden gleich oder ähnlich bleiben.
[l]Ein „Nachleben“ der alten chinesischen Lebensweise wäre sicher eine Verfehlung für einen modernen, westlichen Menschen. Die Kunst des Kampfes im 21. Jahrhundert ist aufgrund geänderter Anforderungen eine andere als im alten China, wenn auch bestimmte Prinzipien gleich geblieben sind.
[li] Aufzufassen als ideale Voraussetzung für den Sportgedanken, dem Kräftemessen unter gleichen Ausgangsbedingungen. Dem Verfasser ist durchaus bewußt, daß in unserer Zeit die Kommerzialisierung eine Sportindustrie – auch auf dem Kampfsportsektor - geschaffen hat, welche diesem hehren Gedanken nicht mehr entspricht.
[lii] Im alten China wurde Kung Fu als Weg zur Vollkommenheit angesehen.
[liii] Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends.
[liv] Frühe Zhou-Dynastie: ca. 1030 bis 722 v. Chr. (nach Needham).
[lv] Frühe oder westliche Han-Zeit: 202 v. Chr. bis 9 n. Chr. (nach Needham).
[lvi] Auch in unseren Tagen wird in Asien ein Meister nicht als Meister anerkannt, wenn er nicht über das heilende Wissen verfügt. Es ist kennzeichnend für die Kampfkunst-Tradition, daß die Fähigkeit, mit bloßen Händen töten zu können, mit heilendem Wissen gepaart ist.
[lvii] Der »Korridor des Todes« (eine Galerie mit 108 menschenähnlichen, mit den verschiedensten Waffen ausgestatteten, mechanischen Puppen, welche nicht vorher kalkulierbare, tödliche Schläge austeilten) war die letzte Prüfung.
[lviii] 618 bis 906 n. Chr. (nach Needham)
[lix] 1368 bis 1644 n. Chr. (nach Needham)
[lx] Das chinesische QUANSHU, die »Kunst des (waffenlosen) Faustkampfes«, ist ein Unterbegriff von WUSHU („Kampfkunst“), der »Kunst des Kampfes«, womit auch der Kampf mit Waffen verstanden wird. Die buddhistischen Shaolin-Mönche waren der Achtung allen Lebens verpflichtet und bevorzugten deshalb das waffenlose QUANSHU oder verwendeten nur Stöcke, um Leben zu schonen, sie beherrschten jedoch auch höchst effizient achtzehn verschiedene Waffen.
[lxi] Diese Charakteristik Requenas für die inneren Kampfkunst-Stile ist nach Auffassung des Verfassers nicht hinreichend. Eine wesentliche Komponente des NEIGONG ist Meditation, sowie die Kontrolle des QI. Nur durch solche Techniken können die mentalen Resultate der äußeren Stile transzendiert werden. Einen reinen Stil wird man heute nur noch sehr selten finden, wenn überhaupt; am ehesten noch einen „äußeren“, und hier insbesondere beim Kampfsport, da das NEIGONG-Training für eine sportliche Anwendung zu gefährlich ist.
Siehe auch Dolin, S. 128.
[lxii] Bezüglich der Bezeichnungen herrscht eine große Vielfalt. Von Dolin chinesisch als »Tao« bezeichnet; im Japanischen »Kata«; nach Fassi/Yao »LU«; nach dem chinesischen Meister des Klubs, an dem der Verfasser trainiert, als »QUAN«. Wegen des großen Bekanntheitsgrades des Ausdrucks »Kata« wird in dieser Arbeit derselbe verwendet - auch wenn es sich hier um ein Buch aus dem Erfahrungshorizont eines (chinesischen) Kung-Fu-Stils heraus handelt.
[lxiii] In einem Kung-Fu-Kata manifestiert sich die Harmonie von Kraft, Atmung und Bewegung mit Orientierung auf Kampf, in einem Qigong-Kata die Harmonie von Atmung und Bewegung mit primär gesundheitlicher Ausrichtung. Es wird jedoch bei Qigong-Katas das für den Kampf erforderliche Körperbewußtsein geformt, sodaß Qigong indirekt zur Steigerung der Kampfeffizienz dient.
[lxiv] Nach Richard Wilhelm: »I Ging«
[lxv] Dieses Prinzip der Wechselwirkung ist kennzeichnend für einen inneren, „sanften“ Stil - nur auf diese Weise kann ein stärkerer Gegner überwunden werden.
[lxvi] Der Verfasser blickt (im Jahr 2004) auf eine 19jährige Erfahrung in der Praxis von Kung Fu, HONGQUAN-Stil, zurück, wovon ca. 14 Jahre effektive Trainingszeit sind. Der HONGQUAN-Stil geht auf den Abt des Shaolin-Klosters, Zhi Shang zurück. Sein Schüler Hong Qiguan kombinierte die Besonderheiten der harten mit denen der sanften Stile, was dazu führte, daß er alle seine Gegner überwinden konnte (v. Dolin S. 210). Das HONGQUAN-Training umfaßt auch heute noch die Abhärtung des Körpers im Sinne der äußeren Kampfstile, als auch das Mentaltraining der inneren Stilrichtungen. Trainiert wird nicht in kampfsportlicher Ausrichtung, sondern im Geiste der klassischen WUSHU-Tradition.
[lxvii]Qigong bzw. Kung Fu wurde bereits 1779 durch die Arbeit des Jesuitenpaters P.M.Cibot, Notice du Cong-Fu des Bonzes Tao-sée, der abendländischen Welt vorgestellt (Requena, S. 51).
[lxviii]Die Übersetzung altchinesischer Denkkategorien scheint schon für das moderne Chinesisch mit Schwierigkeiten behaftet, den Sinn dieses alten Denkens in eine europäische Sprache zu transportieren kann wohl nur mit einer sehr bescheidenen Annäherung erreicht werden.
[lxix] Kampfsport soll an dieser Stelle in keiner Art und Weise abqualifiziert werden. Für junge Menschen, welche noch kein ausgeglichenes Selbstbewußtsein besitzen und sich noch beweisen müssen, ist dies eine gute Sache. Durch strenge Regeln werden bei den Wettkämpfen schwere Verletzungen vermieden und man lernt dadurch das kennen, was als »sportliche Fairneß« bezeichnet wird. Ein Sieg, der durch Betrug oder „unsaubere“ Praktiken errungen worden ist, ist kein Sieg. Ein echter Sieger ist nur derjenige, welcher einen anderen, der den gleichen Rahmenbedingungen im Wettbewerb unterworfen ist, besiegt. Solche Einstellungen äußern sich auch im existentiellen Kontext, und der Ruf, seine Mitmenschen fair zu behandeln, ist nicht gerade die schlechteste Empfehlung für einen Menschen.
[lxx]Im heutigen China wird Kung-Fu-Ausbildung in Hinblick auf eine spätere berufliche Umsetzung betrieben.
[lxxi] Die Differenzierung von praxis und theoria wurde erst durch Aristoteles vorgenommen .
[lxxii]Welcher sich wohl auch in unserer Zeit noch immer in einer entsprechenden Lebenshaltung artikuliert.
[lxxiii]Und zwar auch auf der rein physischen Trainingsebene!
[lxxiv]Als intendiertes Ideal postuliert.
[lxxv] Der innere Kampf.
[lxxvi] Der äußere Kampf.
[lxxvii]In der Antike handelte es sich beim philosophischen Kampf keineswegs nur um eine rein theoretische, reflektive Auseinandersetzung mit der Kampfthematik, wie aus der Schilderung des Verhaltens Sokrates’ in der Schlacht bei Delion im Symposion (221a-b) und im Laches Platos (181a-b) hervorgeht.
[lxxviii]Wenn auch nur als nie erreichbares Ideal postuliert.
Hegel artikuliert sehr schön den geistigen Harmoniegedanken im Kontext mit Kunst: »Denn der Mensch hat ernstere Interessen und Zwecke, welche aus der Entfaltung und Vertiefung des Geistes in sich herkommen und in denen er in Harmonie mit sich bleiben muß. Die höhere Kunst wird diejenige sein, welche sich die Darstellung dieses höheren Inhalts zur Aufgabe macht.« (Ästhetik I, S. 225)
[lxxix]So spricht Jaspers (Philosophie I, S. 176) vom »Kampfe des Geistes mit sich selbst« im Kontext mit der Sphäreneinteilung des Geistes, wie z.B. Logik, Ästhetik, Religionsphilosophie, etc. Das Problem des scheinbar einen Geistes seien die vielen Sphären, welche sich gegenseitig ausschlössen und im Kampfe stünden. (S. 180)
[lxxx]Bei der chinesischen Kampfkunst wird der Körperaspekt mit einbezogen - ein Aspekt, welcher im westlichen Bildungswesen völlig fehlt bzw. nicht in Kontext mit dem Bildungsgedanken auftritt.
[lxxxi]Offensichtlich war aber im antiken Griechenland die Kunst des Kämpfens (gegen andere Menschen) ebenfalls auf Verteidigung ausgerichtet (vgl. Plato, Gorgias 456e). Dies weist auf kulturindifferente Strukturen in den moralischen Einstellungen in bezug auf Kampf hin.
[lxxxii]Was allerdings nicht mit notwendiger Konsequenz zu einer moralischen Lebensweise führt.
[lxxxiii] Kampf in Notwehrsituationen bringt es mit sich, daß sich u.U. aus situativen Umständen heraus eine Notwendigkeit zum Töten anderer Menschen ergibt, d.h. auch aus einem ethisch zu rechtfertigenden Kontext kann sich eine Situation ergeben, welche zum Tode eines anderen Menschen führen kann.
[lxxxiv] Im alten China war damit vermutlich die Gesundheit an (in europäischen Denkkategorien ausgedrückt) Körper, Geist und Seele gemeint.
[lxxxv] Und dies sind nicht nur eigene Erfahrungen des Verfassers. Dies trifft bei einer richtigen Trainingsweise wahrscheinlich auf jeden zu, der traditionell trainiert.
[lxxxvi] Es mag hier angemerkt werden, daß eine traditionelle Trainingsmethode auf Lebensbewältigung ausgerichtet ist, und im Leben wird einem nichts geschenkt. Eine rein spielerische Auseinandersetzung mit dem Leben im existentiellen Kontext wäre nicht ratsam, da dies zum Scheitern führen würde.
[lxxxvii] Mit »Führer« sei an dieser Stelle natürlich nicht jene Verzerrung des ursprünglich positiven Begriffs durch die Nazi-Ideologen gemeint. Ein wahrer Führer ist einer, welcher zum Wohle derjenigen handelt, welche ihm nachfolgen.
[lxxxviii] Im alten China wurden die Sieger von Wettkämpfen zu Minister und Feldherren gekürt.
[lxxxix] Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, daß ein Kampfkunstmeister unfehlbar bzw. unbesiegbar wäre.
[xc] In diesem Standardwerk der traditionellen, chinesischen Medizin werden die verschiedenen Faktoren erörtert, welche für ein langes und gesundes Leben, sowie für die Heilung von Krankheiten von Bedeutung sind. In Dialogform werden die kosmischen Einflüsse auf den Menschen und die Wechselwirkung mit der Natur erörtert. Es zeigt sich in diesem Werk der Geist des alten China, welcher von einer universalistischen Harmonie zwischen Kosmos, Mensch und Natur ausgeht.
[xci] Nach Beurteilung des Verfassers trifft dies zu. Erst das NEIGONG-Training führt zu den Bewußtseinsformen, welche einem Kämpfer Zugang zum Wesen des Kampfes als Kunst gewähren.
[xcii] Lungen-, Dickdarm-, Magen-, Milz-, Herz-, Dünndarm-, Blasen-, Nieren-, Herzbeutel-, „Dreifacher-Erwärmer“-, Galenblasen-, Leber-Leitbahn.
[xciii] Du-Mai-, Ren-Mai-, Chong-Mai-, Dai-Mai-, Yin- und Yang-Qiao-Mai-, Yin- und Yang-Wei-Mai-Leitbahn.
[xciv] Der Verfasser blickt (im Jahr 2004) auf eine fünfjährige Praxis des Drachenweges zurück. Der Drachenweg besteht aus den Gigong-Katas Drache, Tiger, Schlange, Leopard, Kranich und geht auf die Shaolin-Tradition zurück. Die ohne Kraft, basierend auf einer Harmonie von Bewegung und Atmung, praktizierten formalen Figuren fördern in erster Linie die für den Kampf notwendigen, gesamtkörperbewußten Mentalzustände, welche die Kampfeffizienz steigern. Der gesundheitliche Aspekt dürfte - für den Drachenweg - in alter Zeit erst an zweiter Stelle gestanden haben. Qigong-Übungen dürften in alter Zeit generell als Auflockerung von Verkrampfungen nach längeren Meditationssitzungen gedient haben. In intensiver Form praktiziert, ist der Drachenweg eine Form von Bewegungsmeditation.
Kung Fu ist - nach dem traditionellen Verständnis - eine Form des „kämpfenden Qi Gong“, da hier die Atmung als „Kampfmittel“ eingesetzt wird, in dem Sinne, daß durch Synchronisierung der Atmung mit Kraft und Bewegung das körperliche Leistungspotential und die bewußte Perzeptions- und Reaktionsfähigkeit gesteigert werden.
Der Verfasser hat keine Erfahrung mit dem therapeutischen Qi Gong. Da jedoch das zugrundeliegende Prinzip das gleiche wie im kämpfenden Qi Gong ist, erlaubt er sich eine - ansatzweise - extrapolierende Kritik an den heutigen traditionell-medizinischen Qigong-Praktiken.
[xcv] Requena in der deutschen Übersetzung, S. 55: »Überall im menschlichen Körper zirkuliert Energie. Das Wort Energie gibt annäherungsweise die Bedeutung des chinesischen Schriftzeichens Qi wieder, das im Wort Qi Gong enthalten ist. Die Sinologen bieten uns eine sprachlich genauere Übersetzung an, die Atem bedeuten würde, doch wird Energie als klassischer Begriff benutzt.«
Requena im Original, S. 49: »Partout dans le corps humain l’énergie circule.
Le mot ‹ énergie › est
l’approximation du caractère chinois ‹ Qi › qui forme le mot Qi Gong. Les sinologues nous
invitent à une traduction plus puriste qui devrait être ‹ les souffles ›. Cependant, ‹ énergie › est le terme classiquement employé.«
Aus dem Original geht die Emphase auf den Akt des Atmens (die Tätigkeit) besser hervor als aus der deutschen Übersetzung. Außerdem schwingen im französischen Begriff noch „Geist“,Inspiration bzw. intuitives Potential mit, was im Deutschen fehlt. Das Potential von Qi Gong liegt nicht im Atem, sondern im Atmen.
[xcvi] Es stellt sich die Frage, warum die europäische Medizin die Leitbahnen nicht gefunden hat, wenn elektromagnetische Wellen diese anzeigen? - Elektromagnetische Phänomene sind meßbar.
[xcvii] Diese Vorstellung legt auch das französische Original (S. 279f) nahe, d.h. ist nicht auf die deutsche Übersetzung zurückzuführen.
[xcviii] Es soll an dieser Stelle kein apotheosierender Szientismus (Wissenschaft hat ihre Grenzen) vertreten werden, wissenschaftliches Wissen ist aber Gewähr für eine relative Sicherheit des Wissens, während die mythischen Welterklärungen weitgehend auch auf (bereits nachgewiesenem) Aberglauben beruhen.
[xcix] Der Verfasser hatte bis zum Jahr 1987, als er sich mit Meditation zu beschäftigen begann, eine ca. 20jährige Erfahrung mit dem autogenen Training nach Schultz, vorwiegend Unterstufe, gesammelt. Bei dieser Form der Entspannungsübung mit einem guten therapeutischen Potential handelt sich um eine Methode, welche der europäischen Mentalität angepaßt ist. Aufgrund der sprachlich orientierten Basis handelt es sich um eine schwache Technik, welche aber gerade dadurch für eine therapeutische Anwendung besonders gut geeignet ist. Kranke haben eine schwache Konstitution, weshalb der Einsatz einer „starken“ Meditationstechnik nicht empfehlenswert wäre. Die Problematik besteht - nach Dafürhalten des Verfassers - darin, daß die heutigen Mediziner die Technik nicht mehr richtig erlernen und deshalb unterschätzen. Schon Schultz hat sich über Kurpfuscherei, Modifikationen und Mißbrauch des Verfahrens im Vorwort zur zehnten Auflage beklagt.
[c] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß diese Form des Übens für Unkundige höchst gefährlich ist und bei unsachgemäßer Anwendung zu schweren, gesundheitlichen Schäden führen kann.
[ci] Dieses Anführungszeichen durch Verfasser.
[cii] Diese Verständnisform liegt der vorliegenden Arbeit zugrunde.
[ciii] Der asiatische Kulturraum als Wiege solcher Techniken ist von herausragender Bedeutung.
[civ] Wenn auch philosophisches Denken Wissenschaft transzendiert.
[cv] Für eine nähere Auseinandersetzung zwischen dem philosophischen Denken und der anthroposophischen Lehre wird auf den Aufsatz Meditationsphilosophie, publiziert vom Verfasser im Marburger Forum, verwiesen .
(Internet-Adresse: http://www.philosophia-online.de/)
[cvi] Siehe die nachfolgenden Kapitel.
[cvii] Meditative Zustände führen zu Glückseligkeitsgefühlen, welche – so die Vermutung des Verfassers - aus einer vermehrten Ausschüttung körpereigener Endorphine resultieren, d.h. eine physische Entsprechung haben. Derartige Hinweise liegen bereits vor, eine diesbezügliche Bestätigung kann allerdings nicht von philosophischer, sondern nur von medizinischer Seite erbracht werden.
[cviii] Eine Interpretation, daß es sich hier um die Schilderung eines Wunders oder einer Vision handelt, muß zurückgewiesen werden. Diese Schilderung weist auf einen mentalen Zustand hin, welcher normalerweise in kontrollierter Form im meditativen Versenkungszustand auftritt, sich jedoch „verselbständigt“ hat, d.h. unkontrolliert im außermeditativen Normalzustand aufgetreten ist.
[cix] Real i.S.v. subjektivem Realitätsbewußtsein im Gegensatz zur objektiven Wirklichkeit.
[cx] Nicht nur bei Ramakrischna - die gesamte Meditationsliteratur ist voll von solchen Berichten, daß ein außergewöhnlich Begabter solche Phasen durchlaufen und besondere Befähigungen erworben habe.
[cxi] Bzgl. medizinischer Differenzierung v. Engel, S. 268ff
[cxii] Die Zahl der tragisch verlaufenen, welche in Krankheit oder Tod geendet haben, mögen Legion sein.
[cxiii] Es sei an dieser Stelle auf die scharfe Kritik Humes an den sogenannten „Wundern“ in On Human Nature and the Understanding, Section 10, Of Miracles, S. 115 – 136, verwiesen.
[cxiv] Das unbestimmte Unendliche oder unendlich Unbestimmte.
[cxv] Gerade angebliches „Geheimwissen“ eignet sich besonders gut für falsche Prätentionen.
[cxvi] »Wissen« i.S.v. relativ sicherem, rationalen Wissen, welches beweis- bzw. begründbar sein muß.
[cxvii] D.h. die Erlebnisse werden durch die verwendeten Techniken kausiert, haben aber ihren Ursprung im Unterbewußtsein, d.h. es sind psychogene Ursachen anzunehmen.
[cxviii] Meditative Techniken, welche auf die „Leere“ ausgerichtet sind, haben in diesem Bereich doch eine andere Dynamik.
[cxix] »Erweckung« ist mit »Erleuchtung« gleichzusetzen (v. Viallet, S. 77).
[cxx] Anzumerken wäre, daß er zwar auf seinem Zen-Weg gescheitert ist, sein weiterer Lebenslauf zeugt jedoch von einem erfolgreichen Leben. In seinem „Scheitern“ hat er offensichtlich etwas gelernt, was ihn zu diesem Leben befähigte.
[cxxi] Aus Sicht des Verfassers sind präsente Schmerzen im meditativen Akt, also während des Meditierens, - gleichgültig, ob durch eine falsche Meditationshaltung oder aus sonstigen Gründen - eine starke, meditative Kontraindikation. Der Lotus mag die ideale Meditationshaltung sein, nicht jedoch für jemanden, der diesen Sitz nicht vom Kleinstkindalter an geübt hat.
[cxxii] Es stellt sich aus meditationsphilosophischer Sicht die Frage, ob solche Gewaltkuren sinnvoll sind.
[cxxiii] M.a.W.: Wurde dieser Überzeugung vielleicht erst durch das Meditieren kausiert und wäre ohne solche nie entstanden?
[cxxiv] Mit dem EEG werden vier Hauptarten von Wellen beim Messen der Hirnströme unterschieden:
Beta-Rhythmus: normale Hirnaktivität Erwachsener im Wachzustand; geringe Amplitude, Frequenz 13 - 30 Hz.
Alpha-Rhythmus: Hirntätigkeit bei wachen, ruhenden Erwachsenen mit geschlossenen Augen ohne optische oder akustische Reize; höhere Amplitude als bei Beta-Wellen, geringere Frequenz von 8 - 12 Hz (nach Kairies u. Schrott 8 - 13 Hz).
Theta-Rhythmus: 4 - 7 Hz (nach Kairies u. Schrott 4-8 Hz); z.B. bei Kindern und Erwachsenen im Einschlafstadium.
Delta-Rhythmus: große, langsame Wellen unter 4 Hz; typisch für traumlosen Tiefschlaf (nach Engel, S. 198).
[cxxv] »Orme-Johnson, D. (1987) Medical Care Utilization and the Transcendental Meditation Program. Psychosomatic Medicine 49: 493-507
»In einer fünfjährigen Feldstudie wurden 2000 Meditierende mit den 600.000 Versicherten desselben Trägers verglichen. Bei vergleichbaren demographischen Grunddaten zeigten Meditierende in allen Kategorien geringere medizinische Nutzungsraten. Im Vergleich mit fünf anderen Versicherungen gleicher Größe und berufsbezogener Mitgliedschaft wies die Meditationsgruppe 53,3 % weniger Patientenaufnahmen und 44,4 % weniger Arztbesuche auf. Arztbesuche waren 46,8 % weniger für Kinder (0-18 Jahre), 54,7 % weniger für junge Erwachsene (19-39 Jahre) und 73,7 % niedriger für ältere Erwachsene (40+). Bei den Krankenhauseinweisungen lagen die Patiententage 50,2 % niedriger für Kinder (0-18 Jahre), 50,1 % niedriger für junge Erwachsene (19-39 Jahre) und 69,4 % niedriger für ältere Erwachsene (40+).« (Fehr, Pkt. 6.1; s.a. Engel, S. 237)
[cxxvi] Damit ist Jaspers gemeint.
[cxxvii] Hier wird die Grenze des (möglichen) wissenschaftlichen Untersuchungshorizonts überschritten.
[cxxviii] I.S.v adaequatio rei et intellectus.
[cxxix] Dies spricht gegen das Erlernen von Meditation durch Bücher!
[cxxx] Die „rationale Meditation“ wäre dem Wesen nach philosophische Reflexion. In dieser wäre ein unbewußter (d.h. unbegründbarer) Faktor undenkbar, da ein inkonsistentes Philosophem keiner kritischen, rational-logischen Untersuchung standhalten würde.
[cxxxi] Dem Verfasser persönlich bekannt. Sie hatte in Medjugorje das Erlebnis eines Lichtwunders.
[cxxxii] Rationalität gehört genauso zum Ich wie das Irrationale.
[cxxxiii] Der Meditierende wendet sich im meditativen Akt seinem eigenen Selbst zu.
[cxxxiv] Die mentalen Prozesse, welche im Meditieren initiiert werden, müssen immer abgeschlossen werden, da ansonst mit gesundheitlichen Schäden zu rechnen ist. Meditation ist ein Weg: der Weg in die tiefsten Schichten der eigenen Seele. Man muß immer zum Ausgangspunkt (d.h. zum normalen Wachbewußtsein) zurückkehren.
[cxxxv] Nicht als Verehrung einer anderen geistigen Wirklichkeit.
[cxxxvi] Problematisch ist die ausschließliche Zuordnung dieser Argumentationsstruktur der meditativen Praxis, da derartige Argumente durchaus auch einen nicht-meditativen Ursprung haben können.
[cxxxvii] Beim Menschen als psychophysische Entität hinterlassen somatische Vorgänge auch im „Geist“ ihre Spuren und vice versa.
[cxxxviii] D.h. von Einflüssen, welche „von außen“ - wie durch die Umwelt - auf den Meditanten wirken.
[cxxxix] Einflüsse, welche „von innen“ - wie durch psychische oder physiologische Prozesse, Hormone, etc. - wirken.
[cxl] Das Vergangene ist noch nicht ganz weg und das Zukünftige ist noch nicht da. Veränderungen bringen generell eine gewisse Instabilität mit sich, Meditation ist hier keine Ausnahme.
[cxli] Es sei darunter ein Zeitraum von Jahrzehnten verstanden.
[cxlii] Wie ist diese extreme Differenz zu interpretieren?
[cxliii] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß statistische, mit stochastischen Mitteln erzielte Untersuchungsergebnisse keine zuverlässigen Kausalschlüsse zulassen.
[cxliv] D.h. eines, welches auf wissenschaftliche Kriterien reduziert ist.
[cxlv] V. Aristoteles: »Man wird daher annehmen dürfen, daß diejenigen Lehren, die der Wahrheit entsprechen, nicht nur im Sinne der Theorie, sondern auch für die Praxis des Lebens die wertvolleren sind. Man schenkt ihnen Glauben, weil ihnen die Taten entsprechen, und sie bilden deshalb für die Hörer den Antrieb, sich nach ihnen zu richten.« (Nikomachische Ethik, S. 217; DB02, S. 5140)
[cxlvi] I.S.v. adaequatio intellectus et rei.
[cxlvii] Es war doch nur notwendig, ein bißchen auf den Boden zu sehen…wie konnte man nicht sehen, wohin man ging!
[cxlviii] V. Albertus Magnus: »Philosophi enim est id, quod dicit, dicere cum ratione.« (S. 170)
[cxlix] Der Galaxien, Sonnen, Planeten, etc.
[cl] Auf die Problematik der Wellennatur oder korpuskularen Natur des Lichts sei hier nicht eingegangen. Dieses Problem kann nur von der Physik gelöst werden.
[cli] M.a.W. der menschliche Verstand projiziert seine ihm immanenten Gesetzmäßigkeiten in die Natur hinaus.
[clii] Satz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten.
[cliii] So lassen beim Doppelspaltexperiment die auftretenden Interferenzstreifen keine Deutung zu, ob das Licht eine Wellen- oder ein Partikelnatur hat. (V. Zeilinger, S. 30f, S145f)
[cliv] Wozu auch die Sprache der Mathematik zählt.
[clv] In Meditationskreisen wird Wissenschaft und Rationalität sehr geringschätzig gegenüber dem „höheren“ durch Meditation erworbenen „Wissen“ betrachtet.
[clvi] »Das ist: dieser Teil des Menschengeschlechts war in der Ausübung seiner Vernunft so weit gekommen, daß er zu seinen moralischen Handlungen edlere, würdigere Bewegungsgründe bedurfte und brauchen konnte, als zeitliche Belohnung und Strafen waren, die ihn bisher geleitet hatten.«
[Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts, S. 26. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 31731 (vgl. Lessing-W Bd. 8, S. 502)]
[clvii] »Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.«
[Also sprach Zarathustra, DB02, S. 67748 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 279)]
[clviii] Kant: »Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.«
[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 73. DB02, S. 25019 (vgl. Kant-W Bd. 7, S. 59-60)]
[clix] Ein humanistisch gebildeter Rezipient wird diese Aspekte des Denkens Nietzsches nicht übersehen.
[clx] Die fürchterlichste Konsequenz dieser Denkweise ist im 20. Jahrhundert in der Umsetzung der Nazi-Ideologie zu beobachten.
[clxi] Heideggerkenner mögen diese Kurzcharakteristik des »Daseins« mit Nachsicht beurteilen. Heidegger hat in seiner Arbeit weitgehend das Weltbild des westlichen Menschen des 20. Jahrhunderts in einer allgemeingültigen Sprache dargestellt, deren Verständnis ein eingehendes Studium erforderlich macht. Hier soll nur in einer allgemeinverständlichen Weise die Perspektive des Heideggerschen Menschenbegriffs im Umriß aufgezeigt werden.
[clxii] Im »Dasein« wird implicite das Wissen um das Dasein ausgedrückt. Nur der Mensch weiß um sein Dasein; nur der Mensch ist sich dessen bewußt. Diese terminologische Kennzeichnung im Kontext mit der sprachlichen Struktur des Werkes läßt die Frage zu, ob diese Charakterisierung nur auf die Spezies Mensch zutrifft, oder ob damit nicht sämtliche personalen Lebensformen, wie sie sich auf anderen Planeten in unserem Universum entwickelt haben könnten, zuträfen.
[clxiii] »Der Gewissensruf hat den Charakter des Anrufs des Daseins auf sein eigenstes Selbstseinkönnen und das in der Weise des Aufrufs zum eigensten Schuldigsein.« (S. 269)
[clxiv] »Seiendes, dessen Sein Sorge ist, kann sich nicht nur mit faktischer Schuld beladen, sondern ist im Grund seines Seins schuldig. Welches Schuldigsein allererst die ontologische Bedingung dafür gibt, daß das Dasein faktisch existierend schuldig werden kann. Dieses wesenhafte Schuldigsein ist gleichursprünglich die existenziale Bedingung der Möglichkeit für das ›moralisch‹ Gute und Böse, d.h. für die Moralität überhaupt und deren faktisch mögliche Ausformungen.« (S. 286)
[clxv] »Erst im Sterben kann man gewissermaßen absolut sagen >Ich bin<.« (Prolegomena, S. 440)
[clxvi] »Angst« nicht als psychologischer, sondern als ontologisch-existenzialer Terminus verstanden: als »Befindlichkeit«. Die »Stimmung«, die seelischer Komponente, bestimmt wesentlich die Verfassung des Menschen. Er muß diese Zustände auch rational verarbeiten: In welchem Zustand befindet er sich?
[clxvii] D.h. ein erfolgreiches, erfülltes Leben führen zu können.
[clxviii] »Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit, das heißt die Einheit des ›Außer-sich‹ in den Entrückungen von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart, ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß ein Seiendes sein kann, das als sein ›Da‹ existiert.« (Sein und Zeit, S. 350)
[clxix] Jaspers definiert »Dasein« als das Umgreifende des Lebewesens; das Leben des Menschen, der Tiere, der Pflanzen. (Von der Wahrheit, S. 53ff)
Als Existenz transzendiert der Mensch sein Dasein. »Was ich eigentlich bin, ist das Umgreifende des Selbstseins. Selbstsein heißt Existenz.« (Ebd., S. 76ff)
[clxx] Wie Tod, Leiden, Kampf, Schuld (Philosophie, Bd. II, S. 209)
[clxxi] »Es ist das Wesen der Existenz, daß in ihr, zu ihr gehörig, ein Über-sie-Hinaus ist.«
(Philosophie, Bd. II, S. 145)
[clxxii] »Kampf ist ein Grundphänomen des Lebens.« (Von der Wahrheit, S. 478)
[clxxiii] »Existenz ist im Prozeß des Selbstwerdens, der ein Kampf mit sich ist. Ich knicke in mir Möglichkeiten, vergewaltige meine Antriebe, ich forme meine gegebenen Anlagen, stelle in Frage, was ich geworden bin, und bin mir bewußt, nur zu sein, wenn ich mein Sein nicht als Besitz anerkenne.« (Philosophie, Bd. II, S. 234)
[clxxiv] »Die Transzendenz des Seins des Daseins ist eine ausgezeichnete, sofern in ihr die Möglichkeit und Notwendigkeit der radikalsten Individuation liegt.« (Sein und Zeit, S. 38)
[clxxv] »In der horizontalen Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründend, ist die Welt transzendent. Sie muß schon ekstatisch erschlossen sein, damit aus ihr her innerweltliches Seiendes begegnen kann.« (Sein und Zeit, S. 366)
[clxxvi]
»Das ›Transzendenzproblem‹ kann nicht auf die Frage
gebracht werden: wie kommt ein Subjekt hinaus zu einem Objekt, wobei die
Gesamtheit der Objekte mit der Idee der Welt identifiziert wird. Zu fragen ist:
was ermöglicht es ontologisch, daß Seiendes innerweltlich begegnen und als
begegnendes objektiviert werden kann? Der Rückgang auf die ekstatisch-horizontal
fundierte Transzendenz der Welt gibt die Antwort.«
(Sein und Zeit, S. 366)
[clxxvii] So argumentiert Laktantius, einer der letzten beiden christlichen Apologeten zur Zeit Konstantins, daß Tugend das unnützeste und törichste Ding der Welt sei, wenn es keine Aussicht auf das höchste Gut, die Unsterblichkeit, als göttlichen Lohn gäbe.
[V. Vorländer: Geschichte der Philosophie; DB03, S. 7416 (vgl. Vorländer-Gesch. Bd. 1, S. 223)]
[clxxviii]
In der Antike war die Basis des Umgangs zwischen einem philosophischen Lehrer
und seinen Schülern die fil€a, die
freundschaftliche Zuwendung. Diese Form des Du-Sagens ist auch die beste
Voraussetzung zum Erlernen von Meditationsphilosophie bzw. von Meditation
generell.
[clxxix] In den verschiedenen, traditionellen Meditationsrichtungen läßt sich ein hohes Ausmaß an Toleranz gegenüber anderen Lehren feststellen. Durch Meditation scheinen sich konkordante Verständnisformen zu bilden, was darauf hindeutet, daß beim Meditieren ähnliche, mentale Prozesse ablaufen, und zwar auch dann, wenn verschiedene Techniken verwendet werden.
[clxxx] Dies sowohl im erkenntnistheoretischen, als auch ethischen Sinne.
[clxxxi] Die richtige Erkenntnis.
[clxxxii] Es ist ein sonderbares Phänomen, daß Meditieren eine höchst sozialisierende Komponente in sich trägt. In der Regel wird mit esoterischen Eigendünkel begonnen, wie dem Bewußtsein eines exklusiven „Geheimwissens“, was den Eigenwert natürlich wesentlich hebt und der eigenen Eitelkeit fürchterlich schmeichelt. Nach geraumer Zeit kommt man zu der Schlußfolgerung, daß das, was man macht, gut ist und fragt sich, warum man dieses Wissen für sich behalten soll. Dies ist - nach Berichten der Meditationsliteratur - die Geburt eines Guru.
[clxxxiii] Wie Einheit mit dem Universum, Gott, etc.
[clxxxiv] Es wäre ausgesprochen paradox, einerseits rationales Wissen als defizient zurückzuweisen, um andererseits genau diese Form von Beweisführung für meditative Erlebnisse in Anspruch zu nehmen.
[clxxxv] §k-st∞na: das Außersichgeraten.
[clxxxvi] I.S.v.: »nicht einer rationalen Beurteilung zugänglich«.
[clxxxvii] Das „Ich“ wird immer stärker. Meditieren bedeutet nicht, seine Identität zu verlieren, sondern diese zu stärken und immer mehr selbst zu werden, d.h. eine höhere Selbstverfügung zu entwickeln.
[clxxxviii] Der innere Kampf hatte einen höheren Stellenwert.
[clxxxix] »Tao« bedeutet wörtlich »Weg« oder »Straße«. In den ältesten Formen des Ideogramms zeigen sich drei Elemente: ein Weg, ein menschliches Haupt und ein menschlicher Fuß. Bei einer etymologischen Deutung, daß es sich bei diesen Elementen um einen Führer mit seinen Jüngern handelt, welche gemeinsam ihren Weg suchen, beinhalte sie eine ethische Komponente und beziehe sich auf die äußeren, mitmenschlichen Beziehungen, während sie sich beim „Sitzen“ nach der Lehre des Inneren Elixiers als Konzentration der psychischen Energien ins Unterbewußte auswirke. (Miyuki, S. 22f)
Wenn es allerdings richtig ist, daß in diesem Ideogramm nicht ein einzelnes Individuum gemeint ist, kann eine Interpretation in der Weise erfolgen, daß damit die Menschheit als solche auf ihrem Weg zum universellen Urgrund dargestellt wird.
[cxc] Auf unsere Zeit übertragen würde dies bedeuten, daß das beständige Siegen in Wettkämpfen kein Kriterium für die Bewährung im Lebenskampf darstellt.
[cxci] Welcher diesem Denken entsprechend auf eine metaphysische Transzendenz ausgerichtet war.
[cxcii] In der Sprache Jaspers’: »Existenz«.
[cxciii] D.h. diese Denkkategorien sind auch heute noch immer praktisch verwertbar.
[cxciv] Was ist die richtige Methode, die zum Erfolg führt? Gibt es eine ausschließlich richtige Methode?
[cxcv] M.a.W.: Läßt sich das erfüllte Leben objektivieren?
[cxcvi] »Objektivierung« in dem Sinne, daß es sich um ein außerhalb des subjektiven Individuums befindliches, subsistierendes Objekt handelt.
[cxcvii] D.h. in der Wirklichkeit des Menschen.
[cxcviii] Solche „Tests“ würden von einer grenzenlosen Verantwortungslosigkeit und menschlicher Unreife zeugen, da am Ende immer der Tod ins Spiel käme. D.h. die Effizienz traditioneller Trainingspraktiken zeigt sich erst in echten Notwehrsituationen.
[cxcix] Als ausschließlicher Lebensinhalt.
[cc] Eine qualitative Gleichsetzung mit der meditativen Versenkung kann nicht vorgenommen werden.
[cci] Die wissenschaftliche Untersuchung der psychischen Vorgänge ist Gegenstand der Psychologie.
[ccii] Das Setzen des Modushorizonts.
[cciii] Wie z.B. bei einem Menschen, welcher sich bei seinen Mitmenschen nicht durchsetzen kann und deshalb Yoga erlernt. Aufgrund des Unterrichts erlangt er allerdings nicht nur die Fähigkeit sich durchzusetzen, sondern er wird derart aggressiv und unausstehlich, daß seine Mitmenschen nicht mehr mit ihm zusammenleben können und er sich in ärztliche Behandlung begeben muß.
[cciv] »Maß (ist das) Beste.« (Fink, S.30)
Dieser Satz des Kleobulos, eines der sagenhaften Sieben Weisen, spiegelt den Ethos des altgriechischen Geistes wider und wurde in der Ethik Aristoteles’ als mesÒthw, als (Maß der) Mitte, überliefert. Aus einer existentiellen Erfahrung heraus entworfen, ist er jedoch in meditativer Hinsicht von höchster Relevanz: Ein Verstoß gegen diese Regel führt Meditanten in Gefahr.
[ccv]
Suche den Schein und du verlierst das Sein.
Suche das Sein und du benötigst keinen Schein. Begib dich auf den Weg der
Wahrhaftigkeit und du brauchst weder dich noch andere täuschen…
[ccvi] I.S.v. Glücksgefühl.
[ccvii] éretÆ!
[ccviii] …und wenn es nur 5 Minuten pro Tag sind…
[ccix] Dies bedeutet nicht, daß ein mechanistisches Weltbild falsch ist.
[ccx] D.h. kritisch zu untersuchen.
[ccxi] - selber denken lernen.
[ccxii] Interessant ist in diesem Kontext der chinesische Seins-Begriff »SHI« (是), in welchem die Bedeutung des Wahr-seins mitschwingt, d.h. eine Verknüpfung des prädikativen »ist« mit »wahr« auftritt.
[ccxiii] Dies ist der existentielle Hintergrund der existenzialen Interpretation des Gewissens durch Heidegger.
»Dem angerufenen Selbst wird ›nichts‹ zu-gerufen, sondern es ist aufgerufen zu ihm selbst, d.h. zu seinem eigensten Seinkönnen.« (Sein
und Zeit, S. 273)
[ccxiv] Das Existieren.
[ccxv] Der Frage einer Sinngebung des eigenen Lebens durch die Existenz eines geliebten Menschen, d.h. einer Sinngebung durch Liebe, sei hier nicht nachgegangen.
[ccxvi] Sowohl in seiner existentiellen Potentialität, als auch in seiner zeitlichen Begrenztheit.
[ccxvii] Eine speziezistische Argumentation, daß die Sinngebung als rein menschliches Problem angenommen werden kann, wird hier nicht verfolgt, da anzunehmen ist, daß jede personale Lebensform dieses Universums mit der gleichen Problematik konfrontiert ist.
[ccxviii] Wenn auch Leid und Not, Schmerzen und Qualen faktisch in jedem individuellen Schicksal auftreten, wäre es doch abstrus, diese existentiellen Komponenten als Lebensziel zu definieren.
[ccxix] »That those who aim at happiness for happiness’s sake often fail to find it, while others find happiness in pursuing altogether different goals, has been called ‘the paradox of hedonism’. It is not, of course, a logical paradox but a claim about the way in which we come to be happy. Like other generalisations on this subject, it lacks empirical confirmation. Yet it matches our everyday observations and is consistent with our nature as evolved, purposive beings.« (Singer, S. 332)
[ccxx] Es mag an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß der antike Hedonismus eine Beherrschung der Lust vertrat, während in unserer Zeit unter »Hedonismus« das maß- und zügellose Ausleben der Triebe und Begierden verstanden wird.
[ccxxi]≤ eÈdaimon€a: Glück, Glückseligkeit, glücklicher Zustand; Wohlstand,
Macht. (Menge-Güthling)
»…: the name eÈdaimon€a
is badly
but inevitably translated by happiness, badly because it includes both the
notion of behaving well and the notion of faring well. Aristotle’s use of this
word reflects the strong Greek sense that virtue and happiness, in the sense of
prosperity, cannot be entirely divorced.« (MacIntyre, S.59)
[ccxxii]
t°leion dÆ ti fa€netai ka‹ aÎtarkes ≤ eÈdaimon€a, t«n prakt«n oÔsa t°low.
(Nikomachische Ethik, 1097b 20)
[ccxxiii] In der Bedeutung von »Deutbarkeit, Verstehen« und »bedeutend, wichtig«.
[ccxxiv] Als sublimierte Form von Lust.
[ccxxv] Zu hinterfragen ist, ob die kulturellen Errungenschaften die Unterdrückung und Ausbeutung unzähliger Menschengenerationen rechtfertigen.
[ccxxvi] Auf dem „Untergrund“ eines psychischen Rationalisierens.
[ccxxvii] Nicht im religiösen, sondern im ethischen, „profanen“ Sinne.
[ccxxviii] Moral ist von fundamentalerer Bedeutung als Recht, welches sich auf die äußere Ebene des sozialen Umgangs bezieht. Moralität ist das innere Sein des Menschen und manifestiert sich als Gesinnung. Die Einhaltung des Rechts kann als Pflicht (gegen die anderen) eingefordert werden, Moralität nicht.
[ccxxix] Ihrem jeweiligen Normenkatalog entsprechend.
[ccxxx] Ethik hat sich als das schwierigste Gebiet der Philosophie erwiesen. Die Einzelwissenschaften habe sich aus der Philosophie herausgelöst und sind selbständige Disziplinen mit durchaus respektablen Ergebnissen geworden. Die Ethik, als wissenschaftliche Begründung von Moral, hat noch immer nicht den Schoß der Philosophie verlassen und es liegen auch nach zweieinhalb Jahrtausenden noch immer keine endgültigen Resultate vor.
[ccxxxi] D.h. die für Leben generell notwendigen, von der Natur gegebenen Voraussetzungen.
[ccxxxii] Der moderne Personenbegriff fand seine Grundlegung bei John Locke. »Eine Person müsse als ein intelligentes und denkendes Wesen begriffen werden, das über Vernunft, Reflexionsvermögen und Selbstbewußtsein verfüge und aufgrund seiner Fähigkeit, sein Leben überlegt führen zu können, in besonderer Weise mit zukünftigen Handlungsweisen umgehen müsse.« (Enzyklopädie Philosophie, S. EP:994b)
[ccxxxiii] »Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«
[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 75. DB02 S. 25021]
[ccxxxiv] Die Allgemeingültigkeit des kategorischen Imperativs wird erst einsichtig, wenn er aus der argumentativen Begründungsebene von vernunftbegabten Lebewesen dieses Universums heraus verstanden wird. Niedrigere Argumentationswertigkeiten lassen Schlußfolgerungen zu, welche der ursprünglichen, Kantschen, Intention fern lagen.
[ccxxxv] Als phänomenale Vollsinnigkeit. Priorität liegt auf dem Verstehen der Lebensäußerungen eines Menschen aus dem geistigen Zentrum des anderen heraus, im Unterschied zu einer „kausalen“ Erklärung. Den Sinn erfassen. Psychisches Sein habe mit Personsein nichts zu tun.
(V. Formalismusbuch, S. 470f)
[ccxxxvi] Als echtes Verstehenkönnen. »Der Mensch ist unmündig, solange er die Erlebnisintentionen seiner Umwelt, ohne sie primär zu verstehen, einfach mitvollzieht, solange also die Form der Ansteckung, des Mittuns, im weiteren Sinne der Tradition, die für sein geistiges Grundverhältnis zu anderen fundierende Übertragungsform ist.« Kennzeichen ist, daß er einen fremden Willen für seinen eigenen hält. (V. Formalismusbuch, S. 471f)
[ccxxxvii] »Erst, wer den ihm in äußerer und innerer Wahrnehmung identifizierbaren Leib noch durch das Band <mein Leib> zu sich <gehörig> erlebt …, darf diesen Namen (Person; Einf.d.Verf.) führen.«
(Formalismusbuch, S. 472f)
[ccxxxviii] »The biological facts upon which the boundary of our species is drawn do not have moral significance. To give preference to the life of a being simply because that being is a member of our species would put us in the same position as racists who give preference to those who are members of their race.« (S. 88)
[ccxxxix] »A self-conscious being is aware of itself as a distinct entity, with a past and future.« (S. 90)
[ccxl] »… there is special value in the life of a person.« (S. 89)
[ccxli] Singer ist ein Vertreter des Präferenzutilitarismus. (V.S. 94f)
[ccxlii] D.h. unmoralische Werte haben Priorität!
[ccxliii] Inwieweit ihm das Schaffen neuer, moralischer Werte gelungen wäre, mag dahingestellt bleiben. Seine Erkrankung läßt eine Beantwortung dieser Frage nicht zu.
[ccxliv] Kant ließ sich noch vom Gedanken einer analogen Problemlösung leiten, welche sich an den (physikalischen) Naturgesetzen orientierte.
[ccxlv] D.h. eine speziezistische Begründung für Menschenwürde ist nicht haltbar.
[ccxlvi] Es sei an dieser Stelle auf den Menschen des Kantschen kategorischen Imperativs verwiesen, welcher sich in seiner „Inferiorität“ als éme€nvn zum „Übermenschen“ Nietzsches erweist.
[ccxlvii] Dem Juden, welcher mit seiner Zahnbürste die Pflastersteine reinigen muß, wurde seine Würde geraubt. Derjenige jedoch, welcher mit gezückter Pistole daneben steht und ihn erschießen würde, wenn er dies nicht täte, hat seine Würde als Mensch weggeworfen. Jener ist bedauernswert, dieser verachtenswürdig. Er hat sich als Unmensch erwiesen.
[ccxlviii] Weil z.B. die herrschenden Moralvorstellungen ethisch nicht akzeptabel sind.
[ccxlix] »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.«
[Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 13. DB02 S. 24959]
Diese Argumentation wird auch hier befürwortet, weil alle Versuche, eine ethisch hinreichende Begründung von Moral nach Kant, ohne auf die Aspekte der Gesinnungsethik einzugehen, fehlgeschlagen sind. Moralität – sowohl in der positiven, als auch negativen Ausprägung – ist ohne entsprechende Gesinnung nicht begründbar.
[ccl] Z.B. sind die Satansanhänger deshalb nicht als Vertreter einer nichtchristlichen, d.h. heidnischen Religion anzusehen. Die Verteufelung der heidnischen Kulte durch die Kirche hatte durchaus machtpolitische Motive. Indem man heidnische Kulte dem Teufel zuschrieb, insinuierte man, daß dies das Böses sei, weshalb man (natürlich) der christlichen Lehre folgen mußte, um der jenseitigen Strafe zu entgehen. Die Anhänger der Satanskulte bekennen sich nicht zu einem heidnischen Kult, sondern zum personifizierten Bösen, was in mythischer Form der Ausdruck für das höchste Prinzip des Bösen ist.
[ccli] D.h. es liegt eine axiologische Verkehrung vor.
[cclii] In der Kampfkunst äußerst sich dies so, daß die Versuchung auftritt, sein Können auszuprobieren. Derartige Kämpfe enden immer mit schweren Verletzungen oder Tod. Der Sieger eines solchen Kampfes hat damit zwar gezeigt, daß er seine Kunst beherrscht, hat aber andererseits die größte Niederlage erlitten, welche ein Kämpfer in diesem Bereich erleiden kann: Er hat dem hohen, moralischen Ethos der Kampfkunsttradition nicht Genüge getan, wodurch sich erwiesen hat, daß er bei der Förderung seiner menschlichen Qualitäten, welche das Ziel eines solchen Trainings ist, versagt hat.
[ccliii] Diese Form von Vergeltung kann man direkt als grausam bezeichnen, wenn man bedenkt, daß die Strafen in alle Ewigkeit – d.h. ohne Ende – andauern. Paulus forderte seine Anhänger sogar auf, dem Bösen keinen Widerstand entgegenzusetzen und dadurch feurige Kohlen auf ihrem Haupt zu sammeln (Röm. 12,19f), d.h. die „bösen“ Menschen zu verleiten, einer negativen Moral zu folgen! Dies ist die Vorgangsweise eines Agent provocateurs. Weiters scheint es problematisch, jegliche Form von Vergeltung als böse zu erachten, wie es in dem Satz »Vergeltet niemand Böses (kakÒn) mit Bösem;…« ausgedrückt wird (Röm. 12,17).
[ccliv] Legge, ein christlicher Missionar, welcher das Lun Yü des Konfuzius in einer nach Fachleuten auch heute noch unübertroffenen Weise editierte und übersetzte, bemerkte dazu: »How far the ethics of Confucius fall below our Christian standard is evident…«. (S. 288)
Das Problem dieser divergierenden Evaluierung ergibt sich aus der Differenz einer ethischen Argumentation, welche sich nach „diesseitigen“ oder „jenseitigen“ Kriterien richtet.
[cclv]
怨: YUAN; Haß,
Feindseligkeit, Groll.
[cclvi]
德: DE; Tugend,
Moral, Sittlichkeit.
[cclvii]
直: ZHI; gerade,
gerecht, redlich.
[cclviii] Im weitesten Sinne.
[cclix] I.S.d. negativen Moralität.
[cclx] M.a.W.: Im Kampf für das „Gute“ wurde das Böse verwirklicht.
[1] Fink, S. 26
[2] S.a. MacIntyre, S. 5ff, 21f
[3] Platon, Das Gastmahl, 204a-c (Bd. 3, S. 321)
[4] Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1164b (Bd. 3, S. 210)
[5]Ästhetik I, S. 234
[6] Freiheitsschrift, S. 71
[7] S. Hirschberger, S.27f und Windelband, S.27; S. 32f
[8] Capelle, S. 134
[9] Fink, S. 59
[10] S. Hirschberger, S.31f und Enzyklopädie Philosophie, 1418f
[11] V. Fink, S. 25
[12] V. Burckhardt, Bd. IV, bes. S. 59 - 159
[13] Strasburger in: Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Einleitung, S. XVII
[14] Burckhardt, Bd. IV, S. 109
[15] Ebd., S.100
[16] Ebd., S. 96
[17] Ebd. S. 114
[18] V. Burckhardt, Bd. IV, S. 371
[19] Ebd. S. 116
[20] Ebd.
[21] Gina Fasoli in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 202f
[22] Borst, S. 243
[23] Ebd. S. 221
[24] Johan Huizinga in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 30
[25] Sidney Painter in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 43
[26] Borst, S. 240
[27] Johan Huizinga in: Das Rittertum im Mittelalter, S. 25
[28] Ebd. S. 21
[29] Achatz von Müller, in: Das Duell, S. 18
[30] Ebd., S. 19
[31] Ebd., S. 26
[32] Ebd., S. 13
[33] Eckhart Kleßmann, in: Das Duell, S. 69
[34] Klaus Günzel, in: Das Duell, S. 176f
[35] Fritz J. Raddatz, in: Das Duell, S. 198ff
[36] Gert Ueding, in: Das Duell, S.96f
[37] Klaus Harpprecht, in: Das Duell, S. 382
[38] Heinz Ohff, in: Das Duell, S. 222
[39] Karsten Garscha, in: Das Duell, S. 48
[40] Helmut Winter, in: Das Duell, S. 119f
[41] Ivo Frenzel, in: Das Duell, S. 120
[42] Achatz von Müller, in: Das Duell, S. 26
[43] Gerhard Neumann, in: Das Duell, S. 282
[44] Hans E. Tütsch, in: Das Duell, S. 138ff
[45] Helmut Winter, in: Das Duell, S. 122ff
[46] Ralf Borchers, in: Das Duell, S. 251ff
[47] Gerhard Neumann, in: Das Duell, S. 267ff
[48] Achatz von Müller, in: Das Duell, S. 23
[49] Hans E. Tütsch, in: Das Duell, S. 148f
[50] Ebd. S. 146f
[51] Ralf Borchers, in: Das Duell, S. 253
[52] Ebd. S. 261f
[53] Ebd. S. 251
[54] Ebd. S.256ff
[55] Dolin, S. 26
[56] Ebd. S. 22f
[57] Ebd. S. 14
[58] Ebd. S. 16
[59] S. Musashi, S. 58
[60] Ebd. S. 63f
[61] Ebd. S. 64
[62] Ebd. S. 66
[63] Ebd. S. 68f
[64] Ebd. S.71f
[65] Ebd. S. 73
[66] Ebd. S. 77
[67] Ebd. S. 99
[68] Ebd. S. 119
[69] Ebd. S. 116
[70] Ebd. S. 135f
[71] Ebd. S. 44; Einführung durch Victor Harris
[72] S.a. Dolin, S. 48 u. 82f
[73] Requena, S. 21
[74] Chang Dsu Yao, S.116
[75] Dolin, S. 28
[76] Ebd., S. 16
[77] Ebd., S. 78
[78] Ebd., S. 20
[79] Ebd. S. 14
[80] Ebd., S. 47
[81] Ebd., S. 71
[82] Ebd., S. 72
[83] TV-Reportage China, 5000 Jahre Zivilisation, 1998
[84] Dolin, S. 13
[85] Requena, S. 34; Dolin S. 128
[86] Dolin, S. 156
[87] Ebd., S. 222
[88] V. Dolin, S. 146ff
[89] Requena, S. 30f
[90] Dolin, S. 159
[91] Ebd., S. 158
[92] Ebd., S. 161ff
[93] Ebd., S. 86
[94] Ebd., S. 197
[95] V. Dolin, S. 156
[96] Dolin, S. 158
[97] Ebd., S. 164
[98] V. Dolin, S.176f
[99] Dolin, S. 192
[100] Ebd., S. 200
[101] V. Dolin, S. 202f
[102] Dolin, S. 215
[103] Ebd., S. 219
[104] Ebd., S. 220
[105] Ebd., S. 200
[106] Ebd., S. 220
[107] Ebd., S. 200
[108] V. Dolin, S. 12
[109] V. Requena, S. 37
[110] Dolin, S. 13
[111] V. Dolin, S. 40
[112] Dolin, S. 41
[113] Ebd., S. 118
[114] V. Dolin, S. 119f
[115] Dolin, S. 59
[116] Ebd., S. 64
[117] V. Dolin, S. 110f
[118] Dolin, S. 113
[119] V. Dolin, S. 113
[120] Dolin, S. 43
[121] Ebd., S. 44
[122] Ebd., S. 122
[123] Ebd., S. 128
[124] Ebd., S. 131
[125] Ebd., S. 132
[126] Ebd., S. 134
[127] Ebd., S. 139
[128] Ebd., S. 140
[129] V. Dolin S. 144
[130] Dolin, S. 108
[131] Ebd., S. 132
[132] Ebd., S. 140, S. 143
[133] Ebd., S. 140
[134] Ebd., S. 141
[135] Ebd., S. 168
[136] Ebd., S. 178f
[137] Ebd., S. 179
[138] Ebd., S. 179
[139] Ebd., S. 187
[140] Ebd., S. 195
[141] Ebd., S. 218
[142] Ebd., S. 57
[143] Ebd., S. 62
[144] Ebd., S. 86f
[145] Ebd., S. 131
[146] Ebd., S. 151
[147] Ebd., S. 154
[148] Ebd., S. 143
[149] Ebd., S. 212
[150] Ebd., S. 215
[151] Ebd., S. 217
[152] Ebd., S. 370
[153] V. Hammer
[154] Requena, S. 18
[155] Ebd., S. 20
[156] Ebd., S. 21
[157] Ebd., S. 24
[158] Ebd., S. 25
[159] Ebd., S25f und S.113
[160] Ebd., S. 26
[161] Ebd., S. 28
[162] Ebd., S. 29
[163] Ebd., S. 31
[164] Ebd., S. 31f
[165] Ebd., S. 33
[166] Ebd., S. 36
[167] Ebd., S. 48
[168] Ebd., S. 55
[169] Ebd., S. 55
[170] Requena, S. 115ff
[171] Ebd., S. 123ff
[172] Ebd., S. 55
[173] Guorui, S. 293
[174] Ebd., S. 231
[175] Dolin, S. 62
[176] Requena, S. 57
[177] Ebd., S. 62
[178] Ebd., S. 66
[179] Ebd., S. 68
[180] Ebd., S. 69
[181] Ebd., S. 132
[182] Kit, S. 67
[183] Sawyer, S. 142
[184] Requena, S. 280
[185] Ebd., S. 299
[186] Ebd., S. 296
[187] Ebd., S. 302
[188] Ebd., S. 39
[189] Ebd., S. 41
[190] Kit, S. 90f
[191] Ebd., S. 126, S. 224
[192] Ebd., S. 25
[193] Ebd., S. 31
[194] Ebd., S. 248
[195] V. Schultz S. 59ff
[196] V. ebd. S. 90ff
[197] V. ebd. S. 83
[198] Ebd. S. 12
[199] Ebd. S. 357
[200] Ebd. S. 55
[201] V. Engel, S. 32ff
[202] V. ebd., S. 32
[203] Olschak, S. 47
[204] Miyuki, S. 178, Anm. 4
[205] Engel, S. 17
[206] Glasenapp, S. 165
[207] S.a. Engel, S17ff
[208] S.a. Huth & Huth, S. 254
[209] Maharaj, S. 12
[210] Ebd., S. 11
[211] Ebd., S. 13
[212] Ebd., S. 15
[213] Ebd., S. 21
[214] Ebd., S. 27
[215] Ebd., S. 65
[216] Ebd., S. 70
[217] Ebd., S. 77
[218] Ebd., S. 84
[219] Ebd., S. 87
[220] Ebd., S. 105
[221] Ebd., S. 106
[222] Ebd., S. 112f
[223] Ebd., S. 115
[224] Ebd., S. 117
[225] Ebd., S. 130f
[226] Ebd., S. 132
[227] Ebd., S. 135f
[228] Ebd., S. 140f
[229] Ebd., S. 163
[230] Maharaj, S. 165
[231] Ebd., S. 168
[232] Ebd., S. 169
[233] Ebd., S. 193
[234] Ebd., S. 194f
[235] Ebd., S. 211
[236] Ebd., S. 211
[237] Ebd., S. 215
[238] Ebd., S. 224
[239] S.a. Engel S. 73ff
[240] Engel, S. 75
[241] Ebd., S. 123
[242] Ebd., S. 77
[243] Ebd., S. 76
[244] S.a. Engel, S. 79f u. 87
[245] V. Engel, S. 83
[246] V. ebd., S. 75
[247] V. Huth, S. 61
[248] Engel, S. 28
[249] Hirschberger-Geschichte Bd. 1, S. 47 (DB03, S. 8739)
[250] V. Mishra, S. 15
[251] V. Engel, S. 90ff u. S. 133ff; Viallet, S. 10
[252] Viallet, S. 10
[253] Engel, S. 133
[254] Viallet, S. 81
[255] Ebd., S. 82
[256] Ebd., S. 17
[257] V. Wetering, S.19, 54; s.a. Viallet, S. 125, S. 39
[258] V. Wetering, S. 19
[259] S.a. Viallet, S. 29
[260] V. Wetering, S. 125f;
[261] Viallet, S. 32
[262] Ebd., S. 32
[263] V. Viallet, S. 99
[264] Viallet, S. 71
[265] Ebd., S. 117
[266] Ebd., S. 63f
[267] Ebd., S. 41
[268] Wetering, S. 146f
[269] Engel, S. 198
[270] Ebd., S. 201
[271] Ebd., S. 202
[272] Ebd., S. 203
[273] Ebd., S. 203
[274] Ebd., S. 203
[275] Ebd., S. 204
[276] Ebd., S. 204
[277] Ebd., S. 205
[278] Ebd., S. 205f
[279] Ebd., S. 207
[280] Ebd., S. 208
[281] Ebd., S. 209
[282] Ebd., S. 239
[283] V. Engel, S. 240
[284] V. ebd., S. 242f
[285] V. ebd., S. 245f
[286] Kairies u. Schrott, Pkt. 6
[287] Ebd., Pkt. 7.2
[288] Handbuch der Meditation, S. 244
[289] Viallet, S.99
[290] Engel, S. 351
[291] Ebd., S. 351
[292] Ebd., S. 383
[293] Ebd., S. 383
[294] Huth & Huth, Meditation, S. 24
[295] Viallet, S.98
[296] V. Engel, S. 205
[297] V. ebd., S. 205
[298] V. Huth & Huth, S. 48f
[299] V. Engel. S. 385f
[300] Spirita, April 2002, S. F16
[301] Glasenapp, S. 17
[302] Ebd., S. 11
[303] Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, DB02, S. 24799 (vgl. Kant-W Bd. 5, S. 189)
[304] V. Platon; Kratylos, DB02, S. 813 (vgl. Platon-SW Bd. 1, S. 546), etc.
[305] V. Brief an die Epheser, 4,17-24; Kolosser 3,1 - 4,6
[306] Augustinus, Bekenntnisse, DB02, S. 8230 (vgl. Augustinus-Bek., S. 231);
Anselm von Canterbury: Warum Gott Mensch geworden, DB02, S. 8637 (vgl. Anselm-Gott, S. 73)
[307] ) Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, DB02, S. 11772ff (vgl. Böhme-Aurora, S. 337);
Kant, Die
Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.
[308] Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, DB02, S. 27865 (vgl. SuD-Müller Bd. 1, S. 163); Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, DB02, S. 29017 (vgl. Herder-Ideen Bd. 2, S. 244)
[309] Schleiermacher: Über die Religion, DB02, S. 31943 (vgl. Schleierm.-Rel., S. 147)
[310] Über die Religion, DB02, S. 31944 (vgl. Schleierm.-Rel., S. 148)
[311] Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, A 481
[312] Also sprach Zarathustra, DB02, S. 67749 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 280)
[313] Ebd., S. 67856 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 343-3
[314] Ebd., S. 68162 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 522-523)
[315] Der Wille zur Macht, 2. Bd., 3. Buch, Z. 201
[316] Ebd., 2. Buch, Z. 62
[317] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 311
[318] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 31
[319] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 32
[320] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 164
[321] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 166
[322] Ebd., 2. Bd., 1. Buch, Z. 133
[323] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 220
[324] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 204
[325] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 206
[326] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 244
[327] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 228
[328] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 192
[329] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 194
[330] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 200
[331] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 304
[332] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 233
[333] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 249
[334] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 356
[335] Ebd., 2. Bd., 2. Buch, Z. 272
[336] Ebd., 2. Bd., 3. Buch, Z. 215
[337] Ebd., 2. Bd., Grundanschauung und Aufgabe, Z. 10
[338] Ebd., 2. Bd., Grundanschauung und Aufgabe, Z. 82
[339] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 97
[340] Ebd., 2. Bd., Grundanschauung und Aufgabe, Z. 87
[341] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 339
[342] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 404
[343] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 253
[344] Ebd., 2. Bd., 4. Buch, Z. 342
[345] V. ebd., 2. Bd., 1. Buch, Z. 234
[346] Philosophie, Bd. II, S. 1
[347] Ebd., Bd. III, S. 166
[348] Ebd., Bd. III, S. 9
[349] Ebd., Bd. III, S. 19
[350] Ebd., Bd. III, S. 25
[351] Ebd., Bd. III, S. 129
[352] Ebd., Bd. III, S. 137
[353] Ebd., Bd. III, S. S. 141
[354] Ebd., Bd. III, S. 150
[355] Ebd., Bd. I, S. 52
[356] Ebd., Bd. I, S. 15
[357] Ebd., Bd. I, S. 246
[358] Ebd., Bd. II, S. 11
[359] Ebd., Bd. II, S. 12
[360] Ebd., Bd. II, S. 8
[361] Ebd., Bd. I, S. 19
[362] Ebd., Bd. I, S. 23
[363] Ebd., Bd. I, S. 13
[364] Ebd., Bd. II, S. 44
[365] Ebd., Bd. II, S. 45
[366] Ebd., Bd. II, S. 47
[367] Ebd., Bd. II, S. 50
[368] Ebd., Bd. II, S. 56
[369] Ebd., Bd. II, S. 57
[370] Ebd., Bd. II, S. 56
[371] Ebd., Bd. II, S. 51
[372] Ebd., Bd. II, S. 58
[373] Ebd., Bd. II, S. 61
[374] Ebd., Bd. II, S. 203
[375] Ebd., Bd. II, S. 203
[376] Ebd., Bd. II, S. 204
[377] Ebd., Bd. II, S. 65
[378] Ebd., Bd. II, S. 66
[379] Ebd., Bd. II, S. 67
[380] Ebd., Bd. II, S. 69
[381] Ebd., Bd. II, S. 64
[382] Ebd., Bd. II, S. 235
[383] V. Nietzsche II, S.378f
[384] V. Sein und Zeit, S. 49
[385] V. Sein und Zeit, S. 202
[386] Notizen zu Martin Heidegger, S. 187
[387] V. Heidegger, Sein und Zeit, S. 263
[388] Fink, S.71
[389] Formalismusbuch, S. 382f
[390] Ebd., S. 470
[391] Ebd., s. 475
[392] S. 119
[393] Matthäus 5,39.