Die Welt als Text und Metamorphose

Intertextuelle Bezuege (zur literarischen Tradition im Erzaehlvorgang) im Werk der Ingeborg Bachmann.
Unter besonderer Beruecksichtigung der "Todesarten"-Texte.


Der Titel der vorliegenden Arbeit, dieses Textes (des Teiles dieser Arbeit), ist eine These. Mit ihr habe ich mich auseinanderzusetzen. Sie habe ich zu diskutieren. Mithin folgt also keine reine Abhandlung im Stile der Mehrheit der verfuegbaren Sekundaer- und Metaliteratur, sondern AUCH eine Diskussion der Thematik selbst; was mir aber ohnehin stets reizvoller wie fruchtbarer erscheint und erschien.
Ich fange einfach irgendwo an; ich gehe hier und irgendwo weiter; ich hoere irgendwo auf. Und hinter mir: habe ich Spuren gelassen. Ich werde Spuren hinterlassen haben, ich werde so Pfade und Wege sichtbar gemacht haben. Ich werde einen Teil einer umfassenden Karte gezeichnet haben; nein: nur skizziert; doch ein Anfang sei gemacht und wird gemacht worden sein; auf daß da Andere kommen moegen, um an meinem Turm weiterzubauen, um an meiner Karte weiterzuzeichnen.

Ich gehe also vorerst nur irgendwo, gehe nur irgendwie vor, fast blind und ohne Legitimation und Absicherung durch ein System, eine Theorie, nur geleitet von meinen - zu Beginn wenigen, spaerlich gesaeten - Verweiswoertern, Pfadnamen und Folgepfeilen, die sich zu mir auf den Weg gesellten, ueber die ich stolperte, die ich auflas, die ich als Wegweiser setzen kann.
Denn im Nachhinein erst eine Rechtfertigung, will heißen: einen Namen, dafuer zu finden, zu suchen (fuer das WIE des Vorgehens), waere wohl unnoetig und auch ungerechtfertigt [Kleist]. Außer freilich fuer denjenigen, der sich durch solche billige Ausreden, Masken und Rechtfertigungen taeuschen laeßt; er soll hier durch deren Fehlen enttaeuscht sein. Das "System" des Textes dieser Arbeit wird sich selbst schon zur Zufriedenheit ordnen, es wird sich zeigen, wird sich als sehr wohl existent erweisen, wird sichtbar werden - und sich (und meine Arbeit) dadurch legitimieren; und durch nichts Anderes.

Außer vielleicht durch eine einleitende Rede und theoretische Darlegung dessen, worum es geht. Eben das wollte ich auf diesen Seiten geschehen lassen: einen Entwurf, einen Plan zeichnen dessen, was ich vorhabe, was ich vorgebe zu tun. Eine Apologie der unreinen, heterogenen Theorie; eine Vorstellung und Manifestierung/Manifestation bei gleichzeitiger Apologie dessen, was ich will und was ich tue/schreibe. Oder:
Ein ausfuehrliches Vorwort - will heißen: die Bestimmung und theoretische Formulierung dessen, worum es mir geht und was ich (vor allem) WIE intendiere - ist also notwendig. Und es soll nur ruhig auf Kosten des Raumes der "eigentlichen" Untersuchung gehen, die ja ohnehin nur Beiwerk zum theoretischen Problem, nur Beiwerk und Ausschmueckung des Themas und Anwendung dessen sein kann, was ich hier ausfuehrlich besprochen und dargestellt wissen will: und zwar im vorhinein.
Und: gleichzeitig; IMMANENT; im nachhinein. Denn noch bin ich nicht angekommen, gleichzeitig bin ich schon unterwegs IM Werk und gleichzeitig spreche ich immer schon ein Nachwort fuer eben jenes Werk, das ich schreibend hinter mir lassend, kommentiere.


Die Pro-These: Das theoretische Feld
oder: was ich sehe, was ich hier tue und was ich damit will - das Unterfangen Intertext als literarisch-aesthetischer Versuch (nicht nur einer Ingeborg Bachmann).
oder: Zum Uebel der Wahl des Anfanges noch das Uebel der Unentschlossenheit: Fragen ueber Fragen samt Befragungen.

Womit haben wir es nun also zu tun, wenn wir "Intertextualitaet" und "Intertext" sagen und meinen ? Befragen wir beispielsweise die phaenomenologische Methode.
Wann ist ein Zitat ? Um nicht zu sagen, was ist ein Zitat. Man erinnert sich an die Geschichte des Fischers vom geborgten Boot, dessen einzelne Holzplanken nach und nach ausgetauscht werden. Wo ist hier die GRENZE der Behauptung: das sei noch das eigentliche Boot ? Wo ist die Grenze der Zitatbestimmung, als Bestimmung einzelner Planken ? Gibt es hier klaerende Abgrenzungen zu aehnlichen Formen ? Man kann (kann man?) von der Moeglichkeit einer ex-negativo-Definition sprechen, angesichts verwandter Konstellationen oder Thematiken!?

Was will ein Zitat, wenn es unausgewiesen dasteht, und dabei doch entdeckbar bleibt ? Handelt es sich dabei vielleicht schon viel eher um geistigen Diebstahl ? Darf ich seine Wirkung vergleichen mit dem Filmzitat, das seinerseits zur Aura-Bildung seines ihm zugewiesenen Mediums beitraegt ? [Benjamin, Filmtheorie, Zitationsarten, Rahmen, Aus-Schnitt, Décolleté]
Oder ist ein Zitat nur Ausdruck einer Unsicherheit, die durch Rechtfertigungsstrategien, und andere Zwaenge, kaschiert werden soll ? Oder aber ist es lediglich eine unertraeglich-pseudogelehrte Wissensprotzerei ? Wann ist, um mich vorsichtig an den Intertext anzunaehern, ein "Bezug" gegeben ? Wann ist ein solcher Bezug einer zu einer (bestimmten) Tradition - und wann ist dieser ein "tatsaechlicher", ein "sicherer" zu nennen ? Etwa wenn er belegbar scheint ? (Was freilich auch schon wieder anzweifelbar ist.)

Was, schließlich, ist Intertext ? (Oder frage ich schon verkehrt?)
Handelt es sich um ein Modewort fuer Arbeitserleichterung durch unausgewiesenes Zitieren, mit dem Beigeschmack des "ich weiß es besser, ätsch!"-Gestus ? Handelt es sich um ein kokettes Spiel, das der Autor eines Textes mit uns treibt ? Oder handelt es sich um das, was letzthin/letztlich zwischen den Texten passiert, sich abspielt, sich einschreibt (gegenseitig, wechselseitig), sichtbar wird ? Geschieht Intertext nicht aber genau nicht ZWISCHEN den Texten, sondern immer nur IN den jeweiligen Texten selbst ?
Oder handelt es sich um ein hochkomplexes, eigenstaendiges, nie verstehbares, hermetisches, nie nachvollziehbares, und somit letzthin aesthetisches Gespraech zwischen allen moeglichen Texten, das uns nie wirklich teilnehmen, und auch nicht teilhaben, Einsicht nehmen laesst ? Unentscheidbarkeiten. Unlesbarkeiten. (Paul de Man)
Doch was waere in solch einem Unterfangen kein Text, was waere ein Text ohne ein Gegenueber ? Nicht will ich hier freilich nach einer letztgueltigen Definition - bezueglich all der oben und bis hierhin schon genannten Fragen - suchen, sondern vorlaeufig (oder allerhoechstens ?) Vorkommnisse derartiger Formen, sowie das verschiedenartige Auftauchen von intertextuellen Methoden aufsuchen und untersuchen.

Auffallend erscheint mir, daß ein Phaenomen wie der Intertext / die Intertextualitaet - welches beileibe keine Erfindung der Moderne ist (hoechstens die dazugehoerige literatur-wissenschaftliche Untersuchung und Thematisierung, auf der Basis von Sprachphilosophie und falschverstandener Postmoderne), man denke nur etwa an die Abenteuer eines Don Quijote - gerade in einer Zeit wiederaufzustehen, wiederaufzukeimen und an Interesse und Beachtung und Bedeutung zu gewinnen beginnt, kurz: im Blickpunkt des Kunst-interesses steht, gerade zu einer Zeit, in der die SCHLAG- und STICHwoerter und -worte kulminieren und sich haeufen, und in der wiederholt und mehr-und-mehr die Rede ist von Phaenomenen - und umgreifenden Paradigmenwechseln sondergleichen - wie etwa:
Zusammenbrueche von Systemen, von Einheitlichem, von Großen Erzaehlungen, Lesbarkeit der Welt, die Welt als Text, Aufkuendigung des Subjekts, fuer eine kleine Literatur, kleine Erzaehlungen (oder das Ende der großen), Differenz und Wiederholung, Verlust von Werten und Orientierungen, von Wahrheiten und Eindeutigkeiten (différance?) und Wirklichkeiten: neue Medien, damit: neue Aesthetiken und Wahrnehmungsweisen, Simulation, Metaphysik- und Sprachkritik, Ersatzreligionen und -drogen, Abschied vom Absoluten und Prinzipiellen, Verlust von Perspektiven und Utopien, bei gleichzeitiger unendlicher Zahl von Perspektiven, Pluralismus, Bedeutung von Schriftbegriff und Dekonstruktion, romantische Aesthetisierung des Lebens bei gleichzeitiger Armut an der vielbeschworenen "Phantasie", das "Ende" (?) des Projekts "Moderne" und ihr (neu)entdeckter Index "Postmoderne", Ende des Romans; alles ist Text, Post und Neostrukturalismus und -symbolismus,
und dergleichen ungleich mehr ... !

Was unsere Zeit bestimmt, sind also Fragen nach einem fraglichen WOHIN ohne WOHER (oder umgekehrt ?). Es herrscht das Zeitalter der Orientierungslosigkeiten oder der ungezaehlten Moeglichkeiten und Angebote und Richtungen. Uns bestimmt der verzweifelte Versuch, sagen zu wollen, wer wir sind. Wir verzweifeln an Identitaeten und am Selbst. Wir gieren nach einer Standortbestimmung ohne Geschichte oder Zukunft, denn beide haben sich fuer obsolet erklaert. Die Geschichte macht uns / Gott ist tot / Utopie is' nich'! Doch wie definiert man sich im luftleeren Raum ? Und: wie ist ein Schreiben noch moeglich ? - Es geschieht, ja, doch wie ? Ist es noch moeglich zu schreiben, oder muß man die Auffassungen von dem, was es heißt, zu schreiben, aktualisieren, verwerfen ?


Exkursorische Anti-These: Umwege und Fragen

Zurueck zu unserer Besichtigung des exotischen Landes "Intertext". Vielleicht gelingt eine Annaeherung auf Umwegen besser!?
1. Im Sachwoerterbuch der Literatur findet man unter dem Stichwort "Anspielung" folgende Verweise:
"in Rede und Schrift verkappter Hinweis (Andeutung) auf e. als bekannt vorausgesetzte Person, Begebenheit oder Situation; breit lit. ausgebaut im Schlüsselroman. Die A. will entweder mit eigenem Wissen prunken (Alexandrinertum, MA.) oder durch Hinweise auf gemeinsames Wissen eine Verbindung von Autor und Publikum knüpfen oder das eigene Werk in Beziehung zur literarischen Tradition setzen, sie setzt zu ihrer Wirkung das Verstaendnis und Mitwissen des Publikums voraus." (Sachwoerterbuch der Literatur, 29)

Zeitgenoessische Paradebeispiele wie Eco oder Ransmayr begnuegen sich freilich nicht mit der Anspielung in derart direkter oder naiver - weil fuer unsere Zwecke zu kurzgegriffenen - Form, obgleich sie immer wieder als deren Prediger herhalten muessen; so auch hier. Aber auch schon der angefuehrte Cervantes-Roman - der außerdem in mehrerlei Hinsicht maßgebend ist fuer die Literatur der Neuzeit; siehe G. Lukacs/Theorie des Romans - kann in deren (Ahnen-) Reihe gestellt werden.

2. Sigrid Weigel, um eine andere Umleitung zu nehmen, zitiert (und referiert) in ihrem Aufsatz zur Schreibweise von Ingeborg Bachmann (der sich im Text und Kritik-Sonderband Bachmann, wie in der Sammlung von Texten zu ihrem Werk von Koschel/Weidenbaum findet) Texte von R. Barthes zum Thema Intertext.
"Der Inter-Text ist nicht unbedingt ein Feld von Einfluessen; vielmehr eine Musik von Figuren, Metaphern, Wort-Gedanken; es ist der Signifikant als Sirene." (Über mich selbst, 1978, S.158)
"die Literatur wird zur Utopie der Sprache" (Am Nullpunkt der Literatur, Essays)
Ebendort finden wir auch Baudelaire (zitiert nach Hugo Friedrichs, Untersuchung der Lyrik I. Bachmanns, 1978): "Die Phantasie zerlegt die ganze Schöpfung;(...) und gliedert die Teile und erzeugt daraus eine neue Welt."
Was uns fuehrt zu Dingen wie Collage, Montage, Melange, Mixtur und Mischung. Und Dekonstruktion?

Welt - als Sprache, als Text - wird zerlegt, und ihre Teile werden woanders zitiert und neu montiert, wo sie sirenengleich von ihrer frueheren Welt zeugen und singen: sie sind Musik. Sie sind aber auch Verweise, Versatzstuecke. Als Literatur zeigen sie der Sprach-Welt, wie es gehen koennte: als Utopie. Die Welt erscheint so als permanente Metamorphose, als Entwicklung hin zur Plural-Welt, hin zu - nicht nur den besten aller - WELTEN.

Der vielbesungene Intertext sollte hier aber nicht nur verstanden werden als, beziehungsweise er umfaßt nicht nur, diverse verstreute NENNUNGEN von NAMEN oder altbekanntem Sprachgut, sowie verschiedengeartete Verweise (ob als Zitat oder in anderer Form) auf Bekanntes und Vorhandenes, vielleicht sogar aus eigener Feder, - wie wir das in den essayistisch-literaturwissenschaftlichen Frankfurter Vorlesungen der Ingeborg Bachmann ja schon finden und lesen konnten - sondern er heißt auch: ein "anderes", subtileres Aufscheinen und Hereinholen von so oder aehnlich schon irgendwo Vorhandenem, von Fremdem, von Gefundenem, Vorgefundenem:
Ist Intertextualitaet also immer schon ein Blick zurueck (nach dem simplifizierenden Motto: Ist dieser Text nun neu oder zitiert ? Wer es weiß bekommt den Ball!) ? Ist ihr also schon dieser Blick, der nach der Tradition schielt, eigentlich ? Der Blick nach der Frage nach dem Woher. Die Frage nach dem NEUEN, aus dem sich etwas speist, sich etwas generiert.

Jeder kann also vorerst bei diesem Projekt mitpartizipieren. Jedoch ist auch eine Art Blindheit, eine Form von Analphabethismus/Analphabethentum in Bezug auf Intertextualitaet zu bemerken - wie bezueglich Kunst ueberhaupt: nicht jeder kann alles kennen und noch dazu "im Kopf" haben, also abrufbereit haben. Doch darum geht es auch gar nicht. (Sonst koennte man ohnehin einen Schriften-Scanner ueber die Text laufen lassen, und der angeschlossene Literatur- oder Bibliothekscomputer wuerde nach vor-definierten Such-Filtern in relativ kurzer Zeit jede moegliche Quelle zu jeder moeglichen Textauswahl nennen koennen.)

Vielmehr geht es dabei vermutlich - oder: hoffentlich - um ein Angebot, eine Moeglichkeitseroeffnung, eine Vermeidung von Eindeutigkeiten. Doch niemand wird gezwungen, nichts wird oktroyiert.
Nimm was du willst, lies was du kannst, erkenne (wieder) was du kennst. So wird meine Welt, mein Verstaendnis von Texten jeglicher Art, ploetzlich wichtig und gueltig, wird ins Spiel gebracht: ich darf mitspielen. Ich erst mache den Text den ich lesend erkenne, neu-schaffe, nach den erforderlichen und maßgeblichen Spielregeln und Fallstricken des mir vorliegenden Feldes von Saetzen und Verweisen. Doch dies soll nicht dahingehend mißverstanden werden, daß (jedes Wort) ein Satz NUR und ausschließlich ueber sich hinaus auf etwas Anderes zurueck- und quer-verweist. Immerhin steht etwas da, SO, geschrieben. Und damit habe ich mich auseinanderzusetzen. Wenn ich nur einmal damit anfange, es auch will. Oder kann ich dem gar nicht entkommen ? Kann ich anders ?

Wer nichts sehen kann oder will, wer nichts erkennt, der wird auch nicht das Gefuehl haben, etwas versaeumt zu haben. Er kann sich bedienen, er kann sich nehmen, was er mag. (An ein Sprichwort fuehlt man sich da erinnert: Man sieht nur, was man weiß! )
Das kommt auch in etwa der Postmoderne-Auffassung Umberto Ecos - aus seiner Nachschrift zum Rosenroman - nahe, obwohl ich seine Bestimmung eher als Verballhornung und Trivialisierung von tiefgreifenderen philosophischen Konzepten bezeichnen moechte; und sie deshalb hier nicht wiedergeben will.
Andererseits besteht auch die Moeglichkeit, daß der Leser dem Autor paradoxerweise einen Schritt voraus ist: wenn er naemlich (etwas Wiedererkanntes) mehr weiß, oder etwas wiederzuerkennen glaubt, das dem Autor selbst unbekannt ist, oder wenn er die vom Leser identifizierte Stelle nicht mit Absicht angesprochen oder einmontiert hat - in "sein" Textgefuege, in sein Ensemble.
Eine Frage draengt sich auf: die Frage nach der Originalitaet (ist es sein Text, oder ist es mein Text, oder Werk ?).

Es draengt also eine weitere Frage herauf und somit in den Raum der Felder der offenen Fragen: inwieweit gibt es auch unbewußtes Zitieren, oder nicht "bewußt" erstellte Parallelen ? Denn nicht immer ist jedem alles zugaenglich und erinnerlich, oder hat jeder saemtliches Textmaterial "bei der Hand", respektive "im Kopf": der Autor ebensowenig wie sein (Modell-) Leser. (Hier klinkt sich schon eine Problematik ein, die jedoch etwas weiter unten besprochen, spaeter behandelt werden soll: was ist mit einmal gefundenem Intertext anzufangen ? Welche Bedeutung kann ihm ueberhaupt zukommen - abseits des Anspruches rein wissenschaftlicher Arbeit ?)

Intertext heißt also nicht nur Nennung von Namen oder Titeln, oder nicht nur Verweis, sondern auch Aufscheinen des Fremden und ein Blick zurueck. Ein Einweben, ein Sich- einschreiben von Partien, die in erster (Lese)Instanz nicht sichtbar und doch vorhanden sind (beispielsweise musikalische Formen und Muster). Weiters steht er nicht nur fuer groeßere Parallelen aller Art, will heißen "tatsaechliche" Bezuege: zur Tradition, zu Fremdem, zu Anderem, bereits Vorhandenem (im Erzaehlvorgang oder wo immer).
Hier ist also nicht von Zitaten im eigentlichen Sinne die Rede, sondern von Bezuegen, die noch schwerer auszumachen sind als Nennung oder Zitat: die erzaehlerische Relation oder Antwort auf andere Texte (siehe Max Frisch). Die wiederum keinen Schlußpunkt setzt, sondern vorangegangene Texte fortschreibt.

Doch auch diese Form, dieses Kapitel der Erzaehlung vom Intertext ist mit einiger Vorsicht zu genießen. Denn eben jene in den Text verwobenen Formen oder Parallelen sind so durchscheinend und fragwuerdig, daß sie mit einigem gutem Willen, mit genuegend großem Zeitaufwand und mit germanistischer oder literaturwissenschaftlicher Verbissenheit (will heißen: Existenzlegitimierung eines fragwuerdigen Standes) - und freilich mit hinreichender, wie auch immer erworbener, Belesenheit und mit Vertrautheit mit der mehr oder weniger "kanonisierten" Literatur - wohl in großer Zahl zu finden und anzufuehren waeren. Und zwar in Texten beinahe jeder Zeit oder Kultur oder Gattung! Und ich spreche nicht nur von literarischen Texten, von Schrift, sondern von sprachlichen Zeichen jedweder Art und Auspraegung und jeglicher Form, denen wir taeglich zur genuege begegnen, wenn wir sie sehen wollen.

Womit jedoch die Arbeit an und mit ihm (und ihnen) sicherlich auch ungleich muehsam und der Leser lustlos wuerde (angesichts der Beliebigkeit und der Zahl der Moeglichkeiten), stehen hier die Argumente doch "Aussage gegen Aussage": "Das hat der Autor wohl nicht beabsichtigt, und somit auch nicht in den Text gelegt" versus "Genau jenes aber findet sich nichtsdestotrotz in seinem Text wieder", was wiederum an das beliebte Spiel der Literatur"wissenschaftler" namens "Interpretation und Auslegung" erinnert. Die Hermeneutik als Wettbewerb und als Leistungssport ?

Was also tun mit solch einer Form, die die Entdeckerfreude zwar wachkitzelt und streichelt, nicht aber die Lesefreundlichkeit des Textes foerdert, wobei das Lesen schon im Hinblick auf derartige Formen gemeint ist, und nicht das Lesen des "naiven" Lesers freilich. Was tun mit derartigem, worueber sich die Autoren selbst so ungern wie selten, wie auch kryptisch auslassen (Thomas Bernhard und Musik, beispielsweise)? Verstaendlicherweise uebrigens, denn wozu sollte er sonst die Andeutung verstecken, tarnen, will heißen: nicht als solche ausweisen, sie unkenntlich machen? Gilt eine derartige Form - oder Entdeckung seitens des Lesers - irgendwie, oder irgendetwas? und was? oder: als was?

Wir bleiben zumeist alleingelassen vom Autor mit unseren und seinen Texten und unseren Mutmaßungen. Und dieser hat auch ein gutes Recht dazu, moechte ich behaupten. Denn ein Text ist nichts statisches, sondern ein Angebot, ein Versuch - ob ein essayistischer oder fragmentarischer [Lyotard - Derrida] bleibt zu fragen ! Auch der Autor steht oder liegt seinen Texten nicht als durchdringender Geist zugrunde, als metaphysischer (metatextlicher) Grund, sondern wie jeder andere Leser erst einmal ihm gegenueber. Er ist lediglich Ursache, und vielleicht nicht einmal das, und doch gleichzeitig Schoepfer eines Kindes: ein Text, der kommt von ... man weiß nicht wo. Der Autor als Leser: er weiß nicht mehr als ich, als wir. Zumindest muß er das nicht.

Ingeborg Bachmann wußte jedoch offensichtlich mehr als ich, und das macht mich neugierig darauf zu schuerfen, zu kratzen, Archaeologie im und am Text - ohne ihm Verletzungen beifuegen zu wollen - zu betreiben. Immer noch bleiben Zweifel hartnaeckig: denn man kann seine Vermutungen noch so umfangreich belegen, das Freigelegte durch unumstuerzliche Thesen untermauern und durch Parallelen stuetzen. So aufdringlich und zahlreich derartige Entdeckungen seitens des Rezipienten auch sein moegen: daß bei Auftreten einer (beispielsweise) Dreieckskonstellation unter den handelnden Personen (so vorhanden) im Text, vielleicht noch mit bestimmten charakteristischen Rollenzuschreibungen, nicht saemtliche entsprechende literarische und auch außerliterarische (dann erst wird das Unterfangen INTERTEXT interessant!) - oder aehnliche - Zusammenstellungen herkunftsorientiert herhalten muessen oder koennen, duerfte wohl einsichtig sein. Was soll man dann aber gelten lassen, was heranziehen, verwenden, und was fallenlassen, verstoßen und verwerfen? Wie gehe ich um mit Parallelen, die sich aufdraengen, die dabei Fehler enthalten? Welche und wie viele (absichtliche, eingebaute?) Fehler lasse ich durchgehen (um ein eingewobenes System, um eine Form noch identifizieren zu koennen als solche)?

Um noch einmal auf eine oben aufgeworfene Fragestellung zu sprechen zu kommen: angesichts der Fuelle der - in der gesamten Literaturwissenschaft - aufgefundenen (wobei mir bewußt ist, daß mir nur ein kleiner Ausschnitt aller Moeglichkeiten zugaenglich geworden ist), oder vermuteten Intertextualitaeten, will ich mich nicht lediglich - was oft genug geschieht, was jedoch zu kurzsichtig und die unadaequate Methode hier waere - fragen:
"Was will die Autorin mit dem, was ich - oder andere - als Intertext entlarven zu duerfen und auch anerkennen zu koennen glaube ?" Will sie ueberhaupt etwas mit Derartigem ? Was davon kommt von ihr ?
Sondern ich will lieber einen Schritt zurueck tun, denn vielmehr interessiert mich die umgekehrte Blickrichtung:
"Was mache ich damit und was kann ich 'mit ihr' anfangen?" Worauf verweist Vorgefundenes HIER (außer freilich: zurueck), was bedeutet: DA, in der Umgebung, in jenem KONTEXT, in dem ich es eben fand oder vorfinde, in dem es steht, in den es gesetzt wurde. Was kann es und was macht es - mit mir, mit dem Text, mit seiner Umgebung? Oder:

Wie gehe ich mit Text wie Intertext um ? - außer freilich: wissenschaftlich, dessen Reiz sich aber schnell erschoepft (vorausgesetzt, man bringt genuegend eigene Methodik und ausreichende Selbstaendigkeit in Denken und Arbeiten mit, womit man sich aber schnell von der reinen Wissenschaft wegbewegt, doch dies ist ohnehin nur einem Jeden anzuraten, und sehr erholsam, heilsam), und was außerdem der Kunst, dem Objekt, das untersucht werden soll, dem Text immer GEGEN-UEBER steht: feindlich, destruktiv. Oder:
Wie schaffe ich den Sprung von nackter Analyse zum wuenschenswerten Akt der WERDUNG des essayistischen Bruders der Kunst? Wie komme ich zur - vorsichtigen, un-eindeutigen, nie definitiven - Dekonstruktion? (Denn schon die aesthetische Hermeneutik zeigt bereits ihre Stacheln.) Wie kann ich hier dekonstruktivistische Methoden (?) anwenden, falls diese ueberhaupt angebracht sein koennen.
Doch was sonst, wenn nicht diese? Vieles vielleicht.

Auch fuer Intertextualitaet kann gelten: "Die Bedeutung ist der Gebrauch" (nach Wittgenstein). Was tatsaechlich sein will, muß praktisch und angewandt sein. Lassen wir das hier sein, und Bachmann so stehen. (Alles was hier an Beispielen und Anwendungen folgen koennte oder wuerde, waere schlicht Aufputz, und nur entstanden aus anerzogenem "Legalisierungsdrang" und oktroyiertem "sich doch aeußern muessen".)
Diese Seiten hier problematisieren also die Thematik (der Titel als (Arbeits/Hypo-) These!) im weitesten selbst: auf daß auch den theoretisch-essayistischen und wissenschaftlich-analytischen Geistern genuege getan wird. Und zuvoerderst freilich: dem Verfasser dieser Zeilen: dem sich stets und stetig und ueberall und wiederholt einschreibenden ICH.
Ich referiere also Bachmanns Intertextualitaet: IRGENDWIE. (... hier ... so ...)

Um hier zu einer Abrundung hin zum naechsten Teil meiner Arbeit zu kommen, will heißen: zurueck zum Projekt "Inter & Text", seien noch zwei Saetze aus Monika Albrechts Buch dazu angefuegt. (Sie finden sich auf Seite 34f., und wurden Aufsaetzen aus dem Band "Intertextualitaet: Formen, Funktionen, arglistige Fallstudien", Tuebingen 1985, herausgegeben von Pfister/Broich, entnommen.)
Sie schreibt, es sei "Broich zuzustimmen, der zu bedenken gibt, daß der Begriff der Intertextualitaet, wenn man ihn "in einem so weiten Sinn verwendet, daß jeder Text in all seinen Elementen intertextuell ist, (...) seine Trennschaerfe (verliert) und damit seine wissenschaftliche Brauchbarkeit zumindest fuer die Analyse einzelner Texte" (Ulrich Broich)".
Es soll weiters nicht gehen in "jenen Bereich der Diskussion, der den Begriff der Intertextualitaet "in Richtung auf ein globales Konzept der Bezugnahmen eines Textes auf Gattungssysteme und, noch weiter, auf alle moeglichen soziokulturellen Wissensvorraete" ausweitet. (Monika Lindner)".
Somit zurueck zu einigen (Schluß?-)Betrachtungen.


Die Syn-These: Das Feld im Ueberblick, Rueckblick, Ausblick
oder: eine Standortbestimmung und -besichtigung des Systems und innerhalb des Systems;
oder: Ingeborg Bachmann und ihr Versuch zu schreiben;
oder: Ich und mein Feld-Projekt.

Ich moechte hier einige Zitate aus Gespraechen mit Ingeborg Bachmann gesammelt hintanstellen. Es handelt sich um Aeußerungen ueber Literatur und ueber Autoren, Aussagen, die abseits derer in den Frankfurter Vorlesungen (oder in anderen Aufsaetzen) stehen, weil diese ja einen ganz anderen TON (-Fall) anschlagen, einen ganz anderen Anspruch anmelden, als ihre literarischen Texte, und auch als ihre muendlichen Aeußerungen.
Bachmann im O-Ton gewissermaßen: im nachhinein und als Ueberpruefung des Vorangegangenen, als Revision, als Retrospektive und als Ab-Schluß; oder auch als "das tatsaechliche Zitat" ! Das eigentliche Zitat als die einzig echte Antwort, als die einzig wirksame Frage ?

"Es gibt fuer mich keine Zitate, sondern diejenigen Stellen in der Literatur, die mich immer aufgeregt haben, die sind fuer mich das Leben." (1971, Gespraeche und Interviews, 1983, S.69), (zitiert nach: Weigel, Sigrid, Zur Entwicklung von I. Bachmanns Schreibweise, in: Text und Kritik-Sonderband Bachmann, S.58.)

"Kafka und Mann sind ohne Zweifel große Gestalten, aber auch so fern von uns. Sicher mag ich einige von diesen Schriftstellern", die Quelle berichtet von B. Brecht und Gottfried Benn, "Trotz alledem glaube ich, daß die neueste deutsche Literatur den Autoren der ersten Haelfte unseres Jahrhunderts nicht viel verdankt. Das, was geleistet wurde, entstand, ohne daß man an eine bestimmte literarische Tradition haette anknuepfen koennen." (1973, Gespraeche und Interviews, 1983), (zitiert nach: Chiarini, Paolo, I. Bachmanns Poetik, in: Texte zum Werk, 1989, S.324.)
"Die drei Schriftsteller die mich beeindruckt haben, durch ihr Werk gleichermaßen wie durch ihre Person. Sie sind auf keinen Nenner zu bringen, aber ich nenne sie gerne, es waren Giuseppe Ungaretti, es sind Elsa Morante und Giorgio Manganelli." (Nachlaßblatt 853),(zitiert nach: Hoeller, Hans, I. Bachmann. Das Werk. S.231f.)

Ich wollte nennen UND dadurch verweisen auf anderes. Ich setze einen Pfeil damit, einen VERWEISpfeil und einen FOLGEpfeil und einen (dezenten) HINWEISpfeil, ohne eine Ideologie oder letzte Wahrheit dahinter festzuschreiben oder vorzugeben. Das vorgefundene Material soll tatsaechlich nur Material sein - und als solches auch Medium -, wobei ich durch meine Auflistung und Benennung, durch meine Arbeit, durch das WIE, eine Art Folgepfeil schreiben will, und schreibe. Die andere Seite, die Folgerung soll unerfuellt bleiben, soll nicht ausgesprochen werden, weil sie sich nur - durch das WIE der Hinfuehrung und Ueberleitung - zeigen kann.
Nicht wollte ich also nur den Blick zurueck auf den Ort der Herkunft eines Intertextuellen-Zitats festsetzen, denn wenn ich Zitate und Anspielungen und anders geartete Montagen, Textgespraeche und eben Zwischen-Text-ualitaeten als solche annehme und ernstnehmen und behandeln will, darf es nicht hinreichen und genuegen, "Roth" oder "Musil" oder "Hofmannsthal" zu sagen. Denn hinter diesen, und allen anderen NAMEN (fuer Dichter, fuer Texte, fuer Werke, fuer Menschen), stehen Beziehungen und Verzweigungen. Felder, Ebenen, Raeume, Wege, Pfade. Welten eben. Also koennten und sollten an alle derartigen Auf-Zeigungen umfassende Untersuchungen und Bearbeitungen angeschlossen werden, sprich detaillierte Einzelarbeiten.
Darin unterscheidet sich wohl ein literarischer, poetischer Text, von einem wissenschaftlichen, poetologischen Text. (Oder vielleicht aber auch nicht. Siehe MARTYN und Austin: META-Literatur.) Literatur informiert nicht, sie genießt, oder bietet zumindest eine Genußmoeglichkeit an. Literatur, die nicht inFORMiert !

Doch genau das ist eben das Problem, gewissermaßen ein Dilemma: da ich mich ja nie im luftleeren oder textleeren Raum befinde, mich nie befunden habe, stehe ich immer schon ZWISCHEN Texten, von Gelesenem weg, hin zu anderen, neuen Texten - ob eigenen oder nicht. Eigenes ist immer schon gefaerbt und durchtraenkt und beeinflusst, ja geradezu genaehrt von Vorhandenem. Jeder Text bringt neue Texte hervor, und diese brauchen mich als Medium, als materiellen, koerperlichen Boten. Deshalb sollten wir uns in unserer heiligen und geheiligten, unserer verehrten ORIGINALITAET unserer verehrten AUTORSCHAFT gar nicht mehr so sicher sein, wir sollten uns in ihr nicht gar so wohlfuehlen und uns feiern und bejubeln lassen.
Denn vielleicht kommen wir sehr bald drauf, daß es damit nicht sehr weit her (und hin) ist, und daß sie nie gueltig war, daß dieser Deck-Mantel unserer Schreibe-Eitelkeit uns nicht mehr schuetzt, umhuellt; und daß wir die laengste Zeit ueber schon im Freien gestanden haben. Und genau damit muessen wir uns jetzt auseinandersetzen. Denn das ICH, und das schreibende, das lesende erst recht nicht, ist nicht alleine. Und das TEXT-ICH ebensowenig. Es verdankt sich nicht ausschließlich sich selbst. Doch das sich einzugestehen und daran zu arbeiten, dies anzunehmen und zu verarbeiten, wird nicht einfach werden (fuer viele), wird nicht leicht. Doch wir haben ja Zeit. Wir haben genuegend Zeit und Texte um uns, die uns bei dieser Arbeit helfen koennten.
Und (auch/unter Anderem) genau davon handelt diese Arbeit, dieser (Inter)(Hyper)Text !

Zu "formulieren" im Thema im engeren Sinne gibt es freilich kaum etwas; Geniales ausgeschlossen. Was bleibt, ist wissenschaftlicher Beirat, Sekundaerliteratur, pseudo-wissenschaftliche Metaliteratur oder semiliterarische Machwerke einer dubiosen profilierungssuechtigen Phallokratie.
Will ich jedoch nicht nur diesem teils ideologischen Gesinnungskitsch, teils interessanten Ueberlegungen und ernstzunehmenden Entdeckungen, und teils aufgeblasenen Laecherlichkeiten in Form wissenschaftlicher Aufsatzwillkuer, in meiner Arbeit (die sich in diese unruehmliche Liste wohl einzureihen haben wird) Raum geben und ihnen nach dem Mund reden, sondern auch die ungeheuerliche Frage stellen: "Und wo, bitteschoen, bleibe ich ?"
So bleibt mir wohl - und so sehe ich die Lage zumindest im Augenblick - unter mehreren Moeglichkeiten diese eine die gangbarste: ich teile den Platz auf, ich nehme in etwa (grobe) Gleich-gewichtungen vor, zwischen der "theoretischen" Darlegung und dem etwas angewandteren Teil des Themas, der "praktischen" Ausfuehrung, wonach noch ein abschließender, resuemierender und hinausgeleitender Teil ins Feld treten sollte.
Was hiermit, so hoffe ich, in ansprechender Weise und halbwegs gelungen, geschehen ist.


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