Von der Aesthetik der hermeneutischen Praxis
(nach G. Danbolt) zur Dekonstruktion.

Oder: Hermeneutik-Verabschiedung/Abloesung auch als Versuch einer Entwicklung einer praktischen Philosophie.


Bei der Auslegungsarbeit nach DANBOLTs Hermeneutik, verstanden als Methode einer von Wittgenstein inspirierten Bild-Hermeneutik, bin ich aufgefordert, meine Bewegung an das Objekt meiner Untersuchung oder Betrachtung (oder spaeter: Lesung) anzupassen, jedesmal quasi eine neue Methodologie zu entwerfen. Jedes Deutungs-Schema richtet sich (je) nach dem Kunst-Objekt. Ich bin dazu angehalten, jedes Untersuchungsbeispiel als eine Art Muster-beispiel zu behandeln, wobei ich eventuelle Hinweise, auf die ich nach und nach kommen kann, modifizieren und so weiterverwenden kann, oder sie auf weitere Beispiele und Modelle projizieren kann, um sie so auf ihre Tauglichkeit zu ueberpruefen und nicht um sie unkritisch und ungeprueft weiter zu verwenden, weiter zu tragen und sie anderen Bildern aufzuzwingen und sie so durch die Gewalt der Art meiner Betrachtungsweise schon zu veraendern und unkenntlich zu machen.

Bei der Lesung von Textualitaeten nach DERRIDAs Dekonstruktion, verstanden als Methode einer Text-Lesart, bin ich aehnlich wie schon bei Danbolt (und auch bei anderen, vergleichbaren Hermeneutik/und aehnlichen-Ansaetzen) aufgefordert, jedem Text SEINE Betrachtungs/Untersuchungs/Les-weise zukommen und angedeihen sein zu lassen, sie quasi aus ihm jeweils sich entwickeln zu lassen, sie aus ihm hervor und heraus zu holen, sich generieren/gebaeren zu lassen, mich im und am Text zu orientieren und mich so NACH ihm zu richten.
Heißt es von nun an in der Philosophie nicht mehr: "Wie denken?", sondern "Wie lesen?"?

Quasi zwischen diesen beiden Zugangsarten zu Bildern und Texten bewege ich mich HIER(MIT) mit/in diesem Untersuchungs- oder Erarbeitungs-Versuch von NOVALIS´ (Freiherr Friedrich von Hardenberg) unendlichem Buch "HEINRICH VON OFTERDINGEN" und von Schellings romantischer Universal-POESIE.
Mein Blick kommt teilweise aus dem Buch, das ich lese (und all der vielen, unzaehligen anderen, die ich gleichzeitig - in/dem - mitlese), was aber nicht heißt, daß es selbst mir diktieren wuerde, wie ich es zu lesen haette; oder daß es mir seine Interpretation schon mitliefern koennte.
Und schon wieder bewege ich mich zwischen mehreren Orten, tanze auf zwei Hochzeiten mit meinem einem Arsch.

Bei jener Methode, die ich DANBOLT mir vorschlagen lasse, ergibt sich aus der Arbeit der Betrachtung und der Herangehensweise an das BILD und aus den Voraussetzungen die dieser Untersuchungsmethode vorgegeben sind und mitgeliefert werden, daß sie im weitesten Sinne nur auf HISTORISCHEM Feld (der Vor-Avantgarde, der Vor-Moderne, oder mittlerweile vielleicht auch der Moderne selbst) anwendbar und praktikabel erscheint, da ich ja sonst (noch? oder ohnehin nicht mehr?) keine und keinerlei historische Umfelder, keine dem Schema entsprechenden Bedingungen, und somit keine CONTEXTE ausmachen und feststellen kann, die das Kunst-Werk schließlich bestimmen, ermoeglichen und konstruieren, nein: konstitiuieren, und die auch meinen Blick, meine Blicke beeinflussen und kanalisieren oder ablenken, irreleiten sollen.

Ohne historische Einbettung und epochale Zuweisung versagt DANBOLT auf breiter Spur in Ermangelung eines zeitlichen Abstandes, durch fehlende D I S T A N Z.
Und ohne D I S T A N Z keine Kunstfeststellung einerseits, und keine Kunstgeschichte, keine Geschichte ueberhaupt, andererseits. Und wenn mir die historische Sichtweise und Zuordnung (Die Ordnung?) fehlt, geht mir auch das UMFELD jedes Kunstwerkes, jedes Objektes ab. (...Was wird aus der oftzitierten hinfaelligen Trennung von Text und Kon-Text ?...) Was wiederum das Verstaendnis voellig veraendert, und mir auch jede Moeglichkeit zu Verfahrensweisen wie der Anspielung, des Verweises, der Zitation, der Kopie, des Plagiats, ... von vornherein nimmt und untersagt.
Denn ohne historischen Kontext vermag ich kaum prinzipielle Vergleiche anzustellen, ich kann weder Aehnlichkeiten, oder Parallelen festmachen, noch irgendwelche Differenzen aufdecken, geschweige denn mit ihnen irgendwie umgehen, sie vermitteln, sie transportieren, mit ihnen arbeiten.

Was mir zu nah steht, was in zu geringem Abstand zu mir auftaucht (zeitlich wie raeumlich) - TEMPORISATION (Derrida)? - entzieht sich meiner Kontextwahrnehmung, Kontextgenerierung und meinem Geschichtsverstaendnis. Es ist somit nicht abgrenzbar, (IN-FINIT?) zu meinem, zu unserem Zeitraum und Kulturraum.
Denn der Wissenschaftler, der Historiker, der Rezipient, der Betrachter, will heißen: der wie auch immer - durch Zugang, Faehigkeit und Willen - gepraegte und geformte LESER steht - genausowenig wie der KUENSTLER (=Context von Zeit und Raum) - außerhalb der ZEIT, ebensowenig jenseits des (drei-dimensionalen) RAUMES.
- Hinfaelligkeiten?: Text/ConText? Kunstwerk? Kuenstler/Autor/Leser? ...

Allein der Philosoph versucht von Zeit zu Zeit, seinen Kopf zu heben oder zu senken, er wagt es und blickt kurz auf in den Lichtschein einer Lampe, und geblendet, NUR mehr Licht sehend (nicht sehend), geblendet (blind), wendet er sich ab. Sein Versuch neue Sichtweisen zu erproben, andere Horizonte auszumachen, sich kurz abzuwenden von Bekanntem, von Gewohntem, von Festgefahrenem, Ueblichem war ihm so oft schon vereitelt worden. Wie oft hat er schon versucht sich abzuwenden, sich umzusehen im Dunkel, im Licht, ... ?

Wie oft hat er schon versucht, ohne Brille zu sehen (ohne Sonnenbrille, ohne optische Brille) ? Doch WAS BLEIBT beim Versuch der DE-Maskierung, der AB-Schminkung, was bleibt, nachdem ich die verzerrende Folie vor meinen Augen und Sinnen, nachdem ich die verstellende Larve und Farbe den Dingen vom Leib gerissen habe - oder es zumindest versucht habe ?
Ich vermute einmal: NICHTS, denn gelungen ist dies wohl noch nie.

Womit ich wieder in der Diskussion um die Verschmelzung von Text und Context gelandet bin; denn hier geht es nicht um urspruengliche Kulturen oder das Ding-an-sich oder die pure Schoepfung am siebten Tage! Nichts wuerde bleiben und sein. Vermutlich nicht einmal mehr (die Vorstellung vom) Nichts. Was denn waere NEUTRAL denkbar? Nur so (wie:so?, wenn keine Bestimmung ES noch verstellt?) und nur ES, es selbst, ganz und gar selbst, UR-spruenglich, unverfaelscht, und rein, und wahr, und gut, und schoen.
HA! - eben nicht! Eben nicht schoen ohne ANDERES und ihne Distanz und ohne Un-funktion und ohne Be-Stimmung! Was waere ganz frei und ungestoert und unbeeinflußt (natuerlich) denkbar? Wie oft sagen wir MAN, oder ES, und waehnen dubios etwas (als) neutral! -Nur wie oft schreibt sich und spricht sich hier ein Geschlechter-Macht-Kampf ein (DAS Kind)?!

Im Dunkel sehe ich meist mehr - nach einer genuegend langen Phase der Gewoehnung freilich - als bei allzu viel Licht, Ausleuchtung, Hinterleuchtung der Dinge, der Welt. Die Demaskierung durch Entfernung der Maske nimmt auch das Maskierte mit fort. Die rosa Brille faerbt alles ein - ohne Brille wiederum waere ich freilich blind. Ich waere so sehr Sehender, daß ich ganz und gar einem einzigen blinden Fleck gleichen wuerde: alles sehen heißt nichts sehen. (...Alles K=nichts K?...). Ich brauche die Blendung, ich brauche die Verfaelschung, die Unreinheit, den FEHLER!, die Folie, die Manipulation, die Farbe, die Schminke, die Maske, das Kostuem, ... um ueberhaupt zu einer Welt - wenngleich einer veraenderten, verfaelschten - zu kommen!

Ohne rosarote Brille sehe ich also nicht normal, sondern gar nichts.
Ohne Kleidung und Kostuem sehe ich nicht Nacktheit, ohne sie zerfaellt die Luftballon-Welt. Die neutrale Position laeßt sich nicht denken, erfahren, weil ich immer schon da - und mitten drin - bin und auch sein muß um nur irgend-ETWAS zu sehen, mit zu bekommen.

Fuer jede Originalitaet, fuer die Urspruenglichkeit, die Originaeritaet, die Indigenitaet, komme ich immer schon zu spaet. Wie auch nicht: ich kann doch nicht schon hinschauen, wenn noch gar nichts da ist! Mein Blick ist immer der Blick zurueck. Licht, das bei mir ankommt, ist immer schon ALT; je weiter die Reise, desto verfaelschter, unstimmiger die Information, weil um so aelter.

Der Blick zurueck kommt immer zu spaet (zu spaet wofuer?), trifft auf Spuren und glaubt er koenne jetzt re-konstruieren, analysieren und verstehen, auf etwas kommen. Ich muß aber doch (mittlerweile auch bewußt und von-vornherein/a priori?) ALLES ALS ETWAS ANDERES sehen, und lesen. Die Signifikantenkette der Brillen und Masken (ohne Maskiertes, Verkleidetes, Bebrilltes - ich habe nur Zugang zum Kostuem, nie zum Kostuemierten, der/die/das sich mir entzieht, sobald ich am Gewand zu nesteln beginne) schreibt und schiebt sich fort (schreibt und schiebt sich VER-?).

Der historische Aspekt faellt bei Derrida freilich nicht vollstaendig, doch ich kann ihn teilweise vernachlaessigen, er ist nicht in dem Maße bestimmend und derart zentral wie bei Danbolt. Mit Derrida´s Dekonstruktion kann ich auch im hier und jetzt, mit juengeren Texten, und vor allem mit ANDEREN (erweiterten) Texten umgehen: mit allem? - mit allem, was ich lesen kann! - und mit der Historie faellt auch das Vergleichsverbot.

Da ich aus dem Text, der seinen Kontext schon miteingeschrieben in sich traegt, selbst meine Lesart entwickle, ihn aus sich selbst sich sprengen lasse, kann ich die Tradition vergessen: nur drauf los? Ohne mich um historische Zuweisungen und Einbettungen und Zuschreibungen zu kuemmern, vermag ich - da ich ohnehin nie den Anspruch stelle auf Neutrales rekurrieren zu wollen oder zu koennen - nun sofort und unmittelbar Vergleiche und Differenzierungen anzustellen; und auszustellen. Ich kann mit den Texten arbeiten, ohne sie vorher zu verwissenschaftlichen, was ohnehin nur ein wackliges, vorlaeufiges und dubioses System zum Vorschein bringen wuerde.
Die historische Untermauerung Danbolts ist eine Scheinarchitektur im Haus der Philosophie. Aber eine gute! Und täuschend ächt!


Waehrend mir Danbolt in groben Zuegen eine Vorgehensweise nahelegt, die inetwa die Linie

beschreibt, moechte ich in Anlehnung daran die Arbeitsweise der Dekonstruktion als Verflechtungen von beschreiben, wobei der TEXT nicht punktuell entsteht, oder auftaucht, sondern als Projekt in allen Phasen des Vorhabens aufscheint, sich einschreibt: DA bin ich! Und auch DA!

So kommt es (bei Danbolt) zur Ausbildung eines vorlaeufigen SCHEMAs von Bedingungen (am Beispiel des Codex Egberti, ein mittelalterliches Manuskript mit 60 Bildern, um 980). Dieses SCHEMA beruecksichtigt folgendes:

Die Mittel:

Praxis-assoziierte Institutionen = die kulturellen Mittel oder Voraussetzungen:

Die Institutionen und Basen fuer ein Kunst-Schaffen/Texten erscheinen mir als Schichten und Stufen, wobei die philosophischen Hintergruende und Frage- und Zugangsweisen immer schon in jeweils jede einzelne der nicht voneinander strikt abtrennbaren und isolierbaren Schichten hineinverwoben sind und immanent allen schon irgendwie innewohnen, jeder einzelnen sich ver- und einge-schrieben haben; was zu permanenten Modifikationen jeder der Schichten fuehren kann, wie:
Verschiebungen, seitliche Dehnungen oder Schrumpfungen, Verdickungen und Verjuengungen der Tortenschichten, verstanden ALS unterschiedliche Gewichtungen der Bedeutung, je nach Fall und Kunst-Objekt.

Zur Frage des STILs. Oder: Das NEUE Bild und seine Epoche.
Danbolts Annahme (Feststellung), daß, wenn ein voellig neues Bild entsteht oder erscheint, es einen voellig neuen Stil einleiten wuerde, eine neue Epoche, und somit am Anfang jener Epoche stehen wuerde (wobei NEU und EPOCHE vermutlich ohnehin laengst hinfaellige, obsolet gewordene Begriffe sind), stelle ich den folgenden Einwand entgegen:
Was aber, wenn ein "voellig neues" Bild nicht tatsaechlich so neu ist (sich als keineswegs revolutionaer erweist), wie es vorerst erscheint, sondern zum Beispiel unerwartet (kreativ?) einen alten, einen vorhandenen Stil, eine bereits vergangene weil abgeschlossene, abgeschriebene Epoche (aus den Zeiten, als es noch Epochen gab; hat es diese - IN der jeweiligen Zeit - je gegeben ?) nachahmt, oder "einfach" wieder aufnimmt (gebrochen?), ihn restauriert; ihn NEU und "ueberholt" (im doppelten Sinne) installiert? Oder: gibt es das absolut Neue (Bild, oder was immer)? Oder gebiert nicht jeder Text weitere (un-neu Neue), generiert sich nicht jeder Text aus Anderen (Alten), Vor-gaengern? Und: genuegt mir schon der zeitliche Abstand, um die Sicht - auf die Epochenfrage - klarer werden zu lassen?
(zur D I S T A N Z: s.o.!)
Ich brauche die Distanz, habe sie zur Diagnose, Analyse noetig. Doch will ich das (sie) ueberhaupt, brauche ich das (sie)? Und wozu?
Diese Beurteilung kann ich getrost Anderen, den Spezialisten ueberlassen - das moegen dann (mit geeigneter Distanz) die Fachgelehrten und Nachgeborenen klaeren!


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