HYPERTEXT


unendliche Buecher, elektronische Geschichten


HT als derjenige Text, der ueber sich selbst hinaussteigt? Der ueber sich spricht und sich von sich selbst distanziert?
"Das Selbst ist ein Verhaeltnis, das sich zu sich selbst verhaelt, oder ist das an dem Verhaeltnis, daß das Verhaeltnis sich zu sich selbst verhaelt; das Selbst ist nicht das Verhaeltnis, sondern daß das Verhaeltnis sich zu sich selbst verhaelt. Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit (...) kurz eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhaeltnis zwischen Zweien. (...) Im Verhaeltnis zwischen Zweien ist das Verhaeltnis das Dritte als negative Einheit, und die Zwei verhalten sich zum Verhaeltnis und im Verhaeltnis zum Verhaeltnis; (...) Verhaelt dagegen das Verhaeltnis sich zu sich selbst, so ist dieses Verhaeltnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst." (Kierkegaard, nach: Gondosch, 192)

Vorerst einmal zu einer formalen, technischen Bestimmung des Begriffes HYPERTEXT:
Der Hypertext, der Ueber-Text; ueber den Text hinaus, ueber einen Text sprechen, ueber ihn, der nicht EINS/EINER ist, der nicht SO ist, der nicht IST, sondern immer im Werden, im Entstehen begriffen ist; er ist faehig zu wachsen, sich zu veraendern, zu lernen. Hypertext als ein kybernetischer Organismus, ein Cyborg/Replikant/Androide?
- KYBERNETK/kuenstlicher Mensch/kuenstllicher Text/kuenstliche Welt?
Also: ueber den ueber-Text. Oder: Die Problematisierung des Verhaeltnisses von Gegenstands-Ebene (Dargestelltes, Signifikat, Objekt) und sprachlicher Meta-Ebene (Darstellendes, Signifikant, Medium). Oder: Das Verschwinden des Gegenstandes, die Fragwuerdigkeit des Wortes UEBER, die Verwischung, Verschmelzung, Ueberschneidung, Transformation der Gattungen, deren Bezeichnungen teilweise ohnehin schon obsolet geworden sind. Denn wer wuerde heute in einer Buchhandlung in der Abteilung Gegenwartsliteratur - sofern eingerichtet - noch ernsthaft nach einem ROMAN, einer Kurzgeschichte, einer Novelle, ... suchen?

Worum geht es in einem Text, in diesem Text? Worueber spricht er, wovon erzaehlt er? Worauf verweist er? Und wie kann ich dorthin gelangen, dort ankommen?
Dergestalt ausgehend vom Text-Begriff, vom erweiterten Textbegriff, ueber die Erweiterungen Intertext und Context (und nicht zwingend in dieser Reihenfolge, die hier aufzaehlend, nicht reihend oder linear wertend gemeint ist), geht es nun um die Infragestellung und Befragung seiner Meta- oder Sub-Ebenen: Hyper-text und Hypo-Text.

Woher nun kommt also unser/der gebraeuchliche Begriff vom Hypertext?
"Hypertext bzw. Hypermedia beruht auf der Idee, daß Wissen, zumal unter den Bedingungen einer fortschreitenden Informatisierung auch von Bereichen des intellektuellen Lebens nicht laenger auf lineare und einheitliche Weise, z.B. in Texten, dargestellt bzw. rezipiert werden muß, sondern in mehrfacher Hinsicht flexibilisiert werden kann (...)
Assoziative Verknuepfung von Einheiten (Objekten) ist das kreative Element von Hypertext. Verknuepfung ("linking") ist somit die fundamentale Idee von Hypertext. (...) Kreative Assoziation haengt sicherlich von dem Ausmaß der Verknuepfung ab. Verknuepfungen herstellen und festhalten zu koennen, gilt ja nicht erst seit Hypertext, sondern wohl immer schon als wesentliche Intelligenzleistung (...)
Neues Wissen aufzunehmen bedeutet, neue Verknuepfungen zwischen schon Bekanntem zu entdecken oder gezeigt zu bekommen. Dazu leistet Hypertext Hilfestellung. (...)
Man kann sich eine Hypertextbasis als ein sehr komplexes Netzwerk vorstellen, in dessen Knoten die (multimedialen) Objekte des Wissens eingetragen und ueber dessen Kanten die Verknuepfungen realisiert sind. Von jedem Objekt kann eine Vielzahl von Verknuepfungen ausgehen (...)
In Hypertexten assoziiert man eher, als daß man gezielt sucht. Man wandert sozusagen frei navigierend in Hypertextraeumen, die Andere hoffentlich vernuenftig aufgebaut haben. (...) Ein Netz kann nicht eindeutig linearisiert werden. Jeder Benutzer baut sich seine eigenen Pfade auf. (Kuhlen, o.S.)

"Vannevar Bush veroeffentlichte schon 1945 in einem Artikel As We May Think seine Visionen ueber ein wissenschaftliches Informatinssystem "Memex" (MEMory-EXtender) (...) ein Online-Text- und Retrievalsystem mit assoziativem Zugtiff auf Texte (...)
1965 wurde schließlich der Begriff Hypertext von Ted Nelson als nicht-sequenzielles Schreiben und Lesen allgemein definiert. (Idensen/Krohn, in DS, 377f.)

"Das Hypermedia gehoert also zu jenen Entwicklungen, die den persoenlichen Gebrauch der Technologien an die Stelle der Massen-Technologien setzen." (Claus, 156)

Der Hypertext als Zwischenform von holographischen und zentralorientierten Systemen?
Weitere Beispiele: INTERNET (Vorbild neuronale Netze), GEHIRN (Block/Funktions-verschiebung bei Verletzung moeglich). siehe auch Digitaler Schein S. 384; siehe INTERTEXT!

Dadurch, daß die mittlerweile einigermaßen ausgereifte Technik vom Hypertext (dem Inter- und Con- bearbeitete Texte zugundeliegen), verschiedentlich auch immer wieder in die Literatur integriert wird (oder umgekehrt: die Literatur in die neuen technologischen Moeglichkeiten und Verfahren einbezogen wird, um diese auch durch die Literatur befragen und testen, ausreizen und spielerisch erweitern zu koennen), fuer literarische Interessen gebraucht und verwendet wird, kommt es hier zu einer neuerlichen Einbindung einer bereits erweiterten Textualitaet, des Hypertextes, in ein weiteres Intertextuelles Feld, in einen weiteren Context (Hyper-Hypertext?). Womit wir wieder einmal in einem infiniten Cirkel gelandet waeren, nein: uns ja schon immer befunden haben. Nur eben draufkommen muß man - und es auszusprechen wagen. Bis einem schwindelig wird.

"Hypertext und Poesie verlangen vom Leser ein Losloesen von komplexen, referentiellen und logischen Verbindungen. Der Text ist ein Geflecht, eine Vernetzung von Knoten, wo viele Stimmen sich treffen." (Idensen/Krohn, in DS, 383)

"Es lassen sich noch andere Produktionsmethoden aus der aesthetischen Praxis vorfuehren, die mit Hypertext-Strategien lineare Textstrukturen ueberschreiten: oberflaechliche Frame-Wirklichkeitsausschnitte im Nouveau Roman, in denen von einer Abbildungsebene von Wirklichkeit zur naechsten geschaltet wird; alphabetisch organisierte Romane mit einer Vielzahl lexikalischer Einheiten und differenziert aufeinander verweisender Textsorten (...); Lexikonromane, Metaphern-Maschinen des Manierismus und multiple Buch-Objekte (...) Die entscheidende Frage aber bleibt, wie mit solchen aesthetischen Formprinzipien, die losgeloest von den aesthetischen Strategien einzelner Autoren als Struktur in Hypertext-Programmen verfuegbar sind, produziert werden kann. Dabei steht nicht mehr die Produktionsweise eines einzelnen Autors im Vordergrund, sondern die Entgrenzung der persoenlichen Hypertext-Maschine durch eine Vernetzung vieler Schreibakte in einem kollektiven Prozeß" (Idensen/Krohn, in DS, 386)

(oder aber auch dies: Björk: HYPER-Ballad;
David Bowie: 1.Outside - a non-linear Gothic Drama HYPER-cycle)


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