GLOSSAR

Da sich diese Arbeit auf die Beschreibung von Theaterprojekten im Internet konzentriert, ist es nötig, an dieser Stelle sowohl Theater noch einmal zu definieren, als auch einen kurzen Überblick über die Kommunikationsweisen des Internet zu geben.

Einzelne Projekte auf einen "Grad ihrer Theatralik" zu untersuchen, ist natürlich unmöglich, dennoch möchte ich mit diesen Vorbemerkungen Grenzen abstecken, die es ermöglichen, diese Projekte zusammenzufassen unter dem Begriff Theater.

THEATER

Theater (Griech. Theatron = Raum zum Schauen) [...] T. im Sinne von künstlerischer Praxis, zu der die Minimalelemente Spieler, Rolle, Zuschauer, sowie die zeit - räumliche Einheit von Rollenspiel und Zuschauen gehören.

Theater beinhaltet also Gleichzeitigkeit und Einmaligkeit bei möglicher Wiederholung, weiters das Aufbauen von Beziehungen zwischen den Darstellern und den Darstellern und Zuschauern und Authentizität unter Einhaltung bestimmter Regeln.

EINMALIGKEIT UND WIEDERHOLUNG

Ein Theaterstück wird in einer bestimmten Inszenierung einmal erarbeitet und ist in Folge theoretisch immer wieder reproduzierbar. Jeder Aufführungsabend mit denselben Schauspielern in dieser Inszenierung müßte demnach gleich sein. Doch sind die Vorstellung jeweils anders als alle vorangegangenen und alle folgenden, also einmalig. An keinem Tag können die dargestellten Emotionen einander gleichen, auch die Reaktion der Zuschauer wird immer eine andere sein. Dennoch entsteht in dieser fast rituellen Wiederholung, ein wichtiges Element des Theaters.

GLEICHZEITIGKEIT

Theater findet immer in "Echtzeit" statt. Der Zuschauer sieht im selben Moment das, was der Schauspieler sendet. Im Unterschied dazu stehen Videodokumentationen von Theaterstücken oder Filme. Dort ist das Geschehen aufgezeichnet, auch jederzeit abrufbar, jedoch nicht live, sondern mit einer Zeitverzögerung.

Sehen und Gesehen Werden, Hören und Verlautbaren finden im Theater zur selben Zeit statt. Vorausgesetzt für ein gemeinsames Verständnis ist natürlich auch ein gemeinsamer Code der gesendeten Signale.

ZEICHEN

Die Skala möglicher Theater - Zeichen erstreckt sich von Stimme, Gestik, Mimik, Bewegungen, über Raum, Kostüm, Maske und Licht, sowie Musik und Geräusch. Diese Zeichen sind zwar nicht zwingend notwendig, kommen bei dieser spezifischen Kommunikation doch meist zum Einsatz.

Die Theatermachenden müssen sich darüber im Klaren sein, welche Zeichen sie verwenden, um ihr Publikum anzusprechen. Zum Beispiel muß überlegt werden, in welcher Sprache gesprochen oder gesungen wird, ob in der Landessprache oder einer Fremdsprache. Es ist anzunehmen, daß das Verständnis leichter und der Besucherkreis weiter gestreut sein wird, wenn die Landessprache verwendet wird. Genauso muß aber auch überlegt werden, ob und wie die verwendeten Zeichen in die Kultur der Zuseher hineinpaßt.

ROLLEN PUBLIKUM

Theater ohne Zuschauer gibt es nicht, "erst in der Spannung von Spielen zu Zuschauen ereignet sich die Theaterhandlung". Beziehungen entstehen zwischen den Darstellern bereits im Probenprozeß und werden auf der Bühne zur Perfektion gebracht. Während der Aufführung erweitern sich die Beziehungen zum Publikum, es wird von den Darstellern in das Geschehen, nicht aber in den Handlungsablauf einbezogen.

In einem späteren Kapitel werde ich genauer auf die Inszenierung dieser Rolle eingehen und ihre Bedeutung im Cyberspace beschreiben.

DARSTELLER

Die Darsteller haben, im Gegensatz zum Zuschauer, eine Vorinformation, sie haben ihre Rolle. Der Schauspieler ahmt eine Figur nach, die er nicht ist. Diese Nachahmung können Schauspieler und Regisseur auf verschiedene Arten gemeinsam erarbeiten. Es kann versucht werden, so echt wie möglich zu agieren, um das Publikum glauben zu machen, was es sieht. Ein gegensätzlicher Ansatz ist, die Illusion durch bewußte Künstlichkeit des Geschehens erst gar nicht aufkommen zu lassen.

ORT DER AUFFÜHRUNG

Die dargestellten Handlungen können in einer realistischen oder surrealistischen Bühne stattfinden. Diese Bühnen beeinflussen in ihrer Struktur die Distanz zwischen Zuseher und Darsteller entscheidend. Die vierte Wand, wie sie beispielsweise in der naturalistischen Dramentheorie verlangt wird, kann dabei bewußt aufgebaut oder radikal zerstört werden. Nach dieser Theorie wird gespielt, ohne das Publikum eigentlich zu betrachten, also wie durch eine durchsichtige Wand getrennt. Das wird am ehesten im Rahmen einer Guckkastenbühne erreicht, wo sich Theaterbau und Inszenierung also etwa im gleichen Maße auswirken können. Das Verhalten der Zuschauer sowie die Beziehungen zum Stück sind sicherlich ganz anders, wenn das Publikum inmitten der Aktion plaziert wird.

KOMMUNIKATION IM INTERNET

TELNET

Durch die Verwendung des Internet - Protokolls Telnet kann der Benutzer eine Verbindung mit einem Remote - Computer aufbauen. Auf diesem Remote - Computer kann von jedem beliebigen Computer mit Internetanbindung gearbeitet werden. Dieser muß sich nicht einmal am selben Kontinent befinden, der lokale Computer benötigt aber, um diese Verbindung herzustellen, ein eigenes Telnet - Programm. Meist wird dieses Protokoll zur Recherche in Datenbanken, Bibliothekskatalogen oder auch für Online-Treffen in sogenannten MOOs benutzt.

EMAIL

Kommunikation mittels email ist am ehesten vergleichbar mit dem Verschicken eines Briefes über den traditionellen Postweg. Eine Nachricht wird per email aber in minuten- wenn nicht sogar sekundenschnelle verschickt. Sobald man den User - Namen des Empfängers und seine Netzwerkadresse kennt, können eigens verfaßte Nachrichten, aber auch Dateien und Programme verschickt werden.

LISTSERV - DISKUSSIONSGRUPPEN

LISTSERV - Diskussionen sind eine populäre Form des Informationsaustausches im Internet. Sie funktionieren offline über den email - Briefkasten: Ein Teilnehmer einer Liste empfängt alle emails der laufenden Diskussion von einem bestimmten Server. Ein neuer Beitrag wird an diesen Server geschickt und an alle Teilnehmer dieser Liste verteilt. So ist es möglich, jederzeit Fragen zu deponieren, Termine bekanntzugeben und asynchron miteinander zu diskutieren.

IRC - INTERNET RELAY CHAT

Neben der asynchronen Kommunikation mittels email gibt es im Internet natürlich auch die Möglichkeit, sich online miteinander zu unterhalten. Eine Form der synchronen Kommunikation ist IRC, der Internet Relay Chat.

IRC ist ein Protokoll, das weltweite Kommunikation in Echtzeit ermöglicht. Ein IRC - Klient auf einem Computer mit Internetanschluß stellt eine Verbindung her, die den Text, den die anderen Teilnehmer desselben Kanals im gleichen Moment in ihre Computer tippen, auf dem eigenen Bildschirm erscheinen läßt und umgekehrt.

Die IRC - Programme laufen, da sie nur reinen Text übertragen, sowohl auf einer graphischen Oberfläche wie Windows und X-Windows - Oberflächen oder Macintosh - Systemen, aber auch auf reiner DOS- oder UNIX-Ebene. Ihr Vorteil ist die Einfachheit, da sie nur über zwei Textfenster die verschiedenen Computer miteinander verbinden und dadurch eine relativ schnelle Übertragung ermöglichen. Die Unterhaltung findet auf Channels, den Kanälen, statt. Es steht jedem Benutzer frei, einen neuen Kanal zu eröffnen und ihm dann ein bestimmtes Themengebiet zuzuordnen.

MOO

Eine weitere Art der synchronen Kommunikationsform im Internet ist das MOO. Ein MOO (Multi-User Dimension Object Oriented) ist eine Umgebung im Internet, die Räume virtuell nachbildet. Mit Hilfe eines Telnet - Klienten logt man sich auf dem Server eines MOOs ein, um diesen Platz zu betreten. Kommandos, sogenannte verbs, erlauben es dem Besucher, sich zwischen den verschiedenen Räumen zu bewegen und mit den anderen Besuchern zu sprechen. Die Sprache, die dafür verwendet wird, ist üblicherweise Englisch. Die grundlegenden Kommandos sind der say Befehl oder richtungsweisende Befehle. Nach Eingabe von say wird der Benutzer vom Programm aufgefordert, sein Statement einzugeben. Auf dem Schirm der anderen Benutzer erscheint dann zum Beispiel:


DanZ says, "Welcome to all the guests...glad you could make it"

Gibt man richtungsweisende Befehle, wie out, north oder west ein, begibt man sich in einen anderen Raum, dessen Beschreibung sogleich auf dem eigenen Bildschirm erscheint. Weiters wird beim Betreten eines neuen Raumes mitgeteilt, wer sich in diesem Raum befindet, wer also zur selben Zeit in diesen Raum eingelogt ist, wie am folgenden Beispiel ersichtlich:


east

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Courtyard



The ATHEMOO Courtyard is a wonderful place to stretch and get some fresh air.  Above the sky is always blue and the weather is balmy.

Beginners, to speak to others, type say and hit enter.  The computer will prompt you for your message after which you hit enter again.

To look at something you 'see', type look <objectname> and press enter.

Juli, GeorgL, TwylaM-S, Shakespeare's_Guest, and Lessing's_Guest are standing here.

You see a Fountain, Snack Stand, and Hot Pink Frisbee here.

Obvious exits: south to Lobby, west to the Library, east to Hall, out to Lobby, northeast to Kaos Cafe, northwest to Scene Shop, and north to The Aphra Behn Theatre Complex

So ist eine Unterhaltung in Echtzeit mit jenen Leuten, die sich im selben virtuellen Raum befinden, möglich.

WORLD WIDE WEB

Entwickelt als "ein auf Hypertext basierendes Informationssystem", ist das World Wide Web inzwischen zur breiten Publikations- und auch Werbefläche geworden. Auch hier wird die Verbindung über einen eigenen Klienten hergestellt, einen sogenannten Browser, zum Beispiel Netscape oder Mosaic. Das ist Software, die frei im Netz erhältlich ist. Die angewählten Dokumente enthalten zumeist Links zu anderen Dokumenten, diese Hyptertextstruktur stellt also eine Vernetzung der Informationen her. Weiters können in diese Texte auch Bilder eingebunden werden, eine Möglichkeit, die im gegenwärtigen Wachstum des Internet immer mehr genutzt wird.

KOMMUNIKATIONSKUNST

Schon Walter Benjamin beschreibt 1936 eine Veränderung der Wahrnehmung, die mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes zusammenhängen.

Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet.

Die Medien, die er in seinem Buch Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit diskutiert, sind Photographie und die Anfänge der Filmkunst. Doch die selbe Beobachtung kann man in der näheren Gegenwart anhand der Mittel der elektronischen Kommunikation beobachten. Der kanadischen Künstler Robert Adrian X, der nun in Österreich lebt, schreibt über die "völlige Entfernung des Gegenstandes/Objekts aus dem Kunstwerk" folgendes:

Produkte oder Gegenstände, die aus Telekommunikationsprojekten stammen, sind nur dokumentarische Relikte einer Aktivität, die im elektronischen Raum eines Netzes stattgefunden hat.

Medien, die zur Kommunikation entwickelt wurden, werden zu Kunstflächen. In den 80er Jahren begann die bildende Kunst verstärkt aus den Galerien, die sich zunehmend auf Marketing und Verteilung konzentriert hatten, herauszugehen, so daß die Künstler einen neuen Weg zur Verteilung ihrer Produkte suchten. Mailart, Faxkunst und Performance sind nur einige wenige Schlagworte für jene Aktivitäten, die sich bald auch des elektronischen Raums bemächtigten.

In einer intensiven Zusammenarbeit der Künstler über diese Kommunikationsmedien wurde bald der Dialog wichtiger als das daraus resultierende Kunstwerk. Die Kommunikation selbst wurde zum Kunstwerk. Mailart und Faxkunst ist anhand der versendeten Dokumente vielleicht noch am ehesten nachvollziehbar. Das können modifizierte Briefe, wie Christbäume aus Papier sein, oder ganze Objekte, die versendet werden. Dennoch existiert die Kommunkationskunst wie oben beschrieben nur in dem Moment, in dem sie passiert. Man kann diese Kunst nur (mit)erleben, aber kaum dokumentieren.

Theater an sich beinhaltet nun eben genau jene Aspekte der Einmaligkeit und Unfaßbarkeit des Kunstwerks, die den Kommunikationskünsten und besonders den Kunstwerken der Telekommunikation eigen sind. Deswegen erscheint es mir noch interessanter, die Kombination von Theater mit dem Medium Internet zu bearbeiten.

©1997 Mohnstrudel. vor