Dr. Steve Schrum, Professor an der Penn State University in Hazelton und wie oben schon erwähnt, einer der Wegbereiter internationaler Zusammenarbeit an Netztheaterprojekten, stellte im Oktober 1996 sein Stück NetSeduction. An Interactive Theatrical Production vor.
Für diese Aufführung hatte er im ATHEMOO einen eigenen Raum gebaut, der einen Internet Chat - Room und -Treffpunkt darstellt. Das Skript wurde, laut Schrums eigener Angaben, aus Recherche und Erfahrung in Chat - Rooms zusammengestellt. Die Übergänge zwischen Darstellen und Sein sind in Schrums Konzeption äußerst fließend gezeichnet.
NETSEDUCTION, by playwright Steve Schrum, is about a small group of people who meet in a chatroom called, appropriately enough, NetSeduction. They banter, attempt seductions and fall in love during the course of the evening, while other visitors drink from the virtual bar and watch the proceedings.
Erzählt wird die Geschichte von Allan und Jane, Laura, Dick (der als HungNHorny, DongMan, Mary und Richard auftritt) und John (der auch Beth darstellt), die in einem Chat - Room aufeinander treffen. Nicht alle halten sich ständig in dem Raum auf, sie kommen und gehen, manchmal erscheinen sie in einer "Verkleidung". Während dieser gemeinsamen Zeit, die der Zuschauer verfolgen und durch sein Eingreifen verändern kann, beginnen sich Beziehungen, hauptsächlich erotischer Art, zwischen den Figuren zu entwickeln. Jane, eine junge Frau, die sich selbst im Stück als zurückhaltend beschreibt, wird von Allan verführt. Nach dem Akt jedoch verschwindet er. Laura, die "in einer Ecke" unbemerkt dem Geschehen beigewohnt hat, führt nun ihrerseits Jane die Vorzüge der lesbischen Liebe vor. Als Allan zurückkehrt, zieht sich Jane mit ihm in einen "private room" zurück. Daraufhin beginnen Laura und der als Beth verkleidete John, den unerfahrenen Richard / Dick, der zuvor ein paar mal störend in den Chat - Room hineingeplatzt war, in die Geheimnisse des Cybersex einzuweihen.
Die fünf Darsteller der Aufführung im Oktober 1996 hatten sich nie im realen Raum kennengelernt oder getroffen, sondern der Kontakt kam über email zustande. Steve Schrum hatte sie aufgrund seines Aufrufs in den verschiedenen Theater - Diskussionslisten gefunden. Auch ich hatte die Gelegenheit, an dieser Aufführung als Darstellerin teilzunehmen. Einige Wochen vor der Aufführung bekamen wir das Textbuch gemailt und trafen uns zu zwei Proben im virtuellen Raum. So geprobt sollte der lineare Text zur Improvisation während der Aufführungen dienen.
Die Schauspieler arbeiteten während Aufführung und Proben anhand dieses vorgefertigten Skriptes, dessen Dialoge spannend und dicht durchkomponiert sind. Schon die Proben dauerten oft über 90 Minuten, obwohl die Textzeilen über copy und paste ausgegeben wurden. Copy und paste bedeutet in diesem Fall, daß die Spieler nicht jedes Wort einzugeben hatten, sondern im Skript die passende Passage markieren und auf dem Bildschirm der MOO - Verbindung einfügen konnten. Durch diese Zeitersparnis sollte es ermöglicht werden, als Spieler spontaner zu reagieren und eventuell noch eigene Zeilen einzufügen.
Für den Zuschauer der Aufführungen aber war der Leseaufwand groß, da die Aktionen oft sehr rasch, aber dafür in detaillierter Schilderung abliefen, wie das folgende Beispiel der lesbischen Liebesszene zeigt.
LAURA
JANE
LAURA
JANE
LAURA
JANE
LAURA
say Jane, we continue our kiss, and I move on top of you. Our
breasts are touching and my wet pussy pushes against yours. Are
you as wet as I am, Jane?
say Ohhhhh, Laura, yes, I can feel the juice dripping out of me.
In real life, I am rubbing myself with my hand imagining it is
you against me. Wow!
say I slide my body down yours, kissing you as I go, until I reach
your thighs. I lick your thighs, slowly, sensuously, as my hands
find your wet pussy. My tongue runs up your thigh, and I lick
your pussy and swollen clitoris.
say I push my hips toward you, don't stop! No one has ever done
this to me before--really! I am using my fingers pretending to
be you, and getting really wet!
say My long hair tickles your thighs as I lick you, my tongue
probing deeply into your pussy, tasting the wetness. I slide two
fingers into you, to feel you as I tongue your clit. Jane, in
real life, I am fingering myself and am nearing orgasm.
say Laura, so am I! I am so excited that I am about to come.
Please don't stop! Ohhhh, my, I am cumming now!
say Jane, so am I, my pussy explodes and the juice runs out like
a tap!
Eine Improvisation zwischen diesen Zeilen schien kaum mehr möglich, denn diese wäre von den Zuschauern nur mehr am Rande registriert worden.
Während der Aufführung zeigte sich jedoch, daß sich genau jene von Steve Schrum gewünschte Spontaneität als nützlich erweisen sollte: Die erste Aufführung, die am Freitag den 11. Oktober 1996 um 12:50 Mittags ATHEMOO Zeit (HST) stattfand, brachte für den Darsteller des Allan Probleme mit seiner Telnet - Verbindung. Besonders in seiner Liebesszene mit Jane verlor er einige Male die Verbindung zum MOO. Bei Zuschauer wie Mitspielern erschien dann auf dem Bildschirm:
Allan has disconnected.
Kurz darauf konnte man sehen, daß er die Verbindung wieder aufgenommen hatte, und das Stück beziehungsweise die Liebesszene wurde fortgesetzt. Die Überbrückung dieser Pannen verlangten einiges an Improvisationsgabe, löste aber auch Heiterkeit bei dem Publikum aus und führte zu interessantem Dialog.
Allan has disconnected. Jane says, "I nearly cum for you" [ ] JakeS laughs. Jane says, "oh nooo" Jane sits on the huge bed alone with her nearly coming orgasm SteveS looks toward Jane again, hopeful...again... Allan has connected. Luna has a very sympathetic look for Jane. "poor dear." Jane begins to cry silently LeeG says, "Talk about coitus interruptus" Allan exclaims, "Ohh, Jane, yes, cum in my face, cum as I lick and suck your clit and fingerfuck you, cum for me!" SteveS [to LeeG]: That's technology for you... Jane takes a short look at Steve
Als sich der Vorfall wiederholte, kam es auch zu einer Interaktion zwischen dem Leiter der Aufführung und mir, der Darstellerin von Jane:
SteveS exclaims, "I think Allan's taking care of himself and has forgotten you Jane!" Jane [to SteveS]: "thats what I am used to - do you know that? JakeS says, "Ohhhh, bad Allan" Jane looks sadly Luna sighs. Luna says, "must have been the dog again." Jane [to SteveS]: "yes, I am used taking care of myself Jane begins to play with her own body SteveS says, "Really, Jane? That's too bad..." Executrix says, "[to Jane] A slave owns nothing, all belongs to your mistress...me..." Jane looks at herself SteveS says, "Maybe I can help..." Jane says, "yes, and I really do not understand wh" Jane says, "I mean, Steve do you think ..." Jane asks, "I really look that bad???" Jane looks at Steve with her blue eyes. SteveS says, "No, Jane.I've been watching you..." Jane blushes SteveS gazes into her blue eyes...deeply, wanting... Jane says, "yep, I really forgot about the people here" Jane says, "I am ean Allan was soo good ..." Allan has connected.
Durch solche Ereignisse, die dann auch die von Steve Schrum gewünschte Interaktion zwischen Darsteller und Publikum zu Folge hatte, prolongiert, dauerte die Aufführung über zweieinhalb Stunden und forderte von allen Teilnehmern einige Konzentrationsgabe. Dennoch ging man im Anschluß noch in den Kauai Room, einer der Konferenzräume des MOO, um die Aufführung zu besprechen. In diesen Besprechungen wurden viele, hier auch unerwähnte Punkte der Aufführung einer oft sehr heftigen Diskussion ausgesetzt. Auf Punkte wie das Zuschauerverhalten werde ich später noch eingehen. An dieser Stelle ist es wichtig, die Mittel zu verdeutlichen, mit denen Steve Schrum im MOO den Bühnenraum erzeugte.
Steve Schrum hatte als Vorlage für sein Bühnenbild eine fiktives Chat - Environment genommen, eine bestehende Online - Umgebung, die für synchrone Treffen genutzt wird. Eine solche Umgebung kann zum Beispiel ähnlich wie der oben erwähnte IRC - Kanal gestaltet sein, das heißt, über ein gewisses Programm wird eine Verbindung zwischen unzählig vielen Computern der Welt hergestellt, und die Benutzer können sich über Textzeilen unterhalten.
NetSeduction An Internet chat room and meeting place. There is a bar, dance floor, mirrored ball and disco lights... Most importantly there are people: people to meet, to talk with and--perhaps--to seduce.... In case of trouble, Jules the Bouncer will step in...otherwise, just have FUN!
--------------------------------------------------------------------- Whine and Cheese Balcony This balcony overlooks the Lobby. You may smoke up here and it won't bother anyone. This is a good place to get complaints off your chest. One day soon, there will be a friendly robot who will listen even if you come here alone. Beginners, to speak to others, type say and hit enter. The computer will prompt you for your message after which you hit enter again. To try some wine, type look wine. To drink some, type drink wine. For other information, type look tips 20. You see wine and MOO Tips 20 here. Obvious exits: down to Lobby and out to Lobby look wine --------------------------------------------------------------------- _=_ |-| You see a bottle of wine. The owner of /- -\ this bottle can improve the taste of the | | wine by adding or deleting ingredients. |___ | 'peer <wine>' to see ingredients ||__|| 'addthought <wine>' or | | 'addevent <wine>' to make improvements |____| @exam <wine> for more fermenting details.
Steve Schrum hatte zwar in die Beschreibung seines Raumes NetSeduction "bewegliche" Elemente einer realen Bar gemischt. Der Hauptakzent seiner Aufführung war der Dialog. Anhand dieser Konzentration und der Darstellung von Aktionen ist der Unterschied zwischen MOO - und Chat - Environment sichtbar: Der Satz, der im Skript : "JANE! Ohhh, you are driving me wild! I lace my fingers in your hair and guide your head as you bob up and down on my cock...." lautet, hätte in der Sprache eines MOO-Environment "Allan laces his fingers in Janes hair and guides her head as she bobs up and down on his cock" lauten müssen. Mit diesem feinen Unterschied konstruierte Steve Schrum eine Bühne, die in einer MOO-Umgebung eine Chat - Umgebung darstellt.
Dieser Bühnenbau ist besonders für ein Publikum, das mit diesen Umgebungen nicht vertraut ist, nicht leicht nachvollziehbar und wahrscheinlich für die Aufführung selbst von keiner so großen Bedeutung. Eine Besonderheit dieser Experimente ist es ja, daß sie, vergleichbar mit den Bewegungen im realen Theater unseres Jahrhunderts, eine neue Nähe zum Publikum entwickeln und die strikte Trennung zwischen Aktion und Betrachten, Zuschauerraum und Bühne aufheben - bis hin zur notwendigen, aktiven Teilnahme der Zuschauer am Entstehen des Stückes, wie das an Rick Sacks MetaMOOphosis ersichtlich ist.
©1997 Mohnstrudel. |