THE METAMOOPHOSIS

Rick Sacks, kanadischer Musiker, Komponist und Autor, begann mit der Arbeit an diesem Stück bereits im Frühjahr 1994. Selbst nennt er es "eine moderne Moralität des Netzes", basierend auf Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung (1915). Auch diese Theateraufführung basiert rein auf Übermittlung von Text, ihre Bühne fand im März 1997 im ATHEMOO ihre feierliche Eröffnung.

Die Idee zu dieser Produktion entwickelte sich aus einer Diskussion in der oben erwähnten Liste COLLAB-L. Dort war man sich einig:

A metamorphosis is a journey as well as a change.

Man wollte Kafka's Verwandlung modernisieren und für einen noch nicht festgelegten virtuellen Raum adaptieren. Es dauerte dann bis Anfang 1997, bis es zur eigentliche Realisierung kam. Inzwischen war von Juli Burk die online - Umgebung ATHEMOO konstruiert worden, die Rick Sacks als idealer Ort für eine Theateraufführung erschien, die Verwandlung selbst sein sollte und Zuschauer und Spieler ungeahnte Möglichkeiten und Empfindungen eröffnet.

The MetaMOOphosis, is designed to initiate improvisation around the characters and situations of Kafka's famous novella. This project utilizes sophisticated programming within a series of rooms to maximize the theatrical potential of the MOO environment. After a grand opening demonstration, The MetaMOOphosis space will remain in ATHEMOO for players to visit at their leisure.

Kafkas Text hatte Rick Sacks zu dem Bau des Hauses der Familie Samsa im ATHEMOO inspiriert. In dieses Haus ließ er Gregor - als das Insekt, Gregors Schwester Grete und Gregors Eltern Mr. und Mrs. Samsa einziehen. Weiters sind ein Doktor, ein Journalist und ein Observer anwesend, sowie eine Putzfrau und drei Untermieter. Gleichzeitig schrieb Sack auch für jede der Personen ein Skript, das zusammen mit den Kostümen in einen vorbereiteten Kasten in der Eingangshalle gehängt wurde. Das Haus selbst besteht aus elf Zimmern und enthält Objekte wie Gretes Violine oder einen Apfelkern, der sich bei ungeschicktem Verhalten in den Panzer der Figur des Gregor eingräbt.

Von der anfänglichen Zusammenarbeit, die auf der Diskussionsliste begonnen hatte, war zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu spüren. Das Projekt war jetzt nun ganz auf Rick Sacks Einsatz angewiesen, Hilfsbereitschaft und Interesse waren jedoch weiterhin vorhanden. So konnte er mit Unterstützung von erfahrenen Programmierern (R. Michael Young) oder Wizards anderer MOOs (Firne - a Wizard at SNOW Wes Cooper - DrW at Walden Pond Moo und Bob Canary - archwiz at MooWP) das Haus entwickeln, in dem die Verwandlung stattfindet.

Das der Aufführung zugrunde liegende Skript war nun auch keine aktualisierte Form der Novelle, sondern bestand aus originalen (zum Teil deutschen) Textzitaten aus Kafkas Erzählung. Die Geschichte selbst ergibt sich dann aus der Improvisation der Spieler, die ohne Proben zu den Aufführungen kommen. Rick Sacks meinte zu dieser Entwicklung des Konzepts:

Yes, after initial work on the Kafka story, I found that I was the only one pursuing the project. The original work (the script with Gregor as a programmer and the Bug being the ghost in the machine) seemed more suited to a group of performers rehearsing and improvising in much the same way that the Hamnet players would.

instead of a 'play' that required a cat I thought I would set up this environment that was conducive to the creation/recreation of the Kafka story.

In this way the original text can be used as a guide and students could use the 'house' to act out the story and get an idead about the paranoid, and often two dimensional metaphoric quality of Kafka's characters.

A FIRST PREVIEW

Am 14. Jänner 1997 fand die erste Voraufführung dieses Experiments statt. Gemeinsam mit Michael Young, dem Programmierer, Steve Schrum von COLLAB-L, Juli Burk, Wizard von ATHEMOO, Georg Leyrer, Editor der Online - Zeitung Status Quo, Nina LeNoir, die an der Universität von Texas über Cybertheater arbeitet, und mir hatte Rick Sacks zum ersten Mal die Möglichkeit, seine Arbeit mit einer größeren Personengruppe zu testen.


 You open the front door, take a deep breathe and step inside.

The Foyer

The entrance to the home has a closet for coats and costumes (type 'look closet' to see if any costumes are available). A corridor extends (n) to the kitchen and a livingroom (e) opens up on the east side of the house where Grete sometimes entertains on her violin. A set of stairs goes 'up' to the second floor.

  […]

  Obvious exits: up to The Hallway, Front_Door to The Samsa front yard, north to Kitchen, and east to the Sitting Room

  You enter the house and shut the door behind you.

  […]

  look closet

  -------------------------------------------------------------------

  This is the costume closet.  Taking a costume will give you that character's name.

  You will then be able to 'describe <costume name> as <text description>' to tailor your character.

  The costumes also have built-in scripts which can be used to generate a moo theatre Metamorphosis.

  Type 'look <costume name> in closet' for a brief description and a help text.

  Type 'take <costume name> from closet'. (don't type the word 'costume')

                          ---Important---

  Once you have a costume, type look <costume name> or help <costume name> to see what you can do.

Contents:

  an observer (Costume)

  a journalist (Costume)

  Mr. Samsa (Costume)

  Ms. Samsa (Costume)

  Gregor (Costume)

  Doctor (Costume)

  Grete (Costume) 

Die sechs Gäste dieser Voraufführung und Rick Sacks konnten nun in je ein Kostüm hineinschlüpfen und die Verwandlung in die gewählte Person erleben. Jeder Person waren Textzeilen zugeteilt, die man über einfache Befehle den anderen mitteilen konnte. Improvisation und die Erfindung von eigenen Textzeilen waren jedoch erwünscht.

Die Putzfrau und die drei Untermieter sind bereits als vorprogrammierte Robots in den Räumen des Hauses vorhanden. (Ro)Bots in einer MOO - Umgebung sind Objekte, die Personen darstellen und meist auf Stichwörter reagieren, auf die hinauf sie Textzeilen oder Aktionen ausgeben.

Nur eine halbe Stunde lang bewegten wir uns in den elf Räumen des Hauses, erforschten Küche, Wohnzimmer, die Schlafzimmer und den Dachboden. Jeder der Mitwirkenden war bemüht, seinem Kostüm gemäß auf die anderen Darsteller zu reagieren. Weiters gaben wir von Zeit zu Zeit durch den read Befehl Zeilen des vorprogrammierten Text am Bildschirm aus. Viele Dialoge wurden auch spontan entwickelt. Weiters hatten wir die Möglichkeit, die unzähligen Features des Samsa Hauses - Instrumente, Robots und andere Objekte zu erforschen und in unser Spiel einzubeziehen.

The rooms

From the Foyer one can move to the livingroom or kitchen on the first floor or take the stairs up to a hallway where three bedrooms, another staircase and an attic can be found. From Grete's bedroom to Gregor's and vice vresa, one can look or talk through the keyhole in the door between their rooms.
Using the crack in the door from the hallway to Gregor's room and the keyhole from Grete's to Gregor's room, a conversation much like the one in the early pages of the novel can take place.

Dieses Preview diente hauptsächlich, um noch bestehende Programmfehler auszubessern, und um zu erfahren, was passiert, wenn die Kostüme in der Improvisation ihr Eigenleben bekommen. Jeder von uns, der in eines der Kostüme hineinschlüpfte, versuchte selbst zuerst einmal die Verwandlung zu verstehen, die unsere Cyberpräsenz erfuhr. Die theatralische Interaktion fand zwar auf Grund der Anzahl der Mitwirkenden ohne Zuschauer statt, als Darsteller selbst jedoch waren wir ebenfalls Zuschauer. Einerseits konnten wir unsere eigene Erfahrung in der Reaktion auf die Figur, die wir darstellten, beobachten, weiters aber auch die Reaktion der anderen auf unsere Figur.

Im Anschluß an die Reise durch das Haus trafen wir uns in The Samsa front yard wieder, um diese Reaktionen und Eindrücke zu besprechen. Eine Handlung des Stücks selbst kann ja erst durch die Improvisation und das Spielvermögen der Besucher des Hauses entstehen. Jenen Besuchern, die in Kostüme schlüpfen, ist technisch mehr Interaktion möglich als den Besuchern ohne Kostüm. Diesen wurde zum Beispiel die Möglichkeit genommen, sich durch den say - Befehl zu artikulieren. Die Frage, ob und welche Verhaltensregeln man für diese Zuschauer einfügen soll, wurde aufgeworfen. Es wurde beschlossen, einen Art Platzanweiser oder ein paar einführende Worte zusätzlich zu den bereits bestehenden Informationstafeln am Eingang des Hauses anzugeben.

The plaque is mounted on a metal pole stuck in the overgrown front lawn of the Samsa home. (type 'read plaque')

Then:
read plaque

On the plaque, in embossed lettering:

This plaque has been mounted to recognize the intense richness of the experience of Franz Kafka's writings. If you have never read The Metamorphosis (or any of Kafkas work) please go and do so now. The experience of The Samsa Home beyond this front yard, although informative and entertaining, will be greatly served by the experience of the original work(s). There, one can get a sense of the psychology of Kafkas characters; The Father, a Freudian Terror, the ineffectual, doting mother figure, the sister a vast potential for power and accomplishment, and of course the Insect, Gregor, who is Kafka himself. Most of the young men who are the main characters of Kafkas novels are reflections of himself. Low self-esteem, deep feelings of guilt and a sense of despair.

It is the merging of the implausible with the mundane which, years after his death, brought Franz Kafka great fame and a place among literary giants such as Rilke, Proust and Joyce. Today the term Magic Realism (applied to writers like Gabriel Garcia Marquez and Jose Donoso) would be a valid point of entry into the study of Kafka.

(You finish reading.)

Diese Aufführung hat sich durch ihren Improvisationscharakter und durch ihr interaktives Spiel sicher am weitesten von traditionellen Theateraufführungen entfernt. Sie unterstreicht ganz stark den Spielcharakter des MOO, bildet aber durch raffinierte Programmierung eine neue Möglichkeit, eine Geschichte einem Publikum vorzuführen, das entweder durch die Wahl eines Kostüms aktiv das Geschehen vorantreiben oder ohne Kostüm, mit etwas reduzierten Kommunikations- und Aktionsmöglichkeiten, passiv das Geschehen verfolgen kann. Verfolgen muß man als Zuschauer und als Mitspieler auch den Handlungsstrang, denn der kann sich in mehreren Zimmern gleichzeitig entwickeln. Der nun so bestehende Raum, der kürzlich eröffnet wurde, kann jederzeit wieder als Theaterraum genutzt werden.

NEBENZIMMER

Rick Sacks hat in seinem Projekt ohne Zweifel die Möglichkeiten, die ein MOO - Environment bietet, gut genutzt. Mit dem Bau des Hauses mit elf Zimmern ist er ganz von der traditionellen Raumidee einer Theaterbühne abgewichen. Das Geschehen ist für das Publikum nicht mehr auf einen einzigen (virtuellen) Ort zusammengefaßt, sondern kann parallel stattfinden. Weiters ist das Haus im MOO immer existent und muß nach den Aufführungen weder ab- noch umgebaut werden. Diesbezüglich stellen sich mir zwei Fragen:

1) Wann beginnt die Theateraufführung, wenn der Platz potentiell immer vorhanden ist, die Kostüme immer bereit hängen und von jedermann spielerisch benutzt werden können?

2) Was passiert wenn die Handlung auf mehrere Räume gleichzeitig aufgeteilt ist? Wie ist das Geschehen dann noch für ein Publikum faßbar?

Georg Leyrer und ich befragten Rick Sacks dazu in einem Interview für die Online Zeitung Status Quo. Rick Sacks beschrieb dort die Parallelhandlung als durchaus erwünscht und meinte

That the performance never starts or ends is certainly a possibility. The costumes are designed to return to the costume closet on the exit (from the house ) of the player and anyone can grab the costume and resume.
So if the house is occupied the performance continues. (Of course if there's no one there who would know?) In fact there are recording devices in each room that will be turned on from time to time by myself or Juli Burk, the wiz and curator of ATHEMoo. These recorders will hopefully present an evolution of the site from an experimental space/genre to an acceptable venue for experimentation and improvisation. Of course special event performances can be planned and have specific beginnings and endings.

Das Publikum kann sich seine eigene Sicht auf das Stück zusammenstellen. So kann man also neben dem interaktiven Aspekt, daß man als Zuschauer aktiv in die Dialoge und Aktionen eingreifen und auch als passiver Betrachter seinen eigenen Blickwinkel wählen kann. Das Theater wird dadurch unmittelbarer erlebbar. Der Nachteil solcher Bühnenkonstruktionen scheint mir nur zu sein, daß man als Zuschauer oft das Gefühl hat, sich neben dem Geschehen zu befinden, oder vielleicht von einer gewissen Unruhe getrieben von Zimmer zu Zimmer "läuft", um keinen Teil des Geschehens zu versäumen. Diese Vorgangsweise einer Aufführung, die durchaus auch im realen Raum ähnlich stattfinden könnte, stellt jedenfalls einen interessanten und vollkommen neuen Schritt in der Erforschung der Möglichkeiten des MOO - Raums dar.

©1997 Mohnstrudel. vor