Eine andere Möglichkeit der virtuellen Präsenz von Schauspielern auf realen Bühnen wurde im Oktober 1995 von einer kreativen Gruppe von Leuten in einem Wiener Gasthausgarten entwickelt. Ein Prototyp dieser Konzeption, die ich hier in Folge kurz darstellen werde, ist für Herbst 1997 unter der Produktion von kis.productions geplant.

OUDEIS - A WORLD WIDE ODYSSEY

Oudeis - a world wide odyssey wird auf sieben Bühnen, die weltweit verteilt sind, zu sehen sein. Auf jeder Bühne wird ein realer Schauspieler mit seinen virtuellen Mitspielern interagieren, die sich real auf den jeweils anderen Bühnen befinden. Anhand von Homers Epos Die Odyssee folgt oudeis - a world wide odyssey der Theorie von der Odyssee als phönizischer Weltumsegelung. Zeiten und Entfernungen dieser Wanderung, die Odysseus über alle Weltmeere geführt hat, werden als Metaphern genommen und im Verhältnis zum heutigen Routing von Datenpaketen dargestellt. Die Stationen, an denen Odysseus in oudeis - a world wide odyssey halt macht, sind Theaterbühnen an verschiedenen Orten rund um die Welt. Der Darsteller des Odysseus befindet sich in jeder Szene auf dem jeweiligen realen Schauplatz seiner Reisestation und ist auf den restlichen Bühnen nur mehr virtuell, als Lichtkegel, zu sehen. Seine Gegenspieler befinden sich auf den Bühne an einem jeweils anderen Ort, ihre Bewegungen und Emotionen werden ebenfalls als Licht auf die anderen Bühnen übertragen.

Auch schon die Erarbeitung des Stückes findet über das Medium Internet statt. Die Gruppe der Mitarbeiter stammt aus den verschiedensten Gegenden und Kulturen und entwickelt nun gemeinsam Oudeis - a world wide odyssey.

Schon neun Tage fuhren die Nächte wir durch und die Tage,
Aber am zehnten erschien bereits das Gefilde der Heimat,
Und wir sahen schon nahe vor uns die Wachtfeuer leuchten, ...

Eigentlich wollte Odysseus von Troja nach dem Krieg um Helena gleich zu seiner Penelope heimkehren, doch so nahe Ithaka am Horizont schon zu sein schien, trennten ihn noch Jahre der Abenteuer und Irrfahrten von seiner Heimfahrt. Zehn Jahre dauerte es, bis sich die Götter seiner erbarmten und ihn wieder heimfinden ließen. Ein gutes Beispiel dafür, wie der Mensch in der griechischen Mythologie seinem Schicksal und dem Gutdünken der Götter ausgeliefert ist. Die Erlebnisse dieser Irrfahrten beschreibt Homer in seinem Epos Die Odyssee.

In den über 2600 Jahren, die seit dem Verfassen des Epos vergangen sind, wurden einige Theorien um die Metaphern der Orte der Reise entwickelt, die Odysseus besucht, bis er 10 Jahre später nach Ithaka zurückkehrt. Christine Pellech beschreibt in Die Odyssey. Eine antike Weltumsegelung , wie Odysseus' Wanderungen ihn über alle Meere leiten. Sie sieht die Ägypter als Verfasser der Reisegeschichten, die man in Homers Odyssee findet. Im Gegensatz zu den Griechen waren die Phönizier, die den Ägyptern zu Dienst waren, nämlich für ihre Seereisen bekannt. Auf Grund Homers Beschreibungen von Himmelsrichtungen, Windstärken, Tage der Reisen und Seeverhältnissen, gelingt es ihr zu demonstrieren, daß Odysseus die Welt umsegelt hat.

Georg Leyrer

Angelehnt an ihre Reiserouten werden bei oudeis - a world wide odyssey 1998 sieben Bühnen an verschiedensten Orten der Welt aufgebaut, verteilt in etwa, wie es die Karte demonstriert..

So wird auch die Sprache in diesem Stück weltumfassend sein. Odysseus spricht immer die Landessprache der Bühne, auf der sich der reale Darsteller des Odysseus befindet, im Dialog antworten die anderen wiederum in der Landessprache ihrer Bühne. Die "Götter", die das Spiel vom Computer aus leiten, kommunizieren in Computersprache. Zeus programmiert Odysseus Gedanken, der sich selbst nicht bewußt sein kann, daß sein Weg so vorgezeichnet ist. Erst als Athene für Odysseus interveniert, gibt Zeus den End - Befehl ein und Odysseus darf wieder zu Penelope zurückkehren.

DIE TECHNIK

Über eine eigens entwickelte Sensortechnik werden die Positions- und Emotionsdaten des Schauspielers auf die anderen Bühnen übertragen und dort als Lichtkegel projiziert.

gupi

Diese Lichtkegeln zeigen die realen Emotionen der Schauspieler, die üblicherweise unsichtbar sind während sie ihre Rolle spielen. Wenn Odysseus Todesangst vor dem schrecklichen Kyklopen Polyphem gut darstellt, ist es dem Publikum, das dem realen Schauspieler zusieht, unmöglich zu sehen, welche Gefühle dieser wirklich hat. Sie werden ihm die Todesangst glauben und vielleicht mitempfinden. Die Zuschauer der anderen Bühnen jedoch bekommen die realen Emotionen des Darstellers, die ihm durch eine eigene Sensortechnik abgenommen werden, in Form von Licht- oder Intensitätsveränderungen der Lichtkegel mitgeteilt. So ist es den Zuschauern, die die virtuellen Darsteller sehen, möglich zu erfahren, auf was die Aufmerksamkeit der Spielenden wirklich gelenkt ist, während dieser seine Rolle spielt.

Die Daten, die von den Sensoren, die der Schauspieler trägt, abgenommen werden, werden in Lichtinformationen umgewandelt und über das Internet auf die anderen Bühnen gesendet. Genauso wird die Position der Darsteller abgetastet und übermittelt. Zusammen bilden diese Informationen dann den virtuellen Schauspieler, eine Visualisierung eines lebenden und fühlenden Darstellers. Der Dialog zwischen virtuellen und realen Darstellern wird über Lautsprecher zu den Bühnen gesendet.

Die Aufführung wird das Internet in seiner bestehenden Form benutzen. Das heißt, das Standard Services dieses Mediums (WWW, Telnet und Real Audio) genauso benutzt werden, wie selbst entwickelte Protokolle, um die Licht- und Aufführungsdaten zu übertragen. Auf jeder Bühne werden einige Industrie-Standard-Computer die Aufführung lenken, die Kommunikation mit den anderen Bühnen ermöglichen und das Publikum mit visueller Information versorgen. Weiters werden zusätzliche Bildschirme installiert, die von Graphik-Computern gesteuert werden. Diese Schirme enthalten Graphiken und Landkarten, die die virtuelle Reise des Odysseus verdeutlichen und dem Publikum gleichzeitig die verwendete Technik zeigen.

ZU SEHEN

Neben der Möglichkeit, diese Interaktion der virtuellen und reellen Schauspieler auf den Bühnen zu beobachten, ist in diesem Konzept auch jenem Teilnehmer, der das Geschehen über das World Wide Web verfolgt, ein Einstieg in das Geschehen möglich. Diesem Cyber - Publikum wird neben der Visualisierung der Handlung auf dem Bildschirm auch eine aktive Rolle in der Aufführung zugeteilt. Es bildet einen Chor, der nach dem Vorbild des Chor der griechischen Tragödie entwickelt wird.

Wie in der griechischen Tragödie ist jede Szene, jedes Epeisodion, von einem Stasima, dem Chorstück, eingerahmt. A-capella-Gesänge in griechisch, die zur Zeit von einer internationalen Gruppe unter der Leitung des Argentiniers Santiago Pereson komponiert werden, werden während der Aufführung von den virtuellen Teilnehmern produziert. Über die Möglichkeit einer simplen Tastatureingabe oder per Mausklick können jene eine gewisse Auswahl in dieser Musik treffen, die dann jeweils zwischen den Szenen, den Epeisodion, als Chorstück auf den realen Bühnen gespielt wird.

WORLDWIDE COLLABORATION

Die weltweite Zusammenarbeit, die dieses Projekt ermöglicht, wird über drei Mailinglisten abgewickelt. In oudeis-mgmt wird der organisatorische Part, die Werbung und Sponsoring festgelegt und weltweit sieben gleiche Bühnen aufgebaut. In oudeis-idea wird aus Homers Epos ein Theater - Skript angefertigt, diese Liste bildet also den dramaturgischen Teil des Projekts, und in oudeis-tech wird die Software und das technische Equipment entwickelt. Das Internet dient hier als Basis, die ein Konzept über alle Grenzen hinweg zwischen Europa, Uruguay, Argentinien, West - und Ostamerika sowie Australien zu realisieren ermöglicht. Zusätzlich zu diesen Mailinglisten, durch die leicht Information zwischen einer großen Gruppe von Leuten ausgetauscht werden kann, gibt es jede zweite Woche online Treffen im ATHEMOO.

Über die Archivierung der Mails, die über die Mailinglisten laufen, und über eine Zeitung, den Status Quo, wird hier zum ersten mal auch der Kollaborationsprozeß, der meist noch vergänglicher als die Theateraufführung selbst ist, gebührend festgehalten. Die Zeitung erscheint monatlich sowohl als Hyptertextdokument im World Wide Web, aber an selber Stelle auch als Word-Dokument. So kann weltweit auch die ausgedruckte Version der Zeitung verteilt werden. Status Quo hat sich rasch auch zu einem Informationsmedium entwickelt, das neben der laufenden Entwicklung von Oudeis auch andere Theaterprojekte, die unter Benutzung des Internet aufgeführt werden, präsentiert.

ZUSAMMENSPIEL DER ELEMENTE

In dem Konzept von Oudeis - a world wide odyssey wird der Schauspieler auf einer realen Bühne durch einen virtuellen Repräsentanten ohne Körper ersetzt. Wenn J. Matthew Saunders von seiner virtuellen Schauspielerin spricht, meint er noch das (Video)bild eines Darstellers. Wenn im oudeis - Projekt die virtuellen Darstellern als Lichtkegel inszeniert werden, ist ein Schritt in eine Richtung gegangen worden, die eine neue Ausdrucksweise außerhalb der Körpersprache gefunden und die eine neue Vereinbarung mit dem Publikum getroffen, das seine Anschauung um eine Dimension erweitert hat.

Das ist nicht unbedingt so neu, wie es klingen mag. Schon das futuristische Experimentaltheater in Italien hat in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts die Abschaffung des Schauspielers gefordert. "Ich halte den Schauspieler für ein unnötiges Element für die Bühnenhandlung" schreibt Enrico Prampolini. Man stellte sich ein abstraktes Theater von Figurinen oder Gegenständen, als Farb-, Licht- oder Schallspiel gestaltet vor.

Die Inszenierung von oudeis - a world wide odyssey arbeitet immer noch stark mit den Mitteln des realen, traditionellen Theaters. Das heißt, daß Teile der Produktion durchaus traditionell erarbeitet werden und die Aufführung bedient sich traditioneller Mittel wie Guckkastenbühne und Rampe. Auch die Proben werden alle Schauspieler zunächst an einen gemeinsamen Ort bringen. Das ermöglicht die Beziehungen zwischen den Darstellern zunächst in einer gewohnten (Proben)Umgebung zu entwickeln, um sie dann in die Welt und damit in den virtuellen Kommunikationsraum aufzuteilen.

Über die genaue Realisierung dieser Idee wird derzeit intensiv auf den oben erwähnten Mailinglisten diskutiert und gearbeitet. Die Inszenierung wird dort theoretisch entwickelt und ein sowohl technisch als auch künstlerisch passendes Lichtkonzept erstellt um diese Neuigkeit wirklich auf die Bühne bringen zu können.

©1997 Mohnstrudel. vor
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