Nicht nur die physische Einbeziehung der Zuschauer ist für eine aktive Teilnahme verantwortlich. Die Plazierung des Zuschauers ist sicherlich wichtig, aber während der Dauer der Veranstaltung lastet die Hauptverantwortung auf den Schauspielern, die mit den Zuschauern gemeinsam die Ideen von Autor und Regisseur verwirklichten. In der Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer entsteht die Theateraufführung. Wenn jene sich nicht im selben Raum zur selben Zeit befinden oder sich nicht umeinander kümmern, existiert die Aufführung nicht. Es hängt am Schauspieler, während des ganzen Stückes die Spannung zwischen Bühne und Auditorium aufrechtzuerhalten und die Aufmerksamkeit des Publikums zu bekommen.
Das Publikum wiederum hat die Macht, die Aufführung zu beenden, wann immer es unaufmerksam wird. Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, muß man sich genau einen Schauspieler vorstellen, der für genau einen Zuschauer spielt. Die beiden sind aneinander für die Zeit der Aufführung in einem Raum gebunden. Die Vorstellung beginnt, der Schauspieler spielt und spricht seinen Monolog. Der Zuschauer sieht ihm so lange zu, so lange ihn der Schauspieler erfolgreich an der Handlung interessiert. Aber wenn der Zuschauer nur einen Moment unkonzentriert oder gelangweilt seine Aufmerksamkeit etwas anderem zuwendet, hört die Vorstellung auf zu existieren. Wenn jedoch beide, Schauspieler und Zuschauer, in ihrer Rolle bleiben, gibt es die Aufführung genauso wie es sie vor Tausenden von Leuten gegeben hätte.
Der Schauspieler weiß mehr als ein Zuschauer von seiner Rolle und der Macht seiner Rolle. Meistens hat er oder sie diese auch zuvor geprobt. So liegt es am Schauspieler, sicherzustellen, daß das Publikum sich der Rolle die ihm gegeben wurde wohlfühlt und weiß wie es sich darin zu verhalten hat. Der Einzelne im Publikum ist sich seiner Macht meist nicht bewußt. Normalerweise ist seine Rolle von den eigenen Gefühlen der Freude oder der Langeweile gesteuert. Langeweile wird zur Folge haben, daß der Zuschauer unbewußt aufhört aktiv in seiner Rolle zu agieren. Auf der anderen Seite, fasziniert von der Show, wird bei ihm noch mehr Produktivität entstehen. Positive Reaktionen werden üblicherweise in Applaus oder Lachen ausgedrückt. Der Schauspieler wird aber auch bemerken, wenn die Zuschauer beginnen, in ihren Sesseln hin und her zu rutschen, weil sie nicht in das Geschehen auf der Bühne hineingezogen sind.
Schon während der Inszenierungsarbeit sollte von Regisseur und Schauspieler die Ermutigung der Aktivität der Zuschauer miteinbezogen werden, so daß die Aufführung in eine Koproduktion zwischen Theatermachern und Zuschauern enden kann.
Auch im virtuellen Raum wird man sich über kurz oder lang mit der Situation der Schauspieler und der Probensituation auseinandersetzten müssen. Stuart Harris versuchte für seine experimentelle Aufführung von Shakespeares Hamlet zunächst Schauspieler über eine Art "online auditions" zu bekommen. Die Auswahl der Darsteller wollte er nach den Fähigkeiten, Shakespeares Text in die Sprache des IRC zu übersetzten, treffen. Diese Idee erwies sich jedoch auf Grund der geringen Anzahl von Interessenten als undurchführbar. Er versuchte statt dessen, sowohl Publikum als auch Darsteller gleicherart über das Internet anzuwerben. Auch das war von geringem Erfolg gekennzeichnet, da das Interesse an solcherart Events 1993 noch zu klein war. So entschied sich Harris, nur kleinere Rollen in letzter Minute durch die Leute, die die Aufführung besuchten zu besetzen, und für die größeren Rollen Personen aus seinem weiteren Bekanntenkreis zu verpflichten. So gelang es ihm übrigens auch, Ian Taylor, einen professionellen Schauspieler der Royal Shakespeare Company, für eine Vorstellung zu gewinnen.
Daß Schauspieler mit umfassender Erfahrung im traditionellen Theater an online Theateraufführungen teilnehmen, ist jedoch noch nicht oft der Fall, und so mußte ich leider feststellen, daß die Theaterszene im Netz zwar im Wachsen begriffen ist, jedoch nicht immer zufriedenstellend alle Bereiche abdecken kann. So wird innerhalb einer Produktion, die mit den Mitteln von virtuellen Umgebungen arbeitet, oft der Auswahl der Darsteller zu wenig Bedeutung zugemessen. Ich selbst hatte inzwischen schon wiederholt die Gelegenheit Rollen, in MOO - Produktionen zu übernehmen, eine Sache, die mir zwar Spaß bereitet, schauspielen jedoch nicht unbedingt zu meinen Talenten zählt.
Rick Sacks, der selber auch Erfahrung auf der Bühne hat meint auf die Frage, wie er den Unterschied von Darstellen auf einer Bühne und durch den Computer sehe:
There is an interesting disassociation between the character portrayed and the actor. When 'onstage', an actor should be 'in' the role. When on the net, a split occurs. The actor is typing, eating perhaps, listening to music and yet simultaneously in a virtual world' where a play is taking place. It is a combination of writing and acting. An amalgamation of literature and theatre. Especially in The MetaMOOphosis which incorporates a good deal of improvisation.
Er beschreibt, wie dadurch, daß man als Darsteller dem Geschehen eine veränderte Konzentration entgegenbringen würde. Das wird auch dadurch verstärkt, daß der Schauspieler seinen Körper auf eine andere Art und Weise miteinbringt. Wichtig im Darstellen ist zwar die Fertigkeit im Umgang mit dem Medium und der Technik, aber nicht mehr Aussehen und Umfeld.
Das Darstellen der eigenen Person in der Internetkommunikation ist ohne Zweifel eigenen Gesetzen unterworfen. Abgesehen von den populär gewordenen Geschichten über romantische online - Beziehungen, oder Beziehungen, die etwa in der Entdeckung des wahren Charakters oder Geschlechts der anderen Person geendet haben, teilen viele nur ganz bestimmte Charakterzüge in dieser Umgebung mit. Manchen fällt es leichter, sich zu öffnen, aber auch, sich zu verstellen.
Der Einstieg ins IRC beispielsweise beginnt damit, daß man sich einen "Spitznamen zulegt. Das heißt, einen Dialog im IRC führt man üblicherweise über eine Wunschperson, die man sich zugelegt hat. Ob und wieweit man seine eigene Identität preisgibt ist nicht festgelegt. Als die Darsteller im Hamnet also ihre "Kostüme bekamen, wurden sie quasi doppelt maskiert, indem sie ihren anfänglichen Spitznamen auf den der Figur zu ändern hatten.
Die online - Meetingplaces haben einen so spielerischen Zug, daß man, ist man an die Konventionen dieser Plätze gewöhnt, leicht Improvisationsfähigkeiten entwickeln kann.So kann es jenen Teilnehmern, die im wirklichen Leben keine Schauspieler sind, auch leichter fallen, mit dem Stücktext umzugehen und mit ihm zu spielen.
Stuart Harris zeigte mit der Aufführung von Hamnet, daß nicht nur ein gewisses schauspielerisches Können oder Selbstbewußtsein, sondern auch eine Fertigkeit mit dem Medium umzugehen für eine Theateraufführung im Cyberspace von Nöten ist.
Die Schauspieler in der MOO Aufführung NetSeduction kamen aus zum Großteil wissenschaftlichem Umfeld. Wir wußten aber, wie wir mit dem Medium umzugehen hatten, konnten deswegen auch frei mit dem Text umgehen. Es ist jedoch anzunehmen, daß das Spiel mit geübten Schauspielern andere Qualitäten angenommen hätte.
Früher oder später wird es auch für experimentelle und relativ kleine Theaterproduktionen in diesem Medium nötig sein, professionelle Schauspieler in die Technik der online Kommunikation einzuführen, um angemessene Ergebnisse zu erzielen.
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