ZULEITER

Das Internet als eine neue Kommunikationsform des 20. Jahrhundert ist nicht "begreifbar". Es deswegen aber als virtuelle Nachahmung der spürbaren Realität zu beschreiben, wäre zu einfach. Die Entwicklung der vergangenen Jahre schuf aus diesem Kommunikationsmedium mehr und mehr einen eigenständigen (Kommunikations-) Raum. Verhaltensmuster und Umgangsformen werden zwar aus der real erfahrbaren Welt übernommen, aber stark nach den Bedürfnissen der virtuellen Welt adaptiert.

Theateraufführungen, die ja ohnehin schon etwas von Nachahmungen an sich haben, können auch in den Räumen des Internet stattfinden, ohne "Nachahmung einer Nachahmung", also nur mehr bloßes Abbild zu sein. Im Zuge dieser Arbeit werde ich anhand der Beschreibung von vergangenen, gegenwärtig entstehenden und zukünftigen Projekten die Möglichkeiten und Grenzen von Theater im Internet beschreiben. Diese Zeitspanne beruht auf der raschen Entwicklung dieser neuen Theaterform, die während meiner Forschungsarbeiten stattgefunden hat und mich auch mehr und mehr selbst zu der Produktion von Theater innerhalb des neuen, virtuellen Raumes gebracht hat.

Notwendigerweise werde ich eine Begriffsklärungen zum Theaterbegriff, Aufführungsort, Darsteller und Zuschauer, sowie eine allgemeine Einführung zu den technischen Möglichkeiten dieses Mediums voranstellen.

Anhand einer Darstellung von einigen Theaterprojekten, die mittels des Internet ihr Publikum erreichen, werde ich in Folge die Rollen der einzelnen Komponenten von Theater bearbeiten und die Erweiterung beziehungsweise die Beschneidung, die sie im Internet finden, diskutieren.

Das Verhältnis Computer - Mensch steht hier nicht im Vordergrund, vielmehr das Verhältnis zwischen Darsteller und Zuschauern, vermittelt über Computernetzwerke. Besonders wichtig ist mir hier auch die Darstellung von Bühnen, die sich im virtuellen Raum befinden, also Bühnen, die nicht mehr aus Materie bestehen.

Es scheint, als würde eine Theateraufführung, die über das Internet übertragen wird, zwei Medien benutzen. Da das Internet aber eben nicht die Abbildung der erfahrbaren Welt ist, ist auch Theater, das in und über dieses Medium übertragen wird, kein Abbild vom Theater des realen Raums. Theater, das im Internet stattfindet, ist im Gegenteil eine Weiterentwicklung der Darstellungsgeschichte, die anhand einer Änderung des Rezeptionsverhalten leicht nachvollziehbar ist.

Besonders im 20. Jahrhundert haben große Veränderungen in der Wahrnehmung der Menschen stattgefunden. Ein Auslöser dafür waren sicherlich Film und Fernsehen und auch die Entwicklung der Photographie. Das Theater begann wieder aus den traditionellen Theaterhäusern hinauszugehen und auf neu definierten Plätze, mit veränderten Mitteln stattzufinden. Zu Beginn der 90er Jahre unseres Jahrhunderts wurde das Theater auch im virtuellen Raum eingeführt.

Anhand der hier gelieferten Projektbeschreibungen wird sich unter anderem zeigen, daß dieses Theater durchaus textbasiert sein kann, das heißt, daß auf Bilder weitgehend verzichtet werden kann. Das mag erstaunlich klingen, wenn man bedenkt, daß das Medium Internet in seiner Entwicklung immer stärker versucht, Informationen in einer sehr bildlichen Sprache zu vermitteln. Derzeit sind jedoch die Bandbreiten, über die das Internet verfügt, noch so beschränkt, daß eine schnelle Übertragung und eine große Reichweite nur gewährleistet ist, wenn die Information eine angemessen kleine Anzahl an Kilobytes beträgt. Die Beschränkung auf Text sehe ich als ein sinnvolles Mittel, um Abstand zu den momentan herrschenden euphorischen Gefühlen gegenüber dem Internet zu bekommen. Es ist mir wichtig, zu zeigen, daß man mit einem zunehmend plakativen Medium wieder einen Platz für Illusionen schaffen kann. Zur Verdeutlichung werde ich später anführen, wie nur mit Texten Bühnenbilder gemalt werden können.

Im Zuge dieser Arbeit soll auch verdeutlichen werden wie sich ein neues Verständnis vom menschlichen Körper in diesen Theaterprojekten widerspiegelt. Bekannte Kommunikations- und Verhaltensmuster, die über Körpersprache funktionieren, können im Internet nicht ausgeführt werden, sie werden jedoch durch andere ersetzt und erweitert. Aufführungen, die mit solchen Mitteln arbeiten, sind aber durchaus im Kontext der Entwicklung des Theaters des 20. Jahrhunderts zu sehen, das mit seinen Experimenten in der Schauspielkunst und in der Wahl seiner Spielorte sowohl auf die Veränderung in der Wahrnehmung des Raums als auch auf die Veränderung des Körperempfindens seines Publikums eingeht und eine neue Form der Kommunikation mit einbezieht.

Eigentlich ist das Internet ein idealer Aufführungsort, denn alle für ein Theater nötige Kriterien sind erfüllt: Es gibt einen Raum zum Schauen, der Spieler, Rolle und Zuschauer zu einer allen gemeinsamen Zeit vereint. Das Vorgeführte ist einmalig, jede Aufführung ist anders als die vor und nach ihr, und die Aktion kann nur dann stattfinden, wenn alle genannten Komponenten zusammentreffen. Das ist mit Hilfe der Internetleitungen sogar über große Distanzen in Echtzeit möglich, und so können sich die Zuschauer und Darsteller an voneinander weit entfernten Orten befinden.

©1997 Mohnstrudel. vor