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mtg Medien/Theorie/Geschichte 4.0  
DFG-Projektverbund Theorie und Geschichte der Medien 
http://waste.informatik.hu-berlin.de/mtg/mtg4/pflueger.html
 
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Jörg Pflüger

Hören, Sehen, Staunen
Zur Ideengeschichte der Interaktivität

 

Konversation
Manipulation
Delegation

 
Sofern man das Auftauchen und die stürmische Entwicklung der Computertechnologie mit positiven Utopien belegt hat, waren diese immer mit der Vorstellung einer `Befreiung des Geistes´ verbunden. Was darunter zu verstehen ist, hat jedoch im Laufe der Zeit unterschiedliche Gestalt angenommen. Lange Zeit war in der Informatik ein Automatisierungsleitbild vorherrschend, und dementsprechend wollte man den Menschen von ‚niederer‘ geistiger Arbeit entlasten und für seine eigentlichen Aufgaben freisetzen. Damit ergab sich natürlich auch immer die Frage, was diese denn sein sollten. Neben der durch das Automatisierungvorbild geprägten Leitlinie ist aber schon frühzeitig die alternative Vorstellung einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Mensch und einer Maschine entstanden, welche ihn nicht ersetzt, sondern unterstützt.

Diese Vorstellung ist immer eng mit den Möglichkeiten eines interaktiven Umgangs mit dem Computer verbunden gewesen. In diese Interaktion kann der Mensch seine kreativen Fähigkeiten einbringen und computerunterstützt zu ungeahnten Höhenflügen weiterentwickeln. Wie diese Interaktion zwischen Mensch und Maschine aussehen soll, welche Rolle dabei dem Computer zukommt, und wozu der Geist des Menschen befreit werden soll, hat jedoch im Laufe der Zeit unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Ich will zu deren Betrachtung die Geschichte der Interaktivität in drei Phasen einteilen, die durch unterschiedliche Leitmetaphern geprägt sind.

In der Anfangszeit wurde der interaktive Umgang mit dem Computer als eine Art Konversation vorgestellt, welche Mensch und Maschine zu einer Problemlöseeinheit verschmilzt. Mit der Verbreitung von PCs und Arbeitsplatzrechnern setzte sich die Vorstellung durch, daß man geistigeTätigkeiten ausführt, indem man auf deren graphischen Oberflächen Objekte manipuliert. Der konzentrierteste Ausdruck dieser Werkzeugvorstellung ist das Leitbild der `direkten Manipulation´. Heute befinden wir uns mitten in einer Phase, in der Software-Agenten die Bildschirme und Computernetze erobern. Dieser Entwicklung liegt die Vorstellung zugrunde, daß bei der Beschaffung und Produktion von Informationen die Delegation von mühseligen oder langweiligen Tätigkeiten an Agenten eine in vernetzten Zusammenhängen notwendig gewordene Entlastung bringt. Das Agentenkonzept ist so elektronischer Ausdruck einer Dienstleistungsgesellschaft.

   

Konversation

`I do not see how some ›conversation‹ with the machine can be avoided.´ [Kemeny 62]

 

Schon zu Zeiten des reinen Batch-Betriebs kam die alternative Idee eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Mensch und Computer auf. Douglas T. Ross stellte 1956 das ganzheitliche Konzept des `Gestalt Programming´ vor, bei dem die unterschiedlichen Momente eines Problemlöseprozesses integriert und mit einer Technik des `conversational programming´ in Form eines Dialogs zwischen Mensch und Maschine angegangen werden sollten. `The purpose of a Gestalt system is to facilitate the transmission of general ideas as in a conversation, between a human and a computer, so that the maximum use of their respective capabilities can be made.´ [Ross 56] Die Fruchtbarkeit der Zusammena rbeit hängt für Ross wesentlich von einer Sprache ab, in der sich die ungleichen Partner leicht ›verständigen‹ können. `If the human and computer are to work together to solve the problem, the intermediate languages and translating systems must be designed not merely for the purpose of communication, but for the convenience of fluent conversation.´

Fast nebenbei bemerkt Ross, daß diese Konversation auch einen disziplinierenden Effekt hat und der Erfolg des partnerschaftlichen Unternehmens nicht unwesentlich auf der Erziehung des Menschen beruht. `Once this language has been designed the human is allowed to discuss the problem only in that language so that, in effect, a part of the programming of the problem has been accomplished by programming the human.´ In dem interaktiven Problemlöseprozeß ist also eine Anleitung zum richtigen Denken versteckt, und die beiden Partner bilden letztlich eine kleine Problemlöseeinheit. `In its full generality Gestalt programming is not just a computer technique, but is a problem-solving technique, i.e., a point is reached where it is difficult to tell which is more important, the human, the problem, or the computer.´ [Ross 56]

Ungleich einflußreicher war die gleichartige Vision, die J.C.R. Licklider 1960 in dem berühmten Aufsatz `Man-Computer Symbiosis´ veröffentlichte, weil er ihr im Rahmen von DARPA Projekten finanziellen Nachdruck verleihen konnte.

Wie Ross will Licklider durch die unterschiedlichen Fähigkeiten der Partner dieser Symbiose einen, in heutigem Jargon ausgedrückt, Synergieeffekt erzielen, der dazu führt, daß `the cooperative interaction would greatly improve the thinking process´. Deutlicher als Ross stellt Licklider heraus, daß bei vielen Problemen der Computer sinnvoll in den Problemformulierungs- und Problemlöseprozeß einbezogen werden kann und muß. `Present-day computers are designed primarily to solve preformulated problems or to process data according to predetermined procedures.´ Wenn der Rechner eingesetzt wird, ist das Problem vom Programmierer oder der Programmiererin schon durchdacht, also im Prinzip schon gelöst worden. Jedoch gibt es viele Probleme, die nur schwer vorab zu durchdenken sind und für die ein Trial-and-error Prozeß einfacher zum Ziel führt, und es gibt Probleme, die gar nicht ohne Computerunterstützung formuliert werden können. Hierfür erscheint ein interaktives Vorgehen angemessener, bei dem der Computer frühzeitig ins Spiel kommt. One of the main aims of computer symbiosis is to bring the computing machine effectively into the formulative parts of technical problems. The other main aim is closely related. It is to bring computing machines effectively into processes of thinking that must go on in 'real time', time that moves too fast to permit using computers in conventional ways.´ [Licklider 60]

Licklider formulierte sein Konzept der `man-computer symbiosis´ zu einer Zeit, als gerade die ersten experimentellen Erfahrungen mit time-sharing Systemen gemacht wurden, und er verlängert es in die Zukunft zur Vision eines alltäglichen interaktiven Umgangs mit Wissen: `It seems reasonable to envision, for a time 10 or 15 years hence, a ›thinking center‹ that will incorporate the functions of present-day libraries together with anticipated advances in information storage and retrieval and the symbiotic functions suggested earlier in this paper. The picture readily enlarges itself into a network of such centers, connected to one another by wideband communication lines and to individual users by leased-wire services.´ [Licklider 60] Diese Projektion von vernetzten `thinking centers´ wird Licklider später mit der Vision einer computerunterstützten zwischenmenschlichen Kommunikation zusammen denken und in die Entwicklung des ARPANETS einbringen.

Ende der 50er und in den 60er Jahren war die Rede von einer Konversation mit dem Computer gang und gäbe. Um 1960 nahm man in Aufsätzen wie `Conversation with a Computer´ und `Computer Conversation Compared with Human Conversation´ das im naiven Glauben an die Machbarkeit der Sprachautomatisierung noch ganz wörtlich. 1967 hat sich in Artikeln wie `Conversation with a Computer´ und `The Professor and the Computer: 1985´ schon etwas Ironie eingeschlichen. Die anfängliche Euphorie und Faszination an einer wörtlich verstandenen Konversation ist mit den sich langsam durchsetzenden time-sharing Systemen einer alltäglichen Erfahrung gewichen. Wirksam blieb die Vorstellung einer Konversation zwischen Mensch und Computer als Metapher für den modus operandi einer interaktiven Intelligenzverstärkung. Ausdrücke wie `conversational programming´, `conversational computers´, `conversational languages´ und `conversational environments´ sind allgemein gebräuchlich; `real-time interaction´ ist gleichbedeutend mit `conversational mode´. Der im Dialog ›zuhandene‹ Computer wird als hilfreiches Gegenüber mit unterschiedlichen Gradierungen der Servilität als `Partner´, `Assistant´, `intellectual servant´ oder als `handmaiden´ angesprochen.

Einiges von dem, was Licklider anvisiert hat, ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Bezeichnenderweise hat das Akronym MAC des berühmten time-sharing Projekts am MIT hat eine Doppelbedeutung: `Multiple-Access Computer´ und `Machine Aided Cognition´. Zukunftsweisend vergleicht Robert Fano die Möglichkeit, durch time-sharing Systeme in Form einer `community utility´ jedem Individuum `Denkhilfen´ zur Verfügung zu stellen, mit der Stromversorgung: `[...] it could provide each individual with logical tools to aid him in his intellectual work, just as electric tools today aid him in his physical work.´ [Fano 65]

Zu der Zeit, als die hier zu Wort kommenden User überwiegend noch ProgrammiererInnen waren, bestand die reale Konversation vorwiegend aus dem Austauschen von Daten und Kommandos. Hierfür liefert das on-line Debugging, das als ungeheure Erleichterung beim Programmieren empfunden wurde, vielleicht das treffenste Beispiel. Wie primitiv auch immer ein solches 'Gespräch' gewesen sein mag, so vermittelten die kurzen Antwortzeiten der Maschine doch den Eindruck eines Dialogs, der sicher durch die Erfahrungen der sozialen Interaktionen in einem time-sharing Betrieb noch verstärkt worden ist.

Die fortgeschrittene Vertrautheit mit time-sharing Systemen brachte zwei tiefgreifende Einstellungsveränderungen mit sich, die in der ursprünglichen Idee einer singulären Problemlöseeinheit nicht vorgesehen waren. Es bildeten sich user-Gemeinschaften mit einem starken Gemeinschaftsgefühl aus, das durch die Arbeit an ähnlichen Problemen und die gemeinsame Nutzung der von den Teilnehmern freizügig der Allgemeinheit zur Verfügung gestellen Daten und Programme vermittelt wurde. Der von allen geteilte Speicherbereich war zu einem verbindenden Raum geworden. `The disc memory of the system thus becomes a medium of publication — and with built in criticisms, for a bad program will not long be used by the community.´ [Weizenbaum 68]

In diesem Sinne kann man sagen, daß sich die Gewichtung der Nützlichkeit des Systems vom time-sharing zu einem space-sharing verlagerte. Damit einher ging eine Verschiebung in der Erwartungshaltung der NutzerInnen, dergestalt daß die vertraute Illusion des eigenen Computers hinter die Verfügbarkeit von bereitgestellten Werkzeugen zurücktrat. Time-sharing Systeme nahmen den Charakter von Bibliothekenan. Man kann dies, im Lichte der weiteren Entwicklung, als subtile Verschiebung von einer zeitlichen Präferenz auf eine räumliche Orientierung deuten. Insofern eine Konversation wesentlich temporal strukturiert ist, erscheint diese Metapher zunehmend unangebracht und muß der Räumlichkeit eines Werkzeugkastens oder eines Arbeitsplatzes weichen. Im Design der kommenden ‚stand alone‘ Arbeitsplatzrechner wird die soziale Interaktion erstmal zurückgestellt, aber die Idee der verfügbaren Werkzeuge zum Programm erhoben.

 

Manipulation

`Imagine having your own self-contained knowledge manipulator in a portable package the size and shape of an ordinary notebook.´ [Xerox 75]

 

Mit der Ausbreitung von PCs und Arbeitsplatzrechnern trat das tätige Individuum mit der Idee in Erscheinung, daß Wissen manipuliert werden kann. Es ging jetzt nicht mehr um Intelligenzverstärkung in einem Problemlöseprozeß, sondern um Hilfsmittel beim konstruktiven Umgang mit Information. In der Zwischenzeit waren time-sharing Systeme relativ selbstverständlich geworden und sie wurden, wie Fano bemerkt hat, im Hinblick auf vom System bereitgestellte Werkzeuge genutzt. Die große Konversationsmetapher kann wegfallen, weil sie überflüssig und unangemessen geworden ist. Zugleich haben sich die user vervielfältigt und von den ProgrammiererInnen geschieden. Die neuen `open-shopper´ user sollen nicht mehr nur ein Terminal bedienen, wo sie vorgefertigte Routinen starten, Daten eingeben, etwas abfragen oder beantworten, sondern sie wollen in einem Arbeitsgang sich der Software-Werkzeuge bedienen, bereitgestellte Funktionalität aktiv nutzen und sie gegebenenfalls anpassen. Kreativität wird jetzt als spielerische oder zweckmäßige Tätigkeit verstanden, die mit mechanischen Hilfsmitteln zu unterstützen ist. Wo am Anfang das Wort war, soll jetzt die Tat möglich sein.

Die erste Maschine, die in dieser Hinsicht konsequent als Arbeitsplatz konzipiert wurde, war der Xerox Star, der 1981 eingeführt wurde. Die Entwickler charakterisieren in `The Xerox Star: A Retrospective´ die User, die sie beim Entwurf im Blick hatten. `Star was designed as an office automation system. […] Star's designers assumed that the target users were interested in getting their work done and not at all interested in computers. Therefore, an important design goal was to make the ›computer‹ as invisible to users as possible. [...] Users could focus on their work, oblivious to concepts like software, operating systems, applications, and programs.´ [Johnson 89]

Der Computer stand jetzt weder `thinking tool´, noch als Partner oder Assistent, auf die man sich einlassen muß, zur Diskussion, sondern seine Eigensinnigkeit sollte sich hinter einem Interface verbergen, in dem möglichst leicht zu handhabende Werkzeuge zur Informationsbearbeitung bereit gestellt sind. Diese Konzeption der symbolischen Handwerklichkeit, die man später als `direkte Manipulation´ bezeichnet hat, erforderte einen Gesamtentwurf der Maschine, der auf die Nutzungsschnittstelle abgestimmt ist. Damit erschien das Interface zum ersten Mal als selbständiger, zu gestaltender Raum, der im Star unter dem Blickwinkel der physical-office oder Desktop Metapher eingerichtet wurde. Das Verschwinden des Computers hinter der oberflächlichen Werkstatt bedeutet, daß nicht mehr mit einem Gegenüber verkehrt werden muß, sondern in ihr mit Werkzeugen gearbeitet werden kann. `Systems having direct-manipulation user interfaces encourage users to think of them as tools rather than as assistants, agents, or coworkers. Natural-language user interfaces which are inherently indirect, encourage the reverse.´ [Johnson 89] Die volle Umsetzung des Manipulationsleitbildes erfordert die Überwindung der Fixierung auf Sprache, die die Konversationsvorstellung geprägt hat. Das setzt neben einfach handhabbaren Eingabegeräten graphische Oberflächen voraus, in denen Arbeitsgegenstände und Werkzeuge visuelle Repräsentationen haben, mit denen hantiert werden kann. Alan Kay faßt das manipulierend-geistige Tun des Informtions-Bastlers in dem Slogan zusammen: `Doing with images makes symbols.´ [Kay 90] Das Feld der Sichtbarkeit markiert den Überschuß der Manipulationswerkstatt gegenüber älteren Vorstellungen von Befehls-Werkzeugen in einem `knowledge workshop´.

Die Designer von Star haben die Möglichkeiten der symbolischen Anschauung weidlich ausgenutzt. ´ Star users control the system by manipulating graphical elements on the screen, elements that represent the state of the system and data created by users. [...] Users of this type of system have the feeling that they are operating upon the data directly, rather than through an agent […] A related principle is that the state of the system always shows in the display. Nothing happens ›behind the user's back‹.´ [Johnson 89] Dies erfordert, daß eine enge Korrespondenz zwischen Systemzuständen und konzeptuellen Repräsentationen im Computer und deren Präsentation im Interface, auf die der user Bezug nehmen kann, besteht. Die Arbeitsgegenstände haben dort eine ikonische Repräsentanz, ihre Bearbeitung kann symbolisch ausagiert werden. Die äußere Präsenz spielt sich ganz im Felde des Sichtbaren ab, die Referenz kann durch Zeigen, Anklicken, Bewegen oder ›drag and drop‹ erfolgen. Der Manipulation ist alles unter die Ordnung des Blicks geraten, wohingegen Konversation mehr mit wechselseitigem Zuhören tun hat. Wo im Dialog-Betrieb das Display zum Anzeigen von Frage und Antwort, von Eingaben und Resultaten diente, soll jetzt die Tätigkeit selbst sichtbar werden. `A well-designed system makes everything relevant to a task visible on the screen. [...] A subtile thing happens when everything is visible: the display becomes reality. The user model becomes identical with what is on the screen. Objects can be understood purely in terms of their visible characteristics. Actions can be understood in terms of their effects on the screen. This lets users conduct experiments to test, verify and expand their understanding — the essence of experimental science.´ [Smith 82]

Die anschauliche Realität im Interface zielt auf die Unmittelbarkeit des Effekts. Die direkte Reaktion auf eine Aktion hat, sofern es nicht zu störenden Wartezeiten kommt, nicht so sehr mit Geschwindigkeit zu tun (tatsächlich war der Star recht langsam), als mit der unmittelbaren Setzung einer neuen Präsenz an Stelle der alten. `Almost everything to the iconic mentality is ›before-after‹, like a bird building a nest. The current state of things suggests what to do next. Extensive top-down planning is not required — just squish things around until you like the total effect.´ [Kay 90] Auch in diesem Sinne ist die Zeit der Manipulations-Schnittstelle verräumlicht worden; die Zeitlichkeit der Interaktion spielt sich nurmehr im Trial-and-error Vorgehen der Akteure ab.

Die Technik der direkten Repräsentation setzt voraus, daß das Interface ohne modes funktioniert. Das bedeutet, daß der user sich nicht mit Zuständen der Maschine befassen muß, die nicht unmittelbar repräsentiert sind, und somit weiß, was er oder sie tun muß, ohne mit undurchschaubaren Effekten rechnen zu müssen. Der Slogan `Avoid modes!´ beinhaltet, daß die user nicht unnötig in ihrem Aktionsradius eingeschränkt werden und möglichst freizügig entscheiden können, was als nächstes zu tun ist. Im konversationellen Dialogbetrieb gleicht der mode-behaftete Ablauf oft `einem Frage-Antwort-Spiel, in dem der Computer die führende Rolle übernimmt´ und der `Mensch sich als Knecht des Computers´ fühlt. Die manipulative Konzeption — wählen und aktivieren — soll dem user mehr Kontrolle über sein Handeln geben und das Gefühl vermitteln, die Situation zu beherrschen.

Im Rahmen der Desktop Metapher führt das zur Bevorzugung des Arbeitsgegenstandes gegenüber dem Arbeitsmittel. Man ruft nicht einen Texteditor auf, sondern man öffnet ein Dokument. Es wird zuerst angegeben, `womit etwas geschehen soll und dann erst, was geschehen soll, während bei den Kommandosprachen zuerst die Operation festgelegt und dann erst die Parameter angegeben werden". [Pomberger 93]. Die Entwickler von Star formulieren diese Umkehrung der funktional orientierten Vorgehensweise mit einer linguistischen Metaphorik: `Commands in Star take the form of noun-verb. You specify the object of interest (the ›noun‹) and then invoke a command to manipulate it (the ›verb‹).´ [Smith 82]

Hier sind deutliche Parallelen zwischen der objekt-manipulierenden Nutzungstechnik und der gleichzeitig in Erscheinung getretenen objektorientierten Programmiertechnik zu sehen. Wie die prozedural orientierte Programmierung war die ‘verbale’ Interaktion ganz auf das Algorithmische fixiert, auf den gemeinsamen Problemlöseprozeß. Gegen die prozedurale Vorherrschaft gerichtet, binden Objektorientierung wie Desktop Metapher Operationalität an das konkrete Objekt, das bearbeitet werden soll. Beiden Objekt-Konzepten ist gemein, daß die Anregung von außen kommen muß. Objekte sind passiv, solange sie nicht aktiviert worden sind. Gleichermaßen ist die Manipulationswerkstatt nichts, als zuhanden. `The ruling paradigm of the Macintosh interface is the combination of a passive, tool-like computer with an active human. The machine is to be nonmodal and reactive, and should intrude as little as possible on the task at hand.´ [Oren 90]

Damit zeigen sich auch Schwächen beider Konzepte; sie beruhen auf Aktivität, aber ermöglichen noch keine Interaktivität, die der maschinellen Seite wieder etwas Selbständigkeit zuerkennt. In den Räumen des Netzes und bei Multimedia Anwendungen benötigt man aber Objekte, die dauerhaft aktiv sind und ›autonom handeln‹. Und die kleinkarierte Aktivität im Interface bringt zuviel Freizügigkeit wie auch langwierige Interaktionsfolgen mit sich, die nicht an einer Intention, sondern an systemabhängigen Operationen ausgerichtet sind. Beide Konzepte lassen — als Arbeits- wie als Entwurfstechnik — mit ihrem konsequenten bottom-up Ansatz Struktur vermissen und erschweren dadurch ein planvolles Vorgehen. Hierin zeigt sich die Kehrseite von Alan Kays Nestbauer-Mentalität. Diese Art der detaillierten Offenheit erhöht die Fehleranfälligkeit und ist oft recht lästig. Die Direkte Manipulation ist somit eher eine Lösung `for very small worlds, if what you want to do can be represented by dragging around icons´. [Brennan 90] In Zeiten vernetzter Zusammenhänge bedeutet der interaktive Umgang mit dem Computer, neuartige Welten zu erkunden. Dazu benötigt man weder ein Werkzeug noch einen Gesprächspartner, sondern Kundschafter, Begleiter und sonstige Hilfestellung — also Agenten.

 

Delegation

`The real problem with the interface is that it is an interface. Interfaces get in the way. I don‘t want to focus my energies on an interface. I want to focus on the job. My tool should be just something that aids, something that does not get in the way, and above all, something that does not attract attention andenergy to itself.´ [Norman 90]

 

Zur leichteren Handhabung wurde die Forderung aufgestellt, daß der Computer unsichtbar werden soll. Während er als Gegenüber verschwindet, werden seine Leistungen im Interface zugänglich gemacht. Nun soll auch das Interface, das sich in Form einer Arbeitsplatte zwischen Mensch und Maschine geschoben hat, beiseite geräumt und unmerklich werden. Wenn der Computer weiterhin zur Bewältigung komplexer Aufgaben dienen soll, aber weder eigensinniger Interaktionspartner sein darf, noch nur einfach für Aktionismus zur Verfügung steht, muß es einen Raum geben, in dem der Mensch mit Leistungen der Maschine umgehen kann. Anstelle eines Interfaces muß ein ›Interspace‹ geschaffen werden, in dem sich die unterschiedlichen Tätigkeiten von Computer und user begegnen können. In diesem gemeinsamen Raum erscheinen Computerleistungen und menschliches Handeln einheitlich repräsentiert durch gleichberechtigte Agenten unterschiedlicher Art, die agieren, interagieren und kollaborieren. Wenn der Computer dabei nicht auffällig werden soll, müssen ihm Rollen zugeschrieben werden, an denen der user seine Leistungen ablesen kann. An die Software-Agenten können Aufgaben delegiert werden, und von ihnen kann eine ihrer Rolle entsprechende Dienstleistung erwartet werden. Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine weist damit (wieder) soziale Charakteristiken auf; wenn etwas schief geht, hat nicht ein Werkzeug versagt, sondern der maschinelle Agent ist aus der Rolle gefallen. Brenda Laurel hat in ihrem Buch `Computers as Theatre´ vorgeschlagen, das Interface als Bühne aufzufassen, in dem menschliche und maschinelle Agenten mit verteilten Rollen etwas gemeinsam inszenieren. [Laurel 91] Ihre spezifischen Aktivitäten sind dann als ein ›acting-out‹ aufzufassen.

Vieles kommt einem an der Begeisterung für Agenten-Konzepte bekannt vor. Etwa wenn Loren G. Terveen und La Tondra Murray behaupten, daß es sich dabei um einen besonders User-zentrierten Ansatz handelt. `HCI research on agents can be distinguished by its user-centered approach. The focus is on how agents can empower users to work more effectively in the vast, rich, ever-changing world of electronic communication and information. One of the major promises of agents is personal assistance — each user can have an agent that serves his or her individual goals and preferences.´ [Terveen 96] Dem Assistenten sind wir schon bei time-sharing Systemen begegnet, jetzt soll er persönlich eingestellt sein. Desgleichen hat Douglas Ross sich den Mensch-Maschine-Dialog auch unter dem Bilckwinkel der `convenience for the human´ vorgestellt, und die Designer von Star wären sicher gekränkt, wenn man ihnen unterschieben würde, sie hätten sich nicht auf die Bedürfnisse der user konzentriert. Offensichtlich dreht es sich um die Frage, wie man sich zu verschiedenen Zeiten den User vorgestellt hat, und was man dem Computer in der Interaktion für Aufgaben zugeteilt hat.

Das Agentenkonzept hebt grundlegende Momente der beiden Vorgänger auf, im doppelten Sinne des Begriffs Aufhebung, die das Alte überwindet und zugleich als Moment bewahrt. Die partnerschaftliche Assistenz ist wiedergeboren; nicht mehr das verfügbare Werkzeug ist gefragt, sondern eine nicht genau überschaubare Dienstleistung. Aber die Hilfestellung durch den Computer wird nicht mehr als Denkverstärkung durch die Kopplung von Mensch und Maschine in einem interaktiven Problemlöseprozeß verstanden, sondern sie geschieht in der Tat, in tätiger Stellvertretung bei langweiligen oder den Menschen überfordernden Tätigkeiten, im `acting on behalf of the user´. Dies reflektiert eine Wendung der Computernutzung zum Handeln, die durch den Aktionismus der Manipulation eingeleitet worden ist. Wenn statt von `amplify thinking´ von `empower user to work more effectively´ in Informationsräumen gesprochen wird, dann deutet das darauf hin, daß sich der Umgang mit Wissen verändert hat. Das angemessene Verhalten der user in `the vast, rich, ever-changing world of electronic communication and information´ läßt sich zurecht als Informationshandeln bezeichnen.

So unscharf die Wünsche an Agenten sind, so unbestimmt und vielfältig sind auch die Vorstellungen, was ein Stück Software zu einem Agenten macht. Bevor wir uns den Charakteristiken der neuen Interaktion mit Agenten zuwenden, ist ein erster Versuch einer Definition eines Agenten angebracht. `My own personal view is that an agent is any program that can be considered by the user to be acting as an assistant or helper, rather than as a tool in the manner of a conventional direct-manipulating interface. An agent should display some (but perhaps not all) of the characteristics that we associate with human intelligence: learning, inference, adaptibiliy, independence, creativity, etc. The user can be said to delegate a task to an agent rather than command the agent to perform the task.´ [Lieberman 97]

Was ist von einem Agenten zu erwarten? Am naheliegensten ist es, daß man lästige, langwierige Aktionsfolgen und repetitive Tätigkeiten an Agenten deligiert, die sich als `intelligente Hintergrundsprozesse´ damit beschäftigen. Dies betrifft sowohl herkömmliche Aktivitäten in einem direkten Manipulations Interface (womit sich nicht zuletzt Auswüchse von schlechtem Interaktionsdesign verstecken lassen), als auch neuartige Aufgaben wie die Suche in vernetzten Informationsräumen. `A retrieval ›tool‹ won‘t do because no one wants to spend hours looking through hundreds of networks with trillions of potentially useful items. This is a job for intelligent background processes that can successfully clone their user‘s goals and then carry them out. Here we want to indirectly manage agents, not directly manipulate objects.´ [Kay 90]

Viele der zu deligierenden Aufgaben sind dadurch gekennzeichnet, daß sie erledigt werden können und sollen, während man etwas Sinnvolleres zu tun hat. Damit tritt ein Moment des Resource Sharing und der bemessenen Zeit, das die Entwicklung der time-sharing Systeme beherrscht hat und mit den singulären Arbeitsplatzrechnern etwas aus dem Blick geraten ist, wieder in die Betrachtung ein. Ähnlich wie damals für die Auslastung der teuren Großrechner wird jetzt für die Auslastung des Interface und der wertvollen Zeit seines Users argumentiert. Die Räumlichkeit der verteilten Informationswelt hat, im Gegensatz zur reaktiven Oberfläche einer Manipulationswerkstatt, eine inhärente Zeitlichkeit, insofern sie zum Nutzen der user durchlaufen werden muß. Lieberman geht noch weiter und überträgt die Idee des time-sharing auf das Verhalten des Individuum: `The users attention may be time-shared´. Die Arbeitsweise einer solchen ›multiplen Persönlichkeit‹ an einem `nonlinear interface´ erscheint typisch für den Umgang mit multiplen Agenten, mit denen zu ko-operieren ist. Damit haben wir uns sehr weit von der einfachen zweiseitigen Mensch-Computer-Symbiose entfernt.

Die wichtigste Eigenschaft, die ein Agent aufweisen muß, um keine oder höchstens eine gespaltene Aufmerksamkeit für seine automatisierte Tätigkeit zu erfordern, ist Selbständigkeit, oder wie es vornehmer heißt: Autonomie. Er unterliegt aber nicht dem Automatisierungsleitbild der frühen Computer, sondern ist für Zulieferdienste gedacht und darin eher einem Roboter als einer vollautomatisierten Fabrik vergleichbar. Das autonome Verhalten des Agenten entlastet den user davon, alles explizit anregen und laufend kontrollieren zu müssen. Im Gegensatz zur Doktrin der direkten Manipulation soll jetzt ja etwas `behind the user's back´ geschehen. Um diesen Gegensatz herauszustellen, bezeichnet man die Arbeit mit Agenten auch als `indirekte Manipulation´.

Damit eine solche Zusammenarbeit von Mensch und Maschine stattfinden kann, ist es nötig, daß der User seine Wünsche dem Agenten mühelos klar machen kann. Es geht jetzt nicht mehr wie bei Ross Gestalt-Sprache um den Austausch von `ideas´, sondern um die Mitteilung von `goals´. Der Unterscheidung von direkter und indirekter Manipulation auf User-Seite entspricht somit auf Maschinenseite der Gegensatz von expliziter und impliziter ›responsiveness‹. Es ist nicht viel gewonnen, wenn der User seine Intentionen dem Agenten in Form expliziter, ausführbarer Kommandos eingeben muß; der Agent sollte in der Lage sein, die Absichten und Präferenzen des Users zu ›verstehen‹ und in erfolgreiche Aktionen umzusetzen. Die Anpassung an die Wünsche des Users kann entweder durch ›Interpretation‹ der ausdrücklich geäußerten Ziele erfolgen, oder der Agent erstellt im beständigen Abgleich mit dem beobachteten Verhalten seines Users ein `constantly evolving user model´, dem gemäß er von Fall zu Fall dessen Vorlieben zu berücksichtigen sucht.

Mit der indirekten Bearbeitung, den hinter dem Rücken der User ablaufenden Prozessen und deren impliziter Reaktion auf Intentionen der User sind die Prinzipien der direkten Manipulation auf den Kopf gestellt und das Feld des Sichtbaren verlassen worden. Was für eine Aufgabe relevant ist, und damit die Realität des interaktiven Users ausmacht, spielt sich jetzt wesentlich im undurchsichtigen Bereich der Interpretation und Kooperation ab. Delegierte Aufgaben lassen sich kaum scharf umreißen, und die Kompetenz eines Agenten läßt sich ebensowenig klar erkennen. `What you see is what you get.´ trifft auf Agenten nicht mehr zu; was man erhält, ist oftmals erstaunlich. Umfang und Güte einer Dienstleistung kann nicht mehr eingesehen, sondern nur noch inferiert oder aus Anzeichen ›erspürt‹ werden. Um das unheimliche Verhalten der Artefakte für den User heimisch zu machen, befürwortet Brenda Laurel (im Gegensatz etwa zu den Entwicklern des `Apple Data Detektors´) eine anthropomorphe (Selbst-)Darstellung der Agenten in Form von einsichtigen Charakteren, weil deren Charakterzüge Rückschlüsse auf die von ihnen zu erwartenden Leistungen erlauben.

Da die Undurchschaubarkeit der Delegation immer ein Vertrauensverhältnis voraussetzt, gleich wie charakterstark der Agent erscheint, stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Agenten, die manche im Rückgriff auf Erfahrungen der Animationstechnik durch die Gestaltung von `believable agents´ einlösen wollen. Aber sicher lassen sich komplexe Dienstleistungen nicht aus Charakterzügen herauslesen. Dazu ist es erforderlich, daß sich der Agent erklären kann. `It will not be an agent‘s manipulative skills, or even its learning abilities, that will get in accepted, but instead, its safety and ability to explain itself in critical situation.´ [Kay 90] Mit Erklärung allein ist es aber nicht getan, letzten Endes muß das Wunsch-Leistungsverhältnis kooperativ ausgehandelt werden. Somit verlagert sich ein Teil der Interaktion zwischen Mensch und Maschine vom partnerschaftlichen Lösen eines Problem zu einem Meta-Diskurs, wie der jeweilige Beitrag der Partner aussehen könnte.

Dialogische und konstruktivistische Interaktion wird also in einem Aktoren-Netz aufgehoben, in das user wie Agenten durch Verhandlung und Kooperation verwoben sind. Sollte das Realität werden, dürfte in der virtuellen Informationswelt ein neues Lebensgefühl von Nöten sein, zu dem Alan Kay aufgerufen hat: `Let us now extend everything we do to be part of a grand collaboration — with one‘s self, one‘s tools, other humans, and increasingly, with agents: computer processes that act as guide, as coach, and as amanuensis.´ [Kay 90] Lakonischer und etwas naiver meint Edward Feigenbaum: `We have to think here‘s one intelligent agent, there’s another intelligent agent and they have complementary capabilities. We have to design our systems so that both of these are working together to produce a better result.´ [Feigenbaum 95] Damit sind wir anscheinend wieder bei den Visionen von Ross und Licklider angelangt. Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine für ein besseres Resultat wird aber nicht mehr als Problemlöseeinheit gedacht, sondern verteilt sich in der großen Kollaboration, in einem globalen Informationshandlungsverbund.

 

Literatur:

(Boehm, 1967) Boehm, B.W.: The Professor and the Computer: 1985, Datamation ??, 1967, p.56

[Brennan 90] Brennan, S.E.: Conversation as Direct Manipulation: An Iconoclastic View, in: Laurel, B. (Hrsg.): The Art of Human-Computer Interface Design, Addison-Wesley 1990, S.393-404

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[Feigenbaum 95] Shasha, D.E., Lazere, C.A.: Out of their Minds. The Lives and Discoveries of 15 great Computer Scientists, New York 1995, S.209-222

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[Kay 90] Kay, A.: User Interface: A Personal View, in: Laurel, B. (Hrsg.): The Art of Human-Computer Interface Design, Addison-Wesley 1990, S. 191- 208

[Kemeny 62] Kemeny, J.G.: Diskussion in Greenberger, M.(Hrsg.): Computers and the World of the Future, MIT Press 1962, S.158

[Laurel 91] Laurel, B.: Computers as Theatre, Addison-Wesley, 1991

[Licklider 60] Licklider, J.C.R.: Man-Computer Symbiosis, IRE Transactions on Human Factors in Electronic, HFE-1, March 1960, S. 4-11, abgedruckt in: In Memoriam: J,C,R, Licklider 1915-1990, Digital Equipment Corporation 1990, S.1-15

[Lieberman 97] Lieberman, H.: Autonomous Interface Agents, CHI 97 Electronic Publications: Papers;

[McGovern 60] McGovern, P.J.: Computer Conversation Compared with Human Conversation, COMPUTERS and AUTOMATION for September, 1960, S.6-11

[Mezei 67] Mezei, L.: Conversation with a Computer, Datamation, January 1967, S. 57-58

[Norman 90] Norman, D.A.: Why Interfaces Don't Work, in: Laurel, B. (Hrsg.): The Art of Human-Computer Interface Design, Addison-Wesley 1990, S. 209-219

[Oren 90] Oren, T.: Designing a New Medium, in: Laurel, B.(Hrsg.): The Art of Human-Computer Interface Design, Addison-Wesley 1990, S. 467-479

[Pomberger 93] Pomberger,G., Blaschek, G.: Grundlagen des Software Engineering, Hanser Verlag: München Wien 1993

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