1.
Die Seinsfrage
Heidegger
steht, zumindest beim mainstream der Philosophieprofessoren in Deutschland,
nicht auf der Agenda, anders als zum Beispiel in Frankreich, USA
oder Japan, wo man seine Ansätze aus verschiedenen Perspektiven weiterdenkt.
Die Enthüllungen um Heideggers Verstrickung mit dem Nationalsozialismus
bilden, vor allem für die Nachkriegsgeneration, eine kaum überwindbare
Hürde, um sich mit Heideggers Denken und mit seiner eigentümlichen
Sprache ernsthaft auseinanderzusetzen. Man hat inzwischen nicht einmal
Lust, sich über ihn lustig zu machen. Man argumentiert sachlich, indem
man den gesunden Menschenverstand zum Denken auffordert, so daß im
Prinzip jeder verstehen kann, worum es geht. Zuerst die Attacken der Frankfurter
Schule, dann die der Kritischen Rationalisten und zuletzt der (noch?) dominierende
Einfluß der Analytischen Philosophie haben nicht nur die philosophischen
Fragen, sondern vor allem den Stil des philosophischen Denkens in
Deutschland radikal verändert. Das ist paradox, denn Heideggers Sprache
war zu seiner Zeit extrem modern und, wie einige NS-Philosophen bemerkten,
undeutsch. Hier eine Kostprobe des NS-"Philosophen" Ernst Krieck,
erschienen 1934 in Volk im Werden:
"Als
besonders "klar" empfiehlt Harms den Heideggerschen Satz: "Die Hineingehaltenheit
des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das
Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz". Sätze
von solcher "Klarheit" und Deutschheit kann man aus Heidegger gleich zu
hunderten herausholen! (...) Es ist die Aufgabe solcher Philosophie, Geradliniges
krumm, Einfaches verbogen, Schlichtes verworren, Anschauliches undurchsichtig,
Sinnhaftes unsinnig zu machen. "Deine Sprache verrät dich, Galiläer!"."
(wieder abgedruckt in G. Schneeberger: Nachlese zu Heidegger, Bern
1962, Nr. 160)
Heideggers
lateinisch-griechisch (und "galiläisch"!) gefärbte Sprache von
Sein und Zeit war aber auch die Sprache der Tradition, auch und
gerade wenn sie sich gegen sie wandte. Die große philosophische Frage,
die die abendländische Tradition kennzeichnet und worauf sich die
Bezeichnung Philosophie bezieht, ist ohne Zweifel die Frage nach
dem Sein, die quaestio circa esse, ti to on: Was ist
also das Seiende als Seiendes? Was sollen wir unter Sein
verstehen? Der Tisch ist, ein Kunstwerk ist, ein Computerprogramm
ist, ein Mensch ist männlich, Gott ist Mensch
(männlich) - überall haben wir mit einem Existenzoperator Sein
zu tun. Das Sein ist bloß der Wert einer Variable. Das ist alles.
Ist das alles? Die Tradition sagte: Es gilt, daß die Dinge
sind, ihre Existenz (existentia) und was sie sind, ihr Wesen
(essentia). Heidegger fragt, ob alle Dinge, d.h. einschließlich
des Menschseins, im Wie ihres Seins gleich sind. Anders ausgedrückt:
Ist der Mensch so wie ein Ding? Die Antwort der Tradition:
Alles, was ist, ist in der Tat genauso durch essentia und existentia
charakterisiert, ob Gott, Mensch oder Stein. Die menschliche Seele ist
eine Eigenschaft sowie das Rot einer Rose eine solche. Rosen und Menschen,
die kommen nicht weniger vor, wenn sie vorkommen, als Steine und Götter.
Kant
hat dagegen Einspruch erhoben. Sein ist kein reales Prädikat: Hundert
Taler sind, was ihre essentia anbelangt, hundert Taler, ob ich sie
in meiner Tasche habe oder nicht. Die existentia ist bloß
die Position eines Dinges. Von der essentia aber ohne jede empirische
Anschauung auf die existentia zu schließen, ist unzulässig.
Begriffe ohne Anschauung sind blind. Anschauungen ohne Begriffe leer. Die
Dinge, über die wir aber keine Anschauung haben (können), und
die Dinge, so wie sie ihr Schöpfer erkennt, sind aber weiterhin für
Kant Dinge, mit einem Zusatz: an sich. Heidegger hat auf
seine Weise die Metaphysik falsifiziert, das heißt, er hat
nachgewiesen, daß es zumindest ein Seiendes gibt, bei dem
das Wie seines Seins nicht von der Art eines Dinges ist. Wenn dem so ist,
dann sind menschliche Eigenschaften im Wie ihres Seins nicht von
derselben Art wie dingliche Eigenschaften. Heidegger unterscheidet deshalb
terminologisch zwischen Kategorien und Existenzialien. Männlichsein
und Weiblichsein sind also, wenn sie vom Wie des Daseins her gedacht
werden, streng genommen, keine Eigenschaften, sondern Existenzialien, oder
Weisen des Menschen da zu sein.
2.
Eldreds "Über-Setzung"
Genau
diesem Ansatz widmet sich Michael Eldred in seinem Buch: Phänomenologie
der Männlichkeit. Er entdeckt dabei, daß die abendländische
Metaphysik nicht nur an die Seinsweise des Dinges, sondern auch an die
des Männlichseins orientiert ist. Diesem Befund entspricht metaphysisch
die Ständigkeit des Seins. Es war Heideggers philosophische
Entdeckung, daß diese Ständigkeit oder ständige Anwesenheit
bereits von der Zeit her gedacht ist: Was ständig ist, ist gegenwärtig.
Was vergangen ist, ist nicht (mehr) und was zukünftig ist, ist (noch)
nicht. Die Rangabzeichnungen im Bereich des Seins werden aufgrund der Fähigkeit
zum Ständigsein vergeben. Je unerschütterlicher etwas da zu sein
vermag, um so mehr Sein hat es. Die Hierarchie der Seienden gipfelt in
einem Seienden, das immer da ist, ein nunc stans, ein ständiges
Jetzt. Eldreds Zugang zu dieser Metaphysikkritik nimmt den Ansatz des Geschlechtlichen
als einen Quereinstieg, aber im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Analysen
der gender studies setzt er nicht bei Mann und Frau an, sondern
bei einem männlich bzw. weiblich Seienden, das in der Weise des Daseins
ek-sistiert. Diese, nein nicht Kopernikanische, sondern Heideggerianische
Wende erlaubt ihm, den ontischen Blickpunkt zeitweilig zu verlassen.
Wozu Philosophie? Nicht zuletzt zur Korrektur wissenschaftlicher Begrifflichkeit.
Männlichkeit und Weiblichkeit sind von hier aus nicht primär
die sich verändernden Eigenschaften von Mann und Frau, was sie zweifellos
auch sind, sondern sie haben etwas mit dem Wie unseres Seins, mit
unserem Dasein und somit mit unserem In-der-Welt-sein zu
tun. Sie durchdringen mit anderen Worten das ganze Geflecht von tatsächlichen
und möglichen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen,
in denen wir eingebettet sind. Wie aber sind Männlichkeit und
Weiblichkeit unter dieser ontologischen Perspektive zu verstehen?
Was macht das Männlich-sein oder Weiblich-sein bei einem Wesen aus,
das in der Weise des Daseins existiert? Wie sind die Bezüge zwischen
dem Männlich-sein und, zum Beispiel, dem Sterblich-sein? Oder dem
Mit-den-anderen-sein? Oder dem Leiblich-sein? Oder dem Gestimmt-sein? Oder
dem In-der-Zeit- und Im-Raum-sein?
Wer
dazu etwas erfahren möchte, dem wird Eldreds Analyse der Männlichkeit
als Wersein sicherlich nicht leicht fallen - wenn sie/er sich nicht
einläßt, oder, anders ausgedrückt, wenn sie/er ihren Standpunkt
vor und nach der Lektüre weiterbehält, quod erat demonstrandum.
Anstatt das Buch zu lesen und sich dabei mit einem un-gewöhnlichen
Denken zu konfrontieren, wäre es besser, er/sie würde sich die
Lektüre ersparen und gleich das glauben, was Rolf Löchel darüber
schreibt (http://www.literaturkritik.de/txt/1999-04-11.html).
Ignoranz und Vorurteil prägen offenbar eine Generation (?), die mit
Warnungen und kritischen Mauern aufgewachsen ist. Trotz des Geredes
von Kritik und Dialog verschanzt man(n) sich hinter Vor-Urteilen. Wir leben
bekanntlich in einer politischen Welt. Was aber heißt genau
für ein Wesen, das in der Weise des Daseins ist, politisch
zu sein? Eine Antwort darauf wird man sicherlich bei den Politikwissenschaftlern
vergebens suchen, denn es ist auch nicht deren eigentümliche
Aufgabe, darauf einzugehen. Die heutigen (deutschen) Philosophen ziehen
aber gleich, sagen wir, mit Habermas mit und erklären kurzerhand die
ganze Frage für ein Problem des herrschaftsfreien Dialogs. Will man(n)
jedoch dieser Sache auf den Grund gehen, dann ist Kapitel 4 von Eldreds
Monographie zu empfehlen. Er schreibt über Ruf und Namhaftigkeit
folgendes:
"Die
Ausgesetztheit in der Öffnung der politischen Öffentlichkeit
erfordert Abwehrfähigkeit. Die Unverborgenheit des Wer-Kerns, die
in der Möglichkeit des Redens-über... gegeben ist, muß
dadurch geschützt werden, daß der Wer sich zur Wehr setzt. Sich
zur Wehr setzend, hält der Wer seine Ek-sistenz in der ‚pólis‘
aus, bzw. aufrecht. Der Rückzug aus der ‚pólis‘ ist
einer aus der Unverborgenheit der Ek-sistenz in die Eigenheit des in seinem
ursprünglichen Sinn verstandenen ‚idiótes‘. Der Idiot ist nämlich
kein Blöder, sondern ein Eigensinniger, der sich der Öffentlichkeit
der ‚pólis‘ entzieht."(S. 89)
Politiker(Innen)
sind also keine Idioten, sondern (bloß) Namensträger. Sie sind
Wer. Sie halten sich im Bereich der, horribile dictu, Wahrheit
als Un-Verborgenheit (Heidegger) auf. Im Klartext: Sie halten die
Offenheit der allgemein bekannten Bedeutungsbezüge aus. Ihr
Name steht nicht nur für sie (als Personen), sondern für dieses
Aus-halten selbst. Sie können sogar beides aus-einander-halten, wenn
zum Beispiel ihr idiotisches Leben erschüttert wird, ihr politisches
Dasein aber weiterbesteht. Auf Einzelfälle brauche ich hier nicht
einzugehen: Sie sind ja nicht nur in aller Munde, sondern vor allen (medialen)
Augen. Das alles ist aber keine billige (oder teuere) Kulturkritik oder
gar (medienpolitische) Schelte. Wer-Sein als Männlich-sein ist, so
Eldred, eine Weise des Seins des Daseins. Diese tritt aber erst als
solche hervor, wenn die Weise des Weiblich-seins zeit-weilig
aus der Verborgenheit ent-deckt wird, was wiederum zeigt, daß
Sprache und Männlichkeit, zumal in der Weise der theoretischen Entdeckung,
etwas miteinander zu tun haben.
Wie
aber kommen diese beiden Weisen da zu sein miteinander in Berührung?
Eine auch sehr ontische Weise sich das zu veranschaulichen ist das Schmeicheln.
Das tut das Wer, so Eldred, gewissermaßen kraft Amtes. Wir sind in
der Weise des Wer sowohl in der Möglichkeit des Schmeichelns sowie
der gegenseitig hochschaukelnden Bestätigung (S. 167). Die Bestätigung
dieser Einsicht findet man(n) täglich in der Tagesschau, im Büro,
beim Einkaufen usw. Wir können nicht ohne Masken (Eldred: Larven)
leben. Ist aber dies unsere einzige Möglichkeit da zu sein?
Oder gibt es einen "Weg aus der Spiegelhalle"?:
"Schon
den Anderen hören zu können, setzt eine zeitweilige Überwindung
der Selbstbespiegelung voraus. Freunde rufen einander zu, sie rufen einander
an, sie wollen erfahren, wie es dem Anderen jeweils in seiner Weltsorge
geht. Die erste Person vermag in der Rede eine zweite mit einzubeziehen.
Diese sind wohl ontisch Selbstverständlichkeiten, und das Thema Freundschaft
ist heute in der Philosophie kein Thema. Hat sich dieses Thema erschöpft?
Leidet es unter einem falschen Pathos? Oder gibt es außer in einer
- schon längst geleisteten und erschöpften - Tugendlehre kein
Wissen von ihr? Ist die Freundschaft im Grund bisher vom Standpunkt einer
bequemen Egozentrik aus behandelt worden, während sie eigentlich eine
unbequeme Existenzmöglichkeit darstellt? Zerbricht die Egozentrik
am Anderen?" (S. 169-170)
Man(n)
kann natürlich mit Löchel Eldreds Antwort(en) - die meistens
fragende Antworten sind - als déjà vu Antworten
à la Lévinas, Heidegger, Lacan etc. bezeichnen. Damit
bezeugt man(n) freilich bloß seine Ignoranz und Verbohrtheit. Gelernt
ist gelernt. Man(n) bleibt hart und bekämpft mit Argumenten den Standpunkt
des Anderen. Ist aber dies die einzige Möglichkeit, miteinander zu
reden? Wann werden die (einige) Intellektuelle(n) in Deutschland (endlich)
dem Erbe des Denkens Heideggers gewachsen sein? Muß ihnen alles zuerst,
sagen wir, durch das amerikanische Sieb serviert werden, damit sie sicher
sind, daß sie politisch korrekt denken? Als (mögliche)
Antwort auf die vorherigen Fragen schreibt Eldred:
"Im
gleichen Maß, wie das ‚ich bin‘ mit dem Sein nicht ohne weiteres
gleichzusetzen bzw. unter es zu subsumieren ist, läßt sich auch
nicht das ‚du bist‘ selbstverständlich unter Seiendes subsumieren
- eine Einsicht, die zum tragenden Grund der dialogischen Philosophie in
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde, worauf ich hier jedoch
nicht näher eingehen möchte. (...) Wenn ich von mir erzähle,
mich darstelle, gebe ich einen Umriß von mir, worüber sich sprachlich
weiter verfügen läßt. (...) Das gegenseitige Du-sagen als
gegenseitiges Aussprechen der jeweiligen Eigennamen dagegen hat etwas ganz
und gar Unbeständiges und Unscheinbares, das darüber hinaus mich
endgültig aus meinem Fürmichsein herauszureißen und dadurch
den Anderen als bloß der-Andere-für-mich zu überwinden
vermag. (...) Es schwingt in der Begegnung immer ein weiteres, unfaßbares
Moment mit, das von der Rede über Seiendes übertüncht bzw.
unterschlagen wird, denn deine Andersheit ist mir zugleich wunderbar und
fremd, sie ist eine Aura, die dich umgibt. Man muß nicht wie Buber
im Bestreben nach Beständigkeit dieses Moment Gott als "ewiges Du"
nennen, sondern man kann das Aufflackern des Zwischen so nehmen, wie es
ist: als Augen-Blick des Aufscheinens von ich und du." (S. 171-172)
Wer nach
der Lektüre dieser Passage immer noch denkt, daß es sich beim
Heideggerschen Dasein um eine mystifizierende und egozentrische
Philosophie handelt, dem ist nicht mehr zu helfen. Eldreds Sprache ist
auch eine sehr poetische Sprache. Das mögen - im doppelten
Sinne dieses Wortes - einige Ich-redende und -verstehende Intellektuelle
in Deutschland heute nicht. Sie spielen lieber mit Argumenten. Hören
wir Eldred noch einmal:
"Solange
ich der identische redende, und verstehende Mensch bin, habe ich nicht
die Kraft, vertrage ich es nicht und kann es nicht zulassen, bezüglich
deiner anzunehmen, du seiest und seiest nicht, aber sobald ich dazwischen
bin, vermag ich diesen Widerspruch zu vertragen, obwohl es meinem Verstand
und meiner Fähigkeit, es in Worte zu fassen, entgleitet. Dann bin
ich nicht mehr ein und derselbe identische Wer, sondern durch dich infiziert
und affiziert, d.h. dir inzwischen ausgeliefert. Mit dir dazwischen bin
ich nicht mehr ich selbst, obwohl ich bin. Inzwischen haben wir unsere
jeweilige Identitäten aufgegeben, ausgesetzt, wenn nicht aufgehoben,
da gibt es keine abgrenzende Trennungslinie mehr zwischen uns, was aber
keineswegs auf eine Verschmelzung hinausläuft. Ich vermag es nicht
festzustellen, ob du seiest oder nicht seiest, aber ich bilde mir ein,
daß du bist. Dazwischen kümmert mich dieser Widerspruch nicht,
er geht mich kaum an, sondern an mir vorbei. Bezüglich deiner hilft
mir meine Vernunft, mein den-Logos-haben wenig, um ins Klare zu kommen,
denn dazwischen ist keine klare Sache. Ich bin außer Stande,
dich zu fassen. Hier vermag der Logos, als Rede verstanden, wenig auszurichten,
obschon er auf keinen Fall überflüssig geworden ist. Denn unter
anderem reden wir freilich miteinander. Unser Gespräch kommt indes
zu keinem Endresultat, zu keiner endgültigen Feststellung, sondern
streut sich unsammelbar durch die Zeit. Unser Gespräch ist nur unbestimmbares,
aber gestimmtes Teilmedium unseres wechselseitigen zwischenhaften Angangs.
Der Logos - weder als Rede noch als Vernunft - hat nicht die Kraft, diesen
Angang zu sammeln und zu beherrschen." (S. 178)
Wie übt
man sich aber ins Sein im Zwischen? Die Rede von einer notwendigen
Bildungsreform von der Schule bis zur Universität und darüber
hinaus ertönt überall. Die Philosophie hat ein kleines Reservat
in der Schule als ein wenig sagendes Fach neben Religion. Ist aber die
Philosophie nicht Teil des Problems? Eldred will sicherlich Philosophie
und Logik nicht abschaffen. Es wäre sogar die Frage, inwiefern die
Philosophie bereits in ihrem Ursprung nicht zugleich im Zwischen
angesiedelt ist, auf das Eldred hinweist. Die Frage nach dem Zwischen der
Geschlechter im Sinne eines Kampfes zwischen den beiden Geschlechtern ist
eine leitende Frage nicht nur seit der gegenwärtigen Kulturdebatte,
sondern bei der Gründung einer menschlichen Gemeinschaft überhaupt.
Eldred stellt seine ontologische Geschlechterfrage quer zu dieser
üblichen Zwischen-Frage. Er fragt nach dem Wie-Sein im Zwischen aus
der Differenz von Männlich- und Weiblich-sein. Das und wird
dabei zum eigentlichen theoretischen und praktischen Problem: Wie sind
wir zugleich identisch und nicht-identisch? Wie bin ich zugleich
ich und du? Wie kann ich zugleich reden und zuhören?
Und - wie kann ich dies alles lernen? Wie kann ich mich darin ein Leben
lang einüben? Wie lerne ich zu unterscheiden zwischen einer Frage,
die auf das Begreifen eines Problems ausgerichtet ist, von einer Frage,
die auf einen Anderen als einen Anderen gerichtet ist, oder besser
gesagt, die sich an den Anderen richtet, weil ich von diesem zuerst
angesprochen wurde? Welche Rückwirkung haben die Erfahrungen in diesen
beiden Weisen da zu sein aufeinander? Und wie ist das heute,
im Informationszeitalter, zu lernen? Was heißt: Leben im Informationszeitalter?
Womit ich auf meine eigenen Versuche zu dieser Frage hinweisen möchte
(vgl. v. Vf. Leben Informationszeitalter,
Berlin 1995). Wie übt man sich ins Sein im Zwischen? Diese
Frage läßt sich auch so übersetzen - und Eldred
ist nicht nur vom Beruf, sondern auch als Denker ein Über-Setzer:
Wie ist Freundschaft möglich?
3.
Fragen
Zuerst
zu Eldreds Kritik an die Neutralität des Heideggerschen Daseins (Kap.
7). Wenn Männlich- und Weiblichsein aus ontologischer Sicht
nicht mit Sexualität und Biologie zu tun haben, sondern als Weisen
eines (unseres) Weltverhältnisses aufzufassen sind, dann ist in der
Tat die Frage, ob sie nicht zum Seyn (diese Schreibweise ist Heideggers
code für seine zeitliche Seinsauffassung) selbst gehören,
in dem Sinne, daß das Sein ursprünglich sich (uns) zwiefältig
gibt oder sich (uns) nur zwiefältig geben kann. In der Sprache Heideggers
wäre dies die Differenz zwischen Entbergung und Verbergung
oder zwischen Dasein und Wegsein. Diese Zwiefalt wäre
auch, Heidegger zufolge, der Ur-Sprung der biologischen Sexualität
in ihren vielfältigen Formen. Das würde wiederum bedeuten, daß
Männlich- und Weiblichsein, wie sie Eldred als Weisen des Mitseins
versteht, gleichursprünglich mit der Differenz im Sein zu denken sind.
Männliches Wesen (oder männlich wesen) bedeutet
also, verbal verstanden, eine Weise Zu-Sein im Sinne einer Begegnung aus
der Ständigkeit und zur Ständigkeit hin. Weiblichkeit läßt
sich wiederum, ontologisch verstanden, als "die ursprüngliche,
nicht zum Stand zu bringende Dimension des Mitseins" (S. 226). Eldreds
Leistung bestehe u.a. darin, die ontischen Geschlechtskategorien in die
ontologische Dimension zu über-setzen. Dabei erfährt auch
das Seinsdenken eine Drehung, bei der die Gewichte sich verlagern,
nämlich von der "ungefalteten Einheit des Seins" (S. 224) auf "eine
zwiespältige Offenheit des Daseins fürs Sein" (S. 231) (Vgl.
M. Eldred, Hg.: Twisting Heidegger. Drehversuche parodistischen Denkens,
Cuxhaven 1993).
Eldreds
Pointe besteht darin, diese Zwiefalt, die von Heidegger geschlechtsneutral
verstanden wurde, auch im Horizont der Geschlechtlichkeit zu deuten
oder zu über-setzen. Dabei zeigt sich die Freundschaft als
der zeitweilige Über-Gang vom Einen zum Anderen. Die Dimension
des Seinsentzugs erscheint aus dieser Perspektive nicht nur als
schwer zu fassen, sondern als eine dem Männlich-sein und seinem
Begreifen entgegenkommende mit ihm gleichwohl mitschwingende Weise seines
Daseins, die sich aber nur im Zwischen eines gebrochenen Spiegels auftut.
Die Tradition nannte die dabei verwendete Sprache, die Sprache des Herzens
(philosophia cordis Eldred nennt sie Freundschaft, ‚philía‘.
Sie ist unscheinbar, kaum hörbar, unbeständig (oder un-an-ständig).
Sie entsteht zwischen uns. Sie ermöglicht uns, in produktiven
Mißverständnissen zu leben, denn sie ist nicht primär
auf ein Verständnis oder auf eine Verständigung, sondern auf
die offenen Möglichkeiten des Zwischen hin orientiert. Ihre Melodie
ist durch Risse und Umrisse gekennzeichnet. Sie ist eigentümlich ambivalent,
für beide gültig, aber sich dabei auch der Macht des gemeinsam
Begreifens entziehende, gerade wenn eine Über-ein-Stimmung erreicht
wird. Die philosophía verwandelt sich in philophilía.
Der Freund der Weisheit wird zum Freund der Freundschaft. Das Verhältnis
wird nicht durch Du sollst, sondern durch Möchtest Du
bestimmt. Menschliches Dasein west doppelstimmig. Daß wir
vom Sein angesprochen werden, liest sich in Eldreds Über-Setzung so:
"Dieses
fremde Element, die Sprache aus deinem Mund, vermag mich zuweilen zu überfluten
und zu verschieben. Ich weiß nie, was du sagen wirst, wie deine Worte
kommen werden, wie du mich entwerfen wirst." (S. 203).
Dieser
Satz läßt sich wohl als möglichen Grundsatz - als Satz
(oder Sprung) vom Grund, im Heideggerschen Sinne - eines
durch das Denken Heideggers und Eldreds verwandelten dialogischen Konstruktivismus
weiterdenken.
Wenn
die Dimension des Zwischen oder der zwischenmenschlichen Begegnung "kein
Seinsverständnis, sondern nur anstimmenden, unfaßbaren Angang
durch dich, der keine verstehbare Spur hinterläßt", ist,
dann wäre wohl dieser (und jeder andere) ontologische Versuch
unmöglich. Richtiger wäre zu sagen, daß entgegen dem Diktum:
"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" (L. Wittgenstein,
Tractatus Logico-Philosophicus, 7) wohl die Möglichkeit besteht, zwischen
einem Sprechen von und einem Sprechen über zu unterscheiden,
worauf Heidegger in seinen Schriften von der Sprache mehrmals hinweist.
Es geht dabei nicht um ein Be-greifen, sondern, wie Eldred in Anschluß
an Aristoteles bemerkt, um ein Be-rühren in der Sprache und
an ihr. Damit ist keine Art von rührender Gefühlsphilosophie
gemeint, sondern "die Berührung zwischen Freunden (ist) wesenhaft
mit Auseinandersetzung verbunden" (S. 187), eine Auseinandersetzung, die
wiederum sich auf die Divergenz in der Begegnung bezieht und keine dauerhafte
Verschmelzung zu "einer Seele in zwei Leibern" anstrebt. Mit anderen Worten,
Freundschaft heißt: das Zwischen vom Anderen her aufleuchten lassen,
so daß beide (Individuen, Völker, Gemeinschaften, Kulturen...)
dieses Zwischen und wenn nur für einen Augen-Blick geschehen lassen.
Was eine solche freundschaftliche Auseinandersetzung mit sich bringt, ist
kaum zu ermessen.
Eldreds
Deutung der Intimität (S. 222 ff) klingt zuweilen intimistisch,
was eine Spannung zum ek-statischen Dasein schafft. Man denke an
das Wort des Augustinus: "intimior intimo meo et superior summo meo". Exteriorität
und Intimität schließen sich also nicht aus, sondern sind zwei
Aus-Sichten desselben Phänomens, d.h. des Da-seins. Eldreds Phänomenologie
der Freundschaft ist eine große denkerische Leistung. Ich möchte
sie in Erwiderung zur folgenden Erfahrung des Augustinus beim Tod eines
Freundes stellen:
"So
war es mit mir damals bestellt, genau so, ich erinnere mich. Sieh auf mein
Herz, mein Gott, sieh ins Innere! Sieh, daß ich mich erinnere, meine
Hoffnung, der du mich von der Unreinheit solcher Empfindungen reinigst,
indem du meine Augen sich auf dich richten läßt und meine Füße
aus der Schlinge ziehst. In der Tat wunderte ich mich, daß andere
Sterbliche noch am Leben waren, weil der, den ich wie einen Unsterblichen
geliebt hatte, gestorben war, und mehr noch verwunderte mich, daß
ich sein zweites Ich ("quia illi alter eram"), noch leben konnte, obwohl
er tot war. Treffend sagt einmal ein Dichter von seinem Freund, er sei
die Hälfte seiner Seele ("dimidium animae meae" Horaz, Oden I, 3).
Denn auch ich hatte das Gefühl, daß meine Seele und seine Seele
nur eine Seele in zwei Körpern ("unam fuisse animam in duobus corporibus")
(vgl. Ovid, Tristien IV, 4, 72) gewesen seien und deshalb war mir das Leben
ein Greuel ("mihi horrori erat vita"), weil es mir widerstrebte, als halber
Mensch zu leben ("quia nolebam dimidius vivere") und deshalb fürchtete
ich vielleicht auch den Tod, fürchtete, mein Freund, den ich doch
sehr geliebt hatte, werde dann ganz sterben ("ne totus ille moreretur,
quem multum amaveram")."
(Bekenntnisse,
Buch IV, Kap. 6, 11 in der Übers. von K. Flasch und B. Mojsisch, Reclam
1989)
Letzte
Änderung: 29. Mai 2000
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