Frank Hartmann: Online-Texte

 

  Fetisch Information  

Plädoyer gegen die populistische Rede von der Informationsflut

Die Ringvorlesung "Medien und Zeitgeist" (Prof. Dr. Maximilian Gottschlich, Univ. Wien)
widmete sich 'Trends und gesellschaftlichen Bewußtseinslagen als Medienkonstruktion'.
Dieser Vortrag wurde am 30. Oktober 1997 gehalten.


    Information verwende ich als einen Grundbegriff von Kommunikation, und zwar in der eminenten Bedeutung, die dieser Begriff bekommen hat:

    - durch die politische Implementierung der Europäischen Informationsgesellschaft - angesichts der kulturkonservativen Rede von der Informationsflut durch Medien
    - als allgemeine Fetischisierung von Information im Medienzeitalter.

    Zum Einstieg in die Erläuterung, wie das gemeint sei, stelle ich die Überlegung in den Raum, warum uns gegenwärtig Information als Problem und als Lösung zugleich präsentiert wird. Meine These dabei ist, daß ‘Information’ so etwas wie ein blinder Fleck der Kommunikationstheorie ist. Dem möchte ich hier etwas näherkommen.

    Grundsätzlich gilt: Was die Medien nach bestimmten Mechanismen aus der amorphen Datenfülle herausgreifen, und damit zum Faktum machen, wird für den Konsumenten je nach Kontext zur Information, und erst eine bestimmte Konstellation von Informationen bildet dann gesellschaftliches Wissen. Information ist also nicht das, was ein Medium "überträgt" (diese Übertragung gibt es nicht), sondern ein Zustand – die Differenz (nach einer klassischen Definition von Gregory Bateson) zu dem, was ich zum Zeitpunkt des Medienkonsums bereits weiß bzw. ein Wissen, das durch vorhergegangene Rezeptionsprozesse bereits vorgebildet ist. Mit anderen Worten werden die Daten wesentlich rezeptionsseitig zur Information, nicht umgekehrt. Information ist also nie neutral, auch wenn die massenmediale Aufbereitung uns das glauben macht. Das ergibt ein doppelbödiges Problem: der Mechanismen der Auswahl, was auf Definitionsgewalt oder das Problem der Macht verweist; der historisch kontingente Kulturtechnik, die das kritische Urteil im einzelnen bestimmt und auf kulturellen Wandel verweist.

    Während nun in den USA die Information Highways ausgebaut werden, deklariert Europa die hochsubventionierte Transformation der Gesellschaft zur Informationsgesellschaft im Sinne der globalen Wettbewerbsfähigkeit. In allerhand Expertisen dazu macht sich eine blumige Rede von den ‘tiefgreifenden Veränderungen’ und den damit verbundenen ‘Herausforderungen’ breit, während die konservative Kulturkritik zum Kampf gegen die angebliche ‘Informationsflut’ bläst — eine kritische Auseinandersetzung mit dem Grundbegriff der Information steht allerdings aus.

    Aus diesem Grund behandle ich die Information als Fetisch. Obwohl wir aus Bequemlichkeit geneigt sind zu denken, daß Medien uns die ‘Welt’ vermitteln, schaffen diese sich ihre eigene Realität, die Medienwirklichkeit. Diese funktioniert nicht als Abbild der Realität, sondern in Differenz zu dieser: systemtheoretisch ausgedrückt als ein selbstreferentielles Bezugsystem, das unter Bedingungen selbsterzeugter Strukturen operiert. Als Form in der Form sozusagen, wobei unklar bleibt, wo in diesem Fall das Außermediale aufhört und Mediale beginnt: für die Medienwirklichkeit ist gerade die Abkoppelung von der Realität entscheidend. Was hierbei zählt, ist letztlich nicht die Objektivität einer ‘Information’, sondern ob die Anbindung der potentiellen Adressaten auf die damit erzeugte Medienwirklichkeit gelingt oder nicht. Als Information zählt nurmehr, was in der Folge diese Integration in die jeweilige Medienwirklichkeit verstärkt oder fortzuschreiben erlaubt: die Überprüfung an einer "objektiven Realität" tut der Sache keinerlei Abbruch mehr. Daher ließe sich medientheoretisch von der Information als einem Fetisch (lat. factitius) sprechen, vom Prinzip einer Illusion des Gemachten (lat. factum) jenseits der "Fakten".

    Unsere durchgängige Faszination für alles Authentische (die von der Markenartikelindustrie umfassend ausgebeutet wird) bestätigt diese Eingangsüberlegung. Information ist etwas, zu dessen Essenz ein Zuviel ebenso gehört wie ein Zuwenig. Sie verbindet in einer Art kultischem Glauben die Realität mit unserer Meinung von dieser, womit der Begriff gar eine transzendente Dimension berührt. Dies erinnert an den spirituellen Kontext, der sich gerade in der jüngeren Geschichte mit der Entdeckung neuer physikalischer Phänomene immer wieder eröffnet hat. So wurden Ende des achtzehnten Jahrhunderts zwischen den "erschaffenen" Prinzipien Materie und Bewegung neue Kommunikationskanäle jenseits der Worte entdeckt und erfahrbar gemacht: erinnert sei beispielsweise an den "thierischen Magnetismus" Franz Anton Mesmers. Dem galt die Inanspruchnahme des geheimnisvollen Fluidums für die Korrespondenz mit einer unsichtbaren Welt als ein (seinerzeit äußerst wirksam vermarktetes) Versprechen, die Menschheit von den Übeln des Rationalismus zu kurieren. Information scheint gegenwärtig an die Stelle jenes Fluidums oder jener frühen Auffassungen von Elektrizität und Magnetismus getreten zu sein, um etwas bislang Unbedachtes in der Welt begreifbar und nutzbar zu machen.

    "Information" wird damit aber mehr, als die Informationstheorie zugeben möchte, auch zur Sprachgeburt, zu einer Metapher für soziale Prozesse nämlich, die mit ihrer semantischen Transformation gleichwohl eine radikale Verschiebung der Kom-munikationsverhältnisse am Ende der Gutenberg-Galaxis indiziert. Ein Leitmotiv dieser Verschiebung ist die Klage über zuviel Information. Dieses Zuviel ist ein Paradox.

    "Sowohl die Schreibstuben der Antike und des Mittelalters als auch die Druckereien der Neuzeit haben so viele Daten produziert, das die Speicher überzuquellen drohten und jedenfalls das Bedürfnis nach neuen Formen der Informationsverarbeitung entstand." (Michael Giesecke).

    Wir sollten bedenken, daß neue mediale Formen auch einem gesellschaftlichen Bedarf entsprechen, und nicht von außen auf die Gesellschaft hereinbrechen. Information und Kommunikation sind zwar aufeinander angewiesen, aber die beiden Größen verhalten sich zueinander anscheinend umgekehrt proportional, sonst würden wir uns über eine Kommunikationsvielfalt freuen und nicht die Informationsflut beklagen.

    Da haben wie das Dilemma unserer Zeit. Wer kommunizieren will, so erkannte Vilém Flusser, darf wenig informieren. Dies gilt vor allem deshalb, weil Kommunikation nur unter Bedingungen des Austauschs gelingt, der Begriff der Information hingegen mit einer bestimmten Einseitigkeit konnotiert ist: mit Information wird man konfrontiert, und man kann sie eigentlich nur noch verarbeiten, da es im strengen Sinn sinnlos ist, ihr etwas zu entgegnen. Deshalb interessieren sich politische Machthaber ja seit jeher für das Informationsmonopol im striktesten Sinne einer Gewaltausübung. Informationen rezipiert man entweder, oder man nimmt sie nicht zur Kenntnis. Als ‘Nachricht’ eines Senders kann sie eine Verhaltensänderung bei einem Empfänger bewirken, der sich ‘danach richtet’. Alte Kommunikationsmodelle gingen über diesen Punkt nicht hinaus und und griffen daher systematisch zu kurz. In die Kommunikationsmodelle wurden Feedbackschleifen eingebaut, womit eine medial strukturierte Beziehung zwischen Sender und Empfänger sichtbar wurde. Erst im Prozeß des Austauschens, also durch Kommunikation, ergibt sich der spezifische Wert von Information. Dieser verweist implizit auf seine mediale Vermittlungsform, aber auch auf die Öffnung, durch die das Medium seine Wirkungsmacht entfaltet: Information markiert den Unterschied zwischen zwei Graden des Wissens einerseits, das Maß der Teilhabe am allgemeinen Kommunikationsfeld andererseits.

    Durch Informationsgewinn wird diese entscheidende Differenz etabliert, die bestimmt, ob eine Kommunikation als gelungen betrachtet wird oder eben nicht. Hierzu sind Aktivitäten erforderlich, die unter Bedingungen der Telematikentwicklung zunehmenden der Industrialisierung unterworfen und im eurobürokratischen Jargon folgerichtig als "Mehrwertdienste" bezeichnet werden. Aber diese qualitativ konnotierte ‘Mehr’ wird angeblich zunehmend durch ein quantitatives ‘Mehr’ ersetzt. Man spricht von der Informationsflut Doch diese kulturkonservative Rede von der Informationsexplosion ist schlicht irreführend. Es gibt in jeder erdenklichen Situation mehr Informationen, als tatsächlich menschlich verarbeitet werden kann. Evolutionär herausgebildete Filter im menschlichen Wahrnehmungsapparat sorgen für eine jeweils zweckgemäße Reduktion. Entsprechende Kulturtechniken bilden Formen aus, die diese Funktion unterstützen oder aber subtil unterlaufen. Wenn eine Kulturtechnik sich nun ändert, dann wächst damit nicht nur das Mögliche in einem quantitativen Sinn, sondern es haben sich auch die Bedingungen ihrer Möglichkeit geändert.

    Es ist Sache der apokalyptischen Kulturkritik, darüber zu lamentieren, daß mit der wachsenden medialen Informationsflut ein Sprach- und Erfahrungsverlust einhergehe. Ihre paradoxe Klage ob der unaufhaltsamen Informationsflut wäre durch sozialwissenschaftliche Aufklärungsarbeit zu dekonstruieren: etwa indem gezeigt wird, daß bei besserer Nutzung von gesellschaftlichen Mechanismen der Informationsselektion der konservative Trugschluß, die Medien würden etwas ursprünglich Humanes kulturindustriell verstellen, selbstwidersprüchlich wird. Auch für die entwickelte Mediengesellschaft gilt, daß Informationen immer bekommt, wer welche zu geben hat und damit eigentlich schon ‘informiert’ ist. Neben den bekannt "informierten Kreisen", welche die Inhalte der Massenkommunikation gestalten, formt sich die neue Informationselite des digitalen Zeitalters: diese sitzt nicht mehr in den Redaktionsräumen und an den Sendeplätzen der Massenmedien, sondern agiert von dezentralen Schauplätzen aus, an denen niemand wirklich weiß, wer hier das Sagen hat. Ihre Bedingung ist vor allem Kenntnis und Beherrschung der Technologie, die extensive Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten.

    Mit der virtuellen Klasse wurde von Arthur Kroker bereits eine griffige Bezeichnung für die neue Informationselite geprägt. Sie zeichnet nicht wie beim traditionellen Klassenbegriff ein Ausbeutungsverhältnis aus, sondern die Tatsache, daß sie von der Umstrukturierung der Wissensbasis unserer Gesellschaft profitiert. In der sich keineswegs als egalitär abzeichnenden Informationsgesellschaft zählt nicht die Qualität von Wissen, sondern die des Zugangs zum Wissen. Zur Erschließung eines Wissensreservoirs, das immer auch ein Machtpotential darstellt, ist üblicherweise eine lange Bildungssozialisation erforderlich. Damit bilden sich geschützte Reservate, und nur eine abgegrenzte Elite hat Zugang zur gesellschaftlichen Wissensbasis. Genau diese Elite aber erhebt ihre Klage über die ‘Informationsflut’, über den ‘Verlust der Sprache’ und ähnliche Unsinnigkeiten — in einem Moment, da die Grenzen sich auflösen und neue Kulturtechniken mit hybriden Inhalten alte intellektuelle Privilegien der Bildung in Frage stellen. Neue Kommunikationsmedien mögen die Zirkulationsgeschwindigkeit von Medienprodukten erhöhen, sie wirken aber nicht ursächlich im Sinne einer Vervielfältigung der zugänglichen Information: diese ist ein grundsätzlicher Effekt der gesellschaftlichen Evolutionund der damit verbundenen arbeitsteiligen Diversifizierung und Ausdifferenzierung von ‘Expertenkulturen’.

    Die gegenwärtige Digitalisierung aller Kulturprodukte durch die Inhalteindustrie und die Neustrukturierung der Kommunikation durch ihre elektronische Vernetzung erschließt Medienpotentiale als Folge und als Ausdruck einer seit zwei Jahrhunderten bereits stattfindenden Transformation der Kommunikationsverhältnisse, die sich unter anderem in der Hybridisierung von Inhalten ausdrückt. Da die Tendenz zur Immaterialität und zum dekontextualisierten Wissen (immer mehr Informationselemente, die sich zu keinem Ganzen mehr zusammenfügen wollen) sich anscheinend verstärkt, erscheint Information als fetischisierter Begriff.

    ‘Information’ ist ein Bastard, der durch die Kreuzung von Glauben und Wissen in der Mediengesellschaft gezeugt wurde.

    Während Wissensvermittlung in der Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts sich zunehmend als nachrichtentechnisches Problem darstellt, wird gern übersehen, daß Information keine Existenz "an sich" hat, sondern von der Mechanik des Zugriffs und somit "für uns" bestimmt wird: in ihrem Bestreben, Rauschen zu minimieren und so den Reibungswiderstand in der Übertragung von Botschaften auf einen idealen, reinen Faktor zu reduzieren. Diese Metapher der Übertragung einer Botschaft von A nach B bzw. vom Inneren des Subjekts an seine Umgebung und umgekehrt folgt einem linearen oder mechanischen Modell, welches seinerseits eine physikalistische Dynamik des Energieaustausches voraussetzt.

    Denken Sie an das Beispiel von den Billardkugeln, das Gregory Bateson gegeben hat: trifft eine rollende Kugel auf eine ruhende, so übernimmt diese die Bewegungsenergie und rollt weiter, während die erste Kugel stehenbleibt. Dieses dynamische Modell taugt aber denkbar schlecht zur Beschreibung von komplexen Kommunikationsprozessen. Wenn überhaupt, dann folgt die Weitergabe von Informationen in der menschlichen Kommunikation einem Modell des Austausches eher als dem der Übertragung: eine Information, die ich weitergebe, habe ich selbst ja immer noch. Information ist ein immaterieller Wert, dessen Mehrwert sich nicht durch einseitige Weitergabe einstellt, sondern durch Austausch bzw. in den dadurch kommunikativ errichteten Bedeutungsfeldern.

    Wie sich gegenwärtig die Grundlage der Industriegesellschaft und das gewohnte System der Arbeitsverhältnisse ändert — herkömmliche Erwerbsarbeit erfährt einen gravierenden Bedeutungsverlust, während sich über Neuerungen wie Teleworking eine neue Arbeitsorgansiation abzeichnet; weiters wird deren Orientierung auf genormte Massenproduktion zugunsten individualisierter Just-in-time–Produktion distanziert — so unterlaufen interaktive Medien jetzt die grundlegenden Funktionen einer gerichteten Kommunikation über die Massenmedien. Das Prinzip der Interaktivität stimuliert, technisch inhärenter Programmierung zum Trotz, die individuelle Einmischung und erzeugt komplexere Kommunikationsmuster, als das Modell der Nachrichten- bzw. Informationsübertragung sie vorsieht. Interaktivität baut auf Digitalisierung, und diese erlaubt die relationale Verknüpfung verschiedenster Informationsmodule, wobei die Inhalte selbst zunehmend hybridisiert werden. Das heißt es ist nebensächlich, welchem ursprünglichen Zweck ein Medium gewidmet war; Bild- und Tonaufzeichnung werden ebenso problemlos in den digitalen Speichermodus integriert wie Textverarbeitung. Dies führt schließlich zu einer neuen Informationsökonomie.

    In dieser neuen Informationsökonomie geht es nicht allein um bessere Übertragungswege, sondern um Mehrwertproduktion durch positive Feedbackleistung. Hierbei entsteht eine ungewöhnliche Ideen-Ökonomie der Verausgabung, die diese Beziehungsarbeit des Feedbacks belohnt: Informationen bekommt, wer welche zu geben hat. Was dies kommunikationstheoretisch bedeutet, wurde mit dem Veralten der Übertragungsmetapher bereits ausgesprochen. Information ist eine Aktivität, eine Lebensform, eine Beziehung (J.P. Barlow). Überlegen wir kurz, was das bedeuten soll. Nach dem Prinzip der traditionellen Ökonomie dürfte so etwas wie das Internet ja gar nicht funktionieren: aus Nichts, würde sie behaupten, ist auch nicht viel zu machen. In diesem Sinne ist schon der Gebrauchswert eines einzelnen Faxgerätes gleich Null. Seinen Wert erhält es aus der neuen Ressource ‘Vernetzung’ – es ist klar, daß je höher das Netzwerk von Kommunikationsgeräten wird, damit auch der Gebrauchswert des einzelnen Grätes ansteigt.

    In diesem Sinne entstand der kybernetische Raum (Cyberspace) als ein Raum, der nicht nur aus mechanischem Feedback, sondern aus sozialen Rückkopplungen besteht. Der/die Einzelne wird in diesem Raum zur Quelle der Wertsteigerung; darin löst sich einm Grundmerkmal von Kommunikation im ursprünglichen Sinne von Communitas ein. Information ist Arbeit des sozialen Austauschens. Natürlich bekommt Information, die wir als immateriell erkannt haben, hier wiederum eine materielle Konnotation. Anstelle des Warentausches lassen sich an der Wertpapierbörse etwa oder in der kulturindustriellen Produktion lukrative Geschäfte mit dem Angebot bzw. der Konstruktion entsprechender Informationen machen. Information ist eine Bezeichnung für die meistgehandelte Ware der postindustriellen Gesellschaft. Sie erhält ihren Wert durch ein soziales Konstruktionsprinzip und realisiert diesen Wert im Tauschangebot. Rechtzeitige und adäquate Information, so das Prinzip, schafft Kommunikationsvorteile und sichert die soziale Position; das ist der Grund, warum sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen immer wieder entsprechende informelle Netz-werke schaffen, deren Zugang eifersüchtig bewacht wird.

    Die Bedingung der Möglichkeit von Information ist in diesem Sinn an die Zugänglichkeit, die Verfügbarkeit sowie die Beherrschung der entsprechenden Kulturtechniken gebunden. Und zwar ganz im zeitlich-chronologischen Sinne; der Punkt ist, früher und exklusiver als andere über die Informationen verfügen zu können. Auch diese Einsicht ist vorbereitet durch McLuhans Slogan: The medium is the message. An einem neuen Medium ist meist nicht der Inhalt wichtig: nicht was kommuniziert wird, sondern daß kommuniziert wird. Was Information ist, scheint damit fundamentaler, als von der technizistischen Kommunikationstheorie bedacht, an einen Code gebunden, an die (kulturellen Systeme von) Verknüpfungsregeln von Zeichen. Wir müssen uns jeweils fragen, ob dieser Code ein technisch, sprachlich, ästhetisch, sexuell oder wie auch immer kulturell und subkulturell determinierter ist und damit den Kommunikationsprozeß kontextuell vorstrukturiert. Es ist der spezifische Code, der einen Unterschied macht und der präfiguriert (um nochmals Gregory Bateson zu paraphrasieren) was im einzelnen letztlich "den Unterschied macht" und damit zur Information wird.

    Medien, die als Botschaft nicht irgendwelche Inhalte sondern vor allem auch sich selbst kommunizieren, provozieren gerade damit eine Dekonstruktion von Bedeutungen. Die Maschine kommuniziert ganz oder zu Teilen als ein selbstreferentielles System, sie impliziert die Möglichkeit einer "reinen" Information in der Kommunikation ohne bewußt Kommunizierende. Das sprengt die Verbindlichkeit des kulturell eingewöhnter Referenzrahmens für Bedeutungen. Ist dies nun eine bedrohliche Technifizierung, die — wie etwa Neil Postman befürchtet — zu einer unkontrollierten Explosion des nur noch technologisch erzeugten Informationsvorrates unter "einem allgemeinen Zusammenbruch der psychischen und sozialen Orientierung" führt? Oder werden hier, ganz unspektakulär, überkommene Techniken der Komplexitätsreduktion (eben Sprache und Schrift bzw. die darauf abgestellte Bürokratie) distanziert? Was wirklich verlorengeht, wenn traditionelle Bedeutungsmuster derart zerfallen, das ist die Illusion eines allgemein verbindlichen Codes der Moderne.

    Der oftmals beschworene Orientierungsverlust in der modernen Gesellschaft hat mit dem Verlust eines kulturtechnisch vertrauten Zeichensensoriums zu tun. Das ist der wahre Grund einer Verunsicherung durch die Möglichkeiten der neuen Medien, und nicht eine durch diese verschuldete Informationsexplosion. Dazu kommt eine Reorientierung, die abrückt von der matieriellen Referenz zugunsten des Symbolischen. Der zentrale Fetisch der Industriegesellschaft, im Sinne eines sexuellen Ersatzzieles, war das Auto. Das Auto entspricht der materiellen Kommunikationsvorstellung des neunzehnten Jahrhunderts, als es noch um die Beschleunigung des Gütertransportes zwischen zwei Orten ging. Ein unverhältnismäßig großer Teil der gesellschaftlichen Organisation und der Gestaltung öffentlichen Raumes drehte sich um dieses Fortbewegungsmittel, das uneingeschränkte individuelle Mobilität versprach. Dies wiederholt sich in der post-industriellen Gesellschaft mit der Hardware der Informationsverarbeitung und mit der Vernetzungs-Infrastruktur der Informationsgesellschaft. Wie im stammeskulturellen Totemismus begründet sie "sowohl ein religiöses wie ein soziales System" (Sigmund Freud).

    Im Zeitalter der instantanen Kommunikationsverbindungen verliert zwar der Begriff der Geschwindigkeit (trotz Virilio) an Gültigkeit, aber die moderne Idee eines maschinellen Ordnungsprinzips findet sich noch im theoretischen Mediendiskurs wieder (etwa bei Friedrich Kittler). Deshalb ist Information schon als Begriff nicht neutral, sondern der Ideologie verpflichtet, den die Technik in Form eines mechanischen Codes zur eindeutigen Lesbarkeit der Welt erzeugt. Er funktioniert nach dem Prinzip der Binarität, welches das Universum als in diskrete (abzählbare) Einheiten zerlegbar vorstellt. Natürlich gibt es Information dabei nicht als Anschauung, sondern wieder nur als Unterscheidungskriterium für einen bedeutungsschaffenden Kontext. Daß dieser eindeutig zu sein habe, entspricht dem neuzeitlichen Projekt der Rationalisierung: die Idee der Maschine, die durch mechanische Zuordnung Bedeutung stiftet. Nach dem Muster der Feinmechanik dachte man sich eine Optimierung des Zusammenwirkens der einzelnen Elemente aus.

    Dieser Mythos der Moderne beseelte die philosophische Suche nach der Idealsprache ebenso wie die Festlegung einer Standardsprache aus dem Bedürfnis der typographischen Kommunikation, und dessen Rückwirkung auf andere gesellschaftliche Informations- und Kommunikationssysteme. Die bloß mechanische Datenverknüpfung (die der sogenannten informationsverarbeitenden Maschinen) stiftet mit der Verfügung über das "Ansich" der Daten jedoch keine kommunikative Beziehung. Die hier erzeugte Angst ist begründet in der Tatsache, daß das Prinzip der technischen Informationsverarbeitung übertragen wird auf andere bedeutungsgenerierende Welten, "die ursprünglich ganz andere Strukturen oder Kriterien für Information besaßen" (Giesecke). Eine angebotene Datenmenge kann ebenso unendlich wie unverbindlich sein; zur Information verdichtet sie sich aber nur dadurch, daß sie ausgetauscht wird. Wir haben im Kommunikationsprozeß somit Daten auf der einen Seite, die nach bestimmten (syntaktischen) Regeln "technisch" verknüpft werden; und Bedeutungen auf der anderen Seite, wo ebenfalls bestimmte (semantische) Verknüpfungsregeln gelten. In diesem offenen Prozeß verweist Information jeweils auf die je aktualisierte pragmatische Ebene des Gebrauchs. In den Hypermedien, jenseits der exklusiven Herrschaft von Sprache und Schrift, ermöglicht die begehbare Wissensstruktur die beliebige Rekombination von dekontextualisierten Informationselementen. Diese Verfügbarkeit im Gebrauch, und nicht die sogenannte Informationsflut, ist das eigentliche Resultat der neuen Technologien.

    Literatur (Auswahl)

    Bateson, Gregory: Steps to an Ecology of Mind (1972); dt.: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt: Suhrkamp 1981 (STW 571)
    Bauman, Zygmunt: Modernity and Ambivalence (1991); dt.: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit; Hamburg: Junius 1992
    Barlow, John Perry: The Economy of Ideas. A framework for rethinking patents and copyrights in the Digital Age, in: WIRED, March 1994, 84ff; dt.: Wein ohne Flaschen. Globale Computernetze, Ideen-Ökonomie und Urheberrecht, in: Lettre International Heft 26, 1994, 57-63
    Bey, Hakim: Der Informationskrieg, in: LETTRE Heft 29, 1995
    Flusser, Vilèm: Die Revolution der Bilder. Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design; Mannheim: Bollmann 1995
    Giesecke, Michael: Sinnenwandel, Sprachwandel, Kulturwandel. Studien zur Vorgeschichte der Informationsgesellschaft; Frankfurt/M 1992
    Hartmann, Frank: Cyber-Philosophy. Medientheoretische Auslotungen; Wien: Passagen 1996
    McLuhan, Marshall: Understanding Media (1964): The Extensions of Man; London; dt.: Die magischen Kanäle; Düsseldorf 1992
    Rozsak, Theodore: The Cult of Information. A Neo-Luddite Treatise on High-Tech, Artificial Intelligence, and the True Art of Thinking; Berkeley, Los Angeles 1994


     © Frank Hartmann 1998

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