Institut für Philosophie
Über den a priorischen Ursprung der
Sittlichkeit in der Vernunft
Hausarbeit zum Hauptseminar "Die Moralphilosophie Kants"
Leitung : Dr. Schröpfer
Wintersemester 1997/1998
Vorgelegt von:
Carsten König
Griesbarth 59
41179 Mönchengladbach
Jena, den 25. Januar 1998
Inhaltsverzeichnis:
I.: Einleitung
II.: Ausblick der KdrV auf die Moralphilosophie
III.: Das Sittengesetz als Ausdruck der Vernunft
"C’est un grand et beau spectacle de voir l’homme sortir en quelque manière du néant par ses propres efforts; dissiper, par les lumières de sa raison, les ténèbres dans lesquelles la nature l’avait enveloppé; s’élever au-dessus de lui-même; s’élancer par l’esprit jusque dans les régions célestes; parcourir à pas de géant, ainsi que le soleil, la vaste étendue de l’univers; et , ce qui est encore plus grand et plus grand et plus difficile, rentrer en soi pour y étudier l’homme et connaître sa nature, ses devoirs, et sa fin. Toutes ces merveilles se sont renouvelées depuis peu de générations."
Unter dieser berühmten Prämisse Rousseaus, daß wir Menschen mittels Vernunft fähig sind, " mit dem Licht (des) Verstandes die Finsternis (zu erhellen)" , um zu uns selbst zurückzukehren aus der Zerrißenheit der äußerlichen Welt, einfahrend in das Bewußt-
sein unserer Pflichten und unsere Bestimmung achtend, einer Bestimmung, die nichts anderes fordern kann als unsere sich verwirklichende Vernunft - unter dieser Annahme, die in jedem Denken als Ahnung wenigstens mitschwingt, wenn sie sich auch nicht mit jener Klarheit Rousseaus dem Denken entspringt, wollen wir uns folgender Aufgabe unterwerfen: Ein Nachdenken über den Menschen, über seine sittliche Selbstbestim-
mung, angeleitet von kantischen Gedanken ist es vielmehr ein In-Sich-Horschen der Vernunft.
Die vorliegenden, durch die äußere Pflicht einer philosophischen Hausarbeit zu einer beginnenden Systematik kondensierten Gedanken stehen unter der gesetzten Idee, den Begriff der Sittlichkeit rein und apriori aus dem Begriff der Vernunft abzuleiten, dabei geistig geführt von Immanuel Kant, der diesen Weg in seiner Schrift "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" beschritten ist, um danach eine Moralphilosophie abzuleiten;
also vielmehr ihm bloß folgen und uns mit ihm besprechen.
Das übliche Anliegen einer Einleitung, allgemein eine Problemstellung zu formulieren, erscheint bei folgender Arbeit nicht nur überflüssig , sondern auch hinderlich zu sein, denn die Notwendigkeit einer begründeten Sittlichkeit ergibt sich dem denkenden Vernunftswesen Mensch als unmittelbares Bedürfnis, so daß nicht geschaffen, bloß erinnert werden muß. Eine eventuelle Formulierung der Notwendigkeit würde das Ansehen einer äußeren Pflicht erwecken - wohingegen die Rufe nach Wissen aus dem Inneren der Vernunft kommen. Somit müssen wir es bei einer historischen Darstellung belassen, die dazu dient, die Dringlichkeit der Problematik einer begründeten Sittlichkeit aus dem gegenwärtigen Heute zu reißen und sie als den ewigen Trieb zum
Denken, zur Philosophie zu identifizieren.
Seit der Blühtezeit hellenistischen Denkens treibt das Bedürfnis an einer gerechten Gesellschaft das menschliche Denken dahin, nach den Bedingungen einer legitimen Gemeinschaft vernünftiger Wesen zu fragen. Sowie der Begriff der Gemeinschaft ein menschlicher Begriff ist, so beinhaltet er ein institutionalisiertes Gesetzes - und Regelwerk, das in das konkrete Leben mittels Rechten und Pflichten eingreift. Nun hat jedoch die Staatsmacht berechtigterweise Grenzen, sie darf nicht omnipotent das Leben reglementieren. Eine konstruktive Auseinandersetzung von vernunftbegabten Menschen untereinander verlangt eine Selbstregulierung mittels der selbstgesetzten Moral. Ihre Begründung und Verbindlichkeit fest zu fixieren, erwies sich seit dem Zenit griechischen Denkens als schwierig, doch die Idee, daß die Vernunft der entscheidende Fixpunkt im Menschen sei, der damit an einer - vielleicht kosmisch-göttlichen - Weltvernunft partizipiere, begeisterte die Gemüter seit Anaxagoras, einen Bogen über den Stoizismus bis zur Neuzeit schlagend.
In Immanuel Kant fand diese Auffassung einen hervorragenden Vertreter, der kritisch, aber doch die Vernunft bejahend im Stande war, die Idee der Sittlichkeit aus der Idee der Vernunft apriori, rein und vollständig herzuleiten. Von der gesetzlosen Unverbindlichkeit der Empirie enttäuscht wurde die Sittlichkeit fest und unverbrüchlich verankert.
Wie angekündigt liegt dieser Arbeit die Aufgabe zugrunde, mit Kant diese Argumentation nachzuvollziehen, gleichsam in einen inneren Dialog mit ihm einzutre-
ten. Dabei soll bewußt auf interpretierende Sekundärliteratur verzichtet werden, der Blick auf Kant kann und muß sich allein aus der Lektüre seiner Gedanken erschließen. Denn Kant zu lesen, heißt, ihn kantisch zu lesen, unter der Idee "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Wir, die wir versuchen, philosophisch die Welt zu ergründen, d.h. Gründe in sie hineinzutragen, stehen auf den Schultern Kants, nichts kann daher fruchtbarer sein, als uns mit ihn zu besprechen. Mit Stillschweigen soll aber in dieser Einleitung ein "postmodernes" Übel, das den Zugang zur kantischen Gedankenführung erschwert, nicht übergangen werden: Kein Begriff der klassisch-traditionellen Philosophie steht in der sogenannten Postmoderne unter vergleichbarem Beschuß und Ideologieverdacht wie der Begriff der Vernunft. Ja- die Leugnung der Vernunft als kosmisches Prinzip ist nicht bloß ein billiger Scheintriumpf des Materialismus, dessen pragmatischster Tatort jenseits des Atlantiks liegt, sondern konstitutives Merkmal der Postmoderne. Unter solchen Bedingungen ist die einleitende Selbstverteidigung der Vernunft ein leidiges Geschäft, das zu einer polemischen Darstellung auszuufern drohte. Hierzu sah sich der Verfasser, der aus seiner philosophischen Position, die Welt unter der Idee der Vernunft stehend zu interpretieren, keinen Hehl macht, eher genötigt als geneigt. Abschließend seien einige, über Kant hinausführende Bestimmungen der Vernunft erlaubt.
Bestenfalls wird die Idee der Vernunft in der Philosophiehistorie als zur Utopie qua Idee führende Realitätsfremde mißgedeutet. Unzulänglich, aber darüber spricht konsequenterweise niemand, wird die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit auf den Begriff der Empirie reduziert, die Erfahrung als Absolutheit vergöttert."Ich weiß nicht, welcher wissenschaftliche Kauderwelsch, der noch verächtlicher als die Unwissenheit ist, den Namen des Wissens usurpiert hatte und seiner Rückkehr einen schier unbesiegbaren Widerstand leistete." Das wäre auch heute eine passende Zustandsbeschreibung.
Das ausgehende Jahrhundert scheint in dem Bemühen, die Leugnung der Vernunft auch praktisch umsetzen zu wollen, erfolgreich. In einem Magazin der Stadt Leipzig erblickt der erstaunte Leser folgende Passage, die einer Beschreibung eines Popkonzerts entnommen ist:
"Und was gibt es schöneres als die ahnungslos leuchtenden Augen Heranwachsender? Augen voll unschuldiger Reinheit (sic!), noch ungetrübt von unnötigem Nachdenken (sic!!) ?!" Sollen wir sagen: Das Übel der praktischen Unvernunft? Selbst der liberalste Geist, tolerant gegenüber anderen Auffassungen, dürfte ob dieses Sturmlaufs auf das Erbe der Aufklärung auf den Gedanken des Unterganges des Abendlandes kommen. Daß der Mob niemals zu freiem, selbständigem Denken erzogen werden konnte, stellt eine Tragödie und schließlich zu lösende Aufgabe der Weltgeschichte dar; wirklich besorgniserrregend ist die Blaßheit des akademischen Volks. Mit besseren als den mir möglichen Worten ist Hegel sprechen zu lassen, der eine ähnliche Situation beschrieb:
"Jetzt scheint [ ...] der Sinn zu sehr in das irdische festgewurzelt, daß es gleicher Gewalt bedarf, ihn darüber zu erheben. Der Geist zeigt sich so arm , daß er sich , wie in der Sandwüste der Wanderer nach einem einfachen Trunk Wasser, nur nach dem dürftigem Gefühle des göttlichen überhaupt für seine Erquickung zu sehnen scheint."
Hinzuzufügen sei, daß die Menschen sich heute nicht einmal zun Gefühle des Göttlich-Absoluten erheben, sondern im Nebel des Nihilismus verschwinden, um bei pseudo-religiösen Halsabschneidern zu landen, wie ein kaltblütiger Beobachter konstatieren müßte. Trotz aller Gesänge auf die angebliche Widerlegung der philosophischen Idee - nun verlassen wir für einen Moment die kritische Philosophie Kants und kehren ein bei der philosophischen Spekulation Hegels - , daß "die Vernunft [ ...] die Substanz, wie die unendliche Macht, sich selbst der unendliche Stoff alles natürlichen Lebens, wie die unendliche Form, die Betätigung (des) Inhalts der Geschichte ist [ ...] ² , ist die Idee der Vernunft niemals empirisch, denn auf metaphysische Untersuchungen verstehen sich heutige Empiriker nicht, widerlegbar, sondern sie zeigt auf ganzheitlich-kosmische Zusammenhänge, die gleichsam nur zu erdenken sind, worin eine Schwierigkeit begründet sein mag. Die Leugnung der Vernunft bedarf keinen Trost, da in der Vernunft der Grund der Versöhnung liegt, das Außer-Sich-Treten der Vernunft im Prozeß der Selbst-Entfaltung ist das Herausbrechen einer neuen Knospe, keine finale Degeneration, wie einige in der Oberflächlichkeit des Daseins verliebte Zeitgenossen gewohnt sind anzunehmen, sondern ist im System der Offenbarung der Vernunft ein nötiges Durchgangsstadium. Der partielle Selbsthaß der Vernunft wird Anlaß zur Reflexion, das Wissen des Grundes, das Verstehen der Selbstverliebtheit in das mangelhafte Äußere wird und muß die Tradition des Idealismus auf einer neuen, geläuterten und qualitativ höher stehenden Ebene wiederbeleben. Eine Rückbesinnung auf das fundamentale Vertrauen in die Vernunft, dies unterstützt das Bemühen einer verschütteten Philosophie, die sich nicht mit der Beschränkung einer Moralbegründung auf den empirischen Treibsand der Postmoderne zu begnügen gedenkt, nach Klarheit und daraus resultierend Wahrheit.
Daß Kant diese Vernunft, zuvor kritisch in ihren Grenzen und Möglichkeiten
bestimmt, zum verbindlichen Grund der Moral macht, soll folgend gezeigt
werden. Wir wenden uns Kant zu, beschränken uns jedoch nicht auf die
"Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, sondern ziehen auch andere unvergeßliche
Werke zu Rate.
Ausblick der KdrV auf die Moralphilosophie
Im Bemühen, der Metaphysik - ich deute hier bloß das Grundanliegen der Kritik der reinen Vernunft in so weit an, als aus ihr die Idee der Sittlichkeit im systematischen Zusammenhang des Werks Kants aufgezeigt werden kann - den ihr gebührenden Status zurückzugeben, als "Königin der Wissenschaften", allerdings nicht in naiven und naturwüchsigen Ausführungen, bestimmt Kant in seiner 1781 erschienen Kritik der reinen Vernunft die Grenzen und Möglichkeiten der Vernunft. Kant betont, daß sich die Situation der Metaphysik in der Neuzeit durch fehlende Sicherheit, Planmäßigkeit und Streit auszeichne, was durch "die Natur der Vernunft" bedingt sei. Einleitend verweist Kant auf das besondere Schicksal der Vernunft, daß "(...) sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft." So stürzt sie sich in Widersprüche und Dunkelheit, denn sie sieht sich genötigt, Sätze zu behaupten, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten, aber zur gleichen Zeit den Schein der Wahrheit zeigen.
Er habe jedoch die Hoffnung, dieses Trauerspiel werde "wenigstens das Vorspiel einer nahen Umschaffung und Aufklärung." In der Kritik der reinen Vernunft soll diese Aufklärungsarbeit geleistet werden - eine Aufklärung über ihre Möglichkeiten und Grenzen. "Unser Zeitalter ist das eigentlich Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß." Die Vernunft stellt den Gerichtshof dar - vor ihm müssen wir mit unserer Selbsterkenntnis treten, auf daß Ansprüche gerechtfertigt oder abgewiesen werden. Dies ist die Grundintention der Kritik der reinen Vernunft. Nun soll gezeigt werden, daß auch und gerade die Sittlichkeit hier ihren gedanklichen Ausgangspunkt findet. Doch dies sei nicht so verstanden, daß die Sittlichkeit ein anfallendes Randgebiet der Vernunft sei - nein, "(...) die letzte Absicht (...) der Natur bei der Einrichtung unserer Vernunft (sei) eigentlich nur aufs Moralische gestellt." Die Moral, so können wir es zusammenfassen, steht im Zentrum, nicht der Nachfolge der Vernunft.
So stellt er apodiktisch fest, daß "die ganze Zurüstung" der Vernunft nur auf drei Probleme gehe: "die Freiheit des Willen, die Unsterblichkeit und das Dasein Gottes." Es ist von herausragender Bedeutung, daß Kant den Ursprung der Sittlichkeit bereits in den Ausführungen der KdrV skizziert, was eindeutig belegt, daß der Grund der Sittlichkeit in der Vernunft, aber nicht ursächlich im Menschen zu suchen sei. Auf diesen können und müssen die moralische Gesetze angewendet werden , sie entspringen jedoch der reinen Vernunft. Immerhin, und das verschweigt Kant nicht, nimmt das menschliche Gemüt "ein natürliches Interesse an der Moralität." An der wahren Rangfolge. daß allein der Vernunft geschuldet sei, was Anspruch auf Moralität erhebe, läßt Kant keinerlei Zweifel aufkommen. Exemplarisch sei folgende Textstelle erwähnt:
"(...) die letzte Absicht der (...´) Natur (sei) bei der Einrichtung unserer Vernunft (...) eigentlich auf das Moralische gestellt." Daß jene apodiktisch geforderten Prinzipien keine Gespenster einer über alle Massen spekulierenden Vernunft sei, zeigt Kant damit, daß "(...) demnach die Prinzipien der reinen Vernunft in ihrem praktischen, namentlich aber dem moralischen Gebrauche objektive Realität (haben)." Unter der Prämisse der reinen Vernunft sind es Idee, die wir annehmen können, unter der Perspektive des Handels sind es Gesetze, denen wir uns unterwerfen müssen.
Kant schließt die KdrV mit einem Ausblick auf die Begründung der Sittlichkeit:
"Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen:
1. Was kann ich wissen ?
2. Was soll ich tun ?
3. Was darf ich hoffen ?"
Der zweiten Frage widmet sich besonders die Moralphilosophie, allerdings unter ausdrücklicher Berücksichtigung der anderen. Ihr wollen wir uns nun zuwenden.
Das Sittengesetz als Ausdruck der Vernunft:
Es ist keine Analyse eines außerhalb des Subjektes liegenden Objektes, welcher wir uns zuwenden, sondern uns selbst! Unsere folgende Tätigkeit ist die Bestimmung der sich praktisch gebenden Vernunft, deren Prinzipien sie in sich selbst findet, sie für sich bloß wandelt, dabei sich letztlich treu bleibt. Unter dieser Idee stehen gegenwärtige Ausführungen. Wir betreiben durch eine Selbstbeobachtung eine kritische Untersuchung unseres Wesens.
Die Darstellung der kantischen Gedanken, um die Dependenz der Sittlichkeit von der Vernunft aufzuzeigen, ist formal folgender: An dem Sittengesetz wird die Spannung gesetzlicher oder empirischer Begründung des Sittengesetzes, bzw. deren Möglich - und Unmöglichkeit, zweitens die nötigen Bedingungen für Verbindlichkeit an ihm rekonstruiert, so daß am Ende die einzig zu setzende, und von Kant dem Menschen zugeschriebene Eigenschaft der Vernunft steht. Doch diese ist nicht unter begrifflichen Reinraumbedingungen zu isolieren, bei ihrer Beschreibung greifen wir auf sie als Mittel und Fähigkeit zurück, wir bewegen uns im Feld der praktischen Vernunft, so stellt sie nicht nur den Ursprung dar, sondern auch gleichzeitig die Randbedingungen der Entwicklung nach und aus ihrem Ur-Sprung. Die Vernunft lächelt uns beständig zu - und wir lächeln zurück, sie liebend, denn sie sieht uns vernünftig an. Vom Standpunkt eines vernünftigen Wesens wird die Vernunft als Bedingung der Möglichkeit von Sittlichkeit dargelegt, mit besonderer Betonung, daß selbst dem gemeinen Verstande dieses praktische Vermögen seinen Handlungen zugrunde liegt, die Möglichkeit sittlichen Handelns also nicht an die manchmal quälerische Fähigkeit zur metaphysischen Spekulation gebunden wird (wohl aber die Erklärung).Mit einem Worte: Die Vernunft ist die moralische Anlage.
Einige Schwierigkeiten des Verstehens ( und des vorhergegangenen Schreibens) dürfte der nicht zu vermeidende Umstand machen, daß die Begrifflichkeiten während der Gedankenentwicklung bestimmt, also nicht vorweg gestellt werden können, eine Methode, die wegen ihrer fehlenden Geschlossenheit keine Verwendung fand und auch nicht kantischer Intention entspräche.
Da es Aufgabe der vorliegenden Hausarbeit ist, Kants Fixierung der Moral in der Vernunft nachzuvollziehen und das Sittengesetz als ausformuliertes Derivat der Vernunft zu erweisen, erscheint es legitim, das Ergebnis wie einleitend als bekannt zu antizipieren, um dann die Argumentationskette zurückzugehen. Aus gesagtem zeigt sich: Das, was wir in der Verstandeswelt als Vernunftwesen wollen, sollen wir durch Gesetze der Vernunft genötigt, in Form der Imperative, in der Sinnenwelt, deren Wesenheit die die Sittlichkeit bedrohende Struktur der Neigungen ist. Dieses Sittengesetz ist für den "gemeinen" Geist folgend gefaßt: "Kannst Du auch wollen, daß Deine Maxime (einer Handlung, Anm. C.K.) ein allgemeines Gesetz werde?" Oder allgemeiner expliziert in Form des kategorischen Imperativs, der als Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in §7 der "Kritik der praktischen Vernunft" festgelegt wird und das Sittengesetz folgend beschreibt: "Handle so, daß die Maxime Deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Wir entdecken also, daß Kant ausdrücklich die Sittlichkeit einer Handlung nicht an den durch die Handlung zu erreichen beabsichtigten Zweck bindet, da Zwecke subjektiv willkürlich sind, ihnen niemals gesetzbefolgende Verbindlichkeit zu gedacht werden könne, da "die Menschen aus so krummen Holze, daß da niemals etwas grades herauskommen (könne)" geschnitzt seien.
Wir werfen die Vernunft nun in das Schlachfeld der Welt, auf daß sie sich zu Begriffen der Vernunft ausdifferenziert, denn es ist ihr Schicksal sich zu äußern.
Das Potential der Vernunftmöglichkeit an sich, die Sittengesetzlichkeit aus sich für sich zu schöpfen, kristallisiert sich im Prozeß des Handelns aus Achtung für das Sittengesetz gleichzeitig zur Vernunftwirklichkeit des Sittengesetzes für sich aus; die Randbedingung des Reiches der Sinne ist die von Neigungen getriebene, unbestimmte Tätigkeit - das vernünftige Handeln beweist weitergehend die Möglichkeit und Pflicht des synthetischen Eingriffs, der Herrschaft der Vernunft in jener mangelhaften Sinnlichkeit. In dieser Abwertung der Empirie durch die hierarchische Unterwerfung unter die gesetzgebende Vernunft liegt die metaphysische Strahlkraft des Sittengesetzes, der Vernunft; wobei ersteres als Äußerung der letzteren gedacht wird - hier über Kant hinausweisend, doch bei ihm embryonal angedeutet und bloß konsequent aus seinen Prämissen fortgedacht. Wir werden im Verlaufe der Abhandlung auf die Spannung Empirie-Idealität als eine der Rahmenfragen zurückkommen, nicht bloß inhaltlich gezwungen, sondern auch substantiell interessiert, und jene Spannung zugunsten der Idealität lösen. Es ist zwar evident, daß die Vernunft ihre dignitas nicht aus der überlegenen Konfrontation mit der mangelhaften und triebabhängigen Empirie bezieht, sondern sie aus sich selbst setzt, doch letzte Einwände empirischer Natur sollen eindeutig widerlegt werden.
Ich werde nun folgend vorgehen: An dem Sittengesetz werden unter der Frage seiner Auffindung Begriffe wie Idee, Wille und Gesetz gesetzt; Vernunftbegriffe, die notwendig mit dem Begriff der Sittlichkeit zusammenhängen. Über deren Äußerung aus dem Begriff der Vernunft zeigt sich die Abhängigkeit des Sittengesetzes von der Vernunft. Im Verlaufe der Diskussion sollen aus dem Begriff der Vernunft die Begriffe der Sittlichkeit, des Willens und des Gesetzes relativ zueinander in Darstellung des Vernunftprozeßes entwickelt werden, mit der Absicht, daß ihre finale Synthese miteinander das Sittengesetz in concreto darstellt, nachschließend auf das vorangestellte Sittengesetz und den Kreis vollendend. Es ist die Vernunft, um die alles kreist: Wille, Gesetz, Sittlichkeit und das Subjekt, letzteres versucht mit dieser Arbeit, der Vernunft durch das Verstehen seinen Respekt zu erweisen.
Die Geburtsstätte des Sittengesetzes, die Vernunft, strahlt "klar
wie die Gestirne in tiefschwarzer Nacht" gerade in dem Spannungsfeld von
empirischer oder ideeller Begründung, daher soll auch diese Frage
die gesamte Arbeit begleiten.
Die Sittlichkeit als Äußerung der Vernunft wird mit folgendem Resultat dargestellt und entwickelt: Die allgemein gedachte Sittlichkeit, in concreto: die Sittlichkeit des Handels expliziert sich in einer Maxime des Handelns aus reiner Achtung für eine gedachte mögliche allgemeine Gesetzgebung, an die das handelnde Subjekt durch seine Vernunft und durch die seiner Handlung zugrunde liegenden Maxime als Anteilnehmend gedacht wird, so daß die Gesetzgebung als nichts ihm fremdes verstanden wird, sondern ihm entspringt. Diese formale Wollensstruktur der Sittlichkeit, deren Kriterium dementsprechend nicht im Erfolge oder Zwecke des Handelns , sondern vielmehr in der Beschaffenheit der Gesinnung, des Willens selbst lebt, wird unter dem Begriff der Pflicht - als Selbst-Verpflichtung der Vernunft gesetzt - in das konkrete Handeln transformiert. Es wird sich zeigen, daß "diese Pflicht als Pflicht überhaupt, vor aller Erfahrung (denn wir bewegen uns im Feld des Geistes, im Reich der Verstandeswelt, Anm. C.K.) in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft liegt", womit wir mit Kant den obersten Punkt der Begründung der Sittlichkeit gefunden hätten, um ihn nun näher über die Begriffe Idee und Willen zu entfalten und in seiner absoluten Verbindlichkeit intensiver zu betrachten. Und es erweist sich, daß "(die Vernunft nicht nur) edel gnug sei, sich eine so achtenswerte Idee zu ihrer Vorschrift zu machen,(sondern auch) um sie zu befolgen." Wir wiederholen die Aussage, daß die Vernunft nicht nur die moralische Anlage ist, sondern auch die Nötigung, jene zu verwirklichen. Warum treibt die Vernunft zur Sittlichkeit? Eine kurze Andeutung einer Antwort läßt sich so umschreiben: So wie sie für sich ist( was wir nicht wissen können) so muß sie sich äußern ( was wir wohl erwarten dürfen), ihre Strukturen offenbaren, für den Menschen nicht als Wissen, sondern als Verpflichtung der Vernunft. Vernunft und Sittlichkeit können deshalb als zwei Momente ein und desselben Dings an sich betrachtet werden.
Zunächst aus der Idee der Sittlichkei den Begriff des Willens zu entwickeln, ist eine Übereinkunft, wir könnten auch mit dem Gesetz beginnen.
Der als sittlich-gut verstandene Wille ist nun derjenige von der reinen praktischen Vernunft gelenkte Wille, dessen Ausfluß die sittlichen Wollensakte sind. Rückgebunden ist der Wille durch die Pflicht an die Vernunft. Durch die notwendige Verknüpfung der Sittlichkeit an einem Willen als Träger wird eine conditio sine qua non geschöpft: Der Wille, denn Sittlichkeit muß gedacht werden als Möglichkeit und potentiell Tätigkeit eines Willens aus und an sich. Ein abstraktes, keinem Subjekt zugedachtes Prädikat der Sittlichkeit ist im besten Sinne des Wortes undenkbar, auch wenn das Subjekt zunächst bloß als Vernunftwesen beschrieben und damit nicht auf den Menschen reduziert wird. Dieses gleichzeitige Denken von Sittlichkeit und Willen verweist auf eine fundamental wichtige Parallele, wir wollen sie unter der Aufgabe des besseren Verständnisses erwähnen; Kant entwickelte in seiner "Kritik der reinen Vernunft" folgenden Gedanken: Vor dem Prozeß des Erkennens äußerer Gegenstände wird sich das erkennende Subjekt zum Objekt der Erkenntnis, entfaltet zwei Momente, um aus sich treten zu können. Angelegt ist diese Struktur in dem, was Kant die "ursprünglich-synthetische Apperzeption" nannte: Jede Vorstellung und Erkenntnis basiert auf dem vorhergehenden Bewußtsein, daß ich es bin, der die "Glut der Sonne" feststellt.
In analoger Weise wird zu dem Begriff der Sittlichkeit ein ursprünglicher Träger, von allen materialen Prädikaten befreiter Wille gedacht, der allein Träger der Sittlichkeit sein kann, in und durch welchen sich die Sittlichkeit explizieren kann. Als Anmerkung sei jedoch erwähnt, daß für Kant der Begriff des Willens ein Begriff menschlicher Erfahrung ist und somit einem höchsten Wesen, Gott, als Eigenschaft nicht beigelegt werden kann. Der freie Wille ist wie die Unsterblichkeit und die Existenz Gottes in der "Kritik der reinen Vernunft" als spekulative Idee der theoretischen Vernunft limitiert und daraus legitimiert worden, "denn wir können sie denken, aber nicht erklären".
Um die Bedeutung für das Sittengesetz zu unterstreichen sei gesagt: Der Wille ist ein Kind der sich äußernden Vernunft. Mit Eintritt der Vernunft in natürlich-materielle Verhältnisse kristallisiert sich die Vernunft in einem zwitterhaften Vernunft-Trieb-Wesen, dem Menschen, als potentiell guter Willen aus, der dem Gesetz der Sittlichkeit um der Gesetzlichkeit willen folgt. Ein guter Wille ist das beste denkbare Kind, es widerspricht seinen Eltern niemals, sondern ehrt sie wie es die Gesetzestafel fordert. Doch dies ist bloß eine Idee, da im Begriff des Willens der Begriff der Neigungen enthalten ist, die zur Sünde drängende Schlange, deren absolute Überwindung bloß ideell gefordert wird.
Wir wenden uns wieder der "Grundlegung zu einer Metaphysik der Sitten"
zu:
Bereits in der Vorrede zur "Grundlegung der Metaphysik der Sitten" expliziert Immanuel Kant in komprimierter Form das fundamentale Ergebnis seiner Untersuchung: "Denn bei dem ,was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, daß es dem sittlichen Gesetze gemäß sei, sondern es muß auch um desselben willen geschehen"- eine Vorformulierung des kategorischen Imperativs. Die folgenden Abschnitte können als Hinführung aus geänderter Perspektive zu dem bereits angekündigtem Resultat verstanden werden können. Durch den von ihm festgelegten Begriff "sittliche Weltweisheit" ergibt sich die Aufgabe, die er zu erläutern sich gleich anschickt; nämlich eine "reine Moralphilosophie (zu formulieren ), die von allem, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört, völlig gesäubert wäre; denn , daß es eine solche geben müsse, leuchtet von selbst der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze ein." Empirische Gründe, das liegt seiner Idee einer "reine(n) Moralphilosophie" zugrunde, können die Bezogenheit einer Handlung auf die gesetzmäßige Maxime nicht aufweisen.
Mit Genuße erfreuen wir uns an der vorstehenden kantischen Formulierung, dabei wissend, daß fundamentale Bedeutungszusammenhänge, die der Nicht-Dependenz der Sittlichkeit von empirischen Erscheinungen, angesprochen sind. Wir betrachten zunächst als eine dieser Formulierung entsprungenen Aufgabe den Begriff der Idee, der auf Vernunftstrukturen, die wir ergründen wollen, weist. In der "Kritik der reinen Vernunft" spricht Kant davon, daß "(er) unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff (verstehe), dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann", was notwendig bedeutet , daß die Idee zu den Erkenntnisquellen a priori gehöre, im Prozeß des Erkennens allerdings rein regulativen Charakter besitze. Zwar gehe auch die Idee vom Empirischen aus, ohne ihm entsprungen zu sein, weil die Vernunft zu den Idee gelange, "indem sie von dem Felde der Erfahrung anhebt", ohne allerdings in ihm zu verharren.
Die Begriffe der reinen Verstandeserkenntnis - diesen Begriff erwähnen wir, um den Vernunftbegriff abzugrenzen - lassen sich in der Erfahrung geben, ihre Grundsätze sich folglich bestätigen, "dagegen die transzendenten Vernunfterkenntnisse sich weder, was ihre Ideen betrifft, in der Erfahrung geben noch ihre Sätze jemals durch Erfahrung bestätigen noch widerlegen lassen ( Hervorhebung von mir, C.K.)."
Durch die strenge Abgrenzung der Idee von der sinnlichen Empirie bereitet Kant bereits im embryonalen Zustand die These der Zwei-Welten vor, deren Hierarchie eindeutig durch die Vernunft bestimmt ist, in der wir uns als zwitterhaftes Verstandes-Geist - und Körper-Trieb-Wesen bewegen. Der zuletzt zitierte Satz wird in der Herausarbeitung der Trennung der Empirie von der Ideenwelt im Verlaufe dieser Arbeit weitere Erwähnung finden, nicht ohne zu betonen, daß diese Idee in verschiedensten Varianten expliziert wurde und Kant sie durchgehend wiederholt. Aus einer anderen Perspektive formulierte Kant es folgend: "Ein Begriff aus Notionen ( der reine Begriff, sofern er lediglich im Verstand seinen Ursprung habe, heißt bei Kant Notio, Anm. C.K.), der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die Idee oder der Vernunftbegriff." Die substantielle Gleichsetzung der Idee mit dem Vernunftbegriff ist also unbstreitbar, wobei erstere als Explikation der letzeren verstanden werden kann, sie wie ein Planet die Sonne umkreisend.
Wir kehren aus dieser Differenzierung der möglichen Begründung und Bestimmmung von Idee und Willen zurück zu einer Betrachtung der Klassifizierung der Moralphilosophie:
Mit der Trennung von reiner Moralphilosophie und empirischer Anthropologie, einer Trennung, die vorstehend aus dem Begriff der Idee legitimiert wurde, setzt Kant die kritische, aber hier nicht transzendentale Methode fort, denn "obzwar die obersten Grundsätze der Moralität (die Kant untersucht, Anm. C.K.), und die Grundbegriffe derselben, Erkenntnisse a priori sind, so gehören sie doch nicht in die Transzendental-Philosophie,weil sie die Begriffe der Lust und Unlust, der Begierden und Neigungen etc. die insgesamt empirischen Ursprungs sind, zwar selbst nicht zum Grunde ihrer Vorschriften legen, aber doch im Begriff der Pflicht, als Hindernis, das überwunden, oder als Anreiz, der nicht zum Bewegungsgrunde gemacht werden soll, notwendig in die Abfassung des Systems der reinen Sittlichkeit mit hineinziehen müssen. Daher ist die Transzendental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen bloß spekulativen Vernunft."
Bevor der Mensch an die seinem Wesen entsprungene Aufgabe gehen kann und darf, praktisches Handeln deskriptiv zu bestimmen, ist unabdingbar, normativ in einer vorhergehenden Prüfung die Bedingung der Möglichkeit, die Verbindlichkeit und die Würde sittlichen Handeln a priori zu untersuchen, woraus für jedes beliebige vernünftige Wesen , solange es bloß unter der Idee der Vernunft steht, Notwendigkeit der Befolgung entspringen muß. Die Verbindlichkeit wird durch die Wesenheit der Vernunft als Folge einer möglichen vom vernünftigen Subjekt getragenen Gesetzmäßigkeit geknüpft ist - mithin die unter Kombination mit der empirischen Anthropologie, d.i. die Bestimmung der spezifisch menschlichen Bedingungen, schließlich resultierende Tugendlehre bloß eine synthetisch-aposteriorische Anwendung der gefundenen Ergebnisse auf den menschlichen Spezialfall darstellt. Die Formulierung eines Derivats menschlicher Moral kommt frühestens an dritter Stelle.
Von abstrakten Überlegungen kommen wir nun zu einer Anwendung desselben Prinzips: "Gegenwärtige Untersuchung (der Metaphysik der Sitten) ist aber nichts mehr , als die Aufsuchung und Festsetzung des obersten Prinzips der Moralität, welche allein ein, in seiner Absicht, ganzes und von aller anderen sittlichen Untersuchung abzusonderndes Geschäft ausmacht."
Vorwegnehmend legte diese Arbeit das oberste Prinzip der Moralität bereits anfänglich dar, die Aufsuchung somit beendet wäre, was eingedenk des Umstandes, daß "(die Sittlichkeit) selbst beim gemeinen Verstande, leicht zu großer Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht werden kann," so daß "(...) nur, wie Sokrates tat, auf ihr eigenes Prinzip aufmerksam macht(...)" offensichlich einfach ist, um mit größerer Intensivität die Festsetzung der Prinzips im Spannungsfeld der Frage Empirie/Idealität zu betreiben! Womit die Verbindlichkeit umso fester begründet werden soll. "Jedermann muß eingestehen, daß ein Gesetz (...) absolute Notwendigkeit bei sich führen müsse, daß das Gesetz, du sollst nicht lügen, nicht bloß für Menschen gelte, andere vernünftige Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten."
Es ist evident, daß Immanuel Kant mit der projektierten Begründung einer Vernunftsittlichkeit in einem allgemeingültigen Gesetz den für ihn einzig denkbaren Grundstein einer menschlichen Sittlichkeit legt, eingedenk der Bedeutung des Begriffs Gesetz, der als Vernunftbegriff und Vernunftderivat Bezug auf jede, ihn ausdrückende Vernunft haben muß und so als Kausalurteil denknotwendigerweise mit dieser verbunden ist, auf die Verbindlichkeit für den Menschen durch die Universalität der Vernunft weisend. So ist es erlaubt für Kant, "(den) Grund der Verbindlichkeit hier nicht in der Natur des Menschen, oder den Umständen in der Welt, darin er gesetzt ist, (zu suchen), sondern a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft, und daß jede andere Vorschrift, die sich auf Prinzipien der bloßen Erfahrung gründet, und sogar eine in gewissen Betracht allgemeine Vorschrift, so fern sie sich dem mindesten Teile, vielleicht nur einem Bewegungsgrunde nach, auf empirische Gründe stützt, zwar eine praktische Regel, niemals aber ein moralisches Gesetz heißen kann." Der Halbsatz, "(...) daß der Grund der Verbindlichkeit (...) a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft (gesucht werden muß)", bedarf einer genaueren Betrachtung, da hier genetisch die der Schrift zugrunde liegende Idee angelegt und die Geltungsfrage vorbereitet wird.
Es wird durch die reine Vernunft, durch ihre Eigenschaft als Gesetzgeberin und gleichzeitig Richterin, aus ihrem Begriff die Verbindlichkeit gezogen, da Vernunft Abhängigkeit von etwas einsehbarem, die eigene Vernunft bedeutet. Sittlichkeit, als Tochter der Vernunft, erhält aus diesem Selbstbezug ihre Würde, Verbindlichkeit und Legitimation, d.h. die Sittlichkeit entspringt nicht der Idee der "menschlichen Natur, (oder) der Vollkommenheit, (oder) Glückseligkeit, (oder) moralische(n) Gefühlen (oder) Gottesfurcht", wie Kant im "Übergang zur Metaphysik der Sitten" erläutert, sondern lediglich der Vernunft; jene ist als Sittengesetz ein "Faktum der Vernunft", so können wir es benennen, "weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewußtsein der Freiheit, herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdrängt als syntethischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen Anschauung gegründet ist (...)" . Als Einschub in die Argumentations-
kette sei eine generelle Aufklärung der Bedeutung der Gesetze erlaubt,
um auf diese Ergebnisse bei der Konfrontation von Gesetzlichkeit und Empirie,
unter der Frage der Festsetzung der Gültigkeit der Sittlichkeit, zurückgreifen
zu können. Generell bestimmt sind Gesetze objektive Regularien, einheitlich
allgemeine Verknüpfungen, wobei es objektive Naturgesetze gibt, die
in einer Moralphilosophie keinerlei Beachtung finden, da sie nur von dem
handeln, was geschieht, und praktische oder objektive Gesetze der Freiheit,
welche beschreiben, was geschehen soll. Diese Gesetze gibt sich die Vernunft
in praktischer Absicht, schöpft sie aus sich in praktischer Freiheit.
Zu unterscheiden sind die moralischen Gesetze, deren oberste Begründung
wir uns anschicken festzusetzen, und andererseits die "technisch-praktischen"
Gesetze, die wie vernachlässigen. Der Begriff des "Gesetzes" muß
gedacht werden in Verbindung mit Notwendigkeit und Kausalität, bei
den praktischen Gesetzen ist die praktische Vernunft der zwingende Grund.
Der Begriff des Gesetzes ist also unabdingbar mit Begriffen der reinen
Vernunft verbunden. Er ist die Struktur der sich äußernden Vernunft.
"Nun ist es ein wesentliches Prinzip alles Gebrauchs unserer Vernunft,
ihr Erkenntnis bis zum Bewußtsein ihrer Notwendigkeit zu treiben",
d.h. die datiis der Wahrnehmung zu Gesetzen zu erweitern
"Nur ein vernünftiges Wesen hat" - gemäß Kants Argumentation - " das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Prinzipien zu handeln, oder einen Willen."
Die Vernunft, wenn sie sich in einem natürlichen Wesen auskristallisiert, ist notwendig mit einem Willen verbunden, der dem Triebe der Sinnlichkeiten entgegengesetzt das Vermögen der Vernunft darstellt, sich gegen letztere zu behaupten. Der Mensch ist unter der Idee der Vernunft verstanden als ein zur Moral begabtes Wesen, das daraus abgeleitet frei sein muß, aber ebendarum auch wieder ein sich selbst durch seine Vernunft an "unbedingte Gesetze", an den kategorischen Imperativ bindendes Wesen, sofern er seine Bestimmung zu erfüllen bestrebt ist. Dieser Selbstbezug der Vernunft, resultierend in einer kategorischen Selbstverpflichtung ihrer selbst, das An-und-für-sich- Sein im noumenalen Status des Dings an sich, stellt eine absolute In-Sich-Abgeschlossenheit dar, Autonomie des Subjekts setzend, doch eine Metaerklärung versagt, wir können es lediglich denkend mit Kant beschreiben: Das "Vermögen der Vernunft, durch die bloße Idee eines Gesetzes über alle entgegenstrebenden Triebfedern Meister zu werden," ist "schlechterdings unerklärlich" ,es bleibt ein "Faktum der Vernunft".
Kant setzt fort: Wie es möglich sei, "daß die bloße Idee einer Gesetzmäßigkeit überhaupt eine mächtigere Triebfeder für dasselbe sein könne als alle nur erdenklichen, die von Vorteilen hergenommen werden, das kann weder durch Vernunft eingesehen noch durch Beispiele hergenommen werden, weil, was das erste betrifft, das Gesetz unbedingt gebietet, und das zweite anlangend, wenn es auch nie einen Menschen gegeben hätte, der diesem Gesetz unbedingtem Gehorsam geleistet hätte, die objektive Notwendigkeit, ein solcher zu sein, unvermindert und für sich selbst einleuchtet." Nachdem ich versucht habe, Vernunftbegriffe in Bezug auf das Sittengesetz zu entwickeln, erweist sich der letzte Grund der Verbindlichkeit in einem unergründlichen Zwang der Vernunft. Sie ist es , die die Verbindlichkeit festsetzt.
Wir nähern uns dem Schluß, die Bedeutungskraft der sich durch ihre Gesetzlichkeit äußernden Vernunft in Bezug auf Sittlichkeit ist immens.- Jetzt wird der trockene Beginn durch eine lebendige Anwendung der gefundenen Begriffe entschuldigt. Geben wir der Empirie als Begründungsrahmen den Todesstoß:
Dem Verhältnis von Gesetz und Empirie als Begründungsrahmen der Sittlichkeit entspricht analog das Verhältnis einer Handlung aus Pflicht und einer pflichtgemäßen Handlung; ja, letzteres kann als Ableitung des ersten verstanden werden.
Eine zweiteilige Gruppierung würde folgend aussehen: Die Verbindung von Gesetz und Pflicht, sich aufeinander in ihrer Semantik beziehend (denn Gesetz impliziert Pflicht ebenso wie Pflicht Bezug auf eine notwendig-gesetzliche Handlung haben muß), steht konträr zur Gruppierung von Empirie und Pflichtgemäßheit, womit lediglich eine äußere
sinnliche Ähnlichkeit expliziert wird, also den Schein und nicht das Sein betreffend. Diese substantielle Charakterisierung verweist auf eine Parallele bezüglich der kantischen Erkenntnistheorie, deren Erwähnung und Erinnerung der Empirie ihre Schranken deutlich machen wird: "Wo dagegen strenge Allgemeinheit zu einem Urteile wesentlich gehört, da zeigt diese auf einen besonderen Erkenntnisquell derselben, nämlich ein Vermögen des Erkenntnisses a priori. Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori." Eine Erkenntnis a posteriori wird folgerichtig mit empirischer Beschränktheit und Zufälligkeit verknüpft. Unter dieser substantiellen Zuordnung lassen sich auch die Verhältnisse Gesetz/Pflicht und Empirie/Pflichtgemäßheit beschreiben. Das Gesetz und die Pflicht sind Begriffe a priori, sie verweisen dadurch abermals auf ihren Vernunftursprung und beweisen die Aufrichtigkeit unseres Interesses für sie.
In der Moralphilosophie kann man auf zweitem Wege auf dieses Problem stoßen, wenn wir Kant folgen: Es gäbe Klage, "(...) daß man von der Gesinnung, aus reiner Pflicht zu handeln, so gar keine sichere Beispiele anführen könne, daß , wenn gleich manches dem, was Pflicht gebietet, geschehen mag, dennoch es immer noch zweifelhaft sei, ob es eigentlich aus Pflicht geschehe (...)" Er räumt gewiß auch ein, daß "es in der Tat schlechterdings unmöglich (sei), durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtgemäßen Handlung ledigleich (...) auf der Vorstellung seiner Pflicht beruhet habe." Mit empirischen Mittel des Wahrnehmens, darauf läuft die Argumentation hinaus, ist nicht in die Welt des Verstandes einzudringen, wo es auf Gründe ankommt, die gleichsam nur zu erdenken sind. Komprimiert stellt er seine Abwehr der empirischen Begründung so dar, daß man den Zweiflern "keinen gewünschteren Dienst tun (könne), als ihnen einzuräumen, daß die Begriffe der Pflicht (...) lediglich aus der Erfahrung gezogen werden müßten (...)"
Mit dieser Zurückweisung bereitet er seine Alternative vor, um die Idee der Sittlichkeit aus dem Treibsand der Empirie entrißen felsenfest zu verankern, nämlich verbunden mit ideeller Gesetzlichkeit, gegen die die oberflächliche und bedeutungslose Empirie keine Durchsetzungskraft habe:
"Und hier kann uns nun nichts für den gänzlichen Abfall von unseren Ideen der Pflicht bewahren und gegründete Achtung gegen ihr Gesetz in der Seele erhalten, als die klare Überzeugung, daß, wenn es auch niemals Handlungen gegeben habe, die aus solchen reinen Quellen entsprungen wären, dennoch hier auch davon nicht die Rede sei, ob dies oder jenes geschehe, sondern die Vernunft für sich selbst und unabhängig von allen Erscheinungen gebiete, was geschehen soll, mithein Handlungen, von denen die Welt vielleicht bisher noch gar kein Beispiel gegeben hat, an deren Tunlichkeit sogar der, so alles auf Erfahrung gründet, sehr zweifeln möchte, dennoch durch Vernunft unnachlaßlich geboten sei, und daß z.B. reine Redlichkeit in der Freundschaft um nichts weniger von jedem Menschen gefordert werden könne, wenn es gleich bis jetzt gar keinen redlichen Freund gegeben haben möchte, weil diese Pflicht als Pflicht überhaupt, vor aller Erfahrung, in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft liegt." Wir können alle kleingeistigen Einwände gegen die Sittlichkeit, die sich auf die noch nie erfüllten Verwirklichung beziehen, vergessen; das Feld der Empirie ist zwar weit, aber weder begründend noch widerlegend. Es ist die Vernunft, die den Tatort der Sittlichkeit darstellt, sie ist Gesetzgeberin, Beobachterin und Hüterin jener Idee, deren dignitas durch sinnlich-stumpfe Einwände der Emipie prinzipiell unerreichbar ist, ohne damit eine Unerreichbarkeit des Wollens zu implizieren, denn hier hat die Vernunft Heimrecht, sie gebietet uns das ewige Streben.
Eine empirische Beurteilung kommt hingegen nicht über die Feststellung hinaus, daß eine bestimmte Handlung anscheinend pflichtgemäß oder nicht sei, da sie qua Empirie in ihrer Bestimmungsspanne auf empirische Gesichtspunkte reduziert bleibt, niemals die Maxime einer Handlung erreicht, worauf es bei der Bestimmung der Sittlichkeit gerade ankommt, wir verweisen auf den Beginn. Wir können nicht auf empirische Bezüge zurückgreifen, da die Empirie deskriptiv bleibt, sie keinerlei Gründe, Notwendigkeiten und Kausalitäten zu beschreiben fähig ist, die nur zu erdenken sind. Hier bleibt alles auf Sand gebaut. Seit Kant ist eine empirische Begründung von Moral gleichbedeutend mit Nihilismus, zu offensichtlich für die verständige Vernunft ist einer unverbindlichen Begründung von Sittlichkeit ihre Unzulässigkeit bewiesen worden. Eine empirisch begründete Sittlichkeit stellt vielmehr eine verbotene contradictio in adjecto dar. Den Sinn komprimierend ist die Losung der aufgeklärten, verbindlichen Philosophie folgende: Gegen das Recht der Idee der Sittlichkeit hat die Welt keine Gewalt.
An einigen ausgewählten Textstellen Kants soll abschließend die Leichtigkeit demostriert werden, mit der Kant die sittlichen Begriffe erläutert, nachdem die Geburtsstätte in der Vernunft gefunden ist: " Aus dem Angeführten erhellt: daß alle sittliche Begriffe völlig a priori in der Vernunft ihren Sitz und Ursprung haben, und dieses zwar in der gemeinsten Menschenvernunft eben sowohl, als der in höchsten Maße spekulativen; daß sie von keinen empirischen und darum bloß zufälligem Erkenntnisse abstrahiert werden könne; daß in dieser Reinigkeit ihres Ursprungs eben ihre Würde liege, um uns zu obersten praktischen Prinzipien zu dienen; daß man jedesmal so viel, als man Empirisches hinzu tut, so viel auch ihrem echten Einflusse und dem uneingeschränkten Werte der Handlung entziehe (...)"
Wunderbare Einblicke erschließen sich dem denkenden Menschen mit dieser komprimierten Darstellung, diese Worte wiegen dutzende von Bänden moralischen Kauderwelschs auf. Nicht verschweigt Kant abschließend den von ihm zwar nicht entdeckten, doch in seiner Würde erwiesenen archimedischen Punkt: "(Die) moralischen Gesetze (sollen) für jedes vernünftige Wesen überhautp gelten (...), sie (sind) schon aus dem allgemeinen Begriffe eines vernünftigen Wesens abzuleiten, und auf solche Weise alle Moral, die zu ihrer Anwendung auf Menschen der Anthropologie bedarf, zuerst unabhängig von dieser als reine Philosophie, d.i. als Metaphysik, volllständig vorzutragen (...) (weil) es so gar im bloßen gemeinen und praktischen Gebrauche, vornehmlich der moralischen Unterweisung, unmöglich sei, die Sitten auf ihre echten Prinzipien (zu) gründen (...)"
Daß reine und vollständige Philosophie bloß im Rahmen einer Metaphysik ihr Feld finden kann, unterstreicht Kant u.a. in der Schrift Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft: Er schreibt, daß "alle wahre Metaphysik (...) aus dem Wesen des Denkungsvermögen selbst genommen (sei), und keineswegs erdichtet darum erdichtet, weil sie nicht von der Erfahrung entlehnt ist, sondern enthält die reinen Handlungen des Denkens, mithein Begriffe und Grundsätze a priori, welche das Mannigfaltige empirischer Vorstellungen allererst in die gesetzmäßige verbindung bringt, dadurch es empirische Erkenntnis, d.i. Erfahrung, werden kann."
Über den Zwischenschritt der kritischen Metaphysik wird die Sittlichkeit und Moral als Begriff an die Vernunft gebunden. Dadurch wird die inhaltliche und systematische Zwangsläufigkeit der Philosophie Kants geschlossen. Die Moral ist kein Zufallsprodukt des menschlichen Verstandes, sondern notwendige Entfaltung der Vernunft.
Die Vernunft hat den Sitz der Sittlichkeit, ihren Moralbegriff in sich begriffen, hat den Ingriff in sich vollzogen und bewundert den letztlich nicht erklärbaren Grund der praktisch unbedingten Notwendigkeit.
"Und so begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des moralischen Imperativs, wir begreiefn aber doch seine Unbegreiflichkeit, welches alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, gefordert werden kann."
Der letzte Grund bleibt der menschlichen Vernunft nicht erschließbar, wir verharren in stiller Bewunderung für denkbaren, aber nicht erklärbaren alleswissenden Schöpfer.
Wir sind in Ruhe, Versöhnung und Frieden, alles ist Gut.
Kant, Immanuel; Werke; 10 Bde; Darmstadt 1983
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich; Vorlesung über die Philosophie der
Weltgeschichte; Bd. 1; 6. Auflage; Hamburg 1994
Hegel; Georg Wilhelm Friedrich; Phänomenologie des Geistes;
Hamburg 1994
Rousseau, Jean Jacques; Schriften; 2 Bde; Frankfurt am
Main; 1988