Harald Wasser

 

Sinn - Erfahrung - Subjektivität

Eine Untersuchung zur Evolution von Semantiken in der Systemtheorie, der Psychoanalyse und dem Szientismus

 

 

 

Inhalt

Vorwort

Einleitung Vorarbeiten zu einer systemtheoretischen Philosophie

Kapitel 1 Untersuchungen zum Stellenwert und der Bedeutung der Begriffe Sinn, Erfahrung, Subjektivität in der Systemtheorie

1.1 Der systemtheoretische Sinnbegriff

1.1.2 Sinn, Erleben und Kommunikation

1.2 Der systemtheoretische Begriff der Erfahrung

1.2.2 Beobachtung und Sinn

1.2.2.2 Unterscheiden und sinnliches Wahrnehmen

1.2.2.3 Sinn, Realität, Erfahrung und Latenz

1.2.3 Autopoietische Systeme und Erfahrung

1.2.3.2 Geschlossenheit, Offenheit und Wahrheit

1.2.3.3 Selbstreferentialität, Logik und Erfahrung: Zur Theorie strukturfunktionaler Latenzen und Paradoxien

1.2.3.4 Autopoiesis: Stabilität durch Verfall

1.3 Autopoiesis des Bewußtseins und Subjektivität

1.3.2 Kann die Systemtheorie Selbstbewußtsein als Subjektivität beschreiben?

1.3.3 Das Prozeßmodell des Selbstbewußtseins

1.3.4 Sprache und Selbstbewußtsein

Kapitel 2 Untersuchungen zum Stellenwert und der Bedeutung der Begriffe Sinn, Erfahrung, Subjektivität in der Psychoanalyse

2.1 Der Stellenwert des Sinnbegriffs in der Psychoanalyse

2.1.2 Freuds frühe Konzeption des Konstanzprinzips (1895-1920)

2.1.2.1 Novellenstil kontra Naturwissenschaften

2.1.2.2 Ein physikalisch-psychologisches Wechselspiel

2.1.3 Freuds späte Konzeption des Konstanzprinzips ab 1920

2.2 Der Zusammenhang von Sinn und Erfahrung in der psychoanalytischen Theorie

2.2.1 Vorbemerkung

2.2.2 Renaissance und Revision Freuds zweite Metapsychologie von 1920 bis 1939

2.2.2.1 Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden

2.2.2.2 Sinn und Intentionalität

2.2.3 Zur Codierung psychischer Systeme

2.2.3.1 Sind psychische Systeme codiert?

2.2.3.2 Zur Codierung der Subsysteme Ich, Über-Ich und Es

2.2.3.3 Systemtheoretische Konsequenzen einer Untersuchung der Codierung psychischer Systeme

2.2.4 Psychoanalytische Gegenstandsbildung und Systemtheorie

2.2.4.1 Die Bedeutung von Sinn und Erleben innerhalb der psychoanalytischen Gegenstandsbildung

2.2.4.2 Erfahrung und Verstehen

2.2.4.3 Erfahrungen des psychischen Systems als strukturelle Niederschläge von Erlebnissen

2.2.5 Ist die Psychoanalyse eine Theorie autopoietischer Systeme?

2.2.5.1 Zum Begriff des Systems in der Psychoanalyse

2.2.5.2 Zur psychoanalytischen Theorie der Geschlossenheit psychischer Systeme

2.2.5.3 Psychoanalyse und Selbstreferentialität

2.2.5.4 Geschlossenheit, Selbstreferentialität und Autopoiesis in der Psychoanalyse

2.3 Psychoanalyse und Subjektivität

2.3.1 Die Bedeutung des Unbewußten und des Freudschen Ich-Begriffs für eine psychoanalytische Theorie des Selbstbewußtseins

2.3.2 Psychische Systeme und Subjektivität

Kapitel 3 Sinn, Erfahrung, Subjektivität im Szientismus

3.1 Der Zusammenhang von Sinn und Erfahrung im Szientismus

3.1.1 Vorbemerkung

3.1.2 Erfahrung und Erleben

3.1.2.1 Erleben, Sprache und Erfahrung: Wie werden subjektive Erlebnisse intersubjektiv?

3.1.2.2 Physikalismus und 'linguistic turn'

3.1.3 Von der Referenzsemantik zur Wahrheitssemantik

3.1.4 Eignen sich Sinnkriterien oder Methoden als Abgrenzungskriterien?

3.1.4.1 Zum Problem der Beobachtung

3.1.4.2 Zum Problem des Irrationalismus in den Wissenschaftstheorien Poppers und Carnaps

3.2 Zum Begriff der Subjektivität im Szientismus

3.2.1 Vorbemerkung

3.2.2 Unmittelbares Selbstbewußtsein und reflexive Selbsterkenntnis: Manfred Franks Modell der Subjektivität

3.2.3 Sprachanalytische Subjektivitätstheorie

3.2.3.1 Bewußtsein, Sprache und Wissen: Zur Kontroverse über das Verhältnis von Kognition und Bewußtsein

3.2.3.2 Zur Irrtumsunanfälligkeit des 'ich'-Bezugs

Sinn - Erfahrung - Subjektivität in wissenschaftlichen Theorien des zwanzigsten Jahrhunderts

Hinweis an den Leser

 

 

... Aber die Untersuchung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen; ... Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe er sich ins Wasser wage.

Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, §10.

Vorwort

###Die vorliegende Untersuchung versteht sich als interdisziplinär. Philosophie als Wissenschaft bietet dafür eine nahezu ideale Basis. Wenn auch Philosophie seit jeher eine große Zahl speziell philosophischer Themen betreut, so ist sie durch den rasanten Fortschritt sich ausdifferenzierender Einzelwissenschaften heute mehr denn je dazu aufgefordert, eine fachübergreifende Vermittlerfunktion zu übernehmen. Die Schnittstellen dafür liegen vor allem im Bereich Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Aber auch die Psychologie gewinnt immer dort an Bedeutung, wo sie sich mit grundsätzlichen Fragen der Identitätsbildung (Selbstbewußtsein), der Strukturierung des Erlebens sowie entwicklungspsychologischen Fragen beschäftigt, ohne in einen reduktionistischen Psychologismus abzurutschen. Der Autor war interessiert daran, so verschiedene Disziplinen wie Luhmanns Systemtheorie, die Freudsche Psychoanalyse und sogenannte "szientistische" Strömungen (wie den Neopositivismus, die analytische Philosophie und den Kritischen Rationalismus) anhand der grundlegenden Begriffe 'Sinn', 'Erfahrung' und 'Subjektivität' nicht nur darzustellen, sondern vor allem in ihrer Begrifflichkeit und Leistungsfähigkeit zu vergleichen.

 

Die Arbeit wurde 1994 (Tag des Rigorosums war der 5. Februar) in nur geringfügig differierender Form als Dissertation von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen. Daß dies möglich war, verdanke ich vor allem meinen Lehrern Professor Dr. Wolfgang Baßler (erster Referent) und Professor Dr. Klaus Düsing (zweiter Referent), bei denen ich mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich bedanken möchte. Sie haben mir nicht nur geholfen, die nötigen Kenntnisse zu erlangen, sondern darüber hinaus mein Interesse an intensiver philosophischer Forschung gefördert und mich während der Ausarbeitung der Dissertation betreut. Zudem wurde ich von beiden bei der Beantragung eines zweijährigen Promotionsstipendiums seitens der Graduiertenförderung der Universität zu Köln unterstützt. Für das mir von dieser Stelle gewährte Stipendium möchte ich mich herzlich bedanken.

Meinen Eltern gilt besonderer Dank, da es durch ihre Unterstützung überhaupt erst möglich wurde, meinen Wunsch, Philosophie zu studieren und in diesem Fach zu promovieren, zu verwirklichen.

Bei der Korrektur und Überarbeitung standen mir geradezu unermüdlich meine Freundin Heike Leßmann sowie meine Freunde Benedikt Bönsch, Kai Hartwich und Jürgen Koch zur Seite. Nicht zuletzt gilt mein Dank Rainer Thielemann, der als Soziologe vor allem bei der Beschäftigung mit Luhmann für Diskussion und Kritik stets zur Verfügung stand.

 

Für Fehler und Irrtümer, die insbesondere bei fachübergreifenden Arbeiten schwerlich vermeidbar sind, trägt der Autor selbstverständlich die alleinige Verantwortung. Ich wäre daher dankbar, wenn mir der Leser Kritiken, Hinweise und Anmerkungen jeglicher Art zukommen ließe.###

 

Köln, Juli 1994 Harald Wasser

Einleitung
Vorarbeiten zu einer systemtheoretischen Philosophie

In der vorliegenden philosophisch-interdisziplinären Arbeit soll der Versuch unternommen werden, implizite wie explizite evolutionär bedeutsame Modifikationen und Neuentwicklungen der Begriffe Sinn, Erfahrung und Subjektivität aus der Literatur zum systemtheoretischen, zum psychoanalytischen und zum sogenannten szientistischen Ansatz gleichsam "abzulesen" und detailliert herauszuarbeiten.

Dabei liegt die These zugrunde, daß die jeweiligen Verwendungen und Definitionen (oder auch Zurückweisungen) der Begriffe des Sinns, der Erfahrung und der Subjektivität von zunehmender Bedeutung für die Struktur und die Entwicklung der ausgewählten und möglicherweise auch anderer wissenschaftlicher Strömungen sind. Damit verbunden ist die weitere These, daß anhand einer Untersuchung der genannten Begriffe Tendenzen sichtbar werden, die darauf hinweisen, daß sich diese Wissenschaften mitten in einem evolutionären Schub von großer Bedeutung befinden. Insbesondere der Sinnbegriff ist dabei von Relevanz:

Gegenüber allen Spielarten des empiristischen Objektivismus sind, wenn ich recht sehe, Luhmann und ich gemeinsam der Auffassung, daß 'Sinn' als einer der Grundbegriffe der Soziologie, wenn nicht gar als der Grundbegriff, eingeführt werden sollte, weil die emergente Eigenschaft der sinnvermittelten Realitätsverarbeitung, die auf soziokultureller Entwicklungsstufe auftritt, ein diesem Gegenstandsbereich angemessenes Theorieprogramm in mindestens dreifacher Hinsicht affiziert: im Hinblick auf die Transformation von Erfahrungen in Daten, hinsichtlich des Aufbaus der Theorien und in Ansehung des Verhältnisses zwischen Theorie und Erfahrung.

Habermas stimmt nicht nur der hier unterstellten Tragweite einer Umstellung der Wissenschaften über eine Ausrichtung derselben auf den Begriff des Sinns als eines Grundbegriffs zu; er betont nachdrücklich sogar die Relevanz dieses Transformationsprozesses hinsichtlich des Verhältnisses von Theorie und Erfahrung.

 

Bei all dem gilt es, die Bedeutung von Einheit gegenüber einer bloßen Aggregation von Elementen herauszuarbeiten und damit einer objektivistischen 'Teilchentheorie des Ganzen' entgegenzuarbeiten. Aus vorgängigen Elementen, so sollte sich zeigen, läßt sich Einheit nicht bilden, denn erst die Einheit bestimmt, was ihr als Element oder Teil angehört und was nicht. Elemente sind immer schon Elemente einer Einheit, nicht deren vorausbestehende Bausteine. Die Differenz von Einheit und Element ist mithin nur beobachtbar als Einheit von Einheit und Differenz.

Für diesen Gedanken der Einheit steht spätestens seit Kant ein Begriff, der die Philosophie, aber auch andere Wissenschaften, das (deutsche) Recht, ja, sogar den Alltag maßgeblich bestimmt: der Begriff der Subjektivität. Überraschend ist allerdings, daß die (vor allem amerikanische) analytische Philosophie sich heute intensiv mit diesem - bislang in der analytischen Philosophie geradezu "verfemten" - Begriff beschäftigt. Diese subjektivitätsphilosophische Wende innerhalb der analytischen Philosophie, so unerwartet sie zunächst erscheinen mag, ist nicht ganz zufällig zustande gekommen, hatten doch von Carnap über Wittgenstein bis Popper szientistische Strömungen den Begriff 'Metaphysik' so weit gefaßt, daß auch jede Subjektivitätsphilosophie unter das Verdikt des Metaphysikverdachts geraten mußte, was zur Folge hatte, daß die Begriffe 'Subjekt' und 'Subjektivität' zwar kaum jemals erörtert, aber dennoch stets und stillschweigend vorausgesetzt wurden. Dadurch entstand ein schwerwiegendes Dilemma: Konnte der Subjektivitätsbegriff zwar auf diese Weise ignoriert werden, so doch offensichtlich nicht, ohne eine empfindliche Leerstelle entstehen zu lassen, denn diejenige Einheit, die traditionell durch den Begriff des Subjekts repräsentiert und insgeheim nach wie vor vorausgesetzt wurde, verlangte danach, wieder durch ihn oder durch eine neue Semantik betreut zu werden. Den letzteren Weg geht Niklas Luhmann, der den Subjektbegriff negiert, indem er als Äquivalent den Begriff 'System' anbietet, um darin den Gedanken der Einheit aufzuheben.

 

Unter 'Evolution' soll ein Prozeß verstanden werden, der über die drei Schritte der Variation, der Selektion und der Stabilisierung läuft. Auf die Evolution von Semantiken angewendet bedeutet dies, daß gegenüber Variationen durch Streichungen (die nur ausselegieren, ohne zu ersetzen), Variationen durch Substitutionen den Vorteil haben, daß sie sich zur Selektion geradezu anbieten, eben weil sie durch die Substitution des Ersetzten Stabilität wahrscheinlicher erscheinen lassen. Das mag in der "natürlichen" Evolution unwahrscheinlich sein, da in ihrem Falle paradoxerweise Stabilität nur selektiv wirksam werden kann, wenn sie schon eingetreten ist. In der Wissenschaft dagegen entsteht eine neue Situation dadurch, daß sie in der Lage ist, Erwartungen auszubilden, das heißt vom Gegebenen auf das Nichtgegebene zu schließen, womit es möglich wird, die Selektion gewissermaßen zu "teleologisieren" - und im Falle von Irrtümern aus enttäuschten Erwartungen zu lernen, um so rasch neue Selektionskriterien zu gewinnen.

Es gilt nun, die die Begriffe 'Sinn', 'Erfahrung' und 'Subjektivität' betreffenden evolutionären Umbrüche mit ihren Konsequenzen, soweit diese bereits sichtbar werden, zu eruieren und die Modifikationen und Neubestimmungen der Begriffe als Revisionsangebote zu lesen. Dabei geht es nicht um eine begriffsgeschichtliche Untersuchung. Die Evolution von Semantiken vollzieht sich nicht erst über Neudefinitionen; sie vollzieht sich bereits durch und in der Verwendung eines Begriffes. Die Verwendung eines Begriffs zeigt sich aber erst im Umfeld anderer Begriffe und Theoriekontexte. Begriffe bestimmen sich über ihre Differenz zu anderen Begriffen, also zu anderen Differenzen. Sie stellen somit Differenzen von Differenzen dar. Ihre Evolution vollzieht sich also nicht nur begriffsgeschichtlich von Definition zu Definition, sondern über jedwede Variation - und sei sie noch so gering - in der Verwendung, sofern ihre Differenz zu anderen Begriffen sich verändert. Gelingt es einer begrifflichen Variation in Form einer zunächst eher impliziten Begriffsverwendung, etwa über das Selektionskriterium 'Theoriekohärenz', ihre Wiederverwendung wahrscheinlicher werden zu lassen, so kann sie sich stabilisieren und wird eventuell in einer Definition kondensiert. Auch eine solche Definition kann dann wiederum stabilisierend wirken. Die "Mutante" setzt sich gegenüber anderen durch, allerdings ohne dabei zwangsläufig andere erfolgreiche Alternativen zu "schlucken". Unterschiedliche Definitionen machen sich Konkurrenz, schließen sich aber keineswegs gegenseitig aus.

Die Untersuchung geht dementsprechend von einer Verschränkung der zu analysierenden Begriffsbestimmungen aus: Die genannten Termini werden als 'begriffliche Reihe' (sensu Freud) betrachtet, was heißt, daß die Bestimmung jeweils einer der drei Begriffe bereits selektiv wirkt, indem sie maßgeblich Umfangs- und Definitionsmöglichkeiten der jeweils anderen einschränkt und bestimmt. Eng verbundene Begriffe können selten variiert werden, ohne Variationen in verwandten oder gegenüberstehenden Begriffen auszulösen. Gelingt es nicht, diese Umfelder eines Begriffs gegenüber einer laufenden Evolution zu immunisieren oder entsprechende Co-Variationen auszulösen, so dürfte die Wahrscheinlichkeit zunehmen, daß die "Mutante" nach einer gewissen Zeit ausselegiert und damit (einstweilen) zurückgenommen wird: Semantische Evolutionen sind immer Co-Evolutionen.###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}

Eine solche Analyse der sich verändernden Begriffsverwendung war Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, nicht aber eine allgemeine Theorie der Evolution von Semantiken. Daher wurde versucht, ohne einen evolutionstheoretischen terminologischen Rahmen auszukommen. Nicht die hier und in aller Kürze bereits umrissenen evolutionären Mechanismen einer semantischen Evolution wurden untersucht, sondern deren Ergebnisse. Dabei wurde jedoch versucht, die Begriffsverwendung der behandelten Begriffe, so oft diese sich nur implizit fassen ließen, in einer expliziten, möglichst scharfen Definition "einzufrieren".

 

Da sich der hier vorgelegte Ansatz durchgehend an der Systemtheorie Luhmanns orientiert, kann er auch als Vorarbeiten zu einer systemtheoretischen Philosophie gelesen werden. Anstelle des Grundrisses einer systemtheoretischen Philosophie wurde allerdings ein mehr aspektiver Zugriff auf Möglichkeiten einer solchen angestrebt. Dies geschah vor allem in der Form, daß alle in der vorliegenden Untersuchung behandelten wissenschaftlichen Forschungsrichtungen und -strömungen - von der Psychoanalyse über den logischen Empirismus und den Kritischen Rationalismus bis hin zur aktuellsten Ausprägung der (amerikanischen) analytischen Philosophie - mit systemtheoretischem Gedankengut konfrontiert wurden. Diesem Vorgehen lag der Gedanke zugrunde, daß sich die hier vertretene These - derzufolge die Systemtheorie inzwischen "philosophiefähig" ist - nur dann als plausibel erweisen kann, wenn nachgewiesen wird, daß sowohl die Reichweite als auch die Leistungsfähigkeit systemtheoretischer Theoriekonzepte zur Bearbeitung, zur Kritik und zur Neukonzeption philosophischer Themen (wie Erkenntnis-, Wissenschafts-, Subjektivitätstheorie etc.) weit genug gediegen sind, um eine systemtheoretische Philosophie begründen zu können.{{{###Kontrollende}}}

 

Die Motivation für eine derartige Untersuchung ergibt sich dabei aus dem zunehmenden Einfluß der Systemtheorie auf andere Wissenschaften und nicht zuletzt auch auf die Philosophie, zumal, wenn man bedenkt, daß es gerade die Systemtheorie ist, die aufgrund ihrer disziplinären Universalität sowie ihres Aufbaus als einer Supertheorie durch außergewöhnliche Gemeinsamkeiten auf Anschlußmöglichkeiten an Philosophie verweist. Dies wird schnell deutlicher, wenn man sich nur die Konsequenzen des universalistischen Aufbaus der Systemtheorie vor Augen führt. So nimmt die Systemtheorie mit diesem Aufbau unter anderem in Anspruch, sich selbst als einen ihrer Gegenstände zu behandeln. Dieser Selbstbezug galt seit jeher insbesondere (ja, nahezu exklusiv) für die Philosophie, hatte diese doch nicht nur immer wieder andere Wissenschaften zum Gegenstand philosophischer Forschung genommen, sondern darüber hinaus (und wohl mit Recht) die Möglichkeit einer philosophischen Reflexion der Philosophie in ihr Selbstverständnis aufgenommen. Insofern ist die Philosophie als universalistische wissenschaftliche Disziplin zu verstehen, während die Systemtheorie keine Disziplin ist, sondern ein universalistisches Modell, daß sich (dem Anspruch nach) in jeder Disziplin anwenden lassen können soll. Eine naturwissenschaftliche Untersuchung der einzelnen Naturwissenschaften beispielsweise ist dagegen schon aus logischen Gründen ausgeschlossen. Daher müssen Naturwissenschaftler, die sich um Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie oder Methodenlehre bemühen, in ihren Untersuchungen eine eher philosophisch zu nennende Grundhaltung einnehmen, was sich oftmals bis in den Titel zeigt. Die einzige Möglichkeit, eine explizite Auszeichnung des Standortwechsels auf eine philosophische Position zu vermeiden, besteht eben in der Auszeichnung solcher Untersuchungen als Wissenschaftstheorie etc., wodurch der Begriff 'Philosophie' zwar vermieden, aber implizit beibehalten wird, da es sich hierbei evidenterweise um ein Teilgebiet der Philosophie handelt.

Mit der Soziologie sieht dies heute etwas anders aus, denn diese hat zumindest als Systemtheorie längst erkannt, daß jede Wissenschaft (also auch die Philosophie) ihrerseits ein soziales Phänomen darstellt. So nimmt es wenig wunder, daß die soziologisch inspirierte Systemtheorie Luhmanns längst schon wissenschaftliche "Lasten" der Philosophie mitträgt, ja, sogar einen produktiven Ansatz einbringt, der von der Philosophie weitgehend unentdeckt geblieben ist: Allein schon die traditionelle Subjektphilosophie behinderte eine Verlagerung des philosophischen Blicks vom Individuellen auf das Soziale als eines eigenständigen Gegenstandes, da der Subjektbegriff die Welt und Gesellschaft aus einem Zusammenspiel von Subjekten entspringen sieht. Neuere Theorien versuchen die damit verbundenen Probleme relativ unbefangen durch den Begriff der Intersubjektivität zu lösen - ein Begriff, der nicht nur eine ausgeführte Subjektivitätsphilosophie voraussetzt, sondern das Problem, wie ein 'Zusammenspiel von Subjekten' über 'Intersubjektivität' 'Gesellschaft' möglich machen soll, zwar begrifflich gelöst zu haben suggeriert, aber die Frage weitgehend offenläßt, wie die Vorsilbe "Inter-" das, was sich also vorgeblich "zwischen" Subjekten abspielt, soll erklären können. Findet also Gesellschaft oder Soziales in einem "Zwischenraum" oder einer "Nische" inmitten von Subjekten statt, etwa als Epiphänomen einer in jedem Moment sich wandelnden 'Summenlage von Interaktionen und Bewußtseinsvorgängen'? Oder muß man, um den Bereich sozialer Phänomene wirklich verstehen zu können, diesen Bereich statt als Epiphänomen nicht vielmehr als einen eigenständigen Bereich, der die Bildung autonomer sozialer Systeme voraussetzt, betrachten?

 

Von daher gliedert sich die Arbeit wie folgt:

Im ersten Abschnitt des ersten Kapitels über Luhmanns Systemtheorie wurde vor allem herausgearbeitet, daß Luhmann dem Begriff des Sinns (Kapitel 1.1) mehr und mehr Bedeutung innerhalb der Soziologie und der Psychologie verliehen hat. Sowohl soziale als auch psychische Systeme werden dabei als autopoietische Sinnsysteme verstanden. Darunter sollen Systeme verstanden werden, die sich selbst erzeugen und erhalten, indem sie auf der Basis von Sinn operieren und immer wieder neue Sinnzusammenhänge und damit sich selbst hervorbringen.

In diesem Zusammenhang wird auch der von Luhmann erarbeitete, nicht-triviale Begriff des Verstehens erläutert, in den unverkennbar Anregungen von seiten der Hermeneutik und den phänomenologischen Schulen Aufnahme gefunden haben. So stimmt Luhmann heute weitgehend mit Lehren überein, die zum Beispiel mit Landgrebe kritisieren, daß derjenigen Tradition, die Verstehensleistungen auf das Zusammenspiel unterscheidbarer Vermögen (Sinnlichkeit und Verstand) zurückführte,

***dasjenige Phänomen unverständlich bleiben mußte, das ein Grundproblem der sogenannten geisteswissenschaftlichen Psychologie von Dilthey ab bildete: das Phänomen des Verstehens. Weil im Rahmen dieser Tradition die letzten Aufbauelemente des Bewußtseins in den sogenannten spezifischen Sinnesqualitäten gesucht wurden, hat man das, was im Verstehen verstanden wird, nur als eine auf das sinnlich Gegebene aufgestockte 'Ausdrucksqualität', Sinnstruktur usw. deuten können, und es blieb zwischen diesen Sinnstrukturen und den sogenannten elementaren Leistungen des Bewußtseins ein überbrückbarer Abgrund.

Im zweiten Teil des ersten Kapitels (Kapitel 1.2) wurde aufgezeigt, daß Sinnsysteme ihre Sinnzusammenhänge und die daraus gewonnenen Erfahrungen stets selbst (d.h.: autopoietisch) und das heißt ohne jeden Kontakt zur Umwelt herstellen. Anders gesagt: Im Falle solcher autopoietischer Sinnsysteme können keine "Daten" oder etwas Ähnliches von der Umwelt ins System übertragen werden. Die Systeme gewinnen also alle ihre Erfahrungen nicht durch Kontakt zu einem "Außen", sondern in Form selbstgestalteter, selbstproduzierter und selbststrukturierter Sinnzusammenhänge. Sinnzusammenhänge und Erfahrungen bilden also nicht zwei letztlich unabhängige und (etwa über den Bezug zur Sinnlichkeit) auftrennbare Sphären, sondern Erfahrungen selbst sind nichts weiter als strukturell bedeutsame Sinnzusammenhänge.

Wenn man so ansetzt, so muß, wie dann im dritten Teil des ersten Kapitels zu zeigen versucht wurde (Kapitel 1.3), der Subjektbegriff durch den des Systems ersetzt werden, denn die Differenz von Subjekt und Objekt löst sich auf: Es kann weder angenommen werden, ein System stehe als Subjekt einem über Sinneseindrücke oder -daten konstituierten Objekt, noch einem "An-Sich", einem "Sein" oder einer systemunabhängigen "äußeren Realität" gegenüber. Jeder Sinnzusammenhang und damit jede Form von Erfahrung muß vom System selbst hergestellt werden.

 

Das zweite Kapitel über Psychoanalyse kann an das erste um so leichter anknüpfen, als auch für Freud Sinn im Zentrum seiner psychoanalytischen Theorie steht (Kapitel 2.1). Außerdem ergänzen sich Freuds und Luhmanns Auffassungen über psychische Systeme auf das Erstaunlichste: Nicht nur, daß auch Freud die Psyche als ein System auffaßt, das mit Sinn operiert und seine Erfahrungen (Kapitel 2.2) immer und ausschließlich in Sinnzusammenhängen erwirbt - mehr noch: Wie sich zeigen sollte, läßt sich Freuds Theorie geradezu als eine Präfiguration der Auffassung psychischer Systeme als autopoietisch-geschlossener Systeme lesen. Daher steht im gesamten zweiten Kapitel eine systemtheoretische Rekonstruktion der Psychoanalyse im Vordergrund.

Das hat bedeutende Folgen für die Systemtheorie auf der einen und die Psychoanalyse auf der anderen Seite: Vermag die Systemtheorie womöglich auf diese Weise die lange gesuchte wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundlage der Psychoanalyse zu bilden und das Verständnis um den wissenschaftstheoretischen Status der Psychoanalyse klären zu helfen, so kann umgekehrt eine systemtheoretisch rekonstruierte Psychoanalyse einen unerwartet hohen Beitrag zu einem weitergehenden Verständnis des Operierens psychischer Systeme leisten. Bei dem aus dieser Einsicht erwachsenen Versuch, die Psychoanalyse systemtheoretisch zu rekonstruieren, wurden jedoch auch Differenzen herausgearbeitet, die zu einer fruchtbaren Diskussion führen könnten (Kapitel 2.2): Freud versteht im Gegensatz zu Luhmann die Psyche keineswegs nur als Bewußtsein. Anstelle eines nicht in weitere Subsysteme differenzierten Bewußtseins hat Freud mit seiner sogenannten 'zweiten Metapsychologie' eine Theorie entworfen, derzufolge die Psyche als ein System angesehen werden kann, aus dem sich "selbsttätig" (autopoietisch) drei Funktionssysteme (Ich, Über-Ich und Es) ausdifferenzieren. Der Autor hat den Versuch unternommen, diese "Abweichung" Freuds gegenüber Luhmann mit dem systemtheoretischen Modell abzustimmen, so daß sich die Möglichkeit ergibt, ein neues, systemtheoretisches Verständnis der Psychoanalyse zu gewinnen. Zu diesem Zweck galt es erstmals, die Codierung psychischer Systeme (Kapitel 2.2.2) zu untersuchen, und daher bildet dieses Kapitel den Mittelpunkt der vorgenommenen systemtheoretischen Rekonstruktion der Psychoanalyse.

Da nach Freuds Auffassung psychische Systeme zum großen Teil unbewußt operieren, kann nur ein Bruchteil der psychischen Operationen von einem Bewußtsein oder Selbstbewußtsein (Kapitel 2.3) begleitet werden. Außerdem werden aus psychoanalytischer Sicht Erfahrungen auch ohne Bewußtsein und ohne Kontakt des psychischen Systems zu einer systemunabhängigen Umwelt oder einem äußeren Objekt hergestellt. Möchte man diese Operationen dennoch in vollem Umfang - also unter Einbezug aller unbewußten Operationen sowie unter Berücksichtigung der Geschlossenheit des Systems - einer Einheit zurechnen, so kann innerhalb einer systemtheoretisch rekonstruierten Psychoanalyse der Subjektivitätsbegriff keine Anwendung mehr finden: Auf der einen Seite umfaßt die Psyche weit mehr als das, was von einem Bewußtsein beziehungsweise Selbstbewußtsein begleitet oder hergestellt werden kann; auf der anderen Seite muß aufgrund der Geschlossenheit des Systems die Subjekt-Objekt-Dichotomie fallen.

 

Das Kapitel über den Szientismus (Kapitel 3) gliedert sich nicht wie die ersten beiden in drei, sondern lediglich in zwei Abschnitte. Die Gründe dafür ergaben sich aus der Erwägung, daß eine gesonderte Behandlung der Begriffe Sinn und Erfahrung seit dem sogenannten 'linguistic turn' - speziell so, wie er von Carnap vollzogen wurde - kaum noch adäquat durchgeführt werden kann: Insbesondere Carnap ging davon aus, daß (wissenschaftliche) Erfahrungen an den Sinn von Sätzen angebunden sind (Kapitel 3.1). Mit anderen Worten: Begriffe und Sätze machen dann Sinn, wenn sie etwas über tatsächlich gemachte oder über mögliche Erfahrungen (das hieß zunächst: Erlebnisse) aussagen. Vereinfachend gesprochen werden dabei wissenschaftliche Erfahrungen gewissermaßen als in intersubjektive Sätze gefaßte subjektive Erlebnisse angesehen. 'Sinn' und 'Erfahrung' sind so auf das engste miteinander verbunden. In diesem Ansatz bleibt allerdings das Moment des 'Verstehens' - sowohl in seiner Bedeutung für die Wissenschaften als auch in seinem Zustandekommen - unverstanden, denn handelt es sich zum Beispiel

***um das Verstehen eines Textes, so ist dafür freilich die sinnliche Gegebenheit des Buches oder das Vernehmen der Laute durch das Ohr vorausgesetzt. Aber was da verstanden wird, ist selbst nicht durch die Sinne gegeben, sondern es ist der Sinn, die Bedeutung.

Die Gemeinsamkeiten und Differenzen des Neopositivismus zu anderen szientistischen Strömungen, etwa zum Kritischen Rationalismus Poppers oder zur analytischen Philosophie Wittgensteins und des späten Carnap, werden an jeweils passender Stelle erläutert und diskutiert. Carnaps Theorie bildet dabei im ersten Abschnitt eine Art Leitfaden, an dem sich der Autor orientiert hat.

Der letzte Abschnitt des dritten Kapitels mit dem Titel Der Subjektivitätsbegriff im Szientismus (Kapitel 3.2) übernimmt dann die Aufgabe, die bereits behandelten, inzwischen schon klassischen Strömungen, mit den neuesten sprachphilosophischen Theorien abzustimmen: Obwohl Carnap, Popper und Wittgenstein offensichtlich ein Subjekt der Erfahrung voraussetzen, wird dieser Sachverhalt von ihnen kaum diskutiert. Vermutlich dürfte einer der Hauptgründe für diese Unterlassung in ihrer Abweisung jeder Metaphysik liegen, von der ihrer Meinung nach die Subjektivitätsphilosophie seit jeher weitestgehend getragen wurde. Ganz anders verhält sich dies in der neuesten analytischen Philosophie, insbesondere so, wie sie von der amerikanischen analytischen Philosophie (zum Beispiel bei G. E. M. Anscombe, R. Chisholm, H.-N. Castañeda und Th. Nagel) vertreten wird. In zunehmendem Maße finden sich jedoch auch bedeutende Vertreter der deutschen Philosophie ###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}(stellvertretend seien E. Tugendhat und - mit Einschränkung - M. Frank genannt) {{{###Kontrollende}}} unter ihren Anhängern. Hier tritt die Subjektivitätsphilosophie wieder in den Vordergrund, wobei - jetzt gewissermaßen unter sprachphilosophischem Vorzeichen - auch die Metaphysik zu neuem Leben erwacht. Zwar lassen sich mit ihren Beiträgen zur Sprachphilosophie besonders Wittgenstein und Carnap als "Ahnherren" dieser neuen Strömungen bezeichnen, jedoch hat die lebhafte Auseinandersetzung mit der von diesen inaugurierten Sprachphilosophie zu einem unerwarteten Wandel innerhalb der Subjektivitätsphilosophie geführt, die sich neuerdings insbesondere wieder an die Tradition von Fichte und Sartre anlehnt.

 

Die vorliegende Untersuchung versteht sich nicht nur als interdisziplinärer, vergleichender Diskussionsbeitrag zum Forschungsstand bezüglich der semantischen Evolution und dem Stellenwert der Begriffe Sinn, Erfahrung und Subjektivität; vielmehr und darüber hinaus ist mit ihr auch die Hoffnung verbunden - so vor allem in Hinsicht auf Chancen einer rekonstruierenden Grundlegung der Psychoanalyse als einer systemtheoretischen Psychologie -, Hinweise auf Möglichkeiten und Tendenzen einer Weiterentwicklung des untersuchten Problemkomplexes geben und die Differenzen unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze und Disziplinen auf fruchtbare Weise nutzen zu können.###

Kapitel 1
Untersuchungen zum Stellenwert und der Bedeutung der Begriffe Sinn, Erfahrung, Subjektivität in der Systemtheorie

###Die Wissenschaft produziert eine gläserne Welt, die, wo immer sie sich verdichtet, sich in sich spiegelt und die Durchsichtigkeit in Sicht auf anderes verwandelt.

Niklas Luhmann (1988b), S. 164.###

Wenn hier die Rede von Systemtheorie ist, so zielt dies auf ihre Luhmannsche Ausprägung. Luhmanns Theorie - ursprünglich angeregt durch Parsons Theorie sozialer Systeme - tritt heute im Design einer über lange Jahre erarbeiteten und in ihren Wandlungen und ihrer Komplexität nur mühsam überschaubaren Theorie geschlossener, selbstreferentieller, autopoietischer Systeme auf. Sie ist längst mehr als eine soziologische Theorie. In ihr liegen die Fundamente eines neuen systemtheoretischen Ansatzes überhaupt, eines Ansatzes, der transdisziplinäre Merkmale trägt und so in Form einer "General Systems Theory" (GST) eine Vielzahl von Einzelwissenschaften zu integrieren und zu inspirieren vermag. Die

***Allgemeine Systemtheorie (General Systems Theory, GST) ist als interdisziplinäre integrierte Wissenschaft entstanden aufgrund der verblüffenden Ähnlichkeit der Systemprobleme in den unterschiedlichsten Wissenschaften: in Chemie, Biologie, Medizin, Psychologie, Soziologie, Betriebswirtschaft, in der Technologie automatisierter Maschinen bis hin zur Erkenntnistheorie und Philosophie. [...] Die soziologische Systemtheorie kann sich dadurch als Teil eines umfassenden Erkenntnisprogramms betrachten, wobei es viel weniger auf Abgrenzungen gegenüber anderen Wissenschaften und territoriale Eifersüchteleien ankommt, als auf interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Schaffung von Anknüpfungsmöglichkeiten von und zu Nachbarwissenschaften, die Kumulation der Anstrengungen unterschiedlicher Wissenschaften zur Lösung übergreifender Probleme.

Interdisziplinäre Forschung wird bis heute oftmals verhindert, weil Ansatz, Methode und Gegenstand verschiedener Wissenschaften als teilweise unvereinbar erscheinen (man denke nur an die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften). Da Annäherungen über Methode und Verfahren nicht weit zu führen vermögen und - wie oben geschildert - zumeist in wenig produktive, Generationen übergreifende Wissenschaftsstreitigkeiten münden, scheint ein Ansatz, der über ähnliche und damit vergleichbare Probleme, Modelle und Begrifflichkeiten zu integrieren sucht, statt über methodenmonistische Ansprüche, neue Erfolgsaussichten zu versprechen. Die von Willke geäußerte Ansicht kommt somit in ihrer Intention dem Projekt der hier vorliegenden Untersuchung sehr entgegen.

 

Aber eine interdisziplinäre Arbeit trifft, wenn sie die Theorie Luhmanns erörtern möchte, auf ein kaum zu überschätzendes Problem: Sie muß in gebotener Kürze eine Theorie darstellen, die voller Eigenartigkeiten steckt, welche teilweise diametral zur wissenschaftlich-philosophischen Tradition stehen. Um nur einige zu nennen, sei hingewiesen auf das ungewöhnliche Verhältnis der Systemtheorie zu Paradoxien, Tautologien und zirkulären Operationen, des weiteren auf die Verabschiedung jeder Anknüpfung an die Ontologie und Subjektphilosophie; oder man denke an den systemtheoretischen Gesellschaftsbegriff, der Gesellschaft nicht als Gemeinschaft von Menschen begreift und Kommunikation nicht als eine Übertragung von Informationen; und zuletzt sei hingewiesen auf den Begriff der Autopoiesis, demzufolge Systeme sich selbst erzeugen und erhalten. Luhmann selbst deutet des öfteren die Schwierigkeit an, die seine Theorie autopoietischer Systeme für andere Wissenschaftler mit sich bringt: "***Diese These der zirkulären, autopoietischen Geschlossenheit des Systems ist nicht leicht zu akzeptieren. Man muss eine zeitlang [sic!] damit gedanklich experimentieren, um allmählich zu sehen, was sie bringt."

Hinzu kommt das Problem der enormen Geschwindigkeit, mit der Luhmann Texte produziert. Michael Schmid und Hans Haferkamp hatten dieses Problem auch bei der Herausgabe des Bandes Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung, in dessen Einleitung sie explizit darauf hinweisen. Denn während noch an dem Band gearbeitet wurde, "***lief die Luhmannsche Theorienproduktion in ungebremstem Tempo weiter." So kann man sicher sein, "***niemals aus der Rolle des Achilles schlüpfen zu können, der vergeblich versucht, die vor ihm enteilende Schildkröte einzuholen [...]."

1.1 Der systemtheoretische Sinnbegriff

1.1.1 Vorbemerkung

Wenn im folgenden der systemtheoretische Sinnbegriff erörtert wird, so muß vor allem fortwährend mitberücksichtigt werden, daß der hier erläuterte Sinnbegriff stets mit Bezug auf geschlossene, selbstreferentielle, autopoietische Systeme analysiert wird. Die daraus sich ergebenden Konsequenzen für die Konzeption eines Sinnbegriffs und den Stellenwert des Sinnbegriffs innerhalb systemtheoretischer Forschungen werden im Verlauf der Analyse deutlicher zutage treten und dürfen nicht unterschätzt werden. Ferner muß immer mitbedacht werden, daß die Systemtheorie Luhmanns kontrovers zu anderen Theorien steht, die auch unter der Bezeichnung 'Systemtheorie' auftreten.

1.1.2 Sinn, Erleben und Kommunikation

Eine systemtheoretische Theorie des Sinns bedarf zunächst der Unterscheidung zweier Systemreferenzen. Die erste Referenz betrifft psychische Systeme, die andere soziale Systeme. Beide Systeme haben nach Luhmann eine entscheidende Gemeinsamkeit, die darin liegt, daß es sich in beiden Fällen um Sinnsysteme handelt, das heißt, daß beide Systeme mit Sinn operieren. Sinnsysteme operieren ausschließlich und immer mit Sinn, sie können den Horizont des Sinns, den sie selbst aufspannen und innerhalb dessen sie operieren, niemals verlassen. Selbst der Versuch, Sinn zu negieren, ergibt wieder Sinn. Der hier verwendete Sinnbegriff ist ein formaler und darf nicht mit einem emphatischen Sinnbegriff, etwa im Sinne von 'Sinn des Lebens', verwechselt werden, denn während Sinn als Verweisungshorizont nicht negiert werden kann, ohne wieder Sinn zu ergeben, kann es einem System durchaus zustoßen, daß es keinen Sinn mehr in seinem Leben zu finden in der Lage ist. Doch es

***fällt [...] nicht schwer, einen formalen und einen emphatischen Sinnbegriff (sprachlich zum Beispiel sinnhaft/sinnvoll oder mit Alois Hahn Sinn-Sein/Sinn-Haben) zu unterscheiden, wobei der emphatische Sinnbegriff dann aber, weil Negation zulassend, systemrelativ gebraucht werden muß.

Zurück zu der angesprochenen Unterscheidung zwischen psychischen und sozialen Systemen. Diese Unterscheidung ergibt sich zunächst aus den jeweiligen spezifischen Operationsmodi der Systeme: Psychische Systeme operieren auf der Basis von Bewußtsein, soziale Systeme auf der von Kommunikation. Soziale Systeme verfügen nicht über Bewußtsein, und psychische Systeme können nicht kommunizieren. Nach Luhmann kann nur die Kommunikation kommunizieren, und wenn nur soziale Systeme kommunizieren können, so heißt das für Luhmann, daß soziale Systeme aus Kommunikationen bestehen. Das wird später genauer zu erläutern und zu untersuchen sein. Zunächst sei hier nur festgehalten, daß sowohl Kommunikation als auch Bewußtsein sich in ihrer Autopoiesis des Aufbaus und der Aktualisierung von Sinnhorizonten bedienen. Was aber kann dann unter Sinn verstanden werden?

Wenn man Sinn als etwas faßt, daß soziale und psychische Systeme übergreift und verbindet, so kann Sinn nicht als Beziehung etwa eines Wortes zu seiner Bedeutung oder (semiotisch) als Zeichen beziehungsweise als Regelsystem einer Zeichenverkettung angesehen werden. Da Erleben, Wahrnehmen, Kommunizieren, Handeln etc. nach Luhmann immer schon und auch ohne Zeichenverwendung (ja, sogar im Falle einer "Zeichenverwirrung") als Sinnoperationen aufgefaßt werden müssen, sollte Sinn als laufendes Aktualisieren von Verweisungen verstanden werden.

Der Versuch einer Definition des Sinnbegriffs würde allerdings problematisch, "***da bereits die Frage danach voraussetzt, daß der Fragende weiß, worum es sich handelt."

An die Stelle einer Definition kann aber eine phänomenologische Beschreibung treten. Phänomenologisch erscheint Sinn dann als ein Überschuß an Verweisungen von Aktualisiertem auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns:

***Etwas steht im Blickpunkt, im Zentrum der Intention, und anderes wird marginal angedeutet als Horizont für ein Und-so-weiter des Erlebens und Handelns. Alles, was intendiert wird, hält in dieser Form die Welt im ganzen sich offen, garantiert also immer auch die Aktualität der Welt in der Form der Zugänglichkeit.

Sinn kann so nur als Differenz von gerade Aktuellem und Möglichkeitshorizont Sinn sein. Dann führt jede Aktualisierung aber immer auch zu einer Virtualisierung der daraufhin anschließbaren Möglichkeiten. Nichts wird endgültig ausgeschlossen. Was nicht aktualisiert wird, bleibt Kontext des Aktuellen und wird in Form einer Virtualisierung jederzeit zur späteren Aktualisierung offengehalten. Sinn läßt sich so bestimmen als "***Einheit von Aktualisierung und Virtualisierung, Re-Aktualisierung und Re-Virtualisierung als ein sich selbst propellierender (durch Systeme konditionierbarer) Prozeß." Und Luhmann präzisiert nochmals: "***Wir hatten Sinn als ein Prozessieren nach Maßgabe von Differenzen bezeichnet. Wir könnten auch sagen: ein Sich-selbst-Prozessieren."

Es wurde bereits angesprochen, daß psychische Systeme nicht kommunizieren können, obwohl sie mit Sinn operieren und schließlich Sinn dasjenige ist, was kommuniziert wird und Kommunikation überhaupt erst ermöglicht. Aus traditioneller Sicht stellt sich Kommunikation als die Übertragung von Sinn von einem Subjekt auf ein anderes dar. Subjekte sind es, die kommunizieren. Es wird sich im folgenden zeigen, daß Kommunikation systemtheoretisch nicht mehr auf diese Weise verstanden werden kann.

Legt man mit der Systemtheorie sein Augenmerk auf die Differenz von System und Umwelt, so erscheinen Systeme als über die Entwicklung emergenter Eigenschaften ausdifferenziert. Und genau eine solche emergente Eigenschaft läßt sich im Falle der Kommunikation feststellen. Ohne hier bereits ausführlich die Kritik Luhmanns am Subjektparadigma erörtern zu können, muß hier dennoch mit Luhmann eine Kritik der traditionellen und heute noch nahezu ubiquitär vertretenen Auffassung stattfinden, derzufolge Subjekte kommunizieren. Jede Theorie, die Kommunikation als Übertragung von Sinn oder Information von einem Subjekt zum anderen ansieht, steht zunächst vor der Einsicht, daß

(1) Kommunikation etwas sein muß, das offensichtlich zwischen Subjekten stattfindet und zum anderen, daß

(2) die Verwendung der Übertragungsmetaphorik (Übertragung von Sinn, Information) nicht greifen kann, da der angeblich von Subjekt A zu Subjekt B übertragene Sinn für Subjekt A nicht verloren gegangen ist.

Wenn sich Kommunikation aber nach (1) zwischen zwei (oder mehreren) Subjekten abspielt, dann ist es mehr als zweifelhaft, ob sich Kommunikation als ein Bewußtseinsprozeß beschreiben läßt, denn - mögen auch die Subjekte über Bewußtsein und Selbstbewußtsein verfügen - was immer sich zwischen ihnen abspielt, kann nicht über ein selbständiges Bewußtsein verfügen und folglich kein eigenständiger Bewußtseinsprozeß sein, sondern lediglich ein Prozeß, der Bewußtsein in Anspruch nimmt. Andererseits erscheint es dann ebenso bedenklich, im Falle des Bewußtseins von einem Selbstgespräch zu sprechen:

***Die Vorstellung eines Selbstgesprächs wird dagegen nach wie vor wie eine evidente Wahrheit tradiert, vor allem im Umkreis des 'symbolischen Interaktionismus'. Unbestreitbar dient Sprache auch zur Strukturierung psychischer Prozesse, aber nicht in kommunikativer Funktion. Denn weder behandelt das Ich sich selbst als jemanden, der noch nicht weiß, was er weiß; noch als jemanden, der möglicherweise ablehnt, was er vorschlägt; noch als jemanden, der nur über Codierung und Zeichengebrauch erreichbar ist.

Die subjektphilosophische Prämisse, derzufolge Kommunikation etwas ist, daß sich 'zwischen Subjekten' abspielt, macht wiederum zweierlei deutlich: Es müßten einerseits mindestens zwei "Subjekte" in eine Beziehung zueinander treten, um kommunizieren zu können und andererseits müßte diese Beziehung durch anführbare Eigenschaften ausgezeichnet sein, soll sie Kommunikation ermöglichen. Das Wort 'Beziehung' muß folglich komplexere Bedingungen beinhalten, Bedingungen, die eben eine Kommunikation auszeichnen:

***Wir nennen aber nicht jede wechselseitige Verhaltensabstimmung Kommunikation, sondern nur eine solche, die über eine Unterscheidung von Mitteilung (kommunikativem Handeln) und Information (Thema, Inhalt der Mitteilung) vermittelt wird. Wo diese Unterscheidung nicht gemacht wird, liegt nur ein wechselseitiges Wahrnehmen vor, nicht aber Kommunikation im Sinne unseres Begriffs.

Schon hier findet der Verdacht Nahrung, Kommunikation könne auf emergenten Eigenschaften beruhen, die eine Reduktion auf Subjekte und deren Bewußtsein überschreitet. Daher wird gegenüber der Übertragungsmetaphorik "***bei einem systemtheoretischen Ansatz die Emergenz der Kommunikation selbst betont. Es wird nichts übertragen," denn gerade das Durchdenken der Übertragungsmetaphorik führt zu Konsequenzen, die Kommunikation emergent erscheinen lassen müssen:

***Man kann Kommunikation nicht länger als Übertragung von Nachrichten oder Informationen auffassen, wie es üblicherweise immer noch geschieht; denn das setzt wiederum Einheiten voraus, die aktiv bzw. passiv als Träger des Übertragungsvorganges fungieren.

Luhmann sieht den Gebrauch der Übertragungsmetaphorik als dem ontologischen Denken verhaftet an und erklärt sie schon daher für ungeeignet:

***Die Übertragungsmetapher ist unbrauchbar, weil sie zu viel Ontologie impliziert. Sie suggeriert, daß der Absender etwas übergibt, was der Empfänger erhält. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil der Absender nichts weggibt in dem Sinne, daß er selbst es verliert.

Wenn aber der mitgeteilte Sinn nicht verloren geht, so weist dies auf Eigenleistungen des diesen Sinn "aufnehmenden" Subjekts hin: Das "aufnehmende" System muß den Sinn der Mitteilung verstehen. Und eben in diesem Verstehen liegt die erwartete Eigenleistung.

So stellt sich vorläufig Kommunikation als eine Operation dar, die auf mindestens zwei Leistungen angewiesen ist: Auf die Leistung der Mitteilung und die des Verstehens.

Dabei muß berücksichtigt werden, daß eine Mitteilung, wenn sie auf ein Verstehen angewiesen ist, nichts weiter sein kann "***als ein Selektionsvorschlag, eine Anregung."

Wenn Luhmann hier 'Mitteilung' als 'Anregung' versteht, so darf in gleicher, aber ebenso treffender Vereinfachung 'Information' als 'etwas Mitteilenswertes' definiert werden. Information ist also kein "Bit-Transfer" eines Computers, sie ist kein vor dem Verstehen oder unabhängig von ihm bestehendes Datum. Information ist "***kein Input, sondern nur Differenzierung von Anschlußmöglichkeiten."

Mit Luhmann soll hier dementsprechend

***als Information [...] ein Ereignis bezeichnet werden, das Systemzustände auswählt. Das ist nur an Hand von Strukturen möglich, die die Möglichkeiten begrenzen und vorsortieren. Information setzt also Struktur voraus, ist aber selbst keine Struktur, sondern nur das Ereignis, das den Strukturgebrauch aktualisiert. Ereignisse sind [...] zeitpunktfixierte Elemente. Sie kommen nur einmal und nur in einem für ihr Erscheinen nötigen Kleinstzeitraum (specious present) vor. Sie sind durch dies zeitliche Vorkommen identifiziert, sind also unwiederholbar. [...] Gerade das läßt sich nun an Informationen gut belegen. Eine Information, die sinngemäß wiederholt wird, ist keine Information mehr. Sie behält in der Wiederholung ihren Sinn, verliert aber ihren Informationswert. Man liest in einer Zeitung: die DM sei aufgewertet worden. Wenn man dasselbe dann in einer anderen Zeitung nochmals liest, hat diese Aktivität keinen Informationswert mehr (sie ändert den eigenen Systemzustand nicht mehr), obwohl sie strukturell dieselbe Selektion präsentiert. Andererseits geht die Information, obwohl sie als Ereignis verschwindet, nicht verloren. Sie hat den Systemzustand geändert, hat damit einen Struktureffekt hinterlassen, und das System reagiert dann auf diese geänderten Strukturen und mit ihnen.

Dies hat auch direkte Konsequenzen für einen differenztheoretischen Ansatz, wie denjenigen Luhmanns, denn

***am Anfang steht also nicht Identität, sondern Differenz. Nur das macht es möglich, Zufällen Informationswert zu geben und damit Ordnung aufzubauen; denn Information ist nichts anderes als ein Ereignis, das eine Verknüpfung von Differenzen bewirkt - a difference that makes a difference.

Aber ist die verstandene Information identisch mit der vom Mitteilenden ausgewählten Information, ganz so, wie es die Übertragungsmetaphorik nahelegt? Nach dem hier erörterten Verständnis von Kommunikation wohl kaum, denn Luhmann zufolge

***übertreibt die Metapher die Identität dessen, was 'übertragen' wird. Benutzt man sie, wird man verführt, sich vorzustellen, daß die übertragene Information für Absender und Empfänger dieselbe sei. [...] Die Identität einer Information muß im übrigen als vereinbar gedacht werden mit der Tatsache, daß sie für Absender und Empfänger sehr verschiedenes bedeutet. [...] Geht man vom Sinnbegriff aus, ist als erstes klar, daß Kommunikation immer ein selektives Geschehen ist. Sinn läßt keine andere Wahl als zu wählen. Kommunikation greift aus dem je aktuellen Verweisungshorizont, den sie selbst erst konstituiert, etwas heraus und läßt anderes beiseite. Kommunikation ist Prozessieren von Selektion. Sie seligiert freilich nicht so, wie man aus einem Vorrat das eine oder das andere herausgreift. Diese Ansicht würde uns zur Substanztheorie und zur Übertragungsmetaphorik zurückbringen. Die Selektion, die in der Kommunikation aktualisiert wird, konstituiert ihren eigenen Horizont; sie konstituiert das, was sie wählt, schon als Selektion, nämlich als Information.

In einer vorläufigen Zusammenfassung: Kommunikation besteht so gesehen also weder aus einer Übertragung von Information, noch etwa aus Bewußtseinsprozessen - wenn auch Kommunikation selbstverständlich Bewußtsein mit beansprucht. Begreift man demgegenüber mit Luhmann "***Kommunikation als Synthese dreier Selektionen, als Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen, so ist die Kommunikation realisiert, wenn und soweit das Verstehen zustandekommt."

Ego ist gezwungen, aus dem reichen Schatz seines Erlebens eine Information auszuwählen, die der Mitteilung wert zu sein scheint. Erst nach dieser Selektion einer Information kann Ego ein Mitteilungsverhalten auswählen, das geeignet scheint, Alter seinerseits zu einer entsprechenden Gegenselektion anzuhalten. Alter erzeugt dabei selbständig die Information, indem er sie von der Mitteilung unterscheidet: Versteht er den Versuch der Mitteilung als Anregung, so selegiert er verstehend den Sinngehalt der Mitteilung als Information. Selbstverständlich kann Ego nicht kausal bewirken, daß Alter seine Selektion mitvollzieht. Ego kann nur ein Verhalten wählen, das geeignet erscheint oder wahrscheinlich erscheinen läßt, daß Alter entsprechend gegenselegiert. Dazu muß der Mitteilende der Information eine sogenannte "***Zweitform geben, zum Beispiel eine sprachliche (und eventuell lautliche, schriftliche, etc.) Form." So muß nach Luhmann Kommunikation "***als eine (immanent unwahrscheinliche) Synthese verschiedener Selektionen aufgefaßt werden, als Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen."

Und weiter muß berücksichtigt werden, daß das Verstehen Alters nicht als Leistung Egos (also des Mitteilenden) angesehen werden kann. Vielmehr hat der Verstehende immer selbst die Verstehensleistung zu erbringen. Wenn also Mitteilung nur ein Selektionsvorschlag ist, so muß der Verstehende selbst selegieren, und wenn Verstehen ebenfalls eine Leistung des Verstehenden ist, so muß der Verstehende beide Leistungen selbst erbringen: Der Mitteilende kann nur anregen, etwas als Mitteilung zu verstehen; der Mitteilende kann weder seine Mitteilung noch das (richtige) Verständnis der Mitteilung übertragen. Der Mitteilende ist gänzlich auf die Leistung des Verstehenden angewiesen. Damit aber stellt sich Kommunikation bereits als gleichzeitiges Aktualisieren von Sinn im Mitteilenden und im Verstehenden dar und sie läßt sich dann nicht mehr als die Leistung zweier Subjekte verstehen, sondern eben nur als dieses gleichzeitige Aktualisieren, das aus der Selektion von Mitteilung und Verstehen besteht.

Nimmt man die genannten Eigenschaften der Kommunikation zusammen, läßt sich die Übertragungsmetaphorik ersetzen. Diesen Ersatz findet sie in der Gleichartigkeit der Eigenleistungen beider psychischer Systeme: Den jeweils selbständigen Leistungen der drei Selektionen von Mitteilung, Information und Verstehen. Offensichtlich wird also Sinn in der Kommunikation nicht übertragen, sondern er muß auf beiden Seiten aufgebaut werden:

***Kommunikation [...] ist gemeinsame Aktualisierung von Sinn, die mindestens einen der Teilnehmer informiert. Die Vorstellung einer Übertragung scheitert schon daran, daß sie die Identität des zu Übertragenden und damit die Aufgabe des Besitzes bei Weitergabe, also irgendeine Form von Summenkonstanz voraussetzt. Als Identisches fungiert in der Kommunikation indes nicht eine übertragene, sondern eine gemeinsam zugrunde gelegte Sinnstruktur, die eine Regulierung der wechselseitigen Überraschungen erlaubt.

Und weil Sinn nicht übertragen werden kann, bleibt es fraglich, ob man davon sprechen kann, daß es sich um denselben Sinn in beiden "Subjekten" handelt. Daher schließt Luhmanns Begriff des Verstehens

***Mißverstehen ein, solange man nur glaubt zu verstehen. Jedes Verstehen ist dann auch mehr oder weniger mit Mißverständnissen durchsetzt, und das unmittelbare Erleben eines anderen hat weder die kognitive Kapazität noch die Zeit, das Verstehen nach richtig und falsch zu sortieren.

Mißverstehen und Verstehen lassen sich so allenfalls durch weitere Kommunikation scheiden, und Mißverstehen erscheint so ebenfalls als Verstehensleistung: Wer glaubt, mißverstanden zu haben, muß immer bereits etwas verstanden haben - und sei es nur, daß er verstanden hat, daß der andere etwas mitteilen wollte, was er nicht verstanden hat:

***Auch Mißverstehen ist mithin Verstehen. Was sollte es denn auch anderes sein? Die Differenz von richtig/falsch Verstehen wird am Verstehen artikuliert. [...] Erst der Lauf der Zeit und die Notwendigkeit, Konsequenzen zu ziehen, führen vor die Frage, ob jemand einen anderen richtig oder falsch verstanden hatte. Binäre Schematismen sind Schematismen der Zeit. Entsprechend ist Kommunikation erforderlich, um ein Verstehen als Mißverstehen hervortreten zu lassen. In aller Kommunikation laufen entsprechende Kontrollen mit. Wenn jemand etwas mitteilt, sieht und prüft er am Anschlußverhalten des Partners, ob er verstanden und ob er richtig oder falsch verstanden worden ist.

Die hier vorgestellte Konzeption des Verstehens ist direkt relevant für die an späterer Stelle noch zu diskutierende Luhmannsche Theorie autopoietischer Systeme, denn, wie Luhmann selbst ausführt, ist

***diese Fassung des Begriffs [...] überlegt gewählt, sie entspricht genau der Annahme von selbstreferentiell-geschlossenen und damit sowohl tautologisch als auch paradox konstituierten Systemen. Will ein Beobachter überhaupt diese für ihn unbestimmte, weil sich selbst bestimmende sinnhafte Autopoiesis berücksichtigen, kann dies nur durch Verstehen und nicht durch andere Formen des Erkennens geschehen.

Und soweit die Bedeutung des Bewußtseins für die Kommunikation angesprochen wurde, läßt sich nun feststellen: Zur Herstellung der Einheit der genannten drei Selektionen ist Kommunikation angewiesen auf die Eigenleistungen mindestens zweier Systeme. Dennoch: Wenn auch Kommunikation so als angewiesen erscheint auf psychische Systeme, sie besteht nicht aus diesen Systembeziehungen, sondern aus der Einheit der drei Selektionen, welche Einheit weder über ein ihr eigenes Bewußtsein verfügt, noch über eines verfügen können muß. Und im Rückgriff auf die subjektphilosophische Tradition: Kommunikation ist gegenüber den Leistungen des Bewußtseins von Subjekten emergent. Angewiesen ist Kommunikation freilich auf vieles: Systeme (oder Subjekte?), Sprache, Luft, Leben, Materie und vieles mehr. Aber sie besteht nicht aus dem, worauf sie angewiesen ist. Sie besteht aus der Einheit der genannten Selektionen und findet eine dieser Selektionen nicht statt, so findet keine Kommunikation statt, auch wenn alle übrigen Bedingungen (Subjekte, Bewußtsein etc.) gegeben sind. Wer oder was kommuniziert dann aber? Die Antwort ist: "***Nur die Kommunikation kann kommunizieren", "***denn alles, was Kommunikation ist, ist Gesellschaft. [...] Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation betreibt, ist Gesellschaft."

Wenn Kommunikation aber identisch ist mit Gesellschaft, was entsteht dann, wenn sich diese Gesellschaft in weitere Systeme ausdifferenziert? Luhmann nennt derartige, auf der Basisoperation der Kommunikation ausdifferenzierte Kommunikationssysteme soziale Systeme. Soziale Systeme nehmen ihre Emergenz folglich aus der Emergenz der Kommunikation und daher bestehen soziale Systeme aus Kommunikationen. Soziale Systeme als Resultate der Ausdifferenzierung können den Operationsmodus, auf dem Gesellschaft basiert, nicht verlassen. Sie können besondere Funktionen übernehmen oder überkomplex werden (etwa indem sie als Wissenschaftssystem die Gesellschaft, deren Teil sie sind, zu beobachten und zu beschreiben suchen), aber sie können dies nur, indem sie kommunizieren, denn würden sie anders als kommunikativ operieren, so wären sie keine Teilsysteme der Gesellschaft mehr. Außerdem kann ein System sich immer nur innerhalb des Operationsmodus desjenigen Systems ausdifferenzieren, dessen Teilsystem es ist. So können sich innerhalb eines Kommunikationssystems immer nur andere Kommunikationssysteme ausdifferenzieren: Auf der Basis eines Kommunikationssystems entstehen immer nur andere Kommunikationssysteme und nicht etwa neue lebende oder neue psychische Systeme.

Wenn soziale Systeme aus Kommunikationen bestehen, bestehen sie dann nicht aus Subjekten respektive Menschen? Auch hier zögert Luhmann nicht - gegen alle humanistische Tradition - die Konsequenzen aus seiner Theorie zu ziehen:

***Der Mensch mag für sich selbst oder für Beobachter als Einheit erscheinen, aber er ist kein System. Erst recht kann aus einer Mehrheit von Menschen kein System gebildet werden. Bei solchen Annahmen würde übersehen, daß der Mensch das, was in ihm an physischen, chemischen, lebenden Prozessen abläuft, nicht einmal selbst beobachten kann. Seinem psychischen System ist sein Leben unzugänglich, es muß jucken, schmerzen oder sonstwie auf sich aufmerksam machen, um eine andere Ebene der Systembildung, das Bewußtsein des psychischen Systems, zu Operationen zu reizen.

Mithin zerfällt das, was allgemein 'Mensch' genannt wird - darin ein gutes Stück ###{{{Ab hier bis Endemarkierung Kontrolle Syntax etc.!!!}}} cartesianischer ###{{{Kontrollende}}} Tradition aufbewahrend -, in zwei getrennte Systeme: ein physisches und ein psychisches. Diese Systeme operieren streng getrennt und bilden kein gemeinsames System, keine Einheit. So ersetzt Luhmann die dabei entstehenden "Leerstellen" je nach Themenlage durch die Titel 'psychisches System' oder 'physisches System'.

Psychische Systeme, so wurde bereits gesagt, operieren nach Luhmann ausschließlich mit Bewußtsein. Schon daher kann die Kommunikation beziehungsweise können soziale Systeme nicht aus psychischen Systemen bestehen. Wenn ein psychisches System einen Einfall, eine Wahrnehmung etc. hat, so muß dieses System versuchen, diesen Einfall etc. als Information (Mitteilenswertes) zu selegieren und ihn mitzuteilen, sofern es ein Interesse an Kommunikation hat. Da psychische Systeme geschlossen arbeiten, so bleiben auch ihre Wahrnehmungen etc. verschlossen für anderes Bewußtsein oder die Kommunikation. Schon daran sieht man: Kommunikation baut sich nicht aus Bewußtseinsvorgängen auf. Eine Wahrnehmung zum Beispiel kann nicht in ein anderes psychisches System übertragen werden. Sie muß über eine Zweitform (etwa Sprache) in Kommunikation transformiert werden, also ihre Form als Wahrnehmung aufgeben, so daß sie zu etwas für anderes Bewußtsein Wahrnehmbarem und Verstehbarem wird. Die Kommunikation baut sich somit nicht aus Wahrnehmungen, Gedanken oder Gefühlen auf. Die "Qualität", die eine psychische Operation hat, kann in der Kommunikation überhaupt nicht verwendet werden. Kommunikation operiert nicht auf der Basis psychischer "Qualitäten" (Operationsmodi); sie kann nicht erleben, also wahrnehmen, denken etc. Da zum Beispiel eine Wahrnehmung (wie jedes andere Erleben auch) nicht übertragen werden kann, bleibt nur noch übrig, ein anderes System auf eine solche Weise zu irritieren, daß dieses System aufmerksam wird und selektiv zu verstehen sucht. Um eine Wahrnehmung in einem anderen psychischen System hervorzurufen, bedarf es auf seiten Alters einer Mitteilung, deren Information von Ego selektiv verstanden wird, so daß Ego etwa verleitet wird, in eine bestimmte Richtung zu gucken und so eventuell eine "gleiche" (aber von Ego selbsterzeugte) Wahrnehmung zu selegieren. Alter muß demgemäß versuchen, Ego dazu zu veranlassen, auch wahrzunehmen.

Von der gleichen Wahrnehmung zu sprechen, ist somit strenggenommen nicht möglich. Für Kommunikation reicht aber aus, daß Alters Wahrnehmung mit der Egos kompatibel ist. Wenn sich kommunikativ keine allzu großen Störungen bemerkbar machen (die etwa ein Mißverstehen nahelegen würden), spielen Differenzen im Detail keine Rolle mehr, zumal, wenn man bedenkt, daß die Kommunikation ohnehin emergent ist, also ein eigenes System darstellt, in dem Wahrnehmungen, Gedanken etc. nicht mehr vorkommen.

Wenn man nach dem (freilich unentbehrlichen) Beitrag fragt, den das Bewußtsein zur Kommunikation beisteuert, so liegt die Antwort im wesentlichen darin, daß psychische Systeme durch ihre Eigenleistungen die Kommunikation anregen, besonders insofern als Bewußtsein immer wieder auf Mitteilung drängt und vorselegiert, was der Mitteilung wert sein könnte und was nicht. Diese Leistung betrifft sowohl die eminente Bedeutung des Wahrnehmens für die Erfahrung als auch die gedanklichen Konstruktionen, die psychische Systeme zu entwickeln in der Lage sind.

 

Eine Kommunikation kann freilich abgelehnt werden, indem Ego einfach nicht zuhört. Kommunikation ist immer eine Zumutung. Aber dies zeigt nicht etwa, daß Kommunikation doch aus Handlungen psychischer Systeme oder - nach traditioneller Vorstellung - der Übertragung von Information etc. zwischen Subjekten besteht, denn wenn psychische Systeme die drei notwendigen Selektionen nicht vollziehen, so entsteht keine Kommunikation: Obwohl zwei Systeme vorhanden sind, obwohl sie erleben und obwohl Alter sogar schon die Selektion der Mitteilung vollzogen hat. Der konkrete Anstoß zur Ablehnung einer Kommunikation mag psychisch mitbedingt sein; aber die Möglichkeit zur Ablehnung einer Kommunikation ergibt sich allein aus den Gesetzmäßigkeiten der Kommunikation selbst. So kann das Bewußtsein nicht ablehnen, irgend etwas zu erleben, ohne seine Autopoiesis zu beenden und damit zu verschwinden. Aber es kann ablehnen, selektiv zu verstehen - und es erlebt dennoch weiter.

Da die Kommunikation nicht aus Gedanken, Gefühlen oder überhaupt aus irgendeiner Form von Erleben im weitesten Sinne bestehen kann, muß die Kommunikation dem Erleben und damit psychischen Systemen gegenüber emergent sein. Während Kommunikation läuft, erleben psychische Systeme zweifellos weiter und müssen weiter erleben, denn mit ihrem Erleben würden nicht nur sie, sondern auch die Kommunikationen enden. Aber ihr Erleben (Gedanken, Wahrnehmungen etc.) kommt nicht in der Kommunikation vor, sondern nur: in ihrem Erleben. Die Einheit der drei genannten Selektionen kommt wiederum nicht im Erleben vor (wenn sie auch auf die Leistungen des Erlebens angewiesen ist). So kommt Kommunikation nicht im Erleben vor, und es wird nur erlebt, daß Kommunikation stattfindet, wenn sie stattfindet. Die Beziehung (Interpenetration) zwischen Systemen (Subjekten?) ermöglicht somit Kommunikation, sie ist aber nicht bereits Kommunikation.

Kommunikation unterliegt eigenen Gesetzen, weil sie für das Bewußtsein verschlossen bleibt, vice versa. Das Bewußtsein kann mithin nicht außerhalb seiner selbst operieren, und die Kommunikation kann nicht in ein Bewußtsein eindringen (und täte sie es, so müßte ein Bewußtsein mit sich selbst kommunizieren, aber das hieße 'erleben'). Alter mag erleben was er erlebt, und Alter mag selegieren, was er selegiert, wenn Ego nicht gegenselegiert, kommt keine Kommunikation zustande. Und was immer Alter mitzuteilen meint, Ego muß selbst einen Sinn erzeugen, Ego muß ohne Hilfe von außen (oder von Alter) verstehen (oder mißverstehen). Demgemäß nimmt die Kommunikation ihre Emergenz gerade aus der Geschlossenheit psychischer Systeme; sie beruht gerade darauf, daß es nichts gibt, was ein Bewußtsein (oder ein Subjekt) in ein anderes Bewußtsein übertragen könnte. Paradoxerweise macht dementsprechend nicht die Möglichkeit der Übertragung von Information, sondern die Unmöglichkeit der Übertragung Kommunikation möglich. Die Kommunikation basiert gerade auf der Geschlossenheit der Systeme füreinander. Aber psychische Systeme werden nicht über die Kommunikation offen füreinander, denn: Psychische Systeme können nicht kommunizieren! Nur die Kommunikation kann kommunizieren. Dabei darf unter Kommunikation nichts Substantielles verstanden werden, also auch nichts Dingliches:

***Das trifft schon deshalb nicht zu, weil der Absender nichts weggibt in dem Sinne, daß er selbst es verliert. Die gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens, die gesamte Dingmetaphorik ist ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation.

Die Kommunikation besteht aus Ereignissen, nämlich Kommunikationen. Sie besteht aus dem, was sie erzeugt und ist autopoietisch. Die Kommunikation hat so gesehen auch keinen "Träger", sie beruht auf keiner Substanz, die einzelne Kommunikationen als Attribute oder Akzidenzien an sich trägt. Kommunikation bedarf lediglich der Erfüllung vieler Bedingungen (Materie, Leben, Bewußtsein etc.), bevor sie stattfinden respektive ihre Autopoiesis fortsetzen kann. Und eben weil sie einer unübersehbaren Zahl von Konditionen bedarf, erscheint Kommunikation als unwahrscheinlich. Zur Beantwortung der Frage, wieso Kommunikation dennoch zustande kommt,

***legen wir das Angebot der Evolutionstheorie vor: den Grund, daß etwas ist und nicht nicht ist, in der Unwahrscheinlichkeit seines Seins zu suchen und die Erklärungslast dafür zu übernehmen. Das heißt: Ein Beobachter von Evolution sieht diese als Paradox, als Unwahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichen, und formuliert dann sein Gegenstandsverhältnis mit der Frage, wie es trotzdem möglich ist und ob es weiterhin so bleibt, wie es ist.

Wenn auch psychische Systeme nicht kommunizieren können, so wurde doch von Anfang an klargestellt, daß sie auf Kommunikation (das heißt: auf soziale Systeme und damit auf Gesellschaft) angewiesen sind und umgekehrt Kommunikation auf psychische Systeme. Daher liegt es nahe, die Genesis von Kommunikation und Bewußtsein co-evolutiv zu betrachten. Dazu muß man, wie Nietzsche es vorgemacht hat, die ("ontologische") Fragestellung "Was ist Bewußtsein?" durch eine entwicklungsgeschichtlich-funktionale ersetzen, womit man zu der neuen Fragestellung kommt: "***Wozu überhaupt Bewußtsein, wenn es in der Hauptsache überflüssig ist?"

Auf diesem Weg kann man dann mit Luhmann etwa zu der Antwort gelangen, daß soziale und psychische Systeme sich gegenseitig voraussetzen und also gleichursprünglich entstanden sein müssen, obwohl sie streng geschieden, das heißt gegeneinander geschlossen operieren. Allerdings operieren beide Systeme auf der Basis von Sinn und haben sich evolutionär gesehen demnach im Aufbau ihrer Sinnstrukturen sozusagen "auseinander-hochgezogen", sofern sie sich - mit dem Erreichen der übrigen Voraussetzungen - wechselseitig ermöglichten, unterschieden und festigten:

***Beide Arten von Systemen sind im Wege der Co-evolution entstanden. Die eine ist nicht ohne die andere möglich und umgekehrt. Sie haben sich, wenn man so sagen darf, am Sinn ausdifferenziert. Sinn ist die eigentliche 'Substanz' dieser emergenten Ebene der Evolution. Es ist daher falsch (oder milder: ist ein falsch gewählter Anthropozentrismus), wenn man der psychischen, das heißt der bewußtseinsmäßigen Verankerung eine Art ontologischen Vorrang vor der sozialen zuspricht. Es ist überhaupt verfehlt, für Sinn einen 'Träger' zu suchen. Sinn trägt sich selbst, indem er seine eigene Reproduktion selbstreferentiell ermöglicht. Und erst die Formen dieser Reproduktion differenzieren psychische und soziale Strukturen.

Nur innerhalb von Sinn läßt sich zwischen sozialen und psychischen Sinnsystemen unterscheiden. Sinn selbst wird von den Systemen in Anspruch genommen, um Unterscheidungen einzuführen, etwa die von Aktualität und Virtualität, Brennpunkt und Horizont, denn diese und andere Unterscheidungen sind es, die allein Sinn konstituieren können. Daraus folgt, daß Sinn als die Einheit einer Unterscheidung aufgefaßt werden muß, und daß es dann keinen Sinn machen kann, "***das, wovon diese Unterscheidungen unterschieden werden, wiederum sinnhaft zu bezeichnen. Die Referenz dafür ist vergeben. Insofern ist Sinn ein differenzloser Begriff."

In dem Moment, in dem die Evolution die komplexen (und daher hochunwahrscheinlichen) Voraussetzungen für Bewußtsein geschaffen hatte, hatte sie auch die entscheidende Voraussetzung für Kommunikation erreicht, und der Moment der Ausdifferenzierung beider setzte deren co-evolutiv gewonnene Autopoiesis in Gang:

***Selbstverständlich hat jede Kommunikation korrespondierende Bewußtseinsprozesse zur Voraussetzung, so wie das Bewußtsein seinerseits Leben voraussetzt (und weitaus mehr Leben seines eigenen Organismus, als es je wissen kann), und so wie das Leben seinerseits eine molekulare Ordnung der Materie voraussetzt. Sinnhafte Kommunikation entsteht als emergente, autopoietische Ordnung nur unter vorgegebenen Bedingungen. In diesem Sinne sind psychische Systeme an allen wissenschaftlichen Operationen beteiligt. Das heißt aber nicht, daß Bewußtseinssysteme spezifizieren könnten, wie und in welcher Richtung ein Kommunikationssystem seine eigenen Strukturen ändert und durch eigene Operationen sich von einem Zustand in einen anderen bringt. [...] Es wäre daher kaum angemessen zu sagen, daß das Bewußtsein aus sich selbst heraus bestimmt, was es in die Kommunikation eingibt. Die Kommunikation spezifiziert sich selbst in der Beschränkung durch das, was jeweils bewußtseinsmöglich ist. Eben deshalb geht es an den Realitäten vorbei, wenn man das Bewußtsein (wessen Bewußtsein?) zum Subjekt der Kommunikation und des Wissens erklärt.

Sinn arbeitet über die Erzeugung von Redundanzen. Das heißt, Sinn verweist auf ein Mehr-des-Erlebens respektive ein Mehr-des-Kommunizierens. Sinn beinhaltet mehr als das, was gerade aktualisiert ist und schafft dadurch die Voraussetzung für weiteres Erleben und Kommunizieren. Damit schafft Sinn jedoch auch die Möglichkeit von Mehrdeutigkeiten oder Mißverständnissen. Eine Eindeutigkeitsforderung für Sinn zu erheben (Sinn -> Bedeutung), wie sie etwa in der Theorie künstlicher (meist prädikatenlogischer) Sprachen gefordert wird, erscheint daher nicht nur als ein Übersehen der entscheidenden Bedingungen, unter denen sich Sinn konstituiert, sondern auch als ein Verkennen der wichtigsten Leistungen (nämlich der Ermöglichung von Anschlußfähigkeit und Neuperspektivierung), die Sinn erbringt und die für jedes Erleben und jede Kommunikation unverzichtbar sind.

 

Für Sinn gilt immer, wie Spencer Brown es nannte: 'Draw a distinction'! Jeder bestimmte Sinn besteht aus dem Ziehen einer Grenze, die eine Unterscheidung herstellt, wobei stets nur auf jeweils eine Seite der Grenze Bezug genommen werden kann, die andere Seite bleibt der "blinde Fleck" in jeder Bestimmung. Um beide Seiten sehen zu können, bedarf es der Zeit. Nur wenn man Zeit hat, kann man über die Grenze wechseln, um die andere Seite zu bestimmen, und dabei bleibt nun wieder die gegenüberliegende Seite unbestimmt. Man sieht nur, was man sieht, und man kann nicht sehen, was man nicht sieht. Um sehen zu können, was man nicht gesehen hat, muß man auf die entsprechende Seite wechseln. Zeit ermöglicht den Aufbau einer Sequenz: erst das, dann das andere:

***Zeit ist ein Multiplikator von Widersprüchen. Sie wirkt zugleich aber auch besänftigend und löst Widersprüche auf. Einerseits geraten mehr Vorhaben zueinander in Widerspruch, wenn man weitere Zeithorizonte in Betracht zieht. Andererseits kann vieles nacheinander geschehen, was nicht gleichzeitig geschehen könnte. Zeit hat also offenbar ein widersprüchliches Verhältnis zu Widersprüchen: sie vermehrt und vermindert sie.

Zeit ermöglicht somit den Aufbau komplexerer Bestimmungen, und man kann daher jede Operation daraufhin untersuchen, inwiefern sie von zeitlicher Komplexität Gebrauch macht. Die Entfaltung von Sinn bedarf immer des Rückgriffs auf zeitliche Komplexität, und da Zeit immer begrenzt zur Verfügung steht (man kann nicht alles auf einmal erleben, nicht alles auf einmal kommunizieren), muß sich jede Sinnoperation entsprechend einschränken.

Diese Einschränkung leistet sie über die Herstellung entsprechender Konditionen, die einschränken, was gerade erlebt, was gerade kommuniziert werden kann. Mit anderen Worten: Bewußtsein und Kommunikation bedürfen der Selektion (zum Beispiel zwischen relevant/irrelevant). Kommunikation und Bewußtsein sind somit selektiv, und ihre Selektionen wählen aus dem Sinnhorizont gerade deswegen diejenigen Verweisungen aus, die Selektionen ermöglichen, weil der Horizont unendlich ist. Wenn aber der Sinnhorizont unendlich ist, dann können die entsprechenden Selektionen nicht schon durch die Verwendung von Sinn konditioniert werden. Es bleibt daher nur noch die Annahme übrig, daß die Konditionierungen durch die Systeme geschaffen werden. Und diese Konditionierung von Selektionen soll mit Luhmann als Struktur begriffen werden.

Der Aufbau von Strukturen bedarf jedoch wiederum der Zeit, und er kann von daher nicht unabhängig von der Systemgeschichte gesehen werden, das heißt: Er hängt von den bereits im und durch das Erleben gemachten Erfahrungen im Falle psychischer Systeme und von den bereits gemachten kommunikativen Erfahrungen im Falle sozialer Systeme ab. Festgehalten werden muß vor allem, daß beide Systemtypen historische Systeme sind, denn nur so kann der zur Konditionierung notwendige Aufbau von entsprechenden selektiven Strukturen verstanden werden.

Auch hier wird wieder die Trennung der Systemtypen deutlich: Der Sinnhorizont der Kommunikation kann nur der sein, der in der Kommunikation aufgebaut wurde; er kann nicht aus der Summe oder einem "Gemisch" der Sinnhorizonte der (die Kommunikation ermöglichenden) psychischen Systeme zusammengesetzt oder als aus ihnen zusammengesetzt betrachtet werden. Die Selektion, die ein Bewußtsein vornimmt, gilt nur für dieses System, sie läßt sich weder in die Kommunikation noch in ein anderes Bewußtsein übertragen. Eine solche Selektion kann nur kommunikativ relevant werden, wenn sie in Kommunikation transformiert wird. In der Kommunikation aber kann sie nur über die Inanspruchnahme der drei Selektionen (Information, Mitteilung, Verstehen) wirken, und damit verliert sie ihre Eigenständigkeit als psychischer Selektionsvorgang und wirkt nur noch kommunikativ. Was immer sich in psychischen Systemen abspielt damit Kommunikation stattfinden kann, muß sich zwar abspielen, damit Kommunikation stattfinden kann, ist aber selbst keine Kommunikation. Darum kann keine psychische Selektion Alters in der Kommunikation unmittelbar wirken, da sie erst im Zusammenhang mit einer Gegenselektion auf seiten Egos die Form der Kommunikation annimmt. Jede Kommunikation arbeitet selbstselektiv, und keinerlei vorkommunikative Selektion kann etwa als "Input", den psychische Systeme in die Kommunikation einbringen, von der Kommunikation aufgenommen oder auch nur registriert werden. Es kann so auch nicht von vor- oder präkommunikativen Akten gesprochen werden, da Kommunikation, wenn man sie, wie hier geschehen, als emergent betrachtet, nicht aus kommunikativen Handlungen psychischer Systeme besteht. Wie sollte auch eine bewußte Selektion unter Verlust ihrer Qualität als "Bewußtes" in der Kommunikation (die ja ohne Bewußtsein operiert) wieder auftauchen? Rückgreifend läßt sich sagen: Es gibt keinen "Zwischenraum", keine "Nische", in der sich Kommunikation als eine Beziehung psychischer Systeme (oder auch als Beziehung zwischen Subjekten) abspielen könnte. Und mehr noch: Kommunikation kann wissenschaftlich nicht als Handlung (von oder zwischen psychischen Systemen respektive Subjekten) begriffen werden.

Man darf die Bedeutung dieser Schlußfolgerung nicht unterschätzen, denn sie beinhaltet als Konsequenz nichts weniger als eine aus der Trias von Selbstreferenz, Autopoiesis und Geschlossenheit sich ergebende Abweisung jeder Handlungstheorie innerhalb der Luhmannschen Systemtheorie. So sehr auch im Alltag oder innerhalb der Soziologie die Auffassung der Kommunikation als Handlung üblich sein mag und wie immer auch eine solche Handlungstheorie die theoretische Erfassung des Sozialen erleichtern mag: Wissenschaftlich erscheint sie aus Sicht der Systemtheorie des hier behandelten Typus als unhaltbar: Psychische Systeme können nicht handeln, weil sie zunächst einfach nur erleben, was sie erleben; soziale Systeme können nicht geradewegs als aus Handlungen bestehend aufgefaßt werden, weil sie aus Kommunikationen bestehen, welche, wie gezeigt, ebenfalls nicht per se als Handlungen aufgefaßt werden können. Aber als was oder besser wie können dann Handlungen begriffen werden, oder muß jeder Begriff von 'Handlung' abgelehnt werden?

Die Antwort auf diese Frage fällt leicht: Handlungen entstehen durch Attribution, wenn man mit Luhmann Attribution als einen Zurechnungsprozeß versteht. Dann ergibt sich, daß von Handlung im Sinne Luhmanns dann gesprochen werden kann, wenn die Sinnselektion dem System selbst zugerechnet wird, "***obwohl solches Handeln ohne Bezug auf die Umwelt gar nicht möglich ist":

***Handeln ist soziales Handeln immer dann, wenn bei seiner Sinnbestimmung die Sozialdimension mitberücksichtigt wird; wenn man also beachtet, was andere davon halten würden. Handeln ist gesellschaftliches Handeln aber nur, wenn es als Kommunikation intendiert und/oder erfahren wird, weil es nur so das Sozialsystem der Gesellschaft mitvollzieht.

Insofern kann dann (unter Vorbehalt) davon gesprochen werden, daß psychische Systeme oder Personen kommunizieren. Es handelt sich dann aber immer um eine Aussageform, die Kommunikation bereits als Handlung zugerechnet hat und sich damit einer Attribution bedient, die kommunikationstheoretisch der Rechtfertigung bedarf, so sinnvoll eine solche Attribution im Alltag oder in der Soziologie unter Umständen auch sein mag. Zu beachten bleibt dabei vor allem, daß nicht die Kommunikation aus Handlungen besteht oder auf sie zurückgeht, sondern daß vielmehr Handeln nur konstituiert werden kann, wenn Kommunikation bereits läuft und die kommunikativ zustande gekommene Sinnselektion dem mitteilenden System selbst als Handlung zugerechnet wird.

Einsame Handlungen sind demgegenüber

***immer dann auch soziale Handlungen, wenn ihre Sinnbestimmung Bezüge auf Gesellschaft mitführt. [...] Ob es überhaupt gänzlich gesellschaftsfreies, rein 'privates' Verhalten gibt, das gleichwohl die Form des Handelns annimmt, können wir offen lassen; denn dies ist nicht zuletzt eine Frage der Begriffsbildung, das heißt abhängig davon, wie entfernte Bezüge auf Gesellschaft man als ausreichend ansieht, um ein Handeln als sozial zu klassifizieren. Jedenfalls muß es dabei auf die Sinnbestimmung durch den Handelnden selbst ankommen und nicht auf gesellschaftliche Bedingtheiten, die ein Beobachter feststellen könnte.

Um es auf eine Kurzform zu bringen: Handelnde sind nach Luhmann solche, die auf Grund von Zwecken oder Präferenzen diskriminieren.

 

Es müssen nunmehr zwei Kommunikationsformen unterschieden werden: Interaktion und Kommunikation in einem allgemeinen Sinn. In den meisten Kommunikationstheorien dürften Interaktion und Kommunikation als umfangsgleiche Begriffe gehandelt werden. Eine solche Umfangsgleichheit findet sich wohl letztlich auch in der Sprechakttheorie bei Austin und Searle, aber auch bei Habermas. Habermas hat zwar an derartigen Sprechakttheorien "***wiederum [...] eine Typologie von Geltungsansprüchen angeschlossen, die in der Kommunikation impliziert sind" und unterscheidet auf diesem Wege zwischen Interaktion (kommunikativem Handeln), Diskurs und instrumentellem Handeln. Aber an all dem wird dennoch deutlich, daß eine solche Theorie "***immer noch von einem handlungstheoretischen Verständnis der Kommunikation aus[geht]" und deshalb "***den Kommunikationsvorgang [...] als eine gelingende oder misslingende Uebertragung von Nachrichten, Informationen oder Verständigungszumutungen" ansieht. Wenn so Kommunikation zu guter Letzt doch als Handlung (Akt) aufgefaßt wird, also als etwas, daß sich (nach Habermas) unmittelbar zwischen Subjekten abspielt, so hat jede Kommunikation die Anwesenheit von Subjekten zur Voraussetzung. Kann man aber bedenkenlos Kommunikation in Interaktion aufgehen lassen? Nach Luhmanns Auffassung wohl kaum, wie im folgendem zu zeigen sein wird.

Unter Interaktion kann - wie bereits angedeutet - nur eine Kommunikation unter Anwesenden verstanden werden, ein System von Kommunikationen also, das es ermöglicht, daß jeder mit jedem kommunizieren kann, was eben Anwesenheit zur Voraussetzung hat. Auch so wird deutlich, daß Kommunikation nicht als Beziehung eines Bewußtseins auf andere angesehen werden kann, denn Interaktion stellt hohe Anforderungen an ein Interaktionssystem, sowohl was zeitliche als auch was soziale Komplexität betrifft: Interaktion erfordert das Zurverfügungstellen von ausreichend viel Zeit (zeitliche Komplexität), um jedem die Möglichkeit zu geben, mit jedem anderen zu sprechen. Außerdem bedarf Interaktion aus dem gleichen Grunde einer strengen Begrenzung der Zahl der Anwesenden (soziale Komplexität). Was aber, wenn zuviele "dazugehören"? Was aber, wenn zuwenig Zeit zur Verfügung steht, um jedem die Gelegenheit zu bieten, sich zu beteiligen? Was also, wenn die zur Verfügung stehende zeitliche und die soziale Komplexität nicht ausreicht, um Interaktion zu ermöglichen? Wie kann bei einer derartigen Unwahrscheinlichkeit dann noch Kommunikation stattfinden?

Die Antwort fällt auch hier leicht: Wenn ein Interaktionssystem nicht genügend Komplexität für Interaktion erzeugen und somit bereitstellen kann, so kann sich Kommunikation eben nicht mehr ausschließlich auf der Basis von Interaktion konstituieren. Kommunikation muß in diesem Fall, wenn sie nicht gänzlich zum Stillstand kommen soll, ein soziales System aufbauen können, das nicht mehr auf Interaktion als einziger Kommunikationsform angewiesen ist. Interaktion ist mithin nicht die einzige Form der Kommunikation, sondern eine spezielle.

 

Alle erörterten Konsequenzen ergeben sich aus der Neufassung des Sinnbegriffs und seiner konsequenten Applikation auf autopoietische Systeme. Psychische und soziale Systeme werden als Sinnsysteme betrachtet, Systeme, deren Eigenschaften aus ihrem Bezug zu Sinn herrühren. Die von ihnen aufgebaute Komplexität, ihre gegenseitige Abhängigkeit, ihre Operationsweisen und damit alles, was in ihnen vorgeht, was sie produzieren, erfordert nicht nur die Benutzung von Sinn - es erfordert vor allem eine Umstellung jeder Analyse oder Untersuchung derartiger Systeme auf eine Beobachtung und Beschreibung der Sinnoperationen und Sinnhorizonte sozialer und psychischer Systeme. Daß eine solche Umstellung für Erfahrung oder auch für wissenschaftliche Erkenntnis von höchster Bedeutung ist, wird nicht nur von Luhmann, sondern auch von Habermas behauptet. Bedeutung und Folgen dieser Umstellung für die Systemtheorie sollen im folgenden Kapitel ausführlicher herausgearbeitet und argumentativ belegt werden. In den späteren Kapiteln über Psychoanalyse und Szientismus werden psychoanalytische und szientistische Positionen den postulierten Umbruch konturieren helfen. Was bedeuten Sinnanalysen für das Verhältnis der Wissenschaft zu Kausalanalysen? Kann man das Verhalten physikalischer Gegenstände mit dem Verhalten von Sinnsystemen vergleichen? Kann man Sinn beobachten? Oder, wenn man Sinn beobachten kann, wie muß man dann den Beobachtungsbegriff oder den Begriff der Erfahrung reformulieren? Kann man im Falle von Sinnsystemen von Verhalten überhaupt sprechen, ohne dieses Verhalten als bereits von sich aus sinnvoll zu betrachten und damit als ebensowenig "objektiv" oder "von außen" beobachtbar wie (Fremd)Erleben?

Die angeschnittenen Fragestellungen sollten ausreichen, um vorweg vermerken zu dürfen, daß eine solche Zentralstellung des Sinnbegriffs unmittelbar Konsequenzen haben muß für jede Psychologie, aber auch jede Erkenntnistheorie, die dies zu berücksichtigen versucht. Und jede Theorie, die eine solche Konzeption ablehnt, wird dennoch nicht an ihr vorbeisehen können und deswegen nicht daran vorbeikommen, Stellung zu der von Luhmann inaugurierten Theorie zu beziehen. Der Stellenwert, den heute die Theorie autopoietischer Systeme einnimmt, macht ein einfaches Ignorieren ebenso unmöglich wie die Erwartung breiter Zustimmung.

1.2 Der systemtheoretische Begriff der Erfahrung

1.2.1 Vorbemerkung

Bei Luhmann scheint der Begriff der Erfahrung zunächst keine eminente Rolle zu spielen, obwohl Luhmann seine Theorie selbstverständlich als empirische versteht. Bezeichnenderweise taucht der Begriff 'Erfahrung' nur selten in einem der Register seiner umfangreicheren Werke auf oder, wenn doch, dann ist er mit nur auffallend wenigen Seitenverweisen versehen. Und wenn dieser Begriff auftaucht, so wird seine Verwendung oftmals skeptisch betrachtet, denn

***die empirische Forschung der Soziologie vermittelt zuweilen den Eindruck, als ob man sich auf diesem Wege der erfahrbaren Realität nicht nähere, sondern sich von ihr entferne. Nun ist freilich auch die (jedermann zugängliche) Erfahrung kein guter Halt für Theoriebildung. Eine Theorie, die der Erfahrung zu nahe kommt, muß vielmehr vorsichtig werden; denn dann denken die Leute zu schnell. Hinter dem, was man für Erfahrung hält, und hinter dem Gegenstandskonstrukt der empirischen Forschung steckt ein ungeklärter Begriff von Realität. Das Problem liegt nicht in der Methodologie, sondern in der Erkenntnistheorie.

Was heißt dann aber Erfahrung, was Realität, wenn man Luhmanns Warnung ernst nimmt und nicht "zu schnell denken" möchte? So ergibt sich aus dieser Skepsis und dem nicht nur daraus erwachsenden ungewöhnlich "sparsamen" Umgang mit dem Erfahrungsbegriff die Notwendigkeit einer rekonstruierenden Analyse: Fürs erste muß ein heuristischer Arbeitsbegriff der Erfahrung aus Luhmanns Werken herausgearbeitet werden. Daraus sollten sich rasch Anhaltspunkte für Luhmanns systematische Einstellung zum Begriff der Erfahrung gewinnen lassen. Diese werden dann in den Arbeitsbegriff zurückzuführen sein, so daß dieser in einer zirkulären Bewegung Schärfe und Kontur gewinnen sollte. Dies läßt erwarten, daß so anstelle einer expliziten eine implizite Anwendung des Erfahrungsbegriffs bei Luhmann nachzuweisen ist. Der Grund des mehr impliziten denn expliziten Rückgriffs auf einen solchen Begriff läßt systematische Gründe ahnen. Auch diese müssen "herausgelesen" werden und in den Begriff selbst Eingang finden.

1.2.2 Beobachtung und Sinn

1.2.2.1 Neokybernetische Beobachtungen: Unterscheidungen und Paradoxien

Traditionell beansprucht Beobachtung die Form einer sinnlichen (gemeinhin: bewußten) Beobachtung eines Objekts oder sogar die Form eines sinnlichen Kontaktes zur Außenwelt. Die wichtigste Form sinnlicher Beobachtung ist dann die des Sehens, aber auch akustische, taktile und andere Formen der Sinnlichkeit sind zugelassen. Luhmann hingegen übernimmt einen von der Neokybernetik inaugurierten Beobachtungsbegriff und löst die Verbindung von Beobachtung, Sinnlichkeit und Bewußtsein. Natürlich kann man dann immer noch sinnlich und mit Bewußtsein beobachten - aber der Begriff der Beobachtung ist bei Luhmann nicht mehr definitorisch an diese Momente gebunden: "***Beobachtung ist die Verwendung einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen (also: nicht der anderen) Seite." Beobachten heißt also: etwas von etwas anderem unterscheiden: "***Beobachten ist nichts weiter als das Handhaben einer Distinktion wie zum Beispiel System und Umwelt. Es ist keine schon auf Erkenntnisgewinn spezialisierte Operation, es ist keine Analyse."

All die anderen Momente können dann zwar zur Beobachtung hinzutreten; sie sind aber als "unwesentliche Bestandteile" nicht mehr per definitionem mit Beobachtung verbunden. Luhmann bindet seine Reformulierung der Theorie der Beobachtung und der Erfahrung (Empirie) unmißverständlich an eine Abkehr vom Subjektparadigma:

***Die Ansicht, Erkenntnis sei immer Erkenntnis eines Subjekts und ein Subjekt sei immer individuelles Bewußtsein, hat den Zusammenbruch der Unterscheidung von empirisch und transzendental überstanden. Sie kann noch heute als herrschende Auffassung gelten, besonders bei Philosophen und im Alltagsleben. [...] Die analytische Philosophie schließlich hat eine entsprechende Unterscheidung der Form nach beibehalten, sie aber vom Subjekt auf die Sprache verlagert. [...] Diese Voraussetzungen werden gesprengt, wenn man, mit Hilfe der Soziologie, von Sprache auf Kommunikation umstellt und unter Kommunikation eine stets faktisch stattfindende, empirisch beobachtbare Operation versteht.

Sollte man angesichts der besonders von der Physik hervorgebrachten "***Idealisierung des Beobachters als eines Komplexes von Messungen und Berechnungen" demnach schlicht anstelle von Subjekten (als Beobachtern) von 'Beobachtungen' oder 'Beobachten' sprechen? Diese Möglichkeit scheint zunächst gegeben, jedoch

***solche Kautelen bringen [...] nicht viel, wenn man nach wie vor nur eine einzige Möglichkeit hat, den Beobachter zu identifizieren, nämlich als Menschen. Man mag ihn dann wie immer abstrakt beschreiben und damit dem Umstand Rechnung tragen, daß der Mensch noch mehr tut, als nur zu beobachten; aber im Effekt unterstellt man für das, was man als Beobachten (und folglich: als Wissen) bezeichnet, nach wie vor nur eine einzige Systemreferenz: den Menschen.

Und hier findet sich dann auch ein erster Hinweis auf den geringen Stellenwert, den der Begriff der Erfahrung bei Luhmann zu spielen scheint: Luhmann verwirft die Unterscheidung von empirisch und transzendental und stellt sich auf die Seite der von Quine angeregten 'naturalisierten Epistemologie':

***Es liegt in der Konsequenz einer derart 'naturalisierten' (= de-transzendentalisierten) Epistemologie, daß sie höhere Anforderungen an die Selbstreferenz stellt, daß sie eine genauere Beschreibung der empirischen Kognitionsprozesse erfordert und daß sie schließlich über die Bezugseinheit 'Mensch' hinausgehen muß.

Mit einigen, eher in die Problematik einführenden Gedankengängen, versucht Luhmann, eine gewisse Anfangsplausibilität für seine Umstellung zu erzeugen. Bedenkt man zum Beispiel, daß der Mensch mehr ist als Bewußtsein, daß er ein Lebewesen ist, das über einen hochkomplexen Körper verfügt, so kann

***schon einfaches Nachdenken [...] zeigen, daß nicht der ganze Mensch erkennt. Erkennen kommt nur aufgrund der Möglichkeit des Sich-Irrens zustande. Das Leben, und selbst das Gehirn, kann sich aber nicht irren. Es ist ja entscheidend an der Produktion wahrer und unwahrer Vorstellungen beteiligt und produziert beides auf gleiche Weise [...]. Wir müssen also Erkenntnis, wenn überhaupt auf den Menschen, auf sein Bewußtsein zurechnen [...]. Zugestanden, daß eine entsprechende Konvention für die Kommunikation über Wissen unentbehrlich ist. Aber wenn das zugestanden wird, ist dann nicht eigentlich die Kommunikation selbst das Beobachten, das sich des Menschen nur bedient, was immer sie damit meint, um sich selbst fortzusetzen?

Und was die Rolle des Wahrnehmens oder der Sinnlichkeit für die Beobachtung betrifft, so ist ferner zu bedenken, daß

***schon das Wahrnehmen des Wahrnehmens eines anderen [...] ja gar nicht dessen bewußtseinsmäßige, geschweige denn dessen neurophysiologische Prozesse ein[schließt]. Man nimmt gar nicht wahr, wie ein anderer wahrnimmt, sondern nur, daß ein anderer wahrnimmt, und zwar mit Hilfe der Unterscheidung von Subjekt und Objekt. Dafür genügt [anstelle des Subjekt/Objekt-Paradigmas, H.W.] ein 'black box'-Konzept vollauf.

Man mag sich fragen, wie es möglich sein soll, Beobachtung als 'Verwendung einer Unterscheidung' ohne eine notwendige Verbindung zu irgendwelchen Formen der Sinnlichkeit und des Bewußtseins zu bestimmen. Es sollte sich aber zeigen, daß eine solche Lösung des Beobachtungsbegriffs von der Sinnlichkeit, so fragwürdig sie zunächst erscheinen mag, ausgesprochen plausible Argumente in Anspruch nehmen kann und nicht ohne Vorteile für die wissenschaftliche Forschung ist.

Die Lösung des Begriffs des Beobachtens von seinen sinnlichen Implikationen sollte einen direkten Vergleich mit dem Begriff des Erkennens zulassen. Während noch Kant an einem Begriff des Erkennens respektive der Erkenntnis (sofern diese Begriffe von ihm im engeren Sinne verwendet wurden) als an die Sinnlichkeit gebunden festhielt, spricht man heute in den Wissenschaften wie im Alltag im allgemeinen von Erkenntnis in einem Sinne, der nur noch fakultativ an 'sinnliches Wahrnehmen' anschließt: Man "erkennt" (hier im Sinne von "sehen"), daß die Dame an der Bushaltestelle eine Handtasche mit sich trägt. Aber man "erkennt" auch (jetzt im Sinne von "begreifen", "verstehen", "nachvollziehen können"), daß der Ventilator nicht funktionieren kann (obwohl er nicht defekt ist), weil der Strom ausgefallen ist.

Aber wenn man Erkenntnis als "menschliche Erkenntnis" ansieht (und nicht, wie Luhmann, als eine Fähigkeit, über die die verschiedensten Systeme verfügen), welche Auffassung vom menschlichen Geist ist es dann, die die Einnahme einer Position zur Erkenntnis als zwangsläufig über Sinnlichkeit vermittelter überhaupt erst ermöglicht? Eine entscheidende Antwort darauf lautet sicherlich, daß eine strikte Kopplung des Erkennens an die Sinnlichkeit den Gedanken impliziert, Denken und Sinnlichkeit seien unabhängige Vermögen, Prozesse oder Akte, welche sich zwar aufeinander beziehen können müssen, aber als separate Vermögen vorliegen. Kant hatte daher konsequenterweise einen so gearteten Standpunkt vertreten. Auf der einen Seite steht dabei der Verstand, dessen Gedanken ohne Anschauungen "leer" sind; ein Verstand also, der darauf angewiesen ist, daß ihm ein Anschauungsmannigfaltiges von der Sinnlichkeit gegeben wird. Auf der anderen Seite steht die Sinnlichkeit, deren Anschauungen ohne Begriffe "blind" sind, da der Verstand Anschauungen erst unter Begriffe bringt und sie dadurch verständlich werden läßt.

Bei Hegel dagegen erhielt die Sinnlichkeit bereits einen anderen Stellenwert. 'Erkennen' erfordert danach vielmehr ein aktives, konstruktives Denken. Auf diese Weise gewinnt bei Hegel der 'Begriff' oder das 'Denken' an Bedeutung betreffs des Erkennens. Jede neue "Konstruktion" geht demgemäß aus einer Entfaltung des bereits Erkannten hervor. So löst Hegel die Tautologien auf, in denen das Denken ohne die Entwicklung neuer Begriffe gefangen bliebe: Weil ein Begriff einen anderen bereits enthält, läßt sich jeder Begriff entfalten und aus der bloßen Identität (Tautologie) von 'A ist A' (etwa: das Sein ist das Sein ist das Sein ist das Sein ...) gehen auf diese Weise immer andere Begriffe, immer neue Erkenntnisse - geht letztlich eine ganze Welt hervor. Als Beispiel sei daran erinnert, daß Hegel das Sein paradoxerweise zunächst als völlig unbestimmt bestimmt. Als Unbestimmtes aber zeigt sich das Sein als das Nichts: ***"Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare ist in der Tat Nichts und nicht mehr noch weniger als Nichts."

Die Tautologie, derzufolge das Sein das Sein ist, zeigt das Sein als Bestimmungsloses und als Bestimmungsloses zeigt sich das Sein als das Nichts. So wird aus der Tautologie eine andere Form von Paradoxie: Das Sein wird als unbestimmt bestimmt. Die Entfaltung der Paradoxie führt dann aber auf einen neuen Begriff, den des Nichts, und hier wiederholt sich die gleiche Paradoxie: ***"Nichts ist somit dieselbe Bestimmung oder vielmehr Bestimmungslosigkeit und damit überhaupt dasselbe, was das reine Sein ist."

Auch Luhmann, der die Leistung des Erkennens weder aus separaten Vermögen hervorgehen sieht noch daraus, daß einem formenden Prinzip oder System ein Inhalt erst zugespielt werden müsse, sieht aus der Möglichkeit des Ersatzes derartiger Vorstellungen durch die Ideen der Geschlossenheit und der Selbstreferentialität von Systemen notwendig das Problem der Entfaltung von Tautologien und Paradoxien hervorgehen:

***Eben weil die Beobachtung von Selbstreferenz auf Tautologien und Paradoxien führt, kann sie dabei nicht stehen bleiben; sie würde sonst nur ihre eigene selbstreferentielle Paradoxie gewinnen, nämlich die Feststellung, daß sie etwas beobachtet, was sich nicht beobachten läßt.

Systeme erzeugen sich und ihre Umwelt zunächst als Komplexität. Komplexität ist dem System also keineswegs als ein 'An-Sich' vorgeordnet. Die Autopoiesis des Systems selbst ist es, die sich über den Aufbau von Komplexität erzeugt und über Komplexität fortsetzt. So gesehen meint Komplexität gewissermaßen zweierlei: Zum einen schafft sich das System mehr Möglichkeiten, Elemente zu erzeugen und zu relationieren als es verwirklichen kann. Komplexität läßt sich daher vereinfachend definieren als ein (vom System selbst erzeugter) Überschuß an (selbsterzeugten) Möglichkeiten. So erzeugen etwa Sinnsysteme einen Überschuß an Verweisungen. Zum anderen bedeutet dieser Überschuß an Möglichkeiten des Weitermachens, daß das System unter Selektionszwang gerät und damit Beliebigkeiten ausschließen muß: Das System muß seine Autopoiesis konditionieren. Doch das mit einem Überschuß an Möglichkeiten ausgestattete System kann auf Grund eben dieses Überschusses keine Eindeutigkeiten mehr konditionieren. Die Folgen des Aufbaus von Komplexität sind also: Selektionszwang, Konditionierungszwang und: Kontingenz.

***Komplexität in dem angegebenen Sinne heißt Selektionszwang, Selektionszwang heißt Kontingenz, und Kontingenz heißt Risiko. [...] Die Selektion placiert und qualifiziert die Elemente, obwohl für diese andere Relationierungen möglich wären. Dieses 'auch anders möglich sein' bezeichnen wir mit dem traditionsreichen Terminus Kontingenz.

Komplexität entsteht mithin "***wenn auf Grund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann."

Als solche ist Komplexität vom System nicht verarbeitbar. Sie muß daher reduziert werden: "***Die Komplexität der Welt, ihrer Arten und Gattungen, ihrer Systembildungen entsteht also erst durch Reduktion von Komplexität und durch selektive Konditionierung dieser Reduktion."

Und eben in der Reduktion von Komplexität findet sich der Anschluß an die Beobachtung und damit an die Realität wieder, denn das System baut Komplexität auf und reduziert sie zunächst, indem es beobachtet:

***Die erste Reduktion von Komplexität, die noch nichts reduziert, liegt in der Wahl einer Unterscheidung. Eine Reduktion, die nichts reduziert? Eine Paradoxie? Wie geht das vor sich? Wie ist das zu denken? Eine Unterscheidung ist - so wie der Begriff hier gemeint ist - eine Unentschiedenheit zwischen 'und' und 'oder', die aber als Unentschiedenheit nur um der Entscheidung willen gesetzt wird. Die Unterscheidung 'Mann und Frau' besagt, daß es beides gibt, daß man sich aber entscheiden muß, ob das eine oder das andere vorliegt. In diesem Sinne reformuliert das Setzen einer Unterscheidung zunächst eine Paradoxie - in Richtung auf Auflösungszwang. Die Unterscheidung setzt die Einheit einer Differenz. Sie setzt sie aber so, daß sie als Unterscheidung noch keine vollständige Operation ist, sondern nur gesetzt wird, um Bezeichnungen der einen oder der anderen Seite zu ermöglichen, ja zu erzwingen. Insofern ist Unterscheiden und Bezeichnen [also 'Beobachten', H.W.] eine einzige Operation, die aus zwei Komponenten besteht, die nicht isoliert, sondern nur in der Autopoiesis dieser Operation vorkommen können.

Luhmann setzt also immer schon bei einer Differenz an, deren eine Seite (auf Grund eines 'blinden Flecks') jeweils unbestimmt bleibt, während sie der anderen ihre Bestimmtheit gibt. Die Entfaltung läuft dann nicht über eine Entfaltung des Identischen, sondern dadurch, daß immer schon eine Differenz gesetzt ist, also dadurch, daß mit einem "Etwas" auch immer bereits das, wovon dieses "Etwas" sich unterscheidet, gesetzt ist. Jede Entfaltung läuft dann aber bei Hegel wie bei Luhmann durch die Herausarbeitung weiterer Unterscheidungen: So gewinnt beispielsweise jede Erkenntnis ihre Bestimmtheit durch ihre Unterscheidung von anderen Unterscheidungen. Indem man diesen Unterscheidungen folgt, entfaltet sich der Begriff und gewinnt neben der Identität mit sich selbst eine Reichhaltigkeit, die ihn aus der Tautologie herausbringt. Die Identität, etwa im Falle von A = A, erscheint hier nicht mehr als logisches Axiom, sondern als "errechnete". Die Entfaltung einer Tautologie nimmt die 'Paradoxie der Verschiedenheit des Identischen' in Anspruch. Um es mit Glanville zu sagen: ***Dasselbe ist anders. Nach Luhmann besteht

***die Fruchtbarkeit von Paradoxien [...] gerade darin, daß sie logisch nicht aufgelöst werden können. In der Tradition war dies zunächst eine Entdeckung der Rhetorik gewesen und ist mit ihr in Verruf geraten. Und erst sehr allmählich stellt sich heute ein Wiedergewinn dieser Einsicht in die kreative Funktion von paradoxierenden Beobachtungen ein, wobei 'Kreativität' zunächst in pathologischen, dann zunehmend aber auch in morphogenetischen Systementwicklungen entdeckt wurde.

So gesehen erscheinen Differenz und Identität als zwei Seiten einer Medaille: "***Beobachten ist also eine paradoxe Operation. Sie aktualisiert eine Zweiheit als Einheit, in einem Zuge sozusagen." Die formale Logik negiert kontrafaktisch eine der Seiten zugunsten der anderen und nimmt dafür logische Evidenz in Anspruch. Ob es sich um Variablen, Dinge oder Vorstellungen im weitesten Sinne handelt (Glanville bezeichnet sie stets als "Objekte"): "***Die 'Selbigkeit' liegt in der Errechnung der Ähnlichkeit in den Beobachtungen. Die 'Selbigkeit' ist also keine Eigenschaft der beiden Objekte, sondern eher der Beobachtungen."

Luhmann beschreibt das Verhältnis von Logik und Identität auf der einen und der Theorie autopoietischer Systeme und Identität auf der anderen Seite wie folgt:

***Anders als in der Logik stiftet in der wirklichen Welt der gesellschaftlichen Autopoiesis die Wiederholung einer Bezeichnung nicht einfach Identität, sondern zusätzlich einen Überschuß an Verwendungsmöglichkeiten - einfach deshalb, weil die Wiederholung in immer anderen Situationen erfolgen muß und von daher andere Konnotationen mitbekommt.

Neue Beobachtungen und Erkenntnisse lassen sich dabei nicht willkürlich "hervorzaubern", sondern folgen den Konditionierungen, die aus den bereits vollzogenen Unterscheidungen hervorgehen. Erkenntnisse gehen somit aus der Unterscheidung von Unterscheidungen hervor. Und dieser Prozeß kann auch für Luhmann nicht als Handlung aufgefaßt werden, weil er entweder auf dem Erleben (psychische Systeme) oder auf Kommunikation (soziale Systeme) basiert.

Wenn nun aber so der Sinnlichkeit keine auszeichnende Rolle mehr hinsichtlich der Erkenntnis konzediert werden kann, wie sollte ihr eine solche Bedeutung bezüglich der Beobachtung zugestanden werden können, besteht doch auch diese aus eben den konstruktiven Prozessen, die bereits beim Erkennen vorausgesetzt wurden? Und Erkennen setzt, wie gezeigt, das Unterscheiden von Unterscheidungen, also Beobachtung, voraus. Wenn aber Erkennen Beobachtung impliziert, wie soll dann Erkennen auch unabhängig von der Sinnlichkeit, Beobachtung aber nur mit Hilfe der Sinnlichkeit möglich sein?

 

Bei alledem soll jedoch keineswegs bestritten werden, daß sich Denken und sinnliches Wahrnehmen als Bewußtseinsvorgänge unterscheiden lassen, und jeder versteht sofort, was mit dem einen oder mit dem anderen jeweils gemeint ist. Ob eine solche Unterscheidung jedoch rechtfertigt, Denken und Wahrnehmen auch als separate Vermögen zu betrachten, ist fraglich. Basiert das Bewußtsein auf den Leistungen und Tätigkeiten einzelner Vermögen oder erfaßt das Bewußtsein einfach nur, was es erfaßt und unterscheidet lediglich (aber dann: selbständig) verschiedene Weisen des bewußten Erlebens? Setzen sinnliche Wahrnehmungen die Arbeit eines Vermögens der Sinnlichkeit voraus, und entstehen Gedanken durch die Arbeit eines (auf das 'sinnlich Gegebene' bezogenen) Denkvermögens? Oder gibt es keine eigenständigen Vermögen und stattdessen einfach nur ein Bewußtsein, das die Zusammenhänge seines Erlebens zergliedert in unterschiedliche Erlebensweisen, weil diese Unterscheidungen das Erleben gestalten helfen, vergleichbar den Unterscheidungen von Rot- und Blautönen?

1.2.2.2 Unterscheiden und sinnliches Wahrnehmen

Wenn auch hier noch nicht detailliert auf eine Kritik philosophischer und psychologischer Vermögenslehren eingegangen werden kann, so sei wenigstens hervorgehoben, daß die Verknüpfung der Beobachtung mit der Sinnlichkeit eigentlich nur vermögenspsychologisch legitimierbar ist und daher jede Kritik der Vermögenspsychologie auch die traditionelle Definition des Beobachtungsbegriffs als wenig sinnvoll erscheinen lassen muß. So läßt sich fragen, wie die Sinnlichkeit einen speziellen Zugang zur Realität eröffnen können sollte, wenn sie nicht als Leistung eines separaten, auf sensuelle Rezeptivität spezialisierten Vermögens angesehen werden kann, sondern auf eben den Gestaltungsprozessen des Erlebens beruht, aus denen auch die Unterscheidungen in Denken, Fühlen oder Wollen, ja, auch die von grün/gelb, laut/leise, unangenehm/angenehm, hart/weich etc. hervorgehen?

Neben diesem Gedanken sollte jedoch nicht vergessen werden, daß eine Definition des Beobachtungsbegriffs bei Anbindung an die Sinnlichkeit das traditionell-subjektphilosophische (Vor)Urteil (nicht nur des Empirismus) beinhaltet und perpetuiert, daß die Sinnlichkeit dem Subjekt einen privilegierten Zugang zur Erkenntnis der Wirklichkeit eröffnet. Man kann sich auch heute noch fragen, wieso dort eine Schwierigkeit versteckt sein sollte. Aber schon ein flüchtiger Blick vor allem in die neuzeitliche und moderne Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte kann dies ändern und läßt eher Ratlosigkeit in bezug auf die tradierte Allianz von Sinnlichkeit und Wirklichkeit, Sinnlichkeit und Außenwelt oder Sinnlichkeit und Realität erwarten.

So taucht die Frage auf, ob sinnliche Wahrnehmung datensensualistisch als Kontakt zur Außenwelt, transzendentalphilosophisch als Vermittlung von Anschauungsform und Verstand oder phänomenologisch reduziert (also unter Vorbehalt eines Bezugs zu einer denkbaren, unabhängigen Außenwelt) betrachtet werden muß. Die Probleme der genannten Alternativen betreffs der Objektivität und des Außenweltbezugs sinnlicher Wahrnehmungen sind in der Geschichte der Philosophie immer wieder diskutiert worden und brauchen daher hier nicht en détail dargelegt zu werden. Es darf der Hinweis genügen, daß alle Kritiken, die sich auf jeweils eine der Varianten beziehen, fragwürdig erscheinen lassen, ob so etwas wie ein separat-singuläres und vom Denken oder Wollen zum Teil sogar streng geschiedenes Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung existiert und - selbst wenn die Antwort darauf positiv ausfallen sollte - ob die Sinnlichkeit in irgendeiner Form einen Kontakt zur Außenwelt herstellen kann, und wenn nicht, ob es wenigstens so etwas wie uninterpretierte Wahrnehmungen oder Anschauungen gibt - oder ob nicht jede sinnliche Wahrnehmung ohne Beanspruchung eines speziellen Vermögens und ohne jeden Kontakt zu einer Außenwelt auskommen muß und - zu allem Überfluß - ob nicht bereits jede Wahrnehmung eine Interpretation ist, ja, mehr noch, ob es nicht bereits eine Interpretation ist, etwas überhaupt als Wahrnehmung zu betrachten: Wer kann sinnlich beobachten, ob etwas eine Wahrnehmung ist, oder wer diese Wahrnehmung hatte etc.? Und wenn man dies nicht sinnlich beobachten kann, kann man es dann gar nicht beobachten? Und wenn man es nicht beobachten kann, wie kann man es dann unterscheiden? Man beobachtet demnach nicht mit Hilfe einer vorgegebenen Sinnlichkeit, sondern man muß dazu bereits unterschieden haben, in welchen verschiedenen Weisen Beobachtungen gemacht werden können: sinnlich und nicht-sinnlich. Die traditionelle Unterscheidung etwa von Sinnlichkeit und Verstand setzt bereits die Konstruktion dieser Unterscheidung voraus. Und wenn dann zwischen einer 'Illusion' (einer optischen Täuschung, einer Halluzination oder einem Traum) auf der einen und einer 'Wahrnehmung der Außenwelt' auf der anderen Seite unterschieden wird, so müssen Wahrnehmungen unterschieden werden, etwa "halluzinatorische" von "äußeren" Wahrnehmungen, denn beides sind Wahrnehmungen, ob sie im nachhinein als "Sinnestäuschungen" abqualifiziert werden oder nicht. Die Sinnlichkeit ist mithin eine Konstruktion auf der Grundlage von drei Unterscheidungen (von Unterscheidungen) und kein ursprüngliches Datum: Sie beruht (a) auf der Unterscheidung von 'Wahrnehmung/andere Erlebensweisen', innerhalb welcher Unterscheidung auf seiten der Wahrnehmung die weitere Unterscheidung (b) 'äußere/innere' eingeführt wird und innerhalb dieser Unterscheidung auf seiten des so zustandegekommenen Begriffs der "äußeren Wahrnehmung" die Unterscheidung von (c) 'trügerisch/nicht-trügerisch', womit (wenn die Bezeichnung auf die Seite 'nicht-trügerisch' gesetzt wird) nun der Begriff der 'sinnlichen Wahrnehmung der Außenwelt' konstruiert wäre. Die Zurechnung von Wahrnehmungen auf eine Außenwelt setzt demgemäß die Konstruktion bestimmter "Unterscheidungsunterscheidungen" bereits voraus, womit die sinnliche Wahrnehmung bereits als eine Konstruktion ohne Privilegien und folglich auch ohne Möglichkeiten der Eröffnung eines 'privilegierten Zugangs zur Außenwelt' - genannt: 'Beobachtung' - erkennbar wird.

Die Tradition hat dies nicht so sehen können und hat stattdessen andere Denkfiguren entworfen. Man denke - um nur einige Positionen der Tradition zu nennen - an die problematische Lockesche Idee einer 'tabula rasa' oder seine Unterscheidung 'primärer' und 'sekundärer Qualitäten', wobei der Begriff der 'sekundären Qualitäten' bereits erste Anklänge an konstruktive Prozesse des Erfahrens beinhaltet, obwohl sich bei Annahme einer 'tabula rasa' eigentlich gar keine konstruktiven Erlebensvorgänge denken lassen sollten. Oder: Humes Ansichten zur Rolle, die der 'Gewohnheit' in jeder Beobachtung zukommt, Berkeleys Schwierigkeiten, Subjekte in die rechte Relation zu seinem Prinzip des 'esse est percipi' zu bringen, da so auch Wahrnehmungen und Beobachtungen letztlich nichts als Vorstellungen (ideas) sind und so miteinander verschmelzen. Oder man denke an Kants Versuch, über die Zentralstellung des Beharrlichen in jedem Wechsel der Vorstellungen einem Solipsismusverdacht zuvorzukommen:

***Gegen Descartes' 'problematischen' Idealismus, nach dem sinnliche Gegebenheiten im Raum bezweifelbar bleiben, sucht Kant nun besonders in der zweiten Auflage der 'Kritik der reinen Vernunft' in der 'Widerlegung des Idealismus' zu zeigen, daß diese Gewißheit des empirischen Ich von seinem zeitlichen Dasein keinen Vorrang vor der Gewißheit von Räumlichem habe, sondern in bestimmter Hinsicht sogar von der Gewißheit des Räumlichen abhängig sei.

Und weiter denke man an die prekäre Situation, in die der Neopositivismus bei seinem Versuch geriet, vom 'Erlebnisprotokoll' wieder zum 'objektiven Sein' oder zu den 'Daten der Außenwelt' zurückzukehren oder auch nur zu bestimmen, was Phänomen, was Interpretation ist. So lassen sich

***am einfachsten [...] die Gemeinsamkeiten von Quines und Sellars Attacken gegen den logischen Empirismus wie folgt beschreiben. Beide Autoren bringen behavioristische Zweifel an dem epistemischen Privileg vor, das der logische Empirismus für gewisse Behauptungen qua Berichte privilegierter Vorstellungen in Anspruch nimmt.

Folglich wurde ausgerechnet durch den Versuch der Neopositivisten des Wiener Kreises, abstrakte Aussagen und wissenschaftliche Theorien auf elementaren und "phänomenologisch reduzierten" Beobachtungssätzen (den 'Protokollsätzen') zu fundieren, deutlich, daß es keine "uninterpretierten Wahrnehmungen" gibt, daß, mit anderen Worten, Wahrnehmungen keinen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit eröffnen und daß sie nicht weniger auf konstruktiven Vorgängen beruhen als Theorien:

***Kurz und gut, das Einzelne als solches ist ein reines Abstraktum, ein Kunstprodukt; gegeben ist uns immer ein Zusammenhang, der nicht additiv aus Einzelnem sich zusammensetzt, ein Zusammenhang, den wir differenzieren, strukturieren, durchgliedern.

Gerade die neopositivistische Einforderung der Respezifizierbarkeit wissenschaftlicher Theorien und Aussagen auf sie fundierende Erlebnisprotokolle brachte den Stein ins Rollen und rief den 'Kritischen Rationalismus' ins Leben.

Obwohl seit langem versucht wird, "***den Empfindungen ihren Status als privilegierte Vorstellungen zu nehmen", und wiewohl von vielen Seiten bestritten wird, daß es 'privilegierte Vorstellungen' gibt und daß die Sinnlichkeit einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit herstellen kann, weil die Wahrnehmung ebenso wie jede Theorie oder jeder Begriff auf konstruierten Unterscheidungen beruht und "***Reizungen der Sinnesorgane im gleichen Maße 'Setzungen' sind wie alles übrige", läßt man die definitorische Anbindung von Sinnlichkeit und Beobachtung weitestgehend unangetastet.

Und auch der Kritische Rationalismus geriet in das Dilemma der Irrationalität eines Dezisionismus, weil er zwar konsequent Sätze über Sätze zu falsifizieren sucht, gleichzeitig aber weiterhin die Anbindung solcher Sätze an sinnliche Beobachtungen für unverzichtbar hält und als Folge davon nicht mehr so recht den Anschluß von Beobachtungen (Wahrnehmungen), Sätzen (Theorien) und Methodenlegitimation zu finden weiß. Wie soll eine Methode legitimierbar sein, wenn es keine Möglichkeit sinnlicher Beobachtungen gibt, durch die die Methode selbst (etwa durch die Aufstellung von Basissätzen?) geprüft werden kann? Popper entscheidet sich daher für einen Dezisionismus, der sich auf Grund der Ermangelung von Prüfungskriterien mit einer psychologistischen Motivationslehre zufrieden geben muß. Daher machen, verglichen mit den Fortschritten, die hier inzwischen erzielt sind,

***Erkenntnistheorien, die selbstreferenzaversiv gebaut sind oder die hierfür ersonnenen Figuren weiterverwenden, einen eher zweitrangigen Eindruck. Sie bleiben, wie man an Popper sehen kann, in methodologischen Ratschlägen stecken, die man natürlich immer wieder gern zur Kenntnis nimmt und zur Beachtung empfiehlt.

1.2.2.3 Sinn, Realität, Erfahrung und Latenz

Die aufgeführten Variationen des theoretischen Verhältnisses von sinnlicher Wahrnehmung und Beobachtung stellen nur eine Auswahl des möglichen oder bereits erprobten Repertoires dar. Es sollte daran aber vor allem deutlich geworden sein, daß viele der genannten Probleme nicht zuletzt aus dem Beharren auf einer Verknüpfung von Beobachtung und Sinnlichkeit hervorgegangen sein dürften. Diese Verknüpfung resultiert sicherlich nicht zuletzt aus der längst fraglich gewordenen Anerkennung eines Privilegs der Sinnlichkeit. Nach dieser Vorstellung kann die Sinnlichkeit aus zwei Gründen ein Privileg beanspruchen: Zum einen, weil vorgeblich sie allein es sei, die wissenschaftlich-empirische Erkenntnis gewährleisten könne; zum anderen, weil die Sinnlichkeit ein eigenständiges und vom Denken (Verstand) getrenntes Vermögen darstelle, das einen geradezu theorieneutralen Zugang zur Wirklichkeit ermögliche.

Hinter all den oben nur kurz angeschnittenen Varianten steht letztlich der Versuch, doch noch das Umwelt/System-Verhältnis über die Inanspruchnahme der Sinnlichkeit als eines Input-Output-Verhältnisses begreifen zu können. Allein die traditionelle Fassung des Beobachtungsbegriffs scheint auch heute noch den meisten Theoretikern als einzig gangbarer Weg einer Verbindung von Erfahrung und Theorie, obwohl die Probleme bekannt sind. Nur wenige Theorien haben sich ernstlich auf diese Probleme eingestellt. Beinahe nur die Freudsche Psychologie oder die streng an Dilthey und Husserl orientierten Theorien sowie der sogenannte radikale Konstruktivismus und Luhmanns systemtheoretischer Ansatz scheinen bereit zu sein, die Probleme nicht nur ernst zu nehmen, sondern darüber hinaus auch die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Man sieht hier nicht nur deutlich, wie die entsprechenden Theorien Abstand zu der üblichen Aufteilung der Welt in eine Subjekt/Objekt-Dichotomie gewinnen, sondern vor allen Dingen ihren Blick auf eine der Theorie der Selbstreferentialität und Autopoiesis verwandte Theorie richten. Daraus geht dann auch ein erweitertes Verständnis nicht nur betreffs der Sinnlichkeit, sondern auch bezüglich des Erfahrungsbegriffs überhaupt hervor:

***Diltheys wie Husserls und Landgrebes Überlegungen zeigen - bei einer gewissen Verschiedenheit der Intention und Durchführung -, daß die Frage nach der Erfahrung und der daraufhin erfolgenden Bildung wissenschaftlicher Grundbegriffe nicht allein, ja nicht einmal in erster Linie, eine Frage nach den Überprüfungskriterien für die Geltung jeweiliger einzelwissenschaftlicher Aussagen ist (Verifikations- und Falsifikationsversuche), also nicht eine im engeren Sinne wissenschaftstheoretische Frage, sondern stets eine Frage nach den Beziehungen zwischen einer vorwissenschaftlich gelebten und erlebten Lebenswelt und daraus sich herauskristallisierender wissenschaftlicher Vorstellungen und Begriffe.

Mit der Aberkennung des Privilegs der Sinnlichkeit, mit der Anerkennung also, daß Systeme alles selbst hervorbringen müssen, was sie erfassen können, muß dementsprechend nicht zwangsläufig jeder Bezug zur Erfahrung dahinschwinden. Im Gegenteil: Wenn man Beobachten als Unterscheiden (und zugleich: Bezeichnen) versteht, dann läßt sich der Bezug zu einer erfahrbaren Realität wieder konsequent herstellen: Zur Realität gehört dann, was beobachtbar ist; eine wissenschaftliche Erkenntnis ist dann, was (nach den jeweiligen, geschichtlich sich entwickelnden Kriterien) als 'wahr' oder 'falsch' aus dem Beobachtbaren ausselegiert werden kann: "***Die Realität ist mit dem Vollzug der Operation gegeben, und insofern sind alle beobachtenden Systeme reale Systeme mit entsprechenden Realabhängigkeiten."

Mit der Operation entsteht die Realität, doch die Beobachtung verbürgt dabei nicht zugleich auch schon Objektivität, denn aus

***der Realität des operativen Vollzugs von Beobachtungen kann man [...] nicht auf deren Objektivität schließen. Die Realität des Beobachtens ergibt sich, mit anderen Worten, nicht aus dem Ausgriff in eine Welt, die unabhängig von dem Beobachter existiert und von allen Beobachtern, wenn sie sich nicht irren, gleichsinnig erfaßt wird, weil sie unabhängig von ihnen existiert. Deshalb erlaubt auch die Konvergenz von Beobachtungen keinen Rückschluß auf die Realität ihres Gegenstandes [...]. Jede Referenz, sei es auf das System selbst, sei es auf dessen Umwelt, ist ein Konstrukt des Beobachtens. Die Unterscheidung objektiv/subjektiv (im Sinne des neuzeitlichen Sprachgebrauchs) kollabiert also und wird durch die Unterscheidung Selbstreferenz/Fremdreferenz ersetzt, die in jedem Falle und in beiden Richtungen ein Strukturmoment des Beobachtens selber ist.

Somit läßt sich nun der geforderte, vorläufige Arbeitsbegriff der Erfahrung definieren: Erfahrungen gehen aus Beobachtungen hervor, die in Strukturen (Erwartungsstrukturen) transformiert werden können; Erwartungen bestimmen, was beobachtet und damit erfahren werden kann, weil Erwartungsstrukturen diejenigen Strukturen sind, welche nicht nur konditionieren, was als nächstes beobachtet wird, sondern auch, wie eine Beobachtung interpretiert werden kann.

Allein aus dem im vorhergehenden Kapitel gewonnenen Sinnbegriff und dem hier präsentierten und diskutierten Beobachtungsbegriff lassen sich weitreichende Konsequenzen sichtbar machen, insofern

(1) nicht nur der Erfahrungsbegriff genauer bestimmt werden muß, sofern Erfahrungen Beobachtungen voraussetzen;

(2) mögliche Lösungen für einige Probleme der Tradition (s.o.) sichtbar wurden;

(3) ein erheblich veränderter Theorieaufbau erforderlich und ermöglicht wird: Der neugefaßte Beobachtungsbegriff bedarf zur Rechtfertigung der Möglichkeit von durch Beobachtung gewonnener Erfahrungen und Erkenntnisse nicht mehr der Annahme eines Kontaktes der Sinne mit einer Realität oder Außenwelt (welchen Umweltkontakt alle Spielarten des Sensualismus vorausgesetzt hatten). Dabei schottet sich die Systemtheorie durch ihre Ablehnung respektive durch den Ersatz einer großen Zahl traditioneller Grundannahmen und Begriffe auf der einen Seite gegen den Solipsismus und auf der anderen Seite gegen den Transzendentalismus ab: Jede Möglichkeit eines Kontaktes von Systemen zur Umwelt wird zwar negiert, dabei wird aber weder die Realität geleugnet (wodurch ein Solipsismus vermieden wird) noch wird von einer Vermittlung eines Systems mit einem von ihm unabhängigen 'An-sich' beziehungsweise sinnlich vermittelter Erscheinungen ausgegangen (wodurch transzendental- und subjektphilosophische Anleihen unterlaufen und die entsprechenden Theorien 'naturalisiert' werden können). An die Stelle der Problemlösungen, die die Tradition vorgeschlagen hatte, tritt daher die folgenreiche Erwägung, daß Systeme nicht über einen Umweltkontakt verfügen und also operational geschlossen sind.

 

Der bereits erörterte Sinnbegriff und das bisher über Erfahrung Gesagte ermöglichen eine konsequente Verbindung des Sinnbegriffs mit dem Erfahrungsbegriff und zwar über den vermittelnden Begriff der Beobachtung. Daraus geht klar hervor, daß jede Aktualisierung von Sinn das Treffen neuer Unterscheidungen innerhalb eines Sinnhorizontes erfordert: Sinnoperationen bestehen aus einen Verweisungshorizont aufbauenden Unterscheidungsoperationen und damit aus Beobachtungen. Folglich stehen Beobachtung und Sinn kohärent, wenn auch asymmetrisch zueinander: Sinn setzt Beobachtung, Beobachtung aber keineswegs Sinn voraus. Daher können alle Sinnsysteme beobachten, nicht aber alle Beobachtungssysteme mit Sinn operieren, denn Sinn setzt den Verweis von Aktualisiertem auf Nichtaktualisiertes (also einen Horizont) voraus. Dem neokybernetischen Beobachtungsbegriff zufolge ließe sich sagen, daß eine triviale Maschine wie ein Kassettendeck zwar unterscheiden (beobachten!) kann, welche Taste gedrückt wurde; ein Verweis auf andere Möglichkeiten (hier: andere Tasten) wird jedoch von dieser trivialen Maschine nicht hergestellt. Die triviale Maschine tut was sie tut, und eine Alternative sieht nur der Beobachter (hier: der Benutzer des Kassettendecks), der bei jedem Tastendruck im Auge behalten kann, daß er auch eine andere Funktion hätte anwählen können.

Auf Grund dieser Asymmetrisierung gestatten die nur scheinbar ungewöhnlichen Begrifflichkeiten einen kohärenten Theorieaufbau, der nicht nur transdisziplinäre Vergleichsmöglichkeiten eröffnet, sondern auch solche Theorien als empirisch ausweisen kann, die traditionell nicht mit dem Beobachtungsbegriff verbunden sind und daher leicht ins Lavieren geraten, wenn man sie auf ihren Bezug zur Erfahrung hin befragt.

 

Gegenüber der Tradition unterscheidet sich der hier erörterte Beobachtungsbegriff auch darin, daß (ähnlich wie im Falle des Kommunikations- und Erlebensbegriffs) Beobachtung zunächst nicht als 'Handlung' aufgefaßt werden kann. Von Beobachtungen auf einen handelnden Beobachter (und sei es auf ein 'Selbst') kommt man nur durch eine zusätzliche Zurechnung. Diese Zurechnung ist dann aber ebenso problematisch wie notwendig: Die Angabe einer Systemreferenz (das heißt die Frage beantworten: Wer, besser noch: Was beobachtet?) ist deshalb notwendig, weil Beobachtungen relativ zum beobachtenden System sind, was sie sind und daher nie unabhängig von der Bestimmung des fokalen Systems auf ihre Richtigkeit hin kontrolliert werden können: Man kann zum Beispiel beobachten, was ein anderes System aus systemeigener Sicht (Selbstreferenz) gerade zu tun glaubt oder was es aus der Sicht eines Fremdbeobachters (Fremdreferenz) gerade macht. Um dies zu unterscheiden bedarf es in vielen Fällen der Differenz von manifest/latent. Es darf dabei keinesfalls das Paradox vergessen werden, daß geschlossene Systeme diese Beobachtung interner Operationen anderer Systeme selbstverständlich intern treffen müssen und nicht in das andere System eindringen können. Daß eine solche Unterscheidung und Beobachtung von latent/manifest trotzdem möglich ist, zeigt neben anderem jede Psychologie, die mit der Annahme eines Unbewußten operiert. Aber auch eine Soziologie, wie die von Luhmann, die von Inkommunikabilitäten (paradoxer Kommunikation) ausgeht, macht derartige Beobachtung mit Hilfe des Schemas von manifest/latent.

Die Diskussion des Beobachtungsbegriffs sollte bereits in einem ersten Anlauf demonstriert haben, daß das systemtheoretische Theoriedesign dem Versuch entspringt, die Konsequenzen aus den erkenntnistheoretischen Dilemmata der Tradition wie auch aus den Erkenntnissen der neuesten Forschungen zu ziehen. Von daher ist es verständlich, daß die Systemtheorie gezwungen ist, viel von der ihr zur Verfügung stehenden Aufmerksamkeit zunächst auf den Aufbau einer ihr konformen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie zu verwenden, und daher kann sie nicht als eine sich nur in philosophisch bedeutungslosen Details von anderen wissenschaftlichen Strömungen unterscheidende Theorie angesehen werden. Wenn daher die Systemtheorie als transdisziplinäres Paradigma bezeichnet werden kann, so bleibt es dennoch fraglich, ob man auch von einem Paradigmenwechsel im Sinne Kuhns sprechen kann, denn es handelt sich im vorliegenden Fall

***nicht um eine wissenschaftliche 'Revolution', wenn das heißen soll, daß sich eine neuartige Grundeinsicht plötzlich, also schnell, durchsetzt. Im Gegenteil: Die Entwicklung meines eigenen Denkens ebenso wie die Beobachtung der Theoriediskussion auf allgemeiner und auf soziologischer Ebene zeigen mir immer wieder, daß die im Prinzip der Selbstreferenz liegende Innovation zwar leicht, elegant und mit schönen Paradoxien ausgestattet zu formulieren ist, daß aber das Durchdenken der Konsequenzen Zeit braucht und vermutlich noch für manche Überraschungen sorgen wird.

 

Der wissenschaftliche Status der Systemtheorie birgt jedoch noch ein weiteres, entscheidendes Merkmal, das die Sachlage nicht gerade vereinfacht: Der Titel 'Systemtheorie' kennzeichnet keine Einzelwissenschaft, sondern ein universalistisches Modell. Die Systemtheorie als Modell gibt der Forschung zunächst nur die Unterscheidung von System und Umwelt vor: Eine Theorie, die als Leitdifferenz nicht die Differenz von System und Umwelt ansetzt, kann nicht als Systemtheorie (im Sinne Luhmanns) bezeichnet werden. Wenn aber diese Leitdifferenz verwendet wird, wenn also mit Hilfe des systemtheoretischen Modells geforscht wird, dann steht es jeder solchen Wissenschaft offen zu wählen, ob sie soziologische, biologische, psychologische oder andere Systeme zum Gegenstand nehmen möchte. Die Systemtheorie befaßt sich

***nicht einfach mit besonderen Objekten, nämlich Systemen, im Unterschied zu irgendwelchen anderen Objekten. Sie befaßt sich mit der Welt, gesehen mit Hilfe einer spezifischen Differenz, nämlich der von System und Umwelt. Es wird also alles, was vorkommt, erfaßt; aber nur unter der Bedingung, daß man angibt, ob es jeweils System ist oder Umwelt.

Die Systemtheorie nimmt damit disziplinäre Universalität für sich in Anspruch. Man kann dann immer noch ohne systemtheoretische Grundlagen forschen; ein Alleinanspruch (wie Popper ihn erhebt) ist mit dem Gedanken der Universalität keineswegs verbunden. Aber welche Disziplin man auch wählt: Die Option für eine systemtheoretische Herangehensweise bleibt stets offen.

Der Aufbau eines solchen Modells macht aber den Anschluß an traditionelle Erkenntnistheorien unmöglich und nötigt die Systemtheorie dazu, ihre eigenen Kategorien und Kriterien zu suchen und sich zunächst einmal von den aus der Umstellung des Sinn- und Beobachtungsbegriffs sowie der Annahme der Geschlossenheit der Systeme folgenden Konsequenzen treiben zu lassen, um zu sehen, wohin ein solcher Theorieaufbau führt. So hat die Neufassung des Beobachtungsbegriffs sicherlich bedeutende Vorteile. Ein bereits angesprochener Vorteil besteht in der Ermöglichung einer transdisziplinären Verwendung des Beobachtungsbegriffs: In der Psychologie, speziell der Psychoanalyse, findet Beobachtung statt, insofern Erleben beobachtet wird, denn die Psyche besteht - nicht anders als soziale Systeme - aus Sinnoperationen, die man nicht nur unterscheiden (also beobachten) kann, sondern die darüber hinaus ihrerseits Unterscheidungen prozessieren und sich an ihnen orientieren; in der Biologie findet nicht nur die Beobachtung von Leben statt, sondern auch die Beobachtung, wie lebende Systeme (Organismen) beobachten. Man denke nur an das Immunsystem, das, grob gesprochen, zwischen "Dazugehörig" und "Nichtdazugehörig" unterscheiden können muß. Oder es sei, als abschließendes Beispiel, an die Kybernetik erinnert, welche als Second-Order-Cybernetics Beobachter beobachtet, nicht mehr nur, aber auch weiterhin Maschinen und deren Fähigkeiten, zu unterscheiden (und also zu beobachten). Der neue Beobachtungsbegriff ermöglicht es, daß auch Maschinen als Beobachter beobachtet werden können. Dazu bedarf es nicht zwangsläufig der Beobachtung von Computern. Bereits ein Kassettendeck muß unterscheiden können und sei es zwischen einem Druck auf die Tasten 'Play' oder 'Fast Forward'.

Selbst wenn man wie hier gezwungen ist, die Einzeldisziplinen und ihre Gegenstände nur anzuschneiden und entsprechend "unterbelichtet" zu lassen, fällt auf, daß der Begriff der Erfahrung, der offensichtlich in der Systemtheorie nach wie vor, ja, vielleicht noch strenger, an Beobachtung gekoppelt ist, zu Modifikationen gezwungen wird, die keineswegs als trivial zu bezeichnen sind. Wenn nicht nur soziale oder psychische Systeme beobachten können, sondern auch lebende Systeme und Maschinen, machen dann auch diese Systeme Erfahrungen? Oder muß neben der Beobachtung ein kognitives Moment hinzugenommen werden, um von Erfahrungen sprechen zu können? Und wenn (Fremd)Erleben - ganz anders als der Behaviorismus dies sieht oder sah - beobachtet werden kann, welche Rolle spielt dann das Verstehen im Gegensatz zur Beobachtung "äußerer" Ereignisse in der Beobachtung von Sinnsystemen? In welchem Verhältnis steht dann Verstehen zur Erfahrung? Inwiefern läßt sich so gegebenenfalls der Streit zwischen Hermeneutik und Szientismus hinsichtlich psychologischer Forschung auflösen?

Um die Reichweite und Bedeutung der Reformulierung des Beobachtungsbegriffs für Erfahrung und Wissenschaft in aller Kürze und besonders kraß beleuchten zu können, sei in einem Vorgriff ein flüchtiger Blick auf den Streit um die Psychoanalyse geworfen. Hermeneutisch orientierte Theoretiker wie Ricoeur, Habermas und Lorenzer bestreiten, daß die Psychoanalyse eine Beobachtungswissenschaft ist und werden seither nicht mehr das Problem los, zeigen zu müssen und nicht so recht zeigen zu können, wie eine Wissenschaft, die nicht zu beobachten vorgibt, eine Erfahrungswissenschaft sein können soll. Neben anderen Hermeneutikern befürchten Lorenzer und Habermas, daß das Eingeständnis, die Psychoanalyse sei eine Beobachtungswissenschaft, zwangsläufig in ein physikalistisches Verständnis der Psychoanalyse mündet und so ein Verständnis der Psychoanalyse als einer Wissenschaft von den Sinnzusammenhängen des Erlebens gefährdet. Die Bindung an Beobachtung, so argumentieren sie, reduziere die Psychologie auf eine manipulativ-instrumentelle Verhaltenswissenschaft. Tatsächlich sei es so, daß durch Freuds Modell "***Beobachtbarkeit zwar sprachlich assoziiert, aber tatsächlich nicht eingelöst wird - und nicht eingelöst werden kann."

Durch Applikation des systemtheoretisch-kybernetischen Beobachtungsbegriffs läßt sich ein gänzlich neues Bild gewinnen, denn diesem zufolge läßt sich selbstverständlich auch Sinn, respektive lassen sich Sinnzusammenhänge beobachten, ja, mehr noch: Wie sollte überhaupt Sinn erfaßt werden können, wenn nicht mit Hilfe von Unterscheidungen? Das allein beweist zwar noch nicht, daß die Psychoanalyse wissenschaftlich korrekt beobachtet, noch beweist es, daß sie überhaupt eine Wissenschaft ist. Ein solcher Befund würde mehr verlangen als den Nachweis, daß die Psychoanalyse beobachtet. Es wird jedoch nachhaltig deutlich, daß die Psychoanalyse beobachtet: Sie beobachtet (unterscheidet) Sinnzusammenhänge des Erlebens. Nicht trotz, sondern vielmehr weil sie Sinnzusammenhänge untersucht, ist die Psychoanalyse - wenn sie überhaupt ein Wissenschaft ist - zweifellos eine Erfahrungswissenschaft, denn für eine Definition des Beobachtungsbegriffs genügt "***es hier zu sagen, daß wir 'beobachten' im allgemeinsten (und nicht notwendig visuellen) Sinne verwenden und daß man sich ein Objekt als etwas Vorstellbares und nicht notwendig Physisches denken kann."

Aber wenn Beobachtungen Konstruktionen sind und daher nicht als (sinnlicher oder anders gearteter) Umweltkontakt betrachtet werden können, weil es aus systemtheoretischer Sicht einen solchen Kontakt gar nicht geben kann, dann müssen Systeme als geschlossen betrachtet werden, und die Frage ist dann die, wie Geschlossenheit Offenheit erzeugen kann? Die so gestellte Frage, die als nächste zu behandeln sein wird, hat es also wiederum mit einer Paradoxie zu tun. Luhmann sieht die Möglichkeit, diese Paradoxie zu lösen, in seiner Theorie autopoietischer Systeme.

1.2.3 Autopoietische Systeme und Erfahrung

1.2.3.1 System und Umwelt

'***Systemtheorie' ist heute ein Sammelbegriff für sehr verschiedene Bedeutungen und sehr verschiedene Analyseebenen. Das Wort referiert keinen eindeutigen Sinn. Übernimmt man den Systembegriff ohne weitere Klärung in soziologische Analysen, entsteht eine scheinbare Präzision, die der Grundlage entbehrt. So kommt es zu Kontroversen, bei denen man nur vermuten oder aus der Argumentation rückschließen kann, daß die Beteiligten Verschiedenes meinen, wenn sie von System sprechen.

Um dem Begriff seine schillernde Bedeutung zu nehmen, sollte man nach Luhmann von einem System nur dann sprechen, "***wenn man Merkmale vor Augen hat, deren Entfallen den Charakter eines Gegenstandes als System in Frage stellen würde."

Die bisherigen Überlegungen legen nahe, daß es den Systemen unmöglich ist, ihre Elemente dadurch zu gewinnen, daß sie sozusagen die Umwelt "anzapfen". Nimmt man also die Idee der Geschlossenheit in den Begriff des über emergente "Merkmale" bestimmten Systems auf, so bedeutet das, daß diese "Merkmale" nicht aus der Umwelt gewonnen werden können. Das heißt dann, "***daß alle Teilsysteme und sogar alle elementaren, für das System nicht dekomponierbaren Einheiten als [...] durch das System selbst gebildete Einheiten begriffen werden müssen."

Auch das Modell eines Systems, also die Einheit der Gesamtheit der Merkmale, die ein System kennzeichnen, wird zuweilen wieder als System bezeichnet. Man sollte jedoch

***den Begriff (oder das Modell) eines Systems nicht wiederum System nennen, weil wir ja auch nicht bereit sind, den Begriff (oder das Modell) eines Organismus, einer Maschine, einer Gesellschaft wiederum Organismus, Maschine, Gesellschaft zu nennen. Wir lassen uns, anders gesagt, auch durch die höchsten Abstraktionslagen einer Theorie nicht dazu bringen, Erkenntnismittel (Begriffe, Modelle usw.) mit der Gegenstandsterminologie zu belegen - und zwar deshalb nicht, weil eine solche Entscheidung in konkreteren Forschungsbereichen dann doch nicht durchzuhalten ist. Die Aussage 'es gibt Systeme' besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembegriff anzuwenden [...].

Es ist bei all dem darauf zu achten, daß man sich in einer modernen Theorie selbstreferentieller Systeme von den ontologischen Vorbildern des Systembegriffs freimacht: ###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}Die ontologischen Systemvorstellungen sahen Luhmann zufolge im System die Zusammenordnung von Teilen zu einem Ganzen. {{{Kontrollende}}} Man sah aus der inneren Ordnung der Teile das Ganze hervorgehen, und das Ganze (das System) war dann zu fassen als etwas Neues, das nicht identisch ist mit der Summe seiner Teile. Durch diese interne Differenzierung wurde die ontologische Grundfrage nach dem Sein des Seienden (also nach der Substanz) scheinbar beantwortet, in Wahrheit jedoch nur verdunkelt. Der ontologische Status des Systems selbst blieb dabei ungeklärt, weil die Teile als Elemente oder Atome die Substantialität des Ganzen zu garantieren schienen. Es entstand allerdings die Frage, wie so etwas möglich sei, und die neue Fragestellung war nun die nach der internen Ordnung des Systems. Die Rationalität des Systems wurde zum Problem. Man entschied sich sozusagen für nur eine Seite, nämlich für die des Systems und verlor so - mit Luhmann gesprochen - mit der Differenz von System und Umwelt die Umwelt aus den Augen. Die funktionale Systemtheorie

***ist von ontologischen Prämissen her nicht mehr zu verstehen. Für sie gilt Stabilität nicht mehr als das eigentliche Wesen eines Systems, das andere Möglichkeiten ausschließt; sondern die Stabilisierung eines Systems wird als Problem aufgefaßt, das angesichts einer wechselhaften, unabhängig vom System sich ändernden, rücksichtslosen Umwelt zu lösen ist und deshalb eine laufende Orientierung an anderen Möglichkeiten unentbehrlich macht. So ist Stabilität nicht mehr als unveränderliche Substanz zu begreifen, sondern als eine Relation zwischen System und Umwelt, als relative Invarianz der Systemstruktur und der Systemgrenzen gegenüber einer veränderlichen Umwelt.

Die Aufgabenstellung der Systemtheorie besteht daher in der Beantwortung der Frage, wie Systeme eine relative Indifferenz gegenüber Umweltbewegungen gewinnen können, so daß sie eine gewisse Autonomie erlangen. So sah sich die Systemtheorie mit der Lösung von der Ontologie auf die neue Fragestellung hingeführt, wie geschlossene Systeme als reale Systeme in einer Umwelt behandelt werden können.

 

Wie also kann das Verhältnis von System und Umwelt reformuliert werden, wenn man mit der Zentralstellung eines geschlossenen Systems nicht zugleich die Umwelt aus den Augen verlieren möchte? Welche Rolle muß der Umwelt in einer Theorie geschlossener Systeme zugedacht werden, wenn diese Theorie sich nicht schon durch die Fokussierung einer Einheit (das heißt hier: des Systems), sondern erst auf der Basis einer Differenz (das heißt hier: der Differenz von System und Umwelt) konstituiert?

Eine Beantwortung dieser Fragen lenkt die Themenführung unmittelbar auf das Modell autopoietischer Systeme. Um aber erörtern zu können, was ein autopoietisches System ist und welche Rolle es innerhalb der Systemtheorie spielt, soll erst der Gedanke der Geschlossenheit (1.2.3.2), dann der der Selbstreferentialität (1.2.3.3) und erst zuletzt der der Autopoiesis (1.2.3.4) erläutert werden.

1.2.3.2 Geschlossenheit, Offenheit und Wahrheit

Es mag sich zunächst ein Blick auf die Konzepte der beiden Biologen H. R. Maturana und F. J. Varela lohnen. Folgt man deren Theorie, so sind Organismen (lebende Systeme) als operational geschlossene Systeme zu betrachten. Dabei wird unter operationaler Geschlossenheit verstanden, daß die Identität eines Systems "***durch ein Netz von dynamischen Prozessen gekennzeichnet [ist], deren Wirkungen das Netz nicht überschreiten." Wenn also kein System außerhalb seiner Grenzen Operationen vollziehen kann, dann muß man davon ausgehen, daß die Umwelt nicht determinieren kann, was in einem System geschieht, denn eine direkte Determination der Systemoperationen setzt einen unmittelbaren Umweltkontakt oder spezifizierte Umweltreize voraus. Allein, derartige Determinanten kann es nicht geben, weil sie vom System, selbst wenn es sie gäbe, nicht als solche verarbeitet werden könnten. An ihre Stelle tritt die milieubedingte Auslösung von Veränderungen des Systems durch sogenannte Perturbationen. Maturana und Varela erläutern dies am Beispiel der neurophysiologischen 'Theorie des Farbensehens':

***Die Erklärung, wie wir Farben sehen, ist nicht einfach, und wir können sie hier nicht im Detail anführen. Das Wesentliche in diesem Zusammenhang ist aber, daß wir, um das Phänomen des Farbensehens erklären zu können, aufhören müssen zu denken, daß die Farbe der von uns gesehenen Objekte durch die Eigenschaften des von ihnen ausgehenden Lichtes bestimmt ist. Vielmehr müssen wir uns darauf konzentrieren zu verstehen, auf welche Weise die Erfahrung von Farbe einer spezifischen Konfiguration von Aktivitätszuständen im Nervensystem entspricht, welche durch die Struktur des Nervensystems determiniert wird. [...] Es ist möglich, eine Korrespondenz zwischen der Benennung von Farben und Zuständen neuronaler Aktivität, jedoch nicht mit Wellenlängen festzustellen.

Maturana zufolge wird im Alltag wie in der Wissenschaft meist davon ausgegangen, daß es das Milieu (respektive eine unabhängige Umwelt oder die Außenwelt) ist,

***welches mittels seiner Perturbationen unter den vielen Möglichkeiten die Veränderungen 'auswählt', die auftreten sollen. Wäre dem so, so stände das im Widerspruch zu der Tatsache, daß wir es hier mit strukturdeterminierten Systemen zu tun haben. Es geschieht also in Wirklichkeit das genaue Gegenteil: Eine Interaktion kann eine Strukturveränderung nicht determinieren, da diese Veränderung von dem vorangegangenen Zustand der betroffenen Einheit determiniert ist und nicht durch die Struktur des perturbierenden Agens.

Maturana läßt alle Systeme (auch psychische und soziale) aus dem komplexen Zusammenspiel lebender Systeme hervorgehen. Alle Systeme gehen nach Maturanas Vorstellung in einer Theorie des Lebens auf. Schon der Untertitel eines seiner Werke läßt dies ahnen: Ausgewählte Schriften zur biologischen Epistemologie.

Dagegen hatte es bereits Hegel verstanden, 'Leben' - schon vor allem 'Denken' - als Selbstbeziehung zu beschreiben und dennoch die Emergenz einer bewußten, denkenden 'Seele' nicht auf ein irgendwie geartetes Zusammenspiel physischer Operationen zu reduzieren, wie Maturana es vornimmt. Das 'Leben' wird von Hegel vielmehr bestimmt als ein "Selbstverhältnis in der Selbstbewegung", welches

***noch nicht denkende Selbstbeziehung [ist], weil der Begriff als Seele sich noch im Stadium der Unmittelbarkeit befindet. Aufgrund dieser Unmittelbarkeit, [...], kommt der Seele von sich her eine ihr zugehörige Äußerlichkeit zu, ihre leiblich-körperliche Existenz in Raum und Zeit.

Hegel hat sich auf diese Weise offengehalten, was Maturana ausschließen muß: Den Übergang von der Selbstreferenz des Lebens zur Emergenz der Selbstreferenz der Seele (respektive eines psychischen Systems).

Aber nicht nur nach Hegel, sondern auch nach Luhmann sind Leben und Seele (lebendes/psychisches System) auf unterschiedlicher Basis geschlossen: Bewußtsein und Gesellschaft werden über ihre jeweiligen Operationsmodi (Bewußtsein/Kommunikation) geschlossen - das Bewußtsein kann nicht aus sich heraus denken und die Gesellschaft nicht aus sich heraus kommunizieren. Wenn aber soziale und psychische Systeme auf unterschiedlicher Basis geschlossen sind, so müssen sie auch gegenüber dem Leben als emergent betrachtet werden. Außerdem kommt es zu einer Ausdifferenzierung einzelner sozialer Systeme (Wissenschaft, Recht, Wirtschaft, um nur einige zu nennen) aus der Gesellschaft. Wenn aber die Gesellschaft immer geschlossen ist über ihren Operationsmodus 'Kommunikation' - wie können sich dann soziale Subsysteme voneinander abgrenzen, wie können sie sich gegeneinander abschließen?

Luhmann sieht diese Möglichkeit gegeben durch die Verwendung spezieller Medien respektive Codes. Luhmanns Begriff der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien hat nichts gemeinsam mit dem üblichen Begriff des Kommunikationsmediums (Radio, Fernsehen etc.), welcher auf der traditionellen Vorstellung basiert, daß Kommunikation aus der Übertragung von Information besteht und zum "Transport" der Information gewisser Vermittlertechniken bedürfe. Der Medienbegriff Luhmanns zielt auf eine gänzlich andere Fragestellung, nämlich die, wie ein Kommunikationssystem (die Gesellschaft also) sich in einzelne Teil- oder Subsysteme ausdifferenzieren kann. Ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium ist danach definiert als ein Medium, welches dem System vorgibt, worauf sich seine Operationen zu beziehen haben. Es läßt dabei offen, welche Themen nicht mehr zum System gehören, indem es die Negation generalisiert: Alles, was über das Medium als dazugehörig gekennzeichnet wird, gehört dazu; alles, was nicht über das Medium als dazugehörig gekennzeichnet wird, gehört nicht dazu.

Um diesen Sachverhalt zu erläutern, bedarf es eines komplementären Begriffs, nämlich dem des Codes. Eine Exemplifikation am Beispiel des Wissenschaftssystems soll dies veranschaulichen:

Die Wissenschaft gehört fraglos zur Gesellschaft und ist damit ein Kommunikationssystem, das sich von anderen Systemen unterscheidet und unterscheiden können muß:

***Diese allgemeinen Überlegungen zur Geschlossenheit von sinnhaft-prozessierenden Systemen können nicht umstandlos auf die Wissenschaft übertragen werden, wenn man darunter nicht allgemein den kognitiven Aspekt des Prozessierens von Sinn versteht, sondern ein besonderes Funktionssystem der Gesellschaft [...]. Hier ergibt sich die Geschlossenheit nicht einfach aus dem Operationsmodus des Systems wie im Falle des einzelnen Bewußtseins oder der Gesellschaft im ganzen. [...] Aber die Wissenschaft kann, soweit sie über Organisationen verfügt, mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt (wenngleich nicht: mit der außermenschlichen 'Natur', und auch nicht: mit einem individuellen Bewußtsein) kommunizieren, weil dies als eine gesellschaftliche Operation möglich ist. Wenn aber das möglich ist: worin besteht dann die Geschlossenheit des Wissenschaftssystems?

 

Luhmann nimmt nun an, daß jedes soziale System, um sich von anderen unterscheiden und gegenüber allen anderen geschlossen operieren zu können, eine Differenz verwenden muß, mit der es zwischen 'dazugehörig' und 'nichtdazugehörig' unterscheiden kann. Im Falle der Wissenschaft - die freilich nicht "mit dem ersten Menschen" schon vorhanden war, sondern sich evolutionär entwickelt hat - lautet diese Differenz 'wahr/falsch'. Der Code, mit dem sich die Wissenschaft Zugang zur ihrer Wirklichkeit verschafft, ist damit die Differenz von wahr und falsch. Nun kann dieser Code bereits vorgeben, in welcher Hinsicht die Wissenschaft operiert, nämlich in Hinsicht auf die Prädikation von wahr oder falsch. Diese Differenz aber ist nicht zugleich diejenige, nach der die Wissenschaft zwischen 'dazugehörig' und 'nichtdazugehörig' unterscheidet, denn das würde bedeuten, daß sie zum Beispiel alles als 'wahr' Prädizierte als dazugehörig, alles als 'falsch' Prädizierte als nichtdazugehörig behandeln müßte. Das ergibt keinen Sinn und geht an der Realität des Wissenschaftsbetriebs vorbei, denn für die Wissenschaft ist die Feststellung von Wahrheit ebenso wichtig wie die Feststellung von Irrtümern (und ein Kritischer Rationalist würde vielleicht sogar sagen, daß die Falsifikation die größere Rolle spielt). Wahres und Falsches gehören zur Wissenschaft, und sie besteht auf dem Privileg, nur sie könne streng (eben wissenschaftlich) zwischen wahr und falsch unterscheiden. Und eben hier leuchtet dann der Sinn des Kommunikationsmediums auf: Wenn allein das System die Kriterien herstellen und anwenden kann, nach denen zwischen wahr und falsch unterschieden werden kann, und wenn jeweils beide Seiten des Codes, nämlich wahr und falsch, zum System gehören - dann muß die Einheit der Differenz von wahr und falsch dasjenige "Schema" sein, nach dem die Wissenschaft sich von anderen Systemen abgrenzt. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien bilden demnach die Einheit der Differenz des Codes:

***Dem aufmerksamen Leser sei bestätigt, daß wir uns hier, da wir an einer Theorie der Theorien bildenden Wissenschaft interessiert sind, in einem Zirkel befinden: Der Code ist eine Unterscheidung. Der Begriff der Unterscheidung ist ein Begriff. Begriffe sind Satzfunktionen, die der Zuordnung der Werte des Code dienen. Man könnte uns ermahnen, hier Ebenen zu unterscheiden! Zu unterscheiden!

Die Wissenschaft bleibt als ein System, das sich über Medien respektive Codes aus der Gesellschaft ausdifferenziert hat, ein soziales System, ein Kommunikationssystem, und sie besteht mithin aus Kommunikationen. Aber sie grenzt sich gegenüber anderen sozialen Systemen ab, indem sie ihre Operationen auf das ihnen eigene Kommunikationsmedium ausrichtet, und das heißt: auf Wahrheit, verstanden als Einheit der Differenz von wahr und falsch.

Dabei kann sich die Wissenschaft nicht von anderen Systemen vorgeben lassen, nach welchen Kriterien zwischen wahr und falsch unterschieden werden kann oder soll. Wer immer ihr vorgeben können will, wie eine solche Prädikation gesteuert werden kann, muß sich selbst vom Kommunikationsmedium Wahrheit faszinieren lassen, muß es verwenden und seine Untersuchungen darauf ausrichten - und er gehört damit immer schon zum Wissenschaftssystem: Das System hat sich geschlossen.

###{{{Überarbeiten, Quellen korrigieren und überprüfen sowie in Bibliographie eintragen!!!}}} {{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}Hierbei spielt es keine Rolle, welche Wahrheitstheorie vertreten wird. Ob man Anhänger der Korrespondenztheorie, der Konsensustheorie, der Evidenztheorie, der Residualtheorie, der semantischen Wahrheitstheorie, der Kohärenztheorie, der apophantischen, der evolutiv-kommunikativen, der pragmatischen oder der konventionalistischen Wahrheitstheorie ist: Allen diesen Theorien ist gemeinsam, daß sie sich als Wahrheitstheorien verstehen, das heißt: immer steht die Differenz von wahr/falsch im Vordergrund. Denn diese Differenz ist es, die die gesamte Kommunikation, alle wissenschaftlichen (!) Untersuchungen oder Streitigkeiten leitet, indem sie die grundsätzlichen Hinsichten aller als zur Wissenschaft gehörig zu kennzeichnenden Forschungen und Kommunikationen zu einem Bezugspunkt hin (nämlich dem der Einheit in der Differenz von 'wahr' und 'falsch') ordnet.{{{Kontrollende}}}

Der Versuch, aus der Umwelt des Systems, also etwa vom Recht oder der Wirtschaft aus, wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen und die entsprechenden Resultate an die Wissenschaft weiterzugeben, muß scheitern, da die Wissenschaft derartige Zumutungen ablehnen wird, denn wenn die entsprechenden Resultate nicht den von ihr gesetzten (erkenntnistheoretischen, wissenschaftstheoretischen und methodologischen) Anforderungen entsprechen, lehnt die Wissenschaft die Zumutung, diese Resultate zu übernehmen, als unwissenschaftlich ab. Was aber, wenn die Resultate wissenschaftlichen Kriterien genügen? Dann muß die entsprechende Untersuchung wissenschaftlich durchgeführt worden sein und gehört damit nicht mehr zu einem System in der Umwelt des Wissenschaftssystems, sondern zum Wissenschaftssystem selbst.

Die Schließung des Systems über das Medium 'Wahrheit' bedeutet dabei nicht,

***daß in jedem Satz das Wort 'wahr' oder das Wort 'unwahr' vorkommen muß; die wissenschaftliche Kommunikation besteht ja keineswegs nur aus vorläufig endgültigen Feststellungen dieser Art. Gemeint ist, daß der Wahrheits/Unwahrheitsbezug die rekursive Beziehung der Kommunikationen aufeinander ermöglicht und dadurch von Operation zu Operation festgeschrieben wird. [...] Rückgriffe und Vorgriffe sind möglich, wenn dies dem Verteilen von Forschungsergebnissen auf die Werte wahr und unwahr dient. Dabei steht jeweils der Code mit seinen beiden Werten, also die Einheit dieser Unterscheidung im Blick. Das System operiert mit Kommunikationen, die zwar den Wert wahr oder und den Wert unwahr negieren können, aber nicht die Relevanz dieser Differenz.

Das Wissenschaftssystem (das heißt, das 'soziale System der Wissenschaft'), ist also nicht durch einen eigenen Operationsmodus geschlossen, denn es kommuniziert und kann mit der Gesellschaft kommunizieren, weil dies als eine gesellschaftliche Operation möglich ist. Es wird durch Anwendung seines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums (Wahrheit), welches die Einheit der Differenz des entsprechenden Codes (wahr/unwahr) darstellt, geschlossen: Alles was damit erfaßt wird, gehört zum System und das System kann nur erfassen, was zur Anwendung dieser Differenz (also des Codes) von Relevanz ist. Also ist zwar nicht immer von wahr/unwahr die Rede - aber nur diejenige Kommunikation gehört zum System, die ein Verteilen der Werte 'wahr/unwahr' ermöglicht. Andere Abweichungen gehören nicht mehr zum System, schon gar nicht, wenn sie unter Codes wie 'gut/böse' oder 'nützlich/schädlich' operieren.

Die Leistung etwa des Wirtschaftssystems für die Wissenschaft kann folglich nur zum Beispiel in der Bereitstellung oder Sperrung von finanziellen Mitteln und der Erteilung oder dem Entzug von Forschungsaufträgen bestehen - nicht aber in der Übernahme der Forschung. Wenn ein Wirtschaftsunternehmen über eigene Forschungslaboratorien verfügt, so werden diese damit nicht Teil des Wirtschaftssystems, denn wenn sie ernstzunehmende Forschung betreiben, so können sie nur wissenschaftlich verfahren und nicht nach wirtschaftlichen Kalkulationsstrategien oder etwas ähnlichem. Ein solches Labor bleibt, wenn es wissenschaftlich forscht, Teil der Wissenschaft und Faktoren wie räumliche Nähe zu oder finanzielle Abhängigkeit von einem Wirtschaftsunternehmen spielen in Hinsicht auf die Zuordnung der entsprechenden Kommunikation zum Wissenschaftssystem keine Rolle: Die Wissenschaft forscht wie sie forscht, wenn sie forscht oder - sie hat aufgehört zu existieren. Das Rechtssystem kann Forschungen unterbinden oder zulassen (es kann zwischen rechtmäßig und nicht rechtmäßig unterscheiden), aber es kann nicht vorgeben, nach welchen Kriterien geforscht wird, wenn geforscht wird, und es kann auch nicht vorgeben, was wahr ist und was nicht. Geht es also nicht um Wahrheit, sondern um

***die Differenz von gut und böse oder von nützlich und schädlich, läuft die Kommunikation nicht im Wissenschaftssystem ab - und dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn Wissenschaftler sich an ihr beteiligen. Das System reproduziert sich durch Zuordnung von Kommunikationen zu diesem Code. Alle Operationen und nur Operationen, für die dies gilt, sind interne Operationen des Systems, und in diesem Sinne gilt dann auch hier, daß es nichts Entsprechendes in der Umwelt des Systems gibt.

Wenn die Wissenschaft sich nur durch die Anwendung ihres symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums zur Wissenschaft ausdifferenziert, dann muß sich eine Kommunikation, will sie zur Wissenschaft gehören, von deren Medium faszinieren lassen.

Wissenschaftliche Forschung ist bekanntermaßen ausgesprochen mühsam, nicht immer fruchtbar, sie ist umstritten, riskant und besteht aus lauter Vorläufigkeiten, mit einem Wort: Ihr Zustandekommen ist von hoher Unwahrscheinlichkeit, und daß es sie dennoch gibt, bedarf der Erklärung. Hier zeigt sich eine der entscheidenden Fragen systemtheoretisch-funktionaler Forschung: Wie ist die Transformation von Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit möglich?

Eine Beantwortung dieser Frage ist diffizil und bedarf nicht nur einer elaborierten Evolutionstheorie, gekoppelt an eine Theorie sozialer Systeme, sie bedarf darüber hinaus der Klärung, welche Funktionen Organisationen, Episoden, Themenvorgaben, Projekte etc. für die Transformation von Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit übernehmen. Dieser Punkt soll hier lediglich in Hinsicht auf die Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien angeschnitten werden. Anhand dessen läßt sich bereits erahnen, daß diese Medien einen nicht unerheblichen Anteil an der angesprochenen Transformation haben, denn diese Medien verwenden Generalisierungen (Wahrheit etc.),

***um den Zusammenhang von Selektion und Motivation zu symbolisieren, das heißt: als Einheit darzustellen. [...] Auf sehr verschiedene Weise und für sehr verschiedene Interaktionskonstellationen geht es in all diesen Fällen darum, die Selektion der Kommunikation so zu konditionieren, daß sie zugleich als Motivationsmittel wirken, also die Befolgung des Selektionsvorschlages hinreichend sicherstellen kann.

Somit lassen sich Kommunikationsmedien auch etikettieren als "***diejenigen evolutionären Errungenschaften, die an jenen Bruchstellen der Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren [...]." Die Theorie der Kommunikationsmedien kennt neben dem wissenschaftsspezifischen Medium 'Wahrheit' natürlich noch andere Medien. Wie sollten sich sonst soziale Systeme ausdifferenzieren, wenn nicht über differente Medien? Aber gerade darin liegt der Vorteil einer solchen Analyse: "***[...] sie ermöglicht Vergleiche mit ganz andersartigen Sachverhalten, zum Beispiel mit Macht, mit Geld, mit Wahrheit [...]." Und bei all dem ist die "***Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen [...] die Formel, die Gesellschaftstheorie, Evolutionstheorie und Theorie der Kommunikationsmedien verbindet."

Systemdifferenzierung bedeutet hier also nichts anderes als die Wiederholung der Differenz von System und Umwelt innerhalb von Systemen, beziehungsweise die Wiederholung der Systembildung in Systemen.

1.2.3.3 Selbstreferentialität, Logik und Erfahrung: Zur Theorie strukturfunktionaler Latenzen und Paradoxien

Wie können aber Systeme operieren, wenn sie geschlossen sind und keine Möglichkeit eines Kontaktes zur Umwelt haben? Woher erhalten sie ihre inhaltliche Fülle, ihren Stimulus, neues Material? Bevor diese Frage endlich zur Theorie autopoietischer Systeme (1.2.3.4) überleitet, gilt es die Möglichkeiten zu erwägen, die ein geschlossenes System hat, seine Operationen durchzuführen und dabei auf immer wieder Neues zu stoßen. Hierfür steht der Begriff des selbstreferentiellen Systems.

Soziale, psychische und lebende Systeme sind keine Maschinen. Dennoch kann man zur Verdeutlichung dessen, was unter einem selbstreferentiellen System verstanden werden soll, zunächst - und eingedenk aller gebotenen Einschränkungen - bei einem Vergleich von trivialen und selbstreferentiellen Maschinen ansetzen:

***Trivialmaschinen transformieren auf immer gleiche Weise Inputs in Outputs. Wird der Input wiederholt, kommt der gleiche Output heraus - oder es liegt ein Fehler vor, und die Maschine muß zur Reparatur. Selbstreferentielle Maschinen machen dagegen ihren Output auch von ihrem jeweiligen Zustand abhängig, etwa von dem Zustand, der sich aus gerade vorher abgelaufenen Operationen ergibt. Sie kommen je nach ihrem Eigenzustand bei gleichen Inputs zu völlig verschiedenen Ergebnissen.

Im letzteren Falle spielt die Systemgeschichte eine Rolle; im ersten Falle kann man sie vernachlässigen, sofern überhaupt von einer Systemgeschichte gesprochen werden kann:

***Selbstreferentielle Maschinen sind unzuverlässig, launisch, sind gewissermaßen historische Maschinen und können daher auch kreativ sein, allerdings nicht auf Kreativität hin programmiert werden. Sie sind nicht zuverlässig kreativ, wohl aber zufällig kreativ.

Selbstreferentielle Systeme sind geschlossene Systeme. Sie arbeiten ausschließlich im Selbstkontakt. Sie können keinen direkten Kontakt zur Umwelt aufnehmen. Wie aber können Systeme an inhaltlicher Fülle gewinnen und vermeiden, daß sie sich im Kreise drehen und an den selbsterzeugten Tautologien des zirkelhaften Selbstbezugs "ersticken"?

Für die Lösung dieses Problems steht der Begriff der Rekursivität. Rekursivität funktioniert über die Rückbezüglichkeit von Ergebnissen einer Operation auf sich selbst und verwendet mithin Ergebnisse von Operationen durch ein re-entry als Ausgangspunkt neuer Operationen. Will man dies in der Terminologie des Input-Output-Schemas umschreiben, so muß man dieses Schema neu (und damit im Sinne der Neokybernetik) fassen: Ein Input ist danach kein aus der Umwelt des Systems gewonnener Eingabewert, sondern ein vom System selbst produzierter und ausgewählter Ausgangspunkt einer aktuellen Operation. Die auf diesen Input angewandte Operation produziert dann den Output, welcher folglich nicht als Ausgabewert in die Umwelt eingegeben wird, sondern im System verbleibt und wieder als Ausgangspunkt neuer Operationen verwendet werden kann. Input und Output bilden also eine Paradoxie: Der Output ist ein Input und der Input ist ein Output, oder: Der Ausgangspunkt ist ein Endpunkt (Ergebnis) und der Endpunkt ein Ausgangspunkt.

Die Paradoxie führt auch hier nicht in einen circulus vitiosus, denn sie läßt sich durch Temporalisierung entfalten. Dem im folgenden zu diskutierenden Gedanken der Temporalisierung entsprechend durchläuft das System operative Schleifen, und die Bezeichnungen Input oder Output lassen sich nur vergeben, indem man jeweils einen Punkt als Ausgangspunkt wählt und das zeitlich Nachfolgende als Resultat bezeichnet, welches in Hinsicht auf weitere zeitliche Abfolgen wieder als Ausgangspunkt erscheint. Eine solch Schleife läuft also - wenn auch hier durch das Input-Output-Schema verfremdet - nach einem dem hermeneutischen Zirkel verwandten Muster.

Jeder mögliche Umweltkontakt muß dementsprechend ebenfalls über einen speziellen Selbstkontakt hergestellt werden. Dazu muß das System selbst zwischen sich und der Umwelt unterscheiden können. Umweltkontakte setzen mithin die Wiedereinführung der System/Umwelt-Differenz ins System selbst voraus. Maturana zufolge unterscheidet nicht jedes selbstreferentielle System zwischen sich und der Umwelt. Die System/Umwelt-Differenz kann dann eventuell nur für einen Beobachter des Systems vorhanden sein, nicht aber für das System selbst. Luhmann hingegen vertritt die These, daß alle selbstreferentiell-geschlossenen Systeme zur Beobachtung der Umwelt, ja, sogar zur Selbstbeobachtung befähigt sind:

***Diese These steht im Widerspruch sowohl zur klassischen Entgegensetzung von Theorien geschlossener und offener Systeme als auch zum Begriff der Autopoiesis von Maturana, der zur Herstellung von System/Umweltbeziehungen einen Beobachter als ein anderes System erfordert. Wenn man jedoch die Begriffe Beobachtung und Selbstbeobachtung auf der Ebene der allgemeinen Systemtheorie ansetzt und, wie angedeutet, mit dem Begriff der Autopoiesis verbindet, wird Selbstbeobachtung zur notwendigen Komponente autopoietischer Reproduktion.

Die Systeme steigern also dadurch, daß sie die Unterscheidung von System und Umwelt ins System selbst einführen, ihre Eigenkomplexität und eröffnen sich dadurch Spielräume für Erfahrungen mit der Umwelt: Die unbekannte Umwelt durchzieht das System sozusagen als Komplexität in Form einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten und reizt das System so dazu, "Experimente" mit der Umwelt zu machen.

Die Reduktion von Komplexität, die ein System dabei "ausprobiert" (ausprobiert: denn es muß sie zurücknehmen oder wenigstens modifizieren, wenn zu große Störungen auftreten), ist eine paradoxe Operation: Jede Reduktion von Komplexität ist nämlich zugleich immer auch Progression von Komplexität und dies in ganz besonderem Maße im Fall der Reduktion von Komplexität durch Sinn. Sinnsysteme reduzieren Komplexität durch den Aufbau konditionierter Verweisungshorizonte. Diese Horizonte schließen Vieles aus - sie erzeugen zugleich jedoch immer auch neue Möglichkeiten, die es vorher nicht gab. Am Beispiel der Physik: Wenn die Materie reduziert wird auf etwas aus Atomen Bestehendes, was sind dann aber Atome, und kann man sie in noch kleinere Elementarteilchen dekomponieren?

Die Soziologie und die Philosophie erzeugen aber ganz andere Grade von Komplexität durch Komplexitätsreduktion: Beide Disziplinen sind selbst Teilsysteme des Gesellschaftssystems, das sie untersuchen. In einem solchen Fall kann die Komplexität eines Teilsystems die Komplexität des Gesamtsystems beinhalten: Das System wird hyperkomplex. Mit einem hyperkomplexen Teilsystem "***ist ein Teilsystem gemeint, daß selbst höhere Komplexität hat als das System, dem es angehört. Dieser Gedanke drängt sich auf, wenn man Systembildung als Reduktion von Komplexität begreift [...]." Wenn dieser Sachverhalt vorliegt, dann enthält der Teil sozusagen mehr als das Ganze, nämlich sich selbst (als Teil) und das Ganze (dessen Teil er ist). Oder, um es mit Luhmann, aber dann in spiegelbildlicher Formulierung und in gleichzeitiger "***Umkehrung der klassischen These" zu sagen: "***das Ganze [ist] weniger [...] als die Summe seiner Teile."

Die Einführung der System/Umwelt-Differenz in das System selbst bildet dabei die einzige Möglichkeit für Umweltkontakte. Dadurch aber, daß ein System zwischen sich und seiner Umwelt unterscheiden kann, entsteht nicht nur eine systemrelative Umwelt; es ergibt sich vielmehr für das System eine einzigartige und evolutionär äußerst folgenreiche Konsequenz: die Möglichkeit der Selbstbeobachtung.

Nur ein System, daß sich selbst von allem anderen unterscheiden kann, nur ein System also, daß zwischen Selbstreferenz (das heißt: Beobachtung der eigenen Selbstreferenz beziehungsweise Beobachtung des Systems durch sich selbst) und Fremdreferenz (das heißt: Beobachtung der Umwelt oder anderer Systeme in der Umwelt) innerhalb der eigenen Selbstreferenz zu unterscheiden vermag, nur ein solches System kann sich selbst beobachten und sich selbst beschreiben. Da das System bei der Beobachtung und Beschreibung der Umwelt nie die eigene Selbstreferenz verlassen kann "***beobachtet es von innen so, als ob es von außen wäre [...]."

Systeme können auf diese Weise also sowohl die Umwelt als auch sich selbst beschreiben. Der Modus einer auf Selbstbezüglichkeit fußenden Selbstbeschreibung wird im allgemeinen traditionell unter der Semantik des 'Selbstbewußtseins' mitgeführt. Im Gegensatz zur subjektphilosophischen Tradition bildet diese auf dem Selbstbewußtsein beruhende Form selbstreferentieller Selbstbeschreibung der Systemtheorie zufolge nur eine Form unter anderen. So bilden soziale Systeme zwar kein Selbstbewußtsein aus, da sie überhaupt nicht über ein Bewußtsein verfügen. Dennoch operieren sie selbstreferentiell und können sich selbst beschreiben. Dabei kommt dem Sozialsystem der Wissenschaft eine bedeutende Rolle zu: So beschreibt etwa die Soziologie nach wissenschaftlichen Kriterien die Gesellschaft - ohne daß dabei der Soziologie irgendeine Form von Bewußtsein zukäme. Nun sind jedoch der Theorie autopoietischer Systeme gemäß alle Systeme (weil geschlossen) selbstreferentielle Systeme, und die Fähigkeit des Selbstbezugs bildet infolgedessen nach Luhmann weder ein Privileg des Bewußtseins, noch kann Selbstreferentialität allein schon Selbstbeschreibung gewährleisten.

Man könnte sich dieser Theorie am ehesten noch mit Hegel nähern, dem zufolge Selbstbeschreibungen Selbstnegationen und damit die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich implizieren. Ähnlich dem Hegelschen Denken geht die moderne Systemtheorie davon aus, daß nur ein solches System sich selbst beobachten und beschreiben kann, welches sich von allem anderen, also von einer zunächst unbestimmten Umwelt, zu unterscheiden vermag. Dabei bleibt die Umwelt immer nur eine vom System selbst unterschiedene, beobachtete und damit selbsterzeugte Umwelt: Die Umwelt ist das System als selbsterzeugte Unterscheidung des Systems von sich selbst: "Your Inside Is Out And Your Outside Is In".

Die Lösung der Paradoxie wird durch eine Temporalisierung der Logik erzielt:

***Das Problem liegt also in der Zeit, und auch die Lösung liegt in der Zeit. Als Operation kann die Beobachtung sich nur momenthaft aktualisieren. [...] Das schließt jedoch nicht aus, daß andere Operationen, sei es gleichzeitig, sei es vorher oder nachher, das Beobachten beobachten, die benutzten Unterscheidungen unterscheiden - sofern nur ein Netzwerk rekursiven Beobachtens, also ein System hergestellt werden kann.

 

Die Sätze vom Widerspruch oder vom ausgeschlossenen Dritten "löschen" die Zeit, indem sie die Logik auf eine Form (= formale Logik) reduzieren, also indem sie eine Logik aufbauen, die Veränderungen unter gleichzeitiger Beibehaltung und Nicht-Beibehaltung der Identität ausschließt:

***Hier ist die nächstliegende Frage die nach der Einheit der Differenz. Man kommt also nicht auf eine Logik der Arten und Gattungen als umfassender Wesen und nicht auf eine Hierarchie, sondern, wenn man Hegel glauben darf, auf eine dialektische Theorie. Im Verhältnis zum alteuropäischen Denken ändert sich dadurch auch das Verhältnis zur Zeit; denn die Gattungsbegriffe galten, im Unterschied zu Handlungen und Ereignissen, als stabil, während die Dialektik alles in Bewegung setzt und die Zeit selbst als Prozeß begreift.

Luhmann zufolge

***weiß [man] inzwischen auch, daß alle binären Codes und mit ihnen die zweiwertige Logik, wenn sie eine vollständige Weltbeschreibung liefern, also sich auch auf sich selbst und ihre eigenen Operationen beziehen wollen, Paradoxien nicht vermeiden können.

Veränderungen brauchen Zeit. Sie bedürfen der Unterscheidung von Vorher und Nachher, ganz so wie Husserl dies sah, dem zufolge "***ein Jetzt [...] also keinesfalls ein abstrakter Moment [ist], sondern eingebettet in das Gesamt von Retentionen und Protentionen." Die Beobachtung von Veränderungen ist infolgedessen nur möglich, wenn ein Jetztzeitpunkt in Retention und Protention eingebettet wird. Dem Begriff der Veränderung ist also der Begriff der Zeit bereits implizit. Nach Luhmann - auch hierin angeregt durch Husserls Analysen - hat

***eine Erkenntnistheorie, die sich in dieser Weise auf den Begriff des Beobachtens stützt, [...] tiefreichende Konsequenzen für das Verständnis von Zeit. Wir hatten bereits kurz angedeutet, daß die Operation des unterscheidenden Bezeichnens die Gleichzeitigkeit des Vorher und Nachher der Operation des Beobachtens voraussetzt, also die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Operation setzt.

Die formale Logik (aber auch jede andere an ihr orientierte zweiwertige Logik, etwa die Prädikatenlogik) muß Veränderungen de-temporalisieren. Um die dabei unter Umständen auftretenden Paradoxien aufzulösen, kann man Ebenenunterscheidungen respektive eine Typenlogik einführen. Jedoch ist es

***ebenso einfach wie unfruchtbar, dies [die Entfaltung von Paradoxien, H.W.] mit Hilfe einer Unterscheidung von logischen Typen oder von mehreren Sprachebenen zu tun - unfruchtbar deshalb, weil diese auf Russell zurückgehenden Vorschläge zu direkt am Problem operieren und zu viel sinnvolle Aussagemöglichkeiten ausschließen.

Die Typenlogik löst das Problem also gewissermaßen zu schnell.

Einer Logik aber, die unter Absehen von einer zeitlichen Abfolge, das heißt einer "Bewegung", operiert, kann dann die temporal durchaus entfaltbare Paradoxie unter Umständen als Antinomie erscheinen, weil die rein formale Struktur die Entfaltung von aus zeitlichen Abfolgen sich ergebenden Paradoxien sperrt.

Hingegen hatte sich schon Hegel an einer Logik versucht, die auch Widersprüche zuläßt, ja, ihre Einbeziehung geradezu einfordert:

***In A = A, als dem Satz der Identität, wird reflektiert auf das Bezogensein, und dies Beziehen, dies Einssein, die Gleichheit ist in dieser reinen Identität enthalten; es wird von aller Ungleichheit abstrahiert. A, der Ausdruck des absoluten Denkens oder der Vernunft, hat für die formale, in verständigen Sätzen sprechende Reflexion nur die Bedeutung der Verstandesidentität, der reinen Einheit, d. h. einer solchen, worin von der Entgegensetzung abstrahiert ist. Aber die Vernunft findet sich in dieser Einseitigkeit der abstrakten Einheit nicht ausgedrückt; sie postuliert auch das Setzen desjenigen, wovon in der reinen Gleichheit abstrahiert wurde, das Setzen des Entgegengesetzten, der Ungleichheit. [...] Der Grundfehler kann so vorgestellt werden, daß in formaler Rücksicht auf die Antinomie des A und des B nicht reflektiert ist. Einem solchen analytischen Wesen liegt das Bewußtsein nicht zum Grunde, daß die rein formale Erscheinung des Absoluten der Widerspruch ist [...].

###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}Mit ähnlichen Problemen beschäftigt arbeiten Logiker, wie der an Neurophysiologie und Mathematik gleichermaßen interessierte Physiker Heinz von Foerster, heute an einer operativen Logik. {{{Kontrollende}}}Folgt eine Logik aber der Realität der Systemoperationen, vermeidet sie also kontrafaktische Reformalisierungen beziehungsweise Detemporalisierungen und reduziert nicht die faktische Komplexität der Systeme, so werden Paradoxien, Tautologien und Zirkel zu notwendigen und fruchtbaren Ausgangspunkten des Gewinns neuer Erfahrungen und Erkenntnisse. Aber gerade "***das hat man bisher als unerlaubte Handlung angesehen. Der Nachweis eines Zirkelschlusses galt als tödlich." Dennoch: "***Die Strukturarmut der zweiwertigen Logik verlangt nach einer Ergänzung, die man, was Methoden angeht, in der Zeit suchen und als temporale Komplexität beschreiben muß. Methoden sind Prozeßstrukturen."

Der Theorie selbstreferentieller Systeme entsprechend können Erfahrungen ausschließlich durch Selbstbezug gewonnen werden und nicht durch einen Umweltkontakt entstehen beziehungsweise dann an einer sogenannten unabhängigen Realität geprüft werden. Auch hier tritt wieder eine Paradoxie in Erscheinung: Erfahrungen über die Umwelt sind Erfahrungen, die das System mit sich selbst macht. Und weil das System sich sieht, wenn es seine Umwelt sieht, weil es also gegenüber der Umwelt geschlossen, gegenüber sich selbst aber prinzipiell offen ist, erzeugt Geschlossenheit Offenheit für Welt:

***Dies Konzept des selbstreferentiell-geschlossenen Systems steht nicht im Widerspruch zur Umweltoffenheit der Systeme; Geschlossenheit der selbstreferentiellen Operationsweise ist vielmehr eine Form der Erweiterung möglichen Umweltkontaktes; sie steigert dadurch, daß sie bestimmungsfähigere Elemente konstituiert, die Komplexität der für das System möglichen Umwelt.

Zu diesem Zugang zur Welt, der zugleich jeden Solipsismus vermeidet, kann es jedoch nur unter einer entscheidenden Prämisse kommen, die bereits erläutert wurde: Sinn. Nur Systeme, die mit Sinn operieren, können ausreichend viele Verweisungen aufbauen, können sich und ihre Umwelt ausreichend komplex darstellen und diese Komplexität, nicht zuletzt unter Zuhilfenahme erfahrungsgesteuerter und damit lernbereiter Komplexitätsreduktionen, aushalten. Ein solcher, sich selbst über Ausdifferenzierungen modifizierender Sinnhorizont bedarf nach Luhmann keiner außer ihm liegenden, ontologisch vorgegebenen Realität oder einer allein über transzendentale Vermögen modellierbaren "Beharrlichkeit". Allerdings können auch durch Geschlossenheit offene Systeme, und seien es Sinnsysteme, nicht alles "sehen", denn um etwas sehen zu können, muß das System einen "Standpunkt" wählen, von dem aus es sehen (beobachten, erleben, kommunizieren etc.) kann. Das führt zu notwendigen Latenzen im System. Die bekanntesten Formen von Latenz sind die schon von den Moralisten des 17. Jahrhunderts entdeckten Inkommunikabilitäten (bei sozialen Systemen): Aufrichtigkeit etwa kann nicht mitkommuniziert werden: "***Man kann gleichwohl nicht sagen, daß man meint, was man sagt. Man kann es zwar sprachlich ausführen, aber die Beteuerung erweckt Zweifel, wirkt also gegen die Absicht."

Die Mitteilung, man sei völlig aufrichtig, weckt Verdacht. Im Falle psychischer Systeme sind Latenzen seit Freud mit dem Unbewußten verbunden. Dabei ist strukturfunktionale Latenz von faktischer Latenz zu unterscheiden. Faktische Latenz verwendet Luhmann etwa im Sinne von 'Nichtmitberücksichtigung' oder 'Unmöglichkeit der Mitberücksichtigung'. Strukturfunktionale Latenz ist dagegen eine Latenz mit der Funktion des Strukturschutzes. Man denke dabei beispielsweise an Freuds Theorie der Verdrängung, derzufolge der verdrängte Sinn etwa eines Traumes aus strukturfunktionalen Gründen in Verdrängung gehalten wird: Hinter dem manifesten Sinn versteckt sich ein latenter Sinn, der in Latenz gehalten wird, um vor der Peinlichkeit oder gar Schmerzlichkeit der Entdeckung dieses Sinns zu schützen. Dabei hat die strukturfunktionale Latenz oftmals einen "doppelten Boden": Nicht nur der latente Sinn wird in "Schutzhaft" durch die Verdrängung genommen; auch der Prozeß und die Aufrechterhaltung der Verdrängung selbst werden mitverdrängt. Man weiß dann nicht nur nichts Inhaltliches mehr vom Verdrängten, sondern auch nichts mehr vom Prozeß der Verdrängung selbst. Der Fall der strukturfunktionalen Latenz

***ist der eigentlich brisante Fall, und dies auch nur, soweit er nicht durch faktische Unmöglichkeit abgedeckt ist. Wenn Strukturen Latenzschutz benötigen, heißt dies dann nicht, daß Bewußtheit bzw. Kommunikation unmöglich wäre; sondern es heißt nur, daß Bewußtheit bzw. Kommunikation Strukturen zerstören bzw. erhebliche Umstrukturierungen auslösen würde, und daß diese Aussicht Latenz erhält, also Bewußtheit bzw. Kommunikation blockiert.

So treten in allen Systemen immer wieder notwendige Latenzen auf, und der einfachste, zugleich wohl universellste Fall von faktischer Latenz, ist der des "blinden Flecks": "***Jede Beobachtung ist in ihrer Unterscheidungsabhängigkeit sich selber latent." Das System kann nicht alles sehen, denn um sehen zu können, bedarf es eines "Standpunktes" (das heißt: einer Differenz, unter der beobachtet wird), von dem aus es sehen kann, was es sieht. Der Standpunkt oder die Differenz selbst bleibt dabei notwendigerweise im verborgenen, denn wenn ein System seinen Standpunkt sehen will, so muß es ihn verlassen und auf einen anderen wechseln:

***Jedes beobachtende System muß die Unterscheidung, von der es ausgeht, quasi als blinden Fleck benutzen. Es kann nur mit Hilfe dieser Unterscheidung sehen, also nur das sehen, was man mit Hilfe dieser Unterscheidung sehen kann: Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann.

Wenn Beobachtungen sich selbst latent sind, dann heißt das "***unter anderem: daß die Beobachtung selbst nicht in der Lage ist, in ihrem Vollzug wahr und unwahr zu unterscheiden." Wie kann dann aber eine Beobachtung als wahr oder falsch eingeordnet werden? Um zwischen wahren und falschen Beobachtungen unterscheiden zu können, bedarf es der Beobachtung von Beobachtungen, wobei die "zweite" Beobachtung eben die Unterscheidung von 'wahr' und 'falsch' benutzt:

***Wie jede Unterscheidung eignet sich auch diese dazu, eine Beobachtung zu strukturieren, mit der dann etwas als wahr (und nicht als unwahr) bezeichnet wird oder umgekehrt. Aber auch dann gilt, daß die Operation des Beobachtens sich in ihrem Vollzug nicht selbst als wahr bzw. unwahr bezeichnen kann, sondern daß dies voraussetzt, daß nun diese Beobachtung ihrerseits beobachtet wird.

Somit ist sich auch die Zurechnung der Wahrheit einer Beobachtung in ihrer Zurechnung "blind". Sie kann nur überprüft werden, indem sie zirkelhaft wieder unter der Differenz von wahr und falsch beobachtet wird.

 

Bei Dilthey läßt sich eine Präfiguration einer solchen Ansicht finden, denn seiner Auffassung zufolge bildet der Denkakt selbst einen 'blinden Fleck': Denn "wir können niemals den Denkakt selbst mit Aufmerksamkeit auffassen. Von solchen Vorgängen wissen wir nur aus der Erinnerung." Es bedarf so nach Dilthey einer zweiten Beobachtung (hier: mit Hilfe der Erinnerung), um den Denkakt (wenn man mit Dilthey 'Denken' als 'Akt' versteht) selbst von dem zu unterscheiden, was da gedacht wurde. Um Denkakt und Inhalt zu unterscheiden, bedarf es der artifiziellen Unterscheidung von 'Denkakt' und 'Gedachtem' mit Hilfe der Erinnerung. Der Denkakt ist gegenüber der Unterscheidung 'Denkakt' und 'Inhalt des Denkakts' blind. So kann der Beobachter (also das System)

***nicht sehen [...], daß er nicht sehen kann, was er nicht sehen kann. Und mehr noch: daß dieses Nichtsehenkönnen Bedingung der Möglichkeit des Beobachtens ist. Der 'blinde Fleck' tritt an die Stelle der sich über sich selbst vergewissernden Vernunft. Dies ist bei allen Beobachtungen, die man beobachten kann, der Fall; und es gehört dann nur noch ein wenig Mut dazu, sich selbst zu sagen: auch bei meinen eigenen Beobachtungen.

Der jeweilige "Standpunkt" bleibt ein "blinder Fleck", und wenn das System diesen blinden Fleck räumt, um ihn (und sei es durch Erinnerung) sehen zu können, dann sieht es, daß es nicht sehen konnte, was es jetzt sieht; und es sieht zugleich wieder nicht, daß es jetzt sehen kann, was es nicht sehen konnte, weil es jetzt wieder nicht sehen kann, von wo aus es sehen kann, was es vorher nicht sehen konnte: Erfahrungen gehen aus einem Selbstkontakt hervor, der nie alles zu erfassen erlaubt. Erfahrungen sind also immer unvollständig, und ein System, daß Erfahrungen machen will, bedarf - wieder eine Paradoxie - der (partiellen) Blindheit, um sehen zu können:

***Vielleicht kann man auch und gerade hier mit dem Gedanken der Entparadoxierung durch 're-entry' arbeiten. Die Unterscheidung manifest/latent wird in den Bereich manifester Beobachtung und Beschreibung hereingeholt. Man akzeptiert, daß jede Beobachtung, indem sie eine Leitunterscheidung wählt, sich einem blinden Fleck ausliefert - und sei es nur, daß sie sich von der Unterscheidung (zum Beispiel: manifest/latent), mit der sie operiert, nicht mehr unterscheiden kann.

Wenn jedes System einen 'blinden Fleck' benutzen muß, dann können andere Systeme

***andere Unterscheidungen verwenden, um das beobachtende System zu beobachten. Es erscheint dann als ein System-mit-Umwelt in der Umwelt des Systems, das das Beobachten beobachtet. Ein Gedanke von enormer Tragweite für die Sozialwissenschaften. Man kann auf diese Weise die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie reformulieren und ebenso die Freudsche Kritik des verdrängenden, sublimierenden Bewußtseins. Es handelt sich in beiden Fällen um eine Beobachtung, die sich darauf spezialisiert, das zu beobachten, was die beobachteten Systeme nicht beobachten können. Die Namen Marx und Freud stehen hier nur für eine sehr einflußreiche, breitenwirksame Innovation des modernen Denkens, und es fällt rückblickend auf, daß die offizielle Erkenntnistheorie mit dieser Form des Beobachtens von Beobachtungen, des Beschreibens von Beschreibungen, des Wissens über Wissen, unüberwindliche Schwierigkeiten gehabt hat. Das zeigt eine lange und unergiebige Diskussion über 'Wissenssoziologie' ebenso wie der wissenschaftstheoretisch problematische Status der Psychoanalyse. Scharf gesagt: gerade diejenige Innovation, die das moderne Denken gegen alle Traditionen auszeichnet, mußte erkenntnistheoretisch verboten werden. Das kann mit Hilfe der skizzierten systemtheoretischen Konzepte geändert werden.

Was aber sind nun Erfahrungen? Wenn, wie beschrieben, Umweltkontakte als spezielle Form von komplexitätssteigernden Selbstkontakten beschrieben werden müssen und damit die Selbsterfassung auf der Grundlage der Fähigkeit des Systems zur Selbstunterscheidung als einer vom System ins System selbst eingeführten Unterscheidung zwischen sich und der Umwelt begriffen werden muß, dann zwingt die enorme Komplexitätssteigerung das System dazu, mit Hilfe von Beobachtungen Komplexitätsreduktionen durchzuführen, damit das System in einer Überkomplexen Umwelt existieren kann: Komplexitätssteigerung muß also Selektion nach sich ziehen. Hier ist endlich der Punkt erreicht, an dem sich angeben läßt, wie sich innerhalb der Theorie Luhmanns der Begriff der Erfahrung bestimmen läßt:

Erfahrungen sind über Beobachtungen erzeugte Selektionskonditionierungen innerhalb einer vom System selbst erzeugten und reduzierten Komplexität. Erfahrung, wenn sie aus Beobachtungen hervorgeht, ist

***überraschende Information, die strukturell belangvoll ist und zur Umstrukturierung sinnhafter Prämissen der Erlebnisverarbeitung führt [...]. Erfahrung ist nie das reine, unmodifizierte Eintreffen des Erwarteten - wenn ich die Treppe hinuntergehe, ist das keine Erfahrung, daß die Treppe noch da ist -, sondern nur die informative Modifikation des Erwarteten in einzelnen Hinsichten. Daher kann Erfahrung die sinngebenden, Erfahrungsmöglichkeiten eröffnenden Erwartungsstrukturen nie direkt, sondern nur indirekt, durch Nichtmodifikation, bestätigen. Erfahrung ist eine laufende Rekonstruktion der sinnhaft konstituierten Wirklichkeit durch Abarbeitung von Enttäuschungen, durch normalisierende Verarbeitung von Information.

Erfahrungen sind strukturelle Niederschläge von Systemereignissen, und sie entstehen dadurch, daß ein System sich entscheiden muß, was es aus der unendlichen Zahl der Möglichkeiten, etwas zu aktualisieren, auswählen will. Erfahrungen sind Selektionskonditionierer, sie sind strukturmodifizierende Ereignisse eines Systems und konditionieren somit zukünftige Selektionen: Erfahrungen ermöglichen Entscheidungen (in Selektionsprozessen). Es ergibt sich ein Zirkel: Erfahrungen sind hervorgegangen aus strukturmodifizierenden Ereignissen, die weitere Selektionen konditionieren, und um selegieren zu können, bedarf es der Einschränkung der Möglichkeiten, also der (Selbst)Konditionierung, also der Erfahrung. Erfahrungen sind Ereignisse innerhalb der Systemkomplexität, welche Struktureffekte hinterlassen haben und damit die Systemkomplexität reduzieren und zugleich erhöhen: Es ist nicht mehr alles möglich, aber es ist etwas möglich, was früher nicht möglich war. Der Zirkel läßt sich freilich leicht entfalten, denn, wie es am Beispiel des Wissenschaftssystems demonstriert wurde, jedes System fängt mit einer operativen Unterscheidung an. Jede Unterscheidung beinhaltet aber die Einheit ihrer beiden Seiten (etwa: wahr/falsch). Und diese Unterscheidung ist die erste Erfahrung, die das System macht. Sie bildet zugleich aber die Anfangskomplexität des Systems, wenn man mit Luhmann unter Komplexität das Möglichsein (und bei hoher Komplexität: das Immer-auch-anders-Möglichsein) des einen oder des anderen Anschlußelementes versteht. Innerhalb dieser Anfangskomplexität können nun im Zirkel weitere Unterscheidungen in das bereits Unterschiedene eingeführt werden. Es wird immer mehr möglich und daher immer mehr zufällig und unbestimmbar, kurz: das Risiko, die Autopoiesis fortsetzen zu können, nimmt zu. Diese weiteren Unterscheidungen im bereits Unterschiedenen sind aber Erfahrungen (die noch nicht unter der Differenz von wahr und falsch stehen müssen, also noch keine Erkenntnisse sind) und sie bilden zugleich als strukturelle Niederschläge die Komplexität des Systems selbst.

Erfahrungen stehen als Selektionskonditionierer innerhalb der Systemkomplexität immer unter der Differenz von Relation und Element, das heißt, es geht bei Erfahrung immer um die Relationierung der Elemente und diese Relation als Ganze ist die Komplexität: "***Die theoretisch richtige Differenz ist [daher] nicht: Element (Ereignis)/System, auch nicht Element (Ereignis)/Prozeß, sondern Element (Ereignis)/Relation." Die Selektion läuft bei all dem freilich nicht so, "***wie man aus einem Vorrat das eine oder das andere herausgreift. Diese Ansicht würde uns zur Substanztheorie und Übertragungsmetaphorik zurückbringen."

Selektion ist Produktion: Es wird nicht aus schon Vorhandenem selegiert; es wird selegiert, was produziert werden soll (oder kann) und was nicht produziert werden soll (oder kann). Neue Ereignisse, neue Elemente und Bezugsgrößen (beispielsweise die Umwelt) des Systems können und müssen demnach vom System selbst selegiert und damit hergestellt werden, indem sich das System auf seine eigenen Operationen oder auf die Resultate seiner eigenen Operationen immer wieder bezieht. Und hier leitet der Begriff der Selbstreferentialität von sich aus in den Begriff der Autopoiesis über.

1.2.3.4 Autopoiesis: Stabilität durch Verfall

Wie schon kurz angesprochen wurde, möchten Maturana und Varela in ihrer "***biologischen Phänomenologie" den Begriff der Autopoiesis mit den Begriffen 'Lebewesen', 'lebende Systeme' oder 'Leben schlechthin' gleichgesetzt wissen: "***Unser Vorschlag ist, daß Lebewesen sich dadurch charakterisieren, daß sie sich - buchstäblich - andauernd selbst erzeugen. Darauf beziehen wir uns, wenn wir die sie definierende Organisation autopoietische Organisation nennen [...]." Maturana versucht so bereits seit 1960 "***von der gewohnten biologischen Tradition abzuweichen" und "***lebende Systeme als den Prozeß zu verstehen, der diese verwirklicht, und sie nicht durch die Beziehung zu ihrer Umwelt zu erklären." Damit ist Maturana gezwungen, das Bewußtsein und das Soziale aus dem komplexen Zusammenspiel einfachen Lebens heraus zu erklären. Dabei bleibt Leben das Letztelement Maturanas und alle Formen höherer Ordnung (Bewußtsein und Gesellschaft) müssen sich in dieses Letztelement dekomponieren lassen.

Luhmann übernimmt zwar den Begriff der Autopoiesis von Maturana, grenzt sich jedoch auch deutlich davon ab. Luhmann geht davon aus, daß es neben lebenden Systemen auch andere, eigenständige Systeme gibt, die nicht mit Leben, sondern zum Beispiel mit Sinn operieren. Daher möchte er den Begriff der Autopoiesis nicht ausschließlich auf lebende Systeme bezogen wissen, sondern auch auf Sinnsysteme, seien es psychische oder soziale. Mit anderen Worten: Luhmann betrachtet Sinnsysteme als emergent gegenüber lebenden Systemen in dem Sinne, daß soziale und psychische Systeme ihre eigenständige Autopoiesis vollziehen müssen und sich nicht in irgendeiner Form aus Leben als Letztelement "zusammensetzen" lassen: Nicht Leben, sondern Bewußtsein und Kommunikation sind die (sinnhaften) Basisoperationen psychischer respektive sozialer Systeme.

Wenn man den Begriff so umstellt, dann muß man davon ausgehen, daß jedes System gekennzeichnet ist durch eine basale Operation: Basale Operationen sind demnach Operationen, die nicht weiter dekomponierbar sind. Sie sind nicht weiter dekomponierbar in dem Sinne, daß zwar zum Beispiel über Kommunikation (als basale Operation sozialer Systeme) immer wieder kommuniziert, aber nicht von der Kommunikation sozialer Systeme direkt auf Bewußtseinsvorgänge oder gar auf neurophysiologische, chemische oder physikalische Vorgänge umgeschaltet werden kann, ohne das fokussierte System zu verlassen. Ein (radikal)konstruktivistischer Psychologe etwa, der glaubt, er könne Erleben auf neurophysiologische Muster reduzieren, begeht demzufolge einen elementaren Fehler: Er verläßt aus systemtheoretischer Sicht die Psychologie, ohne daß ihm der Wechsel von der Beobachtung eines psychischen Systems auf die Beobachtung eines neurophysiologischen Systems bewußt wird. In nuce könnte man sagen: Wer Psychologie betreiben will, muß beim Erleben bleiben. Diese Einstellung fand sich lange Zeit nur bei einigen Phänomenologen und in der Hermeneutik. Inzwischen wird diese Ansicht jedoch auch von Neokybernetikern geteilt, welche den mittlerweile angelaufenen Wandel des konstruktivistischen Standpunktes dahingehend beschreiben, daß

***unsere Wahrnehmung der Welt aus Bildern besteht und nicht aus elektrischen Impulsen - daß heißt, unsere Erfahrung ist eine aktive Interaktion mit der (unterstellten) Wirklichkeit 'dort draußen'. Das Argument ist in der Psychologie überzeugend belegt [...].

Wie man an all dem sehen kann, hat die Revision des Begriffs der Autopoiesis weitreichende Konsequenzen für die Gegenstandsbildung und die Methodologie der Einzelwissenschaften.

Der Begriff der 'Autopoiesis' wurde schon von Maturana zur Abgrenzung gegenüber früheren Konzepten der sogenannten 'Selbstorganisation' geprägt, denn

***Autopoiesis setzt nicht zwingend voraus, daß es diejenige Art der Operationen, mit denen das System sich selbstreproduziert, in der Umwelt des Systems überhaupt nicht gibt. In der Umwelt lebender Organismen gibt es andere lebende Organismen, in der Umwelt von Bewußtsein anderes Bewußtsein. In beiden Fällen ist der systemeigene Reproduktionsprozeß jedoch nur intern verwendbar. Man kann ihn nicht zur Verknüpfung von System und Umwelt benutzen, also nicht anderes Leben, anderes Bewußtsein gleichsam anzapfen und ins eigene System überführen.

Zu beachten ist also vor allem, daß dieser Idee nach ein System des Typs X zwar in der Umwelt eines anderen Systems des Typs X existieren kann - nicht aber kann ein neues System des Typs X von (einem anderen System des Typs X in) seiner Umwelt erzeugt werden. Gleiche Systeme bleiben füreinander Umwelt. Das Konzept der Autopoiesis meint gegenüber dem der Selbstorganisation mithin in etwa, daß ein System sich selbst erzeugen muß und sich nicht nur selbst organisiert, nachdem es zunächst einmal von und durch seine Umwelt (oder durch ein anderes System) erzeugt wurde. Die dann fortlaufende Erhaltung des Systems muß das System durch selbsterzeugte Anschlußoperationen gewährleisten. Autopoiesis will im strengen Sinn als Selbsterzeugung verstanden sein, und die Erhaltung des Systems läuft dann selbst wieder autopoietisch: Das System erhält sich durch ständige Selbsterzeugung. Selbsterhaltung und Selbsterzeugung sind dieser Idee nach eins, und Selbsterhaltung ist nicht auf die Selbstorganisation eines ursprünglich von außen erzeugten Systems reduzierbar.

 

Da bei Luhmann der Begriff des Systems immer für einen realen Sachverhalt steht, zielt er also nie auf

***ein nur analytisches System, eine bloße gedankliche Konstruktion, ein bloßes Modell. Der Bedarf für eine solche Ausdrucksweise wird mit dem Begriff der Systemreferenz befriedigt. Wir ersetzen, mit anderen Worten, die verbreitete, im Systembegriff aber unklare Unterscheidung von konkreten und analytischen Systemen durch die Unterscheidung von System und Systemreferenz.

Verbindet man den so präzisierten Systembegriff mit dem der Autopoiesis, so spricht man

***von einer Art von Phänomenen, bei der die Möglichkeit, ein Etwas von dem Ganzen zu unterscheiden (etwas, das ich zum Beispiel unter dem Mikroskop sehen kann), von der Ganzheitlichkeit der Prozesse abhängt, die dieses Etwas möglich machen. Unterbrechen wir [...] das zelluläre metabolische Netz, und wir werden nach einiger Zeit keine Einheit mehr haben, die wir als solche bezeichnen könnten!

Autopoietische Systeme können ihre Elemente folglich nicht aus der Umwelt "absorbieren": "***Die eigentümliche Charakteristik eines autopoietischen Systems ist, daß es sich sozusagen an seinen eigenen Schnürsenkeln emporzieht und sich mittels seiner eigenen Dynamik als unterschiedlich vom umliegenden Milieu konstituiert." Autopoiesis besagt also, daß ein System die Elemente, aus denen es besteht, selbst herstellen muß und nicht aus der Umwelt beziehen kann. Oder präziser: Wir können autopoietische Systeme

***definieren als Systeme, die alles, was sie als Einheit verwenden, durch das, was sie als Einheit verwenden, selbst produzieren; und genau darin, daß dies geschieht, besteht ihre Einheit. [...] Sie beziehen sich in allen ihren Operationen immer auch auf sich selbst, und sie konstituieren sogar die Elemente, aus denen sie bestehen, durch die Elemente, aus denen sie bestehen. Sie produzieren und reproduzieren sich selbst. Ihr Operations- und Reproduktionsmodus (Leben bzw. Bewußtsein bzw. Kommunikation) ist aus seiner Natur heraus autonom.

 

Hier zeigt sich die Kohärenz der begrifflichen Reihe von System - Geschlossenheit - Selbstreferentialität - Autopoiesis. Auf Grund der Geschlossenheit kann ein System die Elemente, aus denen es besteht, nicht aus der Umwelt beziehen. Eine Möglichkeit zu operieren findet das System daher im rekursiv-selbstreferentiellen Selbstkontakt, über den allein es auch seine "Umweltkontakte" herstellt. Die Elemente oder Ereignisse des Systems können nur über den Operationsmodus des Systems erzeugt werden. Nur Elemente, die selbst Elemente derjenigen Operation sind, über die das System sich erzeugt und erhält, sind Elemente des Systems. Andere Elemente gehören nicht zum System, sondern zu dessen Umwelt. Deshalb können sie nicht weiter dekomponiert werden. Leben bringt nur immer neues Leben hervor, Kommunikationen erzeugen nur neue Kommunikationen, und Erleben kann nur neues Erleben produzieren - oder die Systeme lösen sich auf. Mit einem Wort: Systeme operieren autopoietisch. Ein Beispiel mag dies veranschaulichen:

Wenn Alter und Ego zugleich erleben, so ist das Erleben von Alter nicht das Erleben von Ego, vice versa. Möchte Alter wissen, was Ego erlebt, so muß Alter selbst etwas erleben und dieses Erlebnis, von dem er annimmt, daß es auch Ego erlebt, Ego zurechnen. Erlebt also Alter etwas, von dem er glaubt, daß es auch von Ego erlebt wird, so erlebt Alter nicht das Erlebnis von Ego, sondern er erlebt ein eigenes Erlebnis, das er Ego zuschreibt. Aber dieses Erlebnis bleibt dabei unaufhebbar sein eigenes Erlebnis. Anders gesagt: Alter kann nicht Egos Bewußtsein "anzapfen", um dann Egos Erlebnis zu erleben. Alter und Ego müssen ihre Erlebnisse immer selbst erzeugen - und können dann riskieren, dem jeweils anderen ein bestimmtes Erlebnis zuzurechnen: Verliebte Paare - so sagt man - erleben auf diese Weise gemeinsam einen Sonnenuntergang am Meer.

 

Eine Anekdote aus dem Leben Edmund Husserls kann diesen Vorgang, jetzt mit Bezug auf die Differenz von 'wahr' und 'falsch', verdeutlichen:

***Bei einem Besuch im Berliner Panoptikum bemerkte der Philosoph Edmund Husserl neben sich ein Mädchen, das mit dem Katalog in der Hand die Exponate betrachtete wie er selbst: 'Nach einer Weile kam mir das Mädchen verdächtig vor. Ich erkannte, daß es eine bloße Figur war, eine auf Täuschung berechnete mechanische Puppe'. Hans Blumenberg, der in seinem Buch Höhlenausgänge von dieser Episode einen Bericht gibt, kommentiert: 'Die possierliche Erinnerung ist erfüllt von dem Verdacht der Täuschbarkeit des Bewußtseins, aber auch von seiner Fähigkeit, sich der Täuschung zu entziehen.'

Hier soll diese Episode eine andere Deutung erhalten als die von Blumenberg vorgetragene. Man spricht von 'Täuschung' und der 'Erkenntnis der Wahrheit' - aber in beiden Fällen handelt es sich um Beobachtungen (erste Beobachtung: Mädchen; Beobachtung der Beobachtung des Mädchens unter der Differenz von 'wahr' und 'falsch': Puppe). Husserl nahm lediglich im ersten Fall seiner Beobachtung unreflektiert eine Besucherin wahr; im zweiten Fall reflektierte er auf seine Wahrnehmung (das heißt: er beobachtete seine erste Beobachtung unter der Differenz von 'wahr' und 'falsch') und rechnete ihr nun als Gegenstand eine Puppe zu. Von einer Täuschung kann also erst gesprochen werden, nachdem Beobachtungen unter der Differenz von 'wahr' und 'falsch' beobachtet und daraufhin mit dem Prädikat 'falsch' belegt wurden. Daß man sich der Täuschung aber auf diese Weise nicht entziehen kann, sondern letztlich immer wieder eine Täuschung "ent-täuschen" kann, macht folgende Erwägung deutlich: Die zweite Zurechnung Husserls negierte die erste, und diese erschien nun selbstverständlich als Täuschung und objektivierte damit die zweite Beobachtung. Was aber, wenn eine weitere Beobachtung (der Beobachtung der Beobachtung) Husserl zu der Ansicht geführt hätte, daß seine vorgebliche Täuschung keine Täuschung war, weil es sich in der Tat um eine Besucherin handelte, und zwar eine Besucherin, die vortäuschte, eine Puppe zu sein?

***Diese Einsicht, daß es im Vollzug des Unterscheidens und Bezeichnens, das wir Beobachten nennen, unmöglich ist, dieses Beobachten selbst als wahr bzw. unwahr zu bezeichnen, trifft sich mit der wahrnehmungsphysiologischen bzw. wahrnehmungspsychologischen Einsicht, daß es im Vollzug des Wahrnehmens nicht möglich ist, zwischen Realitätsbezug und Illusion zu unterscheiden. Man kann (als Folge früherer Erkenntniserwerbe) wissen, daß man sich täuscht, aber man täuscht sich trotzdem, wenn man überhaupt in einer illusionsträchtigen Weise wahrnimmt.

 

Autopoietische Systeme müssen sich ständig neu aktualisieren - oder sie hören auf zu existieren. Somit bestehen sie aus selbstproduzierten Ereignissen (je nach System: Erlebnissen, Kommunikationen etc.). Der dauernde Wegfall ihrer "Substanz", das dauernde Aufhören ist dann aber eine Mitursache der Entstehung neuer Ereignisse. Paradox formuliert: Verfall ist Bedingung von Fortsetzung. Würde sich alles, was ein Redner sagt, ansammeln, dann würde ein schreckliches Geräusch die Folge sein.

Der bereits angesprochene Vorschlag Luhmanns (gegenüber Maturana), sich nicht auf den einen Fall der Autopoiesis des Lebens zu beschränken, sondern für verschiedene Systemtypen verschiedene Formen von Autopoiesis anzunehmen, hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für andere Wissenschaften: Schließlich müßte man sonst die Emergenz anderer Systeme bestreiten und die Theorie von Systemen wäre auf den einen Fall lebender Systeme beschränkt, während alle anderen als aus lebenden Systemen zusammengesetzt betrachtet werden müßten. Die Konsequenzen dieser Revision wurden bereits erläutert und sollen in dem Kapitel über Psychoanalyse weitergehend erörtert werden. Auf jeden Fall folgt aus dieser Konzeption, daß zu einer Systemanalyse unbedingt die präzise Angabe einer Systemreferenz notwendig ist - und diese Systemreferenz darf während dieser Analyse nicht verlassen werden. Mit großer Sorgfalt muß angegeben werden: Wer (respektive: welches System) beobachtet was (respektive: welches System oder die Umwelt welchen Systems)? Beobachtet ein System sich selbst (= Selbstreferenz) oder seine Umwelt (= Fremdreferenz)? Beobachtet ein System ein anderes System oder dessen Umwelt? Jeder Wechsel der Perspektive muß unbedingt explizit gemacht werden, denn auf Grund der Systemrelativität ergeben sich auf diese Weise eventuell gänzlich verschiedene Aussagen. Was für den Beobachter einer Zelle ein Mineral in der Umwelt des Systems ist, kann für die Zelle unter Umständen überhaupt nicht vorhanden sein. Das System, auf das die Referenz gesetzt wird, wird als das fokale System bezeichnet. Beobachtung ist dabei ein den Begriff der Analyse übergreifender Begriff: Nicht jede Beobachtung ist schon eine wissenschaftliche Analyse.

In einer vorläufigen Zusammenfassung kann folgendes festgehalten werden:

Nicht nur die über den Begriff der Beobachtung gebildete Vermittlung des Sinnbegriffs mit dem Begriff der Erfahrung, sondern auch die daran angeschlossenen Vermittlungen des Begriffs der Geschlossenheit mit dem der Selbstreferentialität und dem der Autopoiesis erzeugen eine begriffliche Reihe: Die Bestimmung eines Begriffs konditioniert die Bestimmungsmöglichkeiten anderer Begriffe und schließt so Beliebigkeiten aus.

Dabei werden freilich nicht alle anderen Möglichkeiten einer begrifflichen Fassung des Zusammenhangs zwischen Sinn und Erfahrung auf der einen und Geschlossenheit und Selbstreferentialität auf der anderen Seite ausgeschlossen. Aber der Horizont anderer Möglichkeiten wird in jedem Falle stark eingegrenzt, soll die Theorie in sich kohärent bleiben. Auf diese Weise verliert die Systemtheorie mit zunehmender Komplexität an Beliebigkeiten und fängt dann in nicht unerheblichem Umfang an, sich selbst zu prüfen.

 

Durch die Unmöglichkeit eines Repräsentationsverhältnisses zur Umwelt stehen Systeme zunächst und immer vor dem Problem, wie sie in einer (selbst hergestellten und dabei weitgehend unbestimmt gelassenen und daher) unbekannten, komplexen Umwelt ihre Grenzen und damit ihren eigenen Bestand absichern können. Die Systemtheorie setzt ihre Analyse also immer bei Unwahrscheinlichkeit und nicht bei Wahrscheinlichkeit an. Eine solche Ansicht steht konträr zur hermeneutischen Position, in welcher Fragen nach dem grundsätzlichen Status des (Er)Lebens vom Konzept einer Lebenswelt betreut werden. Luhmann legt den Begriff der Lebenswelt so aus, daß die Fragen der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit des Lebens durch den Gedanken der Selbstverständlichkeit eines immer schon abgesicherten Lebenszusammenhangs unterlaufen werden. Im Gegensatz zu lebensweltlichen Konzepten beginnt die Systemtheorie ihre Analyse mit der Differenz von System und Umwelt, nimmt dabei zwar auch eine immer schon konstituierte Einheit (nämlich die des Systems) an, läßt aber durch die Entgegensetzung von System und Umwelt diese Einheit des Systems durch ihre Konfrontation mit einer überkomplexen Umwelt stets als in (notwendigen) Auflösungsprozessen (Fortsetzung braucht Verfall) begriffen erscheinen. Stabilität wird so nicht zur Selbstverständlichkeit, welche über die Lebenswelt als abgesichert erscheint, so daß Störungen die Ausnahme bilden. Im Gegenteil, Stabilität wird zu einem fortdauernd gefährdeten Prozeß. En passant wird hier sichtbar, daß im systemtheoretischen Konzept der Stabilitätsbegriff nicht konträr zum Prozeßbegriff steht. In der Systemtheorie werden alle Begriffe förmlich "verflüssigt": Es geht um Entwicklungen, Bewegungen, Veränderungen, Modifikationen. Stillstand bedeutet "Tod", und Stabilität bedeutet insofern nicht Stillstand oder Unveränderlichkeit, sondern die Anschlußfähigkeit und Aufrechterhaltung von Prozessen durch Prozesse. Stabilität muß durch rekursives Operieren immer wieder neu erzeugt werden, und die dazu erforderlichen Operationen erscheinen daher derartig unwahrscheinlich, daß es erst einmal die Frage zu beantworten gilt, wieso sie doch bis zu einem gewissen Grade zu gelingen scheinen. Auflösungserscheinungen, wie starke psychische Störungen, treten infolgedessen als erwartbar und verständlich auf; demgegenüber bedarf dann vor allem das reibungslose Funktionieren der Erklärung. Nicht zuletzt deshalb sieht die Systemtheorie, wie Freud es vorgemacht hat, in der Beobachtung von Störungen einen unschätzbaren Zugang zum Verständnis des "Normalen".

Will man nun aber zum Beispiel das Theorieprogramm der Soziologie

***diesen Bedingungen anpassen, muß sie Gelingen von Sozialität, also Gelingen von Kommunikation, für unwahrscheinlich halten, was es zum Problem macht, wieso es trotzdem einigermaßen funktioniert. Unwahrscheinlichkeit wird im Gegenzug zur an sich unproblematischen Welt (zur Lebenswelt, wie man heute gern sagt) gewonnen. Das ist mit einer quasi 'sophistischen' Umkehrung der normalen Denkgewohnheiten nicht zu erreichen, sondern erfordert sehr strenge begriffliche Kontrollen, gleichsam als Kompensation für die verschwindende Selbstverständlichkeit. Vor allem Husserl war sich im Kontext seiner transzendentalen Phänomenologie mehr als alle Nachfolger dieses Problems bewußt gewesen.

Die Problemorientierung der Systemtheorie, das Ansetzen bei Differenz, bei Unwahrscheinlichkeit statt Wahrscheinlichkeit, die Annahme geschlossener, selbstreferentiell-autopoietischer Systeme und die damit gewonnene Distanz zur Alltagserfahrung - all dies sollte deutlich gemacht haben, daß es mehr als schwierig ist, theorieimmanenten Unstimmigkeiten auf Anhieb zu entgehen, denn ein solches Modell droht den damit befaßten Theoretiker nahezu ständig in seinem Bemühen zu überfordern, sich dieses Modell permanent und in allen seinen Konsequenzen vor Augen zu halten. Ein solches Theorieprogramm erfordert daher sowohl auf seiten der Theorieproduktion als auch auf seiten des Rezipienten viel Zeit: Auf der einen Seite für die ständigen Korrekturen und "Nachbesserungen"; auf der anderen Seite für den geduldigen Umgang mit den Befremdlichkeiten der Systemtheorie sowie ihrem Umgang mit Widersprüchen und Paradoxien.

Willke weist auf das daraus hervorgehende Problem hin, welches den systemtheoretischen Ansatz so unverständlich, ja, teilweise zunächst "naiv" oder "widersinnig" erscheinen läßt:

***Die Sprache der Systemtheorie ist noch ungewohnt und erscheint daher sehr esoterisch und gekünstelt [...]. Auch diese Schwierigkeit ist zunächst unvermeidbar, weil die Entwicklung einer neuen Konzeption oder gar einer neuen Wissenschaft voraussetzt, daß man sich von den herkömmlichen Vorstellungen - und mithin auch von den herkömmlichen Begriffen! - trennt. Für alle genannten Schwierigkeiten gibt es ein probates Mittel: Geduld.

Um sich diese besondere Problemlage, die hier von Willke und Luhmann angedeutet wird, vor Augen zu führen, denke man vor allem oder zunächst einmal lediglich an das Problem, das sich daraus ergibt, daß Luhmann eine nicht-ontologische und zugleich "subjektlose" Theorie aufzubauen und zu erläutern versucht und dabei doch zur Zeit immer noch gezwungen ist, sich weitestgehend einer Sprache bedienen zu müssen, die durch eine jahrhundertelange ontologische respektive subjektphilosophische Tradition bis in das Alltagsdenken und die Alltagssprache hinein geprägt wurde.

1.3 Autopoiesis des Bewußtseins und Subjektivität

1.3.1 Vorbemerkung

Wie im folgenden zu zeigen sein wird, schließt die Systemtheorie nach Luhmann bezüglich einer Theorie des Bewußtseins das Phänomen des Selbstbewußtseins keineswegs aus. Im Gegenteil: Sie läßt Bewußtsein und Selbstbewußtsein als gleichursprünglich erscheinen, sofern man unter Selbstbewußtsein zunächst die selbstbezügliche Einheit eines Bewußtseins versteht. Systemtheoretisch muß das Bewußtsein als ein selbstreferentielles System aufgefaßt werden, und so gilt die Annahme von vornherein als unproblematisch, daß das Bewußtsein prinzipiell schon auf Grund seiner Selbstreferentialität die für ein Selbstbewußtsein notwendigen Selbstbezugnahmen leisten und sich darüber hinaus entsprechend seiner Selbstbeobachtungen auch selbst beschreiben kann. Eine solche Selbstbeschreibung ermöglicht dann auch - neben der aus systemtheoretischer Sicht immer schon gegebenen Einheit des Bewußtseins - die Ausbildung eines expliziten Selbstbewußtseins. Die Einheit des Bewußtseins aber muß systemtheoretisch als immer schon gegeben angesehen werden, weil Luhmann das Bewußtsein als ein System und das heißt eben als Einheit auffaßt; eine Einheit, die durch die Selbstbezüglichkeit derjenigen Prozesse, aus denen das System besteht, zustande kommt. Zwei wohl wesentliche Merkmale des Selbstbewußtseins, das der Einheitlichkeit und das der Selbstbezüglichkeit (von denen vor allem das letztere traditionell beinahe ausschließlich mit dem Selbstbewußtsein verbunden wurde), bilden also aus der Perspektive des Systemtheoretikers etwas beinahe schon Triviales, da sie für jedes autopoietische System gelten und damit zweifellos auch für das Bewußtsein. Dadurch wird die Möglichkeit von Selbstbewußtsein sozusagen "mit-trivialisiert", und eben diese theorieimmanenten Gründe dürften die Erklärung dafür bieten, warum sich nur relativ wenige Textstellen finden lassen, an denen Luhmann explizit und aus systemtheoretischer Sicht von 'Selbstbewußtsein' oder einem 'Ich' spricht. Wie eine Kritik der Subjektivität aber dann noch aussehen kann, soll im folgenden erläutert werden.

1.3.2 Kann die Systemtheorie Selbstbewußtsein als Subjektivität beschreiben?

Die Systemtheorie vertritt nicht den Standpunkt, daß autonome Systeme gewissermaßen "ontologisch" autonom sind. Geschlossene, autopoietische Systeme sind also nicht als eine Spielart des Substanzbegriffs aufzufassen. So können sie beispielsweise nicht unabhängig und abgekoppelt von Bedingungen der Beobachtung existieren. Die Emergenz autopoietischer Systeme ist nicht dadurch gekennzeichnet, daß sie wie Substanzen unabhängig von allem anderen und schon gar nicht: unabhängig von einem Beobachter existieren. Die Theorie autopoietischer Systeme basiert demgegenüber gerade auf dem Gedanken, daß autonome Systeme durchaus auf andere Systeme und Bedingungen in ihrer Umwelt angewiesen sind und diese Abhängigkeiten selbst konditionieren müssen. So wurde etwa die Abhängigkeit des Wissenschaftssystems von der Wirtschaft und dem Recht bereits erörtert. Autopoietische Systeme, aber auch deren Umwelt und infolgedessen die gesamte Realität sind demgegenüber nach Luhmann ein "***Konstrukt des Beobachtens." Die traditionellen Basisdifferenzen von Substanz/Erscheinung, transzendental/empirisch oder objektiv/subjektiv sind infolgedessen in systemtheoretischen Konzeptionen nicht mehr verwendungsfähig. Die genannten traditionellen Basisdifferenzen müssen durch die Unterscheidung zweier Referenzen der Beobachtung und zwar durch Fremdreferenz (d.h. Referenzen auf die Umwelt oder ein System in der Umwelt) und Selbstreferenz (d.h. der Referenz des Systems auf sich selbst) ersetzt werden, denn

***aus der Realität des operativen Vollzugs von Beobachtungen kann man [...] nicht auf deren Objektivität schließen. Die Realität des Beobachtens ergibt sich, mit anderen Worten, nicht aus dem Ausgriff in eine Welt, die unabhängig von dem Beobachter existiert und von allen Beobachtern, wenn sie sich nicht irren, gleichsinnig erfaßt wird, weil sie unabhängig von ihnen existiert. Deshalb erlaubt auch die Konvergenz von Beobachtungen keinen Rückschluß auf die Realität ihres Gegenstandes [...]. Jede Referenz, sei es auf das System selbst, sei es auf dessen Umwelt, ist ein Konstrukt des Beobachtens. Die Unterscheidung objektiv/subjektiv (im Sinne des neuzeitlichen Sprachgebrauchs) kollabiert also und wird durch die Unterscheidung Selbstreferenz/Fremdreferenz ersetzt, die in jedem Falle und in beiden Richtungen ein Strukturmoment des Beobachtens selber ist.

Das (traditionell) sogenannte 'Subjektive' wird nach Luhmann vom System nicht anders erzeugt als das (traditionell) sogenannte 'Objektive'. Auftrennungen wie die von innen/außen oder subjektiv/objektiv entstehen als Folge einer Durchgliederung der selbstreferentiellen Einheit des Systems mittels der Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Das gilt nicht nur, aber auch für psychische Systeme: "***Der Hauptgrund ist darin zu sehen, daß im Seelischen als Untersuchungsgegenstand ein 'Objekt wie Subjekt umgreifendes Geschehensfeld' vorliegt, so daß es im traditionellen Sinne gar kein 'Draußen' gibt." Beides - das Subjektive wie das Objektive - sind also Zurechnungsprodukte der in jeder Autopoiesis des psychischen Systems fortgeführten Selbstbeobachtung, ohne Bezug etwa zu einer gegebenen Mannigfaltigkeit: "***Es gibt also durchaus etwas außerhalb des Bewußtseins, aber nicht: Körper, Dinge, auch nicht Dinge 'an sich'."

Einmal, im Falle des 'Subjektiven', legt das beobachtende System die Referenz auf sich selbst (Selbstreferenz); im anderen Falle, das heißt im Falle der sogenannten 'Objektivität', legt das beobachtende System die Referenz auf die Umwelt oder ein anderes System in der Umwelt des beobachtenden Systems (Fremdreferenz) - das System muß beides aus sich selbst heraus erzeugen und lediglich die Referenz wird dabei unterschiedlich gehandhabt. So "***entsteht das, was wir im Endprodukt als Bewußtsein kennen, nur dadurch, daß die Gedanken für die Beobachtung anderer Gedanken eine bestimmte Unterscheidung verwenden, und zwar [...] die von Selbstreferenz und Fremdreferenz."

Fremdreferenz ist somit immer ein Produkt des selbstreferentiellen Operierens unter Anwendung der Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz auf die selbstreferentielle Beobachtung. Paradox gesagt: Fremdreferenz ist Selbstreferenz - jedoch unter Verwendung der Differenz von Fremdreferenz und Selbstreferenz innerhalb der Selbstreferenz (durch re-entry). Eben weil autopoietische Systeme immer selbstreferentiell operieren, müssen sie, um eine Fremdbeobachtung (das heißt: die Beobachtung der Einheit eines anderen Systems) leisten zu können, innerhalb ihrer Selbstreferenz die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz wieder einführen und jeweils eine der beiden Referenzen ihrer Beobachtung zurechnen. Und eben dies gilt dann zwangsläufig auch, wenn sich ein psychisches System als die Einheit, die es ist (das heißt: als Selbstbewußtsein), selbst beobachten möchte, denn eine solche und nur eine solche "***Orientierung an der Identität des Systems im Unterschied zu anderem wollen wir Reflexion nennen.": Fremdbeobachtung und Selbstbeobachtung - sofern es um die Beobachtung eines Systems als einer Einheit geht - setzt die Wiedereinführung der Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz in die Selbstreferenz des Systems voraus. Folglich besteht die Selbstreferenz der Beobachtung des Bewußtseins als einer Einheit (= explizites Selbstbewußtsein) darin, "***daß die Beobachtung die Einheit des Bewußtseins anhand anderer Gedanken als Einheit der Differenz von Fremdreferenz und Selbstreferenz rekonstruiert [...]", und mit Hilfe der in "***dieser Differenz zur Bezeichnung freigegebene[n] Selbstreferenz im Unterschied zur Fremdreferenz", so Luhmann, kann das "***Bewußtsein sich selbst zur Reflexion seiner Identität bringen [...]."

Speziell die Selbstbezüglichkeit des Bewußtseins kann dann aber aus systemtheoretischer Sicht nicht mehr als der beobachtbaren Erfahrungswelt vorgeordnet betrachtet werden, da autopoietische Systeme per definitionem alles, was sie beobachten, selbst erzeugen müssen, so daß Selbstbeobachtung (und im Falle psychischer Systeme damit auch: Selbstbewußtsein) nicht anders vom System erzeugt wird als die Beobachtung der Umwelt oder der Systeme in der Umwelt des beobachtenden Systems. Selbstbewußtsein wird somit von Luhmann in keiner Weise für unmöglich erklärt; im Gegenteil: Luhmanns Theorie autopoietischer Systeme ist von vornherein und radikal auf Selbstbezüglichkeit hin angelegt und läßt daher den Bezug eines Bewußtseins (besser: eines psychischen Systems) auf sich selbst als prinzipiell unproblematisch erscheinen. Bezüge auf das System selbst (wie im Falle des Selbstbewußtseins) gehen aus dieser Sicht auf exakt die gleichen Konstruktions- oder Beobachtungsprozesse des Systems zurück wie alle anderen Formen von Beobachtung, und damit gehören sie immer schon auf gleiche Weise zur Erfahrung(swelt) des Systems. Erfahrungen über die Umwelt oder ein System in der Umwelt entstehen folglich nicht anders als Erfahrungen mit sich selbst - lediglich die Referenz, die die Beobachtung bestimmt, wird verschoben. Damit fällt Selbstbewußtsein, weil es ein Produkt der Beobachtung mit Referenz auf das beobachtende System selbst darstellt, nicht aus der Erfahrung heraus und kann damit systemtheoretisch nicht mehr als der Erfahrung vorgeordnet oder als transzendental betrachtet werden: Wenn aber aus Luhmanns systemtheoretischer Sicht alles im Bereich des selbstreferentiell Hergestellten und zugleich mit unterschiedlichen Referenzen (Selbstreferenz/Fremdreferenz) versehenen Beobachtbaren verbleibt, so ist die Realität (nicht: die 'Objektivität') umfangsgleich mit dem Beobachtbaren, und mit der Differenz von subjektiv/objektiv muß auch die von empirisch/transzendental fallen. Quintessenz: Die Theorie autopoietischer Systeme muß die Möglichkeit der Transzendentalität des Selbstbewußtseins leugnen - nicht aber die Faktizität und schon gar nicht die Möglichkeit von Selbstbewußtsein. Sie muß weiterhin aus Gründen der inneren Kohärenz die ontologischen Prämissen der philosophischen Tradition und die Unterscheidung von objektiv/subjektiv sowie die von empirisch/transzendental verabschieden. Streng genommen kann man dann nicht einmal davon sprechen, daß die Systemtheorie alles und jedes in die Welt der Erfahrung verlegt, denn mit der von Luhmann durchgeführten Verabschiedung der Differenz von empirisch und transzendental muß eine solche Unterscheidung sinnlos erscheinen und kann nur noch dem einen Zweck dienen: die Systemtheorie gegenüber einer jahrhundertelang erfolgreichen philosophischen Tradition zu kennzeichnen und von ihr zu unterscheiden.

In der Konsequenz heißt das dann: Selbstbewußtsein ist systemtheoretisch möglich und faktisch gegeben - aber Selbstbewußtsein darf dann nicht mehr als Subjektivität verstanden oder bezeichnet werden, da dies terminologisch-konnotativ die Anerkennung der Differenz von objektiv/subjektiv implizieren würde. Diese Differenz wurde aber aus den genannten Gründen verabschiedet und durch die Differenz von Fremdreferenz/Selbstreferenz ersetzt. Somit muß sich nach Luhmann die Systemtheorie vom Begriff der Subjektivität trennen - nicht aber vom Begriff des Selbstbewußtseins, sofern darunter die selbstreferentielle Einheit eines Bewußtseins verstanden wird. Man könnte auch sagen: Die Systemtheorie leugnet nicht das Phänomen 'Selbstbewußtsein', aber sie leugnet (bedingt durch die Kritik des Subjektbegriffs zwangsläufig) die Angemessenheit des Begriffes der Subjektivität:

***Die Problematik einer unüberbrückbaren Differenz von Ding an sich und transzendentalem Bewußtsein wird damit aufgelöst. Weder erhält das Bewußtsein aus seiner Umwelt eine Zufuhr von Bewußtsein, noch gibt es Bewußtsein an seine Umwelt ab. Es ist auf der Ebene seiner autopoietischen Operationen weder durch Input noch durch Output mit der Umwelt verknüpft, ganz zu schweigen von allen Theorien, die mit stimulus und response und mit internen Transformationsmechanismen (Generalisierungen) arbeiten. Damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß ein Beobachter mit derartigen Vorstellungen zurechtkommt und, für eigene Zwecke, das System so beschreiben kann. Auch im täglichen Leben behandeln Menschen einander in erheblichem Umfange als Trivialmaschinen, wenn und soweit die entsprechenden Vereinfachungen sich im sozialen Verkehr bewähren. Die Funktionsweise des Bewußtseins ist damit jedoch nicht zutreffend erfaßt.

Gleiches gilt dann auch für den Begriff des Subjekts: Luhmanns Theorie geht nicht mehr davon aus, daß dem Bewußtsein

Vielheit (in der Form von Sinnesdaten) gegeben und Einheit konstituiert (synthetisiert) werden müsse. Erst das Auseinanderziehen dieser Aspekte, also erst das Problematisieren von Komplexität, macht das Subjekt zum Subjekt - und zwar zum Subjekt des Zusammenhangs von Vielheit und Einheit, nicht nur zum Hersteller der Synthese. Die Systemtheorie bricht mit dem Ausgangspunkt [...],

denn sie betrachtet das Bewußtsein als ein autopoietisches System. Derartige Systeme gewinnen ihre Einheit nicht aus der Synthese einer gegebenen Vielheit; sie sind, wie bereits dargelegt, immer schon Einheit. Die Systemtheorie hat "***daher keine Verwendung für den Subjektbegriff."

1.3.3 Das Prozeßmodell des Selbstbewußtseins

Man muß unter einem Modell, das das Bewußtsein und das Selbstbewußtsein als selbstbezüglich beschreibt, nicht zwangsläufig ein solches verstehen, das wie das an anderer Stelle erörterte Reflexionsmodell der Subjektivität davon ausgeht, daß es ein Subjekt-Bewußtsein gibt, das sich auf ein Objekt-Bewußtsein bezieht und sich dabei als ein und dasselbe Bewußtsein erkennt. Das systemtheoretische Modell eines selbstreferentiellen Bewußtseins ist vielmehr so konstruiert, daß davon ausgegangen wird, daß durch die immer schon gegebene Selbstreferentialität des Bewußtseins ein 'Selbst' zugleich hergestellt und bewußt wird. Das Bewußtsein nähme so gesehen nicht als schon vorhandene Entität auf sich als Objekt Bezug; vielmehr ist das Bewußtsein der Prozeß des Sich-auf-sich-selbst-Beziehens, weshalb dieses Modell im folgenden als das Prozeßmodell des Selbstbewußtseins bezeichnet werden soll: Bewußtsein schließt so Selbstbewußtsein (nicht: Selbsterkenntnis) ein, denn wenn das Bewußtsein immer schon selbstreferentiell operiert und sich damit immer schon als Bewußtsein rückbezüglich auf die eigenen Operationen bezieht, so ist es immer schon über die bloße Autopoiesis des Bewußtseins mit sich selbst vertraut:

***Wäre das Bewußtsein nicht durch die Geschlossenheit seiner autopoietischen Reproduktion mit sich selbst identisch (aber wie kann es dies wissen?), würde es diese Identität unterstellen, weil die Logik seiner Reproduktion ständig auf Selbstreferenz rekurriert. Damit reproduziert sich immer auch ein Sehen des Nichtsehens, ein Wissen des Nichtwissens, eine horizonthafte Struktur von Aufmerksamkeit.

Bewußtsein und Selbstbewußtsein (nicht: ein explizites Sich-selbst-Wissen) sind danach ein und dasselbe - womit auch zugleich deutlich wird, daß dieses Modell jede Auftrennung in ein Subjekt-Ich und ein Objekt-Ich vermeidet (weshalb der Iterationseinwand nicht mehr greifen kann).

Dem Prozeßmodell zufolge ist das Bewußtsein keine Entität, die schon existiert und die Eigenschaft an sich trägt, auf sich selbst Bezug nehmen zu können (wie es das Reflexionsmodell der Subjektivität annimmt) oder ohne jeden Selbstbezug immer schon mit sich vertraut zu sein (wie Subjektivität im Spontaneitätsmodell der Subjektivität gedacht wird): Dem Prozeßmodell zufolge ist vielmehr das Selbstbewußtsein der Prozeß des Selbstbezugs und eben keine Entität, die schon vor ihrem selbstbezüglichen Operieren besteht. Und da bei Luhmann schon Bewußtsein als selbstbezüglicher Prozeß gedacht wird, bedarf es keines weiteren Selbstbezugs, um Selbstbewußtsein herzustellen: Wenn man Bewußtsein als einen selbstbezüglichen Prozeß denkt, der im Vollzug seines selbstreferentiellen Operierens immer auch schon seine Grenze zur Umwelt herstellt und also seine Einheitlichkeit und Identität gewinnt, indem er einfach die eigene Autopoiesis fortführt, dann ist Bewußtsein immer schon sich selbst zugänglich und mit sich als etwas von seiner Umwelt (in der es freilich anderes Bewußtsein gibt) Unterschiedenem "vertraut": "***Für sich selbst ist das System nie verwechselbar, also auch nicht unverwechselbar, sondern nur der schlichte Vollzug der Autopoiesis selbst." Kein 'Ich', keine Substanz, keine Entität geht diesem Selbstbezug voraus. Wenn man dagegen mit Luhmann denken möchte, so ließe sich formulieren: Selbstbewußtsein ist der Prozeß, der Selbstbewußtsein verwirklicht, und nicht eine an sich oder für sich schon bestehende Entität. Oder: Bewußtsein ist dieser Prozeß-des-auf-sich-selbst-Bezugnehmens und nicht eine Entität, aus der die Selbstbezugnahme erst noch entspringen muß.

Wenn innerhalb des Prozeßmodells des Selbstbewußtseins Selbstbezugnahme, Bewußtsein und Selbstbewußtsein gleichursprünglich sind, dann stellt sich die Frage, ob ein Gleichursprünglichkeit in Anspruch nehmender Gegenstand überhaupt durch den Vorwurf eines Zirkels oder einen Iterationseinwand berührt werden kann. Anders gesagt: Wenn ein Gegenstand als durch (zirkelhafte) Selbstreferenz konstituiert gedacht wird, dann läßt sich natürlich immer noch daran zweifeln, ob es ihn überhaupt gibt; da er aber als notwendigerweise durch einen Zirkel konstituiert gedacht wird, kann man den Nachweis einer zirkelhaften Definition nicht zugleich gegen ihn verwenden:

***Operativ geschlossene autopoietische Systeme haben zwei auffällige Eigenarten, die für jeden Beobachter und Beschreiber und insofern auch für sie selbst zum Problem werden können. Sie gründen sich auf eine fundamentale Zirkularität, und sie können die Einheit des Systems nur erzeugen, aber nicht im System noch einmal vorsehen. Aus dem erstgenannten Grund führt jeder Versuch der Beobachtung und Beschreibung letztlich auf eine Tautologie oder, wenn Negationen zugelassen sind, auf eine Paradoxie. Aus dem zweiten Grund gibt es keine vollständige Selbstbeschreibung des Systems.

Luhmann spricht bezüglich dieses Problems eine deutliche Sprache, wenn er kritisiert:

***Philosophen weisen penetrant darauf hin, daß eine solche Theorie sich zirkulär begründe. Biologen ziehen sich daraufhin in die Fachgrenzen der Biologie zurück. In dieser Weise wird jedoch das Problem nicht wirklich ausgenutzt. Die Frage ist, um dies zu wiederholen, ob eine Reflexionstheorie des Wissenschaftssystems sich darauf versteifen muß, der Methodologie des Systems bindende Anweisungen oder doch Rationalitätsgarantien zu geben oder ob sie es sich leisten kann, den Begründungszirkel anzuerkennen und ihn selbst mit darauf abzielenden Unterscheidungen zu brechen.

Der Iterationseinwand kann dann nicht mehr greifen, denn er setzt ein Denken voraus, wonach Selbstbewußtsein letztlich immer als eine Entität gedacht werden muß, die schon vor aller Selbstbezugnahme existieren muß und mit Hilfe einer Selbstverdopplung (thematisches Bewußtsein/thematisiertes Bewußtsein) auf sich selbst identifizierend Bezug nimmt. Das Prozeßmodell des Selbstbewußtseins geht indes nicht mehr davon aus, daß es immer ein "Etwas" geben muß, ein "Etwas", das Träger bestimmter Prozesse, Zustände oder Fähigkeiten ist (und sei es der Fähigkeit des Selbstbezugs): Damit entgeht diese Theorie sowohl dem Zirkel- und Iterationseinwand als auch dem an anderer Stelle erörterten, mit dem Spontaneitätsmodell des Selbstbewußtseins verbundenen Problem, nicht so recht erklären zu können, wieso das Bewußtsein in der Lage ist, explizit auf sich oder einen Gegenstand als bewußt erfaßten reflektieren zu können. Von daher scheint es durchaus so zu sein, daß innerhalb einer prozessualen Selbstbewußtseinstheorie kein "Träger" angenommen werden muß; die Beobachtbarkeit selbstbezüglich-sinnhafter psychischer Prozesse reicht völlig aus, um den Systemgedanken anwenden zu können. Autopoietische Systeme unterliegen als sich selbst erzeugende Systeme zwar systemspezifischen Bedingungen, nicht aber bedürfen sie Substanzen oder Subjekten als "Trägern" derjenigen Operationen, aus denen das System besteht: Autopoietische Systeme "tragen" sich selbst - was sollte der Gedanke der Autopoiesis sonst sinnvoll bedeuten können?

Selbstbezüglichkeit erzeugt aus ihrer Zirkelhaftigkeit immer auch Paradoxien: "***Jede Beobachtung von Selbstreferenz führt auf Paradoxien [...]." Nun ist das "***Bewußtsein [...] ein sich selbst beobachtendes System. Es operiert daher, soweit es sich selbst beobachtet, mit einer eingebauten Paradoxie." Nur wenn die Beobachtung von Selbstreferenz ohne Negationen auskommt, also wenn beispielsweise auf die Beobachtung der Identität des Unterschiedenen verzichtet wird, dann wird eine paradoxiefreie Selbstreferenzbeobachtung möglich. Luhmann nennt solche (unterkomplexen) Beobachtungen "***harmlose Selbstreferenzen". Erinnert sei daran, daß selbstreferentielle Systeme auf Grund ihrer Geschlossenheit die Umwelt (das Nicht-System) nur durch Negation ihrer selbst (also des Systems) beobachten können; umgekehrt kann das System sich selbst nur über die Einführung einer Differenz zur Umwelt konstituieren, denn sonst bliebe es in einer grenzenlosen und daher bestimmungslosen Tautologie ("Das System ist das System ist das System ist das System..." oder auch: "Ich bin Ich bin Ich...") befangen:

***Als Vorstellung besagt die Paradoxie, daß Selbstreferenz nur in Differenz zu Fremdreferenz, also nur dank Fremdreferenz möglich ist und umgekehrt. [...] Eine weitere Art von Paradoxie geht darauf zurück, daß das System auf der operativen Ebene selbstreferentielle Geschlossenheit als Bedingung der Möglichkeit seiner Operationen voraussetzt und reproduziert, damit aber zugleich die Möglichkeit erzeugt, auch dies noch beobachten zu können. [...] Selbstbeobachtung ist dabei nicht eine Willkür, die man ebensogut lassen könnte. Die Einrichtung auf Selbstbeobachtung ist ein irreversibles Resultat von Evolution, man kann wohl sagen: von gesellschaftlicher Evolution. [...] Daher sind auch innere Paradoxien unvermeidbar, aber zugleich getragen durch jenen Gedankenprozeß, der verhindert, daß das System daran scheitert. Schließlich kann die Aufmerksamkeit sich auch auf solche Paradoxien richten, ohne dadurch als Gedanke unmöglich zu werden oder sich selbst auszulöschen. Die Paradoxie ist keine Existenzfrage für das System.

1.3.4 Sprache und Selbstbewußtsein

Maturana, der den Begriff der Autopoiesis eingeführt hat, verwendet ihn, wie bereits dargelegt wurde, nur mit Beschränkung auf lebende Systeme. Erst Luhmann hat die Möglichkeit gesehen, durch den Versuch einer differenzierenden Ausarbeitung der Theorie autopoietischer Systeme, weitere Abstraktionsgewinne zu erzielen:

***Es wird jedoch zweckmäßig sein, den Begriff [der Autopoiesis; H.W.] noch weiter zu abstrahieren. Man kann nicht einfach voraussetzen, daß Bewußtseinssysteme oder soziale Systeme 'lebende' Systeme sind. Zumindest folgt dies nicht aus der unbestreitbaren Tatsache, daß bewußte Systeme und soziale Systeme Leben (so wie vieles andere auch) voraussetzen. Gerade der Begriff der Autopoiesis regt dazu an, nach autonomen Formen der Produktion und Reproduktion der Einheit eines Systems zu suchen, also zumindest die Möglichkeit nicht außer acht zu lassen, daß lebende Systeme, bewußte Systeme und soziale Systeme ihre je eigene Weise der Autopoiesis auf verschiedene Weise zustande bringen.

Auch Maturana und Varela leugnen keineswegs das Phänomen des Selbstbewußtseins. Vielmehr sind sie versucht, dieses auf eine "***intensive sprachliche Koppelung" des sozialen Lebens zurückzuführen, womit sie sich in der Nähe des sprachphilosophischen Nominalismus befinden. Maturana und Varela exemplifizieren ihre Ansichten am Beispiel von Menschen, denen (etwa auf Grund einer Epilepsie) das Corpus callosum, das die linke mit der rechten Gehirnhälfte verbindet, durchtrennt wurde:

***Ihre Gehirnhälften funktionierten jedoch nicht mehr als eine Einheit. Weil der Balken durchtrennt war, bildete jede Gehirnhemisphäre mit dem Rest des Nervensystems eine operationale Einheit, die die andere Gehirnhälfte überging, so als würde sie gar nicht existieren. Es war, als sei der Patient nach der Operation zu drei verschiedenen Personen mit jeweils individuellen Charakteristika geworden: einer Linke-Hemisphäre-Person, einer Rechte-Hemisphäre-Person und der äußeren Kombination der beiden in ihrer Operation durch einen gemeinsamen Körper.

Bei den meisten Menschen mit durchtrennten Gehirnhälften spricht und versteht nur noch die Linke-Hemisphäre-Person Sprache. Legt man nun ein Experiment so an, daß der Experimentator weitestgehend jeweils nur mit einer Gehirnhälfte interagieren kann, so kann etwa folgendes geschehen: Wird mit der Linke-Hemisphäre-Person gesprochen, aber nur der Rechte-Hemisphäre-Person (die nicht sprechen kann)

***das Bild einer schönen nackten Frau vorgeführt, wird die Versuchsperson erröten oder Zeichen von Verlegenheit zeigen. Sie wird jedoch nicht erklären können, was geschehen ist. So sagt sie vielleicht nur (wie tatsächlich geschehen): 'He Doktor, da haben sie aber einen schlimmen Apparat!' Hier ist folgendes geschehen: Das erotische Bild wurde der rechten Hemisphäre präsentiert, der Patient antwortet auf unsere Fragen aber über die linke Hemisphäre, die als einzige Sprache erzeugen kann und die das Bild nicht 'gesehen' hat. Alles, was die linke Gehirnhälfte tun kann, ist auf eine Weise zu antworten, die sich aus ihrer Verbindung mit dem Rest des Nervensystems und des Körpers ergibt. Dort finden die Aktivitäten von Erröten und Verlegenheit statt, die durch die rechte Gehirnhälfte erzeugt wurden. 'Da haben sie aber einen schlimmen Apparat' ist die Weise, auf die der Patient über seine linke Hemisphäre die von der rechten Hemisphäre erzeugte emotionale Erregung verarbeitet.

Weitere Experimente mit jenem "***kleinen Prozentsatz von Menschen, die über beide Gehirnhälften Sprache erzeugen und verstehen können", bei denen also keine Lateralisierung der Sprache vorliegt, sollen nun weitere Aufschlüsse bringen. An die, wenn man so sagen darf, linke Gehirnhälfte eines fünfzehnjährigen Probanden (genannt: Paul), der über die entsprechende Fähigkeit verfügte, wurde die Frage gestellt: Was willst du werden, wenn du groß bist? Er antwortete: Rennfahrer. "***Und dies ist faszinierend, weil auf die gleiche Frage an die rechte Gehirnhälfte die Antwort kam: 'Designer.'" Aus all dem schließen Maturana und Varela:

***Das ist sehr bedeutsam, denn der Unterschied zwischen Paul und den anderen Patienten, die nicht über beide Gehirnhälften unabhängig sprachliche Reflexion erzeugen können, zeigt uns, daß es kein Selbstbewußtsein ohne die Sprache als ein Phänomen der sprachlichen Rekursion gibt. Selbstbewußtsein, Bewußtheit, Geist - das sind Phänomene, die in der Sprache stattfinden. Deshalb finden sie als solche nur im sozialen Bereich statt.

Und so schließen sie hinsichtlich einer Theorie des 'Ich':

***Daraus ersehen wir, daß wir in dem Netzwerk der sprachlichen Interaktionen, in dem wir uns bewegen, eine andauernde deskriptive Rekursion aufrechterhalten, die wir unser 'Ich' nennen. Sie erlaubt uns, unsere sprachliche operationale Kohärenz zu bewahren sowie unsere Anpassung im Reich der Sprache.

Die Auffassung, das (Selbst)Bewußtsein sei sprachlich-propositional strukturiert, geht aber nur dann zwingend aus dem Erörterten hervor, wenn man davon ausgeht, daß dem Bewußtsein und dem Sozialen nicht jeweils autonome autopoietische Systeme entsprechen und wenn man sie stattdessen als Produkte einer strukturellen Koppelung ansieht. Daher kommen Maturana und Varela zu dem Schluß, daß Bewußtsein und Geist dem Bereich sozialer Koppelung angehören:

***Gleichzeitig ist der Geist als Phänomen des In-der-Sprache-Seins im Netz sozialer und sprachlicher Koppelung nichts, das sich in meinem Gehirn befindet. Bewußtsein und Geist gehören dem Bereich sozialer Koppelung an, und dort kommt ihre Dynamik zum Tragen.

Wenn dem so ist, wenn also der "Geist" kein eigenständiges Phänomen ist, so bleibt kein Bereich einer vorsprachlichen und dennoch sinnhaft-erlebenden Autopoiesis mehr übrig, der vor, mit und ohne Sprache zu operieren in der Lage wäre. Geht man aber mit Luhmann von der Eigenständigkeit der Autopoiesis bewußter und sozialer Systeme aus, so ist diese Argumentation nicht mehr zwingend. Im Gegenteil: Dann muß sinnhaftes Operieren auch vorsprachlich möglich sein. Mußte nicht schon der im obigen Beispiel geschilderte Proband, dem ein erotisches Bild vorgeführt wurde, um erröten oder Zeichen von Verlegenheit zeigen zu können, das Bild der nackten Frau eben als 'Bild einer nackten Frau' sinnhaft erkennen können? Und wenn er dies konnte, obwohl die angesprochene Gehirnhälfte nicht über Sprachfähigkeit verfügte, mußte er dann dazu nicht eine vorsprachliche Sinnoperation durchführen, die ein Nervensystem wohl nicht zu leisten in der Lage sein dürfte? Ein Bild ist kein "Hormon" und schon gar kein von sich aus spezifizierter "erotischer Nervenimpuls". Ausgerechnet Maturanas und Varelas selbstgewähltes Beispiel scheint eher gegen ihre eigene Auffassung zu sprechen, denn diese Auffassung fügt sich schwerlich in die Theorie der beiden Biologen, wonach die "***populäre und heute vorherrschende Sicht des Nervensystems" falsch ist, denn sie

***betrachtet es als ein Instrument, vermittels dessen der Organismus Informationen aus der Umwelt aufnimmt, Informationen, die er benutzt, um eine Abbildung (Repräsentation) der Welt aufzubauen [...]. Wir wissen jedoch, daß das Nervensystem als Teil des Organismus strukturdeterminiert operiert. Die Struktur des Milieus kann seine Veränderungen also nur auslösen, aber nicht bestimmen. Wir als Beobachter haben Zugang sowohl zum Nervensystem als auch zur Struktur des Milieus. Deshalb können wir das Verhalten des Organismus beschreiben, als ginge es aus dem Operieren seines Nervensystems mit Abbildungen des Milieus hervor [...]. Diese Beschreibungen spiegeln jedoch nicht die Arbeitsweise des Nervensystems selbst wider. Sie sind für die Kommunikation unter uns Beobachtern nützlich, als wissenschaftliche Erklärungen jedoch unzureichend.

Wie konnte also dann das Bild den Probanden in Erregung versetzen, wenn nicht durch ein immer schon Sinn voraussetzendes Erkennen des Bildes als 'Bild einer Frau'? Kann das Nervensystem, obwohl es nicht über die Fähigkeit sinnhaften Operierens verfügt, ein Bild erkennen und in einen erotischen Zusammenhang stellen? Und: Hat das Bewußtsein (sofern es jemandem überhaupt gelingen mag, sich dieses als sprachlich strukturiertes Moment sozialer Koppelung vorzustellen) nur auf gewisse Nervenaktivitäten etc. reagiert, wenn der Proband mit Hilfe der sprachfähigen Gehirnhälfte, die das Bild nicht "gesehen" hat, von einem "schlimmen Apparat" spricht? Oder kann das Bewußtsein sich nicht vielmehr in einem Gefühl der Erregung befinden (wie immer auch das Bewußtsein mit dem Nervensystem gekoppelt sein mag), auch wenn es sich dieses Gefühl im geschilderten Fall nicht zu erklären weiß? Und kann ein Gefühl (auch wenn es freilich sprachlich artikuliert werden kann) nur in Form einer sprachlichen Artikulation bestehen und damit laut Maturana und Varela lediglich im Bereich einer sozialen Koppelung existieren? Oder muß ein solches Gefühl dazu nicht vielmehr im Bereich der sinnhaften Autopoiesis eines psychischen System (das bereits ein sinnhaftes Erkennen des Bildes geleistet haben muß) hergestellt worden sein? Mit anderen Worten: Bezieht sich das Bewußtsein nicht vielmehr in seiner Äußerung ("schlimmer Apparat") sinnhaft auf sich selbst, indem es sich auf sein (sinnhaft) selbstproduziertes Gefühl bezieht, anstatt sich auf das Nervensystem zu beziehen?

Ferner sollte nicht übersehen werden, daß Maturana und Varela die Resultate der Split-Brain-Forschung, insbesondere bezüglich der Leistungsfähigkeit der rechten Gehirnhälfte, stark vereinfachen. Neben den üblichen spezialisierten Fachquellen eignet sich zu einer Korrektur des so entstandenen, reduzierten Gesamteindrucks bereits der - vor allen Dingen aus philosophischer Sicht - ausgezeichnete Aufsatz von Thomas Nagel über die Zweiteilung des Gehirns und die Einheit des Bewußtseins. Es sei der Kürze halber nur weniges von dem ausgewählt, was Nagels Aufsatz zu einer präziseren Analyse der Forschungsresultate experimenteller Untersuchungen sogenannter 'split-brains' anführt.

So ist vor allem auffällig, daß selbst die prinzipiell nicht sprachfähig erscheinende Gehirnhälfte durchaus einfache Wörter lesen zu können scheint. Läßt man zum Beispiel das Wort 'Hut' so aufblitzen, daß es nur die rechte Gehirnhälfte perturbieren kann

***und fordert [...] die Person anschließend auf, das Gesehene aus einer Reihe dem Auge verborgener Gegenstände auszuwählen, ergreift die linke Hand einen Hut. Währenddessen bestreitet dieselbe Person hartnäckig, überhaupt etwas gesehen zu haben. [...] Läßt man nur das rechte Nasenloch etwas riechen (was dann an die rechte Großhirnhälfte weitergeleitet wird), streitet die Person ab irgendetwas zu riechen, doch fordert man sie auf, mit der linken Hand auf das Gerochene zu zeigen, wird sie den richtigen Gegenstand, z.B. eine Knoblauchzehe, auswählen, unter ständigem Beteuern, wirklich nichts zu riechen, also natürlich auch auf nichts zeigen zu können, was sie riecht.

Aus derartigen und weiteren interessanten Beobachtungen gelangt Nagel zu einigen ebenso überraschenden wie bemerkenswerten und brisanten Feststellungen. Die nun folgende erste Bemerkung Nagels klingt beinahe so, als ob sie mit direktem Bezug auf Maturana verfaßt worden sei, denn sie wendet sich gegen die (auch von Maturana vertretene) These des sprachphilosophischen Nominalismus, derzufolge sich aus den Experimenten zweifelsfrei die Sprachabhängigkeit des Bewußtseins folgern läßt:

***Das einzige, was für [die] Hypothese [...] spricht, derzufolge die Aktivitäten der rechten Hemisphäre nicht bewußt sind, ist die Tatsache, daß die Versuchsperson durchweg leugnet, daß ihr diese Aktivitäten gewärtig (aware) sind. Wer das aber als Beweis akzeptiert, begeht eine petitio principii, denn ausschließlich die linke Gehirnhälfte ist in der Lage, etwas zu bezeugen, und natürlich ist sie sich dessen, was sich in der rechten Hälfte abspielt, nicht bewußt. Betrachtet man dagegen das, worin sich die rechte Hemisphäre äußert, dann scheint es keinen prinzipiellen Grund dafür zu geben, Sprachfähigkeit als notwendige Bedingung für Bewußtsein (consciousness) anzusehen. Es könnte andere Gründe geben, die hinreichend dafür sind, auch ohne Sprachfähigkeit bewußte mentale Zustände zuzuschreiben. Und in der Tat ist das, wozu die rechte Hemisphäre selbständig fähig ist, viel zu ausgefeilt, zu intentional gesteuert und psychologisch verständlich, als daß man es als eine bloße Kollektion automatischer, nicht bewußter Reaktionen ansehen könnte.

Nagels Abweisung der These, der nicht sprachfähigen Gehirnhälfte komme nicht der Status eines Bewußtseins zu, wird von ihm an einer späteren Stelle nochmals aufgegriffen:

***Die rechte Hemisphäre befolgt Anweisungen, koordiniert taktile, akustische und visuelle Stimuli und verhält sich überhaupt fast immer so, wie es sich für ein ordentliches Bewußtsein gehört. In den Experimenten zeigen sich nicht bloß Fetzen zielgerichteten Handelns, sondern es offenbart sich ein System, das in der Lage ist zu lernen, Gefühle zu zeigen, Anweisungen zu befolgen und Aufgaben zu lösen, zu deren Bewältigung die Koordination einer ganzen Reihe psychologischer Fakten nötig ist. Es scheint ganz klar zu sein, daß die Aktivitäten der rechten Hemisphäre nicht unbewußt sind, und daß sie zu etwas gehören, was die charakteristischen Strukturen des Mentalen aufweist: zu einem Subjekt von Erlebnissen, Erfahrungen und Handlungen.

Und was die These Maturanas und Varelas anbelangt, derzufolge die rechte Hemisphäre (die angeblich über kein Bewußtsein verfügt und daher rein neurophysiologisch ein erotisches Bild wahrnimmt) nur durch eine über den Gesamtkörper hergestellte Kopplung mit der linken Hemisphäre zur Herstellung bewußter Leistungen ("schlimmer Apparat") beiträgt, so dürfte auch diese durch Nagels weitere Ausführungen mehr als zweifelhaft erscheinen, denn

***die höheren Funktionen sind voneinander unabhängig, nicht nur physiologisch, sondern psychologisch. Funktionen der rechten Hemisphäre sind weder dem Sprechen zugänglich, noch überhaupt einer direkten Kombination mit entsprechenden Funktionen der linken Hemisphäre, d.h. mit einer Art von Funktionen, die der rechten Hemisphäre auf eigenem Terrain keinerlei Mühe bereiten, wie z.B. das Unterscheiden von Formen oder Farben.

Luhmann, ohne sich in Ansehung dieses Punktes direkt mit den hier geschilderten Ansichten Maturanas, Varelas oder gar Nagels auseinandergesetzt zu haben, kommt zu einem ähnlichen Resultat:

***Die geläufige Auffassung, daß Bewußtsein nur durch Sprache hinreichend komplexe Strukturen gewinnen könne, muß deshalb neu durchdacht werden. Wir können weder sagen, daß das Bewußtsein aus sprachlich strukturierten Verläufen 'besteht', noch, daß die Gedanken des Bewußtseins (ja nicht einmal das Sprechen) durch Sprache 'erzeugt' werden. Ebenso falsch wäre die Annahme, daß Sprache im Bewußtsein für das Bewußtsein eine Zeichenfunktion erfülle (also das Wort 'Apfel' wirkliche Äpfel 'draußen' bezeichne und ihr Auffinden erleichtere). [...] Das Bewußtsein ist also als ein selbstreferentielles System auch gegenüber der Sprache autonom. Aber Sprache verhilft dazu, Gedanken als klare, unterscheidbare und verschiedenartige zu artikulieren und trotzdem noch Ordnung aufrechtzuerhalten. Sprache verhindert, daß bei zunehmender Komplexität [...] bewußtseinsintern ein Chaos entsteht. Und Sprache kanalisiert die Gedanken so, daß sie, gewissermaßen entlang von Sätzen, im Schnellzugriff verfügbar sind. Das Bewußtsein hilft sich bei zunehmender Komplexität mit Sprache und wird dann das Mittel nicht wieder los. Dies gilt speziell für die Selbstbeobachtung des Bewußtseins [...].

Bei all dem gilt es vor allen Dingen ein erkenntnistheoretisches Problem nicht aus den Augen zu verlieren, ein Problem, das die Systemtheorie - spätestens seit ihrer Reformulierung durch Maturana und Luhmann - durch die Theorie autopoietischer Systeme zu lösen sucht: "***Die epistemologische Odyssee zwischen Szylla und Charybdis: eine Seefahrt zwischen den Strudeln des Solipsismus (Charybdis) und dem Ungeheuer des Repräsentationismus (Szylla)."

Kapitel 2
Untersuchungen zum Stellenwert und der Bedeutung der Begriffe Sinn, Erfahrung, Subjektivität in der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse untersucht das Erleben, seine Entwicklung und seine Struktur, und sie bricht dabei mit jeder neurophysiologisch orientierten Psychologie. Sie bricht außerdem mit jeder (besonders mit einer nur auf Bewußtsein bezogenen) Methode der Introspektion. Dies leistet sie zunächst auf dem Umweg einer versuchten oder vermeintlichen Anlehnung an Modelle der beobachtenden Naturwissenschaft, was in Kapitel 2.1 herausgearbeitet werden soll.

 

Jede Psychologie, die rein introspektiv verfährt, beinhaltet - und so soll Introspektion hier verstanden werden - immer die Annahme, daß das eigene Seelenleben (Erleben) im wesentlichen bewußt vorliegt oder daß ein jeder zumindest mit dem eigenen Erleben unmittelbar und ausreichend vertraut ist. Demnach ist man sich nicht nur unmittelbar seiner Wahrnehmungen oder seiner selbst bewußt, vielmehr ist ein jeder selbst ein kompetenter Beurteiler dessen, was er wahrnimmt, sieht, denkt, meint oder will. Jedes "Subjekt" kennt demzufolge selbst den Sinn und Grund seiner Handlungen, den Sinn seiner Gedanken und Äußerungen etc.

Daraus folgt eine Ansicht, die sich nahezu bis zum Aufkommen der Psychoanalyse als unhinterfragt verbindlich durchgesetzt hat: Wenn Introspektion mir zwar den Zugang zu meinen Träumen und zu meinen Fehlleistungen eröffnet, so zeigt sie mir dennoch in ihnen keinen Sinn. Wenn mir aber meine Träume introspektiv und damit unmittelbar zugänglich sind, sich aber kein Sinn in ihnen zeigt - so haben sie eben keinen Sinn. Im letzten Satz steckt die vor Freud unproblematisierte und nahezu überall vorausgesetzte Annahme der Psychologie.

Das Resultat einer solchen Auffassung wird dann von einer Semantik betreut, die von 'verworrenen Vorstellungen' spricht und die dann gezwungen ist, das Problem entweder in die Kontingenz oder in die Physiologie zu verschieben. Ähnlich wie der Molekulardarwinismus die Vielfalt und die Entwicklung der Welt nicht anders zu erklären weiß, als durch die Annahme eines "***verborgene[n] Parameter[s]", also die Annahme einer auf Schreib- oder Übersetzungsfehlern beruhenden Mutation, die dann doch "***keinen Weg zwischen einer Zufallsfolge und deren Ausgestaltungen findet", so müssen auch introspektive Psychologen auf einen solchen verborgenen Parameter zurückgreifen, denn der Fehler oder "***der Zufall muß das Loch stopfen", das die introspektive Methode offengelassen hat. Andererseits kommt in einer neurophysiologischen Psychologie der ihr eigene Gegenstand, also die Psyche oder wenigstens der 'Traum als Erlebnis', ironischerweise gar nicht mehr vor. Hier wird der Knoten gelöst, indem man ihn gründlich zerhaut, denn als "***man psychische Zustände auf die Struktur des Nervensystems 'reduzierte' oder mit diesem 'koppelte', verriegelte man die Tür zu konkreten Erkenntnissen und öffnete statt dessen die Schleusen der Gehirnmythologie," insofern hier Erlebnisse nicht mehr behandelt werden, ehe man aus ihnen nicht etwas anderes gemacht hat: Operationen oder Strukturen des Nervensystems. Man eskamotiert also erst den Gegenstand der Untersuchung (das heißt hier zum Beispiel: den Traum als Erlebnis), ersetzt ihn dann durch einen anderen (das sind hier: die Operationen und Zustände des Nervensystems) und sieht damit "***im Traum keine psychologische Tatsache im strengen Sinne des Wortes [mehr]."

Man sieht, ein

***klassisches Interpretationsschema kollidiert mit einer 'Anomalie'. [...] Der Traum hat der klassischen Psychologie den gleichen Widerstand geleistet, wie die Elektrizität dem Mechanismus der Physiker des 19. Jahrhunderts; [...] Wie dem auch sei, es ist [...] offensichtlich, daß in der Traumdeutung eine neue Definition der psychologischen Tatsache verborgen ist, die nicht auf die zurückgeführt werden kann, die wir von der klassischen Theorie her gewohnt sind.

Politzer ist sich durchaus bewußt, worin diese neue Psychologie ihren Ausgangspunkt und ihr Zentrum findet, denn Freud entwickelt eine neue Psychologie, die nicht mehr auf verborgene Parameter oder physiologische Notbehelfskonstruktionen angewiesen ist, "***weil er von der Hypothese ausgeht, daß der Traum einen Sinn hat. Dank dieser Hypothese kann dem Traum zu der Eigenschaft einer psychologischen Tatsache verholfen werden." Tatsächlich hat Freud immer wieder betont und zu zeigen versucht, daß der "***Traum [...] einen sinnvollen, in den Zusammenhang des psychischen Geschehens einfügbaren Vorgang [...]" (II/III, 514) darstellt. Die Psychoanalyse löste sich von der Vorstellung, das Erleben sei ausreichend introspektiv zugänglich oder gleichzusetzen mit Bewußtsein, denn die introspektive Psychologie "***kann die Fragen der konkreten Psychologie nicht beantworten. Dazu müßte sie die besonderen Umstände des Vergessens berücksichtigen und das, was das Wort für mich bedeutet hat. [...] Kurzum, man müßte den Sinn dieses Vergessens ergründen."

Die Psychoanalyse löst sich damit sogar von der Annahme, der vom Bewußtsein "erkannte" Sinn sei der "wirkliche" Sinn eines Erlebnisses. Und was daraus folgt ist nicht etwa ein Desinteresse am Sinn von Erlebnissen oder Handlungen überhaupt. Im Gegenteil, aus der Leugnung der Eigenkompetenz psychischer Systeme erwächst, gerade dort, wo diese keinen Sinn zu finden in der Lage sind, eine Ausdehnung des Sinns auf alle psychischen Vorgänge.

Verläßt man ein introspektives Vorgehen und wählt eine distanziertere Form der Beobachtung, so erweitert sich damit die Reichweite des Sinns. Die Psychoanalyse findet mithin geradezu ihren Ausgangspunkt im Abrücken von der Introspektion. Im folgenden sollte sich noch genauer zeigen, durch welche Form der Beobachtung dieses Abrücken ermöglicht wird.

Vorab sei nur bemerkt: Die Psychoanalyse setzt an die Stelle der Introspektion die Distanz eines zweiten Beobachters: den Psychoanalytiker; an die Stelle verstandesmäßig geordneter und selegierter Mitteilungen tritt die Grundregel der freien Assoziation, und an die Stelle der (auf verborgene Parameter angewiesenen) Annahme eines immer nur bewußten Sinns wird ein Interpretationsprozeß gesetzt, der sich auf die Zusammenhänge eines meist über einen langen Zeitraum hin beobachteten "Erzählens" von Erlebnissen bezieht: der deutende Rapport.

Die traditionelle, statisch-vermögenspsychologische Sicht der Psyche als eines Zusammenspiels gesonderter Vermögen (Verstand, Sinnlichkeit etc.) wird dabei ersetzt durch ein dynamisches Modell, welches die Psyche als sich allmählich entwickelndes, komplexes System vieler, teilweise gegeneinander gerichteter Strebungen betrachtet. Diese Strebungen führen erst zur Ausdifferenzierung von eigendynamischen Teilsystemen (Ubw, Vbw und Bw; in der zweiten Freudschen Metapsychologie: Ich, Es und Über-Ich).

In den frühesten psychischen Entwicklungsstufen werden erst die Voraussetzungen geschaffen für die Zurechnung typischer Erlebensqualitäten (Sehen, Hören, Fühlen, Denken, Wollen etc.), die dann eventuell zum Schein der Selbständigkeit gesonderter Vermögen führen. Der die sogenannten Vermögen unterscheidende und damit sie erst produzierende Zurechnungsprozeß erhält diesen Schein der Selbstverständlichkeit dadurch, daß er ohne Bewußtsein abläuft und jede wissenschaftliche wie alltägliche Reflexion bereits begleitet.

 

Die Schwierigkeiten und Inkohärenzen des Freudschen Ansatzes - der ihm als Selbstmißverständnis vorgeworfen wurde - sollen in Ursache und Folge erörtert werden. Zugleich soll dabei gezeigt werden, inwiefern gerade diese Inkohärenzen Produkte eines konsequenten Festhaltens am Gegenstand einer auf Sinn bezogenen verstehenden Psychologie sind. (Vgl. hierzu Kapitel 2.1.) So gesehen sollte die Frage nach einem etwaigen szientistischen Selbstmißverständnis Freuds eine nur untergeordnete Rolle spielen.

 

Durch all dies ergibt sich das Problem, den wissenschaftlichen Ort der Psychoanalyse und den damit verknüpften psychoanalytischen Begriff der Erfahrung zu bestimmen: Daher soll in Kapitel 2.2 nachgewiesen werden, daß die Psychoanalyse weder als Naturwissenschaft, noch als eine nur formal erklärende, kausalanalytische Psychologie zu verstehen ist. Vielmehr leistet sie sowohl die Analyse konkreten individuellen Erlebens und deren Bildungsprozesse als auch eine typisierende Abstraktion auf gemeinsame Merkmale psychologischer Vorgänge und Strukturbildungsprozesse. Mithin gliedert sich die Psychoanalyse in drei voneinander abhängige Theorieaspekte: Auf der einen Seite steht eine Theorie der Therapie psychischer Störungen, die zugleich als empirisch forschende Theorie der Deutung konkreten, sinnhaften Erlebens auftritt. Auf der anderen Seite findet sich, auf dem nächsthöheren Abstraktionsniveau, eine Theorie des konkreten Erlebens als eines Modells der Abwehrkonflikte. Als dritter Theorieaspekt steht bei Freud eine hochabstrahierende Theorie, die die Ergebnisse der beiden erstgenannten in einer modellhaft-generalisierenden Theorie des psychischen Systems im allgemeinen zu beschreiben sucht: die Metapsychologie.

Aus der Bezugnahme auf Erfahrungen und Erkenntnisse einer konkret-individuellen Analyse entsteht demnach die Möglichkeit einer Abstraktion in Form einer Metapsychologie. Diese ist in der Lage, einer Abstraktion auf rein formale Vermögen oder psychische Akte zu entgehen. Indem sie stets ihren Bezugspunkt in konkret-individuellen Analysen findet, sichert sie eine jederzeit mögliche Übersetzbarkeit der abstrakten Theorie in das jeweils konkrete Material. Das heißt: Sie bildet durch ein Abstraktionsverfahren eine Theorie des Erlebens und der Entwicklung psychischer Systeme auf der Grundlage einer Ausdifferenzierung (eigen)dynamischer Teilsysteme.

Es wäre allerdings verfehlt, die Psychoanalyse als induktiv zu bezeichnen. Die Psychoanalyse geht keineswegs geradlinig von Einzelanalysen aus, um von dort aus auf das Allgemeine zu schließen. Vielmehr besteht ihr Ansatz darin, jederzeit die vollständige Rückübersetzbarkeit metapsychologischer Theorien in die Interpretation konkreter Sinnzusammenhänge - etwa der Gründe für eine bestimmte, hier und jetzt erfolgte Äußerung eines Analysanden - zu gewährleisten. Die angesprochene Abstraktion abstrahiert folglich nicht etwa aus Einzelfällen auf das ihnen Gemeinsame. Vielmehr abstrahiert sie auf der Grundlage der immer schon als problematisch gegebenen Grundzüge einer Freudschen Metapsychologie auf die dafür relevanten Züge von Einzelanalysen. Was an Einzelanalysen abstraktionsrelevant ist und was nicht, wird mithin durch das Anliegen und die derzeitige Beschaffenheit der Metapsychologie bestimmt.

Das methodisch Interessante daran ist, daß die einzelnen Sinnanalysen nicht unter Berücksichtigung metapsychologischer Ansichten durchgeführt werden. Sie finden zwar aus der Perspektive des Modells der Abwehrkonflikte (Verdrängung, Verschiebung, Verdichtung etc.) statt, nicht aber im Lichte der Metapsychologie. Dadurch ist sichergestellt, daß psychoanalytische Sinnanalysen nicht von vornherein durch metapsychologische Konzepte kontaminiert werden, wodurch auto-induzierte Bestätigungen vermieden werden. Erst die Rückübersetzung metapsychologischer Konzepte auf Einzelanalysen geschieht dann unter Einfluß metapsychologischer Theorieaspekte - wie sollte die Metapsychologie sonst Kohärenz nachweisen können? Vereinfachend ließe sich zusammenfassen: Die Einzelanalysen bilden zwar fortwährend den Bezugspunkt der Metapsychologie, nicht aber deren Ausgangspunkt.

Somit stellt die Metapsychologie niemals die "eigentliche" Erklärung psychischer Vorgänge, Symptome etc. dar, sondern bildet das Komplement zu den Einzelanalysen. Sie muß in ihrem Vorgehen ein allgemeines Muster psychischer Strukturierungen und Prozesse liefern, welches die empirische, einzelne Analyse nicht ersetzen wollen darf. Sonst verlöre die Analyse die Verbindung zu ihrer eigenen Forschungsgrundlage und damit ihrer Fähigkeit einer streng individuellen Analyse, welcher zugleich eine bedeutende Rolle innerhalb des empirisch-psychoanalytischen Prüfungsverfahrens zukommt.

 

Neben den bereits angesprochenen Aspekten, die zunächst nur die Begriffe des Sinns und der Erfahrung zu betreffen scheinen, fällt ein weiterer, erkenntnistheoretisch nicht minder bedeutsamer Aspekt ins Auge: Die stets gegenwärtige Fokussierung der Psychoanalyse auf das Erleben läßt keinen Bezug zu einer "äußeren" Umwelt respektive zu vom Erleben unabhängigen Objekten zu. Daher konstituieren denn auch Subjekt und Objekt nicht länger zwei autonome Komplexe. Dies hat Folgen für den psychoanalytischen Begriff der Subjektivität, den es an späterer Stelle zu erörtern gilt.

Das Motiv zur Durchführung der vorliegenden Untersuchung leitet sich nicht zuletzt davon ab, die von einer psychoanalytischen Neubestimmung der Begriffe Sinn, Erfahrung und Subjektivität getragene Chance eines produktiven Wandels innerhalb wissenschaftlicher Modelle und Methoden zu eruieren. Als eine der Theorien, die in einer solchen Neubestimmung als besonders konsequent und ausgearbeitet betrachtet werden kann, wurde bereits die von Luhmann vertretene Ausprägung der Systemtheorie genannt. Daher sollte es sinnvoll erscheinen, psychoanalytische Konzepte unter systemtheoretischen Bestimmungen zu untersuchen. Die dafür zu leistende systemtheoretische Rekonstruktion der Psychoanalyse kann jedoch strenggenommen erst ab dem Kapitel Zur Codierung psychischer Systeme (Kapitel 2.2.3) stattfinden, denn eine solche Rekonstruktion bedarf klärender Vorarbeiten bevor sie auf verständliche und plausible Weise durchgeführt werden kann. Es sollte sich dabei zeigen, daß eine solche Rekonstruktion nicht nur zwanglos geschehen kann, sondern darüber hinaus ausgesprochen fruchtbar ist - sowohl für ein neues Verständnis der Psychoanalyse als auch für systemtheoretische Modelle.

Hier konnte nicht einfach eine Übertragung der Theorie Luhmanns auf die Psychoanalyse erfolgen. Mögliche und gezielte Nichtübereinstimmungen mit Luhmanns Theorie waren so unvermeidbar, so beispielsweise das Postulat, nicht Bewußtsein, sondern das (Bewußtsein und Unbewußtes übergreifende) Erleben bilde die Basisoperation des psychischen Systems.

Die Ansichten des Autors bleiben zwar immer auf den Blickwinkel Luhmanns bezogen, sind aber keineswegs mit dessen Ansichten identisch. Doch bei aller Verschiedenheit bleiben Ansatz und entscheidende Charakteristika des vorliegenden Kapitels der Theorie Luhmanns (und natürlich: Freuds) verpflichtet.

 

Es versteht sich von selbst, daß eine solche Rekonstruktion zunächst nur im Ansatz erreicht und nur unter entsprechenden Vorbehalten eingelöst werden kann. Den Versuch jedoch sollte eine solche Rekonstruktion Wert sein, denn vieles, was seit nahezu hundert Jahren im Streit um die Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse, insbesondere zwischen Szientismus und Hermeneutik, ausgefochten wird, mag auf den von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch zurückzuführen sein, das wirklich Neue an der Psychoanalyse mit dem klassischen Repertoire der Wissenschaften erfassen zu wollen. Der Psychoanalytiker und Soziologe Alfred Lorenzer sieht diesen Sachverhalt ähnlich, wenn er meint, es müsse zunächst einmal

***klargestellt werden, wovon die Psychoanalyse überhaupt handelt, was ihre Methode, was ihr Untersuchungs- und Erkenntnisgegenstand sind. Denn das ist der springende Punkt der Auseinandersetzung: Die meisten Angriffe zielen auf eine Psychoanalyse, die es weder gibt noch je gegeben hat (wobei die Psychoanalytiker freilich an dieser Verwirrung nicht unschuldig sind, da sie bislang sich zuwenig Mühe darum gegeben haben, die innere Struktur der psychoanalytischen Erkenntnis klarzustellen). Was für eine Art von Wissenschaft ist sie denn, diese Psychoanalyse?

Vielleicht - und dies ist hier These - wird diese Frage leichter zu beantworten sein, wenn man sich der Psychoanalyse mit einem systemtheoretischen Modell nähert, das, wie sich zeigen sollte, von erheblichen strukturellen Ähnlichkeiten getragen wird. Ein entscheidender Unterschied gegenüber den Vorgehensweisen beispielsweise szientistischer Interpreten liegt darin begründet, daß hier in weitem Umfang eine Rekonstruktion der Psychoanalyse geleistet werden muß und die psychoanalytische Methode und Theorie nicht lediglich an sozusagen von außen herangetragenen Ansprüchen (zum Beispiel den Prüfungsverfahren oder Methoden des Kritischen Rationalismus) gemessen wird. Da die Methode etwa des Kritischen Rationalismus mit dem Privileg, eine einheitswissenschaftliche zu sein, ausgestattet zu sein glaubt, neigen Szientisten dazu, ihre Methode auf die Psychoanalyse zu übertragen, ohne erst lange zu fragen, ob sie dem Gegenstand der Psychologie überhaupt als angemessen betrachtet werden kann.

Hinsichtlich des Versuches einer systemtheoretischen Rekonstruktion, bedarf es einer eingehenden Erörterung des psychoanalytischen Modells, speziell der sogenannten Metapsychologie.

Und was den Versuch eines Anschlusses an die Systemtheorie betrifft, so läßt sich vermuten, daß nicht nur die Psychoanalyse, sondern darüber hinaus die Systemtheorie selbst dabei in einem neuen Licht erscheinen könnten; letztere zumindest, insofern eine systemtheoretische Theorie psychischer Systeme und der mit dem Sinnbegriff unmittelbar verbundene Begriff des Verstehens für sie von Interesse sein sollten. Diese Erwartung erwächst nicht zuletzt aus dem Umstand, daß bislang in die Systemtheorie Luhmanns fast ausschließlich behavioristische beziehungsweise Konzepte der kognitiven Psychologie eingegliedert wurden. Im Rahmen einer soziologischen Theorie mag dies zunächst einleuchtend erscheinen; einleuchtend allein schon deswegen, weil Kognitionen nach Luhmann "lernbereite Erwartungen" sind: Man ist bereit, sie zu ändern, wenn die Realität andere, unerwartete Seiten zeigt. Der Begriff Kognition wurde Luhmann zufolge erweitert, insofern er psychische, soziale, biologische Systeme und sogar Maschinen einbezieht, und sofern er Handeln und Erleben übergreift. Auch Handelnde sind Beobachter, nämlich solche, die mit Hilfe von Zwecken oder Präferenzen diskriminieren. Der so erweiterte Begriff eignet sich natürlich dann vorzüglich nicht nur für soziologische Untersuchungen, sondern auch für den Anschluß an die Einzelwissenschaft Psychologie. Interdisziplinäre Forschung sollte so erleichtert werden. Hier soll gezeigt werden, daß sich der systemtheoretische Ansatz jedoch sehr wohl - ja, vielleicht sogar auf besonders fruchtbare Weise - mit psychoanalytischen Konzepten in Einklang bringen läßt. Durch die Reibung, die bei der Bemühung um einen Brückenschlag zwischen Systemtheorie und Psychoanalyse entstehen wird, könnten beide Ansätze an Kontur gewinnen.

Die so zum Vorschein kommenden Bestimmungen berühren wie bereits angesprochen auch den Streit um die Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse. So standen sich bisher die "Fronten" der hermeneutischen und der szientistischen Positionen auf eine Weise gegenüber, die häufig genug nur zu paraphrasierenden Wiederholungen und zu wechselseitigen Verhärtungen des eigenen Standpunktes führten, da vor allem der Begriff einer Kausalität des Psychischen umstritten blieb: Auf der einen Seite beharren die Kritischen Rationalisten auf der Unabdingbarkeit eines kausalanalytischen Standpunktes aller Wissenschaften und der Trivialität des Verstehens. Auf der anderen Seite taten und tun sich Hermeneutiker zum Teil schwer damit, mit Hilfe einer wissenschaftlich prägnanten Definition des Verstehens- oder Sinnbegriffs ein differenziertes Modell akausaler Forschung zu entwerfen. Eine gewisse Verschwommenheit der hermeneutischen Position blieb damit unvermeidlich. Formeln, wie die von der "***Kausalität des Schicksals", trugen eher dazu bei, Unschärfen zu steigern als Standpunkte zu klären.

 

All dies sollte ausreichend deutlich gemacht haben, warum es die metapsychologischen Konzeptionen Freuds sein müssen, die bei dem Versuch einer systemtheoretischen Rekonstruktion der Psychoanalyse und ihrer zentralen Begriffe des Sinns, der Erfahrung und der Subjektivität im Vordergrund stehen müssen.

Zugleich kann das vorliegende und das nachfolgende Kapitel auch als eine mittelbare Replik auf Grünbaum gelesen werden. Mittelbar deswegen, weil sie nur selten unmittelbar auf einzelne Vorwürfe Grünbaums eingeht. Sie eignet sich aber dennoch insofern als Erwiderung auf Grünbaum, als hier ein gegensätzlicher Standpunkt vertreten und diskutiert wird: Während Grünbaum die Psychoanalyse als dem Paradigma traditionell-objektivistischer Naturwissenschaft verpflichtet ansieht und damit weitestgehend die Bedeutung von Sinnzusammenhängen für die psychoanalytische Theorienbildung leugnet, wird im folgenden der Standpunkt vertreten, gerade Sinnzusammenhänge (sofern sie unmittelbar aus dem Erleben hervorgehen) seien der Gegenstand der Psychoanalyse und ein objektivistisches Verständnis der Psychoanalyse sei damit gänzlich verfehlt.

2.1 Der Stellenwert des Sinnbegriffs in der Psychoanalyse

2.1.1 Vorbemerkung

Eine Erörterung des psychoanalytischen Sinnbegriffs kann an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Besonders umstritten ist allerdings der Stellenwert von Sinn und Verstehen innerhalb Freuds erster Metapsychologie, dem sogenannten Konstanzprinzip oder Energieverteilungsmodell. Daher sollte der Versuch einer Klärung gerade hier auf Grund der damit verbundenen Schwierigkeiten besonders aufschlußreich sein. A. Stephan spricht diese Schwierigkeiten an und hat sich daher im Gegensatz zu der hier vorliegenden Diskussion auf die Erörterung des Sinnbegriffs innerhalb der Traumdeutung, der Neurosenlehre und der Fehlleistungen festgelegt. Es gilt im folgenden aber zu zeigen, daß dem Sinnbegriff auch in den metapsychologischen Schriften Freuds eine zentrale Rolle zukommt. Das Kapitel hat insofern nicht ohne Grund den Titel Der Stellenwert des Sinnbegriffs in der Psychoanalyse erhalten, denn der Sinnbegriff als solcher kann erst zusammen mit dem psychoanalytischen Erfahrungsbegriff (Kapitel 2.2) endgültig definiert werden.

 

Gegenüber Theorien und Modellen hat Freud eine kritische, stets zu Modifikationen oder radikaleren Revisionen bereite Haltung des Wissenschaftlers befürwortet:

Charcot wurde auch niemals müde, die Rechte der rein klinischen Arbeit, die im Sehen und Ordnen besteht, gegen die Übergriffe der theoretischen Medizin zu verteidigen. Wir waren einmal eine kleine Schar von Fremden beisammen, die, in der deutschen Schulphysiologie auferzogen, ihm durch die Beanständung [sic!] seiner klinischen Neuheiten lästig fielen: 'Das kann doch nicht sein,' wendete ihm einmal einer von uns ein, 'das widerspricht ja der Theorie von Young-Helmholtz'. Er erwiderte nicht: 'Um so ärger für die Theorie, die Tatsachen der Klinik haben den Vorrang' u. dgl., aber er sagte uns doch, was uns einen großen Eindruck machte: 'La théorie, c'est bon, mais ça n'empêche pas d'exister.' (I, 23f., Hervorhebung im Original gesperrt.)

Freud betont an anderer Stelle, dieser Satz, "[...] 'ça n'empêche pas d'exister'", habe sich ihm "unvergeßlich eingeprägt [...]." (XIV, 38)

Modelle haben nach allgemeinem Konsens neben einer gewissen Interpretationsleistung den Progreß der Erkenntnis zu gewährleisten. Genau diese Art von Erkenntnisfortschritt, der zur Revision oder Verabschiedung eines Modells führt, ist damit eine unverzichtbare Leistung eines jeden Modells, denn sonst wäre der Gang des Erkenntnisfortschritts eingefroren. Dabei können die Phänomene, die zur Revision oder Verabschiedung eines Modells führen, durchaus erst auf Grund der Interpretationsleistung desselben Modells sichtbar geworden sein. Paradigmatisch mag an die Entdeckung der Relativitätstheorie durch A. Einstein erinnert werden. Hier förderten - neben anderem - Messungen der Lichtgeschwindigkeit, die noch auf der Grundlage des Newtonschen Raum-Zeit-Verständnisses durchgeführt wurden, Phänomene zutage, welche zur Verabschiedung eben dieser Physik Newtons und seiner Vorstellungen von einer absoluten Zeit und einem absoluten Raum führten. Der Fortschritt ging aus dem Modell hervor, das von eben diesem Fortschritt "geschluckt" wurde, denn ausgerechnet "***Newtons Bewegungsgesetze machten der Vorstellung von einer absoluten Position im Raum ein Ende." Somit mag paradoxerweise gerade der Moment der "Selbstzerstörung" als letzter Zeuge für die Erreichung des historischen Höhepunktes der Leistungsfähigkeit eines bestimmten Modells auftreten: Selbstzerstörung als "Amplitudenphänomen".

Die angesprochene Interpretationsleistung wissenschaftlicher Modelle und ihre notwendige Revisionsfähigkeit sollen das umgreifende Thema des vorliegenden Kapitels sein. Anhand dieser Betrachtungen soll eine Interpretation und Kritik der ersten Metapsychologie Freuds und des Stellenwertes des mit ihr verbundenen und aus ihr hervorgehenden Sinnbegriffs gewonnen werden.

2.1.2 Freuds frühe Konzeption des Konstanzprinzips
(1895-1920)

Das Modell des 'Konstanzprinzips' wurde von Freud bereits gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts formuliert. In dieser frühen wie auch in allen späteren Fassungen hat dieses Modell viel Verwirrung gestiftet und Streit entfacht:

***Die Widersprüche und Ungenauigkeiten, die Bedeutungsverschiebungen, die mit den Freudschen Aussagen zusammenhängen, können nur dann aufgeklärt werden, wenn man deutlicher, als Freud selbst dies getan hat, herauszuarbeiten versucht, welcher Erfahrung und welcher theoretischen Forderung seine mehr oder weniger gelungenen Versuche entsprechen, in der Psychoanalyse ein Konstanzgesetz aufzustellen.

Zur Inangriffnahme dieser Aufforderung soll nun ein Beitrag geleistet werden.

Betreffs des Freudschen Konstanzprinzips soll daher nacheinander erörtert werden, welche Motive zu seiner Formulierung Anlaß gaben (vgl. hierzu Kapitel 2.1.2.1); innerhalb welcher Wissenschaft es sich bewegt (Physik, Physiologie, Psychologie); wie es sich entwickelt hat und welches Dilemma das eigenartige Changieren der Begriffe verursachte; welche Paradoxien, aber auch welche Entwicklungstendenzen der ersten Freudschen Metapsychologie immanent sind (vgl. hierzu die Kapitel 2.1.2.2 und 2.1.3). Wie im folgenden gezeigt werden soll, bildet Sinn die Basiskategorie der Freudschen Psychologie.

 

Auch ohne hier schon mit einer Definition des Sinnbegriffs der Psychoanalyse aufzuwarten, also allein schon auf Grund einer rein phänomenalen Betrachtung der psychoanalytischen Verwendung desselben, wird der ungewöhnlich große begriffliche Umfang deutlich, welcher ihm innerhalb der Freudschen Psychologie zukommt: Freud unterstellt, daß jedes bewußte und unbewußte Erleben respektive Handeln Sinn hat beziehungsweise in einem Sinnzusammenhang steht. Und dieser Sinn existiert nicht in einem unabhängigen, "objektiven Raum", sondern entsteht und besteht aus einem Zusammenhang von Verweisungen im "Erlebensraum" eines psychischen Systems. Daher steht im Zentrum auch jeder konkreten Analyse stets die Ermittlung von (teilweise verdeckten) Sinnzusammenhängen. Freud spricht daher von einer "Deutung", die der Analytiker vorzunehmen habe. Dem Patienten wird demzufolge nicht - wie in der klassischen Medizin - durch die Anwendung aus der Theorie abgeleiteter Therapieverfahren geholfen. In der Psychoanalyse stehen sich daher nicht Diagnose, eine Theorie der Krankheitsursache und die daraus resultierende theoriegeleitete Therapie gegenüber. Vielmehr besteht der psychoanalytischen Theorie zufolge die Therapie im wesentlichen aus der Deutung selbst. Daher ist die deutende Ergründung von 'Bedeutungen innerhalb eines im Erleben gegebenen Sinnzusammenhanges' zugleich Diagnose und Therapie. Der Horizont des Sinns kann nicht verlassen werden. Sinnsysteme sind gewissermaßen gezwungen, immer mit Sinn zu operieren. Selbst die Psychose in all ihren Äußerungsformen, so sinnlos sie erscheinen mögen, stellt einen sinnvollen Abwehrprozeß dar, wenn man davon ausgeht, daß die Psychose die Realität verleugnet, um so ein Ausweichen des Sinnsystems vor Konflikten mit der Realität zu ermöglichen. Jeder Versuch über Sinn hinaus zu gelangen hat selbst wieder Sinn oder ist kein Gegenstand der Psychologie mehr.

Die Tiefenpsychologie oder Psychoanalyse setzt somit 'Sinn' als Abgrenzungskriterium an, um beispielsweise zwischen physiologischen und psychischen Prozessen unterscheiden zu können: Alle psychischen, aber auch alle somatischen Vorgänge, die auf einen ermittelbaren oder vermutbaren psychischen Sinnzusammenhang reduzierbar erscheinen, werden dem psychischen und nicht dem physischen System zugerechnet. Und alle dem psychischen System zugerechneten normalen Abläufe und Störungen werden dann als sinnvolle Phänomene verstanden. Deutlicher: Bei Freud hat jedes Erleben und Handeln, sofern es Gegenstand der Psychologie sein kann, Sinn. Oder anders herum: Gegenstand der (Freudschen) Psychologie kann nur sein, was Sinn hat. Über jeder Analyse und jedem Modell Freuds steht der Begriff des Sinns: Mit seiner Annahme als Basiskategorie steht und fällt die Analyse.

2.1.2.1 Novellenstil kontra Naturwissenschaften

Ich bin nicht immer Psychotherapeut gewesen, sondern bin bei Lokaldiagnosen und Elektroprognostik erzogen worden wie andere Neuropathologen, und es berührt mich selbst noch eigentümlich, daß die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind, und daß sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren. Ich muß mich damit trösten, daß für dieses Ergebnis die Natur des Gegenstandes offenbar eher verantwortlich zu machen ist als meine Vorliebe; Lokaldiagnostik und elektrische Reaktionen kommen bei dem Studium der Hysterie eben nicht zur Geltung, während eine eingehende Darstellung der seelischen Vorgänge, wie man sie vom Dichter zu erhalten gewohnt ist, mir gestattet, bei Anwendung einiger weniger psychologischer Formeln doch eine Art von Einsicht in den Hergang einer Hysterie zu gewinnen. (I, 227, Hervorhebungen H.W. Freud (1940) Freud (1941) Freud (1942) Freud (1945) Freud (1946) Freud (1948) Freud (1950) Freud (1952))

Die neuen Erfahrungen aus der Arbeit mit Breuer "brachten es nämlich zur Gewißheit, daß die von uns nervös genannten Kranken in gewißem Sinne an psychischen Störungen litten und daher mit psychischen Mitteln zu behandeln waren." (XVI, 261, Hervorhebung H.W.) Denn die "Gehirnanatomie war in praktischer Hinsicht gewiß kein Fortschritt gegen die Physiologie." (XIV, 36)

Wenn man nach diesen Zitaten nun fragt, was denn Freud von vielen seiner zeitgenössischen Fachkollegen unterscheidet, so stößt man auf der einen Seite auf Freuds notorische Neigung, sich nicht bei einem typisch naturwissenschaftlichen Umgang mit den Phänomenen des Lebens, der Psyche oder mit den diese Phänomene betreffenden physiologischen Theorien und Therapien zu bescheiden. Auf der anderen Seite gibt er sich ebensowenig damit zufrieden, vermögenspsychologische Deskriptionen und Diagnosen zu erstellen. Auf seinen Termini "Krankengeschichten" und "Novellen" liegt der Akzent, denn seine Krankengeschichten erzählen wie eine Novelle weit mehr über das Erleben des Patienten als nur den Verlauf und den Typus der Neurose, wie es in einer medizinischen Anamnese sonst üblich ist. Freud beschreibt weniger den Krankheitsverlauf oder das Krankheitsbild; vielmehr erzählt er geradezu eine Er-Lebensgeschichte und reiht damit die Krankheit als gleichwertiges Glied neben andere in den Zusammenhang des Erlebens des Patienten ein. Dabei liegt sein Augenmerk nicht auf der für den Naturwissenschaftler so wichtigen "Objektivität" der lebensgeschichtlichen Fakten. Im Gegenteil: Freud schildert "Lebensgeschichten" so, wie sie sich ihm aus der Analyse "subjektiven" Erlebens ergeben, also in einer ausschließlich vom subjektiven Erleben des Patienten bestimmten Form. Gleichwohl äußert er sich geradezu verärgert über den eher literarisch denn wissenschaftlich anmutenden Stil seiner Untersuchungen, und so läßt sich sein Unbehagen an einer ebenso reizvollen wie wissenschaftlich scheinbar fragwürdigen Beschäftigung mit dem Gegenstand der Psychologie nicht übersehen.

Auf diese Weise wurde die Erforschung der Psyche im "Novellenstil" eine besondere Herausforderung. Wie war eine solche Methode als wissenschaftliche Disziplin legitimierbar? Wie konnte sie über die Deskription hinausgelangen? War ihr erzählerisches "Verwirrspiel" nicht gerade Zeichen für eine erstmalige Überwindung einer klassischen, rein formalistischen Psychologie in Richtung einer sinnbezogenen Psychologie, die so auch dazu befähigen könnte, das konkrete Erleben eines Individuums zu deuten? Gab es Möglichkeiten, sich an bereits vorliegende Konzepte anzulehnen, ohne sich gleich in deren Sog zu begeben, denn was "nun die in den Philosophenschulen herrschende Seelenwissenschaft geben konnte, war freilich geringfügig und für unsere Zwecke unbrauchbar; wir hatten die Methoden wie deren theoretische Voraussetzungen neu zu finden." (XVI, 261)

Wovon sich fernhalten, wo anknüpfen? An die Naturwissenschaften, die nicht wirklich psycho-logisch und am Erleben orientiert forschen konnten und daher von einer Form der physiologischen Betrachtung zur nächsten sich lediglich im Kreise drehten? An die Philosophie, die "für unsere Zwecke unbrauchbar" (XVI, 261) war oder an die Psychologie, die rein formal und darüber hinaus rein assoziations- oder vermögenspsychologisch orientiert war? Freud saß gleichsam zwischen allen diesen Stühlen.

Auf der einen Seite standen also die Naturwissenschaften, an die sich die Medizin - zum allgemeinen Nutzen und Frommen, wie sie glaubte - seit langem fest gebunden hatte und deren Prämissen sie nicht zu Gunsten eines Dritten - schon gar nicht etwa zu Gunsten einer "Darstellung der seelischen Vorgänge, wie man sie vom Dichter zu erhalten gewohnt ist" (I, 227) - zu teilen bereit war.

Auf der anderen Seite stand einzig noch die Philosophie, deren "erzählendes" Herangehen an ihre Gegenstände Sympathien hätte wecken können. Doch Freud winkt rascher als zu erwarten ab:

Das Psychische der Philosophen war nicht das der Psychoanalyse. Die Philosophen heißen in ihrer überwiegenden Mehrzahl psychisch nur das, was ein Bewußtseinsphänomen ist. Die Welt des Bewußten deckt sich ihnen mit dem Umfang des Psychischen. [...] Oder strenger ausgedrückt, die Seele hat keinen anderen Inhalt als die Bewußtseinsphänomene [...]. (XIV, 103)

An Philosophie scheint also kein Anschluß möglich. Wie aber sieht es mit philosophischen Konzepten aus, die der Freudschen Lehre näher zu stehen scheinen?

Die weitgehenden Übereinstimmungen der Psychoanalyse mit der Philosophie Schopenhauers - er hat nicht nur den Primat der Affektivität und die überragende Bedeutung der Sexualität vertreten, sondern selbst den Mechanismus der Verdrängung gekannt - lassen sich nicht auf meine Bekanntschaft mit seiner Lehre zurückführen. Ich habe Schopenhauer sehr spät im Leben gelesen. Nietzsche, den anderen Philosophen, dessen Ahnungen und Einsichten sich oft in der erstaunlichsten Weise mit den mühsamen Ergebnissen der Psychoanalyse decken, habe ich gerade darum lange gemieden; an der Priorität lag mir ja weniger als an der Erhaltung meiner Unbefangenheit.

Quintessenz: In ihrer "überwiegenden Mehrzahl" (XIV, 103) setzten die Philosophen 'Psyche' gleich 'Bewußtsein'; die wenigen Ausnahmen könnten mit ihren "Ahnungen" nur die "Erhaltung meiner Unbefangenheit" (XIV, 86) gefährden. Nebenbei bemerkt läßt sich die Äußerung Freuds, er habe Nietzsches Schriften "lange gemieden", in Frage stellen. So gelangt Ellenberger zu einer sicherlich richtigen Einschätzung, wenn er meint, es sei nicht nötig gewesen, Nietzsche zu lesen, um von ihm beeinflußt zu sein. Er sei in aller Munde gewesen und in jeder Zeitung oder Zeitschrift diskutiert worden. Worauf es hier ankommt ist aber die folgende Fragestellung:

Wieso kann Philosophie die Unbefangenheit gefährden, wenn dies die Kenntnis anderer wissenschaftlicher Theorien nicht mit sich bringt? Im Gegenteil, letztere scheinen das wissenschaftliche Image zu fördern und wertvolle Hinweise geben zu können. Wieso diese Reserviertheit gegenüber philosophischen Konzepten?

Die Erklärung dürfte auf der Hand liegen: Freud scheute davor zurück, in den Augen "strenger" Wissenschaften selbst als Philosoph der Spekulation oder der Metaphysik verdächtigt zu werden. Dies spürt deutlich, wer nur sein Augenmerk auf die Begriffe legt, mit denen Freud philosophische Darlegungen von der strengen Methodik der Einzelwissenschaften trennt: Ersteren spricht er nicht den Status von Erkenntnissen zu, sondern läßt sie aus schlichter, subjektiv-genialer Intuition hervorgehen, nennt sie "Ahnungen und Einsichten", denen er die "mühsamen Ergebnisse[n] der Psychoanalyse" (XIV, 86) entgegensetzt.

Dennoch war Freud "immer für die Ideen G. Th. Fechners zugänglich" und hat sich gerne seine "Unbefangenheit" dadurch nehmen lassen, denn - so schreibt er in einem Atemzug mit der Abweisung philosophischer Verführungen - er habe sich "auch in wichtigen Punkten an diesen Denker angelehnt." (XIV, 86) So wird nun verständlich, warum schon (oder gerade) Freuds erste Untersuchungen der allgemeinsten Prinzipien des Seelischen zu einer Assimilation an ein naturwissenschaftliches Modell zurückführen. Wo die Philosophie ebenso verdächtig ist wie die Anlehnung an die Naturwissenschaften um des Prestiges Willen von Nöten zu sein scheint, greift man gerne jedes geeignet erscheinende Modell aus den letzteren auf.

 

Es gibt jedoch noch zwei weitere, gewichtigere Gründe, die Freuds Versuch erklären können, sich an den Naturwissenschaften zu orientieren: Freud waren bereits in der Salpêtrière bei Gelegenheit der hypnotischen Experimente Charcots zwei Dinge besonders aufgefallen. Zum einen lernte er die Bedeutung, die der Beobachtung des Patienten zukommt, zu schätzen. Zum anderen spielten sich hier Vorgänge ab, die verrieten, daß es Phänomene der Psyche gab, welche dem Patienten ebenso fremd vorkommen mußten wie dem Arzt. Charcots Experimente warfen ein besonders deutliches Licht auf die sexuellen Zusammenhänge und ließen bereits erahnen, daß diese Phänomene nicht nur für den Kranken galten. Sie schienen für jeden Menschen von Bedeutung zu sein: Für gewöhnlich glaubte man, mit seiner Psyche weitgehend bekannt zu sein, denn die Psyche galt dem Umfang nach als identisch mit dem Bewußtsein. Störungen der Psyche galten vor Freud also als solche des Bewußtseins und seiner Vermögen und schienen daher nur für den Kranken zu gelten, der sich somit grundsätzlich vom Gesunden unterschied. Freud jedoch zog umgekehrte Schlüsse: Wer sich bei der introspektiven Analyse seines eigenen Bewußtseins beschied, merkte nicht, was er bei der Beobachtung Dritter leicht hätte lernen können, nämlich: daß da noch etwas anderes, uns nicht Bewußtes existierte, daß dieses eine große Rolle im Seelenleben spielen mußte und zwar im Seelenleben eines jeden, nicht nur des Kranken.

Daraus ergaben sich für Freud dreierlei Konsequenzen:

(i) Erstens mußte die Beobachtung (der Äußerungen) des Analysanden die Stelle vertreten, die in der Psychologie ansonsten von der Introspektion belegt wurde.

(ii) Zum zweiten mußte die Art und Weise der Beobachtung auf Verstehen respektive Sinnzusammenhänge abzielen und nicht einfach auf die sinnlich-wahrnehmende Erfassung äußerer Ereignisse: Der Analytiker vollzieht nicht zunächst eine sinnliche Beobachtung des Analysanden, um dann eine auf diesen Beobachtungen aufbauende Interpretation des so gewonnenen Materials vorzunehmen. Im Gegenteil, die Beobachtung des Analysanden zielt von Anfang an auf Sinnzusammenhänge ab - sie ist verstehende Beobachtung (oder einfach: Beobachtung von Sinn), was schon daraus hervorgeht, daß es für Freud nahezu ausschließlich um die Interpretation von Äußerungen ("Novellen") geht. Und wenn der Analytiker eine Interpretation vornimmt, auch während der Analysand schweigt, so ist diese Interpretation selbst immer noch Teil der Beobachtung: Denn die Beobachtungen der Psychoanalyse bestehen aus Operationen des sinnhaften Unterscheidens, und an die Stelle rein sinnlicher Wahrnehmung tritt die Beobachtung von Sinnzusammenhängen durch sinnhaftes Unterscheiden von Unterscheidungen. Es geht also um einen Beobachtungsbegriff, der auf Unterscheidungen beruht (und nicht auf sinnlichen Wahrnehmungen), ganz so, wie er im Kapitel über Systemtheorie (1.2) erläutert wurde.

Der Beobachter muß dann bereit sein, sich wirklich überraschen zu lassen und nicht vorschnell vom eigenen, "gesunden" Bewußtsein auf die Mängel und Störungen des "kranken" Bewußtseins zu schließen. Freud gelang es so geradezu umgekehrt, durch die "Merkwürdigkeiten" des Traumes, der Fehlleistungen, des neurotischen Verhaltens und den scheinbar zusammenhangslosen Erzählungen in der freien Assoziation neue Erkenntnisse über die "gesunde" Psyche zu gewinnen.

(iii) Drittens führte das Ernstnehmen der durch verstehende Beobachtung gewonnenen Einsichten zur Sprengung der traditionellen Grenzziehungen der Psyche und des Sinnvollen: Psyche durfte nicht mehr mit Bewußtsein gleichgesetzt werden:

Vielen innerhalb wie ausserhalb der Wissenschaft genügt es anzunehmen, das Bewußtsein sei allein das Psychische und dann bleibt in der Psychologie nichts anderes zu tun, als innerhalb der psychischen Phänomenologie Wahrnehmungen, Gefühle, Denkvorgänge und Willensakte [also die Vermögen, H.W.] zu unterscheiden. Diese bewussten Vorgänge bilden aber nach allgemeiner Übereinstimmung keine lückenlosen, in sich abgeschlossenen Reihen, so dass nichts anderes übrig bliebe als physische oder somatische Begleitvorgänge des Psychischen anzunehmen, denen man eine grössere Vollständigkeit als den psychischen Reihen zugestehen muss, da einige von ihnen bewusste Parallelvorgänge haben, andere aber nicht. [...] das allgemeine Ungenügen an der gebräuchlichen Auffassung des Psychischen hat zur Folge gehabt, dass ein Begriff des Unbewußten immer dringlicher Aufnahme ins psychologische Denken verlangte [...]. Nun scheint es sich in dieser Differenz zwischen der Psychoanalyse und der Philosophie nur um eine gleichgültige Frage der Definition zu handeln, ob man den Namen des Psychischen der einen oder anderen Reihe verleihen soll. In Wirklichkeit ist dieser Schritt höchst bedeutungsvoll geworden. (XVII, 79f.)

Aus den beiden erstgenannten Punkten ergibt sich nun leicht eine Erklärung dafür, inwiefern der Versuch einer Transformation naturwissenschaftlicher Methoden ebenso geeignet wie ungeeignet erscheinen mußte. Die naturwissenschaftliche Methodik schien besonders die erste (i) und die letzte (iii) Forderung erfüllen zu können:

Zum einen war mit ihrer Methodik stets die Beobachtung aufs engste verknüpft. Zum anderen erlaubte ihre Terminologie einen Verzicht auf die ans Bewußtsein geknüpften Begriffe der Vermögenspsychologie sowie in eins damit eine Distanzierung von der in den vermögenspsychologischen Begriffen liegenden Vertrautheit mit der eigenen Psyche. Das zum psychischen System Gehörende, dem Bewußtsein aber Unbekannte, auf das Freud nun sein Augenmerk zu legen sich genötigt sah, schien einigermaßen adäquat in Begriffen etwa der 'Energie', der 'Besetzung' oder der 'Konstanz' etc. sich fassen zu lassen. Solche Begriffe stellten die bei der Annahme eines Unbewußten notwendig gewordene Distanznahme zur eigenen Psyche sozusagen bereits terminologisch oder konnotativ dar, und Freud glaubte dadurch gleichzeitig den Anschluß an ein naturwissenschaftliches Vorgehen gefunden zu haben:

Während man in der Bewusstseins-Psychologie nie über jene lückenhaften, offenbar von anderswo abhängigen Reihen hinauskam, hat die andere Auffassung, das Psychische sei an sich unbewusst, gestattet, die Psychologie zu einer Naturwissenschaft wie jede andere auszugestalten. (XVII, 80)

Inwiefern aber kann man sagen, daß das Paradigma ebenso geeignet wie ungeeignet war?

Es ist schwer zu übersehen, daß die Freudsche Beobachtung eben keine im üblichen Sinn streng naturwissenschaftliche war. Sie war nie eine solche, die sich damit zufrieden geben konnte, "äußere" Ursache-Wirkungs-Verhältnisse aufzuzeigen, sondern sie leistete eine Erklärung der Phänomene stets nur in dem Maße, in dem sie diese Phänomene verstand, das heißt, sie als sinnvolle, sinngesteuerte (Re)Aktionen auf Erlebnisse im Gange der Entwicklung des Individuums betrachtete. Dieser Verstehensaspekt zeigt sich in nichts zu wünschen übrig lassender Deutlichkeit in Freuds Äußerungen über den "Novellenstil" seiner Analysen. Diese Tatsache ließ und mußte eine adäquate Transformation naturwissenschaftlicher Methoden und Theoriebildungen scheitern lassen - nicht aber ohne durch den Versuch dieser Transformation wie gerade durch dieses Scheitern einen Lernprozeß zu fördern, der noch aus dem Mißlingen neue Erfahrungen und Erkenntnisse zog.

 

Warum griff nun Freud aber gerade auf den erwähnten Philosophen Fechner und dessen 'Stabilitätsprinzip' zurück? Es läßt sich wohl postulieren, daß ihm dies erstrebenswert erschien, weil dieses Prinzip die Aufstellung eines Energiemodells zuließ, welches nicht nur durch den Begriff der Energie, sondern auch durch seinen Anklang an die Hauptsätze der physikalischen Thermodynamik - besonders den Satz von der Entropie - eine metaphorische Darstellung eines von der Bewußtseinsphilosophie und der introspektiven Psychologie abgekoppelten, ökonomisch-dynamischen Modells der Psyche zuließ. In Fechners Modell schienen Philosophie und "exakte" Naturwissenschaften eine gelungene, akzeptanzfördernde Synthese einzugehen.

Wie sahen Freuds Vorstellungen von der Anwendung dieses Modells in der Psychologie aus?

Es ist die Absicht dieses Entwurfs, eine naturwissenschaftliche Psychologie zu liefern, d.h. psychische Vorgänge darzustellen als quantitativ bestimmte Zustände aufzeigbarer materieller Teile, und sie damit anschaulich und widerspruchsfrei zu machen.

In dem zitierten Entwurf einer Psychologie, der zu einem von Freuds ersten psychoanalytischen Manuskripten gehört und nur als posthum veröffentlichtes Manuskript vorliegt, spricht Freud eine deutliche Sprache. Er will eine naturwissenschaftliche Psychologie und sich damit ein "wissenschaftliches" Pendant zum "Novellenstil" schaffen. Eben dieser Entwurf lehnt sich ganz offensichtlich an die Sätze der Physik an. So gliedert Freud seine Arbeit nicht nur in zwei "Hauptsätze", sondern bezeichnet deren ersten sogar als "Prinzip der Trägheit". Darunter versteht er

zunächst die Bau-Zweispältigkeit der Neuronen in motorische und sensible, als eine Einrichtung, um die Quantitätsaufnahme durch Abgabe aufzuheben. Die Reflexbewegung ist als feste Form dieser Abgabe jetzt verständlich. [...] Diese Abfuhr stellt die Primärfunktion der Neuronensysteme dar. (Entw., 380f.)

Dieser Satz spielt offensichtlich auf das analog konstruierte Newtonsche Gesetz an. Trägheit meint hier zwar nicht das faktische Verharren eines Körpers oder etwa die Gleichförmigkeit der Bewegung eines Körpers, sofern keine Kraft auf ihn wirkt. Gleichwohl ist der Anklang deutlich: Es wird auf das im Trägheitssatz enthaltene Widerstehen eines Körpers gegen eine Änderung seines Ruhe- oder Bewegungszustandes angespielt. Dann führt nämlich der Versuch einer weiteren Verallgemeinerung und einer Übersetzung in die Neurophysiologie unmittelbar auf ein Prinzip der Stabilität oder Konstanz eines Systems, also auf das Bestreben eines Neurons, seinen Zustand nicht zu ändern. Daher streben sensible Neuronen dieser Freudschen Hypothese nach dazu, ihre "Ladung" direkt über motorisch bedeutsame Neuronen abzuführen. Diese Konstruktion berührt sich mit der bereits erwähnten Idee Fechners, an die sich Freud anlehnen möchte.

 

Der zweite Hauptsatz Freuds bezeichnet als materiellen Ort des Trägheitsprinzips die Neuronen. Er möchte letztendlich mit der Quantitätstheorie die Kenntnis der Neuronen kombinieren, denn

***so erhält man die Vorstellung eines besetzten Neurons (N), das mit gewisser Quantität [...] gefüllt ist, andere Male leer sein kann. Das Trägheitsprinzip findet seinen Ausdruck in der Annahme einer Strömung, die von den Zelleitungen oder -Fortsätzen zum Axenzylinder gerichtet ist. (Entw., 382, Hervorhebungen im Original gesperrt.)

So wird ein "thermischer" Satz mit einem konkreten, materiellen System verknüpft, und damit werden scheinbar Prinzipien der Physik eingeführt.

Es stellt sich die weitere Frage, wie genau diese Konstanz auszulegen ist. Ist sie dem Satz von der Erhaltung der Energie verwandt, oder ist sie eher so zu verstehen, daß ein relativ geschlossenes System nach dem Ausgleich mit der Umwelt strebt und so eine Selbstregulierung herbeiführt? Steht sodann die Konstanz respektive Homöostasie im Vordergrund oder vielmehr der Gedanke einer Abfuhr sämtlicher Reize im Sinne des Zweiten thermodynamischen Grundsatzes, des Satzes von der Entropie, wonach sich ein System energetisch gegen Null, also auf den Wärmetod zubewegt?

Freud spricht sowohl Konstanz im Sinne einer Entropie an, "indem unter Abfuhrwegen solche bevorzugt und erhalten werden, mit denen ein Aufhören des Reizes verbunden ist, Reizflucht", als auch Konstanz im Sinne eines konstanten Niveaus oberhalb von 'Null':

Allein das Trägheitsprinzip wird von Anfang durchbrochen durch ein anderes Verhältnis. Mit der Komplexität des Inneren nimmt das Neuronensystem Reize auf aus dem Körperelement selbst, endogene Reize, die gleichfalls abgeführt werden sollen. [...] Hiemit ist das Neuronensystem gezwungen, die ursprüngliche Tendenz zur Trägheit d.h. zum Niveau = 0 aufzugeben. Es muß sich Vorrat von Quantität gefallen lassen, um den Anforderungen zur spezifischen Aktion zu genügen. In der Art, wie es dies macht, zeigt sich indes die Fortdauer derselben Tendenz modifiziert zum Bestreben, die Quantität [...] wenigstens möglichst niedrig zu halten und sich gegen Steigerung zu wehren, d.h. konstant zu halten. (Entw., 381)

Es handelt sich also um ein relativ geschlossenes System, welches die aus der Umwelt stammenden Reize respektive Energieniveaus im Sinne des Zweiten thermodynamischen Satzes zu minimieren sucht. Auf Grund seiner inneren Komplexität, die endogene Reize erzeugt, ist es dagegen gezwungen, Entropie zur Homöostasie zu modifizieren. Der Zweite thermodynamische Hauptsatz ist dann aber nur noch auf einem Umweg zu erreichen. Entropie wird auf dem Umweg der Konstanz als einer "gemilderten" Entropie erreicht. Ihr völliges Erreichen setzt jetzt nämlich das Ausfallen endogener Reizerzeugung, das heißt den Tod voraus. Dieser Umweg wird in der Erörterung der späteren Konzeption des Konstanzprinzips wieder auftauchen und dann ausführlicher erörtert werden.

Man kann die hier zum Ausdruck gelangende Wendung in Freuds Denken schwerlich überbewerten, denn Freud ebnete sich und anderen damit bereits im letzten Jahrhundert unauffällig den Weg zu einer Theorie nicht nur geschlossener, sondern autopoietischer Systeme: Indem er das System nicht mehr über die Zuführung von Umweltreizen "leben" läßt, sondern sein Entstehen und seine Erhaltung von der systemeigenen (endogenen) Produktion von Reizen abhängig macht, zwingt er die Theorie psychischer Systeme nun unter die neue Fragestellung, wie ein System sich selbst produzieren, das heißt autopoietisch funktionieren kann. Außerdem entscheidet nach dieser Umstellung auf endogene Reizerzeugung der Zustand oder die Struktur des Systems über die Bedeutung der Außenreize für das System. Nur innerhalb des "homöostatischen Apparates" läßt sich ein Reiz als Reiz erfassen, seine Reizstärke und ihre Verarbeitung im System erklären. Auf diese Weise stellt Freud mit der Frage nach dem Funktionieren der Selbstproduktion und der weiteren nach dem Funktionieren einer Selbstbewertung von Umweltreizen durch das System seine Betrachtungen zunehmend von einer Betrachtung der Umwelt auf eine Fokussierung des Systems um, macht die Bedeutung der Umwelt für das System systemrelativ, das heißt vom System selbst abhängig.

Freud hat den Gedanken geschlossener Systeme immer wieder und stets aus wechselnden Perspektiven aufgegriffen und sich wiederholt mit der Frage beschäftigt, wie gerade Geschlossenheit über den Weg der Selbstreferentialität Leben und Erleben ermöglichen könnte. So spekulierte er

***über die Schutzfunktion der Schädelknochen, die zugleich jeden direkten Kontakt zur Umwelt abschneiden. Spezifischer mag der Hinweis sein, daß die Selbstreferentialität des menschlichen Gehirns, die eine Folge seiner partiellen Abgrenzung gegenüber der Umwelt ist, ein überlebensadäquates Handeln optimiert hat. Nur so wurde der Geist frei für all die Planspiele, die ihn in bewußter Abspaltung von den unmittelbaren Gegebenheiten zu seinen Hypothesen, Intuitionen und Theorien führten.

Bislang wurde lediglich das Modell dargestellt sowie dessen Motivierung und Herkommen. Damit verschärft sich indessen die Frage nach dem Grundgedanken des Modells. Die Frage gewinnt an Gewicht, ob Freud nicht die Psychologie zu guter Letzt zugunsten einer Neurophysiologie wieder aufgegeben hat, ob er also den Entwurf einer Psychologie in moderne Neurophysiologie aufgehen lassen wollte.

Es muß betont werden, daß die Studien zur Hysterie in eben dem Jahr erschienen, in dem Freud das oben zitierte Manuskript des Entwurf[s] einer Psychologie niederschrieb. Wie konsequent stand er dann aber zu seiner aus den Studien zur Hysterie bereits zitierten Einsicht, daß Lokaldiagnostik und elektrische Reaktionen bei dem Studium der Hysterie im Gegensatz zur Analyse von Krankengeschichten nicht weit zu führen in der Lage seien?

Vorläufig soll darauf hingewiesen werden, daß eine fortschreitende Lektüre des Entwurfs Stück um Stück die Annäherung an eine "psychologische" Psychologie offenlegt und mehr noch den Eindruck mit sich bringt, das physiologische Modell berühre den Sachverhalt nur mehr peripher und verliere den Schein der Applikation eines physikalischen Modells auf die Psychologie zu Gunsten einer bloßen, wenn auch reizvollen, Analogie - zunächst wohl gegen den bewußten Willen des Autors, der, wie er selbst mitteilte, den Entwurf im Enthusiasmus einer neu gewonnenen Idee nach einem Gespräch mit Fließ bereits im Eisenbahnzug begonnen hatte.

Zur Demonstration der Applikation des Modells auf genuin psychologische Sachverhalte soll hier Freuds Bezugnahme auf sein eigenes Modell im siebten Kapitel der Traumdeutung interpretiert werden. Es wird sich zunehmend zeigen, wie der metaphorische Charakter des Modells die Oberhand gewinnt, zumal die Zuordnung materieller Teile kaum mehr eine Rolle spielt. Nicht jedoch soll hier einseitig behauptet werden, Freuds Modell gehe restlos in einer Metapher auf. Vielmehr dürfte seine Konzeption von einer persönlichen und wissenschaftstheoretischen Ambivalenz getragen und gezeichnet sein, wie bereits die diametral zueinander stehenden, aus dem gleichen Jahr (1895) stammenden Zitate zur Genüge gezeigt haben dürften.

In Anbetracht dieser Ambivalenz erscheint jede einseitige Reklamation - sei es von Seiten der Physiologie, sei es von Seiten genuiner Psychologie - als problematische Reduktion. Auch erschwert eine solche Reduktion ein Verständnis des eigenartigen Changierens der Freudschen Begriffe und Modelle. Gleichermaßen perpetuiert der Versuch, Freuds Psychologie mit nur einem der Modelle zu identifizieren, den Streit um den wissenschaftlichen Status der Psychoanalyse, denn beide Seiten können auf eine ausreichende Zahl an Zitaten und Argumenten zurückgreifen. Dabei dürfte durch eine jeweils einseitige Ignoranz der entscheidende Gewinn verspielt werden, der darin liegen kann, ein Verständnis der Entwicklung der Modelle durch ein Begreifen dessen zu gewinnen, was Freud zu diesem eigentümlichen, widersprüchlichen Changieren veranlaßte. Es gilt, beide Dimensionen aufeinander zu beziehen, statt mit Hilfe der Argumente für jeweils eine Position die andere abzuweisen.

 

Habermas versucht in seinem Werk Erkenntnis und Interesse in dem Kapitel Das szientistische Selbstmißverständnis der Metapsychologie die durch das Energieverteilungsmodell gegebene Anlehnung Freuds an die Naturwissenschaften im Sinne eines "szientistischen Selbstmißverständnisses" zu deuten:

***Freud verfällt, weil er von Anbeginn dem szientistischen Selbstverständnis verhaftet bleibt, einem Objektivismus, der von der Stufe der Selbstreflexion unvermittelt zum zeitgenössischen Positivismus des Machschen Typus zurückkehrt und deshalb eine besonders krude Form annimmt.

Dies sei ein "***methodologische[r] Irrweg". Sicherlich ließe sich zunächst der Vorwurf halten, die eigenartige Widersprüchlichkeit und Unangemessenheit des ersten Freudschen Modells sei Folge eines 'szientistischen Selbstmißverständnisses' und bringe Freud in ein Dilemma:

***Jene Kategorien und Zusammenhänge [die der neuen Disziplin 'Psychoanalyse', H.W.] sind nämlich nicht nur unter bestimmten Bedingungen einer spezifisch geschützten Kommunikation entdeckt worden, sie können unabhängig davon gar nicht expliziert werden.

Dagegen gehalten werden muß aber der Einwand, daß dieser Vorwurf eine entscheidende Fragestellung vor ihrem Fruchtbarwerden abschneidet: Denn die Beurteilung und Erörterung des Freudschen Modells im Sinne eines Selbstmißverständnisses bleibt ausschließlich der Frage verhaftet, welches Modell - ein naturwissenschaftliches oder ein hermeneutisches - das "richtige" wäre. Daneben gestellt werden muß aber die Frage, inwiefern eine konsequente Orientierung am Gegenstand trotz des zunächst als Irrweg erscheinenden Modells stattgefunden hat. Lorenzer ist an einer ähnlichen Fragestellung und Interpretation betreffs des 'Energieverteilungsmodells' interessiert, wenn er feststellt, daß die Habermassche Kritik an diesem Modell zwar berechtigt sei

***als Kritik des 'szientistischen Selbstmißverständnisses der Psychoanalyse'. Für eine Entwertung der metapsychologischen Kategorien taugt sie jedoch nicht - ganz abgesehen davon, daß diese Kritik die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, weshalb ein angeblich sachunangemessenes Kategoriensystem sich dennoch als fähig erwies, die psychoanalytischen Erfahrungen auf einen (wie auch immer mystifizierten) Begriff zu bringen, der Gehalte von unbestreitbarem Erkenntniswert erbrachte.

Daher kommt Lorenzer zu dem Schluß:

***Das Vorgehen der Psychoanalysekritiker, das psychoanalytische Selbstmißverständnis [...] für bare Münze zu nehmen, ist selbst ein Verfall an die psychoanalytischen Begriffsmystifikationen. Dementsprechend fällt jeder Positivismusvorwurf gegen die Psychoanalyse auf Verteidiger wie Kritiker zurück.

Lorenzer zieht an dieser Stelle die Konsequenz aus einer logisch argumentierenden, aber nicht ins Detail gehenden Betrachtung des Freudschen Modells. Im folgenden soll als Pendant zu Lorenzers kritischer Bemerkung des Freudschen Modells eine bei Lorenzer bisher nicht zu findende, detaillierte Erörterung desselben stattfinden. Die grundsätzliche Haltung bezüglich des Energieverteilungsmodells wird hier jedoch mit Lorenzer im wesentlichen geteilt. So fährt Lorenzer prägnant fort:

***Die physikalistische Sprache verführte zwar zu dem Irrtum, der ohnehin in der Richtung der falschen Annahme, Psychoanalyse sei eine 'Naturwissenschaft vom Seelischen', lag. [...] Weil der zentrale Gegenstand der psychoanalytischen Theorie psychische Vorgänge [...] sind [...], läßt sich die Metapsychologie nicht durch die Kategorien einer linguistischen Analyse ersetzen [...]. Die Kritik am biologistisch verdinglichten Szientismus [...] muß vielmehr dessen mystifizierend-verschleiernden Konkretismus in einer zutreffenden Deutung des psychoanalytischen Gegenstandes und des psychoanalytischen Verfahrens auflösen.

Nur wenn die Frage diskutiert wird, inwiefern eine konsequente Orientierung am Gegenstand trotz des zunächst als Irrweg erscheinenden Modells stattgefunden hat, eröffnet sich ein konkretes Verständnis des Modells: ein Verständnis der Gründe, die zu seiner konkreten Ausformung und Modifikation führten sowie ein Verständnis der Ursachen seiner Widersprüchlichkeiten und seines aus dem bloßen Vorwurf eines Selbstmißverständnisses heraus nicht zu erklärenden tatsächlichen Fortschritts, von dem auch Lorenzer sprach. Die Frage nach der konsequenten Orientierung am Gegenstand einer Wissenschaft dürfte mindestens ebenso wichtig sein wie die Frage nach dem "richtigen" Modell oder der "richtigen" Methode. Man mag am "falschen" Modell "richtige" Einsichten gewinnen können, sofern man nicht die wechselseitige Konstitution von Modell, Methode und Gegenstand vergißt. Eine Gefahr, die besonders vom Kritischen Rationalismus, der in einer Selbstüberschätzung seiner Methode diese explizit für einen Garanten der Einheitswissenschaftlichkeit und damit implizit für gegenstandsneutral hält, weitgehend übersehen oder unterschätzt wird. Hält man die Methode für "neutral" gegenüber etwa einem "An sich" des Gegenstandes, so fällt nach und nach jeder Aspekt, der von der Methode gar nicht oder zumindest nicht konsistent erfaßt werden kann, aus der Gegenstandswahrnehmung und -darstellung heraus. Daher muß das Verhältnis von Methode und Gegenstand fortwährend problematisiert bleiben:

***Eine Unterscheidung in an sich gegebene, bestehende, anschauliche Inhalte (Gegenstand) und davon unabhängige, diese theoretisch verarbeitende Begriffe (Methode) kann dann nicht mehr aufrechterhalten werden, oder, anders ausgedrückt, die Phänomene können nicht mehr von den Erklärungsbegriffen getrennt werden. [...] Methode ist damit nicht ein aus dem 'reinen' Denken entwickelter begrifflich-abstrakter Zuschnitt der Phänomene [...]. Es kann daher auch nicht um die Verifikation oder Falsifikation einzelner Sätze und Hypothesen gehen, die zuvor in die logische Form des modus tollens gebracht worden sind. Vielmehr muß die Methode dem ganzen komplexen Gefüge und den organischen Gliederungen des Ganzen nachgehen. Das kann sie nur, indem sie unter Berücksichtigung und im Hinblick auf das Ganze dessen einzelnen Gliedzügen nachgeht, um auf diese Weise zu zeigen, wie das Ganze funktioniert und wie alles mit allem zusammenhängt.

Da durch die beschriebene Problematisierung die Gefahr, den Gegenstand einer Wissenschaft zu verfehlen, gemindert werden kann, gilt es, die Fragestellung zu wechseln: Nicht die Frage nach der "Richtigkeit" (oder der "Falschheit") des Freudschen Modells, sondern die Frage nach der wechselseitige Konstitution von Modell, Methode und Gegenstand hat im Vordergrund zu stehen.

Nach Luhmann sind Theorie und Methode unbedingt zu unterscheiden, denn eine Methode ist nicht widerlegt (falsifiziert), wenn eine dazugehörige Theorie falsifiziert ist: "***Methoden müssen sich zwar in ihren Erzeugnissen bewähren, aber sie stehen und fallen nicht mit einem einzigen Produkt." Einen solchen Schnitt zwischen Theorie und Methode begrifflich zu vollziehen ist möglich,

***wenn man vom kausalwissenschaftlichen Verständnis des Funktionalismus abgeht und die funktionale Methode als vergleichende Methode versteht. Deren Erörterung [...] führt in gewisse Verlegenheiten, denen mit Hilfe des Systembegriffs begegnet werden kann [...]. Trennung und wechselseitige Abhängigkeit von Methode und Theoriekonzept lassen sich auf diese Weise begreifen.

Genau diese problembewußte Haltung gegenüber der wechselseitigen Konstitution von Methode und Gegenstand dürfte ein lange übersehener Vorteil des Freudschen Energieverteilungsmodells sein: Freud befand sich, wie gezeigt, in einem ständigen "Ringen" mit seinen Modellen. Dies zeigt nicht nur das Changieren seiner Begriffe, sondern auch die spätere Konzeption der sogenannten zweiten Metapsychologie, die von Freud selbst in direkter Konkurrenz zur ersten erarbeitet wurde. Freuds Versuch, gewissermaßen "mehrgleisig zu fahren", sowie sein geradezu "experimenteller" Umgang mit seinen Modellen, beugte der Gefahr vor, allzuschnell eine Vorentscheidung darüber zu fällen, welches Modell als das "einzig Wahre" angesehen werden muß. Anstelle der Behauptung eines Alleinanspruchs muß man zunächst

***entscheiden, welche Methode zu welchem Forschungsvorhaben überhaupt paßt, das heißt: welche Methode die Aussicht rechtfertigt, bestimmte Ergebnisse zu erreichen. Außerdem müssen die Methoden, oft unter Verzicht auf Strenge der Anwendung, den konkreten Gegebenheiten der Projekte angepaßt werden. Ebensowenig wie im Falle der Theorie hat die Anwendung eine deduktive Form. Das hat nicht zuletzt die Folge, daß zur methodisch orientierten Forschung Erfahrung erforderlich ist und daß die Spezies der bekennenden Empiriker, die sich mit Problemen der Methodologie befassen, oft gar nicht dazu kommt, empirisch zu forschen.

Von hier aus läßt sich auch das Changieren des Freudschen Vorgehens verstehen, denn "der Fortschritt der Erkenntnis duldet [...] keine Starrheit der Definitionen. Wie das Beispiel der Physik in glänzender Weise lehrt, erfahren auch die in Definitionen festgelegten 'Grundbegriffe' einen stetigen Inhaltswandel." (X, 211) So müssen Methoden "***oft unter Verzicht auf Strenge der Anwendung, den konkreten Gegebenheiten der Projekte angepaßt werden" und "***im Zweifel muß man sich denn auch oft entscheiden, ob man lieber die Regeln der Methodologie verletzt oder lieber auf Resultate verzichtet und nur sieht, daß man sieht, daß man nichts sieht."

Freud war sich dieser epistemologischen Problematik auch und gerade im Hinblick auf seine eigenen Theorien bewußt. Er reflektierte immer wieder grundsätzliche, wissenschaftstheoretische Fragen und wußte sie sehr wohl auf die eigene Theorie zu beziehen: "Wir haben oftmals die Forderung vertreten gehört, daß eine Wissenschaft über klaren und scharf definierten Grundbegriffen aufgebaut sein soll. In Wirklichkeit beginnt keine Wissenschaft mit solchen Definitionen, auch die exaktesten nicht." (X, 210) Einen Zugang zum Gegenstand gewinnt man der Ansicht Freuds entsprechend zunächst am ehesten auf phänomenologischem Wege. Aber Freud sah bereits, daß ein solcher Zugang nie "rein", nie voraussetzungslos geschehen kann:

Der richtige Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit besteht vielmehr in der Beschreibung von Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. Schon bei der Beschreibung kann man es nicht vermeiden, gewisse abstrakte Ideen auf das Material anzuwenden, die man irgendwoher, gewiß nicht aus der neuen Erfahrung allein, herbeiholt. (X, 210)

Doch darin sah er keinerlei Schaden für die Wissenschaften, denn die späteren Grundbegriffe der Wissenschaft

müssen zunächst ein gewisses Maß von Unbestimmtheit an sich tragen; von einer klaren Umzeichnung ihres Inhaltes kann keine Rede sein. Solange sie sich in diesem Zustande befinden, verständigt man sich über ihre Bedeutung durch den wiederholten Hinweis auf das Erfahrungsmaterial, dem sie entnommen scheinen, das aber in Wirklichkeit ihnen unterworfen wird. (X, 210)

Die Wissenschaft ist kein, um mit Rorty zu sprechen, 'Spiegel der Natur' oder ein Basissätze als "Ockhamsche Rasiermesser" verwendendes, immer exakt operierendes System. Die Wissenschaft ist vielmehr ein System, das unter hochkomplexen Bedingungen die gewagtesten Reduktionen riskieren muß, ein System also, das sich immer nur langsam an seine Gegenstände heranzutasten vermag, und dennoch in bestimmten Momenten geradezu revolutionsartig seine etablierten Positionen wieder verläßt. Dieses Herantasten ebenso wie die Theoriedurchdrungenheit jeder Erfahrung sah Freud als einen Weg, den die Wissenschaft beschreitet, dem aber dennoch jede Willkür durch die Zunahme der immanenten Kohärenzanforderungen im Fortschreiten der Erkenntnis zunehmend verloren geht, denn wissenschaftliche Begriffe

haben strenge genommen den Charakter von Konventionen, wobei aber alles darauf ankommt, daß sie doch nicht willkürlich gewählt werden, sondern durch bedeutsame Beziehungen zum empirischen Stoffe bestimmt sind, die man zu erraten vermeint, noch ehe man sie erkennen und nachweisen kann. Erst nach gründlicherer Erforschung des betreffenden Erscheinungsgebietes kann man auch dessen wissenschaftliche Grundbegriffe schärfer erfassen und sie fortschreitend so abändern, daß sie in großem Umfang brauchbar und dabei durchaus widerspruchsfrei werden. Dann mag es auch an der Zeit sein, sie in Definitionen zu bannen. (X, 210f)

Poppers Diktum über Theorien gilt so auch für Methoden und Modelle: Auch Methoden und Modelle müssen sich bewähren und können nicht unabhängig vom jeweiligen Gegenstand der Forschung und (dezisionistisch) mit einem Alleinanspruch versehen festgelegt werden. Sonst kann es leicht vorkommen, daß der Gegenstand sich nunmehr nach dem Modell oder der Methode zu richten hat und dabei beträchtlich verzerrt wird oder gar verloren geht. Eine solche Vorentscheidung birgt darüber hinaus die Gefahr vermeidbarer "blinder Flecken" in der Wahrnehmung und Interpretation des Gegenstandes, denn um der Konsistenz des Modells oder der Methode willen wird der Gegenstand gezwungen, stets nur auf die Fragen zu antworten, die Modell und Methode an ihn richten, die innerhalb des Modells einen Sinn ergeben und methodisch konsistent überprüfbar sind: Methoden (und Modelle) können nicht "***wie Rezepte angewandt werden".

 

Die Frage müßte also in jeder Theorie stets von zwei Seiten gestellt werden: Inwiefern steht das Modell beziehungsweise der Gegenstand im Vordergrund? Und dann erst: Welches Modell scheint einigermaßen adäquat zu sein? Der inzwischen klassisch zu nennende Streit um die "wahre Natur" der Psychoanalyse als Naturwissenschaft versus Geisteswissenschaft, den auch Habermas in Erkenntnis und Interesse wieder aufgegriffen hat, scheint bei aller Wichtigkeit die zweite Frage auf Kosten der ersten zu erörtern.

Ausgehend von der vorhergehenden Erörterung soll daher hier statt der These eines Selbstmißverständnisses die Frage diskutiert werden, inwiefern die Unangemessenheit und Widersprüchlichkeit des Freudschen Modells ihre Erklärung darin findet, daß Freud seinen Gegenstand (das Erleben) nie bereit war für ein Modell zu "opfern", das heißt, einem Modell assimilierend unterzuordnen. Es ergibt sich aus den hier vertretenen Thesen, daß der Eindruck der Unangemessenheit und des Schwankens in der Freudschen Darstellung gerade aus Freuds konsequentem Versuch folgt, Modell und Gegenstand einander anzupassen. Deutlicher: Die Mängel seines an die Naturwissenschaften angelehnten Modells ergaben sich daraus, daß Freud die zu erklärenden Phänomene stets als psychologische, das heißt als zu verstehende, behandelte und ihnen damit - bei aller Ambivalenz und seinem Respekt vor den Naturwissenschaften - den Vorrang vor seinem Modell gab.

In besonderem Maß auffallend ist dabei, daß Freud in seiner Beschreibung der Phänomene stets psychologisch und nicht naturwissenschaftlich orientiert war: Affekte, Triebe und deren Repräsentanten sowie bewußte und unbewußte Vorstellungen standen stets im Vordergrund. Sobald das Energieverteilungsmodell sich von einer adäquaten Erklärung des Gegenstandes der Psychologie entfernte, sobald konkrete Phänomene und Sinnzusammenhänge nicht mehr adäquat in dessen Sprache und Struktur zu bringen waren, riskierte Freud ohne Zögern Inkonsistenzen innerhalb des Modells, versuchte zu modifizieren oder das Modell durch ein neues zu ersetzen. Die Widersprüche und Inkonsistenzen, die dadurch auftraten und ihm bis heute immer wieder vorgeworfen werden, resultierten so betrachtet aus dem konsequenten Versuch, Modell und Gegenstand einander zu assimilieren und nicht eines dem anderen zu opfern. Freud selbst hat diesen Aspekt immer wieder betont:

In der Psychologie können wir nur mit Hilfe von Vergleichungen beschreiben. Das ist nichts Besonderes, es ist auch anderwärts so. Aber wir müssen diese Vergleiche auch immer wieder wechseln, keiner hält uns lange genug aus. (XIV, 222, Hervorhebung H.W.)

Freuds Feststellung zeigt deutlich seine Haltung zur Forschung, in der es nicht darauf ankommt, ein Modell oder eine Theorie mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten und um jeden Preis Widersprüche zu vermeiden. Vielmehr sieht Freud die Notwendigkeit, das Problem der Modellbildung in die konkrete Forschung mit einzubeziehen und Widersprüche als relevante Indikatoren für und als Hinweise auf ein noch nicht ausreichend kohärentes Verhältnis von Modell und Gegenstand ernst zu nehmen. Freud sieht in einer Art "Ausprobieren", das heißt in dem Versuch, mit wechselnden Beschreibungen und Erklärungen, die von unterschiedlichen Perspektiven den Gegenstand auszuleuchten suchen, eine geeignete Reaktion, mit der den angesprochenen Schwächen begegnet werden kann. Es ließe sich sagen: Neben der Erforschung des Gegenstandes steht die Erforschung von Beschreibungsmöglichkeiten. Freuds notorische Neigung zur Spekulation stellt ein Indiz für seinen "experimentellen" Umgang mit Modellen dar. Er interpoliert sozusagen aus seinen Erfahrungen neue Ideen, die für den Augenblick noch nicht als von Erfahrungen ausreichend gedeckt bezeichnet werden können. Er betrachtet dieses Vorgehen als einen "Versuch zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde, wohin dies führen wird." (XIII, 23)

Wie später am Konstanzprinzip demonstriert werden soll, hält er diese Ideen oft über Jahre in Latenz, wenn sie ihm im Augenblick als wenig fruchtbar erscheinen und holt sie wieder hervor, wenn sich unerwartet Erfahrungen einstellen, die mit ihrer Hilfe expliziert werden könnten. Dabei hat er sie keineswegs starr konzipiert. Vielmehr ist er bereit, sie zu modifizieren oder zu verwerfen, wenn - wie im Falle der Wunscherfüllung - Erfahrungen dies erzwingen.

Der Wissenschaftstheoretiker P. Feyerabend sieht diesen Zusammenhang - wenn auch nicht auf Freud bezogen - ähnlich. In seinem Werk mit dem vielsagenden Titel Wider den Methodenzwang bezieht er explizit die Position einer Wissenschaftslehre, in der das, was als Erfahrungen gewonnen wurde, nicht als eine unveränderliche Grundlage angesehen werden. Erfahrungen konstituieren sich nur innerhalb eines Modells, auf das sie stets verweisen (vice versa). Ein Austausch des Modells läßt sich folglich nicht als neue Sicht auf die "alten" Erfahrungen, sondern "***als eine Veränderung der Erfahrung beschreiben [...]."

Ein solches Vorgehen ist selbstverständlich auch für die Naturwissenschaften "ein alter Hut". Insbesondere die Elementarteilchenphysik "experimentiert" mit Beschreibungen etwa in Form der Annahme noch nicht nachgewiesener Teilchen. Allerdings ist die besondere Lage, in der Freud sich befand, dadurch ausgezeichnet, daß seine Forschungen weitestgehend Neuland betraten. Die Folge war, daß sich nicht auf einen probaten Fundus geeigneter Modelle zurückgreifen ließ. Und so erschöpften sich viele Versuche zunächst im Metaphorischen oder in der bloßen Analogie, so daß sich zwangsläufig Inkonsistenzen oder Anomalien ergaben. Ein Rückgriff auf Analogien und Metaphern ist immer gefährlich - wie man am Beispiel des Streits um das Konstanzprinzip sehen kann. Dennoch gibt es gute Gründe, zunächst von ihnen Gebrauch zu machen, denn gerade der Versuch, etwas Neues in die Wissenschaften einzugliedern, bedarf einer Anfangsplausibilität. Und daher nutzt jede Argumentation und noch mehr eine Argumentation auf noch unsicherem Boden, "***eine Gemengelage von schon Bekanntem und Überraschendem. [...] Insofern sind Analogien und Induktionen weder Seinsweisen noch logische Schlüsse, sondern Formen von Argumentation."

###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}Auch die Physik hat sich dies zunutze gemacht und verfährt weiterhin so: Man denke nur an die Einführung der Begriffe 'Kraft', 'Kausalität', aber auch 'Ursache-Wirkung', die ihren anthropomorphen und somit zunächst metaphorischen Charakter nicht verbergen können. Einige Physiker - so der Nobelpreisträger Erwin Schrödinger - sind sich des eigenartigen Charakters des Kausalitätsbegriffs in den Wissenschaften wie im Alltag sehr wohl bewußt. Schrödinger zufolge finden sich versteckte "Reste von Animismus [...] selbst in der Physik bis in die allerjüngste Zeit. [...] Denn wie Mach richtig hervorhebt, haftet ein Rest von Animismus selbst an der abstrakten Idee, die wir durch das Begriffspaar Ursache und Wirkung kennzeichnen." Schrödinger behauptet darüber hinaus sogar eine Verwandtschaft mit dem sonst als völlig verschieden betrachteten Begriff der Finalität, denn der

Begriff ist sichtlich vom Willensakt der Muskelinnervation und dem Druckgefühl abgezogen, das den Akt begleitet, wenn er dazu führt, daß ein Glied unseres Leibes einen anderen Körper in Bewegung setzt oder abbremst. Wir mögen immerhin beteuern, daß wir aus dem physikalischen Begriff der Kraft das Merkmal Absicht, das dem psychophysiologischen Vorbild unzertrennlich anhaftet, fortlassen; es bleibt zweifelhaft, ob uns das ganz gelungen ist, solange wir noch das Ursache-Wirkungs-Verhältnis gleichsam als Platzhalter an die Stelle setzen, die causa efficiens für die causa finalis. Sie bewirkt doch noch immer den Erfolg, sei es auch unbewußt, ohne ihn zu bezwecken. Sie ist Jemand oder Etwas. Denn ein Niemand oder Nichts kann auch nicht einmal bewirken.{{{Endemarkierung}}}

Ein Wissenschaftler muß somit in prekärer Ausgangslage an Vertrautes anschließen, um eine gewisse Plausibilität, die am Vertrauten haftet, für sich gewinnen zu können. Außerdem kann er "***wissenschaftsintern zwar Schwerverständliches anbieten, aber nicht Unverständliches. Auch die Erlaubnis zum Gebrauch von Metaphern (Gleichgewicht ja, Geheimnis nein, Kraft, Bewegung, oben/unten, mehrere 'Ebenen' etc.) hat hier ihre Wurzeln."

Von der Metapher aus kann dann eine Abstraktion ihren Ausgang nehmen, die neue Sichtweisen eröffnet, wobei die Metapher in einem sich mehr und mehr konturierenden Begriff kondensiert. Daher kann

***ein geläufiges Wort, eine (zunächst als solche eingeführte) Metapher, eine Definition [...] als Startmechanismus dienen und behält über den 'anchoring effect' (auch ein Begriff-im-Werden) einen Dauereinfluß auf die Erfahrungen, die der Begriff ermöglicht und anzieht. Aufgrund der dann folgenden Arbeitserfahrungen bekommt der Begriff aber durch Absorption situativer Unterschiede und leichter Anomalien einen nicht mehr definitorisch beschreibbaren Sinn, den nur Kenner richtig und grenzbewußt handhaben können.

 

Zusammenfassend kann bis hierher gesagt werden: Die Motive für die Entscheidung zur Anlehnung an die Naturwissenschaften mögen aus den bereits erörterten und noch im folgenden weiter zu erörternden Zusammenhängen sich ergeben haben und damit in einem gewissen Sinne ein Selbstmißverständnis sein. Die Widersprüche im einzelnen und das eigenartige Changieren Freudscher Begriffe sind jedoch Resultat eines ungewöhnlich konsequenten Beharrens auf möglichst großer Nähe von Modell, Methode und Gegenstand. Diesem Assimilationsversuch mußte jederzeit ein noch so "schönes" Modell geopfert, oder es mußte eine Verletzung der Methode riskiert werden.

Daher gelang es Freud, an einem "falschen" Modell "richtige" Einsichten zu gewinnen, seine Theorie weiter zu entwickeln und sich mehr und mehr der empirischen Erkenntnis aus der analytischen Praxis anzunähern.

Dieses konsequente Beharren auf der Eigenart des Gegenstandes und der Phänomene sowie das daraus zwangsläufig resultierende Inkohärentwerden des Modells, wie auch dessen schrittweise Annäherung an eine psychologische Gegenstandsbildung soll nun an einem Exempel schon innerhalb des frühen Freudschen Modells erläutert werden.

2.1.2.2 Ein physikalisch-psychologisches Wechselspiel

Wir stellen uns also den seelischen Apparat vor als ein zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandteile wir Instanzen oder der Anschaulichkeit zuliebe Systeme heißen wollen. Dann bilden wir die Erwartung, daß diese Systeme vielleicht eine konstante räumliche Orientierung gegeneinander haben, etwa wie die verschiedenen Linsensysteme des Fernrohres hintereinander stehen.

Wie sich im folgenden zeigen wird, wehrte Freud schon früh den hier noch anklingenden Gedanken ab, das von ihm angesprochene 'System' sei ein materielles. Gerade in den und durch die Naturwissenschaften seiner Zeit wurde mit einem 'System' noch allzusehr der Gedanke an etwas Materielles, räumlich Lokalisierbares verbunden. Schon 1891 hatte Freud den Übergang von einer mechanistisch-materiellen zu einer mehr funktionellen Betrachtung gefordert:

***Die physiologisch-anatomische Theorie der zerebralen Lokalisationen, die im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrscht, geht darauf aus, sehr spezialisierte Funktionen oder spezifische Typen von Vorstellungen oder Bildern von streng lokalisierten neurologischen Grundlagen abhängig zu machen. Jene wären dann in einem bestimmten Teil der Hirnrinde wie aufgespeichert. In einem kleinen Buch, das Freud 1891 der damals im Mittelpunkt stehenden Aphasie widmet, kritisiert er eine solche Theorie, die er als topisch bezeichnet. Er zeigt die Grenzen und die Widersprüche der komplizierten anatomischen Schemata auf, die damals von Autoren wie Wernicke und Lichtheim erstellt worden waren, und behauptet, daß die Berücksichtigung topischer Gegebenheiten der Lokalisation durch eine funktionelle Erklärung ergänzt werden müsse.

Freud kehrte folglich der Annahme eines solchen physikalisch-physiologisch lokalisierbaren Gegenstandes (etwa den Neuronen) mehr und mehr den Rücken. Heute würde man hier von einem 'nicht-räumlichen', das heißt einem funktionalen System sprechen. Um Konnotationen an ein räumlich begrenztes System zuvorzukommen, verwendet Freud den Ausdruck "der Anschaulichkeit zuliebe" (s.o.). Freud verfügte zwar von Anfang an über eine Topik. Eine topische Zuordnung oder eine Lokalisation heißt dann aber nur noch, daß ein Prozeß oder eine Struktur einem bestimmten (Teil)System (als dem "Ort des Geschehens") zugerechnet wird, welches selbst nicht räumlich lokalisierbar ist. Die Lokalisation wurde somit von Freud nicht mit einem materiellen Ort verbunden und bedeutete nur noch das, was heute systemtheoretisch als 'fokales System' bezeichnet wird. Das heißt: Die Topik rechnet einen Vorgang oder eine Struktur jeweils einem bestimmten (funktionalen) System zu, das fokussiert wird.

Freud lehnt sich in der Traumdeutung ganz offensichtlich an seine Idee aus dem Entwurf von 1895 an. Er spricht von einem "Apparat", welcher ein "zusammengesetztes Instrument" sei, aus "Systemen" bestehe und dem eventuell eine räumliche Ausdehnung zukomme. Doch "streng genommen brauchen wir die Annahme einer wirklich räumlichen Anordnung der psychischen Systeme nicht zu machen." (II/III, 542.) Hierin zeigt sich in aller Deutlichkeit die Distanzierung von einem "physikalischen" Modell "aufzeigbarer materieller Teile". Zwar gilt die Idee eines Entropie-Konstanzprinzips uneingeschränkt: "Wir hatten uns in die Fiktion eines primitiven psychischen Apparats vertieft, dessen Arbeit durch das Bestreben geregelt wird, Anhäufung von Erregung zu vermeiden und sich möglichst erregungslos zu erhalten." (II/III, 604.) Jedoch wird hier das Entropieprinzip immer weniger in einer physikalischen Sprache formuliert, weshalb an der Stelle des zu erwartenden Terms 'Energie' der der 'Erregung' steht. Das physikalische Modell wird so gezwungen, eine wirkliche Transformation durchzumachen und physikalische Begriffe durch psychologische zu ersetzen.

Diese Transformation leitet eine co-evolutive Metaphorisierung des Modells und seiner Begrifflichkeit ein: Die physikalischen Begriffe erfüllen kaum mehr als die Funktion von Metaphern, die provisorisch Lücken im Modell füllen und einen endgültigen Ersatz durch psychologische Termini erfordern. Verfolgt man das Zitat exemplarisch weiter, so tritt dieser Effekt deutlicher zutage:

Eine solche, von der Unlust ausgehende, auf die Lust zielende Strömung im Apparat heißen wir einen Wunsch; wir haben gesagt, nichts anderes als ein Wunsch sei imstande, den Apparat in Bewegung zu bringen, und der Ablauf der Erregung in ihm werde automatisch durch die Wahrnehmung von Lust und Unlust geregelt. Das erste Wünschen dürfte ein halluzinatorisches Besetzen der Befriedigungserinnerung gewesen sein. Diese Halluzination erwies sich aber, wenn sie nicht bis zur Erschöpfung festgehalten werden sollte, als untüchtig, das Aufhören des Bedürfnisses, also die mit der Befriedigung verbundene Lust, herbeizuführen. (II/III, 604)

Spätestens hier wird der Physiker sein Ohr abwenden. Es muß ihm wie ein schrecklicher "Begriffscocktail" vorkommen, was Freud hier vollführt. Psychologische Begriffe wie 'Lust/Unlust', 'Wunsch', 'Erregung', 'Wahrnehmung', 'Halluzination', 'Bedürfnis' und 'Befriedigung' werden scheinbar ohne jedes Gespür für wissenschaftlich kohärente Konstruktionen "in einen Topf geworfen" mit physikalischen Begriffen wie 'Strömung', 'Apparat', 'Bewegung', 'Ablauf' oder 'Besetzen', ja, "schlimmer" noch, sie werden nach "Lust und Laune" kombiniert, als ob sie Gleiches besagten. So werden 'Lust' (psychologisch) und 'Strömung' (physikalisch) zu einer "auf die Lust zielenden Strömung" und ein 'Wunsch' (psychologisch) bringt den 'Apparat' (physikalisch) in 'Bewegung' (physikalisch). Anstelle einer 'Energiebesetzung' gibt sich nun ein 'halluzinatorisches Besetzen der Befriedigungserinnerung' ein "Stelldichein".

Was dem Physiker aber verständlicherweise ein Graus sein muß, soll hier gerade als Indiz für eine implizite Abwendung von einem im strengen Sinne physikalischen Modell gelten, ein Indiz für die Metaphorisierung einer Theorie als einer "List" wissenschaftlicher Evolution, die im vorliegenden Fall daraus hervorgeht, daß Freud nicht bereit ist, sich allzuweit von seinem Gegenstand zu entfernen: Er sucht die Nähe zum Gegenstand zu wahren, auch wenn dies einstweilen auf Kosten der Kohärenz des Modells gehen sollte. Der Vorteil des Insistierens auf das zunächst scheinbar wenig leistende Modell bei gleichzeitiger Metaphorisierung und Distanzierung durch eine Inkohärenzen bewirkende "Begriffsvermischung" läßt sich besser verstehen, wenn man bedenkt, daß gerade diese Inkohärenzen des Modells sowohl eine die Hypostasierung desselben vermeidende Metaphorisierung zuläßt (wobei freilich das Modell an "Naturwissenschaftlichkeit" einbüßt) als auch - durch die Nähe zu den erklärenden Beobachtermodellen der Naturwissenschaften - erlaubt, von den Selbstverständlichkeiten einer bewußtseinsphilosophisch geprägten, introspektiven Psychologie und Philosophie abzukoppeln. Dieser zweite Aspekt, der das Modell teilweise legitim erscheinen läßt (sofern es eben nicht hypostasiert wird), darf nicht vernachlässigt werden, denn mit dem Alleinanspruch des Bewußtseins ist der Psychoanalyse auch die Möglichkeit introspektiver, bewußtseinsbezogener Selbstvertrautheit sowie die Anlehnung an eine rein über Vermögen oder Assoziationsgesetze argumentierende Psychologie abhanden gekommen.

 

Freud möchte den der introspektiven Philosophie und Psychologie impliziten Standpunkt einer durch schlichte Beschreibung von Bewußtseinsvorgängen suggerierten Vertrautheit mit sich selbst verlassen und zu einer eigenartigen Art von Beobachter werden, der von empirischen Ereignissen (hier: Handlungen und Äußerungen) sich noch wirklich überraschen läßt und nicht schon vorher sagt: "Damit bin ich durch unmittelbare Innenschau vertraut." Denn der Zugang über Introspektion führt dazu, daß das Vertraute (also Bewußte) als das einzig psychisch Existente betrachtet wird und die Phänomene dadurch lediglich noch - von der Einzelperson abstrahierend - kategorisiert und rein formal-vermögenspsychologisch geordnet werden.

Dieses Aufgeben aber eines rein rationalen Zugriffs, der vielleicht intellektuelle, aber keine empirischen Überraschungen kennt, stellt die Einführung einer Grundhaltung der Erfahrungswissenschaften in die letzte "Bastion des Rationalismus" dar: Die Einführung der Skepsis gegenüber einer scheinbaren Kenntnis der Psyche und die Kontrolle von durch eine Selbstauslegung des Bewußtseins gewonnenen Erkenntnissen durch konsequente Applikation derselben auf neues, empirisches Material. Es nimmt daher wenig wunder, wenn Freud in eins mit der Berufung auf Empirie glaubt, in den Methoden der Naturwissenschaften seinen Halt finden zu müssen. Diese geschilderten Gegebenheiten zusammengenommen führten dazu, daß Freud seine "Methoden wie deren theoretische Voraussetzungen neu zu finden" (XVI, 261) und dabei die Ablehnung von seiten der prestigebeladenen Naturwissenschaften zu fürchten hatte.

Die Modifikation der "entropischen" Seite des Modells ist damit bereits näher besprochen. Wie steht es nun mit der "homöostatischen"?

Es wurde so [durch das Versagen der halluzinatorischen Befriedigung im Primärprozeß, H.W.] eine zweite Tätigkeit - in unserer Ausdrucksweise die Tätigkeit eines zweiten Systems - notwendig, welche nicht gestattete, daß die Erinnerungsbesetzung zur Wahrnehmung vordringe und von dort aus die psychischen Kräfte binde, sondern die vom Bedürfnisreiz ausgehende Erregung auf einen Umweg leite, der endlich über die willkürliche Motilität die Außenwelt so verändert, daß die reale Wahrnehmung des Befriedigungsobjekts eintreten kann. (II/III, 604)

Es wäre müßig, die Begriffe aufzuzählen, die der Psychologie entstammen und ihnen die wenigen genuin physikalischen entgegenzusetzen. Sinnvoller dürfte es sein, auf dem Wege der weiteren Darlegung dieses zweiten (homöostatischen) Systems zu zeigen, wie sich Freud in einem so umfangreichen Werk wie es seine Traumdeutung ist - einem Werk, das nahezu ausschließlich von Träumen und anderen psychischen Phänomenen handelt - selbst in einem speziell am Konstanzprinzip orientierten Kapitel keineswegs von einer psychologischen Erklärung löst:

Ich halte nur an der Vorstellung fest, daß die Tätigkeit des ersten Ò-Systems auf freies Abströmen der Erregungsquantitäten gerichtet ist, und daß das zweite System durch die von ihm ausgehenden Besetzungen eine Hemmung dieses Abströmens, eine Verwandlung in ruhende Besetzung, wohl unter Niveauerhöhung, herbeiführt. Ich nehme also an, daß der Ablauf der Erregung unter der Herrschaft des zweiten Systems an ganz andere mechanische Verhältnisse geknüpft wird als unter der Herrschaft des ersten. (II/III, 605, Hervorhebungen im Original gesperrt.)

Diese Verhältnisse sind damit keine mehr der Entropie, sondern der Homöostase, da sie eine "Hemmung dieses Abströmens [...] wohl unter Niveauerhöhung" (s.o.) herbeiführen.

Freud hat im übrigen durchaus anerkannt, daß seine Termini eher der Veranschaulichung dienende Anlehnungen denn wirkliche Übersetzungen in Richtung Physik sind, so wenn er einschränkend hinzufügt: "[...] wer mit diesen Vorstellungen Ernst machen wollte, müßte die physikalischen Analogien heraussuchen und sich einen Weg zur Veranschaulichung des Bewegungsvorgangs bei der Neuronenerregung bahnen." (II/III, 605) "Wer mit diesen Vorstellungen Ernst machen wollte ..." - diese Anspielung zeigt deutlich, daß Freud wußte, daß eine streng naturwissenschaftlich-physikalische Darstellung und Erklärung in seinem Modell nicht stattgefunden hatte. Dazu müßten Freuds "Novellen" durch physikalisch meßbare Daten als Grundlage einer Physiologie ersetzt werden. Dies ist niemals geschehen, und es erscheint bereits an dieser Stelle fraglich, ob die Grundlagen Freudscher Psychologie durch naturwissenschaftliche überhaupt adäquat substituiert werden könnten.

2.1.3 Freuds späte Konzeption des Konstanzprinzips ab 1920

Das Changieren des Begriffes 'Konstanzprinzip' wurde bereits angesprochen. Was wurde in der weiteren Entwicklung aus diesem Modell? Entfernte es sich weiter vom Gegenstand der Psychoanalyse oder näherte es sich diesem zunehmend an? Oder hat Freud es völlig verworfen?

 

Wie bei so vielen anderen frühen Gedanken Freuds - etwa seiner ersten Topik - findet sich auch hinsichtlich des Konstanzprinzips etwas für Freud Charakteristisches: Er verwirft nur Weniges ein für allemal. Manches wird über Jahre nicht mehr erörtert, wirkt obsolet; doch dann taucht es plötzlich wieder auf, oft umakzentuiert oder aber straffer formuliert und mit den inzwischen neu gemachten Erfahrungen und neu gebildeten Modellen verbunden, durch sie beeinflußt. Es scheint fast so, als ob Freud absichtsvoll "alte" Modelle in Latenz hielt, um sie später mit seinen neuen Erkenntnissen zu konfrontieren und so Neues und Altes in wechselseitiger Durchdringung zu reflektieren. So verfuhr er auch im Falle des Konstanzprinzips.

Nachdem das Konstanzprinzip in Freuds Werk fast zwanzig Jahre kaum mehr eine Rolle gespielt hatte - entweder gar nicht oder aber weitgehend unmodifiziert aus der Traumdeutung zitiert wurde -, formuliert Freud 1920 seine frühesten Gedanken in Jenseits des Lustprinzips in einer weit umfassenderen, die inzwischen erkannten Widersprüche oder Ungereimtheiten zwischen älterer und neuerer Theorie erkenntnisfördernd nutzenden Form neu:

In der psychoanalytischen Theorie nehmen wir unbedenklich an, daß der Ablauf der seelischen Vorgänge automatisch durch das Lustprinzip reguliert wird, das heißt, wir glauben, daß er jedesmal durch eine unlustvolle Spannung angeregt wird und dann eine solche Richtung einschlägt, daß sein Endergebnis mit einer Herabsetzung dieser Spannung, also mit einer Vermeidung von Unlust oder Erzeugung von Lust zusammenfällt. (XIII, 3)

Und am gleichen Ort referiert Freud:

Die Tatsachen, die uns veranlaßt haben, an die Herrschaft des Lustprinzips im Seelenleben zu glauben, finden auch ihren Ausdruck in der Annahme, daß es ein Bestreben des seelischen Apparates sei, die in ihm vorhandene Quantität von Erregung möglichst niedrig oder wenigstens konstant zu erhalten. [...] Das Lustprinzip leitet sich aus dem Konstanzprinzip ab; in Wirklichkeit wurde das Konstanzprinzip aus den Tatsachen erschlossen, die uns die Annahme des Lustprinzips aufnötigten. (XIII, 5)

In nuce: Das aus der Physik abgeleitete Konstanzprinzip führte nicht zur Entdeckung des (psychologischen) Lustprinzips, sondern die psychologischen Tatsachen im Zusammenhang mit den Phänomenen des Lustprinzips gaben Anlaß zum Vergleich mit nichtpsychologischen Modellen. Soweit befinden wir uns noch auf dem Boden des Entwurfs von 1895, wobei allerdings die Bedeutung psychologischer Momente immer mehr hervorgehoben wird. Einen Absatz später leitet Freud dann jedoch die neuere Problemstellung mit folgender Feststellung ein:

Dann müssen wir aber sagen, es sei eigentlich unrichtig, von einer Herrschaft des Lustprinzips über den Ablauf der seelischen Prozesse zu reden. Wenn eine solche bestände, müßte die übergroße Mehrheit unserer Seelenvorgänge von Lust begleitet sein oder zur Lust führen, während doch die allgemeinste Erfahrung dieser Folgerung energisch widerspricht. Es kann also nur so sein, daß eine starke Tendenz zum Lustprinzip in der Seele besteht, der sich aber gewisse andere Kräfte oder Verhältnisse widersetzen, so daß der Endausgang nicht immer der Lusttendenz entsprechen kann. (XIII, 5)

Zunächst gesteht Freud zu, daß man nicht genötigt zu sein scheint, darin einen Widerspruch zu sehen. Der Widerspruch verschwindet, wenn man berücksichtigt, daß es sich um "Unlust für das eine System [das Ich, H.W.] und gleichzeitig Befriedigung für das andere [das Es, H.W.]" (XIII, 18) handelt. Diese Beruhigung erfolgt jedoch vorschnell:

Es handelt sich natürlich um die Aktion von Trieben, die zur Befriedigung führen sollten, allein die Erfahrung, daß sie [ein Teil der Kindheitserlebnisse, H.W.] anstatt dessen auch damals nur Unlust brachten, hat nichts gefruchtet. Sie wird trotzdem wiederholt; ein Zwang drängt dazu. (XIII, 20)

Angesichts "solcher Beobachtungen [...] werden wir den Mut zur Annahme finden, daß es im Seelenleben wirklich einen Wiederholungszwang gibt, der sich über das Lustprinzip hinaussetzt." (XIII, 21) Und Freud leitet seine nachfolgenden Überlegungen zum Todestrieb mit den warnenden Worten ein: "Was nun folgt, ist Spekulation [...]. Im weiteren ein Versuch zur konsequenten Ausbeutung einer Idee, aus Neugierde, wohin dies führen wird." (XIII, 23)

Es dürfte sich bereits gezeigt haben, wie Freud sein altes Modell wieder aufnimmt und ebenso, wie er es auf innere Widersprüche respektive auf Widersprüche zwischen der Theorie und dem inzwischen angesammelten empirischen Material hin untersucht. Auch die zunehmende Anwendung psychologischer Termini auf Phänomene der Psychologie, verschränkt mit einem Modell des Spannungsabbaus, das nun nahezu ausschließlich durch den psychologischen Term des 'Lustprinzips' ausgedrückt wird, dürfte sich bereits gezeigt haben. So bedarf es beinahe nur noch der begleitenden Kommentierung ausgesuchter Zitate, um die Aufgabe dieses Kapitels, so wie sie anfangs gestellt wurde, zu einem Ende zu bringen.

Die Widerstände, die den Analysanden an einer bewußten Nachverarbeitung des infantilen Geschehens hindern, werden nun immer bedeutender. Solange sie bestehen, existiert auch der "dämonische" Zwang zur Wiederholung der Ursprungsszene. Kann man beim Kind diese Wiederholung jedoch im Lichte des Lustprinzips erklären, nämlich durch den Versuch, die unbefriedigend gebliebene Situation endlich zu einem befriedigenden Ergebnis zu bringen oder eine passive Haltung aufzugeben, so wird es beim erwachsenen Analysanden klar, daß "der Zwang, die Begebenheiten seiner infantilen Lebensperiode in der Übertragung zu wiederholen, sich in jeder Weise über das Lustprinzip hinaussetzt." Hier drängt sich nun die Grundthese des Aufsatzes Jenseits des Lustprinzips geradezu auf: "Ein Trieb wäre also ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes [...], die Äußerung der Trägheit im organischen Leben."

Freud sieht hier eine Möglichkeit zur Beseitigung der Widersprüche. Diese sollen dahingehend gelöst werden, daß die Befriedigung eines Triebes stets auch die Wiederherstellung eines früheren Zustandes ist, womit verständlich wird, wieso ein Trieb auch auf unbefriedigende, zeitlich zurückliegende Zustände zustrebt. Wenn dies angenommen werden darf, so spielt nicht die direkte Befriedigung konkreter Wünsche die größte Rolle, sondern die indirekte, die im Erreichen einer Situation der Vergangenheit liegt: Die Wunscherfüllung zielt dann nicht auf die unmittelbare Befriedigung eines Wunsches, sondern strebt die Wiederherstellung hier und jetzt nicht unbedingt befriedigender Zustände an.

Die Art und Weise der Analyse sowie deren Termini sprechen eine deutliche Sprache. Zwar wird hier eine Interpolation vom Leben des Individuums auf Phänomene des Lebens im allgemeinen durchgeführt, jedoch bedient sich die Analyse nahezu ausschließlich solcher Begriffe wie 'Trieb', 'Lebensperiode', 'Drang', '(Un)Lust' und 'Befriedigung', so daß der im Entwurf von 1895 anvisierte Versuch einer Assimilation an die Naturwissenschaften bereits in einer reinen Analogie erstickt ist: Der hier behandelte Begriff der Trägheit, der Drang zur Wiederherstellung einer früheren Situation, schließt in keiner Weise mehr direkt an Gegenstände der Physik oder Physiologie respektive an die Analyse materieller, äußerer Objekte der Beobachtung an. Freud behandelt ausschließlich allgemeine Phänomene eines im sinnhaften Erleben sich bildenden Individuums. Die Kompatibilität mit den naturwissenschaftlichen Befunden und Gesetzen, insbesondere der Thermodynamik, wird nur auf indirektem Wege durch den Hinweis auf gewisse Analogien erreicht. Von der Trägheit eines aufzeigbaren materiellen Gegenstandes, etwa eines Neurons, ist nicht einmal mehr die Rede. Die Trägheit betrifft hier gemäß der psychoanalytischen Gegenstandsbildung ausnahmslos sinnhaftes Erleben und das Streben-nach.

Inwiefern die von Freud vertretene spekulative Analogiebildung wissenschaftlich haltbar ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Das vorliegende Kapitel konzentriert sich auf Prozesse der Modell- und Gegenstandsbildung der ersten Freudschen Metapsychologie. Der diesbezügliche Gang der Gedanken, die Ableitung neuer Modelle aus alten, stehen im Vordergrund.

Trotz entscheidender Modifikationen ist eine Ableitung der in Jenseits des Lustprinzips vertretenen Theorie von den Ideen des Entwurfs unübersehbar: Findet sich doch - wie schon angesprochen - sogar der Begriff der 'Trägheit' wieder ein, wenn auch hier nicht mit Begriffen und Bedeutungen aus der Physik verbunden, sondern mit dem Triebbegriff. Dennoch führt diese Anwendung des Trägheitsbegriffs direkt auf einen Gedankengang, der bereits im vorangegangenen Kapitel angeführt wurde. Das dort dargestellte, noch weitgehend "physikalisierte" Modell des Entwurfs ließ einen Umweg der Entropie über Homöostasie erkennen, welcher, auf das Leben zurückübersetzt, das Leben als einen Umweg zum Tod zu erkennen gab. Freuds neue Fassung von 1920 zeigt auch darin ihre Verwandtschaft mit dem alten Modell, jetzt allerdings in rein triebtheoretischer Formulierung, wenn auch zurückführend auf den Begriff lebloser Materie. Freud entwickelt aus dem Trägheitsbegriff die Fiktion von der "ewige[n] Wiederkehr des Gleichen" (XIII, 21) und schließt aus der konservativen Natur der Triebe auf die konservative Natur des Lebenden überhaupt. Freuds Induktion von singulären Beobachtungen auf Triebe im allgemeinen wird spekulativ nochmals gewendet und auf das Wechselspiel lebloser und belebter Materie übertragen. So entsteht der Schluß, der sich bereits in Freuds Entwurf als prinzipiell ableitbar gezeigt hatte: "Das Ziel allen Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende."

Diese Spekulation hat nur noch wenig mit dem physikalischen Modell zu tun, von dem Freud ausging. Freud bestimmt zuletzt die spezifischen Eigenschaften des Belebten und der Triebe:

Die Aufstellung der Selbsterhaltungstriebe, die wir jedem lebenden Wesen zugestehen, steht im merkwürdigem Gegensatz zur Voraussetzung, daß das gesamte Triebleben der Herbeiführung des Todes dient. Die theoretische Bedeutung der Selbsterhaltungs-, Macht- und Geltungstriebe schrumpft, in diesem Licht gesehen, ein; es sind Partialtriebe, dazu bestimmt, den eigenen Todesweg des Organismus zu sichern und andere Möglichkeiten der Rückkehr zum Anorganischen als die immanenten fernzuhalten [...]. Es erübrigt, daß der Organismus nur auf seine Weise sterben will [...].

Insofern scheint "das Lustprinzip [...] geradezu im Dienst der Todestriebe zu stehen [...]." (XIII, 69) Auch hier entdeckt man, neben Anspielungen auf Nietzsche, Einflüsse der 'Lebensphilosophie' insgesamt, wenn man darauf achtet, wie Freud letztlich 'Leben' mit 'Trieb' (oder 'Willen') gleichsetzt.

Mit der Entdeckung philosophischer Einflüsse verschwindet zwar keineswegs die Analogie zwischen naturwissenschaftlichen und (lebens)philosophischen Erkenntnissen - vielmehr gewinnt sie an Kontur. Gleichwohl bleibt dadurch vom naturwissenschaftlichen Modell letztlich nur noch die Analogie, und die Reduktion des Freudschen Konzepts auf seine Anlehnung an die Naturwissenschaften wird problematisch. Es zeigt sich zunehmend ein - wenn auch problematischer - philosophisch-psychologischer Kern des ursprünglich physikalischen Modells. Freud ist der metaphorische Charakter seiner Spekulation nicht gänzlich entgangen. Mehr noch: Er ist sich zugleich darüber im klaren, daß er psychologisch argumentieren muß, daß nur dieses begriffliche Instrumentarium dem Gegenstand wirklich gerecht wird. Ausgerechnet hier, wo Freud sein altes Konstanzprinzip wieder ausdrücklich aufgreift, äußert er sich - so deutlich wie an wenigen Stellen seines umfangreichen Oeuvres - explizit zu der Gefahr, durch ein rein naturwissenschaftliches Modell und eine entsprechende Sprache den Gegenstand zu verfehlen, da nur ein der Psychologie angemessenes Modell in der Lage ist, die Phänomene zu erfassen:

In der Beurteilung unserer Spekulation über die Lebens- und Todestriebe würde es uns wenig stören, daß so viel befremdende und unanschauliche Vorgänge darin vorkommen, wie ein Trieb werde von anderen herausgedrängt, oder er wende sich vom Ich zum Objekt und dergleichen. Dies rührt nur daher, daß wir genötigt sind, mit den wissenschaftlichen Termini, das heißt mit der eigenen Bildersprache der Psychologie (richtig: der Tiefenpsychologie) zu arbeiten. Sonst könnten wir die entsprechenden Vorgänge überhaupt nicht beschreiben, ja, würden sie gar nicht wahrgenommen haben. (XIII, 65, Hervorhebung H.W.)

Es nimmt sich seltsam aus, wenn man diese eindeutigen Worte mit den diametral dazu stehenden, unmittelbar darauffolgenden, vergleicht, in denen Freuds Ambivalenz und seine "Verbeugung" vor den Naturwissenschaften zum Ausdruck gelangt: "Die Mängel unserer Beschreibung würden wahrscheinlich verschwinden, wenn wir anstatt der psychologischen Termini schon die physiologischen oder chemischen einsetzten könnten." (XIII, 65) Doch auch diese Selbstkritik wird sofort wieder relativiert und geschickt zu einem Argument gegen die Freud allzu bekannten Vorwürfe von seiten der Naturwissenschaften gemünzt: "Diese [die physiologischen Termini, H.W.] gehören zwar auch nur einer Bildersprache an, aber einer uns seit längerer Zeit vertrauten und vielleicht auch einfacheren." (XIII, 65)

 

Es sollte sich aus den bereits geleisteten Interpretationen des "physikalischen" Modells ergeben haben, daß die Hypostasierung des Konstanzprinzips, die es "beim Wort nimmt" und damit zu einem mechanistischen Modell abqualifiziert, verdeckt, daß es sich bei der ersten Metapsychologie Freuds - wenn man sie weniger wörtlich nimmt - um ein zweideutiges, aber eben deswegen auch entwicklungsfähiges Konzept handelt, das - so szientistisch es zunächst anmutet - nie seine genuin psychologischen Gehalte tilgt. Somit zeigte sich, um es mit Binswanger zu sagen,

daß es sich hier nicht um einen realen Zusammenhang seelisch-realer Erlebnisse, also überhaupt nicht um das Erlebtwerden oder die Verwirklichung von Erlebnissen handelt, sondern nur um den Sinnzusammenhang [...]. Hier handelt es sich [...] niemals um einen naturgesetzlich geregelten Ablauf organischer Funktionen [...], sondern um 'die Einheit innerlich sich fordernder Momente eines Sinnes' oder 'die Einheit des sich sinngemäss und nach innerer Motivation Gestaltens' (Husserl).

Es sollte jedoch nicht unterschlagen werden, daß der Zusammenhang von Erleben und einer dieses Erleben "beschreibende[n] und zergliedernde[n] Psychologie" à la Freud durch das Energieverteilungsmodell und seine mechanistischen Anleihen zunächst und tendenziell eher verstellt, denn erhellt wird - wie hätte das 'Energieverteilungsmodell' ansonsten eine derart kontroverse Diskussion auslösen können?

 

Überdenkt man nochmals den Vorwurf eines Freudschen 'Selbstmißverständnisses' mit Hilfe des bisher Erörterten, so ergibt sich, daß Habermas in Erkenntnis und Interesse die Konzeption des 'Energieverteilungsmodells' beim Wort nimmt und es damit auf seine "verschleiernden Aspekte" reduziert. Daher bezeichnet er die Konstruktion dieses Modells als das "szientistische Selbstmißverständnis der Metapsychologie".

 

Man kann es wagen, den Kern des von Habermas erhobenen Vorwurfs bereits in diesem frühen Werk (1968) anhand der später erst ausgeführten Theorie des 'kommunikativen' versus 'instrumentellen Handelns' zu explizieren, auch wenn sein 'Modell reinen kommunikativen Handelns' zum Zeitpunkt des Erscheinens von Erkenntnis und Interesse noch nicht ausgearbeitet vorlag. Man müßte dann das Energieverteilungsmodell dem 'instrumentellen Handeln' zurechnen, während die tatsächliche Methode und Praxis der Psychoanalyse aber unter das 'kommunikative Handeln' fiele. Da 'kommunikatives Handeln' für Habermas von gewissen a priori gegebenen Voraussetzungen getragen wird, die sich aus der vorauszusetzenden gegenseitigen Anerkennung mindestens zweier Subjekte als gleichberechtigter Kommunikationspartner ergeben, verdichtet sich der analytische Prozeß für ihn zu einem solchen der Selbstreflexion, und jedes davon abstrahierende Modell verfällt der Verdinglichung.

Im speziellen Fall Freuds, der sich des Momentes der Selbstbeobachtung im analytischen Prozeß bewußt war und es in der Praxis der freien Assoziation verankerte, erscheint dann ein Konstanzprinzip als szientistisches Selbstmißverständnis, da das Subjekt der Analyse getilgt und auf die bloße Mechanik eines selbstgesteuerten Apparates reduziert wird. Dadurch tritt der Psychoanalytiker als Subjekt einem Gegenstand gegenüber, der objektiv-dinghaften Gesetzen unterliegt und so zum Objekt im Sinne eines Dinges wird. Ein solches Objekt, eben weil es ausschließlich objektiven Gesetzen unterliegt, kann nicht mehr gleichzeitig Subjekt sein. Die Gesetzmäßigkeiten, denen es unterliegt, unterwerfen es der Möglichkeit einer 'instrumentellen Verfügung' oder Manipulation:

***[...] die hypnotische Freisetzung des Unbewußten kann, weil sie Bewußtseinsvorgänge nur manipuliert und nicht dem Subjekt selbst überantwortet, die Erinnerungsschranke nicht definitiv durchbrechen. Freud hat die Breuersche Technik verworfen, weil die Analyse kein gesteuerter Naturprozeß, sondern [...] eine Bewegung der Selbstreflexion ist.

Habermas verlagert die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit der Freudschen Theorie auf ein rein äußerliches Verhältnis zwischen physikalisch-instrumentellem Modell und kommunikativer Praxis. Innerhalb des "physikalischen" Modells selbst bleibt für Habermas keine seinen Vorwurf relativierende Ambivalenz oder Mehrdeutigkeit - etwa im Sinne einer Metaphorisierung - zurück. Auch gibt er keinen Hinweis auf die in den vorhergehenden Kapiteln erörterte Problemlage Freuds, die es notwendig erscheinen ließ, sich von der klassischen, introspektiv-vermögenspsychologischen Psychologie oder einer physiologischen Elementenpsychologie à la Wundt zu lösen und ein dynamisches statt statisches Modell zu finden, das die monadische Kategorisierung einzelner Vermögen ebenso entbehrlich macht, wie den Glauben an eine grundsätzliche Selbstvertrautheit des Subjektes sowie die Reduktion der "Seele" auf Bewußtsein. Diese in den vorhergehenden Kapiteln erörterten Aspekte führten zum Verständnis der Motive Freuds, die ihn dazu veranlaßten, von einem 'Apparat' zu sprechen. Ein 'Apparat' setzt kein mit sich selbst vertrautes Bewußtsein zu seiner Kontrolle voraus und läßt im Gegenteil die Betrachtung eines Bewußtseins als funktionales Subsystem eines übergreifenden Gesamtsystems der Psyche zu. Mit einer solchen Betrachtung scheint sich dann die Möglichkeit der Synthese eines szientistischen mit einem tiefenpsychologischen Modell zu ergeben, da beide mit dem Primat eines selbstvertrauten und dem Begriff der Psyche umfangsgleichen Bewußtseins brechen und unterschiedliche Systeme in ihrem funktionalen Wechselspiel betrachten können. Hierdurch, so die Quintessenz der hier vorgetragenen Thesen, kam Freuds eigenartiges Changieren der Begrifflichkeiten zustande. Daher erscheint eine Reduktion des Konstanzprinzips auf instrumentelles Handeln als einseitig. Mit anderen Worten: Die Reduktion des Energieverteilungsmodells auf ein szientistisches Modell unterliegt bereits einem Mißverständnis, da eine solche Vereinfachung die Mehrdeutigkeit und die Leistungsfähigkeit dieses Modells übersieht.

Der hier vertretenen These nach näherte sich die Entwicklung der Freudschen Metapsychologie über den Entwurf von 1895 und die zeitgleichen Studien zur Hysterie über das VII. Kapitel der Traumdeutung (1900), die spätere Schrift mit dem Titel Jenseits des Lustprinzips (1920) und die nachfolgende Theorie vom Ich, Es und Über-Ich in Das Ich und das Es (1923), Stück um Stück dem Versuch einer Psychologie, die sich ihrer mechanistischen Anleihen zunehmend entzieht, nicht ohne Reminiszenzen an die frühe Theorie aufzubewahren. Das sogenannte "szientistische Selbstmißverständnis" entpuppt sich somit als Produkt einer Gratwanderung, die sich nie einseitig szientistischen Modellen und Methoden hingab und eine entwicklungsfähige, stets auch konkret psychologische Konzeption integrierte.

2.2 Der Zusammenhang von Sinn und Erfahrung in der psychoanalytischen Theorie

2.2.1 Vorbemerkung

Bisher wurde immer wieder auf den Zusammenhang der Freudschen Theorie eines homöostatischen Apparates und der ihr inhärierenden Sinnbezogenheit hingewiesen. Deutlicher tritt diese Sinnbezogenheit dann allerdings in Freuds zweiter Metapsychologie von Ich, Es und Über-Ich zutage. Dabei soll auch der Zusammenhang von Sinn und Erfahrung sichtbar werden, und erst dieser Zusammenhang macht eine konkretere Bestimmung des psychoanalytischen Sinnbegriffs möglich.

2.2.2 Renaissance und Revision
Freuds zweite Metapsychologie von 1920 bis 1939

Freud bestimmt 1915 das Konzept einer Metapsychologie in Das Unbewußte wie folgt:

Ich schlage vor, daß es eine metapsychologische Darstellung genannt werden soll, wenn es uns gelingt, einen psychischen Vorgang nach seinen dynamischen, topischen und ökonomischen Beziehungen zu beschreiben [...]. (X, 281, Hervorhebungen im Original fett und gesperrt.)

In seiner Metapsychologie unterscheidet Freud also drei Gesichtspunkte - einen ökonomischen, einen dynamischen und einen topischen -, die miteinander verflochten sind und sich dennoch jeweils unterschiedlichen Dimensionen öffnen.

Unter dem ökonomischen Gesichtspunkt versteht Freud den Versuch, "die Schicksale der Erregungsgrößen zu verfolgen und eine wenigstens relative Schätzung derselben zu gewinnen." (X, 280) Diese Form der Interpretation wurde bereits in den Kapiteln über Freuds frühe und späte Konzeptionen des Konstanzprinzips erläutert. Auf einen kurzen Nenner gebracht besteht die ökonomische Betrachtungsweise "***in der Berücksichtigung der Beweglichkeit der Besetzungen, des Wechsels ihrer Intensität, der Gegensätze, die sich zwischen ihnen herstellen (Begriff der Gegenbesetzung), etc."

Freuds Selbstverständnis führt vielleicht zu dem "Traum" von der technisch-exakten Meßbarkeit derartiger "Energien". Psychologisch gesehen aber entspricht das, was Freud einzig nur möglich war, einer angemessenen ökonomischen Betrachtung: Nämlich die relative Einschätzung der 'Triebstärken' (z. B. eines Wunsches, dessen Bewußtwerdung von den stärkeren Gegenstrebungen des Über-Ich unterbunden wird) und der Veränderung oder Umwandlung dieser 'Triebstärken' (z. B. wenn offensichtlich die Hemmung einer sexuellen Befriedigung in Angst umgewandelt wird). Die 'Energien' (Libido), von denen Freud spricht, lassen sich nicht substantiell bestimmen, sondern ausschließlich durch ihre Wirkungen. Am allerwenigsten aber lassen sie sich im Erfahrungsbereich physikalischer Größen konstituieren, denn die Wirkungen, von denen eben gesprochen wurde, sind seelischer Natur und werden daher von Freud operational als "ein Maß der Arbeitsanforderung, die dem Seelischen [...] auferlegt ist" definiert. Der Erfahrungsbereich des Psychischen wird somit niemals verlassen.

Auch führte Freud den Energiebegriff nicht etwa losgelöst von psychologischen Erfahrungen ein, etwa um eine weitere Annäherung an die Physik herbeizuführen. Im Gegenteil, er griff unmittelbar auf psychologische Erfahrungen zurück, wie etwa auf die narzißtische Neurose, in der einer Ablösung von der Außenwelt ein "***Anwachsen der an intrapsychische Bildungen gehefteten Spannungen korreliert [...]." Oder er verwies auf die Kriegsneurosen, "***bei denen es scheint, daß die Störungen durch einen zu intensiven Schock, ein für die Toleranz des Subjekts exzessives Anfluten von Erregung, hervorgerufen wird [...]."

Mit dieser ökonomischen Betrachtungsweise verbindet Freud einen dynamischen Gesichtspunkt. Ein statisches Modell hat Freud niemals aufgestellt, und somit distanzierte er sich von anderen Konzepten, etwa demjenigen Janets. Dies stellte einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt in der psychologischen Gegenstandsbildung dar, denn wenn unter einem statischen System hier vergröbernd ein solches verstanden sein soll, das Eigenschaften einer individuellen Psyche (meist hereditär) festschreibt und somit psychische Störungen auf gegebene Insuffizienzen zurückführt, dann sprengt ein dynamisches Modell diesen Rahmen und erklärt psychologische Phänomene zu Produkten einer fortwährenden Entwicklung auf der Grundlage des jeweiligen Systemzustandes, seiner Strukturen und den damit verbundenen Operationen, zum Beispiel dem Spiel von Strebungen der Psyche.

Daher versteht Freud unter einem dynamischen Modell die Berücksichtigung von Strebungen, die zum Teil gegeneinander gerichtet oder sogar einander ausschließend sind. Einem Trieb oder Wunsch steht ein anderer gegenüber, der sich mit diesem unter Umständen nicht in Einklang bringen läßt. Beide jedoch drängen auf Erfüllung:

Wir leiten die psychische Spaltung nicht von einer angeborenen Unzulänglichkeit des seelischen Apparates zur Synthese ab [wie Janet dies tat, H.W.], sondern erklären sie dynamisch durch den Konflikt widerstreitender Seelenkräfte, erkennen in ihr das Ergebnis eines aktiven Sträubens der beiden psychischen Gruppierungen gegeneinander. (VIII, 23)

Dies ist noch eine Simplifizierung der Sachverhalte, die Freud analysiert: Die Tatsache, daß er nicht nur zwei oder auch mehrere Strebungen in ihrer Beziehung zueinander zu analysieren in der Lage ist, sondern darüber hinaus auch die Struktureffekte derartiger Prozesse in den jeweiligen Teilsystemen, mehr noch, sogar das Wechselspiel der Teilsysteme untereinander, das sich wiederum daraus ergibt - all das zeigt, mit welcher Komplexität die Psychoanalyse in ihren Modellen aufzuwarten hat.

 

Dieser ökonomischen und dynamischen Betrachtungsweise gegenüber, dennoch aber mit ihr vermittelt, steht Freuds Topik. Sie läßt sich zunächst einmal in eine sogenannte frühe oder erste Topik (die vom Bw, Vbw, Ubw) und eine späte (ab 1920), sogenannte zweite Topik (die von Ich, Es und Über-Ich) einteilen. Beide können weder von der bereits erörterten Ökonomie, noch von dem dynamischen Modell losgelöst betrachtet werden.

Die Topik läßt sich am ehesten dadurch charakterisieren, daß Freud hier die Theorie eines psychischen Systems entwirft, welches sich in Teilsysteme differenziert hat. Die Zurechnung einer Strebung, einer Struktur oder eines Prozesses auf eines dieser Teilsysteme nennt Freud 'Lokalisation', das fokale Teilsystem den 'Ort'.

Das besondere daran ist, daß den "Orten", auf die die Bezeichnung 'Topik' hinzuweisen scheint, keine anatomische Realisation entspricht, das heißt, sie sind nicht als räumlich-reale Orte anzusehen. Eine anatomische Realisation dieser "Orte" (Teilsysteme) ist zumindest irrelevant für die psychologische Forschung, da sie Gegenstand der Anatomie oder der Neurophysiologie und nicht der Psychologie wäre, aber vor allem, weil die Systeme funktional bestimmt werden: Ihre Einheit und Grenze finden sie nicht in materiell oder räumlich bestimmbaren Gehirnregionen oder sonstigen räumlich-anatomischen oder neurophysiologischen Bestimmungen, sondern in der jeweiligen Einheitlichkeit ihrer dynamischen Funktion(sweise) im Haushalt der Psyche respektive der Abgrenzbarkeit dieser Funktion(sweise) gegenüber der Funktion(sweise) anderer Teilsysteme. Freud zeigte explizit

***die Grenzen und die Widersprüche der komplizierten anatomischen Schemata auf [...] und behauptet, daß die Berücksichtigung topischer Gegebenheiten der Lokalisation [hier: im anatomischen Sinne, H.W.] durch eine funktionelle Erklärung ergänzt werden müsse.

Aus diesem Grunde erklärt Freud in der Traumdeutung:

Wir weichen jedem Mißbrauch dieser Darstellungsweise aus, wenn wir uns erinnern, daß Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im allgemeinen überhaupt nicht in organischen Elementen des Nervensystems lokalisiert werden dürfen [...]. (II/III, 615f.)

Die Topik stellt sich somit im Kern die Aufgabe, Funktionen und Prozesse (zum Beispiel die 'Realitätsprüfung', die 'Zensur', die 'Triebkraft') jeweils einem bestimmten System zuzurechnen oder - was bei Freud gleiches bedeutet - "in" jeweils einem System zu lokalisieren, denn "***in dem Maße, in dem der psychische Apparat aus verschiedenen Systemen gebildet wird, muß diese Differenzierung eine funktionelle Bedeutung haben." Lokalisation meint also nicht die Lokalisation von Systemen, sondern die Lokalisation von Prozessen und Strukturen als einem bestimmten System zugehörend.

Der eigentliche Wert der Topik zeigt sich jedoch erst bei dem Versuch, Interdependenzen und Entwicklungsbeziehungen zwischen den einzelnen Teilsystemen herzustellen. Auf diese Weise verbinden sich ökonomische und dynamische Aspekte mit topischen. So gelingt es Freud, eine Theorie der Entwicklung des psychischen Apparates zu entwerfen, bei dem sich die Teilsysteme in einem dynamischen Prozeß jeweils aus dem psychischen System ausdifferenzieren. Bei dieser Ausdifferenzierung gewinnen diese Teilsysteme auf Grund ihrer Geschlossenheit eine Eigendynamik, die dazu führt, daß die Teilsysteme füreinander jeweils die Umwelt bilden: Es und Über-Ich gehören nicht zum Ich, sondern zu dessen Umwelt (vice versa). Eine "äußere" Umwelt (= Realität) ist dabei nur für das Ich gegeben, sofern dieses Ich diese Außenwelt selbstreferentiell mit Hilfe seiner Funktion der Realitätsprüfung ausdifferenziert und damit konstruiert. Laplanche und Pontalis erläutern die Freudsche Theorie einer vom 'Ich' geleisteten selbstreferentiellen Ausdifferenzierung der "Außenwelt" mitsamt der Einbindung empiristischer Reminiszenzen:

***Es scheint, daß [...] zwei verschiedene Auffassungen darüber bestehen, wie eine Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und von innen kommender Vorstellung möglich ist. Einerseits ist es nach einer ökonomischen Auffassung eine unterschiedliche Verteilung der Besetzung zwischen den Systemen, die den Unterschied zwischen dem Traum und dem Wachzustand erklärt; andererseits erfolgt diese Unterscheidung nach einer mehr empiristischen Auffassung durch eine Erkundung der Umwelt mit Hilfe der Motorik. [...] Die Realitätsprüfung wird als eine 'besondere Vorrichtung' definiert, die erst erforderlich wird, nachdem sich für die inneren Vorgänge einmal die Möglichkeit ergeben hat, das Bewußtsein anders als durch die quantitativen Variationen von Lust und Unlust zu informieren.

Wie man sieht, hat Freud sich zwei Wege offen gehalten. Seine Theorie ermöglicht aber auch (und vielleicht gerade) nach der "mehr empiristischen Auffassung" (s.o.) die Möglichkeit, die Psyche als selbstreferentiell-geschlossenes System anzusehen und damit die Realität als Produkt interner Konstruktionen zu charakterisieren. Die Übertragungsmetapher, nach der von der Umwelt Daten, Impulse, Reize oder ähnliches ins System übertragen werden, kann hier nicht mehr länger greifen. Vielmehr entsteht eine sogenannte "äußere Realität" dadurch, daß das 'Ich' selbstproduzierte Vorstellungen jeweils entweder dem System selbst oder eben der "Realität" zurechnet. Die Steuerung eines solchen selbstreferentiellen Zurechnungsprozesses - wie sie Freud schon 1925 in Die Verneinung beschrieb - läuft über die als Realitätsprüfung bezeichnete Funktion des 'Ich'. Freud charakterisierte die "***Realitätsprüfung als Grundlage der Urteilsfunktion (die zugesteht oder bestreitet, daß eine Vorstellung der Realität entspricht)."

Eine Ausarbeitung dieses operativen Ansatzes hätte zu einem - zu Freuds Zeiten - ungewöhnlich fortschrittlichen Modell geführt, demzufolge die Beobachtung und Beschreibung einer "äußeren" Umwelt innerhalb eines selbstreferentiell und geschlossen arbeitenden psychischen Systems dadurch zustande kommt, daß das Ich mit Hilfe einer "Urteilsfunktion" (das heißt: der Realitätsprüfung) bestimmte Erlebnisse als realitätsbezogen diskriminiert, indem es sie nach selbstgeschaffenen Kriterien als Wahrnehmungen ausdifferenziert (respektive "beurteilt") und als aus der Realität stammend seiner Umwelt zurechnet. Dann aber kann man diese Umwelt nicht als objektiv gegeben und als in einem Input-Output-Verhältnis zum System stehend betrachten. Vielmehr wird die Umwelt vom System durch seine Fähigkeit, entsprechend interner Kriterien zu diskriminieren, überhaupt erst erzeugt: Der Vorgang der Zurechnung von Erlebnissen (über ihre Verarbeitung als 'Wahrnehmung') auf Ereignisse in der Umwelt ist dann gleichursprünglich mit der Erzeugung einer Umwelt (hier: Realität). Das psychische System bezieht sich also Freud zufolge nicht in einem ersten Schritt auf eine vorgegebene oder "fertige" Umwelt, aus der es Reize aufnimmt und zu Erlebnissen formt. Vielmehr erzeugt das System diese äußere Umwelt im Prozeß der Zurechnung selbstproduzierter Erlebnisse auf eine Umwelt als Auslöser der Erlebnisse. Daher ist die Umwelt immer auch zugleich schon inhaltlich bestimmt, da sie für das System erst existiert, wenn ihr ein konkretes Erlebnis als wahrgenommenes Ereignis zugerechnet wird.

 

Das alles mag hier noch "hingeworfen" erscheinen. Daher sollen sich die nun folgenden Kapitel ausführlicher mit den bis hierhin angerissenen Thesen beschäftigen. Im Kapitel mit dem Titel Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken (2.2.2.1) soll anhand der Kleistschen Konzeption assoziativer "Gedankenverfertigung" gezeigt werden, wie Sinn aus einem umfassenden Horizont des Erlebens ausdifferenziert und produziert wird. Im darauffolgenden Kapitel mit dem Titel Sinn und Intentionalität (2.2.2.2) erfolgt dann eine Analyse des Zusammenspiels bewußter und unbewußter Strebungen der Psyche.

2.2.2.1 Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden

Kleist möchte den Prozeß des Denkens von den Schranken voreiliger Auslese und formaler Regeln befreien, um das Denken beziehungsweise das Erleben einem möglichst großen Reservoir von Einflüssen zu öffnen. Hierbei wird diese Vielzahl von Einflüssen und der ungehemmte Gedankenfluß also nicht als Störung empfunden, sondern als unerschöpfliche Potenz. Gedanken entstehen, wie sich zeigen sollte, nach Kleist ganz wie bei Freud aus dem unmittelbaren Zusammenhang von Strebungen des "Gemütes" und nicht allein durch das Denken und dessen kognitive Leistungen. Ausgehend von der eindrucksvollen, essayistisch angelegten Kleistschen Konzeption, sollte ein erster Eindruck der Freudschen Konzeption von Sinn und Erleben zu gewinnen sein.

Bei Kleist hat sich das Hervorbringen der Gedanken als echter Verfertigungsprozeß erwiesen. Der gesamte Erlebensprozeß übergreift und steuert den Prozeß des Denkens und bleibt ihm somit nicht äußerlich. Ja mehr noch: Denken (Verstand), Wahrnehmen (Sinnlichkeit) und die Affekte (Wille) stellen sich nicht als interdependente, gesonderte Vermögen dar. Vielmehr erwachsen die Gedanken zunächst aus einem "Wollen", aus einem "Interesse". Nietzsche war es, der diesen Gedanken konsequent zu Ende dachte (und letztlich seine Theorie des 'Willens zur Macht' daraus ableitete): "***Man muß ihnen [den Instinkten, H.W.] und auch der Vernunft zum Recht verhelfen - man muß den Instinkten folgen, aber die Vernunft überreden, ihnen dabei mit guten Gründen nachzuhelfen."

Im Kleistschen Essay wird die Vernunft, wenn man so sagen darf, als Resultat der Selbstreferenz des Willens gedeutet: Der Wille modifiziert sich selbst, indem er eine seinen Zielen dienende 'Selbstrationalisierung' durchführt. Dieser Gedanke kommt dem Gedanken Freuds sehr nahe, insofern Freud die Genese des 'Ich' als eines Abkömmlings des 'Es' entwicklungspsychologisch durch Aufschub der Triebbefriedigung zu fassen suchte: ###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}Die Vernunft ist der Umweg (Befriedigungsaufschub, hier: erst denken, dann handeln), den das 'Es' auf dem Wege seiner Triebbefriedigung auf sich nimmt, um desto sicherer zu seinem Ziel zu gelangen, ***denn, so Nietzsche, "Denken ist nur ein Verhalten dieser Triebe zueinander [...]."{{{Kontrollende!!!}}}

Die Selbstreferenz des Willens ließe sich ebenso gewagt wie vereinfachend in folgender Weise umreißen: Der Wille will erst später wollen - und hat so Zeit zum Nachdenken gewonnen. Damit wird die Vermögenspsychologie weitgehend verabschiedet und die vom 'Gemüt' hervorgebrachten Gedanken können somit weder als bloße Neuordnung (Rekombination) oder logische Umstrukturierung eines vorhandenen Wissens, noch als umweltgesteuerte Datenaufnahme oder milieubedingte Konstruktion einer Einheit aus unbestimmten Perturbationen angesehen werden. Kleist faßt im Gegensatz dazu Denkprozesse jeder Art (Ideen, Einfälle, Erinnerungen, Überlegungen etc.) als Produkte der aktuellen Strebungen (Wünsche, Befürchtungen etc.) des "Gemüts" (des Erlebens) auf. Jede Strebung als einzelne stellt dabei immer schon eine Einheit dar. Das Erleben besteht jedoch aus einer Vielzahl solcher Strebungen, die teilweise gegeneinander gerichtet sind oder gar einander ausschließen. In jedem Falle aber sind sie sowohl für die Entstehung als auch für die Hemmung des Denkens maßgeblich.

Kleist erläutert und begründet seine Theorie, indem er sie an einem für jedermann leicht nachvollziehbaren praktischen Beispiel veranschaulicht: Der gedanklichen Abfassung von Reden und Schriften. Er demonstriert, daß die Produktion von Gedanken in hohem Maße von der Art und Weise des Erlebens der jeweiligen Situation mitbestimmt wird. Das heißt, daß das "subjektive" Erleben der jeweiligen Situation maßgeblich die Bildung von Gedanken mitbeeinflußt.

Die Differenz, auf die es hier ankommt, ist die von "objektiver" und "subjektiver" Situation: Kleist hat dementsprechend bei all dem nicht den Gedanken einer direkten Beeinflussung durch "äußere" Umstände im Sinn, sondern eine Beeinflussung der Denkvorgänge durch die Situation, so wie sie gerade erlebt wird. Er versteht mithin unter Situation so etwas wie das, was man gemeinhin und von allen Inhalten abstrahierend als "Stimmung" oder "Gemütsverfassung" bezeichnet: Die psychisch-erlebensmäßige Situation ist es, auf die er abzielt. Inhaltlich mag diese Situation sehr unterschiedlich bestimmt sein: als Angeregtheit, die durch die angenehme Gegenwart einer bestimmten Person hervorgerufen und durch deren aufmerksames Zuhören verstärkt wird etc. Doch die angenehme Gegenwart einer bestimmten Person meint nicht ihre "objektive" Gegenwart und schon gar nicht ihre "objektive" Eigenschaft, "angenehm" zu sein. Demgegenüber ist einzig das "subjektive" Erleben der Anwesenheit der Person und des Angenehmen gemeint. Diese Differenz darf niemals übersehen werden, sonst steht am Ende das Gegenteil von dem, was Kleist herausarbeiten möchte: Statt der "Strebungen" würden nun wieder "objektive", "äußere" Umstände die Situation bestimmen, so als würden diese Umstände vom Erleben wie von einer Kamera aufgenommen und in der Psyche abgebildet: "***Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu Sprechen", so rät Kleist in seiner kleinen Schrift. Der Kern seines Gedankens läßt sich dahingehend beschreiben, daß ein Gedanke bloß ein "hervorspringendes" Detail eines übergeordneten Ganzen darstellt. Für Kleist steht ein jeder Gedanke sozusagen stellvertretend für ein Umfassenderes - ein zum Ausdruck gelangendes Erleben, Streben, Wollen, wofür er den Begriff "Erregung" ansetzt. So hält er eine "***Erregung seines [des Redners, H.W.] Gemütes" für unabdinglich. Indem eine Strebung, die sich in Form einer Vorstellung respektive eines Gedankens niederschlägt, ins Bewußtsein tritt und damit ihren Ausdruck findet, stellt sie einen Ausschnitt aus einem umfassenderen Streben dar und treibt den Prozeß des Produzierens fort. Die Vorstellung zeigt sich somit als Resultat eines umgreifenden Verfertigungsprozesses, der nur zum Teil mit Bewußtsein stattfindet - nicht aber dort alleine vollbracht wird.

Hört man den Rat Kleists, mit jemandem über etwas, das man nicht weiß, zu sprechen, um es zu erfahren, und bedenkt man noch, daß Kleist es nicht so meint, "***als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen," so fällt auf Anhieb eine Analogie zur Psychoanalyse auf. Auch in der Psychoanalyse wird der Analytiker nicht als ein um das Gesuchte bereits Wissender befragt, sondern der Analytiker hilft dem Analysanden lediglich dabei, über seine eigene Psyche einiges zu erfahren, was er bisher nicht wußte.

In dem Maße, in dem das psychische System hier immer nur auf sein eigenes Erleben Bezug zu nehmen gezwungen wird, wird der Gedanke einer Betrachtung der Psyche als eines geschlossenen und selbstreferentiellen psychischen Systems vorweggenommen: Die Geschichte, die es zu erzählen gilt, die "Ursachen" der Symptome, den differenzierten Verlauf eines individuellen Ödipuskomplexes, das erlebte Trauma etc. "kennt" niemand und kann niemand "kennen" - außer dem psychischen System des Analysanden selbst.

Kleist legt großen Nachdruck darauf, eine "Szenerie" zu schaffen, die die Gedanken weitertreibt und er glaubt, dieser szenische Aspekt sei nicht bloßes Beiwerk, sondern übe einen "Reiz" aus, der eine fruchtbare Assoziationskette in Gang setze. Er beschreibt beinahe die typische "Szenerie", in der sich die Psychoanalyse abspielt:

***Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt, und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde. Nicht, als ob sie es mir, im eigentlichen Sinne sagte; [...]. Auch nicht, als ob sie mich durch geschickte Fragen auf den Punkt hinführte, auf welchen es ankommt, wenn schon dies letzte häufig der Fall sein mag. Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis, zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig ist.

Freilich ist hier nicht die Rede von der Entdeckung unbewußter Vorstellungen im psychoanalytischen Sinne. Dennoch aber entstehen deutliche Parallelen: "***Der Moment, den ich meine, in dem eine Idee aus der unbewußten Assimilation auftaucht und bewußt erfaßt wird, ist nicht der Moment seiner Entstehung. Das ist immer früher, oft viel früher." Die Hilfestellung, die der Analytiker dem Analysanden gibt, mag weitreichender und durch die psychoanalytische Ausbildung effektiver sein als das "geschickte[] Fragen" von Kleists Schwester. Aber wesentliche Merkmale sind sich sehr ähnlich. So spielt hier "das Gemüt" (s.o.) des Sprechers (Analysanden) eine entscheidende Rolle, da dessen Emotionalität und der Wunsch, gesund zu werden, dazu drängen, "dem Anfang nun auch ein Ende zu finden" (s.o.). Kleist weist mit dieser "Anleitung" eine scharfe Dichotomisierung von Denken und Emotionalität zurück. Er stellt die Untrennbarkeit beider in den Vordergrund und sieht sie als für das Bewußtsein konstitutiv an, wodurch eine Aufteilung in einzelne Vermögen vermieden wird.

Es ist nicht gleichgültig, in welcher seelischen Situation ein Denkprozeß abläuft. Gedanken sind nicht emotionslos oder bringen nur Emotionen hervor. Sie sind selbst emotionsgeladen, drängen selbst zu einem "Ende" (s.o.):

***Ich glaube, daß mancher große Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er reden würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf ein gutes Glück hin, zu setzen. [...] Ein solches Reden ist ein wahrhaftes lautes Denken. Die Reihen der Vorstellungen und ihrer Bezeichnungen gehen neben einander fort, und die Gemütsakten für eins und das andere, kongruieren.

Der emotionale Aspekt des Denkens und Redens macht für Kleist eine Verfertigung von Gedanken und damit eine Rede überhaupt erst möglich. Auch hier bricht er in Ansätzen bereits mit einer Vermögenspsychologie, was Freud konsequent weiterführt. Dieses Abrücken von der Vermögenspsychologie expliziert Kleist am Beispiel der Probleme derer, deren "***Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig ist." Wenn diese ihre bereits fertige Rede beginnen, so schlägt der "***plötzliche Geschäftswechsel, der Übergang ihres Geistes vom Denken zum Ausdrücken [...] die ganze Erregung desselben, die zur Festhaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen, erforderlich war, wieder nieder."

So ist auch die Funktion des Analytikers nicht die des Lehrers oder Aufklärers, der schon alles weiß. Innerhalb der Analyse wird mit anderen Mitteln denn mit der Anwendung metapsychologischer Konzepte, messerscharfer Logik und erlerntem Wissen gearbeitet:

***Der Student sei vor schlechten Lehrern gewarnt, die meinen, er solle das vom Patienten angebotene Material von Anfang an nur mit bewußt theoretischer Kenntnis bearbeiten. Diese Form des Vorgehens führt den Analytiker auf einen falschen Weg. Mehr als theoretischem Wissen sollte der Analytiker seinen Empfindungen vertrauen [...].

Und eine "***logische Untersuchung des Geschehens kann und sollte manchmal hinterher versucht werden, aber nicht während des Vorgangs [der Analyse, H.W.]." Der Analytiker hat also vielmehr eine emotionale Situation zu produzieren, die zur Bewußtwerdung verhelfen soll, und er setzt seine Erfahrung und Empathie ein, um diesen Prozeß zu fördern. Beide Momente sind dabei supplementär. Seine ganze Wissenschaft als abstrakte Theorie wird dabei in den Hintergrund gestellt, spielt neben situativem Aspekt, Erfahrung und Empathie in der Analyse selbst eine untergeordnete Rolle: "***Die analytische Antwort ist somit die gefühlsmäßige und intellektuelle Erwiderung auf das Reden, das Verhalten und die Erscheinung des Patienten und schließt das Bewußtsein der inneren Stimmen des Analytikers mit ein."

Reik betont mithin den Aspekt des Verstehens von Sinn, welcher nicht in der Applikation abstrakter Gesetze bestehen kann. Wenn er als Hermeneutiker von 'Empathie', einer 'gefühlsmäßigen Erwiderung' oder einer 'inneren Stimme' spricht, so möchte er dabei letztlich nur betonen, daß Verstehen nicht in der Übertragung von Sinn von einem Individuum auf ein anderes bestehen kann. Vielmehr muß dieser Sinn im Analytiker selbst in der Interaktion mit dem Analysanden erzeugt werden. Darauf folgend wird dieser Sinn "probeweise" dem Analysanden zugerechnet und ihm mitgeteilt.

Der verstandene Sinn stellt zwar die Interpretation konkreten, empirischen Materials durch den Analytiker dar. Genetisch geht er allerdings nicht aus der Zuweisung eines Signifikats zu einem Signifikanten hervor, sondern aus einem komplexen Verweisungszusammenhang im Erleben des Analytikers, welcher Verweisungszusammenhang sich aus dem Bezug einer großen Zahl bereits verstandener Erlebnisschilderungen zum jeweils eigenen Erleben ergibt. Mehr noch: auch Lücken in der Erinnerung, Ausgelassenes, Verschwiegenes, geschickt Umgangenes konturiert sich als Differenz und kann so "zwischen den Zeilen" herausgelesen werden.

Der Erfahrungsbegriff der Psychoanalyse ist mithin nicht nur peripher mit Sinn verbunden. Im Gegenteil, alle Erfahrungen der Analyse sind Erfahrungen über Sinnzusammenhänge.

Da es sich in der Psychoanalyse immer um im Feld der Empirie herausgearbeiteten Sinn handelt, kann jede Interpretation immer nur vorläufige Gültigkeit besitzen und darüber hinaus als Katalysator der autopoietischen Produktion neuen Materials von seiten des Analysanden dienen. 'Gefühl' und 'Empathie' drücken für die hermeneutische Position in etwa das aus, was in systemtheoretischer Formulierung dadurch beschrieben würde, daß Sinn jeweils in dem Verweisungshorizont des Analytikers und des Analysanden selbständig aufgebaut wird: Der Psychoanalytiker kann nicht durch eine Übermittlung den Sinn des vom Analysanden Produzierten "aufnehmen"; er muß ihn in seinem eigenen Erleben produzieren. Die Chance dazu entsteht aus der über einen langen Zeitraum fortgesetzten Rapportsituation und der die Interaktion gezielt auf das Erleben des Analysanden beschränkenden Situation des psychoanalytischen Settings. Es kommt zu einer Interpenetration zwischen Analysand und Analytiker, die dem Analytiker und dem Analysanden beim Aufbau eines Verweisungszusammenhangs hilft, der es ihnen erlaubt, Sinnzusammenhänge zu eruieren, die ein gegenseitiges Verstehen zugleich voraussetzen und ermöglichen. Dies geschieht schrittweise und ohne strenges Ende oder absolute Endgültigkeit - mag die Evidenz des Verstehens und der Interpretation noch so hoch sein.

Entscheidend wird hier die Differenz zur Methode der Naturwissenschaften deutlich. Diese versucht im allgemeinen, einen Gegenstand (zum Beispiel ein Molekül) mit Hilfe eines abstrakten Modells zu erfassen, stellt ihm "experimentelle Fragen", die im Bezug zum bereits angewandten Modell stehen und die nur insofern zugelassen werden, als sie zur Klärung der Frage beitragen, ob eine Theorie sich bewährt oder nicht. Und weil den Gegenständen (etwa der Physik) selbst kein sinnhaftes Verweisen zugerechnet wird, wird auch kein eigener Verweisungszusammenhang aufgebaut, der Rückschlüsse auf Sinnverweisungen "innerhalb" des Objekts der Forschung zuließe. Ein Verweisungszusammenhang - etwa von der Theorie Einsteins auf die Newtonsche Physik - gilt bloß für das Sinnsystem 'Naturwissenschaft', nicht für den von ihr untersuchten Gegenstand selbst. Die Gegenstände der Naturwissenschaften sind keine Sinnsysteme. Das Vorgehen der Naturwissenschaften ist zweckgerecht und angemessen, aber es kann nicht das Modell für die Erforschung von Sinnsystemen abgeben, wie sie unter anderem von der Psychoanalyse, der Soziologie und der Philosophie betrieben wird.

Kleist erläutert in seinem Essay, wie dargestellt, einige Gedankengänge, die später auch für Freud Bedeutung erlangen sollten. Die Bestimmung des Verhältnisses von Unbewußtem zu Bewußtem, die Aufhebung der Vermögenspsychologie, die Rolle eines Gegenübers, die Bedeutung von Situation, Szene und Emotionslage, das Drängen einer Vorstellung zu einem abgerundeten Ganzen und die Assoziation zeigen in besonderem Maße ein dem Freudschen verwandtes Denken.

2.2.2.2 Sinn und Intentionalität

Die Psychoanalyse untersucht Handlungen stets auf ihre Überdeterminiertheit bezüglich des Erlebens. Neben dem Mittel-zum-Zweck-Sein für das bewußte Denken werden Handlungen auch interpretiert als Ausdruck verborgener Strebungen und Wünsche, die sich hier "mitteilen" und sich "eine Abfuhr" verschaffen. Dadurch wird die Handlung selbst auch als Ausdruck eines (unbewußten) Sinns interpretiert, nicht nur als praktische Ausführung oder Umsetzung einer begleitenden oder "steuernden", sprachlich-bewußt erfaßten Intention. Sie wird damit nicht nur mono-intentional auf das bewußt Intendierte bezogen interpretiert, sondern multi-intentional als Ausdruck (vor)bewußter und unbewußter Wünsche und Intentionen. So degradiert Freud keineswegs - wie man mißverstehen könnte - den Wissenschaftler zu einen nur seine kindliche Sexualneugierde in sublimierter Form befriedigenden Neurotiker. Gleichwohl bringt er aber derartige infantile Aspekte mit ein und zeigt, daß das, was sich als reine, vernünftige Form nutzvoller Forschung präsentiert, unter Umständen mitbedingt ist durch eine verlagerte, ursprünglich kindliche (Sexual)Neugierde, welche nun sublimiert und damit modifiziert zum Vorschein kommt.

Nicht zu vergessen ist, daß eine Handlung nicht nur auf die Herstellung eines zur Befriedigung notwendigen Objektes oder Zustandes zielt, sondern ebenso häufig bereits der Prozeß der Herstellung eine (unbewußte) Befriedigung gewährt. Im Extremfall der manifesten Neurose kann dann eine vernünftige Begründung unter Umständen gänzlich entfallen, so daß lediglich eine - zunächst nicht einmal mehr für den Neurotiker selbst verständliche - im Vollzug selbst liegende Befriedigung übrig bleibt:

Eine nahe an 3O Jahre alte Dame, die an den schwersten Zwangserscheinungen litt, [...] führte unter anderen folgende merkwürdige Zwangshandlung vielmals im Tage aus. Sie lief aus ihrem Zimmer in ein anderes nebenan, stellte sich dort an eine bestimmte Stelle bei dem in der Mitte stehenden Tisch hin, schellte ihrem Stubenmädchen, gab ihr einen gleichgültigen Auftrag oder entließ sie auch ohne solchen und lief dann wieder zurück. Das war nun gewiß kein schweres Leidenssymptom, aber es durfte doch die Wißbegierde reizen. Die Aufklärung ergab sich auch auf die unbedenklichste, einwandfreieste Weise unter Ausschluß jedes Beitrages von Seiten des Arztes. Ich weiß gar nicht, wie ich zu einer Vermutung über den Sinn dieser Zwangshandlung, zu einem Vorschlag ihrer Deutung hätte kommen können. So oft ich die Kranke gefragt hatte: Warum tun sie das? Was hat das für einen Sinn? - hatte sie geantwortet: Ich weiß es nicht. Aber eines Tages, nachdem es mir gelungen war, ein großes prinzipielles Bedenken bei ihr niederzukämpfen, wurde sie plötzlich wissend und erzählte, was zur Zwangshandlung gehörte. (XI, 268f)

Nicht nur die unmittelbare, von keiner bewußten Intention begleitete Befriedigung, die von einer neurotischen Handlung ausgeht, wird hier deutlich, sondern auch der Stellenwert des Widerstandes, der oft genug eine Bewußtwerdung verhindert. Erst als ein solcher Widerstand - ein im behandelten Fall vielleicht durchaus bewußtes, "großes prinzipielles Bedenken" - beseitigt war, wurde die Patientin "wissend":

Sie hatte vor mehr als zehn Jahren einen weitaus älteren Mann geheiratet, der sich in der Hochzeitsnacht impotent erwies. Er war ungezählte Male in dieser Nacht aus seinem Zimmer in ihres gelaufen, um den Versuch zu wiederholen, aber jedesmal erfolglos. Am Morgen sagte er ärgerlich: Da muß man sich ja vor dem Stubenmädchen schämen, wenn sie das Bett macht, ergriff eine Flasche roter Tinte, die zufällig im Zimmer war, und goß ihren Inhalt aufs Bettuch, aber nicht gerade auf eine Stelle, die ein Anrecht auf einen solchen Fleck gehabt hätte. Ich verstand anfangs nicht, was diese Erinnerung mit der fraglichen Zwangshandlung zu tun haben sollte, da ich nur in dem wiederholten Aus-einem-Zimmer-in-das-andere-Laufen eine Übereinstimmung fand und etwa noch im Auftreten des Stubenmädchens. Da führte mich die Patientin zu dem Tisch im zweiten Zimmer hin und ließ mich auf dessen Decke einen großen Fleck entdecken. Sie erklärte auch, sie stelle sich so zum Tisch hin, daß das zu ihr gerufene Mädchen den Fleck nicht übersehen könne. Nun war an der intimen Beziehung zwischen jener Szene nach der Brautnacht und ihrer heutigen Zwangshandlung nicht mehr zu zweifeln, aber auch noch allerlei daran zu lernen. Vor allem wird es klar, daß sich die Patientin mit ihrem Mann identifiziert; sie spielt ihn ja, indem sie sein Laufen aus einem Zimmer ins andere nachahmt. [...] Der Beweis, daß die Zwangshandlung sinnreich ist, wäre bereits erbracht; sie scheint eine Darstellung, Wiederholung jener bedeutungsvollen Szene zu sein. (XI, 269f., Hervorhebungen H.W.)

Freud spricht hier bereits von einer erfolgreichen und evidenten Deutung des Sinns der Handlung. Aber warum diese Identifikation, warum der Zwang? Welche Funktion erfüllt diese Handlung? Die Handlung verweist auf die Brautnacht und auf deren Wiederholung durch Identifikation mit dem Ehemann. Eine vorläufige Deutung des Sinnbezugs ist erbracht, aber: Wie kann eine solche zwanghafte Handlung zu einer gewissen Befriedigung führen? Der Sinnbezug verweist auf das Erlebnis Brautnacht, aber auf welche befriedigenden Momente verweist er? Was nötigt zur Ausführung der Zwangshandlung? Inwiefern hilft sie, unangenehme Erinnerungen an diese Nacht zu tilgen, sofern dies überhaupt die Funktion der Zwangshandlung sein sollte? Dazu muß die Interpretation der Sinnverweisungen fortgeführt werden, denn

wir sind nicht genötigt, bei diesem Schein Halt zu machen; wenn wir die Beziehung zwischen den beiden eingehender untersuchen, werden wir wahrscheinlich Aufschluß über etwas Weitergehendes, über die Absicht der Zwangshandlung erhalten. Der Kern derselben ist offenbar das Herbeirufen des Stubenmädchens, dem sie den Fleck vor Augen führt, im Gegensatz zur Bemerkung ihres Mannes: Da müßte man sich vor dem Mädchen schämen. Er - dessen Rolle sie agiert - schämt sich also nicht vor dem Mädchen, der Fleck ist demnach [in ihrem Erleben; H.W.] an der richtigen Stelle [denn sonst müßte sie sich schämen; H.W.]. Wir sehen also, sie hat die Szene nicht einfach wiederholt, sondern sie fortgesetzt und dabei korrigiert, zum Richtigen gewendet. Damit korrigiert sie aber auch das andere, was in jener Nacht so peinlich war und jene Auskunft mit der roten Tinte notwendig machte, die Impotenz. Die Zwangshandlung sagt also: Nein, es ist nicht wahr, er hatte sich nicht vor dem Stubenmädchen zu schämen, er war nicht impotent; sie stellt diesen Wunsch nach Art eines Traumes in einer gegenwärtigen Handlung als erfüllt dar, sie dient der Tendenz, den Mann über sein damaliges Mißgeschick zu erheben. (XI, 270f.)

Im Beispiel war sich die Patientin zwar über den Zusammenhang des Symptoms mit der Hochzeitsnacht im klaren - nicht aber über den konkreten Sinn (die unbewußte Absicht) ihres Tuns, welcher in der Befriedigung der Wünsche lag, der Mann sei nicht impotent und habe sie entjungfert und vor allem, der peinliche Fleck sei an der richtigen Stelle gewesen und damit nicht mehr peinlich. Manches davon mag die Patientin erahnt oder gewußt haben. Aber die Deutung des befriedigenden Teils der Handlung, durch welchen sie ihre zwanghaften Momente erst erhielt, war ihrem Bewußtsein verborgen geblieben. Mit anderen Worten: Da die Erinnerung an die Peinlichkeit des Erlebnisses schwer zu ertragen war, wurde die Erinnerung im Erleben "korrigiert". Und da dies in Form des ständigen Hinweisens auf den besagten Fleck auf der Tischdecke nicht angemessen möglich war, mußte diese Handlung zwanghaft wiederholt werden, um wenigstens eine temporäre Befriedigung zu gewährleisten. Eben darum äußerte sich ihre Handlung als Zwang(shandlung).

Wieder zeigt sich die Einbettung des Sinns in einen Verweisungszusammenhang hoher Komplexität. Nur ein winziges Bruchstück daraus konnte Freuds Deutung hervorbringen. Infantile Momente blieben beispielsweise unberührt. Aber nicht nur dies zeigt sich hier. Es zeigt sich außerdem, daß Freud ausschließlich auf die Ermittlung von Sinnzusammenhängen zielte beziehungsweise auf Erleben und Verhalten, sofern letzteres aus ersterem hervorgeht.

Was das Erleben betrifft, so zeigte sich, daß Freud die "Korrektur", welche die Zwangshandlung durchzuführen versuchte, nicht auf ein "objektives" Ereignis bezogen sah, sondern auf das Erleben der Frau. Nicht das "äußere" Ereignis hatte die Zwangshandlung hervorgebracht, sondern die Peinlichkeit des Erlebens und der (freilich erlebten) Erinnerung daran. Das Ereignis hat peinliche Momente ausschließlich als Erlebtes. Es liegt psychologisch mithin nicht ein "objektives Ereignis" vor, das peinlich war, sondern es liegt ein "peinlich-erlebtes-Ereignis" vor. Das Ereignis ist für Freud der Inhalt eines sich ereignenden Erlebnisses. Aus psychoanalytischer Sicht sind Erlebnisse Ereignisse - und nicht etwa sind Erlebnisse psychische Zustände auf Grund (äußerer) Ereignisse. Was sollte sich im psychischen System ereignen, wenn nicht Erlebnisse? "Objektive" Ereignisse kommen in der Psyche nicht vor. Allenfalls rechnet die Psyche ihren "subjektiven" Erlebnissen "objektive" Ereignisse in der Umwelt zu. Doch auf der operativen Ebene psychischer Systeme kommen keine objektiven Ereignisse vor - alles, was erlebt wird, ist als solches immer und nur "subjektiv", wobei freilich diesem "Subjektiven" jederzeit durch das psychische System "Objektivität" zugerechnet werden kann. Die "äußeren" Ereignisse bleiben dabei immer "außen".

Psychologisch gesehen ist das Ereignis ein Erlebnis oder es existiert nicht. Die vorangestellte Dichotomie aus "objektivem Ereignis" und "erlebtem Ereignis" ist daher keine Tautologie. Sie betrifft vielmehr zwei völlig verschiedene Gegenstandsbereiche: einen "objektivistischen" und einen psychologischen. Ebenso läßt sich der Sinn der Zwangshandlung nicht durch Bezugnahme auf die "objektive" Seite verstehen: Das "objektive" Ereignis kann nicht durch die Zwangshandlung "korrigiert" werden, nicht einmal temporär. Das erlebte Ereignis kann aber sehr wohl im Erleben temporär "korrigiert" (verleugnet) werden, denn es ist Teil eines Sinnzusammenhangs, in dem es überhaupt nur erlebt (das heißt: ausdifferenziert) werden konnte. Folglich verbietet sich hier aus wissenschaftstheoretischen und erkenntnistheoretischen Gründen eine szientistisch-objektivistische Deutung.

2.2.3 Zur Codierung psychischer Systeme

Wenn man mit Freud die Psyche nicht (wie Luhmann) mit Bewußtsein gleichsetzt und wenn man außerdem von einer Differenzierung des psychischen Systems in die Teilsysteme Ich, Über-Ich und Es ausgeht, so steht man bei dem Versuch einer systemtheoretischen Rekonstruktion der Psychoanalyse vor einem eigentümlichen Problem, einem Problem, daß bisher in der Systemtheorie weder diskutiert noch auch nur ins Auge gefaßt wurde: Man steht vor dem Problem der Codierung psychischer Systeme.

Aber was heißt das: Codierung psychischer Systeme? Wieso hat die Systemtheorie bislang die Untersuchung einer solchen Codierung weder in Angriff genommen noch für notwendig erachtet?

Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, auf diese und andere Fragen eine Antwort zu finden. Zu diesem Zweck gliedert sich das vorliegende Kapitel in drei Abschnitte, deren erster (2.2.3.1) die Fragen diskutiert, was unter einer Codierung psychischer Systeme verstanden werden kann und warum eine Untersuchung der Codierung dieser Systeme notwendig ist, wenn man die Psychoanalyse systemtheoretisch zu rekonstruieren sucht. Der zweite Abschnitt (2.2.3.2) geht dann der Frage nach, wie sich eine solche Codierung nach Maßgabe einer systemtheoretisch rekonstruierten Psychoanalyse darstellt. Im Anschluß daran ist der dritte Abschnitt (2.2.3.3) bemüht, Aufklärung darüber zu verschaffen, welche neuen Einsichten und Konsequenzen sich für die Psychoanalyse auf der einen und für die Systemtheorie auf der anderen Seite aus der Analyse der Codierung psychischer Systeme ergeben. Das folgende sollte daher als ein Versuch gelesen werden, ein gänzlich neues Problem in die Systemtheorie und in die Psychoanalyse einzuführen.

2.2.3.1 Sind psychische Systeme codiert?

Luhmann definiert psychische Systeme ausschließlich über Bewußtsein und schließt in diesem Punkt mutatis mutandis an die vorfreudsche Tradition der Bewußtseinsphilosophie und -psychologie an, wenn er psychische Systeme betrachtet als "***konstituiert auf der Basis eines einheitlichen (selbstreferentiellen) Bewußtseinszusammenhanges [...]," weshalb "***psychische und soziale Systeme sich danach [unterscheiden, H.W.], ob Bewußtsein oder Kommunikation als Operationsform gewählt wird."

Der Grundbegriff einer geschlossen-selbstreferentiellen Reproduktion kann daher direkt auf psychische Systeme angewandt werden,

***das heißt auf Systeme, die Bewußtsein durch Bewußtsein reproduzieren und dabei auf sich selbst gestellt sind, also weder Bewußtsein von außen erhalten noch Bewußtsein nach außen abgeben. Unter Bewußtsein soll dabei nichts substantiell Vorhandenes verstanden werden (wozu die Sprache uns ständig verführt), sondern lediglich der spezifische Operationsmodus psychischer Systeme.

Bei all dem ist das psychische System zwar auf das Nervensystem oder das Gehirn angewiesen, aber die Psyche ist nicht das Gehirn oder das Nervensystem. Sinnoperationen

***existieren natürlich nicht im Leeren und auch nicht in einem Reich des Geistes für sich selbst. Sie würden die Zerstörung des Lebens oder dessen chemischer und physischer Grundlagen nicht überdauern. Aber diese Abhängigkeit ist [...] keine operative Prämisse des Sinngeschehens selbst.

Nach Luhmann sind Systeme auf unterschiedlicher Basis geschlossen: Bewußtsein und Gesellschaft im ganzen werden über ihre jeweiligen Operationsmodi (eben Bewußtsein oder Kommunikation) geschlossen - das Bewußtsein kann nicht aus sich heraus denken und die Gesellschaft nicht aus sich heraus kommunizieren. Aber andere Systeme, zum Beispiel soziale Systeme (also Subsysteme der Gesellschaft wie etwa das soziale System 'Wissenschaft'), sind nicht durch einen eigenen Operationsmodus geschlossen, denn sie verwenden den gleichen Operationsmodus wie die Gesellschaft, nämlich: Kommunikation. Wenn Systeme sich ausdifferenzieren, so geschieht dies also immer, indem sie sich innerhalb des Operationsmodus des übergeordneten Systems ausdifferenzieren. Wie in Kapitel 1.1 gezeigt wurde, gelingt den Systemen eine Ausdifferenzierung, weil sie sich auf die Verwendung eines Codes spezialisieren. Alles was damit erfaßt wird, gehört zum System und das System kann nur erfassen, was zur Anwendung dieser Differenz (also des Codes) von Relevanz ist.

Wenn nun aber die Psyche umfangsgleich ist mit Bewußtsein und man daher nicht davon auszugehen hat, daß sich weitere Teilsysteme ausdifferenzieren, so reicht für die Bestimmung des Psychischen die Angabe des Operationsmodus 'Bewußtsein'. Von Teilsystemen, die sich innerhalb des Bewußtseins über Codes ausdifferenzieren, kann dann nicht gesprochen werden. Man hat es somit laut Luhmann mit einem nicht weiter differenzierten System zu tun, das über seinen Operationsmodus (eben 'Bewußtsein') geschlossen ist. Der Systemcharakter, die Systemgrenze und die Einheitlichkeit des Systems ist mit und durch das Bewußtsein gegeben. Aus diesem Grunde wurde bisher in der Systemtheorie eine Codierung psychischer Systeme nicht einmal ernstlich erwogen.

Dieser Sachverhalt ändert sich schlagartig, wenn man die systemtheoretische Auffassung psychischer Systeme mit psychoanalytischen Vorstellungen konfrontiert, denn Freud bricht mit dieser Auffassung aus guten Gründen gleich auf zwei Seiten: Zum einen ist er der Überzeugung, das psychische System nicht als Bewußtsein fassen zu können, denn

das allgemeine Ungenügen an der gebräuchlichen Auffassung des Psychischen hat zur Folge gehabt, dass ein Begriff des Unbewußten immer dringlicher Aufnahme ins psychologische Denken verlangte [...]. Nun scheint es sich in dieser Differenz zwischen der Psychoanalyse und der Philosophie nur um eine gleichgültige Frage der Definition zu handeln, ob man den Namen des Psychischen der einen oder anderen Reihe verleihen soll. In Wirklichkeit ist dieser Schritt höchst bedeutungsvoll geworden. (XVII, 80)

Zum anderen geht Freud schon in seiner ersten Metapsychologie davon aus, daß das System sich in die drei Teilsysteme Bw, Vbw und Ubw ausdifferenziert, und er modifiziert diese Auffassung, wenn er in der zweiten Metapsychologie von einer Systemdifferenzierung in Ich, Über-Ich und Es spricht. Will man also Freuds Ansichten zum Unbewußten mit denen einer Ausdifferenzierung in Teilsysteme (Ich, Über-Ich und Es) verbinden, so muß man betreffs des psychischen Systems als ganzem einen anderen Operationsmodus als 'Bewußtsein' angeben können und in einem zweiten Schritt die Codierung dieser Teilsysteme bestimmen.

Freud hatte in seiner ersten Metapsychologie zunächst versucht, die Systemdifferenzierung über verschiedene Operationsmodi herzustellen: Eines der Teilsysteme operiert immer und nur bewußt (das System 'Bw'), eines immer nur bewußtseinsfähig (das System 'Vbw') und eines immer und nur unbewußt (das System 'Ubw'). Doch dieser Weg der Systemdifferenzierung führte zwangsläufig zu Widersprüchen, denn da Freud zufolge die verdrängende Instanz im Vbw liegen sollte und da das Vbw immer dem Bewußtsein zugänglich ist, müßte der Prozeß der Verdrängung vom Bewußtsein jederzeit erfaßbar sein - doch tatsächlich läuft die Verdrängung nahezu ausschließlich unbewußt ab. Arlow und Brenner weisen in aller Deutlichkeit auf diesen Widerspruch hin und bezeichnen die Theorie von Bw, Vbw und Ubw als topographische Theorie, während sie die Theorie von Ich, Über-Ich und Es mit dem Titel 'strukturelle Theorie' versehen:

***Folgender Widerspruch besteht. Der topographischen Theorie nach ist die verdrängende Instanz der Seele die Zensur des Systems Vbw. Da sie zu diesem System gehört, sollte sie, per definitionem, dem Bewußtsein leicht zugänglich sein. Die topographische Theorie berücksichtigt nicht die Tatsache, daß für die Verdrängung verantwortliche seelische Kräfte dem Bewußtsein unzugänglich oder nur mit Hilfe analytischer Arbeit zugänglich sein können. Es muß gemäß der topographischen Theorie - wie wir gesehen haben - jedes seelische Geschehen, das dem Bewußtsein unzugänglich ist [...] zum System Ubw gehören. Es könnte nicht dem System Vbw angehören. [...] Hier liegt also ein eindeutiger Widerspruch zwischen Tatsache und Theorie vor.

Hier kann man den Gewinn sehen, den eine systemtheoretische Betrachtungsweise erbringen kann, denn wäre Freud ganz bewußt systemtheoretisch im Sinne Luhmanns verfahren, so hätte er sofort und von Anbeginn an diesen Widerspruch erkennen können, auch ohne erst durch die Widersprüche "zwischen Tatsache und Theorie" (s.o.) darauf aufmerksam zu werden: Denn aus systemtheoretischer Sicht kann ein System sich nicht in verschiedene Operationsmodi differenzieren, weil jedes Teilsystem sich ja gerade durch seinen Operationsmodus als zu einem bestimmten übergeordneten System als zugehörig bestimmen läßt. Eine Differenzierung in Teilsysteme kann also immer nur innerhalb ein und desselben Operationsmodus vonstatten gehen. Daher postuliert Freud in einer geradezu systemtheoretisch anmutenden Formulierung unmißverständlich, daß "die Bewußtheit, der einzige uns unmittelbar gegebene Charakter der psychischen Vorgänge sich zur Systemunterscheidung in keiner Weise eignet."

Aber eine interne Differenzierung bedarf der Codierung: Wie am Beispiel des Wissenschaftssystems bereits gezeigt, kann sich ein System ausdifferenzieren, indem es sich immer nur an einer Unterscheidung orientiert, etwa der von 'wahr' und 'falsch'. Dabei bleibt das Wissenschaftssystem Teil der Gesellschaft, weil es dessen Operationsmodus beibehält: Die Wissenschaft ist ein Kommunikationssystem und kann in und mit der Gesellschaft - deren Teil es ist - kommunizieren.

Freud gelingt ein solches Verständnis der Systemdifferenzierung auf psychologischer Ebene, indem er davon ausgeht, daß sowohl im Ich als auch im Über-Ich (und natürlich im Es) unbewußte Prozesse ablaufen. Auf diese Weise "***löst die Strukturtheorie viele Widersprüche, mit denen die topographische Theorie belastet ist."

Freud mußte nun einen Weg finden, unter Beibehaltung eines einzigen Operationsmodus, die Konstitution der Teilsysteme verständlich werden zu lassen, aber er mußte auch - im Gegensatz zu Luhmann - davon absehen, Bewußtsein, aber auch Unbewußtes und Vorbewußtes als Operationsmodi anzusetzen, denn sonst hätten sich die Probleme nur verschärft: Würde man Bewußtsein, Vorbewußtes und Unbewußtes als Operationsmodi psychischer Teilsysteme auffassen, dann müßte das sie umfassende Gesamtsystem 'Psyche' gleichzeitig mit verschiedenen Operationsmodi operieren, was natürlich unmöglich wäre, da Systeme ja gerade über die Einheitlichkeit ihrer Operationsmodi eine Einheit bilden, mit deren Hilfe sie sich von anderen Systemen unterscheiden. Paradox formuliert: Operierte ein System mit mehreren Operationsmodi, so wäre es keine Einheit mehr und damit nicht mehr ein System, sondern mehrere Systeme. Freud war sich dieser Widersprüche und der Notwendigkeit ihrer Vermeidung sehr wohl bewußt, und dergleichen

***Überlegungen veranlaßten ihn auch schließlich, die topographische Theorie durch die Strukturtheorie zu ersetzen und an die Stelle des leitenden Prinzips der Zugänglichkeit für das Bewußtsein das Prinzip des Konflikts von Funktionen zu setzen [...].

Wenn aber Bewußtsein nicht mehr als Operationsmodus psychischer Systeme angesehen werden kann, was ist dann der Operationsmodus der Psyche? Hier soll vorgeschlagen werden, anstelle von Bewußtsein (wie bei Luhmann) Erleben als Operationsmodus psychischer Systeme anzusetzen, wobei Erleben unbewußtes und bewußtes Erleben einschließt.

Wenn nun aber die Teilsysteme der Psyche nicht über Operationsmodi (bw/vbw/ubw) differenziert sein können, wie können sie sich dann differenzieren und gegeneinander schließen? Es war bereits von einem "Konflikt[] von Funktionen" (s.o.) die Rede, und genau hier liegt auch die Möglichkeit der Lösung des Dilemmas: Den Teilsystemen müssen sich streng unterschiedliche Funktionen zuordnen lassen, und diese Funktionen basieren - wie sich zeigen wird - auf der Verwendung jeweils nur einer Unterscheidung in einem Teilsystem, also, systemtheoretisch gesprochen: auf der Verwendung eines Codes.

2.2.3.2 Zur Codierung der Subsysteme Ich, Über-Ich und Es

Freud hat somit erkannt, daß das psychische System über die Basisoperation des Erlebens geschlossen ist und sich in funktionale Teilsysteme ausdifferenziert, welche jeweils über einen psycho-funktionalen Code geschlossen werden. Aber welche Codes sind es, die die Systeme von Ich, Über-Ich und Es verwenden?

Die zweite Metapsychologie

***zerlegt die Seele auf Grund ganz anderer Kriterien [als dies die erste Metapsychologie getan hatte, H.W.] in einen triebhaften Anteil [das Es, H.W.], in einen die moralischen Funktionen umfassenden Teil [das Über-Ich, H.W.] und in einen Teil, der zwischen diesen beiden Teilen und der Außenwelt vermittelt [das Ich, H.W.]. [...] Außerdem ist, wie wir gesehen haben, die Beziehung zwischen Konflikt und Zugänglichkeit für das Bewußtsein vielschichtiger und variabler [...]. So können triebhafte Elemente dem Bewußtsein manchmal zugänglich sein, während ihm triebhemmende Elemente ohne die Hilfe des Analytikers sehr oft unzugänglich sind.

Man braucht diese Bemerkungen Arlows und Brenners nur systemtheoretisch zu reformulieren, und schon stößt man auf die Codierung psychischer Systeme:

Der Code des Es ist demnach der von erwünscht/unerwünscht oder - anders gesprochen - von lustvoll/unlustvoll. Freud brauchte die Suche nach einer solchen Codierung nicht erst innerhalb der zweiten Metapsychologie in Angriff zu nehmen, denn er entdeckte sofort, daß sie bereits in der ersten Metapsychologie angelegt war. So spricht er schon in der Traumdeutung - in der er noch mit den bereits angesprochenen Problemen der ersten Metapsychologie zu ringen hatte - eindeutig von der für das Unbewußte konstitutiven Unterscheidung des Erlebens in Erwünschtes/Unerwünschtes: "Das System [gemeint ist das Ubw, H.W.] kann nichts anderes als wünschen." (II/III, 606.)

 

Der Code des Über-Ich läßt sich dann als der von (erlebensmäßig-"subjektiv") zulässig/unzulässig angeben, denn die Rolle des Über-Ich "***ist vergleichbar mit der eines Richters oder Zensors des Ichs." Auch die autopoietische Entstehung des Über-Ich wird von Freud nahegelegt, insofern er die kritische Funktion des Über-Ich als Instanz ansah, "***die sich [also: selbsttätig! H.W.] vom Ich abgetrennt hat [...]."

 

###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}Der Code des Ich besteht dann offenkundig in der Differenz von real/irreal beziehungsweise, auf die vorgenannte Unterscheidung bezogen, realitätsgerecht/nicht-realitätsgerecht, denn das Ich leistet ausgehend von der Beurteilung des Realitätsbezugs einzelner Erlebnisse die Prüfung der Realisierbarkeit der vom Es und dem Über-Ich "eingeforderten" Leistungen.{{{Kontrollende!!!!}}}

Jedes der Teilsysteme belegt den von ihm verwendeten Code mit Exklusivität: Während das Es sich weder für die "moralische Zulässigkeit" noch für die 'Realitätsangemessenheit' seiner Wünsche "interessiert", beachtet das Über-Ich weder den mit der Befriedigung eines Wunsches einhergehenden 'Lustgewinn' noch die 'Realitätsangemessenheit' seiner Verbote. Ebenso bleibt es dem Ich dann lediglich noch vorbehalten, nach einer 'realitätsgerechten Befriedigung' der vom Es hergestellten und unter Umständen vom Über-Ich bereits zensierten Wünsche zu suchen - oder sie als nicht realitätsgerecht abzuweisen. Das Ergebnis läuft sodann zumeist auf eine Kompromißbildung zwischen Strebungen des Es, Einsprüchen des Über-Ich und den Bedingungen der (vom Ich selbst hergestellten) Realität hinaus, und ein als wenig geglückt zu bezeichnender Kompromiß zeigt sich dann etwa als Symptom einer Neurose.

 

Da kein Kontakt zu einer unabhängigen oder 'an sich' gegebenen Außenwelt beziehungsweise Realität herstellbar ist, (selbst wenn es etwas derartiges gäbe) und eine halluzinatorische Befriedigung auf Dauer nicht möglich ist, "mußte sich der psychische Apparat entschließen, die realen Verhältnisse der Außenwelt vorzustellen und die realen Veränderungen anzustreben." Dem Ich müssen folglich im Rahmen seiner Realitätsprüfung

***die unterschiedlichsten Aufgaben zugeschrieben werden: Kontrolle der Motilität und der Wahrnehmung, Realitätsprüfung, Antizipation, zeitliche Ordnung der seelischen Vorgänge, rationales Denken etc., aber auch Mißverständnis, Rationalisierung, Abwehr der Triebforderungen.

Trotzdem darf das Freudsche Ich in keinem Fall mit Bewußtsein gleichgesetzt werden, denn das Ich, "***und das ist der Punkt, auf dem Freud besonders insistiert, ist zu einem großen Teil unbewußt." Außerdem ist streng zu beachten, daß das Ich - gerade weil es nur nach internen Kriterien zwischen real/irreal zu unterscheiden vermag - diese Unterscheidung niemals mit Sekurität oder dem Siegel der Intersubjektivität versehen kann, denn zum Beispiel während des Traumes oder der Halluzination muß diese Prüfung versagen:

***Wenn der halluzinatorische Zustand und der Traum einmal bestehen, macht es keine 'Prüfung' mehr möglich, ihnen Einhalt zu gebieten. Es scheint demnach, daß in den Fällen, in denen die Realitätsprüfung theoretisch imstande sein müßte, eine unterscheidende Rolle zu übernehmen, sie von vornherein ihrer Wirksamkeit beraubt ist. Ebenso müßig ist die Vorstellung, der Halluzinierende könne sich zur Unterscheidung des Subjektiven vom Objektiven seiner Motorik bedienen.

Dabei wird nicht etwa einfach eine objektive Außenwelt vom bloß Vorgestellten unterschieden. Vielmehr wird diese Außenwelt auf diese Weise erst erzeugt: Der Ausdruck 'Realitätsprüfung' beinhaltet neben anderen eine wesentliche Funktion, "***deren Aufgabe es ist, das nur Vorgestellte von dem Wahrgenommenen zu unterscheiden und so die Differenzierung der Innenwelt von der Außenwelt herzustellen [...]." Und Freud bemerkt warnend zur Unterscheidung real/irreal, soweit sie psychische Systeme betrifft:

Man lasse sich aber nie dazu verleiten, die Realitätswertung in die verdrängten psychischen Bildungen einzutragen und etwa Phantasien darum für die Symptombildung gering zu schätzen, weil sie eben keine Wirklichkeiten sind, oder ein neurotisches Schuldgefühl anderswoher abzuleiten, weil sich kein wirklich ausgeführtes Verbrechen nachweisen läßt. (VIII, 237f.)

Das Erleben muß dementsprechend als systemrelative Realität aufgefaßt werden:

***Ebenso bezeichnen Ausdrücke wie 'Denkrealität', 'psychische Realität' die Idee, daß die unbewußten Strukturen nicht nur als etwas betrachtet werden sollen, dem eine spezifische Realität zukommt, die ihren eigenen Gesetzen gehorcht, sondern daß sie sogar für das Subjekt vollen Realitätswert erhalten können [...].

Hier wird unmißverständlich deutlich, daß nach Freud psychische Systeme geschlossen operieren, denn wie sollte ansonsten eine Phantasie, ein nur auf einem phantasierten Verbrechen beruhendes Schuldgefühl ebenso den Anspruch auf 'Realität' erhalten können, wie ein solches, das auf ein "reales" Verbrechen zurückzuführen wäre? Freud fokussiert mithin ausschließlich das Erleben als die psychischen Systemen eigene und einzig für sie zählende Realität. Er führt die 'äußere Realität' in die 'Realität des Systems' durch ein re-entry ein, das heißt durch die Wiedereinführung einer Unterscheidung in das durch sie (bereits) Unterschiedene. So kann das System selbst innerhalb seiner Realität zwischen 'für das System real' und 'für das System irreal' unterscheiden: "***Your Inside Is Out And Your Outside Is In."

 

Freuds Ansichten zur Ausdifferenzierung der Teilsysteme über eine (systemtheoretisch gesprochen:) Codierung nähert sich dabei von sich aus einer Theorie autopoietischer Systeme, denn die Systeme der zweiten Metapsychologie sind nach Freud nicht solche, die sich als ursprünglich schon verbundene Teile voneinander absondern. Im Gegenteil:

***Die Entwicklung der verschiedenen Instanzen wird vielmehr als eine progressive Differenzierung verstanden, ein Auftauchen der verschiedenen Systeme. Von daher muß man das Bemühen Freuds verstehen, der auf der Kontinuität in der Entwicklung beharrt, die vom biologischen Bedürfnis zum Es und von diesem ebensowohl zum Ich wie zum Über-Ich führt.

2.2.3.3 Systemtheoretische Konsequenzen einer Untersuchung der Codierung psychischer Systeme

Bislang wurde erörtert, warum das Bewußtsein nicht als Operationsmodus angesehen werden kann, wenn man die Psychoanalyse systemtheoretisch rekonstruiert und die Einwände Freuds gegen eine Auffassung des psychischen Systems als Bewußtsein ernst nimmt. Das setzt allerdings voraus, daß man Freuds Theorie mitsamt den von ihm dargestellten und gelösten Widersprüchen, die sich aus der Gleichsetzung von Psyche und Bewußtsein ergeben, bereits akzeptiert hat. Es existieren indes noch andere Beweggründe, die gegen diese Gleichsetzung sprechen.

Beispielsweise gerät man in eine problematische Situation, wenn man die Annahme, das Bewußtsein sei ein System, entwicklungspsychologisch hinterfragt und etwa die Psyche von Neugeborenen oder Feten untersucht. Haben Neugeborene oder Feten ein Bewußtsein? Und wenn nicht, können sie dann erleben? Setzt man psychische Systeme mit Bewußtsein gleich, so können Feten beziehungsweise Neugeborene, die vermutlich nicht schon vor, während oder unmittelbar nach ihrer Geburt über ein Bewußtsein verfügen dürften, nicht erleben. Plausibler dürfte die Annahme sein, daß Bewußtsein überhaupt erst entstehen kann, wenn bereits ein (unbewußt erlebendes) psychisches System vorhanden ist, welches im Rahmen seiner ansteigenden Komplexität die Leistung bewußten Erlebens erbringen kann. Doch wenn man von dieser Annahme ausgeht, so kann die Psyche selbstverständlich nicht mehr mit Bewußtsein gleichgesetzt werden. Wie sollte sonst Bewußtsein möglich sein?

Auch ohne Freud zu Rate zu ziehen, dürfte einleuchten - wenn man es nicht ohnehin als plausibel ansieht, daß Neugeborene und Feten ohne Bewußtsein dennoch erleben -, daß einer empirisch ausgerichteten Theorie zufolge Bewußtsein ausschließlich aus einer komplexen Entwicklung eines psychischen Systems hervorgehen kann, einer Entwicklung, die erst die Voraussetzungen für Bewußtsein herzustellen in der Lage ist. Wenn dies zugestanden ist, so ergibt sich allerdings eine Paradoxie: Systemtheoretisch im Sinne Luhmanns darf das neurophysiologische System nicht mit der Psyche verwechselt werden. Mag also das Nervensystem alle neurophysiologisch notwendigen Voraussetzungen für das Bewußtsein hergestellt haben, so existiert damit noch lange kein psychisches System. Die Paradoxie besteht dann im folgendem: Wenn einerseits Bewußtsein erst auf der Grundlage eines psychischen Systems von ausreichender Komplexität entstehen kann, wenn aber andererseits von einem psychischen System erst gesprochen werden darf, wenn ein Bewußtsein sich ausdifferenziert hat - dann könnte das psychische System (das heißt: das Bewußtsein) erst entstehen, nachdem es bereits vorhanden wäre.

Wer wie Freud zugesteht, daß etwa Neugeborene ohne Bewußtsein bereits erleben können, der hat sich zwar einen Weg zur Lösung dieses Dilemmas offen gehalten - der darf dann aber auch nicht mehr das Bewußtsein mit dem psychischen System identifizieren. Und wer nicht zugesteht, daß Neugeborene ohne Bewußtsein erleben können, der wird schwerlich erklären können, wie Bewußtsein überhaupt entstehen können soll.

Blickt man nun zurück zur Freudschen Theorie, so wird nicht nur ersichtlich, daß Freud dem Neugeborenen unterstellt, es erlebe (unbewußt), weshalb Freud von einer oralen Phase des Erlebens Neugeborener spricht. Es wird außerdem deutlich, daß Freud daraufhin in der Lage ist, die Genese des Bewußtseins auf der Grundlage seiner Theorie der Ich-Entwicklung zu erklären, was ohne die aufgeführten Grundannahmen vom unbewußten Erleben des Neugeborenen schlicht unmöglich wäre. Bei Freud erscheint daher das Bewußtsein erst als relativ spätes Produkt der Entwicklung des über eine Ausdifferenzierung entsprechender Teilsysteme seine Komplexität steigernden psychischen Systems. Freud gelingt es auf diese Weise nicht nur, das kindliche Erleben von Neugeborenen zu erfassen, sondern auch die Genese des Bewußtseins zu erklären. Wer aber psychische Systeme mit Bewußtsein gleichsetzt, der wird vermutlich weder das eine noch das andere erklären können, und der muß darüber hinaus zeigen, inwiefern man beim Neugeborenen nicht von einem psychischen System sprechen können soll und wie das Bewußtsein soll entstehen können, ohne bereits Erleben (und damit ein psychisches System) in Anspruch nehmen zu können. Dieser Sachverhalt würde sicherlich deutlicher, wenn man in concreto analysieren würde, welche hochkomplexen Bedingungen gegeben sein müssen (die eben nicht schon auf der Basis eines Nervensystems gegeben sein können), damit so etwas wie Bewußtsein überhaupt sollte entstehen können. Man denke etwa an Freuds sogenannte Theorie der Objektbesetzung, der halluzinatorischen Wunscherfüllung und des Übergangs zur Objektbefriedigung. Doch eine solche Diskussion ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich. Dennoch: Wer die dies betreffenden Gedankengänge Freuds ablehnt, der ist aufgefordert nachzuweisen, daß es eine alternative Theorie der Bewußtseinsentwicklung gibt, die es möglich macht, die Gleichsetzung von Psyche und Bewußtsein beizubehalten, ohne in die genannten Widersprüche und Paradoxien zu geraten oder die Systemreferenz auf das neurophysiologische System setzen zu müssen und damit die Psychologie zu verlassen. Das Bewußtsein kann sich nicht nur (wie Luhmann glaubt) am Bewußtsein aktualisieren. Es aktualisiert sich am bewußten und am unbewußten Erleben, und es kann sich daran aktualisieren, weil das Bewußtsein, wie Freud festgestellt hat, gar kein System ist. Das Bewußtsein stellt sich somit der Freudschen Theorie gemäß vielmehr als eine Leistung des Systems 'Ich' dar und nicht als ein eigenständiges System. Damit vermeidet Freud die sonst zu erwartenden Widersprüche, denn nur wenn man die Prämisse teilt, derzufolge das Bewußtsein ein System ist, nur dann gerät man innerhalb der Freudschen Theorie in Widersprüche. Doch gerade diese Widersprüche waren es, die Freud mit der Formulierung seiner zweiten Metapsychologie gelöst hatte.

 

Was aber ist nun Bewußtsein nach der Freudschen Theorie? Wie kommt Bewußtsein zustande? Welche Leistungen nimmt es in Anspruch?

Wie besonders im Kapitel über den Sinnbegriff in der Psychoanalyse, aber auch an vielen anderen Stellen immer wieder dargelegt wurde, spannen psychische Systeme einen dynamischen, weitgehend unbewußten Erlebenshorizont auf, der sich selbsttätig in "Details" zergliedert, die dann als abgehobene und nur teilweise bewußte Erlebnisse aus dem Horizont hervortreten. Wenn dem so ist, kann sich das Erleben aber nicht nur am Bewußtsein aktualisieren, denn wenn bewußte Erlebnisse - wie Freud dies sah - aus unbewußten Sinnzusammenhängen erst hervorgehen, in sie eingebettet sind und aus ihnen heraus erst verständlich werden, dann können bewußte Erlebnisse angemessen nur charakterisiert werden als Produkte einer Ausdifferenzierung aus dem immer schon gegebenen Erleben als ganzem. Anders ausgedrückt: Bewußte Erlebnisse sind lediglich besonders herausgehobene "Details" des Erlebens als ganzem. Das Erleben besteht demgemäß in einer Verweisungstotalität, die lediglich modifiziert wird. Oder genauer: Das Erleben modifiziert sich selbst im Fortgang seiner Autopoiesis. Bewußte Erlebnisse stellen sich mithin als ausgewählte Resultanten der permanenten (Selbst)Modifikationsprozesse des Erlebens dar. In Husserls Werk findet sich die Präfiguration einer solchen Ansicht des Erlebens, denn ihm zufolge ist "***der Bewußtseinsstrom [...] ein Strom einer beständigen Genesis, nicht ein bloßes Nacheinander, sondern Auseinander, ein Werden nach Gesetzen notwendiger Folge [...]."

Die Autopoiesis des Erlebens besteht in dieser Selbstmodifikation des Erlebens und der damit verbundenen Selbstdurchgliederung des Gesamterlebens in einzelne, teilweise bewußte Erlebnisse. Weder Erlebnisse noch Sinnesreize oder -daten werden von einer Umwelt oder einem äußeren Objekt zum psychischen System übertragen, wo sie auf einen "Erlebensapparat" träfen, der sie aufnähme und aus ihnen Erlebnisse synthetisierte. Das Erleben ist somit ein einziger Zusammenhang, der sich selbst modifiziert und Erlebnisse erzeugt, die sozusagen Systemzustände auswählen.

Auf dieser Grundlage der Klärung der Begriffe Erleben und Erlebnis läßt sich nun eine weitere Annäherung an den Begriff des psychischen Systems durchführen: Das psychische System ist ein funktional differenziertes und strukturiertes System, dessen Basisoperation in der Herstellung, Stabilisierung und der Modifikation des Erlebens besteht. Der Begriff eines psychischen Systems umfaßt also Erleben (als Basisoperation), Strukturbildung, Strukturstabilisierung und Strukturmodifikation. Das Erleben operiert auf der Grundlage aber auch in den Grenzen dieser Systemstrukturen. Auf diese Weise werden Erfahrungen erzeugt, indem selbstdifferenzierte Erlebnisse in Form von Struktureffekten auf die Struktur des psychischen Systems selbst zurückgespielt werden: Das Erlebnis verschwindet, aber nicht ohne Spuren in der Struktur zurückzulassen. Bewußte Erlebnisse kommen zum Erlebensganzen nicht hinzu; sie treten vielmehr aus ihm heraus, auf Grund der jeweiligen Veränderung, die sich im Erleben ergeben hat.

Der Kapazität einzelner bewußter Erlebnisse sind dadurch enge Grenzen gesteckt: Das heißt, daß nicht alles zugleich, also niemals der gesamte Horizont als Erlebnis gegeben sein kann. Dies ist eine logische Konsequenz des Dargestellten, denn einzelne bewußte Erlebnisse können erst als solche erfaßt werden, sofern sie aus diesem Horizont hervorgehen und folglich immer schon in ihn eingebettet sind.

***Wir können nun nicht einen Zusammenhang machen außerhalb dessen, der uns gegeben ist. Hinter denselben, wie er in der inneren Erfahrung selbst gegeben ist, kann die Wissenschaft von diesem Seelenleben nicht zurückgehen. Das Bewußtsein kann nicht hinter sich selber kommen. Der Zusammenhang, in welchem das Denken selber wirksam ist und von dem es ausgeht und abhängt, ist für uns die unaufhebbare Voraussetzung. Das Denken kann nicht hinter seine eigne Wirklichkeit, hinter die Wirklichkeit, in welcher es entsteht, zurückgehen. Will es hinter dieser letzten uns gegebenen Wirklichkeit einen rationalen Zusammenhang konstruieren, so kann dieser nur aus den Teilinhalten zusammengesetzt sein, die in dieser Wirklichkeit selber vorkommen.

Bewußte Erlebnisse sind somit Resultate von Reduktionen des Gesamterlebens auf nur relativ wenige, aber um so schärfer umrissene Aspekte desselben.

Aus all dem folgt, daß als Basisoperation der Psyche nicht länger die Autopoiesis des Bewußtseins angesetzt werden kann, denn bewußt wird lediglich ein ausdifferenziertes "Bruchstück" erlebt. Dieses "Bruchstück" wird jedoch nur insofern bewußt, als es auf anderes, nicht Bewußtes verweist.

Das Bewußtsein entsteht dieser Auffassung nach auf Grund eines Latenzschutzes: Bewußte Erlebnisse entstehen durch die Reduktion des Erlebenshorizontes auf einige, wenige Details, wobei der Großteil des Verweisungshorizontes latent (hier: unbewußt) bleibt, denn "***alle Verdrängung, alles 'Unbewußte', alle Totalisierung ist nur ein Untertauchen des immer mitgemeinten Anderen. Psychotherapeutik muß dann Aufklärung über das mitgemeinte Andere sein." Das System stellt die besonders leistungsfähige Verarbeitung des Erlebens durch das Bewußtsein also gerade dadurch her, daß es die Verweisungskomplexität des Erlebens überwiegend mit Latenz versieht, das heißt, sie als nichtthematisch Mitgemeintes zum größten Teil unbewußt hält. Das Bewußtsein kann nur einen Ausschnitt des Erlebens thematisieren, und es fängt die so entstehenden "Lücken" teilweise damit auf, daß es sie in ein 'Nacheinander des bewußten Erlebens' bringt: Erst wird jener Aspekt thematisch-bewußt (und alles andere bleibt unthematisch-latent), dann wird etwas anderes thematisch-bewußt (und wiederum bleibt alles andere unthematisch-latent). Das Bewußtsein sieht, was es sehen kann, weil es sich damit bescheidet, nur das wenige zu sehen, was es gerade sehen kann. Das, was es gerade nicht gesehen hat, sein 'blinder Fleck', wird folglich teilweise durch Temporalisierung aufgefangen: Das Bewußtsein thematisiert später einiges von dem, was es vorher nicht thematisieren konnte, und es thematisiert nun nicht mehr, was es vorher thematisiert hatte: "***Etwas steht im Blickpunkt, im Zentrum der Intention, und anderes wird marginal angedeutet als Horizont für ein Und-so-weiter des Erlebens und Handelns."

Gerade weil das Bewußtsein sich aber nur ereignishaft, also von Augenblick zu Augenblick, aktualisieren kann, und weil es außerdem das, was es "sieht", in vieles außer Acht lassender Thematisierung (und nicht mit allen erlebensmäßigen Verweisungen) erfaßt - deshalb kann das Erleben das, was es auf diese Weise aktualisiert, besonders deutlich beobachten, und das heißt bewußt erfassen:

Das System Bw wäre also durch die Besonderheit ausgezeichnet, daß der Erregungsvorgang in ihm nicht wie in allen anderen psychischen Systemen eine dauernde Veränderung seiner Elemente hinterläßt, sondern gleichsam im Phänomen des Bewußtwerdens verpufft. [...] Dann sind sie aber befähigt, das Bewußtsein entstehen zu lassen. (XIII, 25f., Hervorhebung im Original gesperrt.)

In diesem Zitat aus Jenseits des Lustprinzips betrachtet Freud das Bewußtsein noch als System. Aber wohl weniger aus diesem Grunde findet sich hier wieder eine frappante Übereinstimmung zwischen Freud und Luhmann hinsichtlich einer Theorie des Bewußtseins: "***Wir haben Bewußtseinssysteme mit einem vorläufig noch recht groben Zugriff beschrieben als autopoietische Systeme, die Elemente auf Ereignisse verkürzen und eben dadurch die Möglichkeit hoher Komplexität gewinnen." Sofern Freud in Jenseits des Lustprinzips ganz grundsätzlich von der Möglichkeit und der Genese bewußten Erlebens spricht, hat dieser Aspekt der Ereignishaftigkeit des Bewußtseins seine Gültigkeit bewahrt und gilt so auch, wenn man mit dem späten Freud das Bewußtsein nicht mehr als System betrachtet. So läßt sich der Grundgedanke, wonach Bewußtseinsphänomene mit ihrem Auftreten wieder "verpuffen", in der zweiten Metapsychologie ebenso konsequent anwenden wie in der ersten:

Nach dieser Theorie wäre dann das Bewußtsein kein Operationsmodus (ebensowenig wie das Vorbewußte und das Unbewußte), sondern Resultat eines vom Ich geleisteten Latenzschutzes unter Einbezug einer kompensatorischen Temporalisierung der Gleichzeitigkeit komplexer Verweisungen: Anstatt alle Verweisungen sofort und synchron zu verarbeiten - ein Vorgang, der durch seine hohe Komplexität das Bewußtsein überfordern würde -, thematisiert das Bewußtsein jeweils nur stark reduzierte Verweisungsausschnitte und macht so doch die Verarbeitung hoher Komplexität wieder möglich, indem es andere Verweisungen später thematisiert. Im allgemeinen werden dabei Verweisungen auf das zuvor Thematisierte offen gehalten. Das Ich kann diese Reduktion des Erlebens über Latenzschutz herstellen, weil es mehr ist als das Bewußtsein. Paradox formuliert: Das Ich kann das Bewußtsein entstehen lassen, weil das Ich selbst zum größten Teil unbewußt operiert. Auch die für das Bewußtsein notwendige Leistung einer Temporalisierung erscheint dann als eine Leistung des Ich, denn nach Freud leistet das Ich auch die "***zeitliche Ordnung der seelischen Vorgänge". Man kann diese Latenz mit ihrer Funktion für das Bewußtsein beobachten, denn die

***Beobachtung psychischer Systeme impliziert nicht notwendig Beobachtung ihres Bewußtseins, das muß gegen eine verbreitete, aber unüberlegte Meinung ausdrücklich betont werden. Beobachtungen, die diesen Bezug herstellen, werden gemeinhin als 'Verstehen' bezeichnet, und ein Verstehen, das sich an der Differenz bewußt/unbewußt orientiert, ist ein besonders seltener, besonders anspruchsvoller, besonders auf Theorie angewiesener Fall.

 

Die Herstellung von Bewußtsein ist aber aus vielerlei Gründen problematisch und gefährdet. So muß beispielsweise das Ich seine Autopoiesis in hohem Maße danach ausrichten, daß das Es bestimmte Erlebnisse als lustvoll, andere als unlustvoll behandelt - einen Drittwert gibt es nicht, wohl aber Abstufungen. Anstelle eines Drittwertes steht Ambivalenz. Genau dieser Begriff ermöglicht es, darzulegen, inwiefern die psychischen Systeme nach Freud einen Vergleich mit anderen codierten Systemen zulassen. Denn gerade weil das System nur zwei Werte kennt, gerät es ständig in Ambivalenz und muß daher mit den codeproduzierten Anomalien umzugehen lernen. Dabei läßt sich folgender Zusammenhang zwischen Ambivalenz und binärer Codierung vermuten:

Das System belegt einen spezifischen Sinn (hier: bestimmte Erlebenskonfigurationen) nicht ein für allemal mit einer der beiden Codeseiten. Es ist vielmehr gezwungen, seine Selektionen aufeinander abzustimmen. Dabei gerät es leicht in ein Oszillieren zwischen den beiden Werten, wenn der jeweils aktualisierte Sinn eine ausreichend eindeutige Zuordnung erschwert, weil beispielsweise die Selektionskriterien zu sehr starken Entgegensetzungen führen. Veranschaulicht in einer vereinfachten Darstellung der Ödipussituation: Der Vater wird als Beschützer und Vorbild geliebt, aber wegen einer (phantasierten) Kastrationsdrohung auch gefürchtet oder gar gehaßt ("Mordphantasie"). Das System steht so vor dem Problem der gleichzeitigen Belegung entgegengesetzter Extremwerte auf den beiden Codeseiten: Auf der "lustvollen" Seite stehen Liebe und Zuneigung, während auf der "Unlustseite" Furcht oder gar Haß stehen.

Lassen derartige widersprüchliche Sinnbezüge schwerlich einen Weg zum Aufbau neuen Sinns offen, der mit einer gewissen Eindeutigkeit auf Lust oder Unlust verweisen würde, so kann die Verarbeitung von Ambivalenz derartig diffizil werden, daß sie im System zu einem das Erleben stark belastenden Oszillieren zwischen den beiden Werten führt - und ein solches Oszillieren kann dann notdürftig "aufgelöst" werden, indem bestimmte Erlebnismomente beispielsweise der Verdrängung anheimfallen. Hierdurch wird die Anschlußfähigkeit neuer Erlebnisse wiederhergestellt oder doch zumindest erleichtert, womit zugleich exemplarisch deutlich wird, welche Rolle der Verdrängung hinsichtlich der Autopoiesis des Systems zukommt.

Wenn auch Ambivalenzen in der Regel nicht so extreme Werte erreichen dürften, daß sie kaum noch vom System verarbeitbar sind, so läßt sich dennoch mit Freud davon ausgehen, daß 'reine Lust' ebenso wie 'reine Unlust' psychologisch betrachtet wegen der Komplexität der Sinnverweise und der selektionssteuernden Erwartungsstrukturen als wenig wahrscheinlich anzusehen sind. So liegt wohl größtenteils Ambivalenz vor. Im krassen Sinne störend wirkt diese jedoch nur, wenn sie entweder zu dem beschriebenen, den gesamten Erlebensablauf störenden Oszillieren führt, oder wenn das System stets nur in neue, noch stärkere Ambivalenzen fliehen kann, weil alles andere im Augenblick noch mehr Unlust bedeuten würde. Freud hat beispielsweise in Das Unbehagen in der Kultur vor einer Mißachtung des komplexen Spiels von Strebungen, Wünschen und Ängsten gewarnt. Immer wieder versuchte er nachzuweisen, daß kulturelle Überforderungen sehr leicht in Verdrängungen münden, welche sich dann nur um so massiver, etwa in einer Massenhysterie, zu entladen suchen. Das komplexe Spiel von Strebungen prädestiniert den Menschen demzufolge nicht gerade zur Glückseligkeit, und so könnte man vielleicht überspitzt formulieren: Der Mensch kann noch, wenn er "zufrieden" ist, mit seiner Zufriedenheit unzufrieden werden (und sie etwa als "stumpfsinnige Genügsamkeit" empfinden). Und Beckett zufolge kann es dann passieren, daß man mit Malone konstatieren muß: "***Ich muß wohl glücklich sein [...], das ist weniger lustig, als ich gedacht hätte."

2.2.4 Psychoanalytische Gegenstandsbildung und Systemtheorie

Die nun folgenden Kapitel übernehmen die Aufgabe, die bisherige systemtheoretische Rekonstruktion der Psychoanalyse gewissermaßen zu forcieren. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Gegenstandsbildung psychoanalytischer Forschung (2.2.4.1), sondern auch um den Zusammenhang von Sinn, Erfahrung und Verstehen (2.2.4.2) sowie das Problem, welcher Operationsmodus sich aus psychoanalytischer Sicht als Basisoperation psychischer Systeme bestimmen läßt (2.2.4.3).

2.2.4.1 Die Bedeutung von Sinn und Erleben innerhalb der psychoanalytischen Gegenstandsbildung

Die Zentralstellung des Sinnbegriffs in der Psychoanalyse und ihrer Metapsychologie wurde bereits in Kapitel 2.1 diskutiert. Welche Konsequenzen hat diese Zentralstellung des Sinnbegriffs dann aber für die psychoanalytische Gegenstandsbildung?

Da Sinn nach Luhmann

***nur als Differenz von gerade Aktuellem und Möglichkeitshorizont Sinn sein kann, führt jede Aktualisierung immer auch zu einer Virtualisierung der daraufhin anschließbaren Möglichkeiten. [...] Sinn ist somit die Einheit von Aktualisierung und Virtualisierung, Re-Aktualisierung und Re-Virtualisierung als ein sich selbst propellierender (durch Systeme konditionierbarer) Prozeß. [...] Insgesamt ist Sinn also ein Prozessieren nach Maßgabe von Differenzen, und zwar von Differenzen, die als solche nicht vorgegeben sind, sondern ihre operative Verwendbarkeit [...] allein aus der Sinnhaftigkeit selbst gewinnen.

Sinn kann mithin auch als "***ein Sich-selbst-Prozessieren" bezeichnet werden.

Bezieht man diese Aussagen auf die Psychologie, so kann diese keine Theorie "objektiv-äußerer" Gegenstände (wie sie etwa von der Neurophysiologie behandelt werden) sein, sondern nur als Theorie des Erlebens auftreten. Für Erlebnisse gilt dann aber nicht mehr die Auftrennung in Form und Inhalt des Erlebnisses: Das Erlebnis ist Phänomenon, das heißt, es ist von sich aus inhaltlich sinnvoll bestimmt und als Ganzes gegeben. Die Differenzierung in Form und Gegenstand des Erlebens bedarf der Beobachtung von Erlebnissen. Diese Beobachtung zerstört aber die Einheit eines Erlebnisses, indem sie diese Einheit ana-lysiert, wodurch eine Differenz von Erlebnis und Gegenstand des Erlebnisses entsteht: Der Gegenstand, der dieser Analyse entspringt, läßt sich nun nicht mehr als das ursprüngliche Erlebnis bestimmen, sondern führt unter Umständen zum Begriff eines "objektiven Gegenstandes" auf der einen und zum Begriff eines diesen Gegenstand erlebenden Systems auf der anderen Seite. Gleichursprünglich mit der Analyse entsteht demnach etwas neues: Die Referenz auf einen "äußeren" Gegenstand, auf den zu referieren nun dem Erlebnis zugerechnet wird. Durch eine solche Beobachtung von Erlebnissen kann einem Erlebnis also eventuell ein Gegenstand in der Umwelt zugerechnet werden: dem Erlebnis "Baum" ein "intersubjektiver Baum" in der Umwelt des psychischen Systems. Die weitere Untersuchung eines Gegenstandes in der Umwelt des Erlebens führt aber aus dem Erleben heraus und bildet damit keinen Gegenstand der Psychologie. Ohne Frage aber ist ausschließlich das psychische System als erlebendes System der Gegenstand, auf den die Psychologie sich beziehen muß.

Die psychologisch notwendige Referenz auf das System schließt dann aber Referenzen auf die Umwelt des Systems insofern aus, als die Funktionsweise des Systems selbst verstanden werden muß. Referenzen auf die Umwelt des psychischen Systems gehören also nur dann zur Psychologie, wenn sie zum Verständnis der Psyche als eines die Umwelt selbst ausdifferenzierenden Systems beitragen, wie etwa im Falle psychosomatischer Störungen. Und dies kann nicht so geschehen, daß man dem Erlebnis eines Systems erst einen Gegenstand in der Umwelt zurechnet und dann das System auf Grund des Zugerechneten erklärt, denn dann würde das Erlebnis (etwa die "Baumwahrnehmung") zum nur subjektiv-fiktiven Erlebnis erklärt, dieser subjektiven Fiktion würde dann eine andere Konstruktion zugerechnet (ein "objektiver Baum") und zu guter Letzt würde diese Konstruktion, die nur auf Grund der "subjektiven" zustande kam, zur "objektiven", "eigentlichen" Realität erklärt. Politzer nannte ein solches Vorgehen eine Weltverdoppelung und spottete daher:

***Und weil alles durch die 'Wahrnehmung' hindurch muß, treffen sich Psychologie und Physik im selben Gegenstand. Die klassische Psychologie bemüht sich, dieselbe Sache zweimal in der dritten Person zu bestimmen: sie projiziert, was außen ist, nach innen, von wo sie es dann wieder, freilich vergeblich, herauszubringen versucht. Sie verdoppelt die Welt, um sich von ihr zuerst eine Illusion und dann von dieser eine Wirklichkeit zu schaffen.

Aber auch ohne dieses Argument läßt sich leicht sehen, daß ein Wissenschaftler, der das Erleben über seine Umwelt zu erklären sucht, einen leicht nachweisbaren Referenzfehler begeht: Der Gegenstand der Psychologie ist das Erleben, und wer den Gegenstand nicht verlassen will, der muß das Erleben auf Grund seiner eigenen Gesetzmäßigkeiten erklären können: Es muß erklärt werden, wie Erleben aus Erleben hervorgeht. Wenn man ohnehin von der Geschlossenheit aller Systeme ausgeht und davon, daß diese Systeme ihre Umwelt selbst erst erzeugen müssen, dann sollte es eigentlich nicht einmal mehr der hier vorgebrachten Argumente bedürfen, denn sowohl die "Außenwelt" als auch das neurophysiologische System gehören nicht zum psychischen System, sondern eben zu dessen Umwelt.

Erleben ist das emergente Merkmal ausschließlich von psychischen Systemen, denn ein psychisches System hat schlicht zu existieren aufgehört, wenn es nichts mehr erlebt. Und Erleben hat sich in allen bereits vorgenommenen Untersuchungen immer als sinnhaftes Erleben erwiesen. Das Sinnsystem 'Psyche' differenziert sich gegenüber anderen Sinnsystemen (das heißt: Kommunikationssystemen) über die Basisoperation des Erlebens aus, und daher bildet der Begriff des Erlebens als Basisoperation des psychischen Systems folgerichtig die Basiskategorie der Psychologie.

Zusammenfassend:

(1) Da der Gegenstand der Psychologie das psychische System ist und weil sich

(2) das psychische System über die Basisoperation sinnhaften Erlebens konstituiert, findet

(3) die Psychologie ihr Abgrenzungskriterium gegenüber der Neurophysiologie über die Begriffe des Sinns und des Erlebens, denn eine neurophysiologische Operation läßt sich wohl weder als Sinnoperation noch als Erlebnis beschreiben.

2.2.4.2 Erfahrung und Verstehen

Nachdem gezeigt worden ist, daß alle Erfahrungen des Analytikers und des Analysanden solche innerhalb eines Sinnzusammenhanges sind, gilt es, die Beziehung zwischen Sinn, Erfahrung und Verstehen näher zu beleuchten.

In der Umgangssprache scheint der Begriff des Verstehens keine größeren Probleme mit sich zu führen. Innerhalb der Wissenschaften hat dieser Begriff jedoch eine Kontroverse insbesondere zwischen der hermeneutischen und der szientistischen Position ausgelöst. Spätestens seit Dilthey die Unterscheidung von Erklären und Verstehen eingeführt hat, existiert eine nicht enden wollende Diskussion über die Rolle, die der Verstehensbegriff in den Wissenschaften spielt.

Besonders Kritische Rationalisten beanstanden die angebliche Trivialität, die dem Verstehensbegriff anhafte. Statt einer nüchternen Herausarbeitung des theoretischen Gehalts des Verstehensbegriffs führt die Kontroverse immer wieder zu unsachlichen, persönlichen Verunglimpfungen. So vertritt Grünbaum in einer scharfen Polemik die These, die "unnötige" Erklären/Verstehen-Kontroverse sei einerseits auf "ideologische", grobe Mißverständnisse respektive fachliche Inkompetenz und auf Legendenbildungen betreffs des naturwissenschaftlichen Erklärungsbegriffs von seiten der Hermeneutiker zurückzuführen. Andererseits werde die Bedingung, wissenschaftliche Sachverhalte verstehen zu müssen, künstlich hochgespielt, indem sie nur auf soziale Gegenstände bezogen werde. Dabei werde übersehen, daß Verstehen und Geschichte eine diskussionsunwürdige, triviale Bedingung jeder Forschung sei und eben daher kein Abgrenzungskriterium gegenüber anderen Disziplinen darstelle.

Es erübrigt sich, an dieser Stelle nochmals intensiv auf die Erklären/Verstehen-Kontroverse einzugehen. Stattdessen sollen hier in gebotener Kürze einige zentrale Einwendungen gegen den angesprochenen Trivialitätsvorwurf hervorgehoben werden. Diese Einwendungen sollen sich themenbezogen in erster Linie auf psychologische Sachverhalte beziehen.

 

Neben dem in der vorliegenden Untersuchung angewendeten Verstehensbegriff gibt es noch andere. Beispielsweise kann man davon sprechen, daß ein Schüler die Vektorrechnung verstanden habe. Dies heißt dann soviel wie: er weiß sie zu verwenden und anzuwenden; er weiß welche Bedeutung einzelnen Rechenschritten zukommt und wozu man eine Vektorrechnung verwenden kann. Dieser performativen Bestimmung des Wortes soll hier in keiner Weise die Berechtigung abgesprochen werden. Aber der Hinweis ist unentbehrlich, daß diese Verwendung den Begriff des Verstehens, wie er hier aus wissenschaftstheoretischer Sicht diskutiert wird, nur berührt. Es geht im folgenden wie bisher um einen Begriff des Verstehens, der von gegenstandskonstituierender Bedeutung ist und damit präzise definiert werden muß, um beispielsweise den Gegenstand der Psychologie oder der Soziologie vom Gegenstand der Naturwissenschaften scheiden zu können, oder mehr noch, um zu zeigen, daß beide Wissenschaften tatsächlich streng geschiedene Gegenstände behandeln und sich mit ihrer Gegenstandsbildung konstituieren. Es geht also um die Kritik der Gegenstandsbildung in den Wissenschaften. Dies hat dann selbstverständlich auch Folgen für Methode und Verfahren, was bekanntlich Dilthey schon gesehen hatte.

 

Wenn ein psychischer Vorgang verstanden wurde, so kann das nicht nur heißen, daß Sinn erfaßt wurde, sondern daß der erfaßte Sinn zudem der untersuchten Psyche selbst zugerechnet wurde. Eine Sinnbeobachtung (etwa durch einen Psychologen), die man als 'Verstehen' bezeichnen können soll, setzt somit voraus, daß nicht nur der Beobachter (hier: der Psychologe) einen Sinn im Geschehen ermittelt hat, sondern daß der Gegenstand der Beobachtung selbst mit Sinn operiert und damit sinnhaft oder sinngesteuert funktioniert. Nichts dergleichen läßt sich über die Gegenstände der Naturwissenschaften sagen - Atome, Quanten, Moleküle, Strahlung, Materie oder was man sonst noch anführen mag: Sie alle operieren nicht mit Sinn. Der Beobachter mag Zusammenhänge, Kontexte, die das Geschehen determinieren, herausarbeiten können, aber er kann diese Verweisungen nicht als Sinnzusammenhänge den Gegenständen selbst zurechnen.

Wenn man zum Beispiel sagt: "Die physikalische Theorie P ergibt Sinn", so mag das etwa heißen, daß P einen Vorgang V erklärt und Voraussagen aus dieser Erklärung ableitbar macht. Operiert somit jede Wissenschaft auf der Theorieebene sinnhaft, so verliert sich diese Sinnhaftigkeit auf der Gegenstandsebene: Beispielsweise operiert ein Molekül nicht seinerseits mit Sinn, trifft keine Sinnverweisungen, ist nicht eingebettet in einen eigenen Sinnhorizont und wird bezüglich seines physikalischen oder chemischen Verhaltens nicht durch sinnhaftes Operieren gesteuert. So läßt sich zwar einer Theorie Sinn zurechnen, denn sie ist eingebettet in einen wissenschaftsspezifischen Sinnhorizont: Man kann daher Theorien immer verstehen. Dagegen läßt sich den Gegenständen der Naturwissenschaft (einem Elementarteilchen, dem Metabolismus etc.) kein sinnhaftes Operieren zurechnen, und insofern können die Naturwissenschaften ihre Gegenstände nicht verstehen. Der Psychoanalytiker hingegen versteht seinen Analysanden, weil er einen Verweisungszusammenhang aufbaut, der seiner Ansicht nach das Erleben des Analysanden in bestimmten Hinsichten leitet. Aber er muß im Gegensatz etwa zum Physiker auch dem Analysanden selbst diesen Sinnhorizont und die entsprechenden Sinnoperationen zurechnen: Nicht nur die Theorie arbeitet sinnvoll, sondern auch das Erleben des Analysanden.

Verstehen setzt folglich die Gleichartigkeit der Operationsweise von "Objekt" und Beobachter voraus: Verstehen kann nur der, der selbst mit Sinnbezügen operiert und einen Gegenstand beobachtet, dem Gleiches zugerechnet werden muß: Verstehen kann man nur, was von sich aus Sinn macht.

Verstehen soll demnach hier definiert sein als ein Prozeß, der darin besteht, daß ein Sinnsystem einem anderen System 'Sinn' zurechnet. Da jedem Gegenstand, dem Sinn zugerechnet werden kann, notwendigerweise auch sinnhaftes Operieren zugerechnet werden muß, so muß, was verstanden werden kann, ein Sinnsystem sein. Die Gegenstände der Naturwissenschaften sind aber keine Sinnsysteme: Das Verhalten physikalischer Gegenstände geht nicht aus Sinnoperationen hervor; ihre Zustände, Veränderungen und ihre Wirkung sind "sinnlos". Aber wenn auch zum Beispiel die Gravitation als ein Gegenstand der Physik kein Sinnsystem ist (und daher nicht verstanden werden kann), so versteht der Physiker selbstverständlich die Theorie der Gravitation, denn er und mit ihm die gesamte Physik sind Sinnsysteme und die von ihnen entworfenen Theorien ergeben freilich Sinn.

Im Gegensatz dazu versteht der Psychoanalytiker jedoch den Analysanden selbst und muß diesem zurechnen, mit Sinn zu operieren. Er muß ihm weiter die Fähigkeit zurechnen, sich und andere Sinnsysteme verstehen zu können. Verstehen besteht mithin nicht einfach im Erfassen eines Gegenstandes, mit dem Ziel, eine Erklärung zu erarbeiten. Somit ist "***Sinnerfassen selbst [...] noch kein Verstehen in diesem anspruchsvollen Sinne. Vielmehr kommt Verstehen nur zum Zuge, wenn man Sinnerleben bzw. sinnhaftes Handeln auf andere Systeme mit einer eigenen System/Umwelt-Differenz projiziert."

Ganz in diesem Sinne äußert sich Freud zur verstehenden Beobachtung (das heißt: der Beobachtung von Sinn) in der Psychoanalyse:

DIE 'TECHNISCHE GRUNDREGEL', dies Verfahren der 'freien Assoziation', ist seither in der psychoanalytischen Arbeit festgehalten worden. Man leitet die Behandlung ein, indem man den Patienten auffordert, sich in die Lage eines aufmerksamen und leidenschaftslosen Selbstbeobachters zu versetzen, immer nur die Oberfläche seines Bewußtseins abzulesen und einerseits sich die vollste Aufrichtigkeit zur Pflicht zu machen, andererseits keinen Einfall von der Mitteilung auszuschließen, auch wenn man 1) ihn allzu unangenehm empfinden sollte, oder wenn man 2) urteilen müßte, er sei unsinnig, 3) allzu unwichtig, 4) gehöre nicht zu dem, was man suche. Es zeigt sich regelmäßig, daß gerade Einfälle, welche die letzterwähnten Ausstellungen hervorrufen, für die Auffindung des Vergessenen von besonderem Wert sind. (XIII, 214f.)

Die Regel scheint denkbar einfach, geradezu "unwissenschaftlich" und naiv. Wie will Freud erklären, daß gerade diese förmlich "regellose Regel" der 'freien Assoziation' als technisches "Instrument" tauglich sein kann? Die Erklärung findet sich unter anderem darin, daß es Freud hierdurch gelingt

(1) den Beobachterstatus auch auf das "Objekt" (den Patienten) selbst zu verlagern und damit

(2) die Situation zu koppeln an eine interaktive Doppelung des Beobachters (Analysand und Analytiker).

 

Das naturwissenschaftliche Vorgehen, das darin besteht, zu forschen, ohne den Gegenständen der Forschung selbst Sinn zu unterstellen, hat sich erst im Zuge der Neuzeit allmählich durchgesetzt. Prinzipiell aber kann die Natur unter Sinnpostulate geraten. Eine solche, etwa anthropomorphisierende Betrachtung, muß "***erst ausgetrieben werden". Ansonsten läßt sich jederzeit auch

***nach der schönen Maxime [...] verfahren 'Im Frühling ist es billig und recht, auch ein Pferd zu grüßen' [...] oder die Yamsknollen um Rat zu fragen. Allenfalls in extremen Situationen dürfen auch Erwachsene, die nicht Dichter sind, der Rakete zurufen 'Go, Atlas, go!', wie die Techniker auf Cap Canaveral beim Start.

Wenn die erklärende Methode der modernen Naturwissenschaften aber gerade darin besteht, Naturvorgängen keinen eigenen Sinn zuzurechnen, dann kann man die Natur auch nicht verstehen, zumindest nicht nach dem hier verwendeten Begriff von Sinn und Verstehen. Verstehen kann man in diesem strengen Sinn nur das, was von sich aus Sinn macht, also etwas, dem der Beobachter zurechnet, daß seine Operationen aus systemimmanenten Sinnzusammenhängen hervorgehen, von systemimmanenten Sinnzusammenhängen abhängen und von ihnen und durch sie gesteuert werden. Aus all dem sollte deutlich geworden sein,

i) daß der Verstehensbegriff Freuds sowie der der hier vertretenen Systemtheorie in einem - mit Luhmanns Worten - "***anspruchsvollen Sinne" aufgefaßt werden muß, der sich sehr wohl von der trivialen Bestimmung, die ihm der Szientismus zuschreibt, geschieden werden kann und muß;

ii) daß sich über einen derartigen Verstehensbegriff ein von den Naturwissenschaften geschiedener Gegenstandsbereich eröffnet, nämlich ein Gegenstandsbereich, der dadurch konstituiert ist, daß man den erfaßten Sinn in den untersuchten Gegenstand als dessen "Eigensinn" einträgt. Wenn Verstehen aber die Projektion des durch ein Sinnsystem (etwa eines beobachtenden psychischen Systems) erfaßten Sinns auf den erfaßten Gegenstand selbst erfordert, dann muß nicht nur das beobachtende System, sondern auch der beobachtete Gegenstand selbst ein Sinnsystem sein;

iii) daß den Gegenständen der Naturwissenschaften jedoch offenkundig kein solcher, eigener Sinnhorizont zugerechnet werden kann - weder von der Physik, noch von anderen (nicht-metaphysischen) Wissenschaften. Die Naturwissenschaften erfassen folglich in und durch ihre Theorien Sinn (denn ihre Theorien sind sinnvoll). Da sie den Naturvorgängen kein eigenes Sinnerleben oder sinnhaftes Handeln zurechnen können und sollen, jedes Verstehen aber eben eine solche Zurechnung erfordert und Verstehen nicht als bloßes Sinnerfassen begriffen werden darf, kann nicht davon gesprochen werden, daß die Naturwissenschaften mit Hilfe ihrer Erklärungen zugleich ihre Gegenstände auch verstehen.

2.2.4.3 Erfahrungen des psychischen Systems als strukturelle Niederschläge von Erlebnissen

Das psychische System operiert, wie gezeigt, auf der Basis der selbsterzeugten Komplexität eines Sinnhorizontes. Darin unterscheidet es sich nicht von Kommunikationssystemen. Psychische Systeme können aber nicht kommunizieren. Ihre Basisoperation ist demnach nicht die Kommunikation, sondern das Erleben.

Um seine Komplexität verarbeiten zu können, bedarf das psychische System ebenso wie Kommunikationssysteme der Selektion. In dem Kapitel Der systemtheoretische Begriff der Erfahrung wurde bereits angesprochen, daß die selbstreferentielle Produktion von Elementen durch Selektion aus einer Komplexität der Konditionierung bedarf: es darf nicht alles gleichwahrscheinlich sein. Und da diese Konditionierung innerhalb eines geschlossenen, selbstreferentiellen Systems nur als Selbstkonditionierung vonstatten gehen kann, muß das System bestimmte seiner Ereignisse zur Konditionierung verwenden. Wie ist dies möglich?

Neben dem bereits über den systemtheoretischen Begriff der Erfahrung Ausgeführten bedarf es zunächst des Hinweises, daß entsprechend der Freudschen Entwicklungspsychologie bestimmte Erlebnisse (insbesondere die der frühen Kindheit) für das spätere Erleben bestimmend werden. So teilt Freud die Kindheit in eine orale, eine anale, eine phallische und in eine genitale Phase ein. Freud zufolge sind die Erlebnisse der frühen Kindheit ausschlaggebend für die Ausbildung der genannten Phasen. Dieser Sachverhalt kann aber auch anders und deutlicher formuliert werden: Bestimmte frühe Erlebnisse schlagen sich strukturell nieder, und diese Niederschläge bilden die Grundlage für die Ausbildung der genannten Phasen. Die Kindheitsphasen sind also selbst strukturelle Niederschläge des frühen Erlebens. Jeweils eine Phase bildet sodann wiederum die Basis für die Ausdifferenzierung der folgenden Phasen, und eine solche Ausdifferenzierung läßt die Komplexität des psychischen Systems und möglicher neuer Erlebnisse ansteigen. Ist die Welt des Neugeborenen gewissermaßen zunächst (in der oralen Phase) ganz 'Hunger-Mund-Brust-Sättigungslust', so differenziert das Kind im Laufe seines weiteren Erlebens aus dieser (noch relativ geringen) Erlebenskomplexität eine Mutter, einen Vater, sich selbst, ja, geradezu eine ganze Welt aus.

Daran kann folgendes deutlich werden: Die Erlebnisse des Kindes (zum Beispiel während des Stillens) hinterlassen Struktureffekte, die sogenannten 'Phasen': Das Kind macht nach dem "Muster" der jeweiligen Phase so seine ersten Erfahrungen und diese bestimmen das weitere Erleben sowie die Ausbildung weiterer Phasen als "Muster" weiteren Erlebens. Dementsprechend sind psychische Erfahrungen strukturelle Niederschläge von Erlebnissen - ganz in dem Sinne, in welchem Erfahrungen bereits im Kapitel über die Systemtheorie definiert wurden. Psychische Erfahrungen können mithin definiert werden als Erlebnisse, die Struktureffekte veranlassen. Und weil neue Erlebnisse nur auf der Grundlage der bereits vorhandenen Strukturen möglich sind, so sind Erfahrungen Selektionskonditionierer: Erfahrungen sind strukturelle Niederschläge von Erlebnissen, und Erlebnisse sind auf der Grundlage von den durch Erfahrungen geschaffenen Strukturen selegierte und aktualisierte Ereignisse innerhalb eines Systems. Erfahrungen basieren demnach letztlich auf einem zirkelhaften Operieren, und die Frage, was zuerst war, stellt sich hier nicht, denn jedes System verfügt, weil es sich selbst ausdifferenziert, weil es sich also selbst erzeugt (Autopoiesis), immer schon über eine mit der Ausdifferenzierung geschaffene Anfangskomplexität.

2.2.5 Ist die Psychoanalyse eine Theorie autopoietischer Systeme?

Autoren wie Grünbaum erwecken den Eindruck, die Psychoanalyse sei nur als eine "***Fundgrube vorwissenschaftlich gewonnener heuristischer Anregungen" anzusehen - und mehr nicht. Wenn dieser Eindruck nicht täuscht, so klingt die darin enthaltene Kritik sicherlich zunächst ruinös, aber auch unglaubwürdig, denn schließlich finden sich in dieser "Fundgrube" nicht nur eine unübersehbar große Zahl an Ideen, die ihrer Zeit geradezu voraus geeilt zu sein scheinen, mehr noch: Die Psychoanalyse wird und wurde von den bedeutendsten Theoretikern (wie man an Grünbaum selbst sehen kann) immer wieder diskutiert und gewürdigt, sei es positiv oder eher abschlägig.

Vergegenwärtigt man sich, warum Theoretiker wie Grünbaum die Psychoanalyse für ein (zumindest noch) nicht den Titel 'Wissenschaft' verdienendes Ideengebilde halten, dann klärt sich einiges schnell auf: Grünbaums Vorwürfe beruhen nahezu restlos darauf, daß die Psychoanalyse keine basissatzgesteuerten Falsifikationsprüfungen durchgeführt hat und diese sich teilweise - auf Grund des psychoanalytischen Theoriedesigns - auch niemals durchführen lassen werden. Allerdings: Diese Konsequenz erscheint nur demjenigen vernichtend, der die Grundprämisse des Kritischen Rationalismus teilt, nämlich: Nur wer oder was die Methode des Kritischen Rationalismus anwendet, darf als Wissenschaft bezeichnet werden. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit Grünbaum erscheint dann aber beinahe redundant, wenn man diese Prämisse nicht teilt, denn dann eröffnen sich gänzlich andere Möglichkeiten, wissenschaftlich zu arbeiten. Und eine dieser Möglichkeiten sollte hier vor Augen geführt werden: Die Möglichkeit, Psychoanalyse als systemtheoretische Psychologie aufzufassen und zu betreiben.

Freud selbst hat zum Verständnis einer solchen Theorie autopoietischer psychischer Systeme - freilich ohne sich jemals als Systemtheoretiker zu verstehen oder sich gar der hier verwendeten Begrifflichkeit zu bedienen - einen beachtlichen Beitrag geleistet. Die Schwierigkeit, Freuds Theorie als eine Vorläuferin moderner systemtheoretischer Konzepte zu sehen, findet ihre Ursache dann nicht zuletzt bei Freud selbst, der immer wieder eine Anlehnung an naturwissenschaftlich-objektivistische Modelle versucht hat, ohne den beträchtlichen Gewinn seiner eigenen Entwürfe zu sehen. Wiederholt betrachtete er sein eigenes Modell als ein Provisorium in Erwartung einer naturwissenschaftlich-physiologischen Substitution. Den für die damalige Zeit noch schwerlich sichtbaren, eindrucksvollen Fortschritt, den Freuds originelle Konzeptionen beinhalten, ein Fortschritt, der erst im radikalen Akzeptieren aller damit verbunden Konsequenzen sichtbar werden kann, mußte Freud geradezu als wissenschaftliche Misere mißverstehen.

Freuds Konstruktionen sind selten eindeutig oder gänzlich konsequent - dergleichen sollte hier auch an keiner Stelle behauptet werden. Aber dennoch weist Freuds Theorie tendenziell immer und von Anbeginn an in die Richtung einer Theorie autopoietischer Systeme. Daher wurde hier versucht, diese Tendenzen aufzuzeigen, weiter zu verfolgen und mit den inzwischen vorhandenen systemtheoretischen Grundlagen zu rekonstruieren, um so von der Präfiguration einer systemtheoretischen Psychologie zu einer ausgearbeiteteren Theorie dieser Art zu gelangen. Im folgenden werden die Konsequenzen aus der bisherigen Erörterung der Psychoanalyse gezogen und die Überschneidungen zwischen Psychoanalyse und Systemtheorie überschaubar zusammengefaßt und detailliert herausgearbeitet. Zu diesem Zweck gliedert sich das Kapitel in vier Abschnitte. Im ersten (2.2.5.1) soll der systemtheoretische Begriff des Systems mit dem psychoanalytischen verglichen werden. Im zweiten (2.2.5.2) erfolgt dann eine Erörterung des Aspektes der Geschlossenheit psychischer Systeme und im dritten (2.2.5.3) der der Selbstreferentialität. Alle drei Merkmale des psychischen Systems sollen dann im vierten Abschnitt (2.2.5.4) synthetisiert werden in Hinsicht auf eine Auffassung der Psychoanalyse als einer Theorie autopoietischer Systeme.

2.2.5.1 Zum Begriff des Systems in der Psychoanalyse

Freud sprach zu allen Zeiten von der Psyche als einem System, aber er sah vor allen Dingen dieses System immer als ein funktionelles, sich auf sich selbst beziehendes, eigenen Strukturen und dem eigenen Erleben folgendes an. Die Psychoanalyse beobachtet mithin psychische Systeme, ohne dabei eine Subjekt/Objekt-Dichotomie zu verwenden, denn sie betrachtet Erlebnisse nicht darauf hin, ob ihnen ein "objektives", von ihnen unabhängiges Sein als Objekt gegenübersteht oder wie ein psychisches System ein "Objekt" verarbeitet.

Statt einer Subjekt/Objekt-Dichotomie operiert die Psychoanalyse mit dem Modell eines geschlossenen psychischen Systems, das aus mehreren Teilsystemen besteht. Dabei lassen sich, wie gesehen, von Freud herkommend zwei Modelle unterscheiden:

Freuds erstes Modell besteht aus drei Teilsystemen, dem Bewußtsein (Bw), dem Vorbewußten (Vbw) und dem Unbewußten (Ubw). Alle drei Systeme werden nicht durch separate Vermögen (Verstand, Sinnlichkeit etc.), sondern durch verschiedene Operationsmodi (bw, vbw, ubw) und ein allen gemeinsames Prinzip reguliert: das Konstanzprinzip.

Freuds zweite Metapsychologie besteht aus drei im Grunde gänzlich anderen Teilsystemen: dem Ich, dem Es und dem Über-Ich. Hier sind es nicht mehr verschiedene Operationsmodi, durch die sich die Systeme voneinander unterscheiden, sondern verschiedene Codes: erwünscht/unerwünscht (Es), realitätsgerecht/nicht-realitätsgerecht (Ich) und zugelassen/nicht-zugelassen (Über-Ich). Auf diese Weise löste Freud nicht nur das Problem, wie man unbewußte Operationen auch im Ich und im Über-Ich zulassen kann, sondern auch Probleme der Realitätserzeugung und der (psychischen) Zensur, die nun alle aus den Operationen jeweils darauf spezialisierter Funktionssysteme erklärt werden konnten.

Beide Modelle haben dennoch einige entscheidende Gemeinsamkeiten: Sie bestehen nicht nur aus der Konstruktion eines Systems mit Teilsystemen, sondern sie regulieren das Erleben ausschließlich durch Rückgriff auf sich selbst, nicht auf eine davon unabhängige Außenwelt, ein Medium oder Dinge an sich. So steht hier kein Subjekt mehr einem Objekt gegenüber. Nur die aktuellen Systemstrukturen und die darin auftretenden (aktualisierten) Erlebnisse können bestimmen, was als nächstes und wie etwas als nächstes erlebt wird: Das System operiert geschlossen (vgl. hier 2.2.5.2), arbeitet selbstreferentiell (vgl. hier 2.2.5.3) und erzeugt sich mit seinen Elementen (hier: Erlebnissen) aus sich selbst heraus, das heißt autopoietisch (vgl. hier 2.2.5.4).

2.2.5.2 Zur psychoanalytischen Theorie der Geschlossenheit psychischer Systeme

Neben all dem, was bereits an vielen Stellen betreffs Freuds Behandlung der Systeme als geschlossener erläutert wurde, soll hier nun das Freudsche Denken diesbezüglich resümiert und nochmals an drei ausgewählten Beispielen expliziert werden, um den bereits gewonnenen Eindruck zu verstärken. Im ersten Beispiel geht es dabei um die Triebtheorie (das heißt: die Theorie endogener Reize), welche nicht zuletzt auf die Unterscheidung lebender Systeme (das heißt: Organismen) und psychischer Systeme abzielt. Das zweite Beispiel erläutert die Determination von Systemereignissen durch das System selbst anhand der Freudschen funktionalistischen Theorie des Erschreckens und der Angst. Und im dritten Beispiel geht es dann um die Berücksichtigung der Geschlossenheit von Systemen in Freuds psychoanalytischer Therapie.

 

Freud hat immer wieder über die Geschlossenheit lebender und psychischer Systeme nachgedacht, auch wenn er dabei zeitweise die Existenz einer unabhängigen Realität voraussetzte. Er war der Ansicht, für den Organismus sei der "Reizschutz eine beinahe wichtigere Aufgabe als die Reizaufnahme" (XIII, 27). Der Organismus sei daher gewissermaßen selbstdeterminierend, könne nur verarbeiten, was er selbst herstelle, denn er sei "mit einem eigenen Energievorrat ausgestattet" (ebd.) und müsse "vor allem bestrebt sein, die besonderen Formen der Energieumsetzung, die in ihm spielen, vor dem gleichmachenden, also zerstörenden Einfluß der übergroßen, draußen arbeitenden Energien zu bewahren." (ebd.) So sprach Freud davon, daß es zur Reizaufnahme genügen müsse, der "Außenwelt kleine Proben zu entnehmen, sie in geringen Quantitäten zu verkosten." (ebd.)

Die Funktion, die den Sinnesorganen hierbei zukommt, sieht Freud nicht in einer möglichst weitgehenden und präzisen Aufnahme von Umweltreizen, sondern nahezu im Gegenteil im Schutz vor Umweltreizen, welcher Schutz die Eigenständigkeit und Selbstorganisation des Organismus durch die Verarbeitung möglichst geringfügiger, aber hochselektiver Reize überhaupt erst ermöglicht. Die reizreduzierende Selektivität der Sinnesorgane dient somit dem Organismus als Schutz vor einer Reizüberflutung, um so Raum zu schaffen für den Aufbau konstruktiver Strukturen und das relativ gefahrlose Erproben operativer Prozesse. Diese Reduktion von Reizen durch die Sinnesorgane sieht Freud zunächst als dadurch ermöglicht an, daß die Sinnesorgane sich weitgehend auf die Verarbeitung nur weniger, sehr bestimmter Reize spezialisiert haben, denn

es ist für sie [die Sinnesorgane, H.W.] charakteristisch, daß sie nur sehr geringe Quantitäten des äußeren Reizes verarbeiten, sie nehmen nur Stichproben der Außenwelt vor; vielleicht darf man sie Fühlern vergleichen, die sich an die Außenwelt herantasten und dann immer wieder von ihr zurückziehen. (XIII, 27)

Doch von diesen Überlegungen zu lebenden Systemen findet Freud nahtlos den Übergang zu psychischen Systemen. Im Falle psychischer Systeme stellt er zwei Merkmale besonders in den Vordergrund:

a. die endogenen Reize (das heißt: vom System selbst erzeugte Reize) und

b. die Unmöglichkeit des Reizschutzes gegen endogene Reize.

Freud bezieht diese Überlegungen zunächst auf das Bewußtsein, welches (siehe hier a.) "auch Erregungen von innen her" (XIII, 28) erfährt, denen es (siehe hier b.) schutzlos ausgeliefert zu sein scheint, denn "nach innen zu ist der Reizschutz unmöglich, die Erregungen [...] setzen sich direkt und in unverringertem Maße auf das System fort, indem gewisse Charaktere ihres Ablaufes die Reihe der Lust-Unlustempfindungen erzeugen." (Ebd.) Diese Erwägungen führen Freud dann wiederum unmittelbar auf zwei weitere Gesichtspunkte, welche das System als (zumindest weitestgehend) umweltentkoppelt erscheinen lassen:

aa. der Vorrang der systeminternen Operationen vor den Umweltprozessen;

bb. die interne Umwelterzeugung durch Projektion endogen erzeugter Reize auf die Umwelt als Reizauslöser.

Die beiden Thesen (aa. und bb.) ergeben sich daraus, daß ein System, das sich vor inneren Reizen nicht schützen kann, einen Weg finden muß, sie dennoch adäquat zu "erledigen". In einem System gewinnen verständlicherweise gerade diejenigen Reize an Bedeutung, die nicht von vornherein (etwa durch die Selektivität der Sinnesorgane) "abgefiltert" werden können und deren Erledigung also besonderer Operationen bedarf. So wird (aa.) "die Prävalenz der Lust- und Unlustempfindungen, die ein Index für Vorgänge im Innern des Apparates sind, über alle äußeren Reize [...]" (XIII, 29) deutlich und zweitens (bb.) die Neigung verständlich, endogene Reize

so zu behandeln, als ob sie nicht von innen, sondern von außen her einwirkten, um die Abwehrmittel des Reizschutzes gegen sie in Anwendung bringen zu können. Dies ist die Herkunft der Projektion, der eine so große Rolle bei der Verursachung pathologischer Prozesse vorbehalten ist. (Ebd., Hervorhebung im Original gesperrt)

Wenn man die inzwischen über siebzig Jahre zurückliegenden Überlegungen Freuds aus Jenseits des Lustprinzips (1920) mit denjenigen zu integrieren sucht, die Freud bereits fünf weitere Jahre zuvor in Triebe und Triebschicksale geäußert hatte, so wird die Prävalenz und damit die Geschlossenheit des psychischen Systems gegenüber der Umwelt noch deutlicher. Zunächst fragt Freud, was man unter einem Trieb zu verstehen habe und definiert diesen dann als einen "Reiz für das Psychische."(X, 211) Hier wird Freuds Auftrennung der Systeme in lebende Systeme (Organismen) und psychische Systeme sichtbar, denn Freud möchte Reize auch für Organismen gelten lassen, Triebe aber nur für die Psyche. Doch ganz so einfach scheint der Sachverhalt dann doch nicht zu liegen, denn "es gibt offenbar für das Psychische noch andere Reize als die Triebreize, solche, die sich den physiologischen Reizen weit ähnlicher benehmen." (Ebd.) Auch der Zusammenhang von Trieb und System wird von Freud ausdrücklich betont: "Der Triebreiz stammt nicht aus der Außenwelt, sondern aus dem Innern des Organismus selbst." (X, 211f.)

Was ist der Trieb nun, wenn er zum einen zeitweise den physiologischen Reizen ähnelt, zum anderen aber nicht aus der Außenwelt entstammen kann? Aus diesem Dilemma führt ein einfacher Ausweg: Freud schlägt zunächst vor, die terminologische Verquickung von Trieb und Reiz im Begriff des 'Triebreizes' durch den Einsatz eines anderen Begriffs aufzulösen und so zugleich den Sinngehalt von Trieben, ihr sinnvolles Verweisen auf etwas anderes, deutlicher hervortreten zu lassen:

Wir heißen den Triebreiz besser 'Bedürfnis'; was dieses Bedürfnis aufhebt, ist die 'Befriedigung'. Sie kann nur durch eine zielgerechte (adäquate) Veränderung der inneren Reizquelle gewonnen werden. (X, 212, erste Hervorhebung im Original gesperrt; letzte Hervorhebung H.W.)

Dieser Schritt allein reicht freilich nicht aus. Es gilt die Frage zu beantworten, was ein Reiz für die Psyche ist. Freud selbst gibt den entscheidenden Hinweis zu einer Auftrennung zwischen einem physischen und einem psychischen System (und damit der gegenseitigen Geschlossenheit beider füreinander): So stellt er, jetzt wieder auf das Problem des Triebbegriffs bezogen, fest:

Unter der Quelle des Triebes versteht man jenen somatischen Vorgang in einem Organ oder Körperteil, dessen Reiz im Seelenleben durch den Trieb repräsentiert ist. Es ist unbekannt, ob dieser Vorgang regelmäßig chemischer Natur ist oder auch der Entbindung anderer, z.B. mechanischer Kräfte entsprechen kann. Das Studium der Triebquellen gehört der Psychologie nicht mehr an [...]. (X, 215f., erste Hervorhebung im Original gesperrt; letzte Hervorhebung H.W.)

Der Trieb als genuin psychisches Phänomen bildet damit eine Sinnoperation, denn er ist sinnhaft verbunden mit seiner Befriedigung und daher wird uns der Trieb "im Seelenleben doch nicht anders als durch seine Ziele bekannt." (X, 216)

Freud erkennt also in all dem nicht nur die Existenz innerer, psychischer Reize (das heißt 'Triebe' oder 'Bedürfnisse') an, vielmehr stellt er in eindeutigen Worten deren Bedeutung weit über die Bedeutung etwaiger aus der Umwelt stammender Reize:

Wir dürfen also wohl schließen, daß sie, die Triebe, und nicht die äußeren Reize, die eigentlichen Motoren der Fortschritte sind, welche das so unendlich leistungsfähige Nervensystem auf seine gegenwärtige Entwicklungshöhe gebracht haben. (X, 213f.)

Ein System aber, dessen interne Operationen nahezu allein bestimmen können, welches Ereignis im System als nächstes aktualisiert wird: ein solches System kann nur als geschlossen bezeichnet werden.

 

Die bei Freud überwiegend vorfindliche Betrachtung der Systeme als geschlossener wird in vielen weiteren seiner Überlegungen deutlich, so beispielsweise, wenn er die Entstehung des 'Erschreckens' zu erklären sucht. Freud zufolge entsteht nämlich der Schreck nicht durch die Einwirkung äußerer Reize, sondern ausschließlich auf Grund des aktuellen Systemzustandes: Die entscheidende Bedingung für das Entstehen eines 'Schrecks' ist nach Freud "das Fehlen der Angstbereitschaft" (XIII, 31) - und nicht etwa ein äußerer Reiz. Der unter Umständen für einen Beobachter des Geschehens konstatierbare "äußere" Reiz (wenn man überhaupt von einem solchen sprechen kann), wäre in seiner Bedeutung für das fokale System allenfalls als eine völlig unspezifische Perturbation zu kennzeichnen, denn nur das System selbst kann eine solche Perturbation spezifizieren, also zum Beispiel als 'Schreck' verarbeiten. Freud erklärt diesen Sachverhalt folgendermaßen:

Angst ist eine (sicherlich unangenehme) Erwartungshaltung, die nicht vor dem Unangenehmen selbst, wohl aber vor einer unangenehmen Überraschung schützen kann, und Angstbereitschaft kann dann als ein Systemzustand gekennzeichnet werden, in welchem die Psyche ihre Emotionspotentiale von allem, was ihr als wenig bedenklich erscheint, weitgehend abgezogen hat, um sie jederzeit der Abwehr einer Angstsituation zur Verfügung stellen zu können. So verhindert Angstbereitschaft den allzu plötzlichen (und dann sehr leicht traumatisch wirkenden) Anstieg belastender Gefühle, denn sie besteht in der Erzeugung und Aufrechterhaltung eines relativ hohen emotionalen Niveaus schon vor dem eventuellen Eintritt der befürchteten Situation: Man erschrickt nicht vor dem, was man erwartet hat. Der Systemzustand allein bestimmt so, ob die Psyche mit einem 'Schrecken' reagiert oder mit einer gefaßteren Reaktion dank disponibler Angstbereitschaft.

Luhmann sieht sowohl betreffs des Triebbegriffs als auch betreffs einer Theorie der Angst Möglichkeiten, die Theorie der Autopoiesis des psychischen Systems zu spezifizieren:

***Wir sprechen weder von Trieb noch von Angst. Die Anschlußstellen entsprechender Theorien über Grundlagen psychischer Phänomene würden hier liegen; aber jedes bestimmte Wort an dieser Stelle würde uns zu stark auf bestimmte Theorieentwicklungen festlegen. Wer hier Chancen sieht, kann sie immer noch einhängen.

Freud hat derartige Ideen bereits im letzten Jahrhundert entwickelt. Aber in seinen späten Schriften, so etwa in Hemmung, Symptom und Angst, modifizierte er seine Ideen zur Wirkung und Funktion der Angst beziehungsweise Angstbereitschaft und versuchte so, den systeminternen Gründen der Angstentwicklung noch einmal näher zu kommen.### {{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}

Hier, also vor mittlerweile mehr als sechzig Jahren, deutet sich schon das an, was man als eine (vielleicht bis heute in dieser Form einmalige) psychologische Immunologie bezeichnen könnte, eine Theorie also, derzufolge die Angstbereitschaft auf Grund ähnlicher Prinzipien funktioniert und analogen Funktionen dient wie das, was man gegenwärtig als das physische Immunsystem bezeichnet und untersucht.###{{{Kontrollende}}} Freud spricht jetzt von einem Angstsignal, "***das eine aktive Erwartungshaltung impliziert." Das Angstsignal entspricht demgemäß

***einer Vorrichtung, die vor einer Gefahrsituation vom Ich verwendet wird, um eine Überwältigung durch die Reizanflutung zu vermeiden. Das Angstsignal reproduziert in einer abgeschwächten Form die ursprünglich in einer traumatischen Situation erlebte Angstreaktion, was die Auslösung von Abwehroperationen ermöglicht.

Demzufolge informiert das System sich selbst über die Ähnlichkeit eines Erlebnisses mit einem früheren, es "erinnert" sich selbst über die Reproduktion des Angstsignals an die traumatische Wirkung und aktiviert auf diese Weise prophylaktisch die damals erst zu spät zur Verwendung gelangten Abwehrmechanismen, indem es diese enthemmt und in abgeschwächter Form zur Wirkung bringt. Das Angstsignal ermöglicht so einen geradezu rasanten Aufbau psychischer Abwehrmechanismen gegen allzu bedrohliche und eventuell traumatisierend wirkende Erlebnisse. Auf diesem Wege schützt sich das System durch eine Art Frühwarn- und Wiedererkennungssystem vor der Gefahr eines erneuten Traumas.

 

Aber auch in Freuds immer auch auf Forschung ausgerichteter Therapie lassen sich leicht wesentliche Anzeichen dafür nachweisen, daß die Psychoanalyse das psychische System als geschlossenes auffaßt und auf die Untersuchung seiner Eigendynamik abzielt. So reduzieren Freuds Untersuchungen den Gegenstand der Psychologie beispielsweise mittels der Grundregel der freien Assoziation ausschließlich auf die Frage, wie ein psychisches System ein Erlebnis aus einem anderen hervorbringt, wie einzelne Erlebnisse in Strukturzusammenhänge eingebettet sind, die selbst wiederum aus erlebnisbedingten Struktureffekten hervorgegangen sind. Von der "Objektivität" der Erlebnisschilderung wird daher abgesehen. Es geht mithin immer nur um die Frage, wie Seelisches aus Seelischem beziehungsweise Erleben aus Erleben hervorgeht. Freud hat immer aufs neue betont, daß es nicht um die Klärung des Problems gehe, ob einem Erlebnis eine "äußere" Realität zugrunde liege. Die Fragestellung lautet somit nie: Fand dieses oder jenes Ereignis in der Kindheit statt? Sondern: Wie stellt sich die Kindheit im Erleben dar? Befragung von Eltern, Angehörigen oder Bekannten wurden somit von vornherein abgewiesen. Dies ging so weit, daß Freuds Vorgehen von objektivistischer Seite als "nur" subjektiv abgelehnt wurde und wird. Aber Freud ging es um die Dynamik und Struktur der Psyche, also gerade und nur um sogenannte "subjektive" Bereiche. Nicht das Erleben von (objektiven) Ereignissen stand im Vordergrund, sondern das Erleben als solches.

Die Psychoanalyse arbeitet somit mit dem Modell eines geschlossenen psychischen Systems, das seine Erlebnisse mitsamt seinen Bezügen zu einer "Außenwelt" selbst herstellt. Umgekehrt formuliert gehören somit Fragen nach physiologischen oder neurophysiologischen Prozessen nicht mehr zum Gegenstand der Psychologie, da für das psychische System auf Grund seiner Geschlossenheit das neurophysiologische System selbstverständlich nicht minder Umwelt ist als etwa die "Außenwelt" im intersubjektiven Sinn. Da die Psyche gegenüber der Physis geschlossen ist und als erlebendes System verstanden werden muß, gehören neurophysiologische, physiologische oder anatomische Forschungen nicht zum Gegenstand der Psychologie. Auch hier findet sich eine Übereinstimmung mit systemtheoretischen Ansichten zur Geschlossenheit psychischer Systeme, denn Luhmann zufolge ist dem "***psychischen System [...] sein Leben unzugänglich, es muß jucken, schmerzen oder sonstwie auf sich aufmerksam machen, um eine andere Ebene der Systembildung, das Bewußtsein des psychischen Systems, zu Operationen zu reizen."

2.2.5.3 Psychoanalyse und Selbstreferentialität

Selbstreferentialität bildet dann ebenso wie der Gedanke der Autopoiesis (vgl. hier 2.2.5.4) nur noch ein Komplement zu diesem Konzept. In der obigen Schilderung ist sie bereits enthalten: Wenn das Erleben nicht aus sich heraus kann, so bleibt ihm nur der Stillstand - doch damit wäre es verschwunden - oder der Bezug ausschließlich auf sich selbst. Die Frage der Psychoanalyse war, wie gezeigt, stets, wie Erleben aus Erleben hervorgeht. Nicht erst Ich-Konzepte oder Bewußtsein beanspruchen Selbstreferentialität, sondern jegliches, also auch unbewußtes Erleben. Nach Freuds Theorie hängt, was jeweils erlebt wird, davon ab, was bereits erlebt wurde und welche Strukturen dabei aufgebaut wurden. Daher hängt das Auftreten von Neurosen in der Freudschen Neurosenlehre mit den Erlebnissen der Kindheit zusammen, und die Wünsche des Erwachsenen gehen nicht zuletzt auf das Erleben infantiler Wünsche zurück.

Die Abkopplung von einer 'äußeren Realität' und die Möglichkeit der selbstreferentiellen Geschlossenheit von Systemen ohne solipsistische Konsequenzen kann anhand eines Beispiels aus der Freudschen Theorie erläutert werden: der Freudschen Theorie der selbstreferentiellen (also ausschließlich im 'Selbstkontakt' stattfindenden) Erzeugung der Vorstellung eines äußeren Raumes im Erleben der Psyche. Zu diesem Zweck entwarf Freud nicht nur das bereits erläuterte Modell der Ausdifferenzierung des Erlebens einer Realität auf der Grundlage seiner Ich-Theorie, wonach mit Hilfe der vom 'Ich' geleisteten Realitätsprüfung eine Realität hergestellt wird, indem das 'Ich' sowohl die eigenen als auch die aus 'Es' und 'Über-Ich' stammenden Antriebe "überwacht" beziehungsweise prüft. Vielmehr versuchte Freud - wenn auch einstweilen eher behelfsmäßig - die grundlegenden Bedingungen zu erforschen, die der Herstellung einer Realitätsprüfung ermöglichend vorhergehen:

***Stellen wir uns auf den Standpunkt eines fast völlig hilflosen, in der Welt noch unorientierten [also ohnehin auf Selbstkontakt angewiesenen; H.W.] Lebewesens, welches Reize in seiner Nervensubstanz auffängt. Dies Wesen wird sehr bald in die Lage kommen, eine erste Unterscheidung [!] zu machen und eine erste Orientierung zu gewinnen. Es wird einerseits Reize verspüren, denen es sich durch eine Muskelaktion (Flucht) entziehen kann [z.B. Druckschmerz beim Liegen; H.W.], diese Reize rechnet es zu einer Außenwelt; anderseits aber auch noch Reize, gegen welche eine solche Aktion nutzlos bleibt, die trotzdem ihren konstant drängenden Charakter behalten [z.B. Hunger; H.W.]; diese Reize sind das Kennzeichen einer Innenwelt, der Beweis für Triebbedürfnisse. Die wahrnehmende Substanz des Lebewesens wird so an der Wirksamkeit ihrer Muskeltätigkeit einen Anhaltspunkt gewonnen haben, um ein 'außen' von einem 'innen' zu scheiden. (X, 212)

Freud schildert hier gewissermaßen den Aufbau einer Anfangskomplexität, die durch spätere Versuche des Systems, diese Komplexität zu steigern und in bestimmten Bereichen wieder zu reduzieren, zu einer Ausdifferenzierung von Raum und Zeit führen können und später fester Bestandteil der vom Ich geleisteten, hochkomplexen Realitätsprüfung werden. Doch Freud betont auch hier, daß dies nur möglich sein kann, wenn nicht die Umwelt der "Motor" dieses Prozesses ist, sondern das System selbst. Denn mag ein noch wenig weit entwickeltes psychisches System das, was einem Beobachter des Systems als Reize aus der Umwelt des Systems erscheinen muß, durch das, was derselbe Beobachter als motorische Aktionen wahrnimmt, erledigen können, so stellt sich dieser Sachverhalt für das "noch hilflose Lebewesen" durchaus anders dar: Für dieses Lebewesen gibt es noch keine motorische Aktion als Aktion in einer Außenwelt, sondern lediglich "irgendwie" und fortschreitend prägnanter unterscheidbare Erlebensweisen dessen, was der Beobachter dieses Lebewesens als motorische Aktion versus Triebreiz beschreibt. Beides - motorische Aktion wie Triebreiz - bleiben "innere", nur im und durch den Selbstbezug unterscheidbare Erlebensweisen, denen erst noch abgewonnen werden muß, von der sich gleichursprünglich entwickelnden Realitätsprüfung als Kriterium für Außenwelt- respektive Realitätsbezüge funktionalisiert zu werden.

So sollte sich gezeigt haben, daß nicht etwa trotz dieser selbstreferentiellen Geschlossenheit erlebt werden kann und "Welt" entsteht, sondern weil die Psyche geschlossen operiert.

2.2.5.4 Geschlossenheit, Selbstreferentialität und Autopoiesis in der Psychoanalyse

Der Kerngedanke des Begriffs Autopoiesis liegt darin, daß ein System seine Elemente stets selbst erzeugen muß, da es sie nicht aus seiner Umwelt beziehen kann - eben weil jedes System selbstreferentiell und geschlossen ist. Geschlossenheit, Selbstreferentialität und Autopoiesis bilden mithin Komplemente, die ein neues Verständnis von Systemen erst ermöglichen, indem sie sich gegenseitig vervollständigen. Erst alle drei gemeinsam integrieren den Grundgedanken des Systems.

Psychoanalytisch gesehen kann man dann zwanglos formulieren, daß Erlebnisse (als Elemente des Erlebens) nicht aus der Umwelt, nicht aus einer "äußeren Realität" etc. bezogen werden können. Die Psyche findet "außer sich" keine Erlebnisse, denn alles was sie erlebt, ist ihr "eigenes" Erlebnis. Wenn sie zum Beispiel auch anderen Personen Erlebnisse zurechnet, so erlebt sie nicht deren Erlebnisse, sondern sie erlebt allenfalls, daß sie anderen Erlebnisse zurechnet. Und dies ist wiederum ein eigenes Erlebnis. Es wäre völlig paradox, wollte man sagen, die Psyche erlebe das Erlebnis eines anderen, denn da Erleben per definitionem ein Vorgang "im" psychischen System ist, so ist ein jedes Erlebnis ein Erlebnis der erlebenden Psyche. Und weil dies so ist, kann die Psyche kein Erlebnis aus ihrer Umwelt (von einem "Außen") erhalten, denn dazu müßte sie es selbst produzieren. Und Produktion wäre in diesem Falle wiederum eine eigenständige, also autopoietische Produktion. Freud legte den Schwerpunkt seiner Psychologie nicht nur auf die Frage, wie die Psyche einzelne Erlebnisse aus sich heraus erzeugen kann, vielmehr ging er sogar von einer autopoietischen Produktion ganzer Komplexe des psychischen Erlebens aus, Komplexe, die dann ihrerseits in großem Umfang alles weitere Erleben zu bestimmen vermögen. Als Beispiel sei der Ödipuskomplex genannt, der laut Freud - ebenso wie die Bildung des Über-Ich - ohne Realitätskopplung oder die internalisierende "Aufnahme" intersubjektiv gegebener Realsituationen zustande kommt: "***Der Ödipuskomplex läßt sich nicht auf eine reale Situation reduzieren, auf die effektive Einwirkung des Elternpaares auf das Kind."

An Freuds Einführung der sogenannten Grundregel der freien Assoziation zeigt sich, daß Freud schon im letzten Jahrhundert diesen Sachverhalt, der heute unter dem Titel der Autopoiesis des Erlebens geführt werden könnte, in weniger reflektierter Form anerkannte und sich an ihm orientierte. Die freie Assoziation zielt ja entschieden und eindeutig auf eine ausgreifende Reproduktion des Erlebens aus dem und durch das Erleben. Sie läßt sich auf diese Weise neu verstehen und reformulieren: In der Aufforderung zur freien Assoziation wird danach der gezielte Rückgriff ausschließlich auf das Erleben des Analysanden sichtbar. Die freie Assoziation kann so als ein durch eine gezielte Reduktion des Erlebens auf sich selbst (= Absehen vom Realitätsbezug des Geäußerten) erzeugter Katalysator der Selbstauslegung des Erlebens beschrieben werden. Die Grundregel der freien Assoziation fungiert demzufolge als eine verfahrenstechnische Umsetzung der Theorie der Autopoiesis des Erlebens in die Forschungs- und Therapiepraxis.

Freilich hat Freud niemals von Selbstreferentialität oder Autopoiesis gesprochen. Nach den bisherigen Erörterungen der Freudschen Vorgehensweise, seinem Changieren zwischen einer mehr naturwissenschaftlich-objektivistischen und einer mehr psychologisch-erlebensmäßigen Theorie, seiner Technik, seiner Methoden und vor allem seiner Metapsychologie, drängt sich allerdings der Gedanke unweigerlich auf, daß Freud im wesentlichen immer an der Vorstellung der Psyche als eines selbstreferentiellen, geschlossenen, autopoietischen Systems gearbeitet hat. Da Freud eine solche, zu seiner Zeit vollends neuartige Theorie ohne jeden relevanten Vorläufer wohl kaum hätte konsequenter und durchreflektierter realisieren können, bedurfte es einer Rekonstruktion der Psychoanalyse mit Hilfe aktueller systemtheoretischer Konzepte, um diese Seite der Freudschen Theorie herausarbeiten und ihre Weiterentwicklung unterstützen zu können.

2.3 Psychoanalyse und Subjektivität

Freud hat keine ausgeführte Theorie des Selbstbewußtseins entworfen. Zwar mag die Verwendung des 'Ich'-Begriffs durch Freud zunächst dazu verleiten, dieses 'Ich' als Subjekt, Bewußtsein oder Selbstbewußtsein mißzuverstehen, aber eine solche Interpretation kann in keiner Weise mit Freuds eigener in Einklang gebracht werden. Da der 'Ich'-Begriff der Psychoanalyse an früherer Stelle bereits ausführlich erörtert und dargelegt wurde, muß darauf hier nicht nochmals mit gleicher Intensität und Ausführlichkeit eingegangen werden. Im folgenden soll es daher lediglich um die Fragen gehen, welcher Zusammenhang zwischen dem psychoanalytischen Begriff des Unbewußten und dem Selbstbewußtsein besteht (2.3.1), welchen Stellenwert der Freudsche Begriff des 'Ich' in einer Theorie des Selbstbewußtseins einnimmt und warum der Begriff des Subjekts innerhalb der Psychoanalyse durch den des Systems ersetzt werden muß (2.3.2). Unterdessen muß stets im Auge behalten werden, daß es sich bei Freuds Theorie um eine empirische Theorie handelt, und so stellt sich auch eine psychoanalytische Theorie des Selbstbewußtseins als eine### {{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}} empirische (und nicht etwa eine transzendentale) Theorie des Selbstbewußtseins dar.{{{Kontrollende!!!}}}

2.3.1 Die Bedeutung des Unbewußten und des Freudschen Ich-Begriffs für eine psychoanalytische Theorie des Selbstbewußtseins

Manfred Frank geht in seinem kürzlich erschienenen umfangreichen Werk Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis auch kurz auf Freuds Theorie ein. Anhand einer Auseinandersetzung mit der Interpretation, die Frank dem psychoanalytischen Begriff des Unbewußten zukommen läßt, sollte sich - ergänzend zu dem an anderen Stellen schon Ausgeführten - in relativ knapper Form die Bedeutung des Unbewußten für eine psychoanalytische Theorie des Selbstbewußtseins umreißen lassen.

 

Nach Frank besteht die Möglichkeit, alles "Ungewußte" als etwas "Vorbewußtes" oder "Unbewußtes" im Sinne Freuds zu begreifen, das heißt nach Frank: als ein "***Bewußtsein zweiten Grades". So kann man laut Frank auch die Redewendung Freuds für völlig legitim erachten, derzufolge das 'Ich' "***nicht Herr sei im eigenen Hause", und von der Psychoanalyse sei daher zu erwarten, daß sich mit Hilfe der psychoanalytischen Kur das Ich als "***Träger seiner eigenen ungewußten Geschichte wiedererkennen kann [...]". Und so schließt Frank: "***Die Freudsche Theorie - ebenso die Lacansche - sind aber meines Erachtens noch nicht so weit fortgeschritten, um diese Beschreibung aus eigenen Mitteln erbringen zu können."

Die Franksche Interpretation der Freudschen Theorie läßt sich indes schwerlich als zutreffend bezeichnen. Allein die Rede von einem "Bewußtsein zweiten Grades" (s.o.) steht geradezu diametral zu der von Freud vertretenen Position. So hat Freud stets betont, daß das 'Unbewußte' kein 'zweites Bewußtsein' sei. Gerade um dies hervorzuheben, hatte Freud die Rede vom 'Unterbewußtsein' abgelehnt und durch den Term 'das Unbewußte' ersetzt:

***Wenn Freud den Ausdruck 'Unterbewußtsein' verwirft, so deshalb, weil er ihm den Begriff eines 'zweiten Bewußtseins' zu implizieren scheint, das, wie abgeschwächt man sich dies auch vorstellen mag, in qualitativer Verbindung mit dem bewußten Phänomen bleibt.

Außerdem scheint Frank davon auszugehen, daß Freud unter dem Term 'Ich' in etwa das versteht, was die philosophische Tradition darunter verstanden hat. Freuds 'Ich' ist unterdessen - wie an anderer Stelle bereits nachgewiesen - weder umfangsgleich mit 'Bewußtsein' noch mit 'Selbstbewußtsein'. Freuds 'Ich' ist vielmehr ein Subsystem, das gemäß bestimmten Codes operiert (realitätsgerecht/nicht-realitätsgerecht) und das unter anderem die Leistung bewußten Operierens herstellt.

An späterer Stelle legt Frank eine Re-interpretation Freuds nahe, die nur bewußtseins- oder sprachphilosophisch legitimierbar wäre und schon von daher an Freuds Denken vorbeizielen muß. Danach wäre das Unbewußte reduzierbar auf den Fall, daß ein Subjekt sich in einem psychischen Zustand befände, der ihm zwar auf eine unmittelbare Weise (also über eine unmittelbare Selbstvertrautheit) bekannt wäre, aber ohne daß das Subjekt wüßte, welcher sprachliche Begriff auf diesen Zustand korrekt angewendet werden könnte:

***So erklären sich vermutlich eine Reihe von Phänomenen, die Freud für vor- oder gar für unbewußt erklärt hatte: Wenn ich verliebt bin, so bin ich zweifellos irgendwie gestimmt; aber es kann mir völlig unbekannt sein, daß 'Verliebtheit' der richtige Klassifikationsterm für meinen Zustand ist.

Freud geht derweil sicherlich nicht davon aus, daß vom 'Unbewußten' dann gesprochen werden kann, wenn einem Subjekt lediglich der "richtige" Begriff zur Bezeichnung seines psychischen Zustands fehlt. Vielmehr zeigt Freud, daß die Psyche zum Beispiel eine Verliebtheit verdrängen kann. So kann es vorkommen, daß man seine Verliebtheit nicht einmal mehr bewußt "fühlt", weil man nicht verliebt gestimmt ist und also nicht einmal über eine Selbstvertrautheit bezüglich seines Verliebtheitszustands verfügt. So mag man die Person, in die man verliebt ist, vielleicht bewußt geradezu hassen und "hassend" gestimmt sein, zum Beispiel im Falle einer inzestuösen oder homosexuellen Liebe, der vom Über-Ich der Haß entgegengesetzt wird (Freud nennt diesen Abwehrmechanismus die 'Verkehrung ins Gegenteil'), gerade um schon ein bloßes Empfinden und damit erst recht ein bewußtes Eingeständnis der inzestuösen oder homosexuellen Liebe mit allen Mitteln zu blockieren.

###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}So handelt es sich beim Unbewußten weder um ein "***Bewußtsein zweiten Grades" (s.o.) noch um ein 'Fehlen von Begriffen'. Der psychoanalytische 'Ich'-Begriff beschreibt kein Subjekt, und im Falle des Unbewußten kann auch nicht von einer unmittelbaren Selbstvertrautheit des Subjekts mit seinen unbewußten Gefühlen, Stimmungen, Vorstellungen, Wünschen etc. ausgegangen werden. Rein logisch ergibt sich schon, daß das Selbstbewußtsein in keiner Weise mit dem Unbewußten vertraut sein kann, denn das hieße paradoxerweise, daß etwas Unbewußtes (dem Bewußtsein) bewußt wäre, woraus ersichtlich wird, daß das Bewußtsein nicht mit etwas Unbewußtem oder dem Unbewußten, sondern allenfalls mit etwas ehemals Unbewußtem vertraut sein kann. Tautologisch gesprochen: Womit das Bewußtsein vertraut ist, das ist etwas Bewußtes (und eben niemals etwas aktuell Unbewußtes).

Das Bewußtsein kann mithin nicht über eine Vertrautheit mit etwas Unbewußtem als Unbewußtem verfügen. Daher kann eine Vertrautheit des Bewußtseins mit dem Unbewußten logisch ausgeschlossen werden. Freud hat nach eigener Aussage die Erfahrung gemacht, daß die geschilderten Konsequenzen, die sich aus der Strenge seines Begriffs des Unbewußten ergeben, selten angemessen erkannt wurden. Viele, die diese Konsequenzen nicht zogen oder den Begriff des Unbewußten ganz und gar ablehnten,

***hatten nie den Gedanken realisiert, daß das Unbewußte etwas ist, was man wirklich nicht weiß, während man durch zwingende Schlüsse genötigt wird, es zu ergänzen, sondern etwas Bewußtseinsfähiges darunter verstanden, an was man gerade nicht gedacht hatte, was nicht im 'Blickpunkt der Aufmerksamkeit' stand. (VI, 185)

Neben diesem logischen Einwand gilt für die Fälle, in denen etwas (ehemals) Unbewußtes bewußt geworden ist, daß dieses Bewußtgewordene doch immer nur ein "Fragment" des Unbewußten darstellt, und niemals das Unbewußte als ganzes. Und dabei ist zu bedenken, daß in der Psychoanalyse eine solche fragmentarische Bewußtwerdung nicht auf Grund einer Bekanntschaft des Bewußtseins mit dem Unbewußten (das heißt durch die Ich-Perspektive des Analysanden) zustande kommt, sondern mit Hilfe einer Interpretation (das heißt mit Hilfe der 'Er-Perspektive' des Analytikers).{{{Kontrollende!!!}}}

2.3.2 Psychische Systeme und Subjektivität

Freud hatte aus eigenen wie aus von Bernheim durchgeführten und auf posthypnotischen Effekten beruhenden Experimenten schon sehr früh erste Hinweise auf ein Phänomen erhalten, das er später 'Rationalisierung' nannte. So wurde beispielsweise einem Kranken

***suggeriert, daß er nach dem Erwachen beide Daumen in den Mund stecken werde. Er tut es auch und entschuldigt sich damit, daß er seit einem Biß, den er sich tags vorher im epileptiformen Anfall zugefügt, einen Schmerz in der Zunge empfinde. (I, 121, Anmerkung 1.)

Worauf es Freud ankommt, ist die überraschende Tatsache, daß das Bewußtsein nicht immer eine Antwort schuldig bleibt, wenn es um den hypnotisch suggerierten Befehl als Motiv seiner Handlungen nichts weiß:

***Es scheint ein Bedürfnis vorzuliegen, psychische Phänomene, deren man sich bewußt wird, in kausale Verknüpfung mit anderem Bewußten zu bringen. Wo sich die wirkliche Verursachung der Wahrnehmung des Bewußtseins entzieht, versucht man unbedenklich eine andere Verknüpfung, an die man selbst glaubt, obwohl sie falsch ist. (Ebd.)

Das Ich führt folglich oftmals dem Bewußtsein nur "Scheinbegründungen" (sogenannte 'Rationalisierungen') zu, zumal, wenn es unbewußte Wünsche hinter einer rationalen Fassade zu "verstecken" sucht. Aus diesen Rationalisierungen ergibt sich aber gerade nicht ein eingeschränkter, sondern ein ausgreifender Sinnzusammenhang: Die Verbindung des Bewußtseins mit unbewußten Vorstellungen hat nicht eine Überlagerung sinnvoller Bewußtseinsvorgänge durch sinnlos verworrene unbewußte Vorgänge zur Folge. Auch zerstört sie nicht den Sinn bewußten Denkens. Im Gegenteil: Anstelle der Zerstörung des Sinns ist eine Ausdehnung des Sinnbegriffs und damit des Erfahrungsbereichs der Psychologie die Folge: Dem psychischen System muß ein dem Bewußtsein entzogener Sinn, der mit dem bewußt intendierten verbunden ist, zugerechnet werden (Überdeterminierung). So findet ein auf alle (also auch auf die unbewußten) Bereiche der Psyche ausgedehnter Sinnbegriff Aufnahme in die psychologische Forschung. Und umgekehrt: Alle Bereiche der Gestaltung sinnvollen Erlebens sind psychische Vorgänge, denn der

***Arzt kann nicht anders, als die Versicherung, 'das Bewußtsein sei der unentbehrliche Charakter des Psychischen' mit Achselzucken zurückweisen, und etwa, wenn sein Respekt vor den Äußerungen der Philosophen noch stark genug ist, annehmen, sie behandelten nicht dasselbe Objekt und trieben nicht die gleiche Wissenschaft. Denn auch nur eine einzige verständnisvolle Beobachtung des Seelenlebens eines Neurotikers, eine einzige Traumanalyse, muß ihm die unerschütterliche Überzeugung aufdrängen, daß die kompliziertesten und korrektesten Denkvorgänge, denen man doch den Namen psychischer Vorgänge nicht versagen wird, vorfallen können, ohne das Bewußtsein der Person zu erregen. (II/III, 616f.)

Freud ist nun kein Grenzgänger am Rande des Bewußtseins mehr, da er die Annahme eines mit sich selbst vollkommen vertrauten Subjekts abweist. Freud artikuliert dies in der Traumdeutung folgendermaßen:

***Die beiden psychischen Systeme, die Übergangszensur zwischen ihnen, die Hemmung und Überlagerung der einen Tätigkeit durch die andere, die Beziehungen beider zum Bewußtsein - oder was eine richtigere Deutung der tatsächlichen Verhältnisse an deren Statt ergeben mag; - das alles gehört zum normalen Aufbau unseres Seeleninstruments [...]. (II/III, 613)

Das psychische System kann nach Freud über Bewußtsein und Selbstbewußtsein mit sich vertraut sein, aber dieses Vertrautsein kann nicht als ein alle psychischen Regungen umfassendes Selbstbewußtsein aufgefaßt werden: Weder verfügt das (Selbst)Bewußtsein über eine inhaltlich bestimmte Kenntnis des Unbewußten, von dem jedes Bewußtsein überlagert wird, noch kann davon gesprochen werden, daß das Bewußtsein seine Motive, Wünsche und Strebungen etc. vollkommen erfaßt, denn jeder bewußte Sinn wird von latentem Sinn überlagert, der oft genug zu einer Selbsttäuschung des Bewußtseins führt. Beispielsweise kann der Analytiker (aus der Er-Perspektive) unbewußten Sinn entdecken, über den das Bewußtsein (aus der Ich-Perspektive) nicht verfügt. Somit hat nach Freud die Psyche keinen privilegierten Zugang zu sich selbst - ein Beobachter (etwa ein Analytiker) kann aus der Er-Perspektive latenten Sinn entdecken, der dem "Subjekt" aus der Ich-Perspektive dank der Abwehrmechanismen (Verdrängung etc.) verborgen bleiben mußte: Das Ich ist "***nicht Herr [...] in seinem eigenen Haus."

Daher stellt sich aus psychoanalytischer Sicht betreffs des Selbstbewußtseins folgende Frage: Wenn es ein (empirisches) Subjekt gibt, gehört dann das Unbewußte nicht mehr zu diesem Subjekt, weil einem Subjekt als Einheit eines Selbstbewußtseins nur das zugerechnet werden kann, was bewußt vorliegt? Aus derartigen Überlegungen hat Freud die Konsequenz gezogen, den Begriff des 'Ich' nicht mehr mit Selbstbewußtsein gleichzusetzen, denn sonst bliebe die Frage zu erörtern, welchem System oder "Subjekt" der Bereich des Unbewußten zugerechnet werden sollte. Freud hat sich dazu entschieden, die Gleichung von 'Ich' und 'Selbstbewußtsein' aufzugeben, zumal er der Meinung war, Bewußtsein sei überhaupt nur auf der Basis unbewußter Sinnhorizonte möglich, und damit sei Bewußtsein (und Selbstbewußtsein) nur als Leistung eines Systems möglich, das auch unbewußte Operationen einzubeziehen in der Lage sei:

***An der Schwelle der psychologischen Forschung finden wir nicht Vertrautheit mit uns selbst, sondern Erstaunen über die Phänomene unseres eigenen Geistes. Das bedeutet, daß das Subjekt der Analyse plötzlich seinem eigenen Denken als etwas Fremdem gegenübersteht. [...] Wenn jemand in der Analyse über das, was er gesagt hat, überrascht ist und wenn er die Bedeutung seiner Handlungen aufgrund der analytischen Deutung erkennt, so wird er sozusagen einem unbekannten Selbst vorgestellt.

Das 'Ich' wird entsprechend von Freud nicht mehr im Sinne eines 'Subjekts' definiert oder gar mit Subjektivität gleichgesetzt. Es wird gewissermaßen nur "nebenher" und unter Umständen mit den Begriffen Bewußtsein oder Selbstbewußtsein verbunden. Stattdessen betrachtet die Psychoanalyse das 'Ich' als ein Teilsystem, das sich erst relativ spät aus dem psychischen System ausdifferenziert. In den Worten von Laplanche und Pontalis: "***Man sieht, daß das Ich von Freud nicht als die Gesamtheit des Individuums definiert wird, selbst nicht als die Gesamtheit des psychischen Apparates: Es ist ein Teil davon."

Aber, mehr noch, die Freudsche Definition des Ich "***verbietet es, das Ich der Gesamtheit der Innenwelt des Subjekts gleichzustellen." Mithin: Die Psychoanalyse leugnet nicht die Möglichkeit von Selbstbewußtsein. So hat sich Freud, der immer mit Selbstverständlichkeit vom Bewußtsein sprach, gegen den Behaviorismus verwehrt: "***Eine extreme Richtung wie der in Amerika entstandene Behaviourismus glaubt eine Psychologie aufbauen zu können, die von dieser Grundtatsache [des Bewußtseins, H.W.] absieht!" (XVII, 79, Anmerkung) Dagegen hielt Freud das Bewußtsein für ein psychologisch zwar schwerlich erklärbares, aber dennoch nicht zu leugnendes Phänomen oder - in Freuds Worten - für eine geradezu "***unvergleichliche, jeder Erklärung und Beschreibung trotzende Tatsache [...]. Spricht man von Bewusstsein, so weiss man trotzdem unmittelbar aus eigenster Erfahrung, was damit gemeint ist." (XVII, 79)

Entscheidend aber ist, daß Freud eine Umgewichtung des Bewußtseins und des Selbstbewußtseins vornahm: Weder ist die Psyche gleichzusetzen mit Bewußtsein, noch kann auf Grund der Überlagerung des Selbstbewußtseins mit unbewußtem Sinn das Ich länger als Subjektivität im Sinne des Zentrums eines Subjekts verstanden werden. Wenn das Selbstbewußtsein sich über seine eigenen Operationen zu täuschen vermag, und wenn es außerdem erst aus dem größtenteils unbewußten Operieren des psychischen Systems hervorgeht, wenn das Selbstbewußtsein also, mit einem Wort, weder sich selbst, noch die Operationen des psychischen Systems, aus dem es entspringt, vollständig zu erfassen und zu durchschauen vermag, dann kann Selbstbewußtsein nicht mehr die Einheit (im Sinne eines Subjekts) von Vorstellungen herstellen. Vielmehr erscheint das Selbstbewußtsein psychoanalytisch geradezu umgekehrt als Produkt der vorgeordneten und übergeordneten Einheit eines psychischen Systems, einer Einheit, die unabhängig von jedem Selbstbewußtsein sinnvoll zu operieren in der Lage ist:

a) Nicht erst das Selbstbewußtsein leistet die Herstellung der Einheit von Vorstellungen, sondern bereits das psychische System leistet diese Einheit mitsamt der Herstellung eines (empirischen) Selbstbewußtseins.

b) Nicht erst Selbstbewußtsein leistet die Sinnhaftigkeit des Erlebens, sondern das bewußte und unbewußte Operieren des psychischen Systems leistet das sinnhafte Erleben.

Selbstbewußtsein entspringt aus psychoanalytischer Sicht demgemäß aus einem komplexen Zusammenspiel der Teilsysteme Ich, Über-Ich und Es. Die Herstellung von Selbstbewußtsein ist damit immer gefährdet und Selbsttäuschungen bilden eher die Regel denn die Ausnahme. Das Selbstbewußtsein leistet dieser Theorie zufolge dann aber weder die Herstellung von Sinnzusammenhängen, noch deren Zurechenbarkeit auf eine Einheit im Sinne eines Subjekts - wie sollte auch das Unbewußte, das nach Freud stets nur in geringem Umfang bewußt werden kann, der Einheit eines (empirischen) Selbstbewußtseins zugerechnet werden können? Daher gilt:

i) Da Subjekte über Selbstbewußtsein (Subjektivität) bestimmt sind, so kann das Unbewußte, eben weil es niemals vollständig bewußt erfaßbar ist, nicht umfassend von einem Selbstbewußtsein begleitet und somit nicht einem Subjekt zugerechnet werden.

ii) Wenn aber das Unbewußte nicht dem Selbstbewußtsein und damit keinem Subjekt (im Sinne der Einheit von Vorstellungen) zugerechnet werden kann, dann stellt sich die Frage, welcher Einheit das Unbewußte zugerechnet werden kann und muß. Als Einheit einer solchen Zurechnung bietet sich der Begriff des Systems an, denn Systeme (auch psychische Systeme) sind, wenn man sie im Sinne Luhmanns versteht, Einheiten, die ihre Einheit selbstreferentiell durch die operationale Geschlossenheit ihrer Autopoiesis herstellen und nicht über ein Selbstbewußtsein. Folglich sollte der Begriff des Subjekts innerhalb der Psychoanalyse durch den des Systems ersetzt werden. Einem Selbstbewußtsein kann das Unbewußte nicht als Unbewußtes zugerechnet werden; umgekehrt kann aber sehr wohl einem immer auch unbewußt operierenden System ein Selbstbewußtsein zugerechnet werden. Tatsächlich hat Freud den Subjektbegriff eher selten verwendet und nahezu immer von der Psyche als einem System gesprochen.

iii) Weiterhin muß das Selbstbewußtsein psychoanalytisch als Produkt der Operationen eines psychischen Systems betrachtet werden, und es muß daher eben diesem System als Leistung zugerechnet werden.

Aus psychoanalytischer Sicht "läuft" das Selbstbewußtsein den vom System gemachten Erfahrungen und seinen Sinnzusammenhängen insofern hinterher, als es entwicklungspsychologisch gesehen aus ihnen hervorgeht. Psychische Operationen - ob strukturell belangvoll oder bloß ereignishaft, ob bewußt oder unbewußt hervorgebracht - stehen auf Grund ihrer selbstreferentiell-autopoietischen Arbeitsweise immer schon und vor allem Bewußtsein unter der Einheit des Systems, denn nur dieses kann sie hervorbringen und weiterverarbeiten. Ein Beobachter des Systems muß daher die Operationen eines psychischen Systems, sofern sie strukturell belangvoll sind, als Erfahrungen zurechnen, unabhängig davon, ob dieses System sie sich selbst als eigene mit Bewußtsein zurechnet.

Wenn man psychische Systeme mit Luhmann als selbstreferentiell-autopoietische Sinnsysteme betrachtet, dann macht allein schon das Verhältnis von Selbstreferenz und Sinn die Auftrennung der Systemoperationen in eine Einheit eines Selbstbewußtseins auf der einen und eine uneinheitliche, erst noch unter die Einheit eines Selbstbewußtseins zu bringende Komplexität auf der anderen Seite unmöglich, denn Sinnsysteme müssen die Komplexität (Sinn), auf die sich ihre Operationen beziehen, stets selbst erzeugt haben (Selbstreferenz), womit diese Komplexität immer schon unter der Einheit des Systems steht. Nach Luhmann ist daher vor allem zu bedauern,

***daß unter dem Titel 'Subjekt' der Zusammenhang von Selbstreferenz und Sinn nicht mehr streng genug gedacht wird. Sonst müßte auch die Subjekt-Theorie sich an der Geschlossenheit selbstreferentieller Systeme orientieren mit der Konsequenz, daß es auch für sie nichts mehr geben kann, was nicht als Sinn erscheint.

Kapitel 3
Sinn, Erfahrung, Subjektivität im Szientismus

Im folgenden Kapitel sollen der Sinn-, der Erfahrungs- und der Subjektivitätsbegriff des Szientismus diskutiert werden. Dabei behandelt der erste Abschnitt (3.1) gleichzeitig den Sinn- und den Erfahrungsbegriff. Die Gründe dafür ergaben sich aus der Erwägung, daß eine gesonderte Behandlung der Begriffe Sinn und Erfahrung seit dem sogenannten 'linguistic turn' - speziell so, wie er von Carnap vollzogen wurde - kaum noch adäquat durchgeführt werden kann: Insbesondere Carnap ging davon aus, daß (wissenschaftliche) Erfahrungen an den Sinn von Sätzen angebunden sind. Mit anderen Worten: Begriffe und Sätze machen dann Sinn, wenn sie etwas über tatsächlich gemachte oder über mögliche Erfahrungen aussagen. Vereinfachend gesprochen werden dabei wissenschaftliche Erfahrungen gewissermaßen als in intersubjektive Sätze gefaßte subjektive Erlebnisse angesehen. Sinn und Erfahrung sind so aufs engste miteinander verbunden.

Die Gemeinsamkeiten und Differenzen des Neopositivismus, der Philosophie Wittgensteins und des Kritischen Rationalismus werden an jeweils passender Stelle erläutert und diskutiert. Eine Art Leitfaden, an dem sich der Autor orientiert hat, bildet dabei im ersten Abschnitt die Theorie Carnaps.

 

Für den Szientismus ist der Wissenschaftler offensichtlich ein Subjekt, welches durch Sprache Subjektives (außerwissenschaftliche, individuelle Erfahrung) in Intersubjektives (Sprache und damit Wissenschaftlichkeit) transformiert und somit einen Diskurs erst ermöglicht. Damit wird das Subjekt gedoppelt: Es tritt auf der subjektiven Seite als außerwissenschaftlich-psychologisches und auf intersubjektiver Seite als wissenschaftlich-rationales auf. Diese begriffliche Reihe vom Sinn(kriterium) zum Erfahrungsbegriff und der daraus hervorgehenden Sicht der Leistungen des Subjekts, gilt es im zweiten Abschnitt (3.2) genauer herauszuarbeiten. Dieser Abschnitt übernimmt dann die Aufgabe, die bereits behandelten, inzwischen schon klassischen Strömungen, mit den neuesten sprachphilosophischen Theorien abzustimmen.

###Carnap, Popper und Wittgenstein setzen offensichtlich ein Subjekt der Erfahrung voraus, diskutieren diesen Sachverhalt wohl schon aus Gründen des Metaphysikverdachts jedoch kaum. Die neueste, vor allem die amerikanische, analytische Philosophie (E. Anscombe, R. Chisholm, H.-N. Castañeda, Th. Nagel u.a.), bezieht neuerdings entschieden Position zum Problem der Subjektivität, wobei unter sprachphilosophischem Vorzeichen auch die Metaphysik (Stichwort: Neo-Cartesianismus) wieder an Bedeutung gewinnt. Mit ähnlichen oder gleichen Anliegen wären in der deutschen Philosophie vor allem E. Tugendhat und M. Frank zu nennen. Auch sie bedienen sich, von Wittgenstein (aber auch von Fichte und Sartre) ausgehend, der sprachphilosophisch-analytischen Methode. Die Auseinandersetzung mit den "Ahnherren" der Sprachphilosophie (vor allem mit Wittgenstein und Carnap) hat so zu einem unerwarteten Wandel innerhalb der Subjektivitätsphilosophie geführt, der im angesprochenen zweiten Abschnitt diskutiert werden soll.###

3.1 Der Zusammenhang von Sinn und Erfahrung im Szientismus

3.1.1 Vorbemerkung

Eine Erörterung des Sinn- und Erfahrungsbegriffs hat im Szientismus spätestens seit der Bildung des Wiener Kreises eine besondere Rolle gespielt. Die bedeutendsten Vertreter des Neopositivismus waren sicherlich die Begründer des Wiener Kreises Moritz Schlick, Rudolf Carnap, Otto Neurath und Viktor Kraft. Aber auch Karl Popper und Ludwig Wittgenstein haben zweifellos nicht nur großen Einfluß genommen, sondern wurden auch umgekehrt von den Aktivitäten dieses Kreises in ihren Überlegungen angeregt.

Das Anliegen Carnaps bestand vor allem darin, den Begriff des Empirismus gegenüber der Metaphysik abzugrenzen. Dieses Projekt glaubte er über die genaue Ausarbeitung eines Sinnbegriffs verwirklichen zu können, eines Sinnbegriffs, der zunächst mittels eines phänomenalistisch bestimmten Erfahrungsbegriffs genauer definiert werden sollte. Daher kann es im folgenden Kapitel wenig sinnvoll erscheinen, die Erörterung des Sinnbegriffs von der des Erfahrungsbegriffs zu trennen.

Im vorliegenden Kapitel soll anhand einer Erörterung der Entwicklung und der Probleme der Carnapschen Theorie des Zusammenhangs von Sinn und Erfahrung eine Diskussion der wichtigsten Strömungen des Szientismus durchgeführt werden. Da die Lehren des logischen Empirismus, Wittgensteins und des Kritischen Rationalismus nicht nur in einer engen Beziehung zueinander standen, sondern auch aus verwandten Problemen hervorgingen, sollen diese Theorien einem Vergleich zugeführt werden, der nicht über gesonderte Abhandlungen erfolgt, sondern die Theorie Carnaps als Leitfaden nutzt. Kritiken Poppers und Wittgensteins am logischen Empirismus, die Gemeinsamkeiten der Problemlagen sowie die Unterschiedlichkeit der Lösungen können auf diese Weise thematisch verbunden und am jeweils passenden Ort durchgeführt werden. So sollten Nähe und Abstand dieser Strömungen leichter sichtbar gemacht werden können.

3.1.2 Erfahrung und Erleben

Humes Empirismus und Kants Kritizismus mögen ebenso wie der Positivismus Comtes auf die verschiedenen Positionen des Szientismus - besonders aber auf Carnap - eine nicht zu unterschätzende Wirkung ausgeübt haben, aber vor allem die Wirkung des Machschen Immanenzpositivismus bildete den Ausgangspunkt für die frühen Überlegungen von Carnap, Schlick, Neurath und V. Kraft. Mach legte den Schwerpunkt seiner Untersuchungen auf eine an sensualistisches Gedankengut anschließende genauere Bestimmung des Verhältnisses von Erfahrung und Empfindung. Danach mußten Erfahrungen als funktionale Verknüpfungen von Empfindungen gedeutet werden, und Erkenntnisse galten als Produkte einer gedanklichen Nachbildung solcher Empfindungskomplexe in der Vorstellungswelt.

Carnap nahm die Grundgedanken Machs auf, verband sie jedoch mit Vorstellungen über das Erleben, wie sie Husserl (bei dem Carnap studiert hatte) und die Gestaltpsychologie seinem Verständnis nach herausgearbeitet hatten. Danach erscheint die atomistische Position Machs "***heute meist nicht mehr einleuchtend; die Einwände, die die neueren Psychologen, besonders die Gestaltpsychologen, gegen sie erhoben haben, enthalten zumindest manches Berechtigte." Aus diesen Gründen nahm Carnap in seinem Werk Der logische Aufbau der Welt an, daß

***Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche, Gefühle ineinander verwoben [seien] als eine geschlossene Einheit. Dies ist nun nicht so zu verstehen, als ob eine solche Totalimpression - Carnap nennt sie 'Elementarerlebnis' - jemals als einzelnes isoliertes Element gegeben sei. Vielmehr bilden die Elementarerlebnisse in ihrem stetigen Wandel und Sichfolgen einen kontinuierlichen 'Erlebnisstrom'. Diesen Erlebnisstrom glaubt Carnap im [Aufbau] als das erkenntnismäßig Primäre annehmen zu müssen.

Wie aber können "subjektive" Erlebnisse zur "objektiven" Basis wissenschaftlicher Aussagen werden? Carnap schlug vor, den qualitativen Inhalt unbeachtet zu lassen und stattdessen die Relation verschiedener Erlebnisse zueinander, die sogenannte 'Ähnlichkeitserinnerung', für das wissenschaftliche Konstitutionssystem heranzuziehen.

Um der empiristischen Wissenschaft eine präzise Basis im Erleben geben zu können, griff er folglich auf einen Assoziationismus zurück. So sollte die Verbindung einzelner Erlebnisse zu einer Tatsachenfeststellung respektive zu einer wissenschaftlichen Aussage über Ähnlichkeitsbeziehungen hergestellt werden. Die so gewonnenen Aussagen seien daher reine Strukturaussagen und insofern objektiv. So sollte verhindert werden, daß der Bezug zum Erlebnisstrom verloren geht. Krauth nennt die Konsequenzen eines solchen Vorgehens beim Namen:

***Das ist ein Solipsismus, der eine Wissenschaft - per definitionem intersubjektiv - unmöglich macht. Carnap versucht dieser fatalen Konsequenz dadurch zu entgehen, daß er das System des [Aufbau] als 'methodischen Solipsismus' verstanden wissen möchte. Doch scheinen damit die Schwierigkeiten durchaus nicht beiseite geräumt zu sein.

Ähnlichkeitsbeziehungen, die die Psyche über Assoziationen herstellt, lassen zwar Anklänge an den Gedanken eines Verweisungshorizontes erkennen, und außerdem ging Carnap wie William James von einem Erlebnisstrom ('stream of consciousness') aus. Aber der Carnapsche Assoziationismus hat dennoch gegenüber der Gestaltpsychologie umgekehrte Vorzeichen: Wird Baßler zufolge in Theorien, die an Dilthey und die Gestaltpsychologie anschließen, aber im Kern auch bei Husserl und Landgrebe, die Assoziation so aufgefaßt, daß jeder Eindruck in "***das Gesamt integriert [wird], sofern es ihm gelingt, frühere Verweisungszusammenhänge vom erinnerten Hintergrund her zu aktualisieren bzw. sich eben in das Beziehungsgeflecht der Verweisungszusammenhänge einzufügen [...]," so stellen nach Carnap einzelne Erlebnisse beim Aufbau einer Ähnlichkeitsbeziehung letztlich doch wieder atomare Elemente des Erlebens dar, aus denen weitere Erlebnisse und Beziehungen zwischen Erlebnissen zusammengesetzt werden. In der Gestalt- wie auch in der Ganzheitspsychologie, aber auch bei Dilthey, Freud und Landgrebe hingegen kann von Erlebnissen als Elementen des Erlebens nur in dem Sinne gesprochen werden, als abgegrenzte und insofern "einzelne" Erlebnisse dadurch entstehen, daß sie aus dem Erlebenszusammenhang ausdifferenziert werden und erst in der Folge dieses Vorgangs ihre scheinbare Abgesondertheit gewinnen. Hier geht also die Fähigkeit der Assoziation oder der Herstellung von Ähnlichkeitsbeziehungen aus dem Gesamterleben und nicht aus dem artifiziellen Zusammenfügen von atomaren, für sich bestehenden und entstehungsgeschichtlich voneinander unabhängigen Einzelerlebnissen hervor. Vielmehr geht umgekehrt ein jedes Erlebnis aus dem Erleben als einem fortlaufenden Prozeß hervor, einem wohldifferenzierten ("gegliederten") Zusammenhang, aus dem Erlebnisse als einzelne hervortreten, indem sie sich aus den immer schon gegebenen Zusammenhängen ausdifferenzieren. Bei allem Respekt Carnaps gegenüber der Gestaltpsychologie fehlt ihm zu guter Letzt doch eine dem Gedanken eines Verweisungshorizontes ähnliche Vorstellung, die allein hätte verständlich machen können, wie Erlebnisse hervorgebracht oder erfaßt werden. Zunächst ist ein Erlebnisstrom gegeben - aber was enthält dieser, wie kann er zu voneinander abhängigen, aber dennoch in sich und voneinander differenzierten Erlebnissen führen, wenn nicht ein jedes Erlebnis (in Relation zu einem späteren gesehen) aus einem weniger differenzierten Nexus hervorgeht, wobei im Prozeß einer solchen Ausdifferenzierung (relativ) undifferenzierte Zusammenhänge durch den Aufbau entsprechend höher differenzierter Verweisungen aufgelöst werden? Der assoziative Zusammenhang tritt folglich niemals zum Erleben hinzu. Er bildet vielmehr selbst einen konstitutiven Bestandteil des jeweiligen Erlebnisses: Das Erlebnis ist der das Erlebnis konstituierende Verweisungszusammenhang und daher sind Erlebnisse "Assoziationsgeflechte". Damit wird sichtbar, daß Erlebnisse von sich aus Verknüpfungen beinhalten. Erlebnisse verweisen nicht nur auf andere Erlebnisse; sie sind dieser Verweisungszusammenhang. Ein Erlebnis mag ein vorhergehendes verdrängen; es kann dies aber nicht, ohne entsprechende Verweise auf das vorhergehende aufzubewahren.

Wenn aber demgegenüber von der Annahme ausgegangen wird, daß ein Erlebnis nicht von sich aus in einen assoziativen Zusammenhang eingebettet ist, dann muß die Möglichkeit einer anders zustandekommenden assoziativen Einbettung erklärt werden. Kant hatte etwas derartiges unternommen und zu diesem Zweck seine revolutionäre Lehre von der "ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption" entworfen und ausgeführt. Man kann dieses Problem möglicherweise auch anders zu lösen suchen: Es ist aber nicht möglich, derartige Lösungen, wie Carnap es unternimmt, ersatzlos zu streichen, ohne - wie sich noch zeigen sollte - in all jene schwerwiegenden theoretischen Schwierigkeiten zu geraten, die er durch Nachbesserungen auszufüllen suchte. So versuchte Carnap, die auf diese Weise entstandenen "Mängel" durch ein eklektizistisches Konglomerat aus einem sensualistisch-solipsistischen Empirismus, einem gestaltpsychologisch (wie auch von Husserl) inspirierten Phänomenalismus sowie einem - gerade dazu völlig inkohärent stehenden - objektivistischen Physikalismus und einigen Anleihen beim Pragmatismus zu beheben.

3.1.2.1 Erleben, Sprache und Erfahrung: Wie werden subjektive Erlebnisse intersubjektiv?

Entsprechend der geschilderten frühen Theorien Carnaps muß also jede Erkenntnis - will sie empirisch fundiert sein - aus einem Komplex elementarer Erlebnisse bestehen. Umgekehrt weist sich jede Erkenntnis als auf Erfahrung bezogen aus, indem sie sich zerlegen respektive zurückführen läßt auf elementare Erlebnisse. Man glaubte hierin endlich ein Abgrenzungskriterium zwischen Metaphysik und Wissenschaft gefunden zu haben. Eine Formulierung dieses Kriteriums würde in etwa lauten: Wenn man eine Aussage oder Theorie nicht reduzieren (zerlegen) kann auf (in) Elementarerlebnisse, so ist sie metaphysisch und damit keine wissenschaftliche Theorie. Und wenn eine Aussage diesem Kriterium nicht entspricht, so muß sie als (empirisch) sinnlos bezeichnet werden.

Aber selbst in den Diskussionen des Wiener Kreises stieß diese Ansicht schnell auf Ablehnung:

***Das Gegebene muß in irgendeiner Form erst ausgedrückt sein, also in erkennbare [und damit doch wohl wiederum erlebensmäßig-wahrnehmbare? H.W.] Zeichen gefaßt werden, bevor ich mich überhaupt mit ihm beschäftigen kann. Der Schwerpunkt der Fragestellung verlagerte sich somit auf das Problem, in welchen sprachlichen Äußerungen sich die Erlebnisse manifestieren. Die Bestimmung dessen, was das vielberufene im Erlebnis Gegebene nun eigentlich sei, wurde bis auf weiteres, und wie sich dann zeigte, für immer, beiseite geschoben.

Carnap sah die Lösung der vorgebrachten Kritik in einer abermaligen Neuzentrierung des empiristischen Fundaments: Wenn erst Mitteilung Intersubjektivität herstellt, dann mußte das neue Fundament in Mitteilungen gefunden werden. Und wenn dieses Fundament konsequent an Carnaps Empirismus angebunden bleiben sollte, dann mußte es seine direkte Verbindung an Erlebnisgegebenes beibehalten. Folglich mußte ein Erlebnis in eine sprachliche Mitteilung transformiert werden, und als eine solche Transformation sah Carnap die Aufstellung sogenannter Protokollsätze an. Vereinfachend formuliert läßt sich ein Protokollsatz definieren als ein nach dem Muster: "X hatte am Ort O zur Zeit t das Erlebnis Y" in einen oder mehrere Sätze gefaßter Erlebnisinhalt.

Diese durch die Schilderung von Erlebnissen unvermeidlich gewordene Subjektivität der Protokolle blieb den Neopositivisten ein "Dorn im Auge" und Carnap suchte nach Möglichkeiten, subjektive Protokolle in eine intersubjektive Systemsprache - für Carnap fraglos die bereits bestehende Sprache der Physik - zu übersetzen. So kam es zur Formulierung des empiristischen Sinnkriteriums, demzufolge sich Sinn und Erfahrung wechselseitig konstituieren: "***Nur wenn ein Satz auf Protokollsätze und damit auf die erfahrbare Wirklichkeit zurückgeführt werden könnte, wäre er sinnvoll." Sinn machen danach Sätze also, wenn sie auf die erfahrbare Wirklichkeit des Erlebens zurückgeführt werden können, und Erfahrungen macht die Wissenschaft dann vermittels der Transformation von Erlebnisinhalten in sinnvolle Sätze.

Ohne die oben geschilderten grundsätzlichen Einwände in Betracht zu ziehen, sah nicht nur Popper - der einem phänomenalistisch-psychologistischen Konzept von vornherein ablehnend gegenübergestanden hatte -, sondern auch Neurath in einer solchen Fassung des Empirismus nicht die Rettung, sondern die Vernichtung jeglicher Wissenschaft, da damit der Solipsismusvorwurf nicht ausgeräumt sei. Wissenschaft, so warf Neurath ein, müsse objektiv beziehungsweise intersubjektiv sein. Wie sollte aber eine Theorie, die sich nur auf das im Erleben Gegebene bezog, intersubjektiv überprüfbar sein? Kurzum, es trat das Problem des Fremdpsychischen und seine Rolle für die Wissenschaften auf.

Man muß dieses Problem als ein typisches Problem des Neopositivismus sehen, einer Theorie also, die nicht auf Befunde aus einer empirischen Psychologie (im Sinne Carnaps) zurückgreifen konnte und dennoch das Erleben beziehungsweise die Psyche zum Ausgangspunkt und Fundament der Wissenschaften erheben wollte. Wie sollte Carnap auch auf Befunde einer in seinem Sinne empirischen Psychologie zurückgreifen können - war es doch gerade sein Bemühen, überhaupt erst einmal zu klären, was als empirische Erkenntnis anerkannt werden könnte. Selbst ein so zentraler und favorisierter Begriff wie der der Beobachtung, aus dem nahezu alle entscheidenden Lehrsätze des Empirismus abgeleitet wurden, bleibt daher vage, was fatale Konsequenzen in Form eines infiniten Regresses nach sich zieht. So heißt nach Carnap ein Prädikat

***'beobachtbar', wenn ein Organismus - eine Person - N imstande ist, unter geeigneten Umständen und mit Hilfe bestimmter Beobachtungen zu entscheiden, ob ein Prädikat P einem in Frage stehenden Objekt b zukommt oder nicht [...]. Diese Erläuterung stellt natürlich keine Definition für 'beobachtbar' dar; denn wie sofort ersichtlich ist, wird hier der Begriff der 'Beobachtbarkeit' wieder unter Bezugnahme auf 'Beobachtungen' erklärt, was offensichtlich eine Definition 'idem per idem' wäre. Carnap meint deshalb, eine genaue Definition wäre von der Psychologie zu liefern, oder besser: von einer behavioristischen Theorie der Sprache. [...] Es bleibt jedoch eine andere Schwierigkeit: Die Psychologie als Wissenschaft hat - gemäß empiristischer Ansicht - ihr System, das heißt ihre Fachsprache, ausgehend von Beobachtungen und Beobachtbarem aufzubauen. Wollte sie die Forderung Carnaps, eine Definition des Begriffes der 'Beobachtbarkeit' zu liefern, tatsächlich erfüllen, so befände sie sich in einer eigenartigen Lage: Um überhaupt ihr System beginnen zu können, müßte sie bereits eines ihrer erst später erreichbaren Ergebnisse voraussetzen.

Aber anstelle einer Lösung dieser Probleme erklärte der logische Positivismus Sätze oder Sprache zum Gegenstand der Wissenschaftstheorie. Folglich galt es, Wissenschaftstheorie als Sprachtheorie oder -philosophie zu betreiben. Einen solchen Weg verfolgte Carnap in die Logische Syntax der Sprache. Immerhin schien man der Lösung der Probleme im Hinblick auf Wahrheit und Intersubjektivität anhand des Aufweises der logischen Struktur von Sätzen nähergekommen zu sein. Doch auch dieser Ansatz brachte neue Probleme mit sich, denn wie sollte etwa ein subjektiver Protokollsatz, der aus einer Erlebnisschilderung besteht, durch rein logische oder syntaktische Untersuchungen intersubjektiv überprüfbar sein? Muß dazu ein Protokollsatz nicht ebenso wahrgenommen und also erlebt werden, wie der im Protokollsatz geäußerte Sachverhalt? Denn "Verifikation bedeutet ja: Nachprüfung an den Erlebnissen."

Wenn Wahrnehmungen aber nur subjektiv sind, Protokollsätze aber wahrgenommen werden müssen, steht man dann nicht wieder vor dem Problem, wie Intersubjektivität hergestellt werden kann? Carnap sah die Lösung des Problems in einem konsequenten (logischen) Behaviorismus: Sätze sind demnach nicht wiederum als Erlebnisinhalte zu fassen. Sie sind zwar wahrnehmbar und müssen wahrgenommen werden, aber sie liegen im Gegensatz zu dem im Protokollsatz geschilderten Erlebnis selbst als für jedermann wahrnehmbar, überprüfbar und damit intersubjektiv vor. Im Gegensatz zu dem im Protokollsatz geschilderten Fremderlebnis soll dementsprechend die Äußerung des Satzes als (im physikalischen Sinne) äußeres Verhalten aufgefaßt und erfaßt werden, das in einer physikalischen Sprache beschrieben werden kann:

The so-called thesis of Physicalism asserts that every term of the language of science - including beside the physical language those sub-languages which are used in biology, in psychology, and in social science - is reducible to terms of the physical language.

So leitete Carnaps physikalistische Interpretation von Sätzen und Äußerungen in ein behavioristisches Verständnis des Erlebens und des Verhaltens über: Alle psychischen Phänomene galten als reduzierbar auf Physisches, mit anderen Worten "***auf Verhaltensphänomene (unter Einschluß verbalen Verhaltens) und auf Gehirnzustände oder -prozesse." Sätze und Äußerungen mußten physikalisch verstanden keinen Bezug auf (Fremd)Bewußtsein nehmen: Die Rolle des (Fremd)Erlebens glaubte man so wissenschaftstheoretisch letztlich streichen und durch die Beobachtung des Verhaltens ersetzen zu können. Carnap geht dabei soweit, daß

***er sagt, psychologische Aussagen seien nur soweit (empirisch) sinnvoll, als es intersubjektiv beobachtbare Verhaltenskriterien für sie gebe, so daß sich also ihr kognitiver Sinn durch Verhaltensaussagen wiedergeben läßt. Das entspricht späteren Gedanken Wittgensteins.

Lediglich das eigene Erleben oder der direkte Bezug auf Sätze bildete damit die schwerlich mit der physikalistischen Auffassung der Sprache in Einklang zu bringende Grundlage jeder Prüfung empirischer Theorien und damit die Basis des Empirismus:

***Der Bezug der Sprache auf Außersprachliches lebte zwar in der vagen Forderung der 'Beobachtbarkeit' von Aussagen weiter, aber da die philosophische Arbeit erst nach dem Vorliegen von Aussagen einsetzte, wurde dieser Bezug zunächst ganz aus dem Blickfeld verloren. Das Aufstellen von Sätzen wurde ausschließliche Sache der empirischen Wissenschaften, nur deren Verarbeitung betraf die Philosophie.

Carnap war es allem Anschein nach mit seiner Theorie paradoxerweise nur gelungen, ein Fundament für "subjektive Erkenntnisse" - was immer das sein mag - zu finden, aber die Wissenschaftlichkeit war ihm dabei unter den Händen entglitten, da es nun keine intersubjektive Grundlage mehr gab, auf der subjektive Erlebnisse hätten geprüft werden können. Um Erkenntnissen ihren wissenschaftlichen Charakter zurückgeben zu können, mußten sie in einer objektiven Form mitteilbar gehalten werden. Mit einer solchen Form der Mitteilung aber verliert jedes Erlebnis seine Qualität als sinnliche Wahrnehmung etc. Doch sahen Neurath und Carnap offensichtlich die Sprache als ein physikalisches Phänomen an - ohne freilich sagen zu können, mit welchem Recht man Sprache als physikalisches Faktum sollte auffassen können. So mußten sich die Fragestellungen und die wissenschaftstheoretischen Untersuchungen mehr und mehr auf den internen Raum der Sprache beschränken, "***womit man allerdings Gefahr lief, sowohl den Empirismus wie überhaupt jegliches Philosophieren oder Suchen nach Erkenntnis aufzugeben."

Auch hier standen pragmatische Erwägungen im Vordergrund, denn

***beim Physikalismus geht es für Carnap nicht um eine ontologische, sondern um eine pragmatische Frage. Ob es nur Physisches gibt oder daneben z.B. auch Psychisches als eine Realität eigener Art, hält er schon 1928 für ein Scheinproblem, für eine empirisch prinzipiell nicht entscheidbare und daher sinnlose Frage. Es geht ihm allein darum, welche Sprache für wissenschaftliche Zwecke am geeignetsten ist.

Die Rechtfertigung des Physikalismus liegt also nicht in dem Nachweis, daß die Welt ontologisch gesehen aus rein physischen Entitäten bestünde. Derartige externe Existenzfragen sind Carnap zufolge sinnlos, welche Ansicht an den 'methodischen Solipsismus' des Aufbaus anschließt. Vielmehr sind

***ontologische Voraussetzungen [...] sinnvoll immer für gewisse Zwecke, und sie sind sinnvoll, wenn es eine für diese Zwecke brauchbare Sprache gibt, die sie macht, und zu der es keine ebenso brauchbare (z.B. ebenso einfache) Sprache gibt, die ohne sie auskommt. Entsprechend diskutiert Carnap den Physikalismus als These einer Übersetzbarkeit aller anderen Sprachen in die physikalische oder als These, daß man für alle wissenschaftlichen Zwecke mit der physikalischen Sprache auskommt.

Aber wie soll eine Aussage ein physikalisches Phänomen sein können, wenn doch die "physikalische Form" einer Kommunikation (akustisch, tastbar in Blindenschrift, schriftlich auf Papier oder auch in eine Baumrinde geritzt) nichts zur Sache tut, denn das physikalische "Medium" einer Kommunikation ist kommunikativ ohne Belang. Wie soll man dann aber eine sprachliche Mitteilung als physikalisches Phänomen auffassen können?

3.1.2.2 Physikalismus und 'linguistic turn'

So kam es nun zu dem, was man später 'linguistic turn' genannt hat, und die Erörterungen des logischen Empirismus konzentrierten sich mehr und mehr um den Begriff des Sinns, den man an dem Phänomen der Sprache festmachen zu können glaubte. Allerdings hat Michael Dummet

***in seinen Bologneser Vorlesungen über die Ursprünge der analytischen Philosophie daran erinnert, daß das sogenannte positivistische Wiener 'Sinnkriterium' allein und per se die 'sprachphilosophische Wende' noch gar nicht erklärt. Ich finde diese Bemerkung interessant. Denn üblicherweise assoziiert man die Rede von einer sprachanalytischen Philosophie mit der (von Gustav Bergmann so genannten) 'linguistischen Wende'. Das Sinnkriterium des frühen Wiener Kreises ist aber ein bloßer Test dafür, ob ein Ausdruck Bedeutung hat. Es besteht in der Kombination der Erfordernisse logischer Konsistenz (eventuell auch Kohärenz) und Erfahrungs-Ausgewiesenheit (Stützung durch Sequenzen von Sinneserlebnissen). Insofern hat es noch keine Grundlage in einer wirklich sprachphilosophisch zu nennenden Bedeutungstheorie, und die haben die Wiener auch nicht geliefert. Auch für Frege, den anderen vorgeblichen Ahnherrn der Sprachanalyse, gilt, daß er nicht eigentlich eine Philosophie der Sprache, sondern eine Philosophie des Gedankens vorgelegt hat.

Wenn auch der von Frank geschilderte Eindruck stimmig ist, so unterschlägt er doch, daß es beispielsweise Carnap neben dem, was Frank als Erfordernisse logischer Konsistenz, Kohärenz und Erfahrungs-Ausgewiesenheit bezeichnet, vor allem auf die über Sprache herstellbare Objektivität oder Intersubjektivität der Wissenschaften ankam. Und eben diese Intersubjektivität schien nun im Bereich der Sprache als eines die Intersubjektivität konstituierenden Mediums begründet, und eine Erkenntnistheorie mußte mithin in eine dem Empirismus angemessene Sprachphilosophie transformiert werden. 'Mitteilbarkeit' (als Garant der Intersubjektivität) wurde zum entscheidenden Begriff und wieder schien die Lösung direkt auf der Hand zu liegen: Der Erkenntnistheoretiker muß schlicht untersuchen, wie ein Erlebnisinhalt mitteilbar wird.

Mit dem linguistic turn vollzog die ursprünglich eher phänomenalistisch orientierte Theorie also nicht eine Hinwendung zu einem konsequenten Phänomenalismus, sondern durchaus zur Sprachphilosophie. Sprache, speziell Sätze, schienen nicht nur das Fundament der Objektivität oder Intersubjektivität zu bilden, sondern auch eine Wende vom Phänomenalismus zum Physikalismus zu ermöglichen: Denn wenn man wie Carnap Sätze als physikalische Phänomene auffaßt, dann kann man Sprache als einen Transformator ansehen, der Erlebnisse in physikalisch-intersubjektive Gegenstände umzuwandeln in der Lage ist.

Mit der Betrachtung von Sätzen als physikalische Gebilde wird das Problem des Physikalismus aber zu schnell gelöst. Die logische Syntax von Sätzen bildet dann die Schaltstelle der Wissenschaften, indem sie den Sinn von Erlebnissen - die entsprechend dem empiristischen Sinnverständnis zwangsläufig Sinn machen, da alles, was auf Erlebnisse rekurriert, Sinn macht - in sinnvolle Sätze umzuwandeln vermag. Sätze, als Transformationsprodukte von Erlebnissen betrachtet, übernehmen hiernach den Sinn der Erlebnisse, da alles Sinn macht, was auf Erlebnisse zurückführbar ist. Hier schien die Synthese von Phänomenalismus und Physikalismus ihre adäquate Ausformung gefunden zu haben. Wenn Sätze, die aus Erlebnissen hergeleitet werden können, Sinn machen, müssen dann aber nicht die Erlebnisse selbst schon Sinn gemacht haben? Was aber ist das für ein Sinnbegriff, der dem von Carnap favorisierten auf Sprache bezogenen Sinnbegriff vorherzugehen scheint? Inwiefern sind Erlebnisse immer schon auf Sinn bezogen, wie stellen sie Sinnbezüge her? Anders gesagt: Wenn Carnap definiert, daß alles Sinn macht, was auf Erlebnisse rekurriert, so sollte man dies eigentlich nur dadurch legitimieren können, daß man eine allgemeine Theorie des Sinns darlegt. Stattdessen wurde diese Problemstellung einfach dadurch abgeschnitten, daß man sie umkehrte und nun annahm "***epistemischer Zugang zu Phänomenen (auch mentalen) sei prinzipiell sprachvermittelt."

Wieder findet sich ein Zirkel in der Argumentation: Wann sind Sätze in erkenntnistheoretischem Sinne sinnvoll? Sätze sind als sinnvoll zu bezeichnen, wenn sie auf Erlebnisse rekurrieren. Wann sind Erlebnisse sinnvoll? Erlebnisse sind in erkenntnistheoretischem Sinne sinnvoll, wenn sie sprachlich-bewußt erlebt werden. Aber wie soll Sprache Bewußtsein und Sinn erzeugen können? Ist das Bewußtsein nichts anderes als sprachliches Erleben? Ist Bewußtsein und Denken gleichzusetzen mit "mentalem Sprechen"? Was ist dann Kommunikation, die doch auch sprachlich abläuft? Gegen eine Gleichsetzung von sprachlichem Erleben mit Bewußtsein spricht nach Luhmann bereits, daß die Sprache

***soziale in psychische Komplexität [überführt]. Aber nie wird der Bewußtseinsverlauf identisch mit sprachlicher Form, auch nicht mit 'Anwendung' sprachlicher 'Regeln' [...]. Man muß sich nur beim herumprobierenden Denken, bei der Suche nach klärenden Worten, bei der Erfahrung des Fehlens genauer sprachlicher Ausdrucksweisen, beim Verzögern der Fixierung, beim Mithören von Geräuschen, bei der Versuchung, sich ablenken zu lassen oder in der Resignation, wenn sich nichts einstellt, beobachten, und man sieht sofort, daß sehr viel mehr präsent ist als die sprachliche Wortsinnsequenz, die sich zur Kommunikation absondern läßt. Auch das Denken muß die gedankenlose Selbstkontinuierung des Bewußtseins mitvollziehen, und nur so kann es dem Bewußtsein die eigene Existenz bestätigen.

Carnaps Empirismus ist vor diesem Problem stets ausgewichen, obwohl es einsichtig sein dürfte, daß von Sinn in der empiristischen Verwendung des Wortes strenggenommen erst gesprochen werden könnte, wenn geklärt wäre, wie man Sinn (und sei es 'sprachlich') überhaupt herstellen und erfassen kann (und 'erfassen kann' dürfte hier wohl 'verstehen kann' heißen). Erst eine solche, auf allgemeinen Überlegungen zum Sinnbegriff beruhende Begriffsbildung, in der geklärt wird, was unter Sinn als solchem verstanden werden soll und wie die Psyche Erlebnisse immer als sinnvolle und verständliche hervorbringen kann, könnte zur Rechtfertigung eines erlebnisbezogenen, physikalistisch-reduktionistischen Sinnkriteriums wie des empiristischen herangezogen werden. Die Antwort, daß dies 'sprachlich' geschieht, täuscht eine Lösung nur vor, denn sie basiert auf der Wirkung der Selbstverständlichkeit, mit der Sprache gesprochen und verstanden wird. So invisibilisiert sie das eigentliche Problem: Selbstverständlich ist Sprache auch ein Medium der Mitteilung von Sinn. Aber die Frage war nicht, ob das Erleben oder die Kommunikation mit Hilfe von Sprache Sinn aufbauen kann, sondern wie das Erleben oder die Kommunikation mit Hilfe von Sprache diese Leistung zustande bringen kann. Muß dazu die Psyche nicht von allem Anfang an, also auch vorsprachlich, mit Sinn operieren können? Und wenn ja, was heißt dann 'mit Sinn operieren'?

Wer seine Überlegungen auf die Untersuchung des Sinns von Sätzen reduziert, hat diese Frage übergangen. Wittgenstein hat dieses Problem gesehen, und so wird wohl verständlich, warum er in seiner Spätphilosophie anstelle einer Theorie wissenschaftlicher Erkenntnis zu einer am Alltag orientierten Sprachspieltheorie greift, die die Möglichkeit von Sinn und Verstehen in der Einheit eines sprachübergreifenden Sinnzusammenhanges sucht, eines Sinnzusammenhanges, der die Kontexte (Handlungssituationen) und die in diesem Kontext stattfindenden außersprachlichen Handlungen als einen die Sprache (beziehungsweise 'das Sprechen') überhaupt erst ermöglichenden, also übergreifenden Zusammenhang einbezieht und untersucht.

So gelangte er nicht nur zu einer Ansicht, die an die Idee der Lebenswelt erinnert - Wittgenstein nannte sie "***Lebensform" -, sondern er erweiterte seine Sprachphilosophie um die Untersuchung der Regeln des Handelns mit der und begleitet durch die Sprache: "***Das Wort 'Sprachspiel' soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform." Aus diesem Grunde wurden von Wittgenstein außersprachliche Handlungen und Situationen als Kontexte in den Sprachzusammenhang eingegliedert und so mitberücksichtigt.

Wie aber können, wenn man Carnaps Theorie weiterdenkt, physikalisch aufgefaßte Phänomene wie Geräusche oder Schwärzungen auf weißem Papier etc. als sinnvolle Sätze erkannt, aufgefaßt und verstanden werden? Wenn jemand geäußerte Sätze etwa als Geräusche (oder akustische Signale, Schallwellen etc.) klassifiziert, dann läßt sich sofort fragen, was Sätze (Äußerungen) von anderen Geräuschen unterscheidet: Wie kommt es, daß man sie als Sätze erkennt und dies zumeist sogar auf Anhieb und ohne langwierige physikalische, phonetische, semiotische, syntaktische oder semantische Untersuchungen? Nebenher: Auch eine Maschine kann chemische Untersuchungen durchführen (z.B. ein Chromatograph), ein moderner Computer kann sogar Texte scannen und Schriftzeichen identifizieren. Aber kann eine solche Maschine deshalb in irgendeiner Weise Sinn erfassen oder verstehen? Nur für den Wissenschaftler und nicht einmal für einen gerade im Raum befindlichen Hausmeister wird der "Output" eines Chromatographen verständlich sein und weder der Chromatograph noch der Computer kann den Sinn seiner Operationen oder den Sinn der gescannten Sätze erfassen, geschweige verstehen. Wenn folglich Sinn nicht physikalisch vorliegen kann, wie kann dann ein Subjekt, ein psychisches System, ein Mensch oder was immer man annehmen mag, Sinn erfassen? In Carnaps Theorie blieb auch diese Frage unbeantwortet.

Wenn man nun fragt, was der Unterschied zwischen Geräuschen und Sätzen ist, so sollte bereits diese Frage unmittelbar zum Begriff des Sinns führen. Freilich ergeben auch Geräusche Sinn: Schluchzen, das Jaulen eines Hundes oder auch der durchdringende Lärm einer Schlagbohrmaschine und sogar das Erdbeben von Lissabon machen im Erleben eines Beobachters Sinn, denn wie sollte man sie sonst beschreiben, erklären oder überhaupt erfassen können? Aber das verschärft die Problematik nur, denn wenn schon ein jedes Geräusch für einen (sinnverarbeitenden) Beobachter Sinn macht, ja, wenn bereits der Begriff des 'Geräuschs' Sinn macht, dann ist Sinn immer schon vorausgesetzt, und es wird immer problematischer, die hochkomplexe Erfassung von Äußerungen verständlich zu machen und zu erklären, wie man nicht nur Sätze als sinnvoll, sondern darüber hinaus auch noch den Sinn von Sätzen verstehen können soll. Die physikalische Form von Sätzen ist bei all dem nicht nur kontingent, sondern für die Klärung dieser Fragen offensichtlich gänzlich irrelevant. Sinn dürfte wohl nur erfaßt werden können, wenn ein Subjekt, ein Mensch oder ein System immer schon mit Sinn operiert. Carnap aber hat diesen Problemkreis unbehandelt belassen. Dagegen wurde dieses Problem einer physikalistischen Sprachauffassung beispielsweise von Skjervheim durchaus gesehen und auf die Verstehensproblematik bezogen. Dennoch kann von einer Lösung des Problems kaum gesprochen werden, da trotz der Annahme, "***daß Sinnverstehen ein Modus der Erfahrung sei", weiterhin eine Anbindung der Theorie an den Datensensualismus aufrechterhalten wird. Es war H. Skjervheim, der

***als erster die [für Szientisten, H.W.] methodologisch anstößigen Konsequenzen der Verstehensproblematik, also das Problematische am Verstehen herausgearbeitet hat. Skjervheim beginnt mit der These, daß Sinnverstehen ein Modus der Erfahrung sei. Wenn Sinn als theoretischer Grundbegriff zugelassen wird, müssen symbolische Bedeutungen als Daten betrachtet werden: 'What is of interest for us ... is, that meanings - the meaning of other people's expressions and behaviour, the meanings of written and spoken words - must be regarded as belonging to that which is given ... In other words, what we propose is a perceptial theory of meaning, and of our knowledge of other minds.'

Auch Wittgenstein hat - bei aller Anbindung seiner Theorie an außersprachliche Kontexte - hier offensichtlich nicht das Problem gesehen, wie ein Zusammenhang (Situation oder Kontext, eine Handlung oder eine Äußerung) überhaupt als Zusammenhang erfaßt werden kann: Alle diese Strömungen versuchen letztlich das Problem von Sinn und Verstehen dadurch zu umgehen, daß sie Sinn mit Sprache identifizieren. Ist das Sinnproblem (vorschnell) erst einmal auf die Analyse sprachlicher Prozesse reduziert, dann wird jede weitere Klärung auf die Analyse der Regeln der Sprache (im Falle Carnaps: die Untersuchung der 'Syntax der Sprache') oder der Regeln des sprachlichen Handelns (im Falle des späten Wittgenstein: die Untersuchung der 'Sprachspiele') reduziert. Ein solcher Rekurs auf sprachliche Regeln intersubjektiver Kommunikation aber "***greift zu kurz, weil das Sinnproblem tiefer liegt als das Regelproblem, weil Regeln selbst sinnhaft schon sein müssen, um begründen zu können, weil auch die Frage nach Begründungen, die Widerlegung von Begründungen Sinn hat, usw."

So liegt wieder einmal die Vermutung nahe, daß sich nur in einem Netz von Sinnzusammenhängen Sinn aufbauen, erkennen und verstehen läßt, denn um einen Satz als Satz und damit als verstehbare Zeichenkette betrachten zu können, muß auf die Möglichkeit, sinnvolle Sätze zu bilden und in akustischer oder schriftlicher Form etc. mitteilen zu können, bereits verwiesen werden. Und wie sollte ein solcher Verweis möglich sein, wenn nicht als Sinnverweis?

***Sinn präsentiert Komplexität unmittelbar durch Verweisungsreichtum und weitergegebenen Selektionszwang; Sprache steigert und reduziert Komplexität mit Hilfe einer Differenzierung von Struktur und Prozeß. Sinn ist zwar intersubjektiv, aber nicht allein sprachlich konstituiert; vielmehr bezieht er Wahrnehmungsprozesse (unter Einschluß von Wahrnehmungen der Wahrnehmungen anderer) ein, die sich nicht in sprachliche Prozesse auflösen lassen.

Daher muß eine rein sprachphilosophische und erst recht eine physikalistische Begründung von Sinn und Wahrheit am Problem vorbeilaufen, zumal sich nicht einmal das Bewußtsein auf 'sprachliches Erleben' reduzieren läßt, denn

***Sinnhaftes Erleben und Handeln beruht auf Fähigkeiten des Negierens und Virtualisierens, die vorsprachliche Wurzeln haben und in aller Zeichenbildung bereits vorausgesetzt sind. Die Verwendung des Wortes 'Brot' setzt ja voraus, daß man es hinreichend sicher vom Brot selbst unterscheiden kann. Ohne zu wissen, daß man das Wort Brot nicht (nicht!) essen, auf das Wort Baum nicht (nicht!) klettern kann (kann!), wäre die Verfügung über Sprache mit tödlichen Irrtümern belastet.

3.1.3 Von der Referenzsemantik zur Wahrheitssemantik

Carnap ließ diesen gesamten Fragenkomplex unbeantwortet, was kein Zufall sein dürfte, denn strenggenommen müßte für Carnap die Frage nach dem Sinn des Sinnbegriffs sinnlos sein, weil allein schon der Bezug eines allgemeinen Sinnbegriffs zu einem protokollierbaren Erlebnis schwerlich herstellbar sein dürfte. Der Sinnbegriff kann immer nur selbstbezüglich (das heißt hier: zirkelhaft) analysiert werden, da es um den Sinn des Sinnbegriffs geht, also sinnvolles Operieren immer schon verwendet und vorausgesetzt sein muß, wenn man sich dem Sinnbegriff theoretisch nähern möchte. Dann aber kann die Analyse des Sinnbegriffs nicht empirisch im Sinne Carnaps realisiert werden, da sein Sinn nicht auf einzelne Protokollsätze oder auf Elementarerlebnisse zurückgeführt werden kann - denn diese setzen ebenfalls schon immer Sinn (sinnhaftes Erleben) voraus. Carnap versuchte offensichtlich, dieses Problem zu unterlaufen, indem er Fragestellungen dieser Art vermied und Sinn ausschließlich nur auf Sprache hin reflektierte, womit er Sinn als Satz oder Äußerung hypostasierte. Das Unterlaufen dieses Problems hat jedoch zur Folge, daß nicht im strengen Sinne verstanden werden kann, wie Sprache verstanden oder als Sinnstruktur überhaupt aufgefaßt und hervorgebracht werden kann. Man sucht dann aber die Ursache beispielsweise von Unklarheiten, Mißverständnissen oder Widersprüchlichkeiten vorschnell im Bereich der Sprache oder der Logik, auf welche Bereiche man Sinn vorher eingeschränkt hatte, und man übersieht dabei die Notwendigkeit der Frage, wie Verstehen und die gedankliche Konstruktion von Sätzen überhaupt möglich sind. Die Philosophie Carnaps hingegen stellt einzig die Frage, welche Sätze Sinn ergeben und welche nicht, wie Zeichen und Sätze strukturiert sein müssen (Syntax), um als sinnvoll angesehen werden zu können und welche Rolle dabei der Semantik, sowohl auf Wort- als auch auf Satzebene, zukommt. Zwar erkannte Carnap durchaus die Relevanz von Kontexten an, allerdings in einer sehr reduzierten Form, die zunächst weitgehend auf den Satz als Kontext von Begriffen beschränkt blieb. So ergab sich die Möglichkeit einer relativ einfachen Art und Weise der formalen Sprachanalyse, die die Frage des Sinns zunächst nur im Modus einer Referenzsemantik zu beantworten in der Lage war:

***Im Anschluß an die pragmatistische, von Peirce eingeführte und von Morris fortgebildete Zeichentheorie hat Carnap den von Bühler zunächst nur funktionalistisch betrachteten Symbolkomplex unter syntaktischen und semantischen Gesichtspunkten einer intern ansetzenden Sprachanalyse zugänglich gemacht: nicht das isolierte Zeichen ist der Träger von Bedeutungen, sondern Elemente eines Sprachsystems, d. h. Sätze, deren Form durch syntaktische Regeln und deren semantischer Gehalt durch den Bezug zu designierten Gegenständen oder Sachverhalten bestimmt ist. Mit Carnaps logischer Syntax und den Grundannahmen der Referenzsemantik eröffnet sich ein Weg zur formalen Analyse der Darstellungsfunktion der Sprache.

Doch die Referenzsemantik erschien wissenschaftstheoretisch nicht als ausreichend, da sie noch allzusehr an die Abbildtheorie gebunden war. Diese Probleme versuchte Carnap durch die Umstellung auf eine Wahrheitssemantik zu lösen. So gesehen wird

***die Bedeutungstheorie freilich erst mit dem Schritt von der Referenz- zur Wahrheitssemantik als eine formale Wissenschaft [endgültig] etabliert. Die von Frege begründete, über Wittgenstein I bis zu Davidson und Dummett ausgebaute Semantiktheorie rückt die Relation zwischen Satz und Sachverhalt, zwischen Sprache und Welt ins Zentrum.

Auf dem Wege eines Ersatzes der Referenzsemantik durch die Wahrheitssemantik sollte es möglich werden, mit einer Lösung von der Zeichentheorie auch zu einer neuen und adäquateren Bestimmung des empiristischen Sinnkriteriums zu gelangen. Doch dies leitete in einen Konventionalismus über, denn der Wahrheitssemantik entsprechend sollte das

***Kriterium dafür, ob irgendein neu aufgestellter Satz anzunehmen oder zu verwerfen sei, [...] die Tatsache sein, daß er sich logisch in den bestehenden Gesamtaufbau der Sprache einfügt und nirgendwo darin einen Widerspruch schafft. [...] Der Begriff der 'Wahrheit' als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit scheint aufgegeben und durch 'Kohärenz innerhalb eines Sprachsystems' ersetzt zu sein. [...] Jedenfalls ist nicht recht einzusehen, wie auf diese Weise noch ein Empirismus vertreten werden kann, der mehr wäre als Meinung und Dogma.

Der sprachphilosophisch so vollzogene Abschied von der abbildtheoretischen Fassung des Wahrheitsbegriffs dürfte sicherlich ein Fortschritt sein. Die Wahrheitssemantik wurde indes über die Forderung nach Kohärenz innerhalb eines Sprachsystems an einen Konventionalismus angebunden, was zur Folge hatte, daß ein an die Untersuchung der Sprache angebundener Konventionalismus nicht nur den Bereich physikalischer Forschung verläßt, sondern den gesamten Bereich empirischer Forschungsanliegen im Sinne der Philosophie Carnaps. An all diesen Problemen konnten auch Carnaps Vorstellungen über Sachhaltigkeit, Bestätigungsfähigkeit und Prüfbarkeit wenig ändern. Wie sollte gerade ein solcher sprachphilosophischer Versuch, die Probleme des Empirismus zu lösen, den Empirismus als Empirismus retten können? Versprach man sich eine solche Problemlösung etwa durch einen der Dogmatik nahestehenden Konventionalismus, gekoppelt an eine restriktive Wissenschaftsphilosophie, die nun nur noch als Sprachphilosophie verstanden werden konnte? Immerhin

***löst sich die Semantiktheorie von der Auffassung, daß die Darstellungsfunktion anhand des Modells von Namen, die Gegenstände bezeichnen, geklärt werden kann. Die Bedeutung von Sätzen, und das Verstehen der Satzbedeutung, läßt sich von dem der Sprache innewohnenden Bezug zur Gültigkeit von Aussagen nicht trennen. Sprecher und Hörer verstehen die Bedeutung eines Satzes, wenn sie wissen, unter welchen Bedingungen der Satz wahr ist. [...] Die Wahrheitssemantik entfaltet also die These, daß die Bedeutung eines Satzes von dessen Wahrheitsbedingungen determiniert wird.

Damit geriet die analytische Philosophie Carnaps in eine Reihe neuer Probleme. Eines dieser Probleme betrifft die aus dem Verifikationsprinzip hervorgehende Paradoxie der Negation von Sinn:

***Das Verifikationsprinzip als Sinnkriterium führt nun auch zu eigenartigen Konsequenzen. So kann zum Beispiel die Verneinung eines als sinnvoll zugelassenen Satzes zu einem sinnlosen Satz werden. Die Aussage etwa: 'Für wenigstens eine Rose gilt: sie ist schwarz', [...] ist sicher sinnvoll, da sich genau angeben läßt, durch welche empirischen Beobachtungen sie verifiziert würde. Die Verneinung dieser Aussage jedoch: 'Für alle Rosen gilt: sie sind nicht schwarz' (oder: 'Es gibt keine schwarzen Rosen'), [...] muß als sinnlos angesehen werden, da sie ein unbeschränkter All-Satz und folglich nicht verifizierbar ist. Man kann aber zeigen, daß ein Satz und seine Verneinung auf einer und derselben sinnmäßigen Ebene liegen müssen [...].

Auch hier zeigt sich ein Operieren mit Sinn als nur möglich über die Entfaltung einer Paradoxie: Auch Sinnloses macht Sinn und muß Sinn machen, um als Sinnloses erkannt werden zu können. Oder anders formuliert: Auch sinnlose Sätze müssen sinnhaft erfaßt werden, um als sinnlos verstanden werden zu können. Sinn kann nicht negiert werden, oder, wenn man wiederum eine paradoxe Formulierung vorzieht: Die Negation von Sinn ergibt (Unsinn und Unsinn macht paradoxerweise immer) Sinn. Wittgenstein allerdings hat diese Paradoxie gesehen:

***Wenn ich sage, der Befehl 'Bring mir Zucker!' und 'Bring mir Milch!' hat Sinn, aber nicht die Kombination 'Milch mir Zucker', so heißt das nicht, daß das Aussprechen dieser Wortverbindung keine Wirkung hat. Und wenn sie nun die Wirkung hat, daß der Andre mich anstarrt und den Mund aufsperrt, so nenne ich sie deswegen nicht den Befehl, mich anzustarren etc., auch wenn ich gerade diese Wirkung hätte hervorbringen wollen.

Daher sucht Wittgenstein durch eine genauere Bestimmung des Begriffes 'sinnlos' dieses Problem zu umgehen: "***Wenn gesagt wird, ein Satz sei sinnlos, so ist nicht, quasi, sein Sinn sinnlos. Sondern eine Wortverbindung wird aus der Sprache ausgeschlossen, aus dem Verkehr gezogen." Bei einem solchen Ausschluß können laut Wittgenstein pragmatische Erwägungen eine Rolle spielen. Ziehe ich aber eine solche Grenze zwischen sinnlos und sinnvoll, "***so ist damit noch nicht gesagt, weshalb ich sie ziehe."

Die paradoxieerzeugende Eigenschaft des Sinns entspringt aus der notwendigen Selbstreferentialität des Sinns: Denn, wenn die Negation von Sinn immer nur wieder Sinn ergeben kann, so führt Sinn immer auf Sinn zurück; Sinn nimmt immer wieder sich selbst, also Sinn in Anspruch.

Immerhin vertrat nun auch Carnap, angelehnt an Russels Gebrauchsdefinitionen, die Ansicht,

***daß sich ein empiristisches Sinnkriterium in erster Linie auf Aussagen zu beziehen hat [...]. Natürlich kann vom Sinn der Begriffe nicht völlig abgesehen werden, vor allem, weil der Sinn von Aussagen gewöhnlich von den in ihnen vorkommenden Begriffen abhängt. Begriff und Aussage sind also bezüglich ihres Sinnes nicht voneinander unabhängig.

Folglich ist hier bereits, wenn man Sätze als Kontexte von Begriffen (vice versa) ansieht, die Notwendigkeit der Einbettung sinnvoller Begriffe und Sätze in Kontexte zugestanden, und die Frage nach weiteren Kontexten von Kontexten, also die Frage nach einem einzelne Kontexte übergreifenden Sinnhorizont, drängt sich förmlich auf: Denn mag auch ein Satz Kontext einzelner Begriffe oder Wörter sein, was ist dann der Kontext des Satzes? Wie soll ein einzelner Satz für sich verstanden werden oder sinnvoll sein können, wenn er nicht stets in weitere Kontexte eingebettet ist?

So stößt auch die Wahrheitssemantik schnell auf ihre Grenzen, denn - wie bereits gezeigt - dürfte im Grunde nach Carnaps eigener Theorie die Diskussion über den Sinn von Sätzen keinen Sinn machen: Woher sollte man wissen, ob die Frage, wann Sätze sinnvoll sind, Sinn macht, wenn man dazu wissen müßte, in welchem Falle die Frage nach dem Sinn von Sätzen wahr wäre? Aber wie soll eine Frage wahr sein können? Oder, wieder anders: Wie soll man wissen können, wann ein Satz wahr ist, wenn man dazu wissen müßte, wann der Satz "Der Ausdruck 'wahr' ist sinnvoll" sinnvoll ist? Denn das hieße der Wahrheitssemantik zufolge wissen, wann Wahrheit wahr ist. An diesem Problem mußte Carnaps Theorie scheitern, denn seine Zeichentheorie des Sinns von Sätzen und Wörtern war

***freilich [...] gehalten, alle Sätze nach dem Muster assertorischer Sätze zu analysieren; die Grenzen dieses Ansatzes werden sichtbar, sobald die verschiedenen Modi der Verwendung von Sätzen in die formale Betrachtung einbezogen wird. [...] Auf der Linie von Wittgenstein II über Austin bis zu Searle wird die formale Semantik von Sätzen auf Sprechhandlungen ausgedehnt.

3.1.4 Eignen sich Sinnkriterien oder Methoden als Abgrenzungskriterien?

Popper gelang es hingegen, die mit der Wahrheitssemantik verbundenen Probleme zu umgehen, indem er das Verifikationsprinzip (und damit jede Suche nach Sinnkriterien) durch (ein basissatzgeleitetes) Falsifikationsprinzip ersetzte. Damit schien nicht nur ein neopositivistisches Problem vorläufig behoben zu sein, sondern mit einem Schlag eine Misere der Wissenschaften überhaupt. Diese Misere besteht darin, daß auch die bestbeglaubigten Theorien irgendwann widerlegt werden. Der Wechsel von Verifikation auf Falsifikation bildete zugleich den Übergang vom "bestätigungsheischenden Fundamentalismus", der dann doch immer wieder enttäuscht wird, zum Fallibilismus. Wenn aber die Falsifikation wichtiger wird als die Verifikation, dann bildet die permanente Widerlegung von Theorien keine Misere mehr, sondern wird zum Garant des Fortschritts: "***Der Ehrgeiz, recht zu behalten, verrät ein Mißverständnis [...]."

3.1.4.1 Zum Problem der Beobachtung

Zusätzliche Probleme bildeten für die analytische Philosophie so wichtige Begriffe wie 'Ausdehnung', 'Masse' oder 'Elektron'. Wie sollten diese Begriffe ersetzbar oder auf Erlebbares reduzierbar sein? Carnap reagierte, indem er eine Ebenentheorie vorschlug. Danach sollte zwischen der Ebene der Beobachtungsbegriffe und der Ebene theoretischer Begriffe unterschieden werden. Theoretische Sätze durften danach Begriffe enthalten, die in Beobachtungssätzen sinnlos erscheinen mußten, und sie durften "metaphysische" Begriffe enthalten, weil sie angeben können mußten, im Falle welcher (wenigstens denkbaren) Beobachtung sie angewendet werden sollten. Gab es keine denkbare und angebbare Beobachtung, welche die Anwendung eines theoretischen Begriffs bestimmen sollte, so galt der Begriff als nicht-empirisch, metaphysisch und damit sinnlos.

Der Beobachtungsbegriff ist hier im Gegensatz zum systemtheoretischen ganz offensichtlich an sinnliche Wahrnehmungen gekoppelt, denn erleben läßt sich auch ein Gedanke oder ein Wunsch. Erst das Erleben sinnlicher Wahrnehmungen kann aber Carnaps empiristisches Sinnkriterium verständlich werden lassen. Die analytische Philosophie, aber auch Popper sahen offenkundig eine solche reduktionistische Definition als nicht problematisierungsbedürftig an. Dasselbe hatte sich bereits daran gezeigt, daß man die Protokollierung eines Protokollsatzes nicht für notwendig erachtete, denn dies hätte eine unendliche Iteration zur Folge gehabt: Erlebnis (Beobachtung) - Protokollsatz über das Erlebnis - Protokollsatz über die Wahrnehmung eines Protokollsatzes - Protokollsatz über die Wahrnehmung eines Protokollsatzes über die Wahrnehmung eines Protokollsatzes ... Dieses Iterationsproblem wurde nicht durch eine speziell darauf gerichtete Rechtfertigung gelöst, sondern schlicht ignoriert. Und ebenso wurde und wird im allgemeinen der Begriff der Beobachtung als an Wahrnehmungen gebunden nicht problematisiert. Eine Begründung des Ausschlusses nicht-sinnlicher, also zum Beispiel rein gedanklich-sinnhaft unterscheidender Beobachtungen, fand nicht statt. Nur die Annahme aber, Wahrnehmungen seien Wahrnehmungen von für sich existierenden Gegenständen einer unabhängigen Realität (Abbildtheorie) oder sie seien Konstruktionen aus von sich her unbestimmten Sinnesreizen durch das Subjekt, kann die Annahme einer strengen Eigenständigkeit von Wahrnehmungen und damit die Vorstellung eines privilegierten Zugangs zur Welt über sinnliche Beobachtung legitimieren. Mit anderen Worten: Nur das Bild der Erkenntnis als eines 'Spiegels der Natur' kann die traditionelle Definition des Beobachtungsbegriffs rechtfertigen. Somit ergibt sich ein Einwand gegen die Unterscheidung von Beobachtungssätzen und theoretischen Sätzen bereits aus "***der Theoriebeladenheit der Beobachtungssätze [...] und stellt damit den ganzen Ansatz des Zwei-Schichten-Modells infrage [sic!]. Es gibt keine direkten, durch vorgängige Annahmen nicht beeinflußten Feststellungen [...]."

Rorty erläutert diese mit dem Weltbild der traditionellen Sprachphilosophie zusammenhängenden Probleme anhand der Wende in Putnams Denken:

***Putnams Widerruf hat zur Konsequenz, daß eine empirische Theorie unmöglich leisten kann, was der Transzendentalphilosophie nicht gelungen war - Aussagen über unser Darstellungsschema zu machen, die seine Verbindung zu den Gehalten, die wir darzustellen wünschen, klar werden lassen. Wenn dies jedoch unmöglich ist, dann können wir Davidsons Forderung zustimmen, die Unterscheidung von Schema und Gehalt in jeder Hinsicht zu verabschieden. Wir werden uns damit abfinden müssen, daß der Begriff des 'Begriffsschemas' einfach nicht leisten kann, was sich die Philosophen der Tradition von ihm erhofft hatten - die Klärung gewisser spezieller Adäquatheitsbedingungen, die die 'Vernunft' an unsere Theorien stellt, und die erklären, warum unsere idealen Theorien 'der Wirklichkeit zu korrespondieren haben'.

Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, hatte Wittgenstein ein solches Weltbild zu vermeiden gesucht. Er wollte, anders als Carnap, mit einer "***Theorie der Bedeutung-als-Verwendungsweise die Probleme der 'reinen' Sprachphilosophie lösen", indem er anstelle einer rein auf Sprache bezogenen Philosophie außersprachliche Handlungen und Kontexte mit einbezog:

***Putnam schließt sich heute Wittgenstein und Goodman an: eine Theorie, die sich die Sprache als ein Abbild der Welt denkt - ein System von Darstellungen, von dem die Philosophie zu zeigen hat, daß es zum Dargestellten in irgendeiner nichtintentionalen Beziehung steht - ist für die Erklärung des Erwerbs und Verstehens von Sprache nicht brauchbar.

Auch Popper, der allen psychologistischen Anleihen zu entgehen suchte, geriet in ein ähnliches Dilemma betreffs des Beobachtungsbegriffs. Dieses Dilemma wird deutlich, wenn man zunächst einmal untersucht, auf welche Weise Popper versuchte, die Probleme hinsichtlich des Erlebens und Verstehens zu vermeiden. Seine "Lösung" läßt sich eher als Versuch charakterisieren, vor einer Anerkennung dieses Problems zurückzuweichen. So versuchte er, einen Ausweg zu finden, indem er - ganz im Gegensatz zu Carnap - den Stellenwert und die Bedeutung von Sätzen nicht mehr auf Erlebnisgegebenes bezog. ###An die Stelle der Schilderung des Erlebnisgegebenen rückt er die Aufstellung von Basissätzen, die mit intersubjektiv-wiederholbaren sinnlichen Beobachtungen verbunden sein müssen.### Vorderhand mag Poppers Ansatz so den Anschein erwecken, seine Theorie löse zumindest die Probleme, die sich aus dem empiristischen Bezug zum Erleben ergeben, verlagert sich so doch die Basis empirischer Prüfungen auf die Aufstellung von Sätzen und die Prüfung dieser Sätze durch die Aufstellung neuer Sätze. ###Aber auch hier wird das Problem nur suggestiv gelöst, denn wenn Sätze so zu Feststellungen werden, wie gelangen dann Sätze in die Wissenschaften und wie können sie dann rational geprüft werden? Können Sätze der Theorie Poppers zufolge wirklich einfach durch Sätze geprüft werden? Wenn dem so ist, warum stellt man dann Basissätze auf, obwohl diese nach Popper letztlich nur Geltung beanspruchen können, wenn sie im Einklang stehen mit (wiederholbaren) sinnlichen Beobachtungen, die wiederum in Sätzen protokolliert und ausgewertet werden müssen, ehe sie in Basissätze transformiert werden können und es zur Falsifikation oder Bestätigung von Sätzen durch Sätze kommen kann?###

Popper widerspricht dem hier vorgebrachten Einwand mit dem Argument, daß wir,

***wenn wir wollten, statt von einem 'beobachtbaren Vorgang' auch von einem 'Bewegungsvorgang an (makroskopischen) physischen Körpern' sprechen könnten; genauer: wir könnten festsetzen, daß jeder Basissatz entweder selbst ein Satz über Lagebeziehungen zwischen physischen Körpern sein oder solchen 'mechanistischen' [oder materialistischen] Basissätzen äquivalent sein muß.

Wenn ein Satz aber einem "materialistischen" Satz nur äquivalent sein muß, so kann er auch ein Protokollsatz im Sinne des Carnapschen Physikalismus sein - obwohl Popper diesen Physikalismus wenige Seiten zuvor entschieden abgelehnt hatte. ###{{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}} Mithin: Die Entgegnung Poppers scheint voreilig, was durch ein weiteres Zitat belegt werden soll:{{{Kontrollende!!!}}}

***Basissätze müssen durch 'Beobachtung' intersubjektiv nachprüfbar sein. Da sie singuläre Sätze sind, kann sich diese Forderung natürlich nur auf jene 'nachprüfenden Subjekte' beziehen, die sich in entsprechender raumzeitlicher Nähe befinden (eine Frage, auf die wir nicht weiter eingehen).

###Es wäre sicherlich besser gewesen, weiter darauf einzugehen.###

3.1.4.2 Zum Problem des Irrationalismus in den Wissenschaftstheorien Poppers und Carnaps

In Hinsicht auf die Wissenschaftstheorie und die Methodendiskussion hat Poppers basissatzgeleitetes Falsifikationsprinzip einschneidende Konsequenzen, denn in diesen Bereichen kann man keine Basissätze aufstellen und empirisch im Sinne Poppers prüfen. ###Methoden können eben nicht über sinnliche Beobachtungen und darauf bezugnehmende Basissätze deduktiv geprüft werden und sich somit nicht im Sinne Poppers 'bewähren', denn nur von dem, was einer "***strengen deduktiven Nachprüfungen standhält und durch die fortschreitende Entwicklung der Wissenschaft nicht überholt wird, sagen wir, daß es sich bewährt."###

Methoden werden so aus der Rationalität der Wissenschaften herausgenommen und der Beliebigkeit eines Dezisionismus überantwortet: Sie setzen sich durch oder eben nicht, ohne daß dabei - wie Popper offen zugesteht - wissenschaftlich-argumentative Erwägungen den Ausschlag geben könnten:

***Unser Abgrenzungskriterium [bei Popper: die Methode des basissatzgeleiteten Falsifikationsprinzips, H.W.] wird also als ein Vorschlag für eine Festsetzung zu betrachten sein. Über die Zweckmäßigkeit einer Festsetzung kann man verschiedener Meinung sein; [...] die Wahl des Zweckes aber ist allein Sache des Entschlusses, über den es einen Streit mit Argumenten nicht geben kann. [...] Wir geben also offen zu, daß wir uns bei unseren Festsetzungen in letzter Linie von unserer Wertschätzung, von unserer Vorliebe leiten lassen.

Und weil Methoden Popper zufolge den Wissenschaften (eben weil sie das Abgrenzungskriterium darstellen) vorgeordnet sind, befindet man sich erst, nachdem man sich für eine Methode entschieden hat, im Diskurs der Wissenschaften. Daraus ergibt sich, daß die Unwissenschaftlichkeit der Methodendiskussion nicht erst und allein aus dem Zuschnitt des Popperschen deduktiven Fallibilismus (der nicht auf sich selbst angewandt werden kann) als eines Abgrenzungskriteriums folgt. Vielmehr folgt die Unmöglichkeit, Methodendiskussionen selbst als Teil der Wissenschaften anzusehen immer dann, wenn man Methoden als Abgrenzungskriterien ansetzt: Denn eine wissenschaftliche Methodendiskussion ist nur führbar, wenn es möglich ist, über die Gegenstandsangemessenheit verschiedener Methoden nicht vor dem Eintritt in die Wissenschaften, sondern im Rahmen der Wissenschaften selbst zu diskutieren. Bildet aber die vorgängige Wahl einer Methode das Wissenschaftskriterium, so kann man vor ihrer Festlegung nicht schon von einer wissenschaftlichen Diskussion sprechen, und damit ist die Methodendiskussion nicht mehr Teil der Wissenschaften. Methoden als Abgrenzungskriterien führen somit immer zur Ausscheidung der Methodendiskussion und der Wissenschaftstheorie aus den Wissenschaften. Daher führt die Einführung von Methoden als Abgrenzungskriterien notwendigerweise zu einem für die Wissenschaften sicherlich nicht akzeptablen Tatbestand. Mithin: Methoden eigenen sich nicht als Abgrenzungskriterien.

Betrachtet man dagegen die Wahl einer Methode nicht als Abgrenzungskriterium, sondern als Teil der wissenschaftlichen Diskussion über die Angemessenheit von Gegenstand und Methode, so stellt die Methodendiskussion selbst eine Leistung der Wissenschaften dar. Schon der dem Wiener Kreis nahestehende Gestaltpsychologe W. Köhler hat eine solche wissenschaftsinterne Methodendiskussion für notwendig erachtet:

***Eine Methode als solche, für sich genommen, kann man schwer beurteilen. In der Regel ist eine Methode nicht an sich gut oder schlecht. Sie ist gut, wenn sie sich den wesentlichen Zügen unserer Probleme und unseres Materials anpaßt; sie ist schlecht, wenn sie auf diese Eigenbeschaffenheit des Gegenstandes keine Rücksicht nimmt [...].

Popper war gleichwohl bereit, die entsprechenden Konsequenzen, die sich aus seinem Ansatz ergeben, zu ziehen und somit die Rolle der Rationalität innerhalb der Wissenschaftstheorie und der Methodenlehre auf ein Minimum zu beschränken. Dann müßte man aber strenggenommen Poppers Ansatz derart interpretieren, daß Wissenschaftstheorie und Methodenlehre bestenfalls noch als Propädeutik bezeichnet werden dürften. Die Offenheit, mit der dieser Dezisionismus von Popper proklamiert wird, befreit dann von einer konsequent rationalen Untersuchung des Wissenschaftssystems und leitet in die Anerkennung einer gewissen Dogmatik, in der vorgeblich und letztlich jede wissenschaftliche Theorie befangen bleiben soll.

Hier soll nicht der Eindruck erweckt werden, der Autor gehe davon aus, jedes Vorgehen und jede Entscheidung von Wissenschaftlern seien lückenlos rational. Sicherlich ist dem nicht so. Es macht aber einen erheblichen Unterschied, ob man zugesteht, daß die Wissenschaften immer auch von "irrationalen" Momenten begleitet werden, oder ob man die "Irrationalität" geradezu zum Prinzip der Wissenschaftstheorie erhebt. Die Rationalität der Wissenschaften besteht nicht in der Rationalität der einzelnen Wissenschaftler, ihrer Entscheidungen und Vorgehensweisen. Rationalität besteht vielmehr in der geregelten Form des wissenschaftlichen Vorgehens, welches nur (rationale) Argumente zuläßt, nicht aber Werbeplakaten, Zärtlichkeiten oder Beschimpfungen das Prädikat der Wissenschaftlichkeit zuspricht. Ironie, aber auch harte Polemik und Spott, ja, sogar bewußte Lügen und gezielte Karriereförderungen oder -blockaden {{{hierzu Luhmann zitieren}}} finden sicherlich statt. Sie gehören aber nicht zum wissenschaftlichen Vorgehen. Wer immer derartige Mittel anwendet - und beispielsweise eine gewisse Ironie (vor allem als Selbstironie) mag durchaus wünschenswert sein: das Prädikat der Wissenschaftlichkeit kann man diesen Mitteln nicht zusprechen. Sie begleiten die Wissenschaften nur, sei es störend oder fördernd. Nach Popper hingegen werden Methoden und letztlich auch Theorien durch eine nicht weiter rational hinterfragbare Dezision beziehungsweise eine willkürliche Festsetzung anerkannt.

 

Und was hier gegen Popper eingewandt wurde, gilt sicherlich auch für die konventionalistische Wissenschaftstheorie Carnaps, denn

***obwohl nun das Kriterium 'Übereinstimmung mit der tatsächlichen Praxis in der Wissenschaft' ein äußerst schwaches Motiv ist für die wichtige Entscheidung über Sinn und Sinnlosigkeit von Ausdrücken oder allgemein über die Strenge oder Weite des grundsätzlich akzeptierten Empirismus, so ist der dahinterstehende eigentliche Gedanke doch bemerkenswert: Das empiristische Sinnkriterium und letztlich das empiristische Prinzip werden hier nicht als theoretische und damit rational-philosophisch begründbare Ansichten aufgefaßt, sondern eben nur als Entscheidungs-Richtlinien, die selbst nicht ihrerseits wieder motiviert werden, oder besser: als Vorschläge für die Wahl einer Sprachform, 'proposals', wie Carnap sagt.

Wiewohl diese Ausführungen für sich zu sprechen scheinen, sieht Krauth eine Möglichkeit, sie in ein etwas positiveres Licht zu rücken:

***Wenn man nun das empiristische Sinnkriterium gar nicht als Aussage-Satz auffaßt, sondern eben nur als 'Proposal', so würde es nicht unter seine eigene Jurisdiktion fallen und könnte als ein Ausdruck eigener Art neben den aposteriorisch synthetischen und den analytischen Aussagen akzeptiert werden, ohne daß sein Platz im Bereich der 'sinnlosen' synthetischen Sätze a priori zu suchen sein müßte. Mehr noch: Als 'Proposal' aufgefaßt könnte das empiristische Sinnkriterium sogar tatsächlich auch ohne 'cognitive meaning', also 'sinnlos' sein, und trotzdem eine Funktion erfüllen, nämlich die Sprache in einer bestimmten Weise (im empiristischen Sinne) begrenzen.

Doch selbst dieser wohlwollende Versuch einer Legitimation der ins Irrationale auslaufenden Züge der Theorie Carnaps kann kaum durchgehalten werden. So gesteht Krauth letztlich ein, daß sich ein

***auf die Annahme eines solchen 'Proposals' stützende[r] Empirismus doch offensichtlich als vorgefaßte Meinung darbieten und somit jedes Recht verlieren [würde], gegen eine andere philosophische Ansicht überhaupt Stellung zu nehmen. Denn im allgemeinen wissen selbst die spekulativsten 'Metaphysiker' gute Gründe für ihre Ansichten anzuführen, weshalb eine diesbezügliche Kritik mit rationalen Gegengründen und nicht mit Meinungen aufwarten müßte.

Da dies weder bei Carnap noch bei Popper der Fall ist, bleibt letztlich nur noch das Zugeständnis einer gewissen Irrationalität ihrer wissenschaftlichen Grundlagentheorien übrig, was wiederum die Rationalität ihrer Einstellungen zur Wissenschaft als ganzer in Frage stellt. Bezogen auf Carnap stellt Krauth daher fest:

***Die Behauptung von der 'Sinnlosigkeit' der externen Fragen steht und fällt mit der Begründung des empiristischen Sinnkriteriums. [...] Ist aber dieses Sinnkriterium nicht mit rationalen Gründen unterbaut, was offensichtlich der Fall ist, dann stellt es selbst nicht mehr dar als eine theoretisch nicht weiter zu rechtfertigende Option oder sogar ein philosophisches Dogma, und ebenso verlieren alle auf ihm aufbauenden weiteren Thesen ihre Beweiskraft und objektive Geltung, also auch die Ansicht, externe Fragen würden Pseudo-Probleme betreffen.

3.2 Zum Begriff der Subjektivität im Szientismus

3.2.1 Vorbemerkung

Wie sich im vorigen Kapitel gezeigt hat, fehlte den neo-positivistischen, den analytischen und den kritisch-rationalistischen Philosophen eine ausgearbeitete Theorie der Subjektivität, und dennoch sprach man mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit von Intersubjektivität oder vom Fremdpsychischen und setzte damit sicherlich implizit die Existenz von (zumindest: formalen) Subjekten voraus. Der gesamte theoretische Überbau stand insofern letztlich auf "wackligen Beinen". Der "Vormarsch" der Naturwissenschaften ermöglichte offensichtlich einen relativ unbekümmerten, ja, teilweise geradezu arglosen Umgang mit den aus einer langen Tradition entstammenden Vorstellungen über Subjekte und deren Sinnlichkeit sowie mit dem damit verbundenen Beobachtungsbegriff. Der Erfolg der Physik mußte den Theoretikern des Wiener Kreises jede Fragestellung dieser Art als überflüssig erscheinen lassen; die "strengen" Naturwissenschaften schienen die Philosophie in allen Aspekten ablösen, ja, durch etwas der Wissenschaft besser gerecht Werdendes ersetzen zu können. Die Philosophie schien im Rückblick nicht viel mehr gewesen zu sein als ein Wegbereiter der Naturwissenschaften - und so konnte sie nun durch das, was sie hervorgebracht hatte, substituiert werden.

Dies hat sich in den letzten Jahren hinsichtlich der analytischen Philosophie grundlegend geändert, denn nun finden sich eine Reihe hochbrisanter Theorien zur Subjektivität innerhalb der analytischen Philosophie. Und eben daher sollen diese Theorien Thema des vorliegenden Kapitels sein.

Der Raum, der für das nachfolgende Kapitel bereitgestellt werden konnte, machte es allerdings unmöglich, den so komplexen, teils stark divergierenden und entsprechend kontrovers diskutierten Standpunkten und Theorien der analytischen Philosophie hinsichtlich einer Philosophie der Subjektivität vollauf gerecht zu werden. Die so erforderlich werdende Selektion machte die Wahl eines Leitfadens notwendig, der eine sinnvolle Diskussion trotz der Kürze zu ermöglichen und die einzelnen Diskussionspunkte zu verbinden erlaubte. Diesen Leitfaden fand das vorliegende Kapitel in der umfassenden Arbeit von Manfred Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Frank kann als einer der produktivsten deutschsprachigen Vertreter einer Auseinandersetzung mit der analytischen Philosophie angesehen werden. Aus seinem Werk lassen sich leicht wichtige Gesichtspunkte ausfiltern, weil mit ihnen zugleich auch ihr argumentativer Zusammenhang gegeben ist. Daher läßt sich das folgende Kapitel lesen als eine Auseinandersetzung mit der analytischen Philosophie anhand einer Diskussion der Ansichten Manfred Franks zur Philosophie der Subjektivität.

***Man hat spöttisch von armchair philosophy gesprochen. Der Spott meint: hat man einmal (in Form verinnerlichter Regeln) die Sprache, dann braucht man sich um die empirische Welt nicht weiter zu kümmern - ebensowenig um Befunde der nichtempirischen sogenannten inneren Erfahrung, die neuerdings zum Beispiel von Nagel, Armstrong, Shoemaker und Bieri verteidigt wird. Philosophie ist behaglich a priori vom Lehnstuhl aus zu betreiben.

Frank führt aus, daß die scharfe Auftrennung in begriffliche und empirische Analyse, so wie sie von der aus dem Empirismus erwachsenen analytischen Sprachphilosophie üblicherweise vertreten wurde, bedenklich ist, weil sie vergißt, daß wissenschaftliche Erfahrungen nur im Lichte von Theorie und Theorien nur aus der Verarbeitung von Erfahrungen hervorgehen:

***Neue empirische Entdeckungen, aber ebenso neue hermeneutische Weltschematisierungen oder neue Einsichten in Befunde der Selbstreflexion von Bewußtsein, können und sollen mithin die Redeweise ändern - deren Analyse bringt also möglicherweise eine Naivität oder Falschheit zutage. Und das bedeutet, daß eine strikte Trennung von Begriffsanalysen und empirischer Wissenschaft (die synthetische Sätze aufstellt) nicht möglich ist: Was wir in Begriffen analysieren, hängt vom Stand unseres empirischen Wissens ab.

Aus diesem Grunde versuchen heute neue Strömungen innerhalb der analytischen Philosophie die Bezüge zur sogenannten 'inneren Erfahrung' wieder stärker zu berücksichtigen. Frank spricht zwei Hauptströmungen an, die diesen Weg zu gehen versuchen:

***Damit ist gemeint, daß zum Beispiel Fragen der Subjektivität und des Bewußtseins entweder mit (neu-cartesianischen) Mitteln der 'inneren Erfahrung' oder solchen der faktischen Begründungspraxis der Naturwissenschaften angegangen werden sollen, und nicht mehr nur apriorisch-sprachanalytisch.

Diese Bewegungen innerhalb der analytischen Philosophie stehen durchaus in der Tradition von Oxford und Cambridge; sie sind aber weder dort entstanden, noch haben sie sich dort etabliert. Doch obwohl sie philosophiegeschichtlich in dieser Tradition stehen, treten sie heute sozusagen mit umgekehrtem Vorzeichen auf. Denn

***während in Alt-Europa eine spürbare Subjekt-Müdigkeit um sich greift, haben die lange Zeit als Vorkämpfer einer Ablösung der Subjekt- durch die Sprachphilosophie charakterisierten philosophischen Avantgarden zumal in den Vereinigten Staaten das Subjekt-Thema weitgehend rehabilitiert, ja wieder in den Mittelpunkt einer Forschungsrichtung gestellt, die als 'Philosophy of Mind' bekannt ist.

So kam es

***einerseits zur 'Re-transzendentalisierung', andererseits zur 'Re-naturalisierung der Erkenntnistheorie'. [...] Auf so getrennten Bergen die beiden Überwindungen des Nominalismus auch weilen, sie kommen darin überein, daß die Überzeugung von vor- und außersprachlichen Entitäten dringend rehabilitiert werden müsse.

Das Besondere an diesen Versuchen ist, daß "die neueste analytische Philosophie sich in die Fluchtlinie der europäischen Neuzeit gestellt hat, von der sie sich früher so hysterisch abgegrenzt hatte." Und all dies

***zeigt sich nun in einer wahren Explosion antireduktionistischer analytischer Theorien über Selbstbewußtsein und Subjektivität. [...] Der Anschluß an diese Tradition wird von ihnen allen gesucht und ist zum Teil (zum Beispiel bei Castañeda, Perry und Chisholm) explizit auch schon vollzogen.

3.2.2 Unmittelbares Selbstbewußtsein und reflexive Selbsterkenntnis: Manfred Franks Modell der Subjektivität

Im Verlauf dieser neuen Bezugnahme auf 'innere Erfahrung' treten neben der reinen Sprachphilosophie vermehrt wieder Gedankengänge auf, die - in Wiederaufnahme der subjektphilosophischen Tradition von Fichte bis Sartre - postulieren, daß das Selbstbewußtsein anders zu beschreiben ist als das Bewußtsein:

***Selbstbewußtsein ist nicht gegenständlich, seine Vertrautheit ist über kein zweites Glied vermittelt, sein ursprünglicher Vollzug geschieht irreflexiv, kriterienfrei und beruht auch nicht auf teilbaren Wahrnehmungsbefunden. (Damit ist nicht bestritten, daß sich Selbstbewußtsein auch körperlich-betragensmäßig manifestiert und damit in einen sozialen Code einfügt: aber als Äußerung von Selbstbewußtsein werden solche behavioralen Kundgaben nur dem verständlich, der mit dem Phänomen ursprünglich aus der 'ich'-Perspektive, prä-phänomenal bekannt war und solcher Bekanntschaft aus der 'er/sie'-Perspektive sich bedient.)

Insofern haben wir es "beim Selbstbewußtsein nicht mit einem Wissen zu tun [...], das in Satzform artikuliert und Wahrheitsbedingungen unterworfen ist (Selbstbewußtsein ist 'nicht-propositional')." Daher definiert Frank Selbstbewußtsein wie folgt: "Unter 'Selbstbewußtsein' verstehe ich die unmittelbare (nicht-gegenständliche, nicht-begriffliche und nicht-propositionale) Bekanntschaft von Subjekten mit sich selbst." Von diesem nicht-reflexiven Selbstbewußtsein als einer nicht-propositionalen Bekanntschaft mit sich selbst möchte Frank die reflexive Selbsterkenntnis unterschieden wissen:

Als 'Selbsterkenntnis' bezeichne ich die Reflexionsform von Selbstbewußtsein: also das explizite, begriffliche und in vergegenständlichender Perspektive unternommene Thematisieren des Bezugsgegenstandes von 'ich' oder der Befunde des psychischen Lebens. Die These ist, daß Selbsterkenntnis kein ursprüngliches Phänomen ist, sondern Selbstbewußtsein voraussetzt.

An diese Unterscheidung anschließend möchte Frank zwischen Subjekten im allgemeinen und Individuen differenzieren, wobei er das Subjektsein offensichtlich für supervenient gegenüber dem Sein als Individuum betrachtet:

Wir sind erstens Subjekte im allgemeinen, also Wesen, die nicht einfach nur sind, was sie sind, sondern von diesem ihrem Sein als wesentliche Eigenschaft auch Selbstbewußtsein haben; und wir sind zweitens Individuen: jeweils einzigartige und unverwechselbare Subjekte.

 

Eine der klassischen Formen, in der Subjektivität erklärt wurde, ist sicherlich das sogenannte Reflexionsmodell, welches

***behauptet, daß das Ich sich in seinen bewußten Vorstellungen selbst durch den in der Zeit geschehenden Denkakt der Reflexion auf sich selbst erfasse; demnach richtet es sich in einer eigenen mentalen Handlung etwa auf sein Sehen oder Hören von etwas und weiß damit, daß es sieht oder hört; es stellt sich selbst vor.

Nach diesem Modell wird also das Ich als ein 'Sich-selbst-Vorstellen' (Autoreflexivität) gefaßt, und Selbstbewußtsein wird damit im Grunde, so Frank, als ein 'geistiges Schauen' verstanden.

Wenn man Selbstbewußtsein so faßt, dann ergibt sich laut Düsing allerdings

***das entscheidende Problem der unendlichen Iteration, [...] das eine Theorie der Subjektivität lösen muß, wenn sie nicht scheitern will. Da das Ich nicht nur sieht oder hört, sondern weiß, daß es sieht oder hört, muß es gerade zur Ermöglichung dieses Wissens bereits vorausgesetzt werden; denn es bringt sich in diesem Wissen seiner selbst nicht erst hervor, sondern geht ihm als Bedingung der Möglichkeit voran. Wird dieses bedingende Ich aber durch einen erneuten Akt der Reflexion sein Vorstellungsinhalt, so muß das Ich wieder vorausgesetzt werden usw. ins Unendliche.

Frank, der diesen Einwand ähnlich sieht, zieht daraus die Konsequenz, daß die Vorstellung, Selbstbewußtsein gehe auf Reflexion zurück, "offensichtlich unhaltbar" ist.

Frank interpretiert diesen Einwand der unendlichen Iteration der Selbstvoraussetzung des Ich in der Selbstvorstellung allerdings nicht als einen Einwand gegen jede Theorie des Selbstbewußtseins, sondern als einen Beweisgang, der ausschließlich das Reflexionsmodell des Selbstbewußtseins widerlegt.

Durch Reflexion wäre also, wie die Darlegung der unendlichen Iteration nach Frank gezeigt haben sollte, kein Bewußtsein (und damit auch kein Selbstbewußtsein) möglich: "Nun besteht aber Bewußtsein, also kommt das Reflexionsmodell als Erklärung des Phänomens nicht in Betracht."

Frank verwehrt sich also nicht gegen die Korrektheit des Iterationseinwandes, sondern er leitet ex negativo die Richtigkeit eines anderen - Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit in Anspruch nehmenden - Subjektivitätsmodells daraus ab.

Neben dem Einwand der unendlichen Iteration der Selbstvoraussetzung des Ich in der Selbstvorstellung besteht aber noch ein weiterer Einwand, der gegen das Reflexionsmodell angeführt werden kann: Der sogenannte Zirkeleinwand. Dieser Einwand weist einen Zirkel in der logischen Definition von Selbstbewußtsein nach und besagt, daß Selbstbeziehung in den definierenden Bestimmungen (des Reflexionsmodells) immer schon verwendet werden muß, wenn Selbstbewußtsein definiert wird: Das 'Ich' ist das 'Mit-sich-selbst-Bekannte'. Die Definition führt bereits den Gegenstand (nämlich das Ich) mit, der doch erst definiert werden sollte: Das Ich ist laut Definition das, was mit sich (also dem Ich) bekannt ist. Insofern muß also dieses Ich, um definiert werden zu können, schon Bestandteil der Definition sein, womit die Definition in den Zirkel gerät, schon als bekannt voraussetzen zu müssen, wovon eine begriffliche Bestimmung erst noch zu geben wäre: "Soll die Definition der Verwendungsweise von >ich< (als desjenigen, womit ein jeder sich selbst bezeichnet) greifen können, muß derjenige, der sie anwendet, zuvor schon mit dem Gegenstand der Bezugnahme vertraut gewesen sein."

Insbesondere in Rückbeziehung auf die bereits erörterte Position der Systemtheorie, die von selbstreferentiellen Systemen ausgeht, sollte folgende Verallgemeinerung des Einwandes nicht übersehen werden: Wenn ein selbstreferentieller Gegenstand definiert wird, so entsteht ein Zirkel immer dann, wenn diese Selbstreferentialität zugleich schon in den definierenden Bestimmungen auftritt.

Ein Vergleich zwischen dem Einwand der unendlichen Iteration und dem Zirkeleinwand könnte dementsprechend etwa wie folgt aussehen: Der Iterationseinwand kritisiert auf der Gegenstandsebene (das heißt am Selbstbewußtsein) das, was der Zirkeleinwand auf der Definitionsebene beanstandet: jeweils wird eine selbstreferentielle Entität (Gegenstandsebene) respektive die Selbstreferentialität als solche (Definitionsebene) bereits vorausgesetzt - einmal in der Subjekt-Objekt-Beziehung des Reflexionsmodells (selbstreferentielles, thematisierendes 'Ich'/thematisiertes 'Ich'); das andere Mal in der Definition (das 'Ich' soll als selbstbezüglich definiert werden, muß dazu aber in der Definition schon vorausgesetzt werden).

Frank, der beiden Einwänden zu entgehen sucht, möchte daher "den Ausdrücken 'Subjekt' oder 'Selbstbewußtsein' eine andere Bedeutung zulegen, etwa die: 'unmittelbares, nicht durch Vorstellung vermitteltes Bewußtsein von diesem Bewußtsein selbst'." Und er präzisiert seine Vorstellung von einem Selbstbewußtsein, wenn er ausführt:

Was immer mit 'Subjekt' sonst noch gemeint sein mag: wir haben an einen Sachverhalt zu denken, der ursprünglich und wesentlich mit sich bekannt ist und erst kraft dieser Bekanntschaft in ein verstehendes und explizites Selbstverhältnis eintreten kann. 'Ursprünglich' meint: das Selbstbewußtsein ist nicht abgeleitet aus etwas, das ihm vorherbestehend gedacht werden könnte; 'wesentlich' meint: dies Selbstbewußtsein könnte nicht fehlen so, daß Subjektivität fortbestünde; sie bildet eine der Subjektivität unabdingbare, eben wesentliche Eigenschaft. Eine psychische Qualität (z.B. das Lust-Haben) könnte nicht bestehen, ohne daß auch Kenntnis von ihr bestünde; und Sein und Kenntnis-vom-Seienden decken sich im Selbstbewußtsein vollkommen.

Die wesentlichen Bestimmungen, mit denen Frank sein Modell des Selbstbewußtseins aufbaut, sind also Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit. Um die Diskussion der verschiedenen Modelle zu erleichtern, soll daher hier vorgeschlagen werden, Franks Modell als das Spontaneitätsmodell des Selbstbewußtseins zu bezeichnen. Aus diesem Modell folgt dann, daß Selbstbewußtsein als unmittelbares (nicht durch Vorstellung vermitteltes) als prä-reflexiv beschrieben werden muß. Als ursprüngliches ist das Selbstbewußtsein des weiteren nicht angewiesen auf ein vorgängiges Bewußtsein, das sich selbst erst zum Objekt nehmen müßte, um Kenntnis von sich selbst gewinnen zu können. Aus den beiden Prämissen folgt dann: Als prä-reflexives und keine Auftrennung in ein Subjekt- und ein Objekt-Ich in Anspruch nehmendes fällt Selbstbewußtsein nicht mehr unter die Jurisdiktion des Iterations- und des Zirkeleinwandes.

Wenn Frank aber davon ausgeht, daß innerhalb von Theorien einer selbstbezüglichen Herstellung des Selbstbewußtseins das Problem der unendlichen Iteration auftritt, so muß die Frage gestellt werden, ob sich das gleiche Problem nicht an anderer Stelle auch im Spontaneitätsmodell ergibt: Offensichtlich kann sich auch nach Frank das Selbstbewußtsein durchaus auf sich selbst beziehen, sich selbst explizit thematisieren und zum Gegenstand nehmen. Aber - selbst wenn das Selbstbewußtsein schon vor aller Selbstbezugnahme mit sich vertraut sein sollte - wie kann ein thematisierendes (mit sich vertrautes) Selbstbewußtsein 'A' auf sich als thematisiertes (mit sich vertrautes) Selbstbewußtsein 'B' so reflektieren, daß 'A' als identisch mit 'B' erkannt wird, ohne für den Vollzug der Identifikation von 'A' und 'B' ein drittes Selbstbewußtsein ('C') in Anspruch nehmen zu müssen und so ad infinitum?

Die Theorie des ursprünglich, reflexionslos und ohne jede Selbstbezugnahme mit sich vertrauten (Selbst)Bewußtseins löst somit zwar die Frage, wie Selbstbewußtsein im Erleben möglich und gegeben sein kann, denn in jedem Erleben von etwas ist demzufolge das Bewußtsein immer zugleich seiner selbst inne. Auf der diskursiven, der begrifflich vermittelten Ebene, auf der eine explizite Reflexion des Bewußtseins auf sich selbst stattfindet, und die laut Frank zum expliziten Selbstbewußtsein respektive zur Selbsterkenntnis führt, tritt dann aber nicht nur das vermieden geglaubte Problem der infiniten Iteration wieder auf, sondern zusätzlich das Problem, wie ein reflexionsloses, unvermittelt gedachtes Selbstbewußtsein überhaupt auf sich selbst soll reflektieren können? Kann etwas, das als ohne eine vermittelnde Selbstbezüglichkeit konstituiert gedacht wird, überhaupt in eine reflexive Selbstbezüglichkeit eintreten? Und wenn ja, wie hat man sich diesen "nachträglichen" Aufbau einer reflexiven Selbstbezüglichkeit vorzustellen - etwa mit Hilfe der Spiegelmetaphorik? Welche Rolle kommt dabei dem unmittelbaren Selbstbewußtsein zu? Das Spontaneitätsmodell verlangt diesbezüglich nach einer eigenständigen Erklärung.

Frank stützt sein Modell ausschließlich auf ein negatives Beweisverfahren: Weil das Reflexionsmodell nicht in Betracht kommt, muß das Spontaneitätsmodell korrekt sein. Ein solcher Beweisgang setzt indes voraus, daß es keine weiteren Modelle geben kann, die Selbstbewußtsein beschreiben und erklären können. Es sollte sich jedoch zeigen, daß sehr wohl andere Modelle denkbar sind, so etwa das bereits im Kapitel über die Systemtheorie beschriebene Prozeßmodell des Selbstbewußtseins.

Um es deutlicher zu sagen, seien die drei hier behandelten Modelle in einem kurzen Abriß einander gegenübergestellt:

i. Das gegen den Zirkeleinwand und den Einwand der unendlichen Iteration anfällige Reflexionsmodell:

Hier wird das Selbstbewußtsein nominalisiert und substantialisiert als eine Entität, die reflexiv auf sich Bezug nehmen kann. Ein X (als substantielles Bewußtsein) nimmt Bezug auf ein Y (thematisiertes Bewußtsein) und erkennt in diesem Y sich selbst: X=Y. Hier werden X und Y als Entitäten betrachtet, die schon "gegeben" sind (und sei es vor aller Erfahrung, unabhängig von Raum und Zeit) und die über die Fähigkeit verfügen, auf sich zu reflektieren. Fassen wir zusammen: X und Y sind diese Entität (einmal als Subjekt, einmal als Objekt), die über die Fähigkeit verfügt, auf sich selbst zu reflektieren, indem sie sich (in Form einer Subjekt-Objekt-Beziehung) "verdoppelt". Hier wirken die beiden genannten Einwände vernichtend.

ii. Das gegen die beiden Einwände immune Spontaneitätsmodell des Selbstbewußtseins:

Hier wird das Selbstbewußtsein nicht nominalisiert als ein Ego, aber es wird dennoch gut cartesianisch substantialisiert als eine jeder Erfahrung von etwas vorhergehende Entität jenseits von Zeit und Raum. Dieses "X" ist unmittelbar (und nicht über ein "Y" vermittelt) und ursprünglich (ohne den Vollzug eines Aktes oder einer selbstreferentiellen Operation) mit sich bekannt. Es ist wie es ist, also nicht-prozessual, aber es ermöglicht als transzendentales Subjekt Prozesse (zum Beispiel Erkenntnisprozesse). Diese Prozesse spielen sich jedoch nur an ihm ab; es selbst ist (qua seiner allem Raum und jeder Zeitlichkeit vorgeordneten Transzendentalität) nicht prozeßhaft. Dieses Modell nimmt seine Plausibilität allerdings lediglich aus der Widerlegung eines von vielen anderen denkbaren Subjektivitätsmodellen: der Widerlegung eines bestimmten Reflexionsmodells.

iii. Das Prozeßmodell des Selbstbewußtsein:

Dieses Modell nominalisiert das Selbstbewußtsein nicht - darin stimmt es mit dem Spontaneitätsmodell überein. Aber es bestimmt den Zugang von Etwas zu sich selbst nicht über eine Subjekt-Objekt-Beziehung (wie das Reflexionsmodell) und ebensowenig über das Postulat einer Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit (wie das Spontaneitätsmodell). Das Prozeßmodell geht des weiteren nicht davon aus, daß das Selbstbewußtsein eine Entität oder eine Substanz ist, die über die Fähigkeit verfügt, sich in der Vorstellung zu verdoppeln und so auf sich selbst (thematisierendes Selbstbewußtsein) als etwas anderes (thematisiertes Selbstbewußtsein) zu reflektieren. Vielmehr operationalisiert das Prozeßmodell die Bestimmungen des Selbstbewußtseins; man könnte auch sagen: es verflüssigt die Substantialisierungen der beiden genannten Konkurrenztheorien: Dem Prozeßmodell zufolge ist das Selbstbewußtsein keine Entität oder eine Substanz, die die Eigenschaft oder das Attribut an sich trägt, schon mit sich vertraut zu sein - dem Prozeßmodell zufolge ist das Selbstbewußtsein der Prozeß des Selbstbezugs. Kein 'Ich', keine Substanz, keine Entität geht diesem Selbstbezug voraus.

Wie man sieht, sind der Iterations- und der Zirkeleinwand nicht theorieneutral. Sie gelten jedenfalls nicht im Falle eines Prozeßmodells des Selbstbewußtseins, denn eine Theorie selbstreferentieller Systeme fängt den Zirkeleinwand auf, indem sie alle Systeme als zirkelhaft und paradoxieerzeugend operierend erweist und somit Zirkel und Paradoxien gewissermaßen trivialisiert: Man kann Zirkelnachweise nicht als Einwand betrachten, wenn Systeme notwendigerweise immer zirkelhaft operieren und eine Theorie (wie die Systemtheorie) zu zeigen in der Lage ist, daß und wie zirkelhaftes Operieren funktionieren kann. Der Iterationseinwand kommt nur zustande, sofern man Selbstbewußtsein als Entität oder als Substanz versteht, denn ein Prozeß muß sich nicht (in Subjekt und Objekt) verdoppeln, wenn er auf sich selbst Bezug nehmen will, da der Selbstbezug im Prozeßmodell selbst als Prozeß gedacht wird. Nach Frank folgt aus der Spontaneität respektive Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit des Selbstbewußtseins auch dessen Prä-Reflexivität:

Ich habe Bewußtsein nicht nur dann, wenn ich explizit auf mein Bewußtsein erkennend aufmerksam bin. Will die Theorie von Selbstbewußtsein sich nicht in Zirkeln verstricken, muß sie der Möglichkeit reflexiven Sich-zu-sich-Verhaltens ein selbst prä-reflexives Bewußtsein vom Selbst vorordnen. Prä-reflexiv meint dann auch, daß im ursprünglichen Selbstbewußtsein nicht so etwas wie eine Subjekt-Objekt-Unterscheidung anzutreffen ist; denn Bewußtsein hat, um von sich Kenntnis zu haben, nicht nötig, zum Objekt für ein es thematisierendes zweites Bewußtsein zu werden. [...] Es gibt im Selbstbewußtsein keine Vermittlung zwischen etwas und noch etwas.

Nach Frank hat die Tradition von Descartes über Kant, von Hegel bis Derrida Selbstbewußtsein als ein Sich-selbst-Vorstellen gedacht und mit dem Term 'Reflexion' belegt. Descartes, so fährt Frank fort, hat zwar die Probleme betreffs des Reflexionsmodells bereits erahnt und ist in Andeutungen darauf eingegangen; ausgeführt und "in nachweisbarer Form bewußt geworden" sind sie aber erstmalig bei Fichte "im II. Kapitel seines Versuchs einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (von 1797, sowie im zugehörigen Kolleg über die Wissenschaftslehre nova methodo)", wo Fichte auf die "Haltlosigkeit jedes Versuchs geschlossen [hat], Selbstbewußtsein als einen Sonderfall des Etwas-Vorstellens zu verstehen." Wenn Fichte dennoch in den Problemkreis des Zirkels in der Definition des Selbstbewußtseins gerät, indem er einen Subjekt- und einen Objektpol unterscheidet, so hängt dies laut Frank an der traditionellen Fassung einer egologischen Theorie des Selbstbewußtseins, wonach

Subjektivität mit dem Term 'Ichheit' - also dem nominalisierten Pronomen der 1. Person singularis - umschrieben werden könne (oder vielmehr mit ihm ein Synonymen-Paar bilde). Dann entsteht der Zirkel auf folgende Weise: Soll die Definition der Verwendungsweise von 'ich' (als desjenigen, womit ein jeder sich selbst bezeichnet) greifen können, muß derjenige, der sie anwendet, zuvor schon mit dem Gegenstand der Bezugnahme vertraut gewesen sein.

Die Lehre von der Subjektivität könnte Frank zufolge diesen Zirkel aber vermeiden, wenn sie von der nominalisierenden Variante der Egologie des Selbstbewußtseins als eines 'Ich' abrückt, denn auf diese Weise erscheint die Selbstapplikation von 'Ich' nicht mehr als Identifikation zweier Gegenstände (des thematisierenden mit dem thematisierten 'Ich'), zumal, wenn man außerdem berücksichtigt, daß der Referent des Selbstbewußtseins auch aus der 'er'-Perspektive durch die Identifikation der Person anvisiert werden kann. Wenn also auch aus der 'er'-Perspektive ein solcher Referent ausgemacht werden kann, dann fällt der Zirkel in sich zusammen, da dann nicht mehr angenommen werden muß, "nur 'ein Ich' könne wissen, daß es ein solches sei, nicht aber anderswer."

Es kann an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden, inwiefern Franks Kritik an den Modellen von Descartes bis Kant und Hegel zutrifft oder nicht. Es sei aber zumindest darauf hingewiesen, daß Düsing in seiner Arbeit Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik nicht nur gezeigt hat, daß Hegels Philosophie sehr wohl dem Einwand der unendlichen Iteration entgeht, sondern auch, daß die Positionen Kants und des deutschen Idealismus insgesamt eine differenziertere Beurteilung verlangen:

***In seiner Struktur denkt Kant dieses reine Selbstbewußtsein nicht nur als Grund notwendiger Synthesis; er deutet es zumindest auch als denkende Selbstbeziehung an, ohne freilich für das Problem der unendlichen Iteration, das er erkennt, eine eindeutige Lösung argumentativ auszuführen. Systematisch bedeutsam ist, daß in seiner Lehre der apriorische Begriff der reinen Subjektivität und ihrer Handlungen als Prinzip der Logik vom Begriff der daseienden Subjektivität grundsätzlich unterschieden ist, die sich im zeitlichen Strom der Vorstellungen selbst erfahren kann.

Aber auch

***Schelling entgeht mit seiner Lösung, der ästhetischen Anschauung des Genies als der objektiv gewordenen intellektuellen Anschauung, ebenso wie Fichte und auch aus ähnlichen Gründen der unendlichen Iteration. Am Ende dieser Theorie der Genesis der selbstbezüglichen Subjektivität tritt das Absolute hervor; es ist in dieser Konzeption Schellings der metaphysische Grund der Subjektivität, der jedoch selbst für die Philosophie unerkennbar bleibt.

Gleichermaßen hat auch Hegel versucht, dem Problem der unendlichen Iteration zu entgehen, und dies "***unternimmt Hegel insbesondere in der Logik des Begriffs und der Idee." Grundsätzlich ist zu bedenken, daß der Iterationseinwand nur greifen kann,

***wenn als Bedingung des Sich-Denkens des Ich wieder das Ich in seiner gesamten Struktur angenommen wird und bei Vergegenständlichung dieses bedingenden Ich ein erneutes Ich usw. Wenn dagegen als Bedingungen einfachere konstituierende mentale Leistungen und verschiedenartige notwendige Beziehungen vorausgehen, deren synthetische Einheit erst den Begriff des reinen, sich denkenden Selbstbewußtseins oder Subjekts ergibt, dann geht dem selbstbezüglichen Subjekt nicht wieder das selbstbezügliche Subjekt voraus. Dessen vollständiges, komplexes Leistungs- und Beziehungsgefüge kann in der Theorie vielmehr nur als Resultat eines stufenweisen Aufbaus aus Konstitutionselementen auftreten.

Tatsächlich hat Hegel auf diese Weise das Problem der unendlichen Iteration gelöst, denn nach

***Hegels Theorie ist nun die Subjektivität nicht ins Unendliche vorauszusetzen, weil innerhalb der Logik ihr spezifischer Begriff, das entwickelte Sich-Denken oder die Selbsterkenntnis, nur als Resultat auftreten kann. Erst im Schluß ist der spekulative Begriff oder die Subjektivität in ihrer Selbstbezüglichkeit als Sich-Denken entfaltet; ihre Voraussetzungen stellen die Begriffsbestimmungen und das Urteil dar. [...] Voraussetzung der sich denkenden und erkennenden Subjektivität im Schluß ist also nicht wieder sie selbst in ihrer entwickelten Bedeutung, sondern die freie Tätigkeit des Begriffs und das Gegenstandsein, das durch das Urteil zustande kommt. Sie selbst aber begründet nach Hegel erst den notwendigen Zusammenhang und die Gültigkeit jener Momente.

Frank handelt seine eigene Theorie wie auch alle anderen Theorien, die das Selbstbewußtsein nicht nominalisieren und eine Fremdzurechnungsfähigkeit ('er-Perspektive') des Selbstbewußtseins unterstellen, unter dem Titel 'nicht-egologische Selbstbewußtseins-Theorien' ab. Theorien allerdings, die auf Ausdrücke aus der psychischen Sphäre verzichten wollen (zum Beispiel der Behaviorismus und der eliminative Materialismus), indem sie diese durch "differentielle Beziehungen zwischen sogenannten 'externen Gegebenheiten'" ersetzen möchten, sind laut Frank "nicht phänomengerecht". Andererseits seien psychische Phänomene aus den Positionen eines William James und eines Ernst Mach nur unter der zirkelhaften Voraussetzung als äußere Gegebenheiten zu fassen, "daß zuvor verdrängt werden mußte, was ihrer Semantik schon eingeschrieben ist: die Qualität von Bewußtsein."

3.2.3 Sprachanalytische Subjektivitätstheorie

Nachdem dargelegt worden ist, welche Bedeutung Frank dem Selbstbewußtsein zumißt und welches Modell er zur Erfassung desselben entworfen hat, soll nun eine Darstellung und Erörterung der durchaus nicht einheitlichen Standpunkte, die die analytische Philosophie hinsichtlich der Subjektivität einnimmt, erfolgen. Außerdem soll gezeigt werden, inwiefern Frank sich von diesen Theorien anregen läßt, aber auch, inwieweit Franks Theorie sich von derartigen Standpunkten distanziert.

Ausgelöst wurde die Hinwendung der analytischen Philosophie zur Subjektivitätsphilosophie "zum Teil durch Dieter Henrichs Vermittlungsarbeit". So trat, besonders bei Sidney Shoemaker und Thomas Nagel, der Gedanke wieder in den Vordergrund,

daß Subjektivität ein unüberspringbar zentraler Ausgangspunkt unserer Welt-Orientierung und ein wesentlicher Charakter mentaler Phänomene ist [...]. Auch die im Fichte-Büchlein zuerst angedeutete, dann im Selbstbewußtsein[s]-Aufsatz aus der Gadamer Festschrift von 1970 entfaltete Einsicht, daß Selbstbewußtsein nicht als Selbstreflexion gedacht werden kann, findet wichtige Echos gerade in der angelsächsischen Diskussion.

Die Auseinandersetzung mit den Schriften Henrichs führte vor allem zu der Ansicht, daß Selbstbewußtsein nicht relational etwa als Subjekt-Objekt-Beziehung verstanden werden darf und ebensowenig als etwas Propositionales, also als eine Erkenntnis von etwas als etwas. Damit ist Selbstbewußtsein kein Wissen und beruht ebensowenig auf einer Identifikation (etwa der des Subjekt-Ich mit einem Objekt-Ich). Ein Wissen über Selbstbewußtsein ist nicht schon qua Selbstbewußtsein gegeben. Wäre das Selbstbewußtsein etwas Propositionales, so wäre es außerdem irrtumsanfällig. Später wird sich zeigen, daß gerade dieser cartesianische Aspekt, demzufolge das Selbstbewußtsein nicht irrtumsanfällig ist, eines der bedeutendsten Untersuchungsresultate ist, die von gewissen sprachanalytischen Forschungsrichtungen heute wieder vertreten werden. Danach hat das Selbstbewußtsein einen privilegierten Zugang zu sich selbst - ganz im Gegensatz zu dem, was Wittgenstein vertreten hatte und was etwa Rorty heute noch vertritt.

Während Bieri und Sellars einen philosophischen Realismus vertreten, der noch an eine dem Physikalismus nahestehende Position anknüpft und der davon ausgeht, daß mentale Phänomene auf eben dieselbe Weise erfaßbar sind wie physikalische Daten, stellen sich analytische Philosophen wie Elizabeth Anscombe, Hector-Neri Castañeda und Sidney Shoemaker auf einen Standpunkt, demzufolge das, "was wir mit 'mentaler Zustand' meinen, nicht das ist, was wir mit Namen-Wörtern oder Demonstrativa zeigen oder in Körper-Prädikaten sprachlich artikulieren."

Nominalisten wie Donald Davidson vertreten wiederum eine an Wittgenstein angelehnte Auffassung, derzufolge Sprache supervenient gegenüber Selbstbewußtsein ist. Aus dieser Sicht erscheint dann die 'Ich-Rede' und mit ihr das 'Ich' im Sinne eines Selbstbewußtseins als Produkt einer bloßen "linguistischen Abrichtung". Die laut Frank mit der Subjektivität verbundene cartesianische Gewißheit respektive die mit der Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Selbstbewußtseins verbundene privilegierte Selbstvertrautheit des Selbstbewußtseins gerinnt so zu "etwas an den intersubjektiven Sprachgebrauch Gebundenes und mit ihm Wandelbares." Die Verschiedenheit der einzelnen Ansichten wird hier deutlich, aber auch deren Gemeinsamkeit: Alle aufgeführten Positionen operieren sprachanalytisch und gehören damit zur analytischen Philosophie: Sei es in Form des von Donald Davidson vertretenen 'sozialen Externalismus' oder des von Quine und Feyerabend befürworteten 'eliminativen Materialismus'; sei es als 'philosophischer Realismus' im Sinne eines Peter Bieri, Ernst Tugendhat oder Wilfrid Sellars; sei es in der philosophischen Figuration eines (von der Philosophie Fichtes inspirierten) 'Neo-Cartesianismus' wie bei Thomas Nagel, Hector-Neri Castañeda, David Kaplan, John Perry oder Tyler Burge. So läßt sich die analytische Philosophie keineswegs länger mit Metaphysik-Kritik gleichsetzen.

3.2.3.1 Bewußtsein, Sprache und Wissen: Zur Kontroverse über das Verhältnis von Kognition und Bewußtsein

Das Reflexionsmodell wurde von Frank bereits verworfen. Aber kann Selbstbewußtsein nicht, wie es der sprachphilosophische Nominalismus will, in einem anderen Sinne der Reflexion bedürfen? Ist, mit anderen Worten, Selbstbewußtsein nicht ein Wissen, und sei es ein Wissen um die mentalen Zustände, in denen ein Subjekt sich befindet? Ist Selbstbewußtsein also immerhin ein Wissen, das der Reflexion im Sinne eines "reflektierten (in Wissensform oder propositional artikulierten) Bewußtseins-von-sich [...]" bedarf? Muß man nicht zumindest auf die eigenen mentalen Zustände reflektieren, um sagen zu können: "Ich befinde mich in diesem oder jenem psychischen Zustand"? Und bedarf es dazu nicht unbedingt der Sprache? Wie soll dieses Wissen sonst konzeptualisiert, erfaßt und also zu einem expliziten Wissen werden können? Woher sollte ich sonst wissen, in welchem Zustand ich mich befinde? Und wenn das Bewußtsein einer solchen propositionalen Vermittlung bedarf, um sich über sich selbst zu informieren, geht dann eine solche Reflexion konstitutiv dem Selbstbewußtsein voraus, oder ist Selbstbewußtsein dabei schon vorausgesetzt?

Für strenge Nominalisten wie Strawson oder Tugendhat geht es bei all dem nicht einfach um die Frage einer Begleitung von Vorstellung durch Propositionen. Vielmehr halten sie das, was traditionell als Vorstellung bezeichnet wird, schlichtweg nicht für eine geistige, sondern für eine sprachliche Entität. Alles Denken, Fühlen, Erleben ist ihnen ein Sprechen. Und wer spricht? Nominalistisch dürfte die Antwort wohl zumeist lauten: Die 'Person', die zwar über ein Selbstbewußtsein verfügt, aber in Raum und Zeit als ein Besonderes von jedermann identifiziert werden kann.

Manfred Frank gesteht selbst zu, daß die Annahme, Selbstbewußtsein werde mittels eines sprachlichen, propositionalen Wissens hervorgebracht, vorderhand plausibel erscheinen mag:

Hat es denn, unter den Hieben der Sprachanalyse, überhaupt noch Sinn zu vermuten, es möchte sich anders verhalten? Wer annimmt, Selbstbewußtsein könne anders als propositional strukturiert auftreten, muß doch offenbar annehmen, es gebe noch ein anderes (und zwar unmittelbares) Wissen neben dem in Satzform sich aussprechenden und überhaupt sprachgebundenen - mithin so etwas wie 'innere Erfahrung'.

Doch gerade die Möglichkeit einer 'inneren Erfahrung' wird vom sprachanalytischen Nominalismus entschieden abgelehnt. Diese Ablehnung wurde nicht nur von Wittgenstein vertreten, vielmehr findet sie sich noch heute bei den meisten Nominalisten, so auch bei Tugendhat. Da die philosophische Tradition aber zurecht gesehen hat, daß Bedeutungen nicht einfach auf sprachliche Ereignisse zurückgeführt werden können,

muß der Nominalismus den Begriff des regelkonformen (des 'richtigen') Wortgebrauchs intervenieren lassen. Wir beherrschen einen Begriff, wenn wir ihn richtig verwenden, d.h. einen grammatisch vollständigen und sinnvollen Satz mit ihm bilden können.

Wie aber bereits im Kapitel über den Sinnbegriff des Szientismus (Kapitel 3.1) gezeigt wurde, reicht auch diese Bestimmung nicht. Sätze werden erst zu sinnvollen und verständlichen Sätzen, wenn sie kontextuelle Bezüge aufbauen. Wittgenstein hatte für diesen Sachverhalt den Term 'Sprachspiel' (der eine 'reine' Sprachanalyse bereits verläßt) vorgeschlagen und als übergeordneten Kontext einzelner Sprachspiele den Term 'Lebensform'.

Nach dieser Auffassung ist Selbstbewußtsein also propositional strukturiert und somit an Erfahrung im Sinne von Erkenntnis gebunden. Der epistemologische Nominalismus geht davon aus, daß es begriffsfreie Erfahrung nicht gibt. Begriffe konzeptualisieren jede Erfahrung, und vor dieser Konzeptualisierung kann weder von Erkenntnis noch von Erfahrung gesprochen werden. Da Begriffe aber nominalistisch nicht als introspektiv oder intuitiv erfaßte psychische Entitäten verstanden werden dürfen, sondern als bloße Worte, ist der "***entscheidende Schritt in der nominalistischen Konzeption von Erfahrung [...] die Identifikation des gesamten kognitiven oder epistemischen Aspekts von Erfahrung mit der Fähigkeit, Begriffe zu verwenden und also sinnvolle Sätze zu bilden."

Hier schimmert wieder die Theorie der Gebrauchsdefinitionen durch, die schon an anderer Stelle erläutert wurde. Begriffliche Erfahrung führt dann zu einem Wissen, wobei das Gewußte in der Form einer zweistelligen Relation gewußt wird: x (d.h. der Gegenstand) ist p (d.h. der 'Fall' oder die 'Klasse', unter die x subsumiert wird). Deutlicher wird dieser Begriff von Wissen, wenn man ihn umformuliert: Propositionales Wissen ist demnach ein Wissen, daß p der Fall ist. Daraus folgt dann, daß es ein nicht-propositionales Wissen nicht gibt. Jedes Wissen ist ein 'Wissen, daß' und damit ein begrifflich vermitteltes Wissen. Unmittelbares Wissen gibt es nicht.

Stellt man - stellvertretend etwa aus der Sicht Tugendhats - den radikalen Nominalismus der idealistischen Tradition gegenüber, so ergibt sich eine Kritik, wonach diese Tradition

im Subjekt-Objekt-Schema gedacht und (mit dem ganzen Cartesianismus) gemeint [habe], (intentionales) Bewußtsein richte sich auf Gegenstände (oder vergegenständlichte mentale Zustände) statt auf nominalisierte Sätze. 'Innere Erfahrung' sei danach ein Titel für nicht-propositional verfaßtes, unmittelbares und dennoch epistemisch gehaltvolles Bewußtsein von Erfahrungsinhalten. Dagegen wendet der radikale Nominalismus ein: ein Bewußtsein, das von seinem Gegenstand nicht wisse, welches seine Eigenschaften sind (zu welcher Klasse von Gegenständen er gehört, welches Prädikat ihm zukomme), sei gar kein epistemisches Phänomen.

Diese Kritik trifft dann auch das, was etwa vom frühen Carnap als 'das Gegebene' angesehen wurde und kennzeichnet eine solche Ansicht als Mythos:

Der Mythos vom Gegebenen besagt also, es seien uns ursprünglich (sinnliche oder mentale) Phänomene 'gegeben', die erst in einem zweiten Schritt konzeptualisiert würden. Nach der nominalistischen Sprachregelung haben wir Zugang zu Phänomenen aber nur in Vermittlung durch Sätze, die das Phänomen als so-oder-so seiend charakterisieren.

Sätze oder aber auch ganze Theorien (die so gesehen letztlich ebenfalls aus Sätzen bestehen müßten) sind es, die uns den Zugang zu den Gegenständen eröffnen und damit stellt sich Wissen als begriffs- und theorieabhängig dar. Damit läßt sich auch, wie Davidson es sieht, Selbstbewußtsein als sozial konstituiert betrachten, denn das Wissen, das jemand von sich hat, beruht Davidson zufolge auf einer sprachlichen Konditionierung, die letztlich sozial geschieht.

Frank äußert zunächst ganz grundsätzliche Bedenken gegen eine solche Ansicht:

Verirren wir uns nicht in einem totalen Sprachidealismus, wenn wir uns einreden lassen, alles, was uns vermittels der Sprache zugänglich werde, sei selbst Sprache? Auch sind Propositionen abstrakte Gegenstände, aber mein Zahnschmerz ist höchst konkret, er existiert (womöglich in Raum und Zeit) und ist mehr und anderes als eine grammatische Funktion. [...] So gibt es für den Nominalismus kein Außer-der-Sprache [...].

Zur Kritik der nominalistischen Auffassung des Mentalen, wonach ein durch Nachdenken erworbenes, begriffliches Wissen, daß ich mich in diesem oder jenem mentalen Zustand befinde, erst ein Bewußtsein von diesem Zustand (und in ähnlicher Weise: ein Selbstbewußtsein) hervorbringt, hat der analytische Philosoph Thomas Nagel einen entscheidenden Beitrag geleistet. Das von ihm kritisierte nominalistische Modell soll im folgenden als das Propositionalitätsmodell des Bewußtseins bezeichnet werden. Meint im Reflexionsmodell 'Reflexion' die identifizierende Bezugnahme eines thematisierenden (Subjekt-)Ich auf (sich selbst als) ein thematisiertes (Objekt-)Ich, so bezieht sich der Term 'Reflexion' im Propositionalitätsmodell des Bewußtseins auf 'Reflexion' im Sinne von 'sprachlich-propositionalem Nachdenken' oder auf die postulierte Notwendigkeit des sprachlichen Nachdenkens über mentale Zustände, um von ihnen ein Wissen haben zu können.

Es stellt sich dann die Frage, ob auch das Selbstbewußtsein der Reflexion bedarf, um eine Vertrautheit mit seinen Zuständen zu erhalten, und wenn dies so ist, ob diese Vertrautheit ein propositionales Wissen ist. Kann von Selbstbewußtsein strenggenommen nur gesprochen werden, wenn dieses Wissen, daß ich mich in diesem oder jenem Zustand befinde, vorliegt? Oder aber muß, um dieses Wissen erlangen zu können, bereits Selbstbewußtsein ursprünglich und unmittelbar (ohne dazwischengeschaltete Propositionen) vorliegen?

Manfred Frank hat sich bei der Beantwortung dieser Fragen von Thomas Nagels Aufsatz What is it Like to Be a Bat? inspirieren lassen. Dabei wird ein Wissen, daß jemand in einem bestimmten mentalen Zustand ist, von einem Wissen, wie es ist, in diesem Zustand zu sein, unterschieden. Nagel versucht laut Frank auf diese Weise den Nachweis zu führen,

daß ein (z. B. naturwissenschaftliches) Wissen um die objektiven Qualitäten des sensorischen Apparats eine (unter die Realitäten der Welt gehörige) Information uns niemals, und zwar prinzipiell nicht liefern kann: die, zu wissen, wie das ist (wie sich das anfühlt), in einem bestimmten durch diesen Apparat ermöglichten Ò-Zustand zu sein. Diese subjektive Seite der Erfahrung kann nur dadurch erworben werden, daß man in einem mentalen Zustand sich befindet, daß man ihn nicht nur aus der Außenperspektive durch ein Wissen, daß wahrheitsgemäß und regelkonform beschreiben kann, sondern ihn erlebt.

Wenn Nagel davon spricht, "daß es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein", so beschreibt er Bewußtsein keineswegs (wie der Nominalismus) als ein Wissen: "Grundsätzlich aber hat ein Organismus bewußte mentale Zustände dann und nur dann, wenn es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein - wenn es irgendwie für diesen Organismus ist." Nagel möchte demonstrieren, daß es in der Tat unmöglich ist, einen mentalen Zustand in seinem Wie-sein zu erfassen, wenn man sich nur an Äußerlichkeiten orientierte, etwa daran, daß man sich vorstellte, daß man wie Fledermäuse "mit dem Mund Insekten finge; daß man ein schwaches Sehvermögen hätte und die Umwelt mit einem System reflektierter akustischer Signale aus Hochfrequenzbereichen wahrnähme [...]" oder sich vorstellte, man habe Flughäute an den Armen etc.:

Insoweit ich mir dies vorstellen kann (was nicht sehr weit ist), sagt es mir nur, wie es für mich wäre, mich so zu verhalten, wie sich eine Fledermaus verhält. Das aber ist nicht die Frage. Ich möchte wissen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein.

Wie deutlich zu sehen, hebt Nagel nur insofern auf ein Wissen ab als es darum geht, daß ich wissen möchte, wie es ist, eine Fledermaus zu sein - nicht aber insofern eine Fledermaus ihr Wie-sein als ein Wissen und mithin sprachlich erfassen können muß, ehe man ihr ein Bewußtsein zuschreiben kann: Wenn es für die Fledermaus irgendwie ist, eine Fledermaus zu sein, so impliziert dies noch nicht, daß diese Fledermaus auch weiß, wie es ist, eine Fledermaus zu sein.

Die entscheidende Konsequenz, auf die Nagel an dieser Stelle hinaus möchte, ist jedoch die, daß eine begriffliche Beschreibung subjektiver Zustände "nur von Wesen verstanden werden kann, die uns ähnlich sind. [...] Mein Realismus bezüglich der subjektiven Domäne in allen ihren Formen impliziert die Überzeugung, daß es Tatsachen jenseits der Reichweite menschlicher Begriffe gibt." Im folgenden verdeutlicht Nagel nochmals seine Position. Subjektive Zustände

scheinen Tatsachen zu sein, die an eine besondere Perspektive gebunden sind. Es geht mir hier nicht darum, daß Erlebnisse für diejenigen, die sie haben, angeblich privat sind. Die Perspektive, um die es mir geht, ist nicht etwas, das nur einem einzelnen Individuum zugänglich ist. Es handelt sich eher um einen Typus. Es ist oft möglich, eine andere als die eigene Perspektive einzunehmen, so daß das Erfassen von solchen Tatsachen nicht auf den eigenen Fall beschränkt ist. Es gibt einen Sinn, in dem phänomenologische Tatsachen völlig objektiv sind: eine Person kann von einer anderen Person wissen oder sagen, welche Qualität das Erlebnis des anderen hat. Dennoch sind sie in dem Sinne subjektiv, daß diese objektive Zuschreibung von Erlebnissen nur für jemanden möglich ist, der dem Objekt der Zuschreibung ähnlich genug ist, um dessen Perspektive einnehmen zu können - um sozusagen die Zuschreibung in der ersten Person ebenso gut zu verstehen wie die in der dritten.

In diesem Zitat wird deutlich, daß Nagel zwar das 'Wissen, wie' für ein propositionales Wissen hält, denn die Zuschreibung, die zu diesem Wissen führt, wird von Nagel als "objektive Zuschreibung" (s.o.) bestimmt: Eine solche Zuschreibung, die zu einem Wissen führt, erfordert mithin Begriffe und ist propositional strukturiert. Der Fehlschluß des Nominalismus ist daher darin begründet, daß davon ausgegangen wird, der bewußte Zustand sei als solcher bereits ein propositionales Wissen; tatsächlich aber - so Nagel - ist ein mentaler Zustand schon gegeben, wenn es irgendwie ist, etwas zu erleben. Allein die Beschreibung und die Zuschreibung der Qualität bewußten Erlebens wird in Form eines Wissen geleistet - und dieses Wissen ist dann in jedem Falle ein propositionales Wissen. In einer Anmerkung hebt Nagel diesen Sachverhalt nochmals eigens in nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lassender Form hervor:

Worauf es mir ankommt, ist jedoch nicht, daß wir nicht wissen können, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Ich formuliere kein epistemologisches Problem. Eher kommt es mir darauf an, daß man die Perspektive einer Fledermaus übernehmen muß, um eine Konzeption davon zu entwickeln, wie es ist, eine Fledermaus zu sein (und a fortiori zu wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein).

Das 'Wissen, wie' ist also keineswegs identisch mit dem mentalen Zustand, in dem sich zu befinden irgendwie ist. Das 'Wissen, wie' bildet für Nagel vielmehr ein a fortiori (auf der Grundlage des nicht-propositionalen, subjektiven Erlebens, das selbst kein Wissen beinhaltet) entwickeltes, konzeptuelles und mithin propositionales Wissen. Nagel behauptet also nicht etwa, nur die Fledermaus wisse, wie es sei, eine Fledermaus zu sein: Die Fledermaus mag gar nichts wissen - und dennoch, ohne jedwedes Wissen, ist es irgendwie für diese Fledermaus, eine Fledermaus zu sein. Das 'Wissen, wie' besteht also in der Bildung von Propositionen über das schon vorsprachlich konstituierte 'Irgendwie-sein-mentaler-Zustände'. Und eben weil laut Nagel die Bildung solcher Propositionen, die zu einem 'Wissen, wie' erst zu führen vermögen, an grundlegende Ähnlichkeiten von "Organismen" gebunden ist, ist dieses Wissen unter Umständen auch dem zugänglich, der sich selbst nicht in dem entsprechenden Zustand befindet: Das 'Wissen, wie' ist daher für Nagel von einem 'Wissen, daß' nur in der Hinsicht unterschieden, daß es nicht nur ein Wissen um die Tatsache fremder Erlebnisse, sondern auch um die Qualität fremder Erlebnisse darstellt. Aus diesem Grunde erscheint es Nagel als "Herausforderung", eine "objektive Phänomenologie" zu entwickeln, die einer subjektiven Vertrautheit nicht mehr bedarf.

 

Ein 'Wissen, wie' wäre also beispielsweise ein Wissen, wie es ist, Schmerz zu fühlen gegenüber dem Wissen, daß ich Schmerzen habe. Wer weiß, daß jemand Schmerzen hat, der muß noch nicht wissen, wie es für denjenigen ist, Schmerzen zu haben. Frank betont, daß diese beiden Weisen des Wissens grundverschieden sind und daß Bewußtseinszustände daher nicht einfach - wie der Nominalismus glaubt - in einem propositionalen 'Wissen, daß' bestehen, sondern schlicht darin, daß es schon vorsprachlich irgendwie ist, in einem mentalen Zustand zu sein. Nur wer sich in einem bestimmten mentalen Zustand befindet oder sich darin schon einmal befunden hat, kann daher Wissen, wie es für jemand anderen (ungefähr) sein mag, in einem Zustand dieses Typs zu sein. Schon auf Grund dieses Sachverhalts erscheint das nominalistische Propositionalitätsmodell des (Selbst)Bewußtseins zunehmend problematisch.

Frank hebt in aller Deutlichkeit darauf ab, daß die nominalistische Position, nach der das Bewußtsein sprachlich strukturiert ist, insgesamt unhaltbar ist. So zieht Frank die Konsequenzen aus dem bis hierhin Erörterten, wenn er ausführt, daß es im Subjekt keine zwei Pole gebe,

deren Identifikation durch irgendeinen Akt zu vollbringen wäre. Aus dem gleichen Grunde kann Subjektivität auch nicht als Fall eines Wissens betrachtet werden; denn alles Wissen erfolgt über Kriterien und Begriffe - begreifen aber heißt, eine Sache mittelbar unter Merkmalen zu betrachten, die ihr und anderem gemein sind, was durch die Unmittelbarkeit von Selbstbewußtsein ausgeschlossen ist.

Nun möchte Frank aber im Gegensatz zu Nagel bereits die Erschlossenheit subjektiver Gefühle etc. als ein von sich aus epistemisches Phänomen verstanden wissen:

Soll von diesen Empfindungen [den nicht-intentionalen Gefühlen wie Schmerzen oder Lüsten, H.W.] (nur weil sie nicht propositional strukturiert sind) gelten, die Kenntnis von ihnen konstituiere kein epistemisches Phänomen? Sind sie uns nicht vielmehr in eminentem Sinn unabhängig vom mentalistischen Sprachspiel (oder irgendeiner anderen Rahmen-Theorie) erschlossen? Und was soll 'Erschlossenheit' hier meinen, wenn nicht 'dem Wissen zugänglich unabhängig von aller Beschreibung'?

Was aber versteht Frank unter einem "epistemischen Phänomen"? Und wieso spricht er hinsichtlich nicht-intentionaler Empfindungen von einer "Kenntnis", die uns "in eminentem Sinn unabhängig vom mentalistischen Sprachspiel [...] erschlossen" (s.o.) sei? Wie gezeigt, war Nagel keineswegs so weit gegangen, schon die bloße Erschlossenheit mentaler Zustände mit dem Term "Kenntnis", also einem Begriff, der für gewöhnlich ein Wissen impliziert, zu belegen. Und wenn Frank anschließend 'Erschlossenheit' als "dem Wissen zugänglich unabhängig von aller Beschreibung" (s.o.) verstanden wissen möchte, zeigt dies dann nicht schon von sich aus, daß 'Erschlossenheit' keineswegs schon eine 'Kenntnis' (bzw. ein 'Wissen') beinhalten kann, eben weil die Erschlossenheit lediglich bedeutet "dem Wissen zugänglich" und nicht etwa "ein Wissen beinhaltend"? Warum aber bezeichnet Frank dann das Irgendwie-sein nicht-intentionaler Zustände als ein epistemisches Phänomen, obwohl dergleichen Zustände zwar prinzipiell dem Wissen und damit einer Kenntnis zugänglich sind, nicht aber schon qua Erschlossenheit eine 'Kenntnis' darstellen?

Hier wird verständlich, warum etwa Bieri im Gegensatz zu Frank zu der folgenden Schlußfolgerung hinsichtlich des von Frank sogenannten "nicht-inferentiellen Wissens von psychischen Zuständen" kommt. Bieri zufolge kann man nicht-intentionale Bewußtseinszustände "als ein Phänomen verstehen, das sich als kausale Bedingung für Erfahrung in die Menge der übrigen kausalen Bedingungen einreiht."

Selbst, wenn man dem Nominalismus darin zustimmt, daß es sich im Falle des 'Wissens' immer um ein 'propositionales Wissen' handeln muß, so bleibt dennoch die Frage offen, ob psychische Phänomene, die nicht in Form eines 'Wissens' vorliegen, auf eine "kausale Bedingung" (s.o.) reduziert werden können und keinen eigenen Phänomenbereich eröffnen. Mit anderen Worten: Es stellt sich die Frage, ob sich (gut nominalistisch) Bewußtsein auf 'Kognition' oder 'kognitive Akte' reduzieren läßt. Wenn aber ein Bewußtseinszustand nicht zwangsläufig als ein epistemisches Phänomen oder gar als eine Erkenntnis (wie es sich bei Frank implizit andeutet) aufgefaßt werden darf, so eröffnet sich die Möglichkeit, einer Reduktion von Gefühlen etc. auf 'kausale Faktoren der Erkenntnis' zu entgehen. Warum sollten psychische Phänomene unbedingt epistemische Phänomene sein, nur weil man mit Frank davon ausgeht, daß das Subjekt immer schon mit ihnen vertraut ist und sie somit prinzipiell dem Wissen zugänglich sind, oder weil sich (wie der Nominalismus dies sieht) das Bewußtsein - sofern es über ein 'Wissen' verfügt - der Sprache bedient?

Ein Kleinkind beispielsweise, das nur rudimentär über Sprache verfügt, verfügt sicherlich nicht über die Fähigkeit, alle seine psychischen Zustände zu reflektieren oder sprachlich zu unterscheiden. Damit hat dieses Kleinkind der hier und vom Nominalismus vertretenen Definition des Wissens zufolge noch kein 'Wissen' von seinen psychischen Zuständen und ist nur begrenzt oder gar nicht der Kognition fähig. Damit ist aber noch nicht gezeigt, daß dieses Kleinkind auch noch nicht über ein (Selbst)Bewußtsein verfügt:

Was ist nun das Empfinden als ein Strukturmoment des Bewußtseins, der Weise, wie wir um uns wissen, wenn es gemäß dem genannten Prinzip dargestellt wird; mit anderen Worten: wie ist man empfindend sich seiner selbst bewußt? Das ist eine Frage, die erst von der neueren Psychologie [...] gestellt wurde. Die ältere Psychologie, ebenso wie auch die Philosophie, Kant mit eingeschlossen, fragt nach dem Empfinden immer nur im Hinblick auf die Funktion, die es für das Zustandekommen des Bewußtseins von Gegenständen hat. Von daher erscheint es als ein letztes, bloßen Stoff für die Apprehension und die höheren synthetischen Leistungen des Bewußtseins gebendes Moment, als das rein rezeptive Empfangen von Affektionen. Diese [sic!] Frage nach der gegenstandkonstituierenden Bedeutung des Empfindens muß aber vorangehen die Frage nach dem Empfinden als einem Moment des Sich-seiner-selbst-bewußt-Seins. Als solches ist alles Empfinden ein Sich-selbst-Empfinden [...].

Die vom Nominalismus unterstellte Dekomponierbarkeit von (Selbst)Bewußtsein auf Sprache müßte eigens erwiesen werden. Warum sollte, nur weil bewußtes Denken sprachlich abläuft, jedes Bewußtsein sprachliches Bewußtsein sein, ist es doch möglich, daß jenseits von Kognition bereits bewußtes Erleben stattfindet?

Würde Frank 'Bewußtsein' cartesianisch auf ein begrifflich oder sprachlich klares und deutliches Vorstellen reduzieren, so ergäbe sich ein Motiv dafür, Bewußtsein auf ein epistemisches Phänomen (d. h. auf Kognition) hin zu analysieren. Aber Frank lehnt eine derartige Auffassung von Bewußtsein explizit ab:

Wollte der Nominalist geltend machen, daß, wenn ich nicht sagen könne, in welchem (Genre von) mentalem Zustand ich mich gegebenenfalls befinde, anders gesagt: wenn ich die Wahrheitsbedingungen für die Proposition nicht angeben könne, die meinen Zustand ausdrückt, ich mich in gar keinem mentalen Zustand befinde, so wäre das zweifellos lächerlich. Denn ich bin im entsprechenden Zustand und weiß es. Darum werde ich den Nominalisten, der mir sein Räsonnement vorführt, vermutlich mit Ärger oder Heiterkeit bescheiden.

Und Frank fährt fort, indem er ein dem oben gegebenen Beispiel eines Kleinkindes ähnliches Beispiel erläutert:

Kleine Kinder sind nicht immer in dieser glücklichen Lage [ihren mentalen Zustand propositional beschreiben zu können, H.W.]: Früher geschah es ihnen häufig, daß die Eltern, wenn sie den Gegenstand ihres Kummers nicht angeben konnten, ihnen kurzerhand eine Tracht Prügel verabreichten. Sie taten es in der Überzeugung, daß ein seelischer Zustand, der nicht in eine Proposition zu kleiden ist, nicht besteht. Diese Überzeugung ist gut nominalistisch; und sie hat, wie man sieht, eine autoritäre, ja gewalttätige Komponente.

Aber diese Überzeugung ist nicht nur "gut nominalistisch" (s.o.); sie ist zunächst "gut kognitivistisch", insofern sie das Bewußtsein auf Kognition reduziert: Bewußtseinszustände sind hier (und bleiben es bei Frank) reduziert auf 'epistemische Zustände'. Deutlich gesehen werden kann dies an der oben bereits zitierten Wendung Franks, in der er selbst dann von einem 'Wissen' bezüglich eines mentalen Zustandes spricht, wenn die Wahrheitsbedingungen für die den mentalen Zustand korrekt beschreibende Proposition nicht angegeben werden können. Offensichtlich werden nach Frank 'mentale Zustände' durch ihr bloßes Gegebensein auch schon gewußt.

Doch Frank geht wie gezeigt nicht so weit, psychische Phänomene auf begrifflich oder sprachlich klar und deutlich erfaßte Zustände oder Vorstellungen zu reduzieren. Wie kann er sie dann aber als in Form einer 'Kenntnis' (im epistemischen Sinne) gegeben bezeichnen? Gerade in dem von ihm gegebenen Beispiel wird doch deutlich, daß, selbst wenn das Kind sehr wohl (begrifflich) klar und deutlich weiß, daß es in irgendeinem schmerzhaften Zustand ist, es noch lange nicht ebenso klar und deutlich erkennen können muß, wie dieser schmerzhafte Zustand ist: Es reicht dem Kind (und bei Schmerzen allemal) diese Schmerzen zu empfinden. Bewußtes 'Wissen' mag sich auf den 'bewußten Schmerz' richten - nicht aber sind Schmerzen erst bewußt oder vorhanden, wenn sie in der Form einer 'Kenntnis' gegeben sind, denn das (bewußte) 'Wissen' bringt nicht Schmerzen, die sonst "an sich" zwangsläufig immer 'unbewußt' sein müßten, zu Bewußtsein; vielmehr bringt (bewußtes) 'Wissen' für gewöhnlich Schmerzen, die schon bewußt vorliegen, zusätzlich in die Form eines 'Wissens'. Der Schmerz liegt dann als 'bewußte Empfindung' und als (bewußtes) 'Wissen des Schmerzes' vor.

Wenn sich das Bewußtsein dann denkend oder in der Rede (also intentional) auf das Empfinden bezieht, so handelt es sich dabei also um eine rein begriffliche Unterscheidung von Erlebensweisen, die eine begriffliche Unterscheidung von 'Schmerz' in Abhebung etwa von 'Hunger' hervorbringt: Das 'Wissen' "weiß" nun, daß 'bewußter Schmerz' (als 'bewußte Empfindung') vorliegt, und es "weiß", daß es sich bei dieser Empfindung nicht etwa um Hunger handelt - aber das 'Wissen' bringt den Schmerz nicht erst zu Bewußtsein. Die 'Empfindung' mag zwar durch das, was man über sie denkt, modifiziert werden: So kann ich einen Schmerz unter Umständen deutlicher spüren, wenn ich an ihn denke, oder ein Schmerz kann vielleicht erträglicher werden, wenn ich durch eine andere Beschäftigung von ihm abgelenkt werde. Er wird jedoch nicht erst durch das Denken oder die Sprache phänomenal konstituiert, so als ob Säuglinge im vorsprachlichen Alter von Schmerzen verschont blieben. Im Gegenteil: Schmerzen können so nachdrücklich werden, daß ich mein Denken nicht mehr von ihnen abwenden kann und immerfort nur an meine Schmerzen denken muß. Und der Schmerz kann sich soweit steigern, daß ich kaum noch klar denken kann (nicht einmal an den Schmerz) und mich einer Ohnmacht nähere. Wer aber wie der Nominalismus behauptet, Schmerzen seien wie alle mentalen Phänomene sprachabhängig, der müßte paradoxerweise behaupten, daß die Steigerung des Schmerzes zugleich einer Abnahme des Schmerzes gleichkomme, weil ich bei extremen Schmerzen nicht mehr in der Lage wäre, sprachlich einwandfreie Propositionen über den Schmerz zu bilden. Kurzum: Eine Empfindung wird nicht erst dadurch empfunden, daß man von ihr weiß. Es handelt sich also bei bewußten Phänomenen auch nicht immer schon um ein 'Wissen, wie', sondern um ein 'Wie-des-Erlebens', das dem Wissen zugänglich ist, denn 'bewußtes Erleben' heißt noch lange nicht zwangsläufig: 'über eine Kenntnis mentaler Zuständen verfügen'.

Allerdings können sprachfähige Menschen auch nach der Ansicht von Erwin Straus die sprachlose Welt nie wieder vollständig erreichen. Daher versucht er den hier angesprochenen Sachverhalt der Beziehung von Sprache und Empfindung anhand der "sprachlosen Welt" der Tiere zu exemplifizieren:

Das empfindende Wesen, das Tier, steht seiner Welt nicht denkend gegenüber. [...] Das Empfinden enthält kein Urteilsmoment und ist darum auch nicht an der Aussage und dem Urteil zu prüfen. [...] Die sprachlose Welt des Empfindens ist eine zeichenlose Welt.

Frank bezieht also eine Position, die gewissermaßen zwischen der des Nominalismus und der hier vertretenen Position angesiedelt ist, wenn er meint, die Erschlossenheit mentaler Zustände sei ein epistemisches Phänomen. Er selbst zieht den Schluß, daß Empfindungen als solche nicht-propositional sind. Aber heißt das nicht: sie sind nicht zwangsläufig mit einer 'Kenntnis' verbunden, also kein epistemisches Phänomen? Wenn Frank dann weiter fragt, was 'Erschlossenheit' denn sonst heißen könne, wenn nicht "dem Wissen zugänglich unabhängig von aller Beschreibung", so könnte zurückgefragt werden, ob nicht schon die Formulierung "dem Wissen zugänglich" darauf hinweist, daß es sich im Falle der Empfindungen eben nicht um eine 'Kenntnis' handeln kann; denn wenn etwas dem Wissen zugänglich ist, heißt dies dann nicht zugleich, daß es sich bei einem solchen Sachverhalt noch gar nicht um ein epistemisches Phänomen handelt, sondern nur um einen Sachverhalt, der - eben weil er dem Wissen zugänglich ist - in Form einer Kenntnis erfaßt werden kann? Kurzum: Bewußte Empfindungen sind nicht notwendig propositional gegeben und damit als solche noch kein Wissen. Sie sind dem Wissen aber prinzipiell zugänglich, müssen dazu aber begrifflich-unterscheidend beschrieben werden.

Freilich weist die gesamte Argumentation Franks schon über eine rein kognitive Auffassung des Bewußtseins hinaus und legt von sich aus die hier vertretene Ansicht nahe, von einem rein kognitiven Verständnis des Bewußtseins abrücken zu müssen. Verwirrend bleibt allein Franks Darstellung des Mentalen als eines in Form einer 'Kenntnis' gegebenen, epistemischen Phänomenbereichs. Darüber hinaus schließt er sich der von Kripke vertretenen Darstellung an, derzufolge das 'Fühlen eines Schmerzes' nicht durch den vom eliminativen Materialismus vertretenen physiologischen Sachverhalt etwa einer C-Faser-Reizung ersetzt werden kann: "Wenn ich den entsprechenden Zustand 'fühle', ist das alles, was erfüllt sein muß, damit ich sagen kann, daß es 'ihn gibt' - denn der Begriff der Existenz, wie er im 'es gibt' sich ausspricht, ist nicht mehrdeutig." Allerdings bedient sich Frank auch hier einer bedenklichen Formulierung, wenn er meint: "Die Existenz psychischer Zustände hat ihr notwendiges und zureichendes Maß im Bewußtsein, das ich von ihnen habe." Denn wenn Frank 'Gefühle' tatsächlich als nicht-intentionale Bewußtseinszustände klassifiziert wissen möchte, so kann zwar davon gesprochen werden, daß das 'Fühlen' ein 'bewußtes Fühlen' ist, nicht aber allein deshalb schon davon, daß ich ein Bewußtsein von meinen Gefühlen habe, wie Frank es ausdrückt. Denn als 'Bewußtsein von' handelt es sich um ein 'Bewußtsein von etwas' und damit um ein intentionales Bewußtsein. Bewußter Schmerz muß aber als nicht-intentionaler die Qualität des Bewußtseins an sich selbst "tragen". Es handelt sich ja eben nicht um einen Schmerz, der gewissermaßen als potentieller Gegenstand einer Intention des Bewußtseins schon "bereit liegt" und dann infolge eines Aktes der Aufmerksamkeit erst bewußt wird. Vielmehr ist der nicht-intentionale, bewußte Schmerz als solcher ein 'bewußter Schmerz'. Mit dem Empfinden oder der Wahrnehmung des Schmerzes ist gegeben, wie er empfunden wird. Denkt man sich das Bewußtsein nicht als Entität, sondern als Prozeß, so wird diese Unterscheidung verständlich und legitim: Ein Bewußtsein als Entität im Sinne einer Substanz oder eines (transzendentalen) Subjekts mag schon gegeben sein, bevor etwas erlebt wird und daher kann diesem Bewußtsein ein Etwas intentional gegeben werden. Betrachtet man dagegen Bewußtsein als den 'Prozeß, der es verwirklicht', so wäre im Falle des Schmerzes der Prozeß, in welchem sich augenblicklich ein Bewußtsein verwirklicht, der Prozeß der Schmerzerzeugung. Außerdem hebt man auf diese Weise die "unglückliche" Unterscheidung von 'Schmerzerzeugung' und 'Schmerzwahrnehmung' auf: Denn als Prozeß vorgestellt ist das 'Erzeugen von Schmerzen' identisch mit dem 'Wahrnehmen von Schmerzen'.

Wenn man 'Bewußtsein' als 'Erleben' auffaßt und nicht als 'Erkennen' (also nicht als 'Kognition'), dann läßt sich Frank völlig zustimmen, daß Bewußtsein nicht, wie der Nominalismus es möchte, Sprache voraussetzt. Der Erwerb von Wissen mag in hohem Maße sprachgebunden sein; das Bewußtsein mag in hohem Maße auch sprachlich operieren - aber ist deshalb Bewußtsein propositional? Sprache ist keine conditio sine qua non des Bewußtseins.

 

Die hier referierte Erörterung bricht also mit dem Nominalismus auf der einen Seite, insofern Bewußtsein nicht als Sprache voraussetzend gedacht wird. Auf der anderen Seite wird anerkannt, daß Wissen immer propositional strukturiert ist, und in bezug darauf widerspricht die hier ausgeführte Theorie des Bewußtseins auch der Position Franks, sofern nicht darin zugestimmt werden kann, daß das Bewußtsein immer ein epistemisches Phänomen ist.

 

Resümee: Bewußtsein, wenn man dies nicht als klares und deutliches Vorstellen definiert, kann auch in einem Empfinden bestehen und muß demgemäß nicht gleich alles in die kognitive Form eines Wissens transformieren. Empfinden aber muß nicht heißen, daß ein Schmerz vorliegt, der in einem zweiten, darauf bezogenen Akt erst bewußt wird, um als existierend bezeichnet werden zu können. Die Empfindung kann als solche eine bewußte Empfindung sein, und hier trifft sich die Kritik wieder mit Frank, der diese Auftrennung von '(Selbst)Bewußtsein' und 'Gegenstand des (Selbst)Bewußtseins' ja gerade in seinem Spontaneitätsmodell der Subjektivität zwar für möglich, aber nicht für in jedem Fall gegeben erklärt: Natürlich kann das Bewußtsein sich intentional auf seine Zustände beziehen und sie so in die Form des Wissens bringen. Aber Frank möchte ja gerade deutlich werden lassen, daß es auch nicht-intentionales Bewußtsein gibt und daß gerade Schmerzen und andere Gefühle nicht-intentionale Zustände und dennoch Bewußtseinszustände sein können. Warum aber, wenn er schon von der Möglichkeit eines "gefühlsmäßigen Selbstbewußtseins" ausgeht, kategorisiert Frank dieses Bewußtsein kognitiv und möchte es als 'Kenntnis' verstanden wissen? Legt die Rede von Gefühlen nicht von sich aus nahe, ein "gefühlsmäßiges Selbstbewußtsein" (als nicht-intentionales Selbstbewußtsein) zunächst unabhängig von der Kognition als bewußtes Empfinden zu beschreiben?

3.2.3.2 Zur Irrtumsunanfälligkeit des 'ich'-Bezugs

In The First Person hat Elizabeth Anscombe den Nachweis zu erbringen versucht, daß das Pronomen der ersten Person singularis kein Eigenname oder ein Demonstrativpronomen ist. Neben einer neo-cartesianischen Argumentation, die besagt, daß der mit 'ich' gemeinte Gegenstand "unter gar keiner Beschreibung existiert" und daher nur als "Selbstbewußtsein oder als cartesianisches cogito" gegeben sein kann, weist Anscombe darauf hin, wie Frank es ausdrückt, daß "Demonstrativa wie 'dies' oder 'jenes' auch in Abwesenheit (oder Unkenntnis) ihres Bezugsobjekts funktionieren können."

Anscombe exemplifiziert ihre These in dem Gedankenexperiment, daß jemand ein Behältnis mit sich führt und sagt: "'Das ist alles, was vom armen Jones übrig geblieben ist'."

Die Antwort auf 'dieses was?' ist 'dieser Haufen Asche'; der Sprecher weiß aber nicht, daß das Behältnis leer ist. Was 'dies' beim korrekten Gebrauch haben muß, ist etwas, auf das es einschnappt (wie ich es formulieren werde): in diesem Beispiel ist es das Behältnis. [...] Es kann sein, daß der referentielle Gegenstand und dasjenige, worauf 'dies' einschnappt, zusammenfallen, wie wenn ich sage 'Dieses Surren in meinen Ohren ist schrecklich' oder etwa, nach dem Anhören einer Rede, sage 'Das war glänzend!' Allerdings müssen sie nicht zusammenfallen, und der Referent ist der Gegenstand, von dem das Prädikat ausgesagt wird, während 'dies' oder 'das' ein Subjekt ist.

Obwohl also Demonstrativa wie 'dies' oder 'jenes' einen Irrtum in der Referenz beinhalten können (im Beispiel: gemeint ist die Asche, aber das Behältnis ist leer - also ist die Referenz der Demonstrativa leer), können sie dennoch funktionieren, sofern etwas "einschnappt" (s.o.). Die entscheidende Frage, auf die Anscombe hinaus möchte, ist jedoch die, ob auch das Pronomen der ersten Person singularis "einschnappen" (s.o.) kann, wenn es ohne Referenz verwendet wird. Oder anders: Kann man das Pronomen 'ich' überhaupt verwenden, ohne daß es notwendigerweise referiert?

Natürlich kann jemand sagen: '[...] Wenn 'ich' schon ein Pronomen ist, so ist es doch nur das Pronomen, das es ist.' Das aber verfängt nicht, weil 'Pronomen' gerade eine Lumpensack-Kategorie ist; man kann geradesogut sagen: 'Es ist das Wort, das es ist.' Das Problem besteht darin, seine Bedeutung zu beschreiben; und wenn seine Bedeutung die Idee der Referenz involviert, dann ist das Problem, zu sehen, was 'Referenz' hier ist und wie sie erzielt wird.

Dabei kann 'ich' nicht einfach für einen regulären Eigennamen stehen, weil für 'ich' gilt,

daß, wenn es eine Bezugnahme macht, d.i. - wenn seine Bedeutungsart der Annahme gemäß darin besteht, eine Bezugnahme zu machen - es gegen das Fehlschlagen der Bezugnahme gefeit ist. Allein schon das Denken 'Ich...' sichert nicht nur die Existenz, sondern die Anwesenheit seines referentiellen Gegenstands. Es garantiert die Existenz, weil es die Anwesenheit garantiert, nämlich: Anwesenheit für das Bewußtsein. Hier aber bedeutet 'Anwesenheit für das Bewußtsein' notabene physische oder reale Anwesenheit, und nicht nur, daß man über den Gegenstand nachdenkt. [...] Aus demselben Grund gilt: wäre 'ich' ein Name, dann könnte es kein leerer Name sein. Die Existenz vom Ich besteht in der Existenz vom Ich im Denken von Gedanken, die durch 'Ich...' ausgedrückt werden. Genau dies ist natürlich die Pointe des cogito [...].

Die Abwesenheit eines Referenten ist so laut Anscombe im Falle der Verwendung des Pronomens 'ich' ausgeschlossen, und dies unterscheidet den Gebrauch des Pronomens der ersten Person singularis von der Verwendung aller anderen Pronomen. Funktionieren Demonstrativa wie 'diese' oder 'jenes' also auch in Abwesenheit des Referenten, sofern sie "einschnappen", so

hat es keinen Sinn, einen solchen Verweisungsirrtum auch für 'ich' zu argwöhnen; denn 'ich' ist mit sich bekannt, gleich welches die Beschreibung (der Fregesche 'Sinn') ist, unter der es sich zu fassen bekommt. [...] Sein Referent (wenn es denn einen gibt) kann nicht identisch sein mit etwas durch Beobachtungsprädikate oder Kennzeichnungen Spezifizierbares. [...] Und wenn Descartes [...] zweifelt, so zweifelt er keineswegs an sich als dem diesen Zweifel äußernden denkenden Subjekt (res cogitans).

Diese Ansichten führen Frank dann zu der Konsequenz, die Rede vom 'ich' für irrtumsunanfällig zu erklären:

Kurz: es hat mit 'ich' eine gegenüber Nomina und Demonstrativa eigene Bewandtnis. Ich kann mir nämlich schlechterdings keine Situation vorstellen, in der 'ich' keinen Referenten hätte oder sich im Verweisungsbezug täuschen könnte [...]. 'Ich' wäre damit so etwas wie ein Russelscher 'logischer Eigenname' oder ein Name im Sinne des Wittgensteinschen Tractatus oder ein Kripkescher 'regid designator' - d.h. ein solcher, der - regelkonform verwendet - seinen Referenten unabhängig von allen Beschreibungen notwendig, weil direkt, erreicht.

Hector-Neri Castañeda geht über diese Feststellung hinaus, wenn er meint, das Pronomen 'ich' nehme aus erkenntnistheoretischer Sicht eine privilegierte Stellung ein. Seine diesbezügliche Argumentation stützt sich auf die Überlegung, daß es unmöglich ist, eine Information über sich selbst zu gewinnen, wenn es dem Betroffenen nicht gelingt, alle sprachlichen Formulierungen in 'ich-Formulierungen' umzuwandeln (sofern sie nicht schon in der ersten Person singularis formuliert wurden). Während also Demonstrativa prinzipiell ersetzt oder sogar eliminiert werden können, kann das 'ich' nicht ersetzt oder eliminiert werden, sofern jemand eine Information über sich selbst gewinnen können soll:

Überhaupt kann niemand Erkenntnis oder Glauben über irgendeine sich auf ihn beziehende und von ihm empfangene Information erwerben, es sei denn, daß es ihm gelingt, jede einzelne, für ihn bestimmte Bezeichnung, die durch Kennzeichnungen oder Namen oder durch andere demonstrative Fürwörter (wie z.B. 'du', 'er', 'dies') gegeben ist, durch eine Bezeichnung mittels des 'ich (mich, mein, ich selbst)' zu ersetzen.

Dabei muß diese Übersetzung nicht explizit vorgenommen werden, denn "wenn er diese Sätze bloß denkt, ohne sie zu behaupten, dann werden wir sagen, daß er 'ich' implicite gebraucht." Wie sollte auch sonst eine Selbstbeschreibung oder Selbsterkenntnis möglich sein, würde doch jede Information, die ein 'Dies-da' betrifft, niemals zur Selbsterkenntnis führen können (selbst, wenn sie dies etwa über eine mit aller Präzision durchgeführte Beschreibung oder Charakterisierung der Person versuchen würde), da niemals jemand sich selbst als das Gemeinte erfassen können würde. Die Erfassung des Sachverhaltes, daß jemand selbst es ist, der gemeint wird, ist nicht durch eine Beschreibung ohne schon vorausgesetzten Selbstbezug möglich, da sonst immer nur ein bestimmter "Gegenstand" beschrieben würde. Zur Selbstbeschreibung oder Selbsterkenntnis ist aber immer auch die Selbstidentifikation notwendig, und diese kann einsichtigerweise nicht dadurch zustande kommen, daß eine Beschreibung mit einer anderen identifiziert würde. Man erhielte auf diesem Wege nur die Identität zweier Beschreibungen (a=b), niemals aber die Identität von beschriebenem Gegenstand und Selbstbewußtsein. Zwei Personen können also durchaus auf diese Weise identifiziert werden (denn sie können auf Grund von Beschreibungen identifiziert werden) - nicht aber können Beschreibungen zur Identifikation mit dem Selbstbewußtsein führen, da das Selbstbewußtsein seine Identität nicht über eine Beschreibung gewinnen kann, es sei denn, diese Beschreibung würde Selbstbewußtsein schon beinhalten: Aber eben dann würde es sich um einen - wie Castañeda es nennt - 'impliciten Gebrauch' von 'ich' immer schon handeln:

Ein amüsantes Beispiel dafür, das Ernst Mach erzählt, kennen wir schon: Während er in die Straßenbahn einsteigt, sieht er im selben Bewegungsrhythmus einen Mann von der anderen Seite einsteigen. 'Was steigt doch da für ein herabgekommener Schulmeister ein!' denkt er von ihm, ohne zu merken, daß er sich selbst im Rückspiegel hinter dem Fahrerhäuschen gesehen hat. Das Beispiel demonstriert besonders hübsch die Unmöglichkeit, Selbstbewußtsein über eine erschöpfende Deskription aller (sinnlich zugänglichen) Eigenschaften einer Person zu erwerben; denn die Zusatzinformation, daß ich gegebenenfalls diese Person selbst bin, kann mir das Spiegelbild nicht liefern; und hätte ich sie nicht aus der Evidenz des Selbstbewußtseins schon geschöpft, bliebe ich mein Leben lang in der Situation des armen Ernst Mach. Das Trügerische des Spiegelbildes desavouiert schlagend die Tauglichkeit des Reflexions-Modells zur Erklärung von Selbstbewußtsein.

Roderick Chisholm demonstriert diesen Sachverhalt an drei unterschiedlichen Formulierungen:

To understand the 'he', himself' locution, let us consider its use in clauses, expressing the object of believing. We may contrast the three locutions:

(P) The tallest man believes that the tallest man is wise.

(Q) There is an x such that x is identical with the tallest man and x is believed by x to be wise.

(S) The tallest man believes that he himself is wise.

In P wird ausgesagt, daß jemand, den der Aussagende als den größten Mann identifiziert, glaubt, der größte Mann sei weise. Dabei muß der größte Mann (also der 'jemand') nicht sich selbst für den größten Mann halten, vielmehr muß er nur glauben, daß der größte Mann (wer immer dies sein mag) weise ist. Hier fehlt also die Selbsterkenntnis, denn diese würde voraussetzen, daß der 'jemand' selbst von sich weiß, daß er selbst der größte Mann ist und also weise. In Q muß der richtig identifizierte größte Mann jedoch weder wissen, daß von ihm selbst die Rede ist, noch muß die "richtige Identifikation des größten Mannes [...] mit der Kenntnis einhergehen [...], der für weise gehaltene sei der größte Mann [...]." Alleine in S besteht Selbstbewußtsein hinsichtlich der Weisheit - dafür muß hier wiederum nicht notwendig ein Wissen darüber vorliegen, daß derjenige, der sich für weise hält, der größte Mann ist:

Die Pointe von Chisholms Argument besteht darin, daß die objektivistische Formulierung (Q) die emphatische Selbstkenntnis nicht impliziert, daß also S (emphatisches Selbstbewußtsein) aus der objektivistischen, in Propositionen niedergeschriebenen Beschreibung des gleichen Sachverhalts ohne Verwendung 'emphatischer Reflexiva' nicht abzuleiten ist.

Frank schließt daraus, daß ich mich im Falle einer emphatischen Selbstzuschreibung zwar über die mir zugeschriebene Eigenschaft (hier: die Weisheit) täuschen kann - nicht aber über "die Beziehung, in der ich mich bei meiner Zuschreibung zu der betreffenden Person befinde [...]." Anders ausgedrückt: Ich bin mir "(kraft emphatischer Reflexivität) unfehlbar gewiß", daß ohne Zweifel 'ich' es bin, dem die betreffende Eigenschaft (von mir) zugeschrieben wurde.

Auch David Lewis hat zu zeigen versucht, daß propositionale Selbsterkenntnis immer schon nicht-propositionales Selbstbewußtsein voraussetzt. Lewis bedient sich bei seiner Argumentation eines Gedankenspiels. Man denke sich zwei allwissende Götter, die auf verschiedenen Gipfeln der selben Welt wohnen:

They inhabit a certain possible world, and they know exactly which world it is. Therefore they know every proposition that is true at their world. Insofar as knowledge is a propositional attitude, they are omniscient. Still I can imagine them to suffer ignorance: neither one knows which of the two he is. They are not exactly alike. One lives on the top of the tallest mountain and throws down manna; the other lives on top of the coldest mountain and throws down thunderbolts. Neither one knows whether he lives on the tallest mountain or on the coldest mountain; nor whether he throws manna or thunderbolts.

Die beiden Götter sind also allwissend, sofern es um Tatsachen in der Welt geht, und sie sind durchaus voneinander unterschieden. Sie könnten auch über ein Wissen über sich selbst verfügen, aber dieses Wissen ist nicht in Form von 'Propositionen über etwas' zu erwerben:

Surely their predicament is possible. (The trouble might perhaps be that they have an equally perfect view of every part of their world, and hence cannot identify the perspectives from which they view it.) But if it is possible to lack knowledge and not to lack any propositional knowledge, then the lacked knowledge must not be propositional. If the gods came to know which was which, they would know more than they do. But they wouldn't know more propositions. There are no more to know. Rather, they would self-ascribe more of the properties they possess. One of them, for instance, would correctly self-ascribe the property of living on the tallest mountain. He has this property and his worldmate doesn't, so self-ascribing this property is not a matter of knowing which is his world.

Daraus schließt Lewis: "Some belief and some knowledge cannot be understood as propositional, but can be understood as self-ascription of properties."

Frank bringt das Resultat dieser Überlegung auf den Punkt:

Wenn es mithin möglich ist, eine Kenntnis zu entbehren und doch keinerlei propositionales Wissen zu entbehren, dann kann nicht alle Kenntnis propositionale sein. Selbstbewußtsein ist von dieser Art (und ich vermute: nur Selbstbewußtsein ist im strengen Sinne prä-propositional). Ist das der Fall, dann gilt eben auch: daß nicht jede Kenntnis öffentlich zugänglich (intersubjektiv) ist. Es gibt private (intern bestimmte) Bewußtseinsinhalte; und sie sind nicht ipso facto mitteilbar.

In all dem liegt jedoch ein Problem, und dieses Problem besteht in der qualitativen Bestimmung des Selbstbewußtseins als eines epistemischen Phänomens. ###Dieses Problem wurde bereits grundsätzlich angesprochen, aber betreffs der Behauptung der Irrtumsunanfälligkeit des Selbstbewußtseins bedarf es eines erneuten Aufgriffs.###

Frank muß die Bekanntschaft oder Kenntnis, die das Bewußtsein oder (das bei allem Bewußtsein immer schon vorausgesetzte) Selbstbewußtsein von sich hat, als einen Kognitionsvorgang ansetzen, um diesen Phänomenbereich überhaupt auf seine Irrtumsanfälligkeit hin untersuchen zu können. Kategorisiert man jedoch Selbstbewußtsein (mit Frank!) nicht als ein Wissen, sondern als eine Form des Erlebens oder Erfahrens, die in die Form eines Wissens (im Falles des Selbstbewußtseins also in die Form einer 'Selbsterkenntnis') zwar überführt werden kann, aber nicht schon immer als Wissen vorliegt, so dürfte die Rede von einer Irrtumsunanfälligkeit schwerlich als sinnvoll charakterisierbar sein. Chisholm und Wittgenstein verfolgen cum grano salis eine ähnliche Kritik hinsichtlich der Irrtumsanfälligkeit:

***Wittgensteins Frage, was eine Vorstellung von dir zu einer Vorstellung von dir macht, findet also ihre Antwort zugleich mit der von Chisholm, was einen Fremdbezug zu meiner Intention macht. Indirekte Fremdzuschreibungen sind immer auch (oder enthalten) Selbstzuschreibungen der Intentionalitäts-Beziehung auf den anderen. Oder: alles (indirekte) Bewußtsein von etwas ist wesentlich immer auch (direktes) Selbstbewußtsein.

Chisholm geht bei all dem davon aus, daß psychische Zustände "selbstpräsentierend" sein können, ohne daß ich wissen muß, daß ich es bin, der sich in diesem Zustand befindet. Zugleich zeigt er, daß eine epistemisch gehaltvolle Definition des Begriffs 'Gewißheit' streng an den Begriff des 'Wissens' gekoppelt sein muß: Das Vorliegen von Gewißheit setzt laut Chisholm das Vorliegen eines expliziten Wissens voraus. Daraus folgt dann, daß psychische Zustände nicht unmittelbar (das heißt: ohne ein reflexives Wissen zu beinhalten) gewiß sein können. Zu Gewißheiten werden sie laut Chisholm

***nun allerdings erst dadurch, daß über ihr selbstbewußtes Vorliegen hinaus noch ein Akt des reflexiven Aufmerkens auf sie geschickt wird. [...] Anders gesagt: der selbstgebende [Chisholm: selbstpräsentierende, H.W.] Charakter der primären psychischen Eigenschaft impliziert noch kein explizites Selbstbewußtsein - oder doch keines, das auf dem epistemischen Niveau der 'Gewißheit' sich situierte.

Aber kann man - wenn die Definition des Begriffs der Gewißheit immer schon Wissen impliziert - von einer Irrtumsunanfälligkeit des Selbstbewußtseins noch sinnvoll sprechen?

Bei Wittgenstein werden die Konsequenzen noch deutlicher, die aus Überlegungen, wie sie auch bei Chisholm zu finden sind, gezogen werden können. Wittgenstein argumentiert zu diesem Zweck über zwei Stränge: Erstens findet im Subjektgebrauch von 'ich' keine Referenz auf eine Person statt, denn ich kann nicht auf mich zeigen, um mir klar darüber zu werden, daß ich zum Beispiel Schmerzen habe.### {{{Ab hier bis Endemarkierung haarfeine, neue Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}} Und zweitens liegt kein Wissen vor in dem Sinne, daß ich mich ernsthaft fragen könnte: "Wer hat Schmerzen?" "###***Die Frage 'Bist du sicher, daß du es bist, der Schmerzen hat?' wäre unsinnig." Wittgenstein möchte klarlegen, daß in dem Sprachspiel des Subjektgebrauchs von 'ich' nicht etwa ein Fall von Irrtumsunanfälligkeit vorliegt, sondern ein Fall, in dem der "Spielzug" der Irrtumsfrage zwar sprachlich ausführbar, aber unsinnig wäre, weil er nicht sinnvoll durchgeführt werden kann: "***Wenn nun in diesem Fall ein Irrtum unmöglich ist, dann deswegen, weil der Zug, den wir als einen Irrtum, einen 'schlechten Zug', ansehen würden, überhaupt kein Zug in dem Spiel wäre."{{{Ende der Kontrolle auf Sinn, Syntax etc.!!!}}}

Wittgenstein vertritt also die These, daß der Subjektgebrauch von 'ich' nicht in einem Kontext des Wissens steht, da in ihm nur "Pronomina der ersten Person singularis [intervenieren], keine Kennzeichnungen oder Eigennamen, mit deren Anwendung Fehlschläge verbunden sein könnten." Sicherlich kann aber in jedem Sprachgebrauch ein Irrtum hinsichtlich der korrekten Verwendung von Wörtern auftreten - aber auf diesen Sachverhalt bezieht sich Wittgensteins Diktum nicht. Der entscheidende Punkt, auf den es Wittgenstein ankommt, ist vielmehr, ob im Falle des Subjektgebrauchs von 'ich' die Frage "Bin wirklich ich es, der Schmerzen hat oder handelt es sich um jemand anderen?" überhaupt sinnvoll gestellt werden kann. Kann sie aber nicht sinnvoll gestellt werden - und davon geht Wittgenstein aus -, so kann der Subjektgebrauch von 'ich' auch nicht sinnvoll auf eventuelle Irrtümer oder die Unmöglichkeit des Irrtums hin untersucht werden.

Geht man des weiteren von der Annahme aus, daß Subjektivität bereits nicht-propositional (also auch vorsprachlich) zustande kommt, so liegt sie zwangsläufig auch schon ohne jede Bildung eines Urteils vor; dann aber ist Selbstbewußtsein nicht schon von sich aus eine Erkenntnis - und wenn Selbstbewußtsein nicht zwangsläufig in kognitiver Form (also als Erkenntnis oder Wissen) auftritt, wie soll es dann sinnvoll auf seine Irrtumsmöglichkeiten hin untersucht werden können? Franks Einwürfe gegen die Ansichten Wittgensteins und Chisholms, die sich daraus ergeben, daß Frank auf die Irrtumsunanfälligkeit und die Betrachtung des Selbstbewußtseins als eines kognitiven Vorgangs abhebt, lassen sich vielleicht durch die Anerkennung des Gedankens auflösen, demzufolge (Selbst)Bewußtsein nicht zwangsläufig als ein epistemisches Phänomen zu verstehen ist, sondern zunächst immer als selbstbewußtes Erleben, das in allem bewußten Erleben vorliegen kann und nicht nur in Erkenntnissen. Wenn Selbstbewußtsein vor aller Kognition (etwa in allen bewußten Gefühlen etc.) mitgegeben sein kann, dann sind diese "mentalen Zustände" immer schon dem Selbstbewußtsein erschlossen und können so prinzipiell jederzeit auch denkend (und damit in Form eines Wissens) verarbeitet werden. Nicht-kognitive selbstbewußte Zustände (oder Vorgänge) sind als selbstbewußte selbstverständlich auch immer schon einer gedanklichen (dann aber: Irrtümer einschließenden!) Verarbeitung miterschlossen. Erst innerhalb derartiger Reflexionsvorgänge wird aus nicht-kognitivem Selbstbewußtsein ein Wissen. Und wenn dieses Wissen ein Wissen über das eigene Erleben, die eigene Geschichte, die eigenen Charakterzüge etc. ist, dann kann von einer Selbsterkenntnis gesprochen werden.

 

###Auch Tugendhat interpretiert mit Wittgenstein Empfindungssätze, in denen das Personalpronomen 'ich' im sogenannten Subjektgebrauch vorkommt, als nicht kognitiv. Tugendhat betont sicherlich zurecht, daß es Wittgenstein auf diese Weise gelungen sei, "sich in gleicher Weise von der introspektiven und der behavioristischen Konzeption abzusetzen [...]." Während Wittgenstein Sätze der Form "ich habe Schmerzen" aber als rein expressiv bezeichne und daher mit dem unmittelbaren Schmerzausdruck "au" gleichsetze, lasse sich entgegen Wittgensteins Auffassung durchaus bei Äußerungen, die das Personalpronomen 'ich' verwenden, von einem 'Wissen' sprechen, was bei reinen Expressionen nicht der Fall sei. Während man "bei einem Ausruf nur von Richtigkeit, nicht von Wahrheit sprechen kann", komme somit dem 'ich' in Empfindungssätzen die Funktion zu, einen Ausdruck zu erzeugen,

der, obwohl er nach derselben Regel verwendet wird wie etwa der Ausruf [etwa der Ausruf: "au", H.W.], dann wahr ist, wenn er richtig verwendet wird, und so ergibt sich der einzigartige Fall von assertorischen Sätzen, die wahr oder falsch sein können und gleichwohl nicht kognitiv sind.

Tugendhat bedient sich folglich nicht nur der analytischen Methode Wittgensteins, sondern teilt auch dessen Resultate - mit einer Ausnahme: bei Empfindungssätzen, die 'ich' verwenden, kann laut Tugendhat von einem Wissen gesprochen werden. Um zu diesem Resultat zu kommen, muß er mehrere Argumente Wittgensteins ausschalten:

a) Nach Wittgenstein kann man - wie bereits gezeigt - nicht von einem Wissen hinsichtlich der Empfindungssätze sprechen, da zu sagen, man wisse, daß man Schmerzen habe, nichts anderes bedeuten könne, als daß man eben Schmerzen habe.

b) Weiterhin - so Wittgenstein - sei bei Empfindungssätzen ein Zweifel logisch ausgeschlossen. Wo ein Zweifel jedoch ausgeschlossen sei, dort könne auch von einem Wissen nicht die Rede sein.

c) Außerdem sei die Empfindungsäußerung unter Einbindung des 'ich' (im Subjektgebrauch) analytisch identisch mit dem bloßen Schreien oder Stöhnen.

Tugendhat bemerkt zunächst gegen (a), daß die Aussage, daß ich mich in einem bestimmten Zustand (etwa des Zahnschmerzes) befinde, ein unmittelbares Wissen beinhalte, also nicht bloß eine Meinung, womit der Zusatz 'ich weiß, daß' sehr wohl gerechtfertigt sei. Es stelle sich aber die Frage, wie genau Wittgenstein 'Wissen' verstanden wissen wolle. Der in (b) angesprochene ausgeschlossene Zweifel erkläre zwar die Ablehnung Wittgensteins, mache sie aber nicht ohne weiteres plausibel. Zwar sei bei jeder Aussage ein Zweifel logisch möglich (selbst wenn er sich als unbegründet herausstelle), wodurch der expressive Charakter der Empfindungsäußerungen deutlich werde, der Ausruf "au" unterscheide sich aber von der Äußerung "ich habe Schmerzen" schon dadurch, daß auf letzteren und nur auf letzteren mit 'Ja' oder 'Nein' geantwortet werden könne. Diese Möglichkeit ergebe sich durch die Ergänzung 'ich' im Satz "ich habe Schmerzen",

weil der Sprecher mit diesem einzigartigen singulären Terminus auf sich so Bezug nimmt, daß er sich damit nicht identifiziert, aber weiß, daß derselbe, den er nicht-identifizierend meint, durch andere singuläre Termini ('dieser da', 'Herr X') identifizierbar ist.

Unter einem 'kognitiven Satz' soll ein Satz der Form 'a ist F' verstanden werden,

bei dem mittels 'a' ein Gegenstand so identifiziert wird, daß dann festgestellt werden kann, daß das Prädikat 'F' auf Grund der für es geltenden Kriterien auf den so identifizierten Gegenstand zutrifft: so erkennen wir, daß a F ist.

Ein Empfindungssatz ist jedoch durch Merkmale charakterisiert, die einen Irrtum ausschließen: Entweder wird er anders als regelkonform verwendet werden (das heißt: 'nicht sinngemäß' verwendet werden, etwa wenn das Wort 'Schmerz' versehentlich oder absichtsvoll für 'grün' gebraucht wird), dann aber kann man bei einem entsprechenden Satz nur von seiner 'Unrichtigkeit' oder "Richtigkeit, nicht von Wahrheit sprechen". Oder er wird richtig (sinngemäß) gebraucht, so ist er unbezweifelbar: Man kann also fragen, ob 'Schmerz' der korrekte Ausdruck für eine Empfindung ist; man kann aber nicht fragen, ob man wirklich Schmerzen hat, wenn das Wort 'Schmerz' korrekt verwendet wird. Ganz anders verhält sich dies bei nicht-expressiven Sätzen: Selbst wenn die Wörter "Regen/es regnet" sinngemäß verwendet werden, kann man sich darin irren, daß es regnet, wenn man sagt: "Es regnet" oder "Ich weiß, daß es regnet". Also spricht der letzte Satz eine Erkenntnis aus und ist per definitionem kognitiv.

Dementsprechend würde in einem Empfindungssatz, "wenn er überhaupt kognitiv wäre, immer eine Erkenntnis - und nicht nur eine mögliche Erkenntnis - zum Ausdruck kommen [...]." Nun gibt es "beim kognitiven Satz [...] außer der Möglichkeit der Regelwidrigkeit auch die Möglichkeit des Irrtums." Daraus läßt sich laut Tugendhat schließen, daß es auf Grund der Empfindungssätze, die 'ich' im Subjektgebrauch verwenden, "den Sonderfall assertorischer und gleichwohl nicht kognitiver Sätze gibt."

 

In (c) wurde die These Wittgensteins referiert, welcher zufolge die Empfindungsäußerung unter Einbindung des 'ich' (im Subjektgebrauch) analytisch identisch mit bloßem Schreien oder Stöhnen sei. Von hier soll die Kritik an Tugendhat ihren Ausgang nehmen.

Ein 'au' kann ebenso wie der Satz 'ich habe Schmerzen' in zweierlei Sprachspiele eingebunden sein: Entweder (1) die beiden Ausdrucksweisen dienen nicht der Mitteilung, etwa wenn ich alleine in einem Raum bin und vor Schmerz "au!" ausrufe oder auch "Mein Gott, ich habe Schmerzen!". Hier kann von einer Mitteilung nicht die Rede sein, denn ich kann mir selbst nicht das Vorliegen einer bewußten Empfindung mitteilen (weil ich von ihr schon ein Bewußtsein habe). Oder (2) ich möchte jemand anderen auf meinen Schmerz aufmerksam machen, etwa um ein Attest von einem Arzt zu erhalten, indem ich "au" ausrufe oder wieder "ich habe Schmerzen!". In diesen beiden Fällen handelt es sich um eine Mitteilung, und sie kann (absichtsvoll oder versehentlich) nicht sinngemäß sein; wenn sie aber sinngemäß ist, kann sie nur dann unwahr sein, wenn ich lüge. Irren kann ich mich in diesem Fall, wie es bei einem kognitiven Satz möglich wäre, jedoch nicht. Nun läßt sich aber zeigen, daß ich, wenn ich eine der Ausrufformen mitteilend einsetze (und nur diesen Fall behandelt Tugendhat), sowohl im Satz "ich habe Schmerzen!" als auch im Ausruf "au!", mit dem ich den Arzt auf meine Schmerzen aufmerksam machen möchte, das Wort 'ich' verwende: im ersten Fall explicite, im Falle von 'au' implicite, denn ich setze im Falle einer Mitteilung über mein Empfinden voraus, daß der andere mich als diejenige Person identifiziert, die Schmerzen hat. Bei 'au!' handelt es sich folglich im Falle einer Mitteilung lediglich um eine Ellipse, womit Tugendhats Widerlegung Wittgensteins durch den Hinweis auf die Funktion des 'ich' im Satz "ich habe Schmerzen" brüchig wird: Entweder gilt dasselbe für 'au' wie für den vollständigen Satz unter Verwendung von 'ich'; beide haben sich - wie in der hier unter (c) aufgeführten These Wittgensteins - als analytisch identisch erwiesen. Oder die These Tugendhats - wonach der explizite Zusatz des Wortes 'ich' die Rede von einem Wissen betreffs der Empfindung ermögliche - trifft schlicht nicht zu, dann kann von einem 'Wissen' weiterhin und in beiden Fällen nicht die Rede sein.

Diese Argumentation reicht freilich alleine noch nicht aus. Wird sie aber durch Überlegungen zu Wittgensteins hier unter (a) und (b) aufgeführten Argumenten ergänzt, so dürfte sie an Stichhaltigkeit gewinnen.

In (a) behauptet Wittgenstein, der Zusatz "ich weiß, daß" zu "ich habe Schmerzen" sei entweder tautologisch, da ich mich über meine Schmerzen nicht täuschen könne, also immer schon über ein "Wissen" verfüge: Die Aussage "ich weiß, daß" liegt also in diesem Falle implicite bereits in der Aussage "ich habe Schmerzen" vor. Oder aber es ist nicht sinnvoll, dort von einem "Wissen" zu sprechen, wo Zweifel oder Irrtum logisch ausgeschlossen sind. Dann ist der Zusatz unsinnig (oder nur sinnvoll - wie Wittgenstein sich ausdrückt -, wenn ich ihn "im Spaß" verwende). Und diese "Unsinnigkeit" liegt laut Wittgenstein tatsächlich vor, wie sich aus (b) ergibt. Die Stichhaltigkeit dieser Überlegung, wonach es nicht sinnvoll sein kann, dort von einem 'Wissen' zu sprechen, wo Zweifel und Irrtum ausgeschlossen sind, muß hier aber nicht nochmals erläutert werden, da sie an anderer Stelle bereits dargelegt wurde.

 

So ergibt sich zusammenfassend, daß, während Frank die These vertritt, (nicht Selbstbewußtsein als solches, sehr wohl aber einzelne) Empfindungen seien epistemische Phänomene, sie seien daher kognitiv zu interpretieren und beinhalteten insofern immer schon ein Wissen, Tugendhat Empfindungen und Empfindungsäußerungen als nicht-epistemische Phänomene und als nicht kognitiv betrachtet, die entsprechenden Äußerungen aber, sofern sie ein 'ich' im Subjektgebrauch verwenden, dennoch als Wissen klassifiziert. Der vom Autor vertretenen These nach können hingegen - im Einklang mit Wittgenstein - sowohl Empfindungen als auch Empfindungssätze, bei denen 'ich' im Subjektgebrauch verwendet wird, weder als epistemisches Phänomen oder als kognitiv noch als ein Wissen (im wissenschaftlichen Sinne) verstanden werden.###

Sinn - Erfahrung - Subjektivität
in wissenschaftlichen Theorien des zwanzigsten Jahrhunderts

Bei der Untersuchung der Umbrüche innerhalb der behandelten wissenschaftlichen Strömungen traten, bei aller Unterschiedenheit im Detail, dennoch gemeinsame Tendenzen zutage, in denen sich die Suche nach neuen Bezugseinheiten für gesellschaftliche, psychologische und philosophische Forschungen bemerkbar machte: Systeme, die eine Umwelt ausdifferenzieren (Luhmann), ein sich selbst modifizierendes Erleben, das sich strukturiert (Freud) oder auch, wie im Szientismus, eine auf Beobachtung, Diskurs und Sprache (Sinnkriterien/Sprachspiele) hin angelegte Betrachtung der Wissenschaft als ganzer, nicht mehr nur eines "erkennenden Subjekts". An die Stelle der Annahme möglicher Korrespondenzen zwischen Theorie und Realität treten heute allerorten Begriffe wie 'Bewährung' oder 'Bestätigung', die nicht nur auch, sondern gerade für die Wissenschaften eine Abkehr vom Gedanken absoluter, endgültiger Wahrheit einfordern.

Da auch Erfahrung immer nur stattfindet im Rahmen einer übergreifenden Struktur, wird sie nach Vorstellung der hier behandelten wissenschaftlichen Strömungen vermittelt im Rahmen von bewußten respektive kommunizierenden Sinnsystemen (Luhmann), im Rahmen eines strukturierten Erlebens (Freud) oder im Rahmen einer an der Sinnhaftigkeit der Sprache oder der Prüfbarkeit von Theorien orientierten diskursfähigen Ordnung (Szientismus). Der Begriff des Sinns, gekoppelt an einen modifizierten Begriff der Beobachtung, läßt so ein neues Verständnis des Begriffs der Erfahrung entstehen. Erfahrung wird dabei nicht mehr nur an den einen Fall der 'Einheit eines Bewußtseins' gekoppelt. Erfahrungen werden auch von anderen Systemen, Einheiten gemacht, sind ebenso Teil des Erlebens wie der Kommunikation (und damit auch des Wissenschaftssystems).

Setzt man Sinn und die damit verbundenen Konsequenzen für Erfahrung ins Zentrum, so entsteht augenblicklich auch die Frage nach einer neuen Bestimmung des Subjektivitätsbegriffs. Unter Umständen bedeutet das hier resümierend in Thesen gefaßte Verhältnis von Sinn und Erfahrung (besonders bei Luhmann) die Aufgabe des traditionellen Subjektbegriffs. Luhmann möchte den Gedanken, es gebe ein Subjekt, das Träger von Erkenntnissen sei, ganz eliminiert wissen. Freud setzt anstelle des Subjekts ein in sich interdependentes psychisches System mit den Funktionssystemen Ich, Über-Ich und Es. Dem Szientismus reduziert sich auf der einen Seite die Bedeutung des Subjektbegriffs auf die Leistung der Transformation individueller Erfahrung in die Intersubjektivität der Sprache. Auf der anderen Seite geraten neuerdings Fragen nach dem, was Subjektivität überhaupt heißen kann, wieder ins Zentrum der analytischen Philosophie - eine Tatsache, die von kaum zu unterschätzender Bedeutung sein und einschneidende Folgen gerade für diese Strömungen haben dürfte, denn den verschiedenen Ausprägungen des Szientismus gemeinsam war seit jeher die Selbstverständlichkeit, mit der an der subjektivitätsphilosophischen Tradition partizipiert wurde, ohne ausreichend die immer fraglicher werdende Kompatibilität von Subjektivitätsphilosophie und Szientismus zu problematisieren.

Sowohl der Sinnbegriff als auch der Erfahrungs- und der Subjektivitätsbegriff befinden sich nach wie vor in allen untersuchten Modellen im Umbruch. Als "wissenschaftliche Revolution" mag dieser Umbruch einst erfaßt und nachverarbeitet werden. Man wird dann klüger sein als heute, Fehlentwicklungen gekennzeichnet, Anschlußmöglichkeiten selegiert haben. Im Augenblick läßt sich jedoch noch nicht von einer Revolution sprechen: Die Veränderungen, so eruptiv ihre Folgen einmal erscheinen mögen, laufen aus momentaner Sicht eher im Schneckentempo wissenschaftlicher Evolution: Wo man hinsieht, erblickt man vor allem mühsam erarbeitete Modifikationen und ein fortwährendes Ringen mit den aus noch so klein erscheinenden Veränderungen folgenden großen Abstimmungsproblemen, die aus den zunehmend an Kontur gewinnenden Brüchen mit der Tradition hervorgehen.

Hinweis an den Leser

 

Sigmund Freud wird unter ausschließlicher Angabe der Band und Seitenzahl zitiert nach:

 

Freud, S.: Gesammelte Werke. Hrsg. von A. Freud u.a. 17 Bde. London 1940-1952,

 

sowie als 'Entw.' nach:

 

Freud, S. (1950): Entwurf einer Psychologie. In: Ders., Aus den Anfängen der Psychoanalyse. Briefe an Wilhelm Fliess. Abhandlungen und Notizen aus den Jahren 1887-1902 (S. 371-466). London.

 

Das Literaturverzeichnis enthält die vollständigen Angaben zu den einzelnen Titeln der verwendeten Freudschen Schriften.

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