Wilhelm *Luetterfelds* Universitaet Passau Deutschland "*IST DIE BASIS UNSERER SPRACHSPIELE ZWAR WAHRHEITSNEUTRAL, ABER DENNOCH EPISTEMISCH GEWISS?*" *BUCHBESPRECHUNG* zu: KOBER, Michael (1993) Gewissheit als Norm. Wittgensteins erkenntnistheoretische Untersuchungen in UEBER GEWISSHEIT; in: Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 35; hrsg. v. Mittelstrass, J.; Patzig, W.; Wieland, W.; pp. 429; Cloth; ISBN 3-11-014026-8; DM 198,00; Berlin, New York Michael Kober legt eine ausfuehrliche Darstellung und detaillierte Rekonstruktion von Wittgensteins erkenntnistheoretischen Untersuchungen in "Ueber Gewissheit" vor, deren zentrale These lautet: "GEWISSHEITEN GEHOEREN ZU DEN NORMATIVEN FUNDAMENTEN DER SPRACHSPIELE, IN DENEN SIE ALS GEWISSHEITEN FUNGIEREN, das heisst, SIE SIND TEIL DER KONSTITUTIVEN BEDINGUNGEN DIESER SPRACHSPIELE" (S. 200 f). Derartige Gewissheiten wie z. B. "Das ist eine Hand" oder "Die Erde ist rund" sind weder wahr noch falsch, weil sie erst angeben, was darunter im Sprachspiel zu verstehen ist; sie sind nicht deskriptiv und auch nicht praeskriptiv, weil sie die Regeln verstaendnisvollen Sprechens festlegen; sie "konzeptualisieren" insofern die Sprachspiel-Welt, haben nur zum Schein den Charakter einer behauptenden Mitteilung und koennen schliesslich wegen ihrer Irrtumsneutralitaet auch nicht sinnvoll angezweifelt oder gar letztlich begruendet werden (S. 197 ff). Gewissheiten sind insofern - wenn auch als "empirisch KONTINGENTE Saetze" - von sprachspielimmanenten Formen des Wissens zu unterscheiden, die Behauptungen darstellen, die wahrheitsfaehig sind und begruendet bzw. bezweifelt werden koennen (S. 136 f). Wenn Gewissheiten die Grundlage des sprachspielrelativen Wissens ausmachen, dann sind sie insofern ein zentrales Element von Lebensform und Weltbild (als dem "Konglomerat unterschiedlicher Praktiken") (S. 156 ff). Erworben werden derartige normative, weltbildkonstituierende "Wahrheits- und Rationalitaetsstandards" zunaechst durch abrichtende Erziehung zu einer Sprachspiel-Praxis, die sich als Uebereinstimmung im Denken, Meinen, Sprechen und Handeln realisiert (S. 172 ff). Empirisch-naturalistisch laesst sich die Begriffsbildung einer bestimmten Version der sprachspielkonstituierenden Gewissheiten und Regeln nicht begruenden, so etwa auch des Urmeters als Darstellungsmittel der Groesse nicht, auch wenn die Tatsachen der Welt fuer eine derartige Begriffsbildung notwendige Voraussetzungen sind (S. 185 f). Und eine subjektive Begruendung durch Rueckgang auf private Bewusstseinszustaende faellt gleichfalls weg. Wissen ist insofern antisolipsistisch eine soziale Praxis, ohne dass Wittgenstein auf die pragmatische Position eines sozialen Nutzens der Sprachspiele festzulegen waere. Sprachspielnormen implizieren wegen ihres Bezuges auf Welttatsachen darueber hinaus auch immer Ausdruecke, in denen mittels fundamentaler Ostension die Ausdrucksbedeutung und Ausdrucksreferenz allererst festgelegt wird (S. 219). Dies geschieht freilich in einer Konzeptualilsierung der Wirklichkeit die sich moeglicherweise nur auf aspekthafte Weltbild-Ausschnitte bezieht, da wir ueber keine wirklichkeitsneutrale Weltbeschreibung verfuegen (S. 230 f). Die Wahrheit unserer Behauptungssaetze ist insofern auch keine Frage der Wirklichkeitsuebereinstimmung, sondern sie haengt von den Verwendungsregeln der Saetze im jeweiligen Sprachspiel ab, d.h. von ihren "AEUSSERUNGSBEDINGUNGEN", so dass auch das Wahrheitskriterium in der Uebereinstimmung der Meinungen und Handlungen zu sehen ist (S. 238 ff). Fuer Kober impliziert Wittgensteins Konzeption des Wissens die ontologische These eines "kollektiv-externen Idealismus", der die externe Existenz einer Wirklichkeit voraussetzt, die wiederum die Begriffe unserer Sprachspiele zwar einerseits in gewisser Weise determiniert, deren Konzeptualisierung jedoch andererseits gleichermassen von den Gewissheiten und Regeln des Sprachspiels abhaengt (S. 250 ff). Dies noetigt jedoch nicht dazu, dabei im Sinne Kantischer Transzendentalphilosophie von synthetischen Saetzen (Regeln) a priori zu sprechen (S. 263). Abschliessend erlaeutert Kober Wittgensteins Konzept des Wissens an zwei Beispielen - dem des mathematischen Wissens und dem der persoenlichen Identitaet. In Abhebung vom traditionellen Subjekt- Essentialismus sind fuer Wittgenstein personale Identitaetskriterien ebenso sprachspielabhaengig wie dasjenige, was die Einheit einer Person ueber Raum und Zeit hinweg konstituiert, naemlich ein durch Familienaehnlichkeit verknuepftes Buendel von Sprachspielen (S. 305 ff). Eingebettet ist Kober's Darstellung und Rekonstruktion des Wittgenstein'schen Wissenskonzeptes einerseits in eine Erlaeuterung von Grundbegriffen und Grundpositionen dieses Konzeptes und andererseits in eine Auseinandersetzung mit der Weltbildproblematik und dem Skeptizismus. So kann dieses Konzept ohne eine detaillierte Kenntnis der Wittgensteinschen Begriffe von Sprachspiel, Familienaehnlichkeit und Lebensform nicht hinreichend begriffen und es muss zudem auf dem Hintergrund dessen gesehen werden, was fuer Wittgenstein ein korrektes Verstaendnis philosophischer Probleme und ihrer "Loesung" ausmacht. Waehrend all dies eher eine deskriptiv-informative Funktion fuer Wittgensteins Theorie des Wissens hat, antizipiert und spezifiziert seine These von der Autonomie der Grammatik und sein Begriff des "grammatischen Satzes" (im Unterschied zum Erfahrungssatz) jene Konstitutionsfunktion, die im Wissenskonzept den sprachlichen Gewissheiten und Regeln bzw. Normen fuer Sprachspiel und Wirklichkeit zukommen. Denn es ist die Grammatik selber, die ebenso den sinnvollen und wahrheitsfaehigen Gebrauch der Sprache allererst festlegt, wie sie angibt, was im Rahmen eines Sprachspiels ueberhaupt "wirklich" heissen kann, ohne dass dies noch durch einen Rekurs auf die Wirklichkeit zu rechtfertigen waere. Und in den "grammatischen Saetzen" werden eben diese Normen autonom und konstitutiv formuliert (S. 50 ff). Gleichfalls von zentraler Bedeutung fuer Wittgensteins Konzept des Wissens ist der Regel- bzw. Normbegriff auf dem Hintergrund einer Invarianz der Wirklichkeit. Menschliches Verhalten ist fundamental durch Regeln bestimmt, deren Verwirklichung nur in sozialer, nichtprivater, institutioneller Praxis und deren Handlungsuebereinstimmung moeglich ist (S. 75 ff). Es sind denn auch die Regeln des sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltens, ueber die Wittgenstein eine Theorie der Bedeutung und des Verstehens zu gewinnen sucht. Darin verwirft er alle Versuche, derartiges psychologisch, sprachextern-materialistisch, behavioristisch und gehirnphysiologisch - also empirisch - zu erklaeren. Am Beispiel innerer Verstehens- und Bedeutungsbilder bzw. der dispositionalen Zustaende der Seele und des Bewusstseins erlaeutert Kober Wittgensteins Kritik wie auch an der Sprache der Empfindungen (S. 114 ff). Interessant fuer den Antipsychologismus Wittgensteins ist lediglich, "was es bedeutet, zu sagen 'Er versteht...' (o.ae.), d. h. welche Arten von Spielzug in einem Sprachspiel mit einer solchen Aeusserung vollzogen werden kann" (S. 117). Und dies gilt auch fuer die korrekten Begriffe des Wissens, der Gewissheit und des Zweifels. Entsprechend sind die Kriterien des Wissens solche, die objektiv im Handeln zum Ausdruck kommen (S. 123). Und gegenueber psychologisch subjektiver Gewissheit und entsprechenden Zweifelszustaenden ist es die logisch-objektive Verwendungsweise ihrer Ausdruecke, die fuer Wittgenstein im Vordergrund steht, ohne dass freilich eine eindeutige Unterscheidung zwischen beiden immer moeglich ist (S. 128). Von den Konsequenzen, die sich aus Wittgensteins Konzept des Wissens ergeben, eroertert Kober das Problem des Kulturrelativismus bzw. des Verstehens fremder Kulturen, das sich vor allem auf die Vergleichbarkeit und Bewertbarkeit der epistemischen Qualitaet von Weltbildern bezieht, und das des Skeptizismus. Fremde Kulturen verstehen, heisst antipsychologisch, die Sprachspielregeln unserer Handlungsweisen kennen und Handlungsweisen fremder Lebensformen aufgrund ihrer Aehnlichkeit mit den eigenen in ein Verstaendnis ueberfuehren, wobei die gemeinsame Handlungsweise das Beziehungssystem darstellt (S. 328). Es gibt insofern nur Verstehenskriterien, die dem eigenen Weltbild entspringen, so dass sich die Frage nach einer objektiven Verstehensposition nicht stellen kann. Dies impliziert fuer Kober weder einen Kulturrelativismus, der von der Unvergleichlichkeit, von der immanenten begrifflichen Relativitaet und Gleichwertigkeit der Lebensformen ausgeht, noch einen Kulturrationalismus, der aufgrund der begrifflichen Universalitaet und einer objektiven Realitaet und Wahrheit einen Weltbildvergleich ebenso fuer moeglich haelt wie eine entsprechende Bewertbarkeit. Diese Kontroverse ist nach Kober unentscheidbar (S. 333 f), da eine Entscheidung ein weltbildneutrales Kriterium voraussetzt, ueber das wir jedoch nicht verfuegen. Diese Ueberzeugung erlaubt es Wittgenstein auch, Wandel und Veraenderung von Handlungsweisen, Regeln und Weltbildern begrifflich zu erfassen, ohne die Kulturen voneinander relativistisch zu isolieren, ohne sie aber auch extern-rationalistisch auf eine invariante objektive Wahrheit und Wirklichkeit hin - etwa im Rahmen eines Wissenschaftsfortschritts - zu buendeln. Mit einigen Ausfuehrungen zu Varianten des modernen Skeptizismus beschliesst Kober seine "Philosophische Untersuchung". Die "Widerlegung" des Aussenweltskeptizismus durch Moore und Malcolm haelt Kober fuer misslungen, wobei er darueber hinaus "eine philosophische Loesung des skeptischen Problems" prinzipiell nicht anzugeben vermag (S. 371). Denn dazu waere ein sprachspielexterner Standpunkt erforderlich, der die "Kluft" zwischen dem tatsaechlichen Handeln "in der Aussenwelt" und der Immanenz dieser Welt im Sprachspiel etwa unserer Sinneserfahrung schliesst; doch dazu geben auch Wittgensteins Untersuchungen, die sich kaum "intensiv" mit Moore's Ausfuehrungen beschaeftigt haben, sondern mit Malcolms Version derselben (S. 21 ff), kaum Mittel an die Hand. Entsprechend sind fuer Wittgenstein die Moore'schen Saetze, die den Aussenweltskeptizismus widerlegen sollen, (lediglich) sprachspiel- und wirklichkeitskonstitutive Normen, ohne dass infolge des damit gegeben "externen Idealismus" eine Moeglichkeit bestuende, die Objektivitaet und Wahrheit dieser Regeln zu begruenden. Die zweite Variante des von Kober diskutierten Skeptizismus ist der Regelskeptizismus, wie ihn Kripke entwickelt hat und der fuer Kober nur die sprachspielgewendete Fassung des traditionellen Skeptizismus ist. Dieser Regelskeptizismus resultiert daraus, dass man keine Kriterien dafuer zur Verfuegung hat zu entscheiden, welcher Regel eine (sprachliche) Handlung folgt bzw. folgen soll - ausser einer allerdings regelneutralen und insofern kriterienlosen Praxis. Und dies gilt auch fuer jene Normen, die unsere Sprachspiele konstituieren. Diese Skepsis ist keine Skepsis unserer alltaeglichen sprachlichen Handlungsweise, sondern eine Skepsis der Begruendung der Korrektheit des Regelfolgens - ich weiss eben "nicht wirklich ... ob ich DARAUF das Wort 'Hand' anwenden darf oder nicht" (S. 383). Soweit dieses skeptische Problem bei Kripke in der 1. Person Singular formuliert ist, finden sich in Wittgensteins Untersuchungen nach Kober durchaus begriffliche Mittel, dieses Problem aufzuloesen. Denn es ist die sprachspielimmanente soziale Uebereinstimmung im Urteilen, Sprechen und Handeln, die eine solche Aufloesung ermoeglicht: Weil wir alle darin uebereinstimmen, etwas Bestimmtes "Hand" zu nennen, existiert eben dort eine Hand und nicht umgekehrt (S. 388). Doch damit verschiebt sich das skeptische Problem lediglich auf die soziale Praxis. Denn es ist nicht auszuschliessen, dass wir in Zukunft individuelle Divergenzen zur allgemeinen Uebereinstimmung in der Praxis des Regelfolgens feststellen, sodass selbst die bisherige faktische Uebereinstimmung kein Kriterum enthaelt zu entscheiden, "ob wir alle tatsaechlich DERSELBEN Regel oder Norm folgten" (S. 390). Wittgenstein kann dazu nur feststellen, dass dann - naemlich im Fall der Divergenzen - ein anderes Sprachspiel gespielt wird, eine fuer Kober unbefriedigende Loesung. In einer "abschliessenden Betrachtung" diskutiert Kober einige spaete Hinweise Wittgensteins, aus denen hervorgeht, dass Wittgenstein sich zunehmend der "metaphysischen Voraussetzungen" seiner Philosophie und deren ungenuegender Klaerung bewusst wird (S. 395); so etwa der Idealismus-kritischen und die Autonomie der Grammatik einschraenkenden Voraussetzung einer "relativen Invarianz der Wirklichkeit" (S. 397) ferner der Tatsachenbedingtheit der Begriffe von Sprachspielen oder auch des Uebereinstimmungskriteriums von Meinen und Handeln, sofern es ohne Wirklichkeitsuebereinstimmung der Sprachspielregeln und Sprachspielsaetze einseitig verabsolutiert wird - fuer Kober "eher Zeugnisse einer philosophischen Verwirrung" (S. 399). Die Ausfuehrungen zur "raetselhaften Bemerkung PU 133" beenden Kobers Untersuchungen. Dass sich Sprachspiele letztlich nur beschreiben, nicht aber rechtfertigen lassen, ist fuer Kober eher "etwas sehr Oberflaechliches" (S. 400) und eine unbefriedigende Antwort auf das philosophische Problem der Begruendung, das freilich nicht bereits deswegen unsinnig ist, weil es bis jetzt noch keine zufriedenstellende Antwort gibt. Was Wittgenstein PU 133 suggeriert, gibt es nicht, naemlich dass wir Beurteilungskriterien dafuer haben, dass bestimmte philosophische Fragen Scheinprobleme artikulieren und adaequat aufloesbar sind (S. 402). Bestenfalls als Programmformulierung ist dies fuer Kober verstaendlich, ohne dass Wittgenstein in "Ueber Gewissheit" selber dieses Programm haette zufriedenstellend realisieren koennen. Soweit die Uebersicht ueber die zentralen Themen und Argumentationen der Arbeit von Kober. Zweifellos hat Kober eine "Philosophische Untersuchung" vorgelegt, die eine ganze Reihe von Vorzuegen bietet. Dazu gehoeren: umfassende und detaillierte Kenntnis der Wittgensteinschen (veroeffentlichten und unveroeffentlichten) Texte; klare, uebersichtliche Darstellungsweise; systematische Entfaltung der Strukturen von Wittgensteins Wissenschaftskonzeption in "Ueber Gewissheit"; faire und kritische Diskussionen der Staerken und Schwaechen zentraler Thesen und Argumentationen; durch Textverweise und Zitate unproblematische Ueberpruefbarkeit der eigenen Interpretationszuege; und schliesslich eine gewissen Selbstkritik, die der haeufigen Dogmatisierung der eigenen Interpretation relativierend entgegenwirkt. Doch natuerlich hat die Arbeit auch Schwaechen, die der Autor oft selber entschuldigend einraeumt. So handelt es sich bei Kobers Arbeit natuerlich nicht um eine globale, das heisst alle relevanten Aeusserungen Wittgensteins beruecksichtigende Darstellung, so dass natuerlich immer auch Einwaende und alternative Interpretationen aufgrund anderer Textzusammenhaenge moeglich sind. Darueber hinaus wird die kritische Diskussion vieler zentraler Thesen Wittgensteins in der Sekundaerliteratur bewusst ausgeblendet, was vor allem fuer das Sprachspielkonzept und den Anti-Essentialismus der Familienaehnlichkeit gilt sowie fuer das Privatsprachenproblem samt der darin intendierten Destruktion des traditionellen Subjektivitaets-Primats (vgl. dagegen S. 98 Anm.) oder fuer den Nachweis der Irrelevanz mentaler Hermeneutik zugunsten eines antipsychologischen Verstehensbegriffes. Deshalb kann hier eine detaillierte Kritik an diesen Thesen Wittgensteins und ihrer Wiederaufnahme durch Kobers Untersuchung unterbleiben. Doch derartige Selbstbeschraenkungen moegen unvermeidlich sein, wenn eine Untersuchung nicht an der unuebersehbaren Fuelle der kritischen Sekundaerliteratur und ihrer ausserordentlich komplexen und verzweigten Argumentationszusammenhaenge ersticken will. Andererseits kann man die Fuelle der Sekundaerliteratur aber auch nicht einfach mit der dann eben nicht belegten Bemerkung beiseite schieben, sie sei "wenig interessant", verkuerze "grossenteils Sachprobleme" und stelle sie "irrefuehrend" dar (S. 11), ohne zudem in Gefahr zu geraten, die eigene Abhaengigkeit von dieser Sekundaerliteratur unfreiwillig zu minimieren. Speziellere Hinweise darauf waeren insofern hilfreich und wuenschenswert gewesen. Und natuerlich lassen sich auch eine Fuelle von Einzeleinwaenden kritisch geltend machen: *(1)* Es ist nicht klar ersichtlich, warum Kober als "wichtigste Ergebnisse" seiner Untersuchung angibt, dass der Denkweg Wittgensteins letztlich zur Einsicht fuehre, wichtige Voraussetzungen seiner Philosophie seien fragwuerdig, weil metaphysisch, und dass Wittgenstein den philosophischen Skeptizismus nicht widerlegt habe (S. 8f.). Denn beides sind doch eher Randthemen und Folgethesen in Kobers Untersuchung der wittgensteinschen Wissenskonzeption, und in deren geglueckter systematischer Darstellung liegt eher das verdienstvolle Ergebnis der Arbeit von Kober. *(2)* Undurchsichtig ist auch, warum Kober die Weltbild- und sprachspielkonstituierende Regeln und Normen "Gewissheiten" nennt und einen entsprechenden Titel fuer seine Untersuchung waehlt. Denn einerseits sollen derartige normative Gewissheiten wahrheitsneutral sein, weil sie erst angeben bzw. determinieren, was "wahr" und "falsch" im Sprachspiel heissen soll (vgl. z.B. S. 208). Aber was ist dann eine wahrheitsneutrale Gewissheit? Andererseits sind derartige Gewissheiten als "grammatische Saetze" durchaus selber "wahr" und nicht bloss "richtig" (S. 61), was die Frage nach dem Typ einer "grammatischen Wahrheit" hervorruft. Zudem sind derartige sprachspielkonstitutive Gewissheiten logisch irrtumsfrei und nicht bezweifelbar (S. 200). Aber dies kann zweierlei heissen: Zum einen koennten wir dabei von Irrtumsfreiheit und Unbezweifelbarkeit sprechen, weil die angeblichen "Gewissheiten" ueberhaupt jenseits epistemischer Kennzeichnungen liegen oder auch epistemisch neutral sind - doch was soll es dann bedeuten, dabei von "Gewissheiten" zu sprechen? Und zum anderen koennten wir die fraglichen Gewissheiten deshalb als irrtumsfrei und unbezweifelbar kennzeichnen, weil sie auf unbestreitbaren evidenten Tatsachen beruhen. Diese koennen aber wiederum nicht beschrieben werden, ohne den Wahrheitsbegriff zu verwenden. Denn es sind Wahrheiten, die irrtumsfrei und unbezweifelbar sein koennen und insofern eben dann auch gewiss. Doch dann handelt es sich bei den fraglichen sprachspielkonstitutiven "Gewissheiten" eben nicht mehr um wahrheits- bzw. falschheitsneutrale Regeln und Normen, die erst angeben, was dies heissen soll. Kober selber zitiert Wittgensteins Satz, dass es die "WAHRHEIT" von Erfahrungssaetzen ist, die als sprachspielkonstitutive Normen "zu unserm Bezugssystem" gehoeren (S. 244), bzw. deren "Wahrheit ... fuer mich unanfechtbar ist" (S. 245); entsprechend muss es aus semantischen Gruenden Tatsachen geben, die gewiss sind (S. 242; vgl. dazu UG 100, 108, 191, 436, 446, 514f.). Die sprachspielkonstitutiven Regeln und Normen sind dann aber ihrerseits als Gewissheiten selber wahr im Sinne einer Uebereinstimmung unserer Erfahrungen und unseres sprachlichen Bezugssystems mit der Wirklichkeit. Doch dadurch wird Kobers Begriff der sprachspielkonstitutiven "Gewissheiten" offensichtlich aporetisch und entsprechend Wittgensteins Konzeption der Gewissheit als normativer Regel paradox, weil sie zugleich wahrheitskonstitutiv, und das heisst wahrheitsneutral, und unbezweifelbar wahr sind. *(3)* Dem entspricht, dass Kober nicht erst am Ende seiner Untersuchung, naemlich bei der Thematisierung der metaphysischen Voraussetzungen, den Wittgensteinschen Wahrheitsbegriff vom Konsensmodell der sprachimmanenten Uebereinstimmung im Urteil und Handeln auf das realistische Korrespondenzmodell hin erweitert und entsprechend der Welt die Funktion beilegt, durch ihre natuerlichen, sich in Erfahrung dokumentierenden Tatsachen die Begriffsbildung der Sprachspiele und damit auch deren konstitutive Regeln durchaus zu "determinieren", wenn auch "nicht mit Notwendigkeit" (S. 186). Selbst wenn es sich dabei nicht um eine determinierende Ursache, sondern um einen schwach determinierenden Grund handeln soll (aber verfuegt die Tatsachenwelt ueber Gruende?) (vgl. S. 256 mit 396f.), bleibt diese Formulierung doch sehr merkwuerdig. Nicht nur wird dadurch die Autonomie der Grammatik massiv eingeschraenkt. Es ist vielmehr auch nicht mehr klar, wieso diese dann keinerlei Wahrheitsimplikation bezueglich der Wirklichkeit aufweisen soll (S. 56). Und zudem geraet Wittgenstein auch hier mit der These von der Tatsachenbedingtheit der Sprachspiele und ihrer Grammatik in ein Paradox: Die Autonomie der Grammatik impliziert infolge ihrer Wirklichkeitsreferenz und der darin liegenden "Determininierung" seitens der Wirklichkeit ebenso die Negation dieser ihrer Autonomie, wie sich umgekehrt jede Grammatik-externe Wirklichkeitsreferenz - reflexiv - als sprachspielimmanent enthuellt (vgl. S. 56ff.). *(4)* Bezeichnenderweise haelt Kober denn auch seine Interpretationsthese eines Wittgensteinschen "kollektiv-externen Idealismus" fuer seine "gravierendste sachliche Ungereimtheit" (S. 266) - sie ist es bereits begrifflich. Denn "Externitaet" besagt eine in "fundamentaler Ostension" realisierbare Beziehung der Sprache auf Welt (S. 215), die dann aber den Sprachidealismus bezueglich dieser Referenz negiert, weil die Bedeutung von "Welt" kein sprachimmanenter Sinn sein kann. Und dies ist in der Tat nicht zufaellig so, was ja ein Blick in die widerspruechlich- dialektische Theoriengeschichte von Idealismus und Realismus mit dem beruechtigten Kernbegriff des Dinges an sich zeigt. Nicht zuletzt laesst diese paradoxe, weil zugleich realistische wie (grammatikimmanente und insofern) idealistische Rechtfertigung der sprachspielkonstituierenden Gewissheiten bzw. grammatischen Saetze durchaus auch eine Vergleichbarkeit mit Kants transzendentalen Saetzen a priori zu, falls man sich ueberhaupt fragt, welcher Satzklasse derartige Gewissheitssaetze angehoeren (vgl.263 mit 261). Dabei muesste man freilich Kants synthetische Saetze a priori aus dem mentalen Kontext blosser Erfahrungskonstitution herausloesen und sprachspielbezogen relativieren. *(5)* Nicht ohne Tragweite fuer Kobers Interpretation ist es auch, dass er in Wittgensteins Untersuchung zwar die Typen der Uebereinstimmung im Handeln und in den Meinungen der Mitglieder einer Lebensform einfuehrt und unterscheidet sowie die Uebereinstimmung in der Lebensform, ferner die von Sprache und Welt wie auch die von Handlung und Regel. Aber das Regelparadox diskutiert er erst im Rahmen des Kripkeschen Normenskeptizismus (S. 379ff.), obwohl es sich ja bereits fuer den Anwendungsfall einer Regel auf eine Handlung stellen muss. Nur deshalb kann Kober es dem Fehlen des "Gespuer[s] fuer Wittgensteins philosophischen Geschmack" anlasten, wenn man Wittgenstein "ernsthaft" einen Regelskeptizismus unterstellen moechte (S. 378). Doch wenn Wittgensteins Rekurs auf die Sprachspieluebereinstimmung diesen Skeptizismus gerade nicht aufloesen kann (S. 387), weil letzterer infolge des Regelparadoxes auch gegenueber der Regelbefolgung innerhalb eines Sprachspiels und dessen immanenter Uebereinstimmung geltend gemacht werden kann, ohne dass dies einfach auf ein mentalistisches "Missverstaendnis" des Regelbefolgens zurueckzufuehren ist, dann darf dies nicht nur Kober "unbefriedigt" lassen (S.391). Denn auf diese Weise wird gerade auch Wittgensteins These vom Primat des sozialen Sprachspiels sowie vom sozialen Charakter des Wissens bei der "Loesung" philosophischer Probleme selber zutiefst fragwuerdig. Denn das subjektiv-individuelle sprachliche Verhalten bleibt dann ein nicht zu beseitigender, irritierender Faktor; eben weil es dann die individuelle Praxis des einzelnen Sprachspiel-Teilnehmers ist, die zumindest mitkonstituiert, was als korrektes Befolgen einer Sprach- oder Handlungsregel zu gelten hat. *(6)* Nebenbei bemerkt erscheint dann auch die These des Spracherwerbs durch soziale Abrichtung ebenso fragwuerdig bzw. ergaenzungsbeduerftig wie etwa die antipsychologische Abwehr eines Konzepts des mentalen Verstehens durch die Reduktion des Verstehens auf das "korrekte" Regelfolgen des (sprachlichen und nichtsprachliche) Handeln? Und zwar deshalb, weil es zum einen kein nicht-skeptisches Kriterium erfolgreicher sozialer Abrichtung eines regelkonformen Handelns gibt. Und zum anderen, weil subjektimmanente Gruende (also keineswegs nur entsprechende Ursachen) fuer die Operation des Verstehens als sprachliche und nichtsprachliche Regelbefolgung nicht einfach ausgeklammert werden koennen, sofern der blosse Rueckgang auf das sozial- uebereinstimmende Verhalten des Einzelnen keinen skepsisfreien Grund des Regelbefolgens abgeben kann. Und dies gilt nicht zuletzt auch fuer den thematisch so wichtigen Begriff der Gewissheit. Auch dessen subjektive, bewusstseinstheoretische Komponente scheint durch das Regelparadox als Basisbegriff unserer Sprachspiele rehabilitiert zu werden. Denn es ist dann immer auch mein individuelles subjektives Handeln, das eben nicht a priori eine soziale Handlungsuebereinstimmung aufweist, welches dennoch das Fundament des Sprachspiels ausmacht, sodass ich keineswegs nur ausschliesslich als stellvertretendes "individuelles Mitglied einer Wissensgemeinschaft" wissen kann (S. 189). Und dann eroeffnet sich durchaus wieder die - allerdings sprachlich vermittelte - cartesianische Variante einer subjektiven Theorie sprachlicher Gewissheit. Der einseitige Rekurs auf die soziale Praxis des Wissens, den Kober unternimmt, verkennt die im Regelparadox nicht eliminierbare Subjektivitaet der Sprache. Bezeichnenderweise blendet Kobers Untersuchung alle Aeusserungen Wittgensteins aus, in denen dieser von der "Logik meiner Sprache" spricht, etwa hinsichtlich ihrer Sonderstellung gegenueber der Sprache der anderen; oder in denen Wittgenstein in "Ueber Gewissheit" etwa feststellt, dass im Falle des "Ich weiss" "die TATSACHE in mein Bewusstsein" aufgenommen wird (§ 90). Fuer die Empfindungssprache bedeutet dies immerhin, dass fuer die auf das Aeussere restringierte Erkenntnis fremder Empfindungen die Unsicherheit nach Wittgenstein keineswegs ein "Mangel" ist, sondern konstitutiv (S. 197) - eine Aeusserung Wittgensteins, die sich mit einschlaegigen Passagen aus seinen "Philosophischen Untersuchungen" begrifflich offensichtlich nicht vertraegt und die einen Sachverhalt darstellt, der in die Empfindungssprache das Moment einer begrifflichen und nicht defizienten Subjektivitaet hineintraegt. Verweist man - wie Kober - mit Tugendhat lediglich darauf, dass sich in dieser keineswegs mangelhaften Unsicherheit bezueglich des Fremdseelischen lediglich eine epistemische Asymmetrie unseres Wissens zeigt, dann beschreibt man lediglich den Sachverhalt, ohne eine Erklaerung dafuer anzugeben, wie es zu dieser Asymmetrie kommt, was wiederum moeglicherweise ohne den Zug einer epistemischen Privatheit in unserem Empfindungssprachspiel nicht gelingt. *(7)* Unbefriedigend ist deshalb auch Kobers Diskussion des Subjekt- und Objektgebrauches von Saetzen der ersten Person (Wittgenstein) sowie sein Versuch, das traditionelle Ich oder Subjekt als Identitaetsinstanz der Person zu ersetzen durch ein Buendel von Rollen unterschiedlicher Sprachspiele. Dabei sind derartige Rollen durch Familienaehnlichkeiten miteinander verknuepft und stellen so die Identitaet einer Person bzw. Persoenlichkeit her. Doch offensichtlich ist dies eine ausschliesslich Person-externe Bestimmung ihrer Identitaet aus der Sicht der Sprachspielrollen, in denen sie auftritt. Kober blendet damit wissentlich aus (vgl. S. 318), dass jede Person sich immer auch aus ihrer Eigenperspektive heraus Bewusstseinszustaende und -erlebnisse (z.B. subjektive Gewissheit) zuschreibt, fuer die ein anderer Typ von Identitaet erforderlich ist sowie eine andere Art der Unterscheidung von sich selbst und der Welt (der personalen wie der physischen). Diese Art interner Identitaet des Subjekts spricht Wittgenstein moeglicherweise im "Subjektgebrauch" vom "ich" an. Und dieser Subjektgebrauch ist es auch, der vielleicht die apriorische, nicht-kontingente Differenz zwischen meiner Sprache und der Sprache anderer Personen im Sprachspiel konstituiert. Es ist eben eine "ganz andere Einstellung", die ich zu meiner Sprache habe als alle andern (PU Kap. X). Was sollte sonst schliesslich die fuer Kobers Thesen so wichtige Unterscheidung Wittgensteins zwischen "subjektiver" und "objektiver" Gewissheit besagen, zumal diese Unterscheidung ja selbst fuer Wittgenstein fliessend ist (S. 125f, 128). Erst recht lassen sich etwa die immer auch subjekt-internen Phaenomene der Moral oder gar die metapyhsischen Fragen nach dem Sinn des Lebens (und nicht nur nach dem der Lebens-Rollen) aufgrund der personalen Buendel-Identitaet von sich ueberschneidenden Sprachspielrollen kaum hinreichend begreifen. *(8)* Als Beispiel fuer normative bzw. sprachspielkonstituierende Gewissheit fuehrt Kober auch Wittgensteins Auffassung vom Urmeter in Paris an. Denn das Urmeter soll als instrumentelles Paradigma unserer Sprache "definieren, was es heissen soll, 1 m lang zu sein" (S. 211). Dann kann aber vom Urmeter diese Laenge nicht sinnvoll ausgesagt werden (S. 211). Doch das Problem ist eben, dass das Urmeter als Darstellungsmittel zugleich ein Vergleichs- Instrument unserer Beschreibung ist. Und als Vergleichs-Faktor muessen wir ihm durchaus die Eigenschaft, 1 m lang zu sein, deskriptiv zuschreiben, weil wir andernfalls keine Vergleichsgroesse haetten, sodass das Urmeter - entgegen Wittgensteins und Kobers Ueberzeugung - zugleich "Mass und Gemessenes" ist, und zwar in ein und derselben Praxis (vgl. dagegen S. 211 Anm.). Denn in derselben Messpraxis, worin wir das Urmeter an etwas anderes vergleichend anlegen, muessen wir ihm die Eigenschaft, 1 m lang zu sein, zusprechen; dies koennen wir nicht auf eine "andere Praxis" verschieben, worin wir etwa einen "unbekannten Stab" als 1 m lang beschreiben (ebd.) oder die Referenz von "1 m lang" festlegen. Darin wiederholt sich die Paradoxie, dass die normativen "Gewissheiten" unserer Sprachspiele allererst festlegen, was z.B. "wahr" und "falsch" heisst, und dass sie zugleich selber den apriorischen Fall einer Sprachspielwahrheit samt entsprechendem Wissen darstellen. In der Tat dokumentiert sich darin eine von Wittgenstein unaufgeloeste Wahrheitsaporie der normativen Gewissheiten (S. 248f.), die dazu noetigt, Wahrheit zugleich als sprachspielimmanente Kohaerenz wie als Welt-Korrespondenz zu konzipieren und die eine klare Unterscheidung zwischen beiden Kriterien dann doch nicht erlaubt, weil beide Typen der Wahrheit ineinander ueberfuehrbar werden. Zugleich ebnet sich damit auch der kategoriale (S. 198) - und nicht "kategorische" - Unterschied (S. 140, 146) von "Sicherheit" und "Wissen" ein. Dies koennte nicht zuletzt eine Erklaerung dafuer bieten, dass auch der kategoriale Unterschied zwischen Erfahrungssaetzen und logischen bzw. grammatischen Saetzen in beiden Richtungen fuer Wittgenstein fliessend ist. *(9)* Kober fuehrt eine "FUNDAMENTAL-OSTENSION" ein, die dem Erwerb des Wissens und der spachspielkonstitutiven Normen bzw. Gewissheiten ("Dies ist eine Hand") zugrunde liegen soll, und zwar im Sinne von Wittgensteins "hinweisende[m] Lehren" (S. 215ff.). Um dem von Wittgensteins selber erhobenen Einwand zu entgehen, die erfolgreiche Durchfuehrung der Ostension zwecks Ausdrucksdefinition bzw. referentieller Ausdrucksfestlegung setze bereits Sprachspielbeherrschung voraus (was auch Kobers These des Spracherlernens durch vorrationale Abrichtung negieren wuerde), soll die "Fundamental-Ostension" nach Kober nicht bewusst und nicht intentional sein (S. 217). Doch andererseits muessen durch die "Fundamental-Ostension" bestimmte fuer deskriptive Sprachspiele fundamentale Ausdruecke einen sprachexternen Bezug zur Welt erst erhalten (S. 218). Fraglich ist jedoch, wie man diesen Welt-Bezug der Ausdruecke kennenlernen kann, ohne bereits sprachlich zu "wissen", dass es sich bei der sprachlichen Geste um ein "Hinweisen" auf etwas Sprachspieltranszendentes handelt. *(10)* Zugestanden, dass es weder beweisbar noch widerlegbar ist dass Wirklichkeitserfahrung aspekthaftes Erfassen der Wirklichkeit ist, oder sprachlich "Weltbild-GETRAENKT", eben weil wir ueber kein wirklichkeitsneutrales Beschreibungspotential verfuegen (S. 230). Nun beruht der Sinn dieser Argumentation offenbar auf dem begrifflich moeglichen Dualismus von sprachlicher Beschreibung samt immanenter Bedeutung und Wirklichkeit, sodass dieser Dualismus durch die obige Argumentation gerade nicht verabschiedet wird, wie Kober selber zurecht feststellt (S. 231). Aber wie vertraegt sich die dieser Argumentation zugrundeliegende These vom Fehlen einer weltbildneutralen sprachlichen Beschreibung mit Kobers Konzept, demzufolge es eine "Beschaffenheit der Welt" gibt, die zu den Sprachspielvoraussetzungen gehoert und die unsere Logik, unsere "Regeln" und "Normen", wenn auch nicht mit Notwendigkeit, so aber dennoch determiniert (S. 186, 254)? Wittgenstein selber schwankt nicht zufaellig zwischen der Auffassung von der Tatsachenbedingtheit unserer Sprachspiele samt Einschraenkung grammatischer Autonomie und der Einsicht, dass auch diese Auffassung sprachspielintern relativiert werden muss ("Uebereinstimmung mit Tatsachen" ist selber ein spachspielimmanenter Zug (S. 55f., 60, 183, 396ff)). Jenes folgt aus der Wirklichkeitsreferenz unserer Sprache, dieses daraus, dass alle Phaenomene sprachlicher Natur sind. Doch dann ist die These, wir verfuegten nicht ueber eine weltneutrale sprachliche Beschreibung und muessten offenlassen, ob in unseren Sprachspielen die Welt nur aspekthaft erfasst wird oder nicht, einzuschraenken: In jedem Aspekt zeigt sich die Welt immer auch, wie sie wirklich ist, was aus der Tatsachenbedingtheit unserer Sprachspiele folgt. Doch diese Einsicht operiert selber mit einem sprachspielimmanenten Begriff von "Tatsachen", so dass wir das Verhaeltnis von Aspekt und Welt zugleich offen lassen muessen, was wiederum Kobers These rechtfertigt. Es ist der alte Realismus- Idealismus-Zirkel im Verhaeltnis von Ding an sich und Erscheinung, der sich hier bei Wittgenstein wiederholt. Kobers Argumentation zugunsten einer Unentscheidbarkeit der Aspekthaftigkeit unserer Wirklichkeitssprachspiele ist insofern einseitig. Dies geht ja schon daraus hervor, dass der Sinn des Ausdrucks "Welt" oder "Wirklichkeit" nicht angebbar ist, wenn wir offenlassen muessen, ob wir die Welt bzw. Wirklichkeit aspekthaft beschreiben oder nicht - denn was soll dann der definitive Sinn dieser Ausdruecke sein, wenn fraglich ist, ob die sprachexterne Bedeutungskomponente zu ihnen gehoert oder nicht? *(11)* Dieselbe Argumentation laesst sich offenbar auch in der Streitfrage "Kulturrelativismus oder Kulturrationalismus?" geltend machen. Denn beide Thesen sollen sich deshalb nicht vertreten lassen und insofern unentscheidbar sein, weil wir kein nachweisbares "Weltbild-neutrales" Kriterium zur Verfuegung haben - so Kober (S. 354f.). Denn dies gilt offenbar nur unter zwei Voraussetzungen: Zum einen beziehen sich die Kulturen samt ihren Weltbildern auf dieselbe Wirklichkeit; und zum anderen ist diese Wirklichkeit etwas ihnen Externes. Dann muessen sich aber fuer diesen kulturuebergreifenden, identischen Weltbezug auch kulturneutrale Kriterien angeben lassen . Andernfalls waere dieser nur ein Kultur- bzw. Weltbild-immanenter monadischer Referenzbegriff, der jedoch in sich schon selbstwiderspruechlich ist. Kober spricht bezeichnenderweise davon, dass "ein und dasselbe gegebene Phaenomen in verschiedenen Kontexten [der Weltbilder] unterschiedlich konzeptualisiert werden kann" (S. 347). Insofern rekurrieren die klulturverschiedenen Sprachspielkonzepte auf Sprachspiel-externe, identische Beschaffenheiten der Welt. Doch dann verfuegen wir auch ueber interkulturelle Kriterien fuer das Ausmass der Wirklichkeitsentsprechung der Weltbilder und ihrer epistemologischen Qualitaet. Und es ist durchaus berechtigt, von einer Fortschrittsentwicklung etwa der Rationalitaet von Weltbildern oder ihrer "Naturwissenschaften" zu sprechen. Darueber hinaus ist dann die individuelle Akzeptanz eines kulturellen Weltbildes keineswegs nur eine Frage der historisch-faktischen, individuell-biographischen Eingebundenheit in dessen Lebensform, wie auch der "historische Wandel" der Weltbilder keineswegs nur "eine Veraenderung auf dem (historischen) Boden der zur Verfuegung stehenden Fragen und Informationen innerhalb der praktizierten oder ueberlieferten diskursiven Sprachspiele der Gemeinschaft" ist (S. 348). Doch dann geraet das Selbstverstaendnis einer Kultur und ihres Weltbildes in das Paradox, wegen der gleichzeitigen Weltbildimmanenz und Weltbildtranszendenz des Wirklichkeitsbezuges und seiner Kriterien allen Kulturen eine symmetrische Gleichwertigkeit einraeumen zu muessen und zugleich eine epistemisch-qualifizierende Hierarchisierung vornehmen zu duerfen, die freilich immer auch Weltbild-immanent und insofern pluralistisch geschieht und deshalb konfliktaer ist. Und ist es nicht dieser widerspruechliche Paradigmen-Begriff der Weltbilder, der die moderne und postmoderne Praxis des spannungsgeladenen Umgangs der Kulturen miteinander zutreffend erfasst? Dieser Widerspruch findet sich nicht zuletzt in Kobers Begriff des Verstehens kulturell fremder Handlungen wieder: Einerseits sind es die eigenen bekannten (!) Sprachspiel-Praktiken, die den Aehnlichkeitsmassstab vorgeben, um unbekannte fremde Praxisformen zu verstehen (S. 322f.), was der eigenen Verstehens-Kultur einen kollektiv-monologischen Vorrang einraeumt. Andererseits gibt es aber auch ein interkulturell gemeinsames "Bezugssystem", naemlich die "gemeinsame menschliche Handlungsweise" (PU 206), sodass wir ueber kulturneutrale Aehnlichkeitskriterien verfuegen, die dem Verstehen fremder Handlungen zugrundeliegen. *(12)* Wenn Wittgenstein die scheinbar absolut gewissen Saetze nur als "grammatische Saetze" auffasst und Kober sie als Sprachspiel- konstitutive, normative Regeln bzw. Gewissheiten interpretiert, dann ist dies in der Tat nur scheinbar eine Widerlegung des Skeptizismus (S. 389, 391). Denn fuer diese grammatischen Saetze stellt sich aufs neue die Frage der Wahrheit im Sinne einer Wirklichkeitskorrespondenz sowie einer entsprechenden objektiven Gewissheit (vgl. S. 247ff). Doch dies nur so aufzufassen, als wuerde sich Wittgenstein damit um das entscheidende Wahrheitsproblem "herumdruecken" oder zumindest dieses Problem als nicht aufloesbar und die entsprechende Wahrheitsfrage als "nicht beantwortbar" ausgeben (S. 248), scheint die Logik zu verkennen, die hinter Wittgensteins Versuch einer Skeptizismus-Aufloesung steckt. Denn der Witz der Wittgensteinschen Argumentation steckt darin, dass es aufgrund der Autonomie der Grammatik nicht sinnvoll ist, im Rahmen von Sprachspielen bestimmte Saetze als absolut wahr und gewiss auszuzeichnen, sofern es sich darin um die Basis-Saetze des Sprachspiels, also um dessen grammatische Saetze handelt, die eben die epistemische Qualitaet von Saetzen ueberhaupt erst angeben und festlegen, was "wahr", aber auch was "gewiss" heissen soll. Denn dann fussen in der Tat letztlich alle Erklaerungen, also auch solche, die die Wahrheit unserer Sprache betreffen, auf Beschreibungen (UG 189). Dieser Beschreibungsgrund ist weder wahr noch falsch (UG 205). Dies bedeutet jedoch, dass sich fuer die sprachspielkonstitutiven grammatischen Saetze ebensowenig das Gewissheitsproblem stellt wie das Skeptizismusproblem - diese Saetze sind gleichsam Skeptizismus-neutral. Und dann folgt aus der Logik dieser Argumentation, dass ein entsprechender Skeptizismus- Verdacht gegenueber den grammatischen Saetzen in der Tat nicht sinnvoll ist (vgl. dagegen S. 249). Doch andererseits haengen natuerlich die grammatischen Saetze nicht in der Luft, sie basieren ihrerseits auf sprachexternen Tatsachen und sind insofern selber wahr - etwa im Sinne der von Wittgenstein genannten "WAHRHEIT gewisser Erfahrungssaetze" unseres Bezugssystems (UG 83). Doch dann stellt sich natuerlich auch fuer die Wahrheitsansprueche dieser grammatischen Saetze das epistemische Begruendungs- bzw. Rechtfertigungsproblem, und der skeptische Zweifel kann auch gegenueber diesen Saetzen geltend gemacht werden, ohne dass dies bereits begrifflich unsinnig waere. Daraus geht wiederum hervor, dass Wittgenstein in der Tat nur scheinbar eine Loesung des Skeptizismus-Problems gelingt, was Kober zurecht feststellt. Aber wenn er auf angeblich "klare Faelle" der Wahrheits-Uebereinstimmung gewisser Saetze mit Tatsachen der Wirklichkeit verweist und eine derartige Wahrheits- Uebereinstimmung an dem Beispiel erlaeutert: "Wenn ein Glas Milch auf dem Tisch steht, dann stimmt der Satz 'Ein Glas Milch steht auf dem Tisch' eben mit der Wirklichkeit ueberein" (S. 399), dann moechte er offenbar das skeptische Wahrheitsproblem genau in dem Sinne aufloesen, in dem es Wittgensteins Beschreibungs-These tut. Denn Kobers Beispiel kann eben nur "zeigen", was Uebereinstimmung in dem Beispielfall heisst; keineswegs kann es ein Beispiel dafuer sein, was eine Wahrheits-Begruendung fuer einen bestimmten Satz sein soll (vgl. UG 203). Andernfalls bliebe es epistemisch voellig ungeklaert, wann die Bedingung des "Wenn"-Satzes als erfuellt gelten duerfte; bzw. es wuerde einfach unterstellt, dass es voellig unproblematisch ist, die Erfuelltheit einer derartigen Bedingung in realistischer Weise auszumachen.