***************************************************************** * * Titel: Wittgenstein und die Voraussetzungen des Leib-Seele-Problems (Vortrag in Passau, 13. Februar 1997) Autor: Alois Rust Dateiname: 08-1-97.TXT Dateilänge: 42 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 1/97, Datei: 08-1-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Wittgenstein Beitrag zum Verständnis des Leib-Seele-Verhältnisses steht schief zur eingespielten Debatte zu dieser Frage. Es besteht nämlich ein breiter Konsens, daß es darum geht, die Natur der mentalen Prädikate durch ihre Verortung in einer monistischen oder dualistischen Ontologie zu klären. Wittgensteins Beitrag zur Thematik steht schief in der Landschaft, weil er die zentrale Voraussetzung einer Substanzontologie nicht teilt. Wenn man von Leib-Seele-Problem spricht, geht man immer schon davon aus, daß es ein besonderes Rätsel gibt, das darin besteht, wie mentale Vorgänge mit physischen Vorgängen verknüpft zu denken sind. Ein einfaches Beispiel dafür: ich beabsichtige, ins Kino zu gehen und diese Absicht hat zur Folge, daß mein Körper eine Reihe von Bewegungen vollzieht. Wir haben einen mentalen Zustand, die Absicht, und wir haben die Bewegung des Körpers, welche zum mentalen Zustand in einer Folgebeziehung steht. Es stellt sich hier das Rätsel, wie der Geist auf den Körper einwirkt, wie er es zustande bringt, daß der Körper sich bewegt. Es ist nun die Auffassung Wittgensteins, daß das Rätsel nicht gelöst werden sollte, sondern daß die Absicht und die entsprechenden Handlungen so dargestellt werden können, daß sich das Rätsel gar nicht erst stellt. Wittgenstein löst diese Aufgabe durch eine Analyse der Grammatik der entsprechenden mentalen Ausdrücke. Wittgenstein setzt sich mit den von ihm zurückgewiesenen Auffassungen nicht im Detail auseinander. Es handelt sich fast ausschließlich um eine implizite Kritik. Er will nicht zeigen, weshalb die traditionellen Lösungen für das Leib-Seele-Problem unzureichend sind. Vielmehr geht er so vor, daß er eine alternative Betrachtungsweise hinstellt. Diese soll für sich selbst sprechen. Aus diesem Grund ist es gar nicht so einfach, die Relevanz Wittgensteins für die Leib-Seele-Problematik darzustellen. Wir finden hier kaum Argumente, die sich mit den klassischen Auffassungen kritisch auseinandersetzen. Wittgensteins Schriften sind geprägt von Detailuntersuchungen von Sprachspielen. Der Zweck dieser Untersuchungen ist das Offenlegen der verborgenen oder verstellten Grammatik, d.h. der Gebrauchsregeln dieser Ausdrücke. Diese Untersuchungen befassen sich in der Regel mit einzelnen Ausdrücken und nur ganz selten mit Gruppen oder Klassen von Ausdrücken. Eines der seltenen Beispiele, wo sich Wittgenstein tatsächlich mit dem Vergleich ganzer Gruppen von Ausdrücken befaßt, ist der Vergleich von Wahrnehmungsausdrücken und Ausdrücken von Emotionen im Rahmen seines Versuchs zur Klassifikation psychologischer Begriffe. In diesem Vergleich zeigt sich tatsächlich, daß die Ähnlichkeit nur oberflächlich und daher irreführend ist. Die Gebrauchsregeln für Wahrnehmungsausdrücke unterscheiden sich viel tiefgreifender von der Sprache der Emotionen, als das in der Oberflächengrammatik zum Ausdruck kommt. Um nur zwei Element zu nennen: Wahrnehmungen sind zeitlich begrenzt und unterliegen weitgehend unserer Willkür. Wir können den Blick auf etwas anderes werfen, wir, wir können gezielt etwas betrachten. Emotionen dagegen haben einen für sie typischen Verlauf und sind alles andere als willkürlich. Wir sind ihnen irgendwie ausgesetzt. Es ist aber nicht nur die Oberflächengrammatik, welche solche tiefgreifende Differenzen überspielt, sondern auch die philosophische Theorie. Bei Descartes sind alle Akte, welche in uns und mit Bewußtsein vollzogen werden, cogitationes. Descartes zählt als Formen von cogitationes das Erkennen (intelligere), Wollen (velle), Vorstellen (imaginari), Empfinden (sentire) an. Alle diese Modi sind Attribute des Geistes, der als Substanz verstanden wird. Auch die Wahrnehmungen, die sich auf Dinge beziehen, sind in erster Linie unbezweifelbar Attribute des Geistes. Die Beziehung auf den Geist ist bei ihnen unbezweifelbar, ganz im Unterschied zu ihrer Beziehung auf die Gegenstände. Descartes macht zwei zentrale Annahmen: nämlich daß es grundsätzlich zwei Arten von Substanzen gibt, körperliche und geistige und daß alle sachhaltigen Aussagen Zuschreibungenn von Attributen an diese zwei Typen von Substanzen darstellen. Entsprechend dieser kleinen Skizze hat mein Referat nun zwei Teile. In einem ersten kürzeren ersten Teil setze ich mich mit einigen Aspekten der klassischen Voraussetzungen des Leib-Seele-Problems auseinander. Hier will ich zeigen, daß Descartes mit der Übernahme des Substanz-Attribut-Schemas aus der mittelalterlichen Metaphysik viel traditioneller dachte, als er dies selbst darstellt und daß er damit hinter der neuzeitlichen Preisgabe des Substanzbegriffs herhinkt. Im zweiten Teil werde ich anhand einiger Analysen zeigen, daß sich die mentalen Prädikate ohne die Voraussetzungen der neuzeitlichen Ontologie viel natürlicher verstehen lassen. 1. Zu den neuzeitlichen und vorneuzeitlichen Voraussetzungen des Leib-Seele-Problems Daß alles was ist, in Substanzen und deren Attribute eingeteilt werden kann, ist eine Denkform, die in der Patristik und im Mittelalter ausgearbeitet wurde. Die maßgebliche Quelle für das Substanzdenken war die aristotelische Kategorienlehre. Aristoteles unterscheidet zwischen selbständigem Seiendem und unselbständigem. Selbständiges Seiendes kann in einer Aussage immer nur an der Subjektsstelle stehen. Es ist nie bloß Attribut. Unselbständiges Seiendes ist dagegen immer eine Bestimmung an einer Substanz und steht in einem Aussagesatz an der Prädikatsstelle; es hat sein Sein immer nur als Bestimmung an einem Anderen. Diese Unterscheidung zwischen Selbständigem und Unselbständigem trennt in der Kategorienlehre die erste Kategorie, die Kategorie der Substanz, von allen anderen Kategorien wie Qualität, Quanität, Relation, etc. Was diese Substanz ist, ist innerhalb der aristotelischen Metaphysik keineswegs klar. Zu einer eigentlichen Doktrin kam es erst später. Zum Zeitpunkt, als Descartes seine Zwei-Substanzen-Ontologie entwickelte, war die Substanz-Ontologie durch die Mathematisierung der Wissenschaften schon weitgehend überholt. An die Stelle des Substanz-Denkens trat der Funktionsbegriff. Das beginnt schon im Spätmittelalter und ist bei Galilei eigentlich schon selbstverständlich. Die Vorstellung einer mentalen Substanz wird insbesondere von Locke und Hume bekämpft und bei Kant ist der Substanzbegriff dann bloß noch eine Relationskategorie. Ich kann das hier nicht im Detail darlegen, sondern verweise auf die klassische Darstellung dieser Frage bei Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Die Analyse des Satzes in Subjekt und Prädikat hat sich in der Logik viel länger gehalten als die damit verbundene Unterscheidung von Substanz und Attribut in der Ontologie. Entscheidend dafür, daß wir das Leib-Seele-Problem in der Regel mit Descartes beginnen lassen, ist seine Beschränkung der vormaligen viel reichhaltigeren Ontologie der Substanzen auf zwei grundlegende Typen von Substanzen. Daß die Seele selbst als Substanz zu verstehen sei, hatte schon Augustinus vertreten. Die Seele wird von ihm als einfache Natur den in der Antike gängigen einfachen Körpern: Feuer, Erde, Wasser und Luft zur Seite gestellt. Augustin hat mit dieser Auffassung das ganze lateinische Mittelalter nachhaltig geprägt. Das sich bei Descartes stellende Problem des Zusammenhangs dieser Seele als Substanz mit dem Körper, die Interaktion zwischen Seele und Körper, hat ebenfalls eine lange Vorgeschichte, die hier nicht im Einzelnen darzustellen ist. Fast ebenso lange wie die Geschichte dieses Denkmusters ist seine Irritation. Bereits Augustinus hat nicht nur angenommen, daß die Seele eine eigenständige Substanz darstelle, schon ihm war das Verhältnis der Seele zum Leib ein Rätsel. Schon Augustinus war überdies der Auffassung, daß die Möglichkeit der Täuschung (auch eine cogitatio!) zumindest die Existenz der Seele beweise. Bei Descartes werden diese Ansätze, die bei Augustinus nicht im Zentrum seines Interesses stehen, zum zentralen Mittelpunkt seiner Philosophie. Anders als Augustinus will er einen absoluten Anfang des Philosophierens im menschlichen Bewußtsein gewinnen. Die radikale Bemühung einer Grundlegung von allem Wissen in unbezweifelbaren Prädikaten der substantiellen Seele vertieft den Gegensatz zwischen Körper und Seele in bislang unbekannter Weise. Das Leib-Seele-Problem wird damit zu dem zentralen Problem der Ontologie. Die Interaktion zwischen den beiden Substanzen ist der systematische Ansatzpunkt für die Erörterung der Emotionen bei Descartes in seiner Schrift Les passions de l'âme. Die Emotionen beruhen auf körperlichen Einwirkungen auf die Seele. Die Seele ist dabei passiv, daher der Name 'passions'. Diesem Erleiden der Seele entspricht auf Seiten des Körpers eine Handlung. Unterschiedliche Vorgänge auf seiten des Körpers sind für die Unterschiede auf seiten der Seele verantwortlich. Allerdings bleibt diese Konzeption in der Durchführung dann weitgehend schöne Theorie und Descartes verpaßt es, im einzelnen den körperlichen Anteil an den Emotionen aufzuzeigen. Die Emotionen als mentale Prädikate werden von ihm in erster Linie im Zusammenhang mit anderen Vorstellungen dargelegt, also durchaus in Übereinstimmung mit modernen kognitiven Theorien der Emotionen. Was Descartes konsequent durchhält, ist bloß das Moment, daß Emotionen Zustände sind, die an der Seelensubstanz sich ereignen und nicht von ihr ausgelöst werden. Da die Emotionen als solche zwar von körperlichen Vorgängen ausgelöst werden, ihrer Natur nach aber Attribute der Seele sind, als solche aber unter den Oberbegriff der cogitationes fallen, haben wir es mit einer durch und durch kognitiven Theorie zu tun. Der körperliche Anteil an den Emotionen wird als bloße Ursache ausgeschieden. Es ist daher richtig, bei Descartes nicht mehr von einem Leib-Seele-Problem, sondern von einem Geist-Körper-Problem zu sprechen. Wenn man die Voraussetzung akzeptiert, daß die Lösung des Leib-Seele-Problem entweder in der Interaktion zwischen mentaler und physischer Substanz besteht oder aber im materialistischen Verständnis mentaler Prädikate zu suchen sei, so ist nur verständlich, daß die Mehrheit der Philosophen ohne langes Zögern für die zweite Option votiert. Denn die Annahme einer eigenständigen Seelensubstanz wirkt exotisch. Im Gefolge der neuzeitlichen Wissenschaften hat sich der methodologische Materialismus durchgesetzt. Doch wenn man schon mit einem Auge auf die empirischen Wissenschaften schielt, wäre es nur konsequent, wenn man auf den Begriff der Substanz gänzlich verzichten würde. Indem man in der Leib-Seele-Diskussion noch immer von einem Materialismus spricht, wird unterstellt, es präsentiere sich hier eine grundlegende Alternative. 2. Wittgensteins Analyse psychologischer Ausdrücke Am Anfang der Philosophischen Untersuchungen (§22 und folgende) setzt sich Wittgenstein mit der Auffassung auseinander, daß die Kernfunktion der Sprache im Bezeichnen von Gegenständen und im Darlegen von Sachverhalten besteht. Gemäß dieser Auffassung steckt ein derartiger Bezeichnungskern auch in allen anderen Satzmodi. Auch in der Frage, im Ausruf, in einem Befehl oder in einer Wunschäußerung steckt ein Kern, der sich dadurch auszeichnet, daß er wahr oder falsch sein kann. Dieser Kern ist die Proposition. Aussagen können demgemäß in Propositionen und Modi wie 'glauben', 'wünschen', 'hoffen' etc. analysiert werden. Wittgenstein bekämpft dieses Verständnis der Sprache als Vorurteil. Mit gleichem Recht könnten wir nämlich sagen, in jeder sprachlichen Äußerung stecke eine Frage oder ein Wunsch. Diesem Bild stellt er die Betrachtung der Mannigfaltigkeit der Sprachspiele gegenüber. Keine Sprachhandlungen kann beanspruchen, den Kern aller übrigen Sprachspiele darzustellen. Beziehen wir diese Kritik auf das Leib-Seele-Problem. Der Satz Ich beabsichtige, diesen Samstag ins Kino zu gehen" kann so analysiert werden, daß er eine Kernaussage enthält. A.R. geht am kommenden Samstag ins Kino." Der Inhalt dieses Satzes ist gleichzeitig bloß als Absicht ausgezeichnet. Wie können wir die Absicht verstehen? Nun, sie ist gemäß diesem Muster in einen propositionalen Teil und eine Einstellung zu dieser Proposition zu verstehen. Diese Einstellung ist ein mentaler Zustand. Mit dieser scheinbar harmlosen Analyse laden wir uns allerdings ein kleines Rätsel auf. Wir müssen nämlich verstehen, wie dieser mentale Zustand dies bewirkt, daß ich am Samstag den Fuß ins Kino setze. Wenn wir in dieser Überlegung weiterfahren, werden wir irgendwann nach dem genauen Übergang zwischen einer psychischen Ursache zu einer physischen Wirkung fragen. Das Ganze löst sich eventuell recht harmonisch auf, wenn wir zeigen können, daß die Absicht selbst schon physiologisch implementiert ist und zu gegebener Zeit mittels Botenstoffen etc. die entsprechenden physischen Bewegungen auslöst. So weit das traditionelle Bild. Der entscheidende Schritt ist damit bereits getan, daß wir hier einen Kern isolieren, der sich scheinbar völlig problemlos in eine Sprache für Sachverhalte ausdrücken läßt. A.R. geht zu diesem und diesem Zeitpunkt ins Kino". Von diesem öffentlichen Sachverhalt, der in physikalischer Sprache beschreibbar ist, wird ein innerer Zustand unterschieden, die Absicht. In diesem inneren Zustand gibt es gleichsam ein Bild dieser äußeren Handlung. Das Bild ist auf geheimnisvolle Weise mit dem künftigen Vollzug verknüpft. Wittgenstein weist in solchen Zusammenhängen auf die spezifische Verwendung solcher Wörter wie 'beabsichtigen' hin. Wenn ich sage, ich beabsichtige, am kommenden Samstag ins Kino zu gehen, so lege ich mich denen gegenüber, zu denen ich dies äußere, auf etwas fest, wobei das keinen starke Verbindlichkeit hat. Schon wesentlich stärker ist die Verbindlichkeit bei der folgenden Äußerung: Ich verspreche Dir, am kommenden Samstag die Küche neu zu streichen." Hier wird es um so deutlicher, daß die Analyse in einen Sachverhalt und einen mentalen Zustand völlig unzureichend ist. Es ist unzulässig, den Satz isoliert von der konkreten Äußerung zu betrachten. Aussagen wie ich wackle mit den Ohren" unterscheiden sich von solchen Aussagen in entscheidender Weise. Ich kann sagen, ich wackle mit den Ohren" ohne das tatsächlich zu tun. Die Aussage ist dann einfach falsch. Wenn ich jedoch sage ich verspreche Dir, am Samstag die Küche zu streichen" und dann statt dessen ins Kino gehe, so ist die Aussage nicht einfach bloß falsch: Ich habe vielmehr mein Versprechen nicht eingelöst. Was macht das Versprechen zu einem Versprechen? Damit das Versprechen ein Versprechen ist, ist es nicht erforderlich, daß es von einem bestimmten mentalen Zustand begleitet ist (und daß dann die Handlung mit diesem mentalen Zustand in irgendeiner Weise übereinstimmt). Es spielt z.B. keine Rolle, ob ich gleichzeitig denke, vielleicht gehe ich dann aber doch lieber ins Kino. Entscheidend ist hier, daß ich einer anderen Person gegenüber eine Verpflichtung eingehe. Diese kann ich brechen oder erfüllen. Man könnte an dieser Stelle versuchen, ganz systematisch diese Ausdrücke zu klassifizieren. Wir könnten sagen, Sätze von der Art ich wackle mit den Ohren" berichten einen Sachverhalt, Sätze von der Art ich verspreche x, y zu tun" stellen selbst eine Handlung dar (sind performativ). Sätze mit 'beabsichtigen' dagegen liegen irgendwo in der Mitte. Denn einerseits stellen sie tatsächlich eine Art von Bericht dar, wobei nicht völlig klar ist, ob es sich dabei um einen Bericht über ein künftiges Ereignis oder über eine gegenwärtige Absicht handelt. Wittgenstein verfolgt nicht die Absicht, solche Äußerungen zu klassifizieren. Seine einzige Absicht ist die, psychologische Äußerungen so weit zu analysieren, bis ihre Grammatik nicht mehr zu Mißverständnissen Anlaß gibt. Diese Beschränkung ist nicht einfach eine Scheu vor der großen Aufgabe oder bloße Trägheit. Die vollständige Durchführung der Analyse dieser Ausdrücke würde nämlich gar keine Funktion erfüllen. Sie würde vielmehr die Illusion produzieren, das, was wir im Bereich des Geistes thematisieren können, bilde tatsächlich einen in sich geschlossenen Gegenstandsbereich. Das ist nicht die Auffassung Wittgensteins. Wenn wir uns mit Wittgenstein auf die Analyse solcher Äußerungen kaprizieren, werden wir schnell feststellen, daß dieser Gegenstandsbereich kaum durch die Einheit gekennzeichnet ist, welche wir mit der Psychologie gemeinhin verbinden. 2.1 Die grammatische Besonderheit der ersten Person Singular Wittgenstein präsentiert ein Merkmal für psychologische Ausdrücke, die unterschiedliche Grammatik von Äußerungen in der ersten und in der dritten Person Singular. Ich verspreche, am Samstag die Küche frisch zu streichen" unterscheidet sich von er verspricht, am Samstag die Küche frisch zu streichen" nicht bloß in der Person. Daß sich der Unterschied auf den Unterschied in der Person beschränkt, ergibt sich bloß in einem oberflächlichen Vergleich. Diesen Unterschied zwischen erster und dritter Person Singular verwendet Wittgenstein in einem Versuch der Charakterisierung der psychologischen Verben insgesamt. Diese Stelle beginnt mit dem Hinweis: Psychologische Verben charakterisiert dadurch, daß die dritte Person des Präsens durch Beobachtung zu identifizieren ist, die erste Person nicht." Wittgenstein fährt hier fort: Satz in der dritten Person Präsens: Mitteilung, in der ersten Person Präsens Äußerung." Und in Klammer fügt er bei: Stimmt nicht ganz". Dieser Zug der Grammatik könnte uns zur Annahme verleiten, es hätte mit der ersten Person Singular eine ganz besondere Bewandtnis. Das Ich ist ein ganz besonderer Stoff. Doch was hier so besonders ist, liegt tatsächlich in der Grammatik und nicht in der Natur oder im Wesen des Ich. Wir können die gleichen Sätze nämlich in die Vergangenheit setzen und der Zauber des Ichs verfliegt. Vergleichen Sie die folgenden drei Sätze: Ich glaube, daß er leidet." Sie glaubt, daß er leidet"; Ich habe geglaubt, daß er leidet." Der entscheidende Unterschied liegt nicht bei der ersten Person. Der Satz ich habe geglaubt, daß er leidet" hat mit dem Satz sie glaubt, daß er leidet", größere Ähnlichkeit als der Satz ich glaube, daß er leidet." Man kann nämlich den Satz ich habe geglaubt, daß er leidet" als einen Bericht auffassen, nämlich einen Bericht über meinen damaligen Glauben. In gleicher Weise kann man den Satz Sie glaubt, daß er leidet" (oder auch: sie glaubte, daß er leidet") als einen Bericht über ihren Glauben auffassen. Entscheidend scheint also der Umstand zu sein, daß die erste Person Singular zudem im Präsens steht. Und das deutet darauf hin, daß der entscheidende Punkt tatsächlich der ist, daß auch hier ein performatives, im Gegensatz zu einem bloß berichtenden Moment, im Vordergrund steht. Wenn man diese feinen Unterschiede in der Grammatik von 'glauben' nicht berücksichtigt und auch den Satz Ich glaube, daß er leidet" als einen Bericht auffaßt, so stellt sich natürlich die Frage, über was hier berichtet wird. Analog zu Sie glaubt, daß er leidet" könnte man das als einen Bericht über das Ich, über eine innere Instanz oder einen inneren Zustand auffassen. An dieser Stelle scheint das cartesianische Bild seine primäre Plausibilität zu haben. 2.2 Psychologische Ausdrücke als Ausdrücke für etwas Privates Ich wende mich nun diesem Komplex zu: der Auffassung, daß psychologische Prädikate etwas Inneres, Privates, der jeweiligen Person privilegiert Zugängliches beziehen. Wir können die eben vorgetragene Analyse als Hinweis dafür verstehen, daß es mit dem Inneren nichts Besonderes auf sich hat. Aus solchen Analysen wird immer wieder abgeleitet, Wittgenstein leugne das Innere oder das Seelische. Zunächst ist festzuhalten, daß natürlich auch dieser Ausdruck 'Inneres' als Ausdruck in einer Reihe von möglichen Sprachspielen zu analysieren ist. Nur wenn wir sehen, welche Dienste dieser Ausdruck tatsächlich tut, sind wir gegen Mißverständnisse gewappnet. 'Inneres', das ist zunächst eine räumliche Metapher. Überlegen wir uns zunächst, für was für unterschiedliche Zusammenhänge diese Metapher beansprucht wird. Wir haben zwischen der alltäglichen Verwendung und einer theoretischen, erklärenden Verwendung zu unterscheiden, wie sie sich beim Philosophieren einstellen. Eine derartige philosophische Theorie ist die Auffassung, daß innere Vorgänge verborgen sind und nur demjenigen zugänglich, dem sie als Inneres zugesprochen werden (Privatheit). Die 'inneren' Vorgänge sind deshalb interessant, weil ihnen häufig eine kausale Rolle zugeschrieben wird und sie daher auch zur Erklärungen der von ihnen verursachten Phänomene dienen. Ein Beispiel, das Wittgenstein untersucht ist die Erinnerung. Die Erinnerung gilt als 'innerer' Vorgang. Für die Deutung dieser metaphorischen Ausdrucksweise gibt es mindestens zwei gängige Angebote. Erstens kann das Innere materialistisch verstanden werden: Es ist ein Inneres, insofern es kein direkt beobachtbarer Vorgang ist, sondern allenfalls mit Instrumenten meßbar. Was wir als Inneres bezeichnen, sind letztendlich Gehirnprozesse. Sie sind auf den ersten Blick im gleichen Sinn 'Inneres' wie der Blutkreislauf. Und doch sind diese Prozesse etwas ganz anderes. Denn dem Blutkreislauf wird nicht eine semantische Dimension zugesprochen, wohl aber den physiologischen Prozessen im Gehirn. Sie stehen gemäß dem materialistischen Reduktionismus (im Unterschied zum radikaleren Eliminativismus) in einer semantischen Beziehung zu mentalen Prädikaten. Diese Beziehungen ist in zahlreichen Varianten entwickelt worden. Zweitens kann das Innere als ein dem Äußeren gegenüber prinzipiell Anderes aufgefaßt werden. Das Innere ist der Geist, der bloß körperlicher Natur gegenüber ein prinzipiell Anderes darstellt. Gedanken, Hoffnungen, Wünsche, Vorstellungen sind Modi, in denen sich der Geist auf äußere Vorgänge bezieht. Daß es sich bei diesem Geist um eine eigentliche Substanz handelt, zeigt sich daran, daß man nicht nur von inneren Vorgängen sprechen kann, sondern überdies von einem eigentlichen inneren Leben. Der Geist hat eine Geschichte. Vergangene Dinge werden erinnert, künftige auf unterschiedliche Weise antizipiert. Der Geist mag vom Körper abhängig sein, doch er folgt seinen eigenen Gesetzen. 2.2.1 Die grammatische Sonderstellung des 'Inneren' Beide Modelle, das Innere zu verstehen, stoßen bei Wittgenstein auf wenig Gegenliebe. Ich will zuerst seine Antwort auf das zweite Bild skizzieren. Man kann eine positive und eine kritische oder negative Seite dieser Antwort unterscheiden. Auf der positiven Seite geht es darum, zu zeigen, inwiefern diese Sprechweise von einem Inneren ihre Berechtigung oder ihren wahren Kern hat. Die gewöhnlichen Redeweisen von Innerem will Wittgenstein nämlich gar nicht in Frage stellen. Das Problem ist nur, daß ihre Logik mißverstanden wird. Wenn wir über diese Ausdrücke zu philosophieren beginnen, stellen sich die zunächst ganz harmlosen Redeweisen als verführerisch dar. Noch häufiger ist es allerdings so, daß der Ausdruck 'Inneres' selbst schon in einer Erklärung anderer Ausdrucksweisen herangezogen wird. Gegenüber solchen Erklärungen kennt Wittgenstein kein Pardon. Betrachten wir nun eine alltägliche Verwendungsweisen: Ich weiß nicht, was in seinem Inneren vorgeht." Diese Redeweise ist alltäglich und unverfänglich. Wer so spricht, will bloß sagen, daß er nicht weiß, in welche Richtung die Gedanken einer anderen Person sich lenken, was für Handlungsoptionen, Reaktionen usw. sich da vorbereiten, was seine nächsten Handlungen oder Argumente sein werden. Wenn man über die Redewendung nachdenkt, über sie philosophiert, dann kommt es zu philosophischen Auffassungen der Art, daß uns das Innere prinzipiell verborgen sei. Doch das ist gerade nicht der Sinn dieser Redewendung. Wenn jemand diese Redeweise einsetzt, will er damit doch gerade sagen, daß etwas, was gewöhnlich ganz unproblematisch und offen zugänglich ist, nämlich die Absicht einer anderen Person, nun auf einmal nicht mehr ohne weiteres verständlich ist. Die philosophische Deutung, daß hier etwas prinzipiell verborgen sei, schießt weit über das Ziel hinaus. Sie will ja gerade nicht sagen, daß wir normalerweise einen Einblick ins Innere haben, der uns in dieser Situation verwehrt ist. Vielmehr besagt die philosophische Deutung, daß wir diesen Einblick gar nie haben. In einem bestimmten Sinne ist die Auffassung, daß uns das Innere einer anderen Person verborgen ist, allerdings richtig. Wir haben unsere Gedanken und niemals die Gedanken einer anderen Person, so wie wir eben mit unseren Beinen gehen und nicht mit denen einer anderen Person oder so, wie wir eben unsere Zahnschmerzen haben und nicht die einer anderen Person. Doch das ist so trivial, daß es kaum der Erwähnung wert ist oder eben bloß deshalb, weil hier offensichtlich auf unheilvolle Weise zwei Dinge durcheinander gehen: diese triviale grammatische Tatsache, daß wir unsere Gedanken haben, geht mit der alltäglichen Redeweise, daß wir eine andere Person nicht verstehen eine unheilvolle Verbindung ein. Es erscheint dann als ein philosophisch höchst bemerkenswerter Umstand, daß uns das Innere einer anderen Person grundsätzlich verborgen ist. 2.2.2 Kritik des physiologischen Reduktionismus Ich will mich nun mit der schon erwähnten ersten Weise befassen, wie das Innere als Verborgenes aufgefaßt werden kann, der Auffassung, daß das Innere physiologisch aufzuklären sei. Das Innere wird in dieser Sicht in der Sprache des Äußeren dargelegt. Das ist eine scheinbar elegante Weise, das Leib-Seele-Problem zu lösen und es war in den letzten Jahrzehnten die in verschiedenen Varianten favorisierte Lösung des Leib-Seele-Problems. Wittgenstein hat sich dagegen ausgesprochen und zwar in einer Reihe von Bemerkungen, die zuerst in seinen Zetteln veröffentlicht worden sind. Diese Bemerkungen schließen am direktesten an die Diskussionen um das Leib-Seele-Problem der letzten Jahrzehnte an. Denn hier befaßt sich Wittgenstein mit einer Auffassung, die trotz seiner Kritik noch eine große Zukunft haben sollte, dem psycho-physischen Parallelismus (von Wittgenstein so benannt, Zettel §611). Diese Auffassung wurde als Identitätstheorie in unterschiedlichen Varianten vertreten (type-type; token-token, etc.). Sie kann gar als die gängigste Form einer materialistischen Lösung des Leib-Seele-Problems betrachtet werden. Allerdings ist dieser Auffassung in den letzten Jahren durch die Theorien, die dem Bewußtsein einen eigenen ontologischen Status zuschreiben und insofern wieder auf Intuitionen zurückgreifen, die in der cartesianischen Tradition liegen zunehmend Konkurrenz erwachsen. Wie setzt sich Wittgenstein mit dem psycho-physischen Parallelismus (bzw. der Identitätstheorie) auseinander? Die zentrale Stelle ist die Folgende: Zettel §608: Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das System sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem - daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Pflanzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde, - daß aber nichts in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen, - daß man dies nur aus seiner Geschichte tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte." Es ist genau zu beachten, was Wittgenstein hier ablehnt. Wittgenstein nimmt hier ausdrücklich an, daß beim Sprechen und Schreiben ein System von Impulsen vom Gehirn ausgeht. Er scheint hier durchaus der Auffassung zu sein, daß unterschiedliche Überlegungen auf physiologischer Ebene auch unterschiedliche Impulse entsprechen (2. Satz Ich meine das so ). Nichts, was Wittgenstein hier sagt, widerspricht dem als einer 'natürlichen' Annahme. Was er im ersten und dritten Satz ablehnt ist die Möglichkeit, die Gedanken direkt dem Gehirnprozeß zu entnehmen. Die physiologischen Erscheinungen im Gehirn haben nicht selbst den semantischen Reichtum der Gedanken. Sie haben überhaupt keine Semantik. Es gibt keine Gründe für die Annahme, daß semantischen Differenzen auch physiologische entsprechen müssen. Die physiologischen Prozesse sind bloß eine notwendige, aber keinesfalls eine hinreichende Bedingung für die konkreten Denkprozesse. Es gibt für Wittgenstein keine Gründe, weshalb sich das System der Gedanken in zentrale Richtung (hin zu einem 'physiologischen Inneren') fortsetzen sollte. Die gesprochenen und geschriebenen Gedanken haben mannigfaltige andere Bezüge, die sich eben im Gebrauch der Sprache manifestieren. Wittgenstein ist zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr der Auffassung, daß die Gedanken ein (inneres) Bild für äußere Vorgänge und Sachverhalte darstellen würden. Manche von ihnen beziehen sich auf Gegenstände oder Ereignisse. Aber wie schon dargelegt gibt es keinen Grund, allen sprachlichen Gebilden eine Abbildungs- oder Darstellungsfunktion zu unterstellen. Die Gedanken haben weder ein physiologisches Urbild, noch sind sie selbst inneres Abbild äußerer Vorgänge. Die Wittgensteinsche Ablehnung der Identitätstheorie hat mittlerweile massive Unterstützung erhalten durch die einflußreichen Arbeiten von Hilary Putnam und Tyler Burge, die zeigen, daß die Semantik sprachlicher Äußerungen nicht internalistisch einlösbar ist. Die Auffassung, daß der Gebrauch der Sprache und keine der Sprache externe Instanz über die Bedeutung entscheidet, ist zwar noch immer nicht ohne Brisanz, aber doch über den engeren Kreis der Wittgenstein-Exegeten hinaus eine akzeptierte Auffassung. Allerdings ist Wittgenstein nicht einfach bloß ein Externalist bezüglich der Semantik sprachlicher Ausdrücke. Man kann nämlich einen Externalismus vertreten und gleichzeitig die Ontologie, in welcher sich das Problem stellt, voraussetzen. In dieser Auffassung hätten wir ein psychisches Korrelat zu sprachlichen Ausdrücken, doch die Semantik dieser Ausdrücke wäre nicht durch das psychische Korrelat, sondern durch die äußere Realität bestimmt. In diese Richtung geht die Auffassung von Putnam. Das ist aber nicht die Auffassung von Wittgenstein. Er ist hier radikaler: Wir können nicht eine psychische Innenwelt und eine physische Außenseite unterscheiden. Insbesondere können wir das Phänomen der sprachlichen Bedeutung nicht im Rahmen einer generellen Psychologie verorten. Bedeutung ist nichts Psychisches. Sprache und damit Bedeutung sind bei Wittgenstein soziale Phänomene. Psychische Vorgänge dagegen sind nicht notwendigerweise Bedeutungsprozesse. Sie sind nicht cogitationes, unter die Descartes alles mögliche zusammenfaßt: Empfindungen, Wahrnehmungen, Emotionen und Gedanken. Für das Verständnis psychologischer Ausdrücke empfiehlt sich im Anschluß an Wittgenstein gerade umgekehrt der Rekurs auf den Sprachgebrauch. Wenn wir wissen wollen, wie die Emotionen zu verstehen sind, müssen wir schauen, welchen Verwendungsregeln die entsprechenden Ausdrücke gehorchen. Etwas vom offensichtlichsten ist dabei, daß Ausdrücke für psychische Erscheinungen nicht einer Seelensubstanz zugeschrieben werden, sondern der Person. Nicht die Seele hofft, sondern eine bestimmte Person und es ist sinnlos, diese Hoffnung nochmals einem bestimmten sub-personalen Teil zuschreiben zu wollen. Es ist auch der ganze Mensch, der den Arm hebt und andere Handlungen vollzieht, und nicht ein bestimmter mentaler Akt, der dies kausal verursacht. 2.3 'Bewußtsein' und 'Ich' Abschließend will ich an einem Beispiel aufzeigen, daß die Wittgensteinsche Analyse in der gegenwärtigen Philosophie alles andere als obsolet ist. Es wird in der neueren Philosophie des Geistes manchmal als große Entdeckung gefeiert, daß die Seele nicht existiere. So stand unlängst in einer Zürcher Tageszeitung zu lesen (Zitat): Die Seele ist ein leerer Begriff, er spielt keine Rolle mehr in irgendeiner Art von Erklärung von Verhalten oder was Menschen tun. Wer noch im Ernst glaubt, der Seele würde eine Wirklichkeit entsprechen, wird behandelt werden wie jene, die meinen, die Sonne drehe sich um die Erde. Solche Leute werden sozial geächtet." Das Zitat wird Thomas Metzinger in den Mund gelegt, der diese Vorlesungsreihe eröffnet hat. Ob er das wirklich so vertritt, weiß ich nicht (man muß bei populären Darstellungen in Tageszeitungen immer eine gewisse Vorsicht walten lassen). Die Auffassung wird hier als eine wichtige Entdeckung vorgetragen. Nach den Überlegungen Wittgenstein kann es sich dabei nicht um eine Entdeckung handeln, sondern um ein Ergebnis, das sich aus den Überlegungen zur Grammatik des Begriffes 'ich', 'bewußt', 'Seele' ergibt. Dieser Unterschied ist nicht völlig bedeutungslos. Denn die beiden Auffassungen unterscheiden sich deutlich in den Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind: Wenn man es als eine empirische Entdeckung behauptet, so bietet sich an, schön im Schema der Alternative von mentaler und physischer Substanz, nun alles, was bisher der Seelensubstanz zugeschrieben worden war, der physischen Substanz zuzuschreiben. Gemäß diesem erwähnten Artikel lautet die Lösung so: Wir tragen in unserem Kopf einen Biocyberspace herum, mit dem wir uns tagtäglich, zu jeder Sekunde verwechseln. Das Ich existiert nicht!" Was existiert, ist also der Biocyberspace, er tritt an die Stelle des Ichs. Die wittgensteinsche Alternative könnte man so zusammenfassen: Wir entdecken nichts, wir verständigen uns bloß darüber, daß wir mit Wörtern wie 'ich', 'Seele' etc. Sprachhandlungen vollziehen, die losgelöst von ihrem Verwendungszusammenhang sinnlos sind. Sie haben keine Bezeichnungsfunktion. Im Teil II der Philosophischen Untersuchungen schreibt Wittgenstein: Meine Einstellung zu ihm ist eine Einstellung zur Seele. Ich habe nicht die Meinung, daß er eine Seele hat." Der Begriff der Seele als Begriff, der eine Einstellung zur anderen Person ausdrückt, kann sich sehr unterschiedlich manifestieren. Ein schönes Beispiel für diesen Unterschied findet sich bei Simone Weil. Die bloße Präsenz einer anderen Person im selben Raum hat einen Einfluß auf unsere Bewegungen, der sich markant vom Einfluß eines Gegenstandes, etwa eines Tisches, unterscheidet. Keine Person erhebt sich und bewegt sich auf die genau gleiche Weise in einem Raum, wenn sie allein ist wie wenn sie einen Besucher hat. Gemäß diesem Beispiel könnte man ganz klassisch die Frage aufwerfen, worin genau die kausale Beziehung zwischen den Bewegungen meines Körpers und einer andern Person im selben Raum besteht. Doch damit wäre der Hauptpunkt erneut verfehlt. Denn damit würde wieder vorausgesetzt, daß die zentralen ontologischen Kategorien mentale Vorstellungen oder Bilder (was auch immer) und physische Körper sind. Das spezifische, daß der physische Körper der anderen Person eben nicht bloß ein physischer Körper wie etwa ein Tisch wäre, könnte in dieser Analyse nicht berücksichtigt werden. Damit würde aber die ganze Analyse bedeutungslos. Zum Verwendungszusammenhang der psychologischen Wörter gehört die Realität der ganzen Person in ihrer sozialen Welt. Für das Verständnis der mentalen Prädikate sind diese Bezüge wichtiger als die Frage, welche Gehirnprozesse unser geistiges Leben begleiten. Ich kann den zentralen Punkt nochmals so zusammenfassen: Der Gebrauch der psychologischen Ausdrücke enthält auch den wesentlichen Schlüssel zu ihrem Verständnis. Denn in ihrem tatsächlichen Gebrauch erfüllen diese Ausdrücke eine Funktion. Zu glauben, die Aufklärung ihrer Bedeutung verlange nach der Validierung auf einer verborgenen und durch die Wissenschaft erst zu erforschenden Ebene, ist ein szientistisches Mißverständnis. PD Dr. Alois Rust Balberstrasse 10 8038 Zürich