***************************************************************** * * Titel: Was macht es so schwierig, Bewußtsein naturalistisch zu erklären? Autor: Holm Tetens Dateiname: 10-1-97.TXT Dateilänge: 52 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 1/97, Datei: 10-1-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** A) Das Leib-Seele-Problem - eine kurze Erinnerung Wir Menschen sind seelisch-geistige Wesen, wir nehmen Dinge wahr, fühlen und empfinden etwas, denken über Dinge nach, wünschen uns Dinge, sind von etwas überzeugt und dergleichen mehr. In der Analytischen Philosophie des Geistes hat sich für Wahrnehmungen, Empfindungen, Gefühle, Gedanken, Überzeugungen, Wünsche, Absichten und so weiter die zusammenfassende Bezeichnung "mentale Zustände" eingebürgert. An diese Terminologie werde ich mich im folgenden halten. Auf den ersten Blick unterschreiben sehr viele die folgenden drei Thesen: Mentale Zustände sind keine physischen Zustände. Physische und mentale Zustände wechselwirken kausal miteinander. Die Welt der physischen Zustände scheint kausal abgeschlossen zu sein, ein physischer Zustand verursacht direkt nur andere physische Zustände und wird seinerseits auch nur von solchen verursacht. Diese drei Thesen sind so, wie ich sie jetzt formuliert habe, nicht miteinander verträglich. Wenn zwei der drei Thesen wahr sind, muß die jeweils dritte falsch sein. Läßt sich der Widerspruch zwischen den drei Thesen auflösen? Genau diese Frage macht im Kern das sogenannte Leib-Seele-Problem aus. Der Widerspruch zwischen den drei Thesen läßt sich auf sehr unterschiedliche Weise beseitigen. Eine Lösung steht jedoch heutzutage besonders hoch im Kurs, nämlich die These fallenzulassen, daß mentale Zustände keine physischen Zustände sind. Sollten mentale Zustände in Wahrheit physische Zustände sein, so wäre verständlich, warum mentale und physische Zustände in einer kausal abgeschlossenen physischen Welt miteinander wechselwirken können. Die Auffassung, daß mentale Zustände physische Zustände sind, nennt man gewöhnlicherweise "Naturalismus". Jedem, der mentale Zustände als physische Zustände nachweisen will, werden vor allem zwei Eigenschaften mentaler Zustände erhebliches Kopfzerbrechen bereiten. Zum einen nämlich besitzen viele, möglicherweise alle mentalen Zustände einen Inhalt, und zwar so ähnlich wie auch Sätze einen Inhalt haben. Wenn jemand denkt, daß er sich für den heutigen Tag mit einem wichtigen Geschäftspartner verabredet hat, so ist der Sachverhalt, daß er sich heute mit einem wichtigen Geschäftspartner verabredet hat, der Inhalt seines Gedankens. Man sagt auch, der Gedanke repräsentiere intern den Sachverhalt, heute mit einem Geschäftspartner verabredet zu sein. Andere Philosophen sprechen von der Intentionalität mentaler Zustände. Physische Zustände hingegen scheinen in diesem Sinne keine Dinge oder Sachverhalte zu repräsentieren. Naturalisten stehen daher vor der Frage: Können physische Zustände, vor allen Dingen können Gehirnzustände etwas repräsentieren? Nur dann könnten mentale Zustände in Wahrheit Gehirnzustände sein. Diese Frage hat lange Zeit die Diskussion in der Philosophie des Geistes beherrscht. Inzwischen glauben viele Philosophen, Intentionalität auf die eine oder andere Weise naturalistisch erklären zu können. Aber nicht Intentionalität soll unser Thema sein. Denn mittlerweile hat sich die Diskussion immer stärker auf die andere Eigenschaft des Mentalen verlagert, die seiner naturalistischen Erklärung im Wege zu stehen scheint. Befindet sich eine Person in einem mentalen Zustand, so "fühlt es sich für die Person auf eine besondere Weise an", sich in diesem mentalen Zustand zu befinden, um an eine berühmte Formulierung von Thomas Nagel anzuschließen. Die einschlägigen Stichwörte sind: "phänomenaler Gehalt", "bewußtes Erleben", "phänomenales Bewußtsein" oder manchmal nur kurz "Bewußtsein". B) Das Rätsel des phänomenalen Bewußtseins Thomas Nagel erläutert phänomenales Bewußtsein und warum es naturalistisch so schwer zu verstehen ist an dem folgenden Beispiel. Er schreibt: "Was geschieht beispielsweise, wenn man in einen Schokoladenriegel beißt? Die Schokolade schmilzt auf unserer Zunge und verursacht chemische Reaktionen in unseren Geschmackszellen; die Geschmackszellen senden elektrische Impulse durch die Nerven hindurch, die von unserer Zunge zu unserem Gehirn führen, und wenn diese Impulse das Gehirn erreichen, so erzeugen sie dort weitere physikalische Reaktionen; und schließlich empfinden wir den Geschmack von Schokolade."(1) Beim Essen von Schokolade bewußt Schokolade zu schmecken, ist ein gutes Beispiel für das, was die Philosophen des Geistes mit "phänomenalem Bewußtsein", "bewußtem Erleben", "phänomenalem Gehalt" meinen. In diesem Sinne, so sagt Peter Bieri, erleben wir bewußt "Sinnesempfindungen wie Farben und Töne, Körperempfindungen wie Lust und Schmerz, Emotionen wie Angst und Haß; Stimmungen wie Melancholie und Heiterkeit; schließlich Wünsche, Triebe und Bedürfnisse, also unseren Willen".(2) Was macht das bewußte Erleben für den Naturalisten zu einem widerspenstigen Phänomen? Hören wir noch einmal Nagel: "Würde ein Wissenschaftler unsere Schädeldecke entfernen und in unser Gehirn hineinsehen, während wir den Schokoladenriegel essen, so würde er nichts weiter sehen als eine graue Masse von Nervenzellen. Fände er jedoch den Geschmack von Schokolade? Ein anderer kann unseren Schädel öffnen und sich sein Innenleben ansehen, er kann jedoch nicht unseren Geist öffnen und in ihn hineinblicken - zumindest nicht auf die gleiche Weise. Es handelt sich nicht bloß darum, daß der Geschmack von Schokolade ein Geschmack ist und daher nicht gesehen werden kann. Angenommen, ein Wissenschaftler wäre verrückt genug, den Versuch zu wagen, meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten, indem er an meinem Gehirn leckte, während ich von einem Schokoladenriegel koste. Zunächst einmal würde mein Gehirn für ihn vermutlich nicht nach Schokolade schmecken. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, es wäre ihm nicht gelungen, in mein Bewußtsein einzudringen und meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten. Er hätte lediglich herausgefunden, daß sich kurioserweise mein Gehirn immer dann, wenn ich Schokolade esse, so verändert, daß es für andere Leute nach Schokolade schmeckt. Er hätte seinen Geschmack von Schokolade und ich den meinen."(3) Was Nagel uns plausibel machen will, ist offensichtlich: Wenn wir die Welt mit den Mitteln der Physik erforschen und beschreiben, werden wir nie auf das subjektive bewußte Erleben stoßen; eine physikalische Beschreibung erfaßt etwas ganz Zentrales überhaupt nicht: das bewußte subjektive Erleben. Der australische Philosoph Frank Jackson versucht mit einem vieldiskutierten Gedankenexperiment das Gleiche zu beweisen.(4) Jackson stellt sich vor, die Naturwissenschaften wüßten alles, was aus ihrer Warte über die Welt gewußt werden kann, und weiter stellt er sich vor, eine farbenblind geborene Superwissenschaftlerin - Jackson nennt sie Mary - wüßte alles, was die Physik und benachbarte Disziplinen dann über Farben und die Wahrnehmung von Farben wissen. Trotzdem wüßte Mary etwas Wichtiges nicht, sie wüßte nicht, wie es ist, Farben wie Rot oder Blau zu sehen oder zu empfinden oder zu erleben. Mary kann ja gar keine Farben wahrnehmen, ihr erscheint die Welt nur in abgestuften Grautönen zwischen Schwarz und Weiß. Selbst die genauesten Kenntnisse über die physische Welt blieben unvollständig, weil in ihnen keine Informationen darüber enthalten sind, wie es für jemanden ist, die Welt der Farben zu erleben. Betrachten wir ein drittes Gedankenexperiment. Es stammt ursprünglich von Leibniz. An das Gedankenexperiment von Leibniz knüpft Peter Bieri an, wenn er schreibt: " [...] folgen wir [...] für eine Weile einer Fantasie von Leibniz und stellen uns ein menschliches Gehirn vor, das maßstabsgetreu so weit vergrößert wäre, daß wir in ihm umhergehen könnten wie in einer riesigen Fabrik. Wir machen eine Führung mit, denn wir möchten wissen, woran es liegt, daß der entsprechend vergrößerte Mensch, dem das Gehirn gehört, ein erlebendes Subjekt mit einer Innenperspektive ist. Der Führer, ein Gehirnforscher auf dem neuesten Stand des Wissens, hat Zeit und ist bemüht, uns alles zu zeigen und alle Fragen zu beantworten. Zunächst führt er uns vor, wie die einzelnen Neuronen aufgebaut sind; dann lernen wir die schwindelerregende Vielfalt der Verbindungen zwischen ihnen kennen und die verschiedenen Arten von Synapsen; wir werden darauf hingewiesen, daß es zwischen verschiedenen räumlichen Abschnitten große Unterschiede in der Anordnung und Dichte des Materials gibt; der Führer erklärt uns die verschiedenen Arten von Neurotransmittern und zeigt uns, was sie an den Synapsen anrichten; er erläutert uns die Gehirnströme, die Muster der Spikes; und schließlich klärt er uns darüber auf, daß es zwischen größeren Zellverbänden Aktivitätsmuster gibt und daß Dinge wie Synchronisation und zeitliche Verschiebung von Aktivität für das Gesamtgeschehen offenbar eine wichtige Rolle spielen. "Alles sehr eindrucksvoll", sagen wir zu ihm, "aber wo in dem Ganzen ist das Bewußtsein, das erlebende Subjekt?" "Komische Frage", lacht er, "das bewußte Subjekt, wie Sie das nennen, ist nicht irgendwo! in dieser Fabrik; es ist die Fabrik als ganze, die für das Bewußtsein verantwortlich ist." Das sehen wir ein. Ein Kategorienfehler. Aber eigentlich war das auch gar nicht das, was wir fragen wollten. Was uns wirklich beschäftigt, ist dieses: Wir können uns ohne weiteres vorstellen, daß hier drin alles genau so wäre wie es ist, ohne daß der Mensch, in dessen Kopf wir sind, auch nur den Schatten eines Erlebnisses hätte. Nichts an dem, was uns gezeigt worden ist, scheint es notwendig zu machen, daß da einer etwas erlebt: nicht die Art des Materials, nicht die Architektonik der Fabrik, nicht die chemischen Reaktionen, nicht die elektrischen Muster. Es dünkt uns in gewissem Sinn zufällig, daß da nun auch noch ein erlebendes Subjekt auftaucht; es ist, als sei es nur einfach drangepappt. Und wir wissen: Dieser Eindruck der Zufälligkeit ist einfach ein Symptom dafür, daß wir den Zusammenhang nicht verstanden haben."(5) Schließlich möchte auch ich Du Bois-Reymond zitieren, auf den sich viele Protagonisten der Rätselthese berufen: "Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: 'Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot'... Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne."(6) Die Gedankenexperimente von Nagel, Jackson und Leibniz/Bieri lassen sich mit den Worten von David Chalmers resümieren: "Je genauer die Neurowissenschaftler die Funktionsweise unseres Gehirns zu beschreiben versuchen, desto deutlicher wird, daß all ihre Messungen und Modelle just den zentralen Aspekt des Bewußtseins nicht erfassen: das subjektive Innewerden von Qualitäten wie Farbe oder Geruch, einer Überlegung oder einer Emotion."(7) Fassen wir zusammen: Die Anti-Naturalisten behaupten, daß Naturalisten phänomenales Bewußtsein nicht verstehen und erklären können. Sie behaupten: 1) Es ist unverständlich, wie und warum aus elektrochemischen Aktivitäten im Gehirn bewußtes Erleben entsteht, durch welches uns jeweils bestimmte qualitative Inhalte unmittelbar präsent sind. 2) Der neuronale Apparat könnte physikalisch genauso sein wie er ist, ohne daß die betreffende Person "innerlich" irgendetwas phänomenal-qualitativ erlebt. 3) Wenn ein äußerer Beobachter die Welt vollständig beschreiben könnte, er würde sie nur physikalisch beschreiben, das, was andere Menschen bewußt in ihrer "subjektiven Binnenperspektive" erleben, fällt aus seiner Beschreibung heraus. Wenn ein Beobachter insbesondere das Gehirn einer Person und seine Wechselwirkung mit dem Organismus und der Umwelt beobachtet und theoretisch beschreibt und analysiert, beobachtet und beschreibt er physikalische Prozesse, aber niemals wird er deshalb wissen, was und wie die betreffende Person subjektiv erlebt. Der These, Bewußtsein sei naturalistisch unerklärlich, - möchte ich widersprechen. Ich werde mich aber bescheiden müssen. Ich traue mir nur zu, plausibel zu machen, daß das Beispiel der Farben und des Farbensehens, obwohl von fast allen Anti-Naturalisten als ein prominentes Beispiel für ihre Kritik am Naturalismus zitiert, jedenfalls nicht dazu taugt, die These vom Bewußtsein als einer Erklärungslücke des Naturalismus zu belegen. C) Naturalistische Versuche, Bewußtsein zu enträtseln i) Erklärung der Wahrnehmung Fangen wir einfach an. Jeder von uns versteht die Farbwörter richtig zu gebrauchen. Farben sprechen wir Dingen in der Welt zu. Deshalb beschäftigen sich Physiker und auch andere Naturwissenschaften mit den Farben und dem Farbensehen. Fast jeder weiß heutzutage, daß Physiker Licht als elektromagnetische Welle deuten und die verschiedenen Farben bestimmten Wellenlängenbereichen zuordnen. Dadurch kann die Physik eine Fülle von Farbphänomenen in der Welt erklären und verständlich machen, z.B. unter welchen Bedingungen weißes Licht beim Durchgang durch ein Prisma in die Spektralfarben zerlegt wird, unter welchen Bedingungen wir einen Regenbogen beobachten, wie man aus der Spektralzerlegung des Sonnenlichts auf chemische Prozesse in der Sonne zurückschließen kann, wann Körper bei welchen Temperaturen rot zu glühen beginnen und eine beeindruckende und kaum noch zu überblickende Fülle anderer Phänomene, in denen Farberscheinungen eine wichtige Rolle spielen. Manche Physiker, vor allem aber viele Philosophen liebäugeln deshalb mit der Vorstellung, man könne Farben mit bestimmten Wellenlängen elektromagnetischer Wellen gleichsetzen, man könne die Farben durch Wellenlängen definieren. Allein, solche Reduktionsbehauptungen sind umstritten, und gerade Anti-Naturalisten lehnen sie rundheraus ab. Ist ein Physiker überhaupt zu solchen Reduktionismusthesen gezwungen? Er kann sich doch auf die schwächere Behauptung beschränken, daß sich Beschreibungen, in denen von Farben geredet wird, mit anderen, auch mit rein physikalischen Beschreibungen der Außenwelt zu einem inferentiell dichten und prognostisch erfolgreichen Netz von Beschreibungen der Welt systematisch verknüpfen lassen. Mit einem inferentiell dichten Netz von Beschreibungen meine ich einfach, daß wenige Beschreibungen aus diesem Netz genügen, um viele andere Beschreibungen aus diesem Netz daraus logisch herleiten zu können. Genau das ist ja die große Leistung wissenschaftlicher Theorien, daß sie Phänomene auf eine Weise beschreiben, daß mit wenigen Daten über diese Phänomene sehr viele andere Daten, die ebenfalls diese, aber auch andere Phänomene betreffen, hergeleitet und insbesondere deshalb auch erfolgreich prognostiziert werden können.(8) In dem Maße nun, wie es gelingt, die Beschreibungen von Farben mit anderen Beschreibungen zu einem inferentiell dichten Netz von Beschreibungen der Welt systematisch zu verknüpfen, werden Farben und Farbphänomene als objektive Bestandteile der physischen Außenwelt erkannt. Da, wie wir oben angedeutet haben, die Physik und auch andere Wissenschaften schon recht weit dabei fortgeschritten sind, sind Farben ja längst zu einem legitimen Untersuchungsgegenstand der Physik geworden; deshalb gehören die Farbwörter zwar nicht zentral, wohl aber randständig durchaus zum Vokabular der Physik. Alles dies wird nicht infragegestellt, wenn man nicht so weit geht wie einige harte Physikalisten und nicht daran glaubt, alle Farbbeschreibungen ließen sich auf andere, zum Beispiel Beschreibungen der Physik reduzieren. Man kann durchaus zugestehen, daß die Farbwörter undefinierbare Wörter sind, die richtig zu verwenden man nur anhand entsprechender Beispiele von farbigen Gegenständen lernen kann. Ebenso bliebe dann wahr, daß man zum Beispiel das Wichtigste an der Farbe rot solange nicht kennt, solange man nicht einen roten Gegenstand zum ersten Mal gesehen hat. Allein, deshalb sind Farben nicht weniger objektiv als andere Eigenschaften, die wir den Dingen in der Außenwelt zuschreiben. Fassen wir noch einmal zusammen: Insofern Beschreibungen von Farben inferentiell hinreichend dicht (und prognostisch erfolgreich) mit anderen Beschreibungen in der Welt verknüpft sind, sind die an Dingen in der Welt gesehenen und ihnen zugeschriebenen Farben objektive Eigenschaften der physischen Welt. Ihre Objektivität büßen die Farben auch dann nicht ein, wenn Farbbeschreibungen von Dingen in der Welt sich nicht physikalistisch im engeren Sinne reduzieren lassen. Indem wir bisher nur von Farben als Eigenschaften der Dinge in der Welt gesprochen haben, sind wir natürlich noch gar nicht zum Kern des Streites zwischen Naturalisten und Anti-Naturalisten vorgedrungen. In diesem Streit geht es ja darum, daß jemand farbige Dinge wahrnimmt, daß jemand, wie gerade Philosophen gerne sagen, Farbempfindungen hat. Wenden wir uns also jetzt der Wahrnehmung von Farben, dem Farbensehen zu! Die Wissenschaften untersuchen Wahrnehmungen, insbesondere das Sehen und das Farbensehen sehr intensiv. Daran beteiligen sich die Physik und die Chemie, die Sinnesphysiologie, die Neurophysiologie, die Neuroinformatik, die kognitive Psychologie, die Sozialpsychologie, die Sprachpsychologie und andere. Im Kern erforscht man die Wahrnehmung auf der Basis der folgenden Grundannahmen: oyyyyyyyyyy _ blaues Objekt _ _ kausale Wirkungen _ _ Sinnesrezeptoren _ _ Gehirn AyyyyyyyyyAyyyyyyyyyyy A _ ein die Farbe Blau_ _ des Objekts _ _ diskriminierendes _ _ Verhalten _ _ AyyyyyyyyA _ _ _ _ Für die Person P nicht Für einen Beobachter wahrnehmbar zugänglich, teils (direkt) wahrnehmbar, teils theoretisch aus den Wahrnehmungen erschließbar Gegenstände in der Welt mit ihren objektiven Farbeigenschaften wirken auf den Sinnesapparat eines Menschen ein, die Veränderungen an den Sinneszellen lösen wiederum komplizierte elektrochemische Vorgänge im Gehirn aus, die schließlich Wahrnehmungen erzeugen. Von den Wahrnehmungen bekommen natürlich die äußeren Beobachter nicht mehr mit als das sichtbare Verhalten der untersuchten Person. Das sichtbare Verhalten schließt Mitteilungen der Person darüber, welche Farbe sie an einem Gegenstand sieht, ebenso ein wie das typische nicht-sprachliche Verhalten, das eine Person an den Tag legt, die gerade bewußt eine bestimmte Farbe an einem Gegenstand diskriminiert. Es läßt sich nicht bestreiten, daß wir der Wahrnehmungsforschung bereits beeindruckend viele Einsichten verdanken. In vielen Fällen wissen die Wahrnehmungsforscher, unter welchen Bedingungen Personen welche Farbwahrnehmungen haben, wann solche Farbwahrnehmungen gestört sind, wie man bestimmte Störungen der Farbwahrnehmung therapieren kann und dergleichen mehr, und dieses Wissen nimmt beständig zu. Dabei begegnen wir wieder der methodologischen Tatsache, daß die Wahrnehmungsforschung Aussagen über das Farbensehen systematisch mit anderen Beschreibungen verknüpft, unter anderem manchmal mit mathematisch-neuroinformatischen Aussagen, manchmal mit physiologischen, manchmal mit Aussagen über ganze Neuronenareale, manchmal mit Aussagen über physiologisch-chemische Vorgänge an einzelnen Zellmembranen und so weiter. Man schaue sich nur einmal einschlägige Lehrbücher der Wahrnehmungsphysiologie und der Wahrnehmungspsychologie an. Indem unter anderem aus wahren Aussagen darüber, daß eine Person eine bestimmte Farbe wahrnimmt, andere wahre Aussagen über Farben, Farbwahrnehmungen, aber auch wahre physikalische Aussagen im engeren Sinne hergeleitet werden können, wird das Farbensehen für die Wissenschaften immer mehr zu einem objektiven Vorgang in der Welt. Sicher, vieles an der Wahrnehmung ist den Wissenschaften noch ein Buch mit sieben Siegeln. Gleichwohl zeichnet sich das Prinzip, nach dem die Erfahrungswissenschaften Farbwahrnehmungen erklären, klarerweise ab: Warum sehen wir Farben? Weil in der Welt draußen wirklich farbige Objekte vorkommen und wir sensorisch-neuronal so ausgestattet sind, farbige Objekte zu sehen.(9) Läßt sich der phänomenale Inhalt unserer Farbwahrnehmung wirklich besser und einfacher erklären? Und auch das ist zu fragen: Haben Anti-Naturalisten ihrerseits auch nur den Hauch einer anderen, gar besseren Erklärung? Die meisten Anti-Naturalisten kennen vermutlich die moderne Wahrnehmungsforschung. Trotzdem halten sie bewußtes Erleben für nicht erklärt. Das muß mit den obigen Thesen 1) bis 3) zu tun haben. Schauen wir uns also genauer an, wie diese Thesen zu der eben skizzierten Erklärung der Farbwahrnehmung stehen. Wir haben in unseren bisherigen Überlegungen klar getrennt zwischen den Farben als Eigenschaften von Dingen in der Welt und der Tatsache, daß Menschen solche Farben an den Dingen in der Welt wahrnehmen und sie entsprechend den Dingen zuschreiben. Anti-Naturalisten könnten dagegen einwenden, schon diese Trennung sei grundverkehrt. Wenn sie von Farben redeten, so meinten sie natürlich immer die gesehenen Farben oder die erlebten oder empfundenen Farben, nicht die Farben als Eigenschaften in der Welt. Ist überhaupt klar, was hier gemeint ist? Es führt kein Weg daran vorbei, daß wir im Alltag jedenfalls den Dingen in der Welt Farben zusprechen. Der Alltagsgebrauch der Farbwörter unterstellt gerade nicht, daß es das Blau einer Kornblume zweimal gibt, einmal draußen in der Welt als Farbe der Blume, die auch ich sehen kann, und dann noch einmal geheimnisvoll als phänomenaler Inhalt der Wahrnehmung einer anderen Person. Verstehen wir überhaupt, was das heißen soll? Bestenfalls sagen wir, daß uns bestimmte Dinge in der und der Farbe erscheinen, daß wir von bestimmten Dingen den und den Farbeindruck haben. In solchen Formulierungen wird, logisch betrachtet, die Farbe zu einer Relation zwischen einer wahrnehmenden Person und einem Gegenstand: der Person P erscheint der Gegenstand X unter den und den Bedingungen rot. Doch selbst wenn die Farben Relationen und die Farbwörter daher Relationswörter (zwei oder möglicherweise dreistellige Prädikate) sein sollten, so tut sich deswegen keine Erklärungslücke für den Naturalisten auf. Statt Beschreibungen der Art "der Gegenstand X ist rot" wird er ausschließlich relationale Farbbeschreibungen der Art "der Person P erscheint der Gegenstand X unter den und den Bedingungen rot" an andere Beschreibungungen inferentiell anzubinden versuchen. Daß das gelingt, dafür hat ja die Wahrnehmungsforschung längst den Beweis angetreten, die uns eine ganze Menge inzwischen darüber sagen kann, wann Menschen unter welchen Bedingungen Gegenstände in welcher Farbe erscheinen. Gewichtiger ist der Einwand 1), wir verstünden den Mechanismus nicht, der im Gehirn aus feuernden, d.h. aus elektrochemisch aktiven und miteinander agierenden Neuronen Farberlebnisse entstehen läßt, und das sei das eigentliche Problem. Im Gehirn liefen nur physikalische Vorgänge ab, und das Gehirn reagiere doch nur auf elektromagnetische Wellen. Manche fragen in diesem Zusammenhang noch weiter: Die Rezeptoren in der Retina reagieren nur auf elektromagnetische Wellen, und deshalb muß die Wahrnehmungsforschung Farben auch systematisch mit Wellenlängen korrelieren, wenn sie verstehen will, daß und unter welchen Bedingungen wir Farben sehen. Aber warum, so wird gefragt, nehmen wir nicht direkt elektromagnetische Wellen und Wellenlängen wahr? Daß wir dies nicht tun, sei völlig klar, schließlich seien elektromagnetische Wellen etwas ganz anderes als Farben. Man könne sich den gesamten neurophysiologischen Apparat und seine Verbindungen zum übrigen Organismus und zur Umwelt so denken, wie er ist, und zugleich vorstellen, daß dieser Apparat nichts erlebt, zum Beispiel keine Farben sieht oder erlebt. Der Apparat wäre "innerlich" gewissermaßen tot, so wie wir von unseren Computern zu Recht annehmen, daß sie nichts bewußt erleben. Warum also erleben wir überhaupt so etwas wie zum Beispiel Farben? Das sei die Frage, auf die die Wahrnehmungsforschung niemals eine Antwort finden werde. Was ist denn, so möchte ich im Gegenzug erst einmal fragen, eine elektromagnetische Welle. In der Physik werden Wellen mathematisch durch eine Wellengleichung beschrieben. Elektromagnetische Wellen haben Frequenzen, Wellenlängen, Energien, Amplituden, Ausbreitungsgeschwindigkeiten, alles Größen, die wir kennen müssen, um die raum-zeitliche Veränderung von elektrischen und magnetischen Feldstärken nachzuvollziehen. Können wir von Wellen etwas direkt wahrnehmen? Viele könnten zunächst denken, daß man von einer Welle nichts direkt wahrnehmen kann, weil wir kein direktes Sensorium für elektrische und magnetische Feldstärken oder für Amplituden, für Frequenzen, Wellenlängen besitzen. Nun sagt uns aber doch die Wahrnehmungsforschung zum Beispiel, daß eine Person an einem Objekt die Farbe Blau wahrnimmt, wenn dieses Objekt eine elektromagnetische Welle der und der Wellenlänge reflektiert. Ist dies keine objektive Eigenschaft elektromagnetischer Wellen? Die gesehene blaue Farbe wäre dann genau das, was wir von einer an Körperoberflächen reflektierten elektromagnetischen Welle bestimmter Wellenlänge unter geeigneten Rahmenbedingungen direkt wahrnehmen können. Diesen Schluß ziehen viele nur deshalb nicht, weil sie fälschlicherweise denken, eine Welle sei bereits durch die Wellengleichung und die einschlägigen Wellenparameter vollständig beschrieben. Aber das ist nicht wahr: Eine elektromagnetische Welle besitzt alle Eigenschaften, die ihnen die fortgeschrittenen Wissenschaften in inferentiell dichten und prognostisch erfolgreichen Beschreibungen der Welt zuschreiben. Genau dasselbe gilt vom Gehirn. Warum unser Gehirn Farben wahrnimmt, ist höchstens dann ein unverständliches und aufklärungsbedürftiges Rätsel, wenn wir das Gehirn mit der grauen Masse gleichsetzen, die sichtbar wird, wenn wir die Schädeldecke öffnen. Aber wir sollten niemals die physische Welt mit dem Beobachtbaren gleichsetzen; die physische Welt umfaßt alles, was wir beobachten oder eben mit mehr oder weniger raffinierten Überlegungen aus dem Beobachtbaren theoretisch erschließen.(10) Das Gehirn ist nicht identisch mit dem, was wir direkt beobachten, wenn wir die Schädeldecke öffnen. Es ist noch nicht einmal gleichzusetzen mit dem, was wir an dieser grauen Masse unter der Schädeldecke direkt beobachten oder mit Hilfe der Physik erschließen können. In Wirklichkeit besitzt das Gehirn alle Eigenschaften, die die verschiedenen Wissenschaften, die sich mit dem Gehirn befassen, aufgrund von Beobachtungen oder raffinierten theoretischen Induktionen von ihm aussagen. Wenn zum Beispiel die Wahrnehmungspsychologie zusammen mit den Neurowissenschaften das Gehirn unter anderem prognostisch erfolgreich als einen Mechanismus beschreibt, der Farben in der Welt detektiert, dann ist die Farbwahrnehmung durch das Gehirn nicht unverständlicher als die Tatsache, daß eine sich bewegende Billardkugel eine zweite ruhende Kugel durch Zusammenstoß in Bewegung versetzen kann. Das Beispiel stoßender Billiardkugeln wird gerne angeführt als ein Fall, wo wir den kausalen Mechanismus ohne weiteres verständlich und transparent finden. Außerdem ist es nicht einzusehen, warum Anti-Naturalisten für die Erklärung des Farbensehens auf einmal methodologische Standards einfordern, die selbst in den fortgeschrittensten Wissenschaften nicht eingelöst sind. In der allgemeinen Relativitätstheorie wird behauptet, daß materielle Körper in ihrer Umgebung die vierdimensionale Raumzeit krümmen und daß die gekrümmte Raumzeit andere materielle Körper zwingt, sich auf geodätischen Bahnen zu bewegen. So erklärt die Allgemeine Relativitätstheorie die Bewegungen von Massen in einem Schwerefeld. Aber "verstehen wir den Mechanismus", durch den Materie eine Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit zustandebringt? Und "verstehen wir den Mechanismus", durch den die gekrümmte Raumzeit die Körper zu Bewegungen auf geodätischen Bahnen zwingt? Nein, das verstehen wir natürlich in gewisser Weise überhaupt nicht, schon gar nicht kennen wir anschauliche Modelle dafür. Und doch beschreiben die allgemeinen Feldgleichungen und ihre Lösungen die Gravitationsphänome inferentiell so dicht und prognostisch so zuverlässig und genau, wie das keine andere uns bekannte Theorie tut. Daß bei den Feldgleichungen jedes Verständnis und jede anschauliche Vorstellung eines Mechanismus versagt und wir uns hier mit mathematischen Beschreibungen begnügen müssen, hat noch kein Anti-Naturalist der Allgemeinen Relativitätstheorie zur Last gelegt. Noch nie ist jemand auf die Idee gekommen, deswegen eine Erklärungslücke, gar eine naturalistische, für Gravitationsphänomene auszumachen. Was uns allen gemeinsam im Fall der Allgemeinen Relativitätstheorie recht ist, sollte uns inzwischen im Fall der neurowissenschaftlich-psychologischen Erklärung des Farbensehens billig sein. Fassen wir unsere Überlegungen noch einmal zusammen: Eine elektromagnetische Welle oder das Gehirn besitzen jeweils alle Eigenschaften, die ihnen die fortgeschrittenen Wissenschaften aufgrund von Beobachtungen oder raffinierten theoretischen Induktionen in inferentiell dichten und prognostisch erfolgreichen Beschreibungen der Welt zuschreiben. Wenn die fortgeschrittenen Wissenschaften Beschreibungen von elektromagnetischen Wellen, Sinnesorganen und Gehirnen mit Farbbeschreibungen und Beschreibungen über Wahrnehmungen von Farben hinreichend inferentiell dicht und prognostisch erfolgreich verknüpfen, dann ist nichts unverstanden oder unverständlich daran, daß es Farben gibt, der sensorisch-neuronale Apparat Farben detektiert und Menschen eben darum Farben wahrnehmen. Kommen wir zum Einwand 2), wonach der neuronale Apparat physikalisch genauso sein könnte wie er ist, ohne daß die betreffende Person "innerlich" irgendetwas erlebt. Wieso könnte das einem Naturalisten überhaupt zum Problem werden? Natürlich, die Beschreibung des neuronalen Apparates ist logisch unabhängig von Beschreibungen des Wahrgenommenen durch den Wahrnehmenden in Aussagen wie "Da ist eine blaue Kornblume" oder "Ich sehe eine blaue Kornblume". In diesem Sinne einer logischen Möglichkeit kann ich mir auch vorstellen, daß der neuronale Apparat physikalisch ist wie er ist, ohne daß die betreffende Person "innerlich" etwas erlebt. Aber was beweist das? Ebenso kann ich mir vorstellen, daß der Mond nicht um die Erde kreist, denn diese Feststellung ist nicht logisch widersprüchlich.(11) Doch für die Physik ist das ohne jeden Belang. Physikalisch ist es trotzdem nicht möglich, daß der Mond nicht um die Erde kreist, weil eben aus der Gravitationstheorie und einigen weiteren Daten über den eil hergeleitet werden kann. Genauso jedoch folgt aus den Wahrnehmungstheorien, daß, wenn sich das Gehirn einer Person in dem und dem Zustand befindet und einige weitere Bedingungen erfüllt sind, die Person etwas bewußt wahrnimmt, zum Beispiel eine blaue Kornblume sieht. So wenig wie es nach unserem physikalischen Wissen physikalisch möglich(12) ist, daß sich Massen unter geeigneten Bedingungen nicht aufeinanderzubewegen, so wenig ist es nach unserem wissenschaftlichen Erfahrungswissen physikalisch möglich, daß ein biologisch menschliches Gehirn in bestimmter Weise elektrochemisch aktiv ist und die betreffende Person trotzdem nichts empfindet, zum Beispiel das Blau einer Kornblume, Logische Unabhängigkeit von Gehirnaktivitäten und bewußten Wahrnehmungserlebnissen ist zu wenig, um irgendein Rätsel entstehen zu lassen. Physikalisch aber sind Gehirnaktivitäten und bewußte Wahrnehmungserlebnisse gar nicht voneinander unabhängig. Damit verschwindet das Rätsel, das sich aus der angeblichen Unabhängigkeit von physikalischen Gehirnaktivitäten und dem Wahrnehmungserleben ergibt. Es bleibt der Einwand 3), daß die Welt außerhalb unseres Bewußtseins allen Beobachtern in der gleichen Weise zugänglich ist, mein Bewußtsein und seine Inhalte hingegen keinem äußeren Beobachter zugänglich sind. Dieser Einwand bringt den Unterschied zwischen subjektiver Ich-Perspektive und der Beobachterperspektive ins Spiel: ii) Der Unterschied zwischen Ich-Perspektive und Beobachterperspektive Wenn ein äußerer Beobachter mein Gehirn beobachtet, wird er nur auf physikalisch zu beschreibende Gehirnaktivitäten stoßen, nicht jedoch auf das, was ich erlebe. Wenn ich eine blaue Kornblume betrachte, wird ein Beobachter in meinen Sinnes-und Nervenzellen nichts Blaues und schon gar nicht das Blau dar Kornblume entdecken. Ist das wirklich sonderbar, gar rätselhaft aus der Perspektive des Naturalisten? Angenommen, die Person P sieht ein blaues Objekt. In der Perspektive der neurobiologisch fundierten Wissenschaften vom Menschen und seinem Verhalten stellt sich der Unterschied zwischen der Perspektive der ersten Person und der der dritten ungefähr so dar: Für die Person P nicht wahrnehmbar blaues Objekt ¥ kausale Wirkungen ¥ Sinnesrezeptoren ¥ Gehirn ¥ ein die Farbe Blau des Objekts diskriminierendes Verhalten Für einen Beobachter zugänglich, teils (direkt) wahrnehmbar, teils theoretisch aus den Wahrnehmungen erschließbar Der Naturalist kann mithin antworten: Selbstverständlich wird, wenn das Gehirn wahrgenommen und beschrieben wird, nicht die gesehene Blume draußen in der Welt wahrgenommen und beschrieben. Das Gehirn und seine Aktivitäten sind etwas anderes als die blaue Kornblume. Allein, wenn(13) die blaue Kornblume, die Sinnesrezeptoren und das Gehirn in geeigneter Weise Energie austauschen, nimmt die entsprechende Person die blaue Kornblume wahr. Etwas wahrzunehmen ist ein Vorgang, der sich zwischen dem wahrgenommenen Objekt und dem Organismus, insbesondere dem sensorisch-neuronalen Apparat abspielt. Könnte ich etwas Blaues oder das Blau der Blume isoliert im Gehirn des Wahrnehmenden entdecken, so wäre dies im Gegenteil höchst verwunderlich und rätselhaft. Und noch eine häufig gestellte Frage kann der Naturalist beantworten: Warum nimmt eine Person P, wenn sie eine blaue Kornblume sieht, zwar u.a. die blaue Farbe wahr, nicht aber die von der Blume ausgehenden physikalischen Wirkungen, das dadurch ausgelöste Geschehen an den Rezeptoren, die bewirkten Gehirnzustände und deren Wirkungen auf die Motoneuronen, während ein Beobachter sehr wohl diese Kausalkette beobachtend-schließend lückenlos verfolgen kann? Niemand hat, so kann der Naturalist antworten, für die Aktivitäten der eigenen Sinnesorgane oder für bestimmte durch sie ausgelöste Gehirnaktivitäten eigene Rezeptoren, die wiederum mit anderen Teilen des Gehirns verbunden sind. Wir haben kein spezifisches Sensorium für die eigenen neuronalen Aktivitäten, so wie wir in den Schmerzrezeptoren ein eigenes Sensorium für bestimmte Veränderungen im Gewebe unseres Organismus haben. Deshalb nehmen wir zwar blaue Objekte, nicht jedoch unsere Gehirnaktivitäten wahr. Ein Anti-Naturalist wird sich nicht geschlagen geben. Vielleicht wird er antworten: Wenn eine Person P etwas wahrnimmt, dann nimmt eine andere Person höchstens das wahr, was auch P wahrnimmt, nicht aber das Wahrnehmen der Person P selber. Warum kann eine Person nicht das Wahrnehmen einer anderen Person selber wahrnehmen? Aber kann der Naturalist diese Frage nicht sogar besonders einfach beantworten? Zwei Organismen einschließlich ihres sensorisch-neuronalen Apparates sind numerisch verschieden und nicht direkt sensorisch-neuronal miteinander verschaltet. Deshalb nimmt eine Person niemals das Wahrnehmen einer anderen Person wahr. Ein Anti-Naturalist wie Nagel würde hier vermutlich nicht locker lassen. Ich habe, so wird er entgegnen, meine, Wahrnehmung der blauen Blume, eine andere Person ihre Wahrnehmung der blauen Blume, und meine Blauwahrnehmung kommt in dem, was die andere Person von außen wahrnehmen und beschreiben kann, nicht vor. Mithin ist die Beschreibung der Welt aus der Außenperspektive des objektiven Beobachters unvollständig. Allein, verstehen wir hier wirklich, was gesagt werden soll, oder nähern wir uns nun einem Punkt, wo die Sprache zu "feiern" beginnt, wie Wittgenstein gesagt hat? Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es das Blau einer Kornblume nicht zweimal gibt, einmal draußen in der Welt als Farbe der Blume, die auch ich sehen kann, und dann noch einmal geheimnisvoll als phänomenaler Inhalt der Wahrnehmung einer anderen Person. Vielmehr sieht die eine Person genau dasselbe blaue Objekt, das auch ich sehe. In der Tat, ich sehe die blaue Blume mit meinen Augen, der andere mit seinen Augen. Und das meint doch nur: Die Organismen zweier Personen sind voneinander getrennt und nicht sensorisch-neuronal miteinander verschaltet, die kausale Reizung des einen Organismus durch eine blaue Blume läuft unabhängig von der möglichen kausalen Reizung des anderen Organismus durch dasselbe Objekt ab. Was ist jetzt immer noch prinzipiell unverstanden? Aber bleibt nicht doch wahr, so wird sich ein Anti-Naturalist hartnäckig zu Wort melden, daß jeder nur aus der eigenen Anschauung weiß, was eine blaue Farbe ist und was es heißt, die Farbe Blau wahrzunehmen? Selbstverständlich bleibt das richtig und noch mehr. iii) Was ist dem Anti-Naturalisten zuzugeben? Aussagen der Form "Die Person P nimmt X wahr" lassen sich niemals vollständig auf andere, zum Beispiel rein physikalische Aussagen im engeren Sinne zurückführen oder durch sie ersetzen. Das kann der Naturalist genauso zugeben wie die Tatsache, daß sich Aussagen über Farben niemals vollständig auf andere, z.B. rein physikalische Aussagen im engeren Sinne zurückführen lassen. 4) Aussagen der Form "Person P nimmt x wahr", "«Person_P sieht eine blaue Kornblume", "Die Blüte dieser Blume ist blau" lassen sich nicht auf die Physik im engeren Sinne reduzieren. Jede Beschreibung der Welt ohne diese Aussagen wäre unvollständig. «lassen sich NOT auf die Physik im engeren Sinne reduzieren. Jede Beschreibung der Welt ohne- dieseAussagen ware unvollständig._ 5) Worauf wir das Wort "blau" anwenden, was die Farbe Blau ist, das wissen wir erst «anwenden, was die Farbe Blau _dann wirklich, wenn wir blaue Objekte gesehen haben; was es heißt, etwas wahrzunehmen, zum Beispiel blaue Objekte, das wissen wir erst, wenn wir etwas wahrgenommen haben. 6) Die eigenen Wahrnehmungen kann uns kein anderer abnehmen; schon gar nicht lassen sich diese Wahrnehmungen ersetzen durch Mitteilungen anderer Personen über das, was sie wahrgenommen haben. Hierin mögen Kritiker des Naturalismus Recht haben, und Naturalisten gehen vielleicht entschieden zu weit, wenn sie auch nur etwas davon ableugnen. Hat der Naturalist damit dem Anti-Naturalisten zuviel zugestanden? Werden Farben und das Farbensehen damit zu einem Rätsel? iv) Fazit Auch wenn über Wahrnehmungen im allgemeinen und über Farbwahrnehmungen im besonderen und ebenso Aussagen über Farben von Dingen physikalistisch nicht reduziert werden können, so ist deshalb nicht unverständlich, wie und warum aus elektrochemischen Aktivitäten im Gehirn bewußtes Erleben entsteht, es ist jedenfalls nicht unverständlicher als wenn die Physik irgend zwei andere Sachverhalte, und seien diese sogar im Vokabular der Physik im engeren Sinne homogen beschrieben, über Brückenprinzipien in einen (inferentiellen) Zusammenhang bringt. Des weiteren folgt nicht, der neuronale Apparat könnte physikalisch genauso sein wie er ist, ohne daß die betreffende Person "innerlich" irgendetwas phänomenal-qualitativ erlebt. Logisch ist das zwar möglich, jedoch nach der Wahrnehmungsforschung ist dies physikalisch so wenig möglich wie es nach der Gravitationstheorie möglich ist, daß zwei hinreichend nahe Massen sich nicht aufeinanderzubewegen. Trotzdem kann auch ich die blaue Kornblume sehen, die ein anderer sieht, und kann dies auch beschreiben. Sätze wie "da ist eine blaue Kornblume" oder "Auch ich sehe die blaue Kornblume" sind zwar keine Sätze der Physik im engeren Sinne, aber sie beschreiben doch etwas in der objektiven Außenwelt. Wörter wie "blau", "Kornblume" gehören sehr wohl zum Vokabular der Physik und der sich an sie anschließenden anderen Erfahrungswissenschaften im weiteren Sinne. Insofern fällt aus der Beschreibung eines äußeren Beobachters gar nicht heraus, was ein anderer erlebt, der die Welt wahrnimmt. Ansonsten ist es gerade vom Standpunkt der empirischen Wahrnehmungsforschung nicht rätselhaft, warum man die Inhalte des Erlebten nicht durch die isolierte Beobachtung des Gehirns einer Person beobachten kann und warum mein Farbensehen numerisch verschieden und kausal unabhängig ist vom Farbensehen einer anderen Person. Wenn es anders wäre, erst dann wäre es auf einmal wirklich rätselhaft. Kurz: Selbst für den Naturalisten, der die Thesen 4) bis 6) unterschreibt, werden deshalb die Farben und das Farbensehen noch lange nicht zu einem Rätsel im Sinne der Thesen 1) bis 3). Wenn das bewußte Erleben, das phänomenale Bewußtsein für den Naturalisten tatsächlich ein Rätsel sein sollte, so läßt sich dieses Rätsel zumindest nicht am Beispiel der sogenannten Farbempfindung (besser: des Farbensehens) plausibel machen, geschweige denn beweisen. Anmerkungen: (1) Thomas Nagel, Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie. Stuttgart: Reclam Verlag 1990, S. 26. (2) Peter Bieri, Was macht Bewußtsein zu einem Rätsel?, in: Thomas Metzinger (Hrsg.), Bewußtsein - Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie, Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh 1996, S. 63. (3) Thomas Nagel, a.a.O., S. 27. (4) Vgl. Frank Jackson, What Mary Didn't Know, in: David Rosenthal (editor), The Nature of Mind, Oxford, New York: Oxford University Press 1991. (5) Peter Bieri, a.a.O., S. 66. (6) Emil Du Bois-Reymond, Die Grenzen des Naturerkennens, in: Emil Du Bois-Reymond, Vorträge über Philosophie und Gesellschaft, Hamburg: Meiner 1974, S. 71. (7) David Chalmers, Das Rätsel des bewußten Erlebens, in: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2/1996, S. 40. (8) Man kann sogar generell sagen, daß jemand über eine Theorie verfügt, wenn folgendes gilt: - Er kennt Phänomene P: er kann sie (zunächst umgangssprachlich) soweit beschreiben, daß er sie auffinden, gegebenenfalls herstellen und beobachten kann; - Er kennt allgemeine Schemata S, wie Phänomene des Typs P unter bestimmten Rahmen- und Anfangsbedingungen zu beschreiben sind; - Er kann je nach den Rahmen- und Anfangsbedingungen und wenigen Daten (Informationen) über ein konkretes Phänomen Pk vom Typ P das Schema S zu einer Beschreibung B(Pk) von Pk spezifizieren; - Mit Hilfe der Beschreibung B(Pk) kann er mit nur wenigen zusätzlichen Daten (Informationen) über Pk sehr viele weitere andere Daten (Informationen) über Pk erschließen; - Damit ist er in der Lage, viele Aufgaben und Probleme in bezug auf Phänomene der Art P bzw. in bezug auf Pk zu lösen. Herzstück einer wissenschaftlichen Theorie sind also diese allgemeinen Beschreibungsschemata. Sie sollen vor allem eine Eigenschaft aufweisen: Sei DMP eine Menge von logisch unabhängigen Daten (Beschreibungen von Sachverhalten), die auf bestimmte Phänomene P zutreffen. Dann soll das Beschreibungsschema S bzw. seine Anwendung S(Pk) auf ein konkretes Phänomen Pk eine hohe inferentielle Dichte in DMP stiften. Das bedeutet: Für möglichst viele verschiedene Daten d1dDMP und d2dDMP soll es möglich sein, mit ganz wenigen weiteren Daten d3,...,dn mit Hilfe von S bzw. S(Pk) logisch zu folgern. (9) Diese Erklärung basiert auf einem direkten Realismus der Wahrnehmung, wie ihn zum Beispiel auch Aristoteles vertritt: Was wir direkt wahrnehmen, ist in der Welt auch so vorhanden. Damit wird natürlich auch die These abgelehnt, es gebe primäre und sekundäre Qualitäten und die Farben gehörten zu den sekundären Qualitäten. (10) Das ist zugegebenermaßen wissenschaftlicher Realismus, wonach die theoretisch erschlossenen Entitäten, von denen unsere fortgeschrittenen Theorien handeln, ebenso existieren wie die beobachtbaren Objekte und ihre Eigenschaften. (11) In diesem Sinne ist es nicht notwendig, daß der Mond um die Erde kreist. Der Einwand vermißt offensichtlich gerade die Notwendigkeit an dem Zusammenhang zwischen Gehirnaktivitäten und dem Erleben. Bieri zum Beispiel (a.a.O, S. ) schreibt über das, was jemand aufgrund eines Rundgangs durch das Gehirn sieht: "Nichts an dem, was uns gezeigt worden ist, scheint es notwendig zu machen, daß da einer etwas erlebt" (S. 66). Und über den Zusammenhang zwischen Gehirnaktivitäten und dem Erleben, so wie ihn die Wahrnehmungsforschung erkennen und eruieren kann, schreibt er etwas später: "Wir bezweifeln nicht, daß es hier Gesetzmäßigkeiten und also Notwendigkeiten gibt" (S. 67) Aber daß Naturgesetze die Behauptung eines notwendigen oder gar eines kausal notwendigen Zusammenhangs zwischen Ereignissen oder Objekten einschließen, ist eine höchst umstrittene These in der Wissenschaftstheorie. Das Mindeste, was sich dagegen einwenden läßt, ist der bereits für die in Frage stehende These sehr prekäre Hinweis, daß es bis heute nicht gelungen ist, die Rede von kausaler Notwendigkeit, die mehr benutzt als den unproblematischen Begriff der logischen Notwendigkeit, halbwegs plausibel zu explizieren. Man kann zudem mit Fug und Recht bezweifeln, daß Wissenschaftler jemals in einem substantiellen Sinne von kausaler Notwendigkeit reden und daß dieser Begriff für die metatheoretische Analyse der Wissenschaften unverzichtbar ist. (12) Der m.E. einzig unproblematische Sinn, in dem von physikalischer Unmöglichkeit geredet werden kann, ist der hier verwendete: Ein Sachverhalt, daß p, ist physikalisch unmöglich, wenn aus unseren akzeptierten einschlägigigen physikalischen Theorien logisch folgt, daß nicht-p. Entsprechend sind die anderen Modalitäten (physikalisch notwendig, physikalisch möglich etc) zu verstehen. (13) Man kann diesen Austausch theoretisch als Informationsübertragung und Informationsverarbeitung beschreiben.