***************************************************************** * * Titel: Von Savignys 'PHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNGEN' und Wittgensteins "PU". Kritische Bemerkungen zu Eike von Savignys "Der Mensch als Mitmensch - W.s 'PU'" Autor: Ernst Michael *Lange* Dateiname: 06-2-97.TXT Dateilänge: 108 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/97, Datei: 06-2-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Ernst Michael Lange "... eine charakteristisch Wittgensteinsche Überlegung - denk nicht, sondern schau! Der Leser soll bemerken: hätte er nicht philosophische Vorurteile, dann würde er nie auf den Gedanken kommen,..." v. Savigny 1994, 340 ad PU 284 (1) Eike von Savignys (im folgenden: v.S.) mehr als zwanzigjährige Bemühungen um ein Verständnis u.a. der Philosophie Ludwig Wittgensteins (im folgenden: W.) haben mit der Neubearbeitung des zweiten Bandes seines Kommentars und dem gleichzeitig erschienenen "Der Mensch als Mitmensch" wohl einen vermutlichen Abschluß erreicht, der eine kritische Bilanz erlaubt, aber auch verlangt, weil die Deutungen, die er dem Werk der größten deutschsprachigen begrifflichen Begabung seit Kant gegeben hat, einflußreich zu bleiben drohen.*1* Meine Kritik ist durch den Eindruck motiviert, daß v. S. Deutungen in manchen grundlegenden Hinsichten irreführend sind und dem vorrangigen Erfordernis an Interpretation, zunächst die intendierte Deutung des Textes zu erheben, nicht genügen. Da v.S. seine Deutungen mit Erwägungen zu Prinzipien von Interpretation absichert, werde ich mich zunächst mit diesen beschäftigen (I.), mich dann der konventionalistischen Explikation des Sprachspielgedankens zuwenden, die v.S. aus W.s Klärungen über Bedeutung, Meinen und Verstehen gewinnt, und seine Version des Community Views, der Auffassung vom notwendig sozialen Charakter des Befolgens einer Regel, kritisieren (II.). Dann erörtere ich die Philosophiekonzeption W.s in ihrem internen Zusammenhang mit der Sprachkonzeption und dessen Auswirkung auf die Form der Philosophie (III.), um mich schließlich mit der Möglichkeit und Notwendigkeit einer anderen Interpretation der intendierten Auffassung der PU zu beschäftigen (IV.). Ich habe von den kritischen Diskussionen von v.S. Kommentar durch Hans-Johann Glock und Wolfgang Carl gelernt, finde aber, daß weiteres zu sagen ist. Ich werde mich als Haupttext an den Aufsatzband von 1996 als die wohl aktüllste Fassung der Deutung halten (MaM) und die Neubearbeitungen der beiden Kommentarbände ergänzend heranziehen. Meine Kritik ist selektiv und wird der Fülle der differenzierten Einsichten, die v.S. im einzelnen erzielt, unvermeidlich nicht gerecht. Ich erkläre daher im voraus, daß mich die mehrmonatige Beschäftigung mit v.S. Wittgenstein-Deutung, obwohl nicht selten geärgert, doch in vielerlei Hinsicht belehrt hat, und ziehe die Rechtfertigung zu überwiegend kritischer Äußerung aus seiner ausdrücklichen Aufforderung, "eine bessere immanente Gesamtinterpretation zu finden." (34) Das ist natürlich im Rahmen eines Aufsatzes allenfalls programmatisch skizzenhaft möglich. I. Interpretation (2) Zunächst einmal ist bemerkenswert, daß v.S. eine bessere immanente Gesamtinterpretation nicht nur nicht ausschließt, sondern positiv für möglich hielte. Denn er akzeptiert die Forderung eines anderen Kritikers, Ulrich Pothast, "große philosophische Texte müßten in der 'Eigentümlichkeit ihrer philosophischen Position in Einheit mit ihrer höchst eigentümlichen Form' verstanden werden." (1994, 7 f.). Diese Aufgabe hält er aber hinsichtlich der PU "für unlösbar". (ebd.) Statt dessen orientiert er sich an den in der Literatur vorkommenden Interpretationswegen und entscheidet sich für einen von beiden. Der eine Weg ist der, trotz scheinbarer Sprunghaftigkeit in W.s Texten nach der zusammenhängenden Erörterung kompakter Themen zu suchen und diese auszulegen; der andere, die Zusammenhanglosigkeit prima facie zu akzeptieren und als bewußte Ausformung eines philosophischen Stils zu verstehen, der dem Denken des Lesers auf die Sprünge helfen will, indem er ihn immer wieder Fehler machen und diese selbst erkennen läßt. (7) v.S. erkennt den zweiten Weg an, sogar, daß W. das auf ihm ermittelte Ziel seiner PU bewußt verfolgt habe. Da das aber nicht ausschließe, daß W. auch zu inhaltlichen Dingen Interessantes und Wohlbegründetes zu sagen gehabt habe, entscheidet er sich für eine Verbesserung des Interpretationsansatzes auf dem ersten Weg: nicht nur zusammenhängende Erörterung kompakter Themen, sondern die Konstruktion des Textes im ganzen als eines fortlaufend argumentierenden, weil er die "in den nachgelassenen Schriften vergrabenen philosophischen Schätze nicht zu heben... ausgesprochen traurig (fände)." (8) Obwohl er die Meinung respektiere, daß man mit einem solchen Zugang den PU und anderen Nachlaßschriften "Unrecht (tü)", erklärt v.S., ihm gehe bei seinem Vorgehen "das Unrechtsbewußtsein ab." (8) Das wohl deshalb, weil er die Meinung vertritt, daß sich die wohlbegründeten philosophischen Gedanken der PU "zu einem Gesamtbild vom Wesen des Menschen runden". Dazu müssen freilich dem Text Thesen zugeschrieben werden, von denen behauptet wird, daß für die erste bis PU 315, für die zweite in der zweiten Hälfte von PU Teil I argumentiert werde. Es sind dies folgende Thesen: (1) "Ein Mensch kann nur deshalb mit einer Äußerung etwas meinen, weil seine Mitmenschen bereit sind, die Äußerung in gewisser Weise zu verstehen; das Sprachverhalten des Individuums ist nur deshalb bedeutungsvoll, weil die Reaktionen der Umgebung ihm Bedeutung geben." (8) (2) "Einem einzelnen Menschen ist nur insofern irgendwie zumute, als / er das im Verhalten ausdrücken kann, und was sein Verhalten ausdrückt, hängt davon ab, wie seine Umgebung darauf zu reagieren bereit ist, wie sie es sieht." (8-9) Ferner geht es v.S. um die Abwehr der Meinung, W. habe "eigentlich nur oder vor allem etwas über das richtige Philosophieren sagen wollen." (9) (3) Das erste Kapitel von MaM erklärt, warum sich die PU einem solchen Interpretationsansatz fügten: sie hätten gegenüber dem übrigen Nachlaß eine Autarkie, wie ein antiker Text, über dessen Autor nichts bekannt ist. Solche Autarkie zu behaupten, impliziert eine Annahme der "Spärlichkeit von zuverlässigen Informationen über ... philosophische Motive" seines Autors (11). Folgende Fragen seien auseinanderzuhalten: Wie ist ein Autor dazu gekommen, das zu schreiben, was er schließlich geschrieben hat; und: Was hat er geschrieben - oder: Warum hat er sich so und so ausgedrückt, und: Was hat er gesagt. Die letztere sei nicht dieselbe wie die, "was er gemeint hat". Zwar hänge die Frage, was er gemeint hat, zusammen mit der historischen Frage 'wie/warum?', aber der Zusammenhang verdanke sich der Einbettung in ein Knäül von Fragen, die um das Problem kreisen, "worum sich Autor gekümmert hat, als er im Schreiben seine Fragen stellte". (13) (4) v.S räumt ein, es sei übertrieben, die beiden Fragen so weit auseinanderzuhalten, aber die "Übertreibung ...(sei) im Grundsatz richtig". Dazu gibt es die Begründung zweier Thesen: (1) Wenn man weiß, was der Autor gemeint hat, liefert uns das nur sehr indirekte Hinweise darauf, was er gesagt hat, insbesondere bei verstorbenen Autoren. (2) Herauszufinden, wie er dazu gekommen ist, ist kein ausreichendes Mittel, wenn man herausfinden will, was er gemeint hat. Nach diesen Begründungen kommt v.S. zum Thema, warum man die PU wie einen antiken Solitär lesen könne - nämlich herausfinden kann, was er gesagt hat, "ohne uns groß um seine Lebensgeschichte zu kümmern". (14) (5) Hierzu möchte ich nur bemerken: Übertreibung ist, von Ausnahmen abgesehen, in der Regel ein Fehler; was übertrieben wird, kann, wenn nicht übertrieben, richtig sein. Sich um philosophische Motive eines Autors zu kümmern, heißt nicht, sich für Lebensgeschichte interessieren zu müssen, sondern nur für autoritative Motiverklärungen (vgl. 15). Diese laufen nicht auf biographische Interpretation (17 ff.) hinaus. (6) Lassen wir daher die Begründungen der Thesen aus und notieren nur die in ihrem Zuge geäußerte richtige Ansicht, daß außer der Vorgeschichte eines Textes auch seine Nachgeschichte für das, was gemeint war, wichtig sein kann (27-30). v.S. spezifiziert vier Prinzipien der Interpretation: a. sprachliche Einzelheiten seien ernstzunehmen; b. Achtung vor dem Kontext sei zusammen mit einem Kohärenzprinzip (d.) unabdingbar, wenn man bestimmen will, worum es in Folgen von Abschnitten gehe, was wiederum für Unterscheidung zwischen W. und seinem Dialogpartner wichtig sei. (31) c. wohlwollende Interpretation müsse geübt und so interpretiert werden, daß Behauptungen des Autors überwiegend zutreffen. d. Kohärenzprinzip: Der Text ist so interpretieren, daß alle seine Teile füreinander maximal bedeutsam sind. Das schließe wie eine bloße Konsistenzforderung interpretative Willkür aus, aber fordere zusätzlich induktive Konsistenz - weil andernfalls der Text "als Steinbruch für Aphorismen" mißbraucht zu werden drohe (32). Die Anwendung dieses Prinzips sei für Kontroversen immer gut, "weil man beim Sehen von Strukturen ziemlich viel Freiheit hat". Aber Savigny meint, das Prinzip sei nicht konseqünt angewendet, "wie man den Text nicht so verstehen kann, daß er ein und nur ein Hauptthema erörtert ... (Das sei das) Schicksal aller Theoriebildung" (32), dem Interpretieren eines Textes darin ähnlich, daß es wie "theoretische Erklärungen ... auf eine Menge von Daten einen Reim ... finden" will (33). Bei argumentierenden Texten bedeute Kohärenz nicht nur thematische Geschlossenheit, sondern "auch straffe Argumentation", die er um so mehr aufweise, "je weniger zentrale Thesen er zu begründen sucht und je enger sie miteinander verknüpft sind. Gerade unter dieser Annahme kommt es erst zu der notwendigen Einschränkung der Interpretationswillkür." (7) Die Grenze des "Vermutens argumentativ gestifteter Zusammenhänge ...(liege) im Wortlaut und in der inhaltlichen Plausibilität des resultierenden Textverständnisses". Deshalb sei immanente Interpretation unter den genannten Prinzipien ein Versuch, der scheitern kann, aber nicht zirkulär. (33) Wenn der Versuch scheitert, sei es W. eben nicht gelungen ... "auszudrücken, was immer er hätte sagen wollen". Bis er scheiterte, gäbe es "guten Gewissens die Hoffnung..., daß der Text aus sich heraus verständlich ist." (34) (8) Ich komme nach diesem Referat zu ersten zusammenhängenderen kritischen Bemerkungen. Die ersten beiden Interpretationsmaximen sind unstrittig, ihre Anwendung durch v.S. ist virtuos und streckenweise sehr erhellend. Mit dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation muß man auch nicht streiten, wenn ihm nicht eine rationalistische Deutung gegeben wird. Die gibt v.S. ihm, wohl im Gefolge von Interpretationstheorien wie der von Davidson, weil er das Prinzip so verteidigt, daß "um so unklarer wird, worum es im Text geht", wenn er nicht so interpretiert wird, daß seine Behauptungen zutreffen. Das soll wohl heißen, daß sie wahr sind. Aber im Verstehen von Texten und Äußerungen geht es um Sinn, nicht um Wahrheit oder Falschheit - und Sinn geht nach einem tiefverankerten Prinzip auch W.s der Entscheidung über Wahrheit oder Falschheit voraus. Es läßt sich, unter der Maxime des Wohlwollens, geradezu sagen: Man versteht um so besser, je mehr man die Wahrheitsfrage, die quästio juris, von der Sinnfrage, die bei Texten und Äußerungen die quästio facti ist, dadurch getrennt hält, daß man erstere suspendiert. Zwar hat auch W. vertreten: "Man prüft an der WAHRHEIT meiner Aussagen mein VERSTÄNDNIS dieser Aussagen." (ÜG 80) 'Mein Verständnis der Aussagen' ist der von mir intendierte Sinn. Aber seinem Kontext zufolge ist dieses Prinzip zunächst auf elementare Aussagen einzuschränken. Wenn man z.B. falsche Aussagen verständlich machen kann - wenn man erläutern kann, wie der Autor ihnen hat zustimmen können, dann ist das Prinzip der wohlwollenden Interpretation nicht verletzt. Also kann man sich zum Verständnis auch nur des in einem Text Gesagten von der Wahrheitsfrage weitgehend entlasten. Das gilt um so mehr, wenn auf einen Text zutrifft, was W. in seinem Vorlesungen ausdrücklich einmal gesagt hat und was, auch nach v.S., auch für die PU richtig ist (29: "daß die Bedeutung des Textes der 'PU' im großen und ganzen nach einiger Anstrengung durchaus klar ist"): "Was wir sagen, wird einfach sein, doch zu erkennen, weshalb wir es sagen, das wird sehr schwierig sein." (Vorl. 242) EINE INTERPRETATION, DIE SICH UM DIE PHILOSOPHISCHEN MOTIVE DESSEN, WAS GESAGT WIRD, NICHT KÜMMERT, JA SIE AUSDRÜCKLICH FÜR "schlicht unbeachtlich" (1994, 4) ERKLÄRT [v.S. hält W.s Auffassung über Thesen in der Philosophie in PU 128 für "grotesk falsch" (1994, 174)], LÄUFT GEFAHR, GERADE ZU DEM NICHTS ZU SAGEN ZU HABEN, WAS W. SELBST UND WOHL ALLE UNBEFANGENEN LESER DER PU FÜR BESONDERS SCHWIERIG ZU VERSTEHEN HALTEN MÜSSEN. [Bei v.S. äußert sich dieses Unvermögen einmal in geradezu rührender Weise mit einem auf literarischen Geschmack ausdrücklich keinen Anspruch erhebenden Zitat eines Verses, von dem der Leser seines Kommentars - ich jedenfalls, ungebildet wie ich bin - sicher gern gewußt hätte, von wem er ist: "Unvermittelt, wie' s so geht, /kommt die Frage aufs Tapet;/ und es fragt sich, wer sie liest,/ was wohl ihre Absicht ist" (zu PU 558; 1996, 242).] (9) Während sich dem dritten Interpretationsgrundsatz noch eine akzeptable Deutung geben läßt, ist das bei dem letzten - Kohärenz oder induktive Konsistenz - nicht der Fall. Er führt dazu, den Charakter des Textes, weil er ein auf begriffliche Klärung gehender Argumentierender sei (33), zu verfälschen. Nicht nur hat Wittgenstein keine Thesen vertreten wollen, er hat die Thesen, die v.S. ihm zuschreibt, nicht vertreten und auch nicht impliziert (s.u.). Die Interpretationsmaxime der Kohärenz zwingt dazu, den Text zurechtzustutzen - auch in einem ganz äußerlichen Sinn. v.S. ist der Meinung, das Vorwort der PU von 1945 gehöre nicht zum Text. Er gibt in der Neubearbeitung 1994 zu, daß diese Vorentscheidung seines Kommentars aufgrund philologischer Klärungen durch von Wright "als falsch anzusehen ist" (1994, Fn 2), korrigiert sie aber nicht. Im VORWORT aber finden sich nicht nur die Passagen, die die von ihm abgewiesenen, nichtrationalistischen hermeneutischen Interpretationsweisen legitimieren, sondern auch Charakterisierungen des Textes selbst, die es verbieten sollten, dem Text eine "Struktur straffer Argumentation" (33) für "im wesentlichen eine These" (34) zuzuschreiben. Es sind im wesentlichen die folgenden: "Im dem Folgenden veröffentliche ich Gedanken, den Niederschlag philosophischer Untersuchungen, die mich in den letzten 16 Jahren beschäftigt haben.... - Meine Absicht war es von Anfang an, alles dies einmal in einem Buche zusammenzufassen, von dessen Form ich mir zu verschiedenen Zeiten verschiedene Vorstellungen machte. Wesentlich aber schien es mir, daß darin die Gedanken von einem Gegenstand zum andern in einer natürlichen und lückenlosen Folge fortschreiten sollten. Nach manchen mißglückten Versuchen, meine Ergebnisse zu einem solchen Ganzen zusammenzuschweißen, sah ich ein, daß mir dies nie gelingen würde. Daß das beste, was ich schreiben konnte, immer nur philosophische Bemerkungen bleiben würden; daß meine Gedanken bald erlahmten, wenn ich versuchte, sie, gegen ihre natürliche Neigung, in einer Richtung weiterzuzwingen. - UND DIES HING FREILICH MIT DER NATUR DER UNTERSUCHUNG SELBST ZUSAMMEN. SIE NÄMLICH ZWINGT UNS, EIN WEITES GEDANKENGEBIET, KREUZ UND QÜR, NACH ALLEN RICHTUNGEN HIN ZU DURCHREISEN. - Die philosophischen Bemerkungen dieses Buches sind gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf diesen langen und verwickelten Fahren entstanden sind. ... - So ist also dieses Buch eigentlich nur ein Album." (Hervorh. hinzugefügt) (10) Wenn das Buch ein Album von Landschaftsskizzen ist, dann ist nicht zu erwarten, daß es "einem wissenschaftlichen Text" (1994, 3) mit einer straffen Argumentation für im wesentlichen eine These gleicht, auch wenn die Skizzen so beschnitten worden sind, "daß sie dem Betrachter ein Bild der Landschaft geben konnten." Denn auch wenn in einer Landschaft wegen der homogenen Struktur des Raumes von jedem Punkt aus jeder andere im Prinzip erreichbar ist, muß er das nicht auf dem gradlinigen Weg sein, den die Erwartung straffer Argumentation suggeriert. Die Struktur des Bildes der Landschaft wird vielmehr von ihrer Beschaffenheit abhängen, und wenn diese so ist, daß auch "die allgemeinsten Bemerkungen ... höchstens (ergeben), was wie die Trümmer eines Systems aussieht" (PU II, XI, S. 575)*2*, dann ist die Erwartung der systematischen Einheit straffer Argumentation einfach fehl am Platze. Sie trotzdem mit dem Kohärenzprinzip in der Deutung v.S. zu investieren, gleicht dem Verhalten des Betrunkenen aus dem bekannten Witz, der auf dem Nachhauseweg seinen Hausschlüssel im Dunkeln verloren hat und dann abseits des vermutlichen Ortes des Verlustes unter einer Laterne nach dem Schlüssel sucht, 'weil es da einfach heller ist'. (11) Zu v.S. Deutung des Kohärenzprinzips gehört, Interpretation nach dem Muster von theoretischen Erklärungen aufzufassen, die darauf aus sind, "auf eine Menge von Daten einen Reim zu finden." (33) Diese Formulierung macht den Fehler des Interpretationsansatzes handgreiflich: Er impliziert, den Text unter Absehung von seiner etwa intendierten Struktur zunächst zu einer Menge von Daten zu entqualifizieren, um ihm dann die Struktur eines straff argumentierenden Textes aufzuprägen. Statt dessen wäre hermeneutisch vorzugehen und die intendierte Struktur des Textes zu eruieren. Dazu werde ich am Ende einen Vorschlag skizzieren, den freilich erst eine ausgeführte Interpretation substantiell machen kann. II. Sprachspiel, Gebrauch, Bedeutung (12) Das für das Buch (MaM) neu verfaßte 2. Kapitel unternimmt es, aus W.s Bemerkungen zu den Begriffen im Titel eine Bedeutungstheorie zu entwickeln, die Bedeutung als Gebrauch qua Rolle im Sprachspiel erklärt und dies durch eine Rahmenauffassung von Äußerungsbedeutungen als durch konventionale Vorbedingungen und konventionale Ergebnisse gekennzeichnet expliziert, in der Sprechaktauffassungen im Anschluß an Austin und Searle mit Konventionsauffassungen im Gefolge von Lewis, Bennett und Schiffer verbunden werden. Diese wittgensteinianisch gemeinte Bedeutungstheorie wird ausdrücklich als "Ausarbeitung des 'Rolle im Sprachspiel'-Gedankens" gekennzeichnet (59) und eingeräumt, daß "dieses Bild, oder ein ähnlich stark verallgemeinerndes, ... bei Wittgenstein nicht ausgemalt (wird)." (60) Die Ausarbeitung soll u.a. gerade dadurch ihre Angemessenheit erweisen, daß sie es möglich macht, einen bei W. in den PU wiederholt gemacht "offenkundigen Fehler" (61) zu diagnostizieren, den, zwischen Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung nicht stabil zu unterscheiden, obwohl W. diese Unterscheidung durchaus gesehen habe (PU 21, 70a, 79a, 278; LS I, 44) (vgl. auch 1994, 58 zu PU 22). (13) Nun liegt, wenn ein Autor eine Unterscheidung durchaus gesehen hat, aber von ihr keinen seine Argumentationen prägenden Gebrauch gemacht hat, die Vermutung nahe, sie sei ihm einfach nicht wichtig gewesen, und der Interpret hätte mögliche Gründe dafür zu erwägen. Es wird W. nicht wichtig gewesen sein (für ihn keine Bedeutung gehabt haben), Satzbedeutungen als "theoretische Entitäten" für "eine Theorie zu Systematisierungs- und Voraussagezwecken [zu] postulier(en)" (67), weil es ihm gar nicht um eine Bedeutungstheorie ging - und dies nicht nur deshalb, weil er statt 'Theorie' lieber 'übersichtliche Darstellung' gesagt hat (vgl. 1994, 5 sowie 162 f. zu PU 109 und 174 zu PU 128). Er wollte eine von vielen möglichen Ordnungen in "unserm Wissen vom Gebrauch der Sprache ... herstellen" (PU 132), dabei rein deskriptiv verfahren ( PU 109, 124 a-c), "die Wörter von ihrer metaphysischen wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück(führen)" (PU 116 b) und die Übersicht anzielenden Beschreibungen der Sprache "ihr Licht, d.h. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen" empfangen lassen (PU 109). Zu diesen philosophischen Problemen, um deren Auflösung in vollkommener Klarheit (PU 133b) es W. ging, zählte für ihn das moderne Problem einer Theorie der Bedeutung für natürliche Sprachen, über das man füglich mutmaßen darf, daß es eine weitere philosophische Illusion ist, NICHT. (14) Man kann daher die Ausarbeitung v.S. als Wittgenstein-Interpretation auf sich beruhen lassen, wenn auch nicht die Interpretationen W.s, die sie benutzt. Denn diese sind teilweise irreführend. Aber das diese Ausarbeitung bestimmende Interesse kann vielleicht die Wahl der Interpretationsmethode v.S. verständlich machen: Wenn man selbst an einer solchen Theorie interessiert ist und sie in mehreren Versionen auch vorgelegt hat, dann liegt es überaus nahe, Wittgenstein von den diese Theorie bestimmenden Vormeinungen her und also möglichst systematisch zu lesen und auszulegen.*3* Auch der Begriff der Bedeutung ist einer unserer normalen Sprache, und auch ihm gegenüber wollte W. rein deskriptiv verfahren. Man kann seinen Bemerkungen leicht eine noch größere Übersichtlichkeit geben, wenn man als Grundbedeutung von Bedeutung Wichtigkeit annimmt *4* - einem Sprecher ist wichtig, was er sagen will oder MEINT, dem ihn Hörenden, wie das Gemeinte ZU VERSTEHEN ist, und zwischen beidem vermittelt das, was an den verwendeten Ausdrücken wichtig ist, wie sie verwendet werden, weil zu verwenden sind, ihre BEDEUTUNG, also ihr GEBRAUCH IN DER SPRACHE. Der auch wird letztlich erklärt, wenn die Bedeutung eines Wortes erklärt wird, und deshalb kann man die Bedeutung von 'Bedeutung' explizit verstehen lernen, wenn man sich ansieht, "was man 'Erklärung der Bedeutung' nennt" (vgl. PU 560) - das spezifiziert dann auch die allgemeine Rede vom "Gebrauch in der Sprache" (PU 43). Mit solchen deskriptiven Erinnerungen, die zum Teil die Allgemeinheit von Übersichten haben (PU 560) und die internen Artikulationen unserer normalen Begriffe sprachlicher Bedeutung hervorheben, ist ein Bedeutungstheoretiker nicht zufrieden. W. konnte es sein, weil es ihm um die Sprache nur mittelbar, unmittelbar aber um die Auflösung philosophischer Probleme zu tun war. Es ist daher auch charakteristisch für v.S. theoretizistische Lektüre W.s, daß er mit der deskriptiv erreichbaren Übersicht in PU 560 ausgesprochen depotenzierend verfährt und sie auf ihren engsten Kontext beschränken möchte (vgl. 1996, 245 zu PU 560). v.S. meint, es gehe da nur um die Bedeutung des Wortes 'Bedeutung' und die sei das "was die Erklärung der Bedeutung VON 'BEDEUTUNG' (m. Hervorheb.) erkläre". Das reduziert die Bemerkung auf eine analytische Trivialität, die sie nicht ist - die Erklärungen der Bedeutungen von Wörtern stellen ihren Gebrauch (im Kontext, letztlich in der Sprache) klar, und deshalb kann man über die Bedeutung von 'Bedeutung' Klarheit gewinnen, wenn man sich fragt, was alles man eine Erklärung der Bedeutung eines Wortes nennt. Für eine nicht theoretisch voreingenommene Lektüre sagt der Abschnitt also genau das, was v.S. bestreitet - daß Bedeutung und Bedeutungserklärung intern zusammenhängen. v.S. bestreitet genaür, "daß Bedeutungen von Wörtern durch Bedeutungserklärungen festgelegt werden" - und das mit dem teilweisen Recht, daß er im Blick auf PU 204 in W.s Erörterungen über das 'einer Regel folgen' neben dem bekannten, schon bei Kant angedeuteten (KrV B 172/A 133) Argument gegen den Deutungsregreß aus PU 198/201 ein Argument gegen einen Festsetzungsregreß entdeckt (1994, 253 ff.; 115f.), das aber voraussetzt, daß ALLE Regelgeltung auf Festsetzung beruhe (116). Das muß aber für die Relevanz von Bedeutungserklärungen als Regelfestsetzungen ('wenn du verstehen willst, was ich meine, versteh', was ich sage, SO') gar nicht angenommen werden - nur, daß bei Mißverständnissen solche Erklärungen möglich sind. Wieder ist theoretizistisches Verallgemeinerungs- und Argumentierinteresse am Werk. Aber es gibt einen weiterreichenden Grund, der mich zur Erörterung von v.S. erster W. zugeschriebener These bringt - v.S. gibt eine Deutung des Sinns der Erörterungen über 'einer Regel folgen', die eine grundlegende Relevanz von Bedeutungserklärungen für Bedeutung ausschließt. Dies ist eine der auch für seine Ausarbeitung wichtigen Interpretationen, die nicht auf sich beruhen bleiben dürfen, weil sie irreführen. (15) Ein Sprachspiel erklärt v.S. als "eine Menge von Regelmäßigkeiten im Zusammenhang von Äußerungen und Tätigkeiten" (49). Er führt dafür aus PU 7 nur Absatz d ins Feld, läßt die am gleichen Ort sich findenden Erläuterungen 'primitive Sprache' (PU 7 b) und 'sprachähnliche Vorgänge' (PU 7 a in Verbindung mit c) weg und tilgt damit W.s Bemühen, mit der aspektbeleuchtenden Metapher 'Sprachspiel' eine Familie von Vorgängen und keineswegs nur die ausgebildete Sprache zu charakterisieren - wieder eine theoretizistische Verengung. Für 'Sprachspiel' in dem verengten Sinn gelte allgemein zweierlei - mehrfache Instantiierbarkeit und die Verwobenheit von Äußerungen und Tätigkeiten. Ein Grund dafür - neben dem Vergleich mit formell geregelten Spielen wie Schach - , von 'Sprachspiel' zu reden, sei sicher auch die Beteiligung mehrerer Spieler. (48f.) Nach den gegebenen Erläuterungen wäre das bloße Operieren mit Zeichen etwa in Ausführung einer Rechnung für W. kein Sprachspiel, denn es wäre nicht mit Tätigkeiten verwoben (die einzigen Tätigkeiten, die beim Rechnen auftreten, sind die, in denen das Rechnen besteht). Das ist aber offensichtlich irreführend, und W.s Aufnahme der sprachähnlichen Vorgänge unter die Erläuterungen für den Sinn von 'Sprachspiel' baut genau dieser Irreführung vor. Sie ist zugleich eine Illustration der 'Autonomie' der Sprachspiele, die hervorzuheben W. in Qüllen, die zu benutzen v.S. sich aufgrund der Strategie der sogenannten 'immanenten Interpretation' verbietet, neben dem Familienähnlichkeitscharakter von Spielen ausdrücklich als das entscheidende Motiv, von SprachSPIELEN zu sprechen, hervorgehoben hat.*5* (16) Ferner ist die gegebene Charakterisierung von Sprachspielen als 'Regelmäßigkeiten' eine Unterbestimmung, weil Regelmäßigkeiten nicht normativ sein müssen, die für Sprache konstitutiven Regelmäßigkeiten aber immer normativ charakterisiert sind. v.S. versucht für diese Bestimmung unter Hinweis auf PU 232-37 allein durch das Merkmal des 'einer Regel folgen' aufzukommen, "erlernbare Leistung ...zu sein", die wichtig sei, "weil Abweichungen damit zu Fehlern werden, die von andern korrigiert werden können; und aus diesen Korrekturen zu lernen ist der Korrigierte bereit." (53) Diese Bereitschaft zu lernen ist sicher, wie die Lernfähigkeit, zunächst nur eine natürliche Neigung, die abbrechen kann (vgl. PU 143-4), aber dabei bleibt es nicht. Die primitiven 'Erklärungen' durch Abrichtung (training; s.u.) legen den Grund für verbale Erklärungen und die primitiven Korrekturen formieren die Fähigkeit zur Selbstkorrektur (vgl. PU 506), und W.s Erläuterungen zum Begriff 'einer Regel folgen' schließen diese höherstufigen Leistungen nicht aus, weil auch dieser Begriff auf eine Familie von Fällen Anwendung hat und die höherstufigen Leistungen nicht durch einen Hiatus von den primitiven getrennt sind (vgl. PG 62 a). Deshalb muß auch diese Explikation v.S., weil als auf den primitivsten Fall verengend, als irreführend qua Interpretation W.s angesehen werden. Dies aber bestimmt sein Bild von W.s Bild des 'einer Regel folgen' und seine Abweisung der Relevanz von Bedeutungserklärungen für Bedeutung (104f.) - er denkt dabei offensichtlich nur an verbale Erklärungen. Das ergibt sich aus seinem Verständnis von PU 75 in Verbindung mit PU 78. Er findet W.s Äußerung "ist nicht mein Wissen, mein Begriff vom Spiel, ganz in den Erklärungen ausgedrückt, die ich geben könnte?" (PU 75) "viel zu stark" (1994, 131) und weist die intendierte Deutung mit Betonung auf 'mein' und 'ich' als "eine sehr unglückliche Ausdrucksweise ... unterstellen" müssend ab (ebd., 132). Deshalb sieht er einen Widerspruch zu PU 78, wo W. einräume, daß man gewisse Dinge wissen könne, ohne sie sagen können zu müssen (wie 'Spiel' gebraucht wird; wie eine Klarinette klingt). Den Klang einer Klarinette könnte man jemanden, der ihn nicht kennt, nur vorführen (lassen) - eine Form von ostensiver Erklärung. Wie 'Spiel' gebraucht wird, muß man nicht beschreiben können (schon gar nicht vollständig), aber man muß, wenn man mit einer Äußerung des Ausdrucks nicht verstanden wird, irgendwie deutlich machen können, worauf man hinauswill - bei Strafe des Nichtzustandekommens von Verständigung. Jede solche Weise des Verständlichmachens (Vorführen, Hinweise auf Analogien, die intendierte Reaktion vormachen etc.) wäre im Kontext eine Erklärung der Sprecherbedeutung (dessen, was er sagen will). Das muß von einem Sprachbenutzer jenseits des Trainings in sprachähnlichen Vorgängen der primitiven Sprachspiele im Sprachlernen (PU 7 a/c) verlangt werden *6*, wenn mit ihm Verständigung möglich sein soll. In diesem Sinn hält W. die Erklärung von Bedeutung für mit der Bedeutung selber intern verbunden, und v.S. entgegenstehende Erklärungen sind irreführend. (17) In dem Bild vom 'einer Regel folgen', das sich v.S. auf dieser Basis ergibt, fehlt im Unterschied zu dem Original W.s die Initiativefähigkeit der einzelnen Regelbefolger. Nach v.S. ist 'einer Regel folgen' für W. etwas notwendig Soziales, und er weist die entgegenstehenden Nachweise von Baker & Hacker a propos Kripkes und anderer Community Views ab mit dem Hinweis, Erwägungen zu Robinsons Patience-Spielen fänden sich eben in den PU nicht. (121f,; 1994 zu PU 198 ff.). W. könnte seine Meinung über die Möglichkeit nichtsozialen 'einer Regel folgen's durchaus geändert haben. (25) H.-J. Glock hat darauf hingewiesen, daß v.S. damit eine Beweislast übernimmt, die schwer einzulösen sein dürfte, weil die spätesten Nachlaßäußerungen im Sinn der Möglichkeit nichtsozialen Regelbefolgens von 1944 datieren, also kurz vor dem vorläufigen Abschluß der PU 1945. Die Wortlautfeststellungen zu 'Gepflogenheit', 'Institution' und 'Praxis' als soziale Gegebenheiten meinend sind v.S. umstandslos zuzugeben. Nicht zuzugeben ist die Behauptung, mit W.s Formulierungen in PU sei die Notwendigkeit auch nur möglichen sozialen Kontextes (vgl. 120 Fn 19) impliziert. Es ist auch zuzugeben, daß die Möglichkeit nichtsozialen Regelbefolgens in PU nur in der empirisch ausgeschlossenen, aber doch begrifflich bedeutsamen Form der Unterstellung auftritt, es sei für gewisse Sprachverwendungen logisch gleichgültig, "ob der Andre die Sprache gelernt hat, oder vielleicht schon von Geburt so gebaut ist, daß er auf die Sätze der deutschen Sprache so reagiert wie der gewöhnliche Mensch, wenn er Deutsch gelernt hat." (PU 495) v.S. meint, damit müsse sich W. "auf denjenigen 'Aspekt' (konzentrieren), bei dem man es zwar mit Wirkungen von Geräuschen, aber nicht mit Bedeutungen von sprachlichen Äußerungen zu tun hat." (1996, 188 ad loc.) Aber wenn das Verstehen von Befehlen im angemessenen Reagieren auf sie besteht, dann reagiert der geborene Sprachbenutzer verstehend und nicht nur auf Geräusche (denn, was verstanden werden kann, hat insofern auch Bedeutung - Wichtigkeit). Daß das Verhalten des logisch möglichen geborenen Sprachbenutzers als solches betrachtet werden kann, hat den Grund, daß die Lerngeschichte als "Ursache unserer Handlungsweise, als ihre Vorgeschichte" immer logisch unwichtig ist (PG 86 b). Und es weist daraufhin, daß es unsinnig ist, den sozialen Charakter des 'einer Regel folgen's, der als empirisch ganz überwiegend nicht zu bestreiten ist, mit der Behauptung seiner Notwendigkeit wieder zu einem Wesen der Sprache zu dogmatisieren. Daß natürliche Sprachen gelernt werden, ist ein offenbar sehr allgemeines empirisches Faktum, aber keine Wesensbestimmung. Daß W. in PU auf die Möglichkeiten nichtsozialen 'einer Regel folgen's im Unterschied zu zahlreichen Nachlaßstellen nicht eingeht, hat die einfache Erklärung, daß die Erwägung der bloß logischen Möglichkeit für die deskriptive Aufklärung des Funktionierens unserer Sprache im Blick auf die philosophischen Probleme, die W. beschäftigen und die er auflösen will (PU 109, 133) [und zu denen eine allgemeine Bedeutungstheorie ja nicht gehört], nicht erforderlich ist. (18) v.S. nennt die Argumentation von David Pears, wenn W. den sozialen Charakter des Regelfolgens in PU 199 hätte logisch fordern wollen, hätte er keine Beispiele benutzen dürfen, die trivialerweise mehr als einer Person bedürfen, "scharfsinnig", widerlegt sie aber nicht. Bis zur begrifflichen Widerlegung darf man also daran festhalten, daß W., wie Colin McGinn gezeigt hat, mit dem Gebrauch der sozialen Ausdrücke, mit denen er 'einer Regel folgen'-Fälle charakterisiert (Gepflogenheit etc.), logisch nur eine 'multiple application'-These gefordert hat.*7* Hätte er mehr gefordert, bestünde 'einer Regel folgen' in sozialer Gepflogenheit und das etwas Meinen nur im Sich-Einfügen in soziale Gepflogenheit, wäre die Ausbildung von Gepflogenheiten ein begrifflich unlösbares Rätsel. Man stelle sich ein Individuum mit Verhaltensfähigkeiten zu instrumentellem Handeln vor; es will ein instrumentelles Problem lösen, das nur auf eine Weise zu lösen ist. Durch Herumprobieren findet es den Weg (die Technik der Lösung des Problems) und befolgt ihn von nun an und korrigiert sich, wenn es vom gefundenen Weg abweicht. Dieses solitäre Individuum folgt dann einer Regel. Sein Verhalten ist ein Fall von natura non nisi parendo vincitur und damit etwas, was von dem gedeckt ist, was zu überlegen W. in PU 372 auffordert : "'Das einzige Korrelat in der Sprache zu einer Naturnotwendigkeit ist eine willkürliche Regel. Sie ist das einzige, was man von dieser Naturnotwendigkeit in einen Satz abziehen kann.'" (19) Ich muß bei meiner Lesart dieser isolierten Stelle mit 'Naturnotwendigkeit' unterstellen, was v.S. bestreitet - daß W. tatsächlich Naturnotwendigkeit meint (und nicht logische - vgl. 1996, 63f. ad loc.). Der fiktive isolierte Regelschöpfer macht sich eine von ihm beobachtete und entdeckte natürliche Regelmäßigkeit, eine Naturnotwendigkeit zur Regel, der er folgt. Ohne solche spontane Wahr-, Auf- und Übernahme von natürlichen Regelmäßigkeiten scheint mir die Ausbildung sozialer Regeln undenkbar. (20) Was soll an dieser Fiktion eines solitären Regelbefolgers logisch unmöglich sein? Solche Spontaneität, Initiativefähigkeit, wie ihm unterstellt werden muß, wird vom sozialen 'einer Regel folgen' vorausgesetzt, auch nach W.*8* Im Lernen von sozialen Regeln müssen beide etwas tun - der Lehrende und der Lernende -, und die Fähigkeiten des letzteren bestimmen das mögliche Ausmaß seines Lernerfolgs (vgl. PU 143-4) Für v.S. aber setzt individuelles 'einer Regel folgen' immer soziales voraus, weil individuelles Korrekturverhalten "das zwischen verschiedenen Personen übliche Korrekturverhalten nachahmt." (122) Daß das ausnahmslos so sein muß, ist zu bestreiten. Der von v.S. abgewiesene Vorwurf einer konformistischen Regelauffassung (123) trifft durchaus zu. Zwar ist ihm zuzustimmen, daß W. in seinen begrifflichen Klärungen gegen die Generierbarkeit von Bedeutung aus autonomer Zuwendung eines Individuums argumentiert und sich gegen ein Verständnis von Freiheit als 'Abhängigkeit nur von sich' (self-dependence) wendet, wie es für die Moderne mindestens seit Rousseau prägend war und das auch v.S. unterstellt, wenn er beiläufig Autonomie als (soziale) Unabhängigkeit von den Reaktionen anderer erklärt (258), aber aus seinem Bild menschlichen Handelns verschwindet Freiheit nicht, indem Regeln beherrschen zum "Sich-Einfügen statt Kontrollieren" (114 ff.) erklärt wird. Vielmehr ist durch Einschluß der Initiativefähigkeit einzelner sein Bild das Bild von 'situierter Freiheit oder Autonomie'. (Charles Taylor *9*) Daß dieser Zug in W.s Bild in den Auslegungen v.S. nur als abgeleiteter vorkommt (vgl. 122 zu den Möglichkeiten individuellen 'einer Regel folgen's), macht sein Bild von W.s Bild zu einem wiederum irreführenden. Wittgensteins Bild von der Sprache gleichsam im Sinne überparteilicher Neutralität zu der eines ideellen Gesamtsozialdemokraten zu stilisieren ("Der Mensch als Mitmensch"), geht nicht nur am psychologischen Profil des Menschen als eines stolzen und wählerischen Einzelgängers und am geistigen Profil eines stilbewußten Autors vorbei, der uns vor allem Unterscheidungen zu sehen lehren wollte. (Eines der für die PU erwogenen Motti sollte die Shakespeare-Zeile 'I'll teach you differences' sein. *10*) Es kann auch nicht wirklich verständlich machen, sondern nur als idiosynkratisch zur Kenntnis nehmen, daß W. den Phänomenen des Aspektsehens auch bezüglich Sprachlichem (und schon in Teil I : PU 530-46) und für seine Konzeption der Philosophie (PU 144, eine Stelle, an der v.S. seine Leser umstandslos auf seine Konkurrenten Baker& Hacker verweist, die den Leser darüber aufklären, daß Philosophie für W. "den Aspekt verändert" (Ms. 157 (b), 14), einen so großen Raum einräumt. Man könnte vereinfacht sagen, daß W. der mentalistischen Semantik vom Primat des individuellen Meinens, der "gleichsam, ein Traum unserer Sprache ist" (PU § 358), und die er selbst in einer perfektionierten Form in seiner LPA impliziert hatte, ein hysteron-proteron vorwirft: Was sie als grundlegend ansieht, ist sprachlich nur als hochstufige Leistung möglich - individuelle Spontaneität, Initiative. Das spiegelt auch der Umstand des Aufbaus in PU Teil I. Am Anfang stehen die rigiden einfachen Sprachspiele, die auf der Basis von Abrichtung gelernt werden; am Ende das individuelle Meinen (PU 655 ff.). Die Spontaneität individuellen Meinens ist möglich, und irreführend ist nur, sie für grundlegend zu erklären.*11* Auch in dieser Hinsicht gilt das Motto der PU - der Fortschritt habe "das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist" (Nestroy). Es ist ein Fortschritt in der Ordnung unseres Wissens vom Gebrauch der Sprache (PU 132) - erst kommt die Konvention, dann die sprachliche Intention -, aber damit die sprachgründenden Konventionen überhaupt zustande kommen, muß es außersprachliche Intentionen instrumenteller und expressiver Handlungen schon geben (die Konventionen können nur von Wesen ausgebildet werden, die die Fähigkeiten zu solchen Handlungen von Natur oder sonstwie mitbringen - jedenfalls können wir das rational nicht anders rekonstruieren. Und hier sind nur rationale potentielle Erklärungen möglich, empirisch läßt sich darüber nichts ausmachen. W. haben sie so wenig interessiert wie eine Bedeutungstheorie a la v.S., aber seine Auffassung schließt sie, anders als die Auslegung v.S., die sie zu einem begrifflichen Rätsel werden läßt, nicht aus.). (21) Nach v.S. hat seine "Ausarbeitung" des 'Rolle im Sprachspiel'-Gedankens das Verdienst, zu dem Zusammenhang zu passen, "den die PU zwischen Bedeutung, Meinen und Verstehen konstatieren" (60). Er investiert dafür als methodische Perspektive die 'ethnolinguistische' aus PU 206 (54 ff.), die W. nicht als theoretische verstanden wissen wollte und die für ihn nur hieß, "daß wir unsern Standpunkt weit draußen einnehmen, um die Dinge objektiver verstehen zu können." (VB 502, 1940) Ich habe an seiner Darstellung die Inanspruchnahme des sozialen Charakters der Fähigkeit zum Befolgen einer Regel als etwas über das Wesen der Sprache aussagend und die depotenzierende Behandlung individuellen Meinens als darin "besteh(end), daß man sich einer etablierten Verwendung einfügt" (62), kritisiert. (22) Aber man kann weiter infragestellen, ob W. überhaupt EINEN allgemeinen Zusammenhang zwischen Bedeutung, Verstehen und Meinen hat explizieren wollen. Wie mit PU 560 verfährt v.S. auch mit PU 43 a "Man kann für eine GROSSE Klasse von Fällen der Benützung des Wortes Bedeutung - wenn auch nicht für ALLE Fälle seiner Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache" depotenzierend, indem er den Absatz ausschließlich als Einleitung zum zweiten, die Erklärung von Namen durch Hinweis auf ihren Träger betreffend, zu beziehen wünscht und jede Verallgemeinerung ausschließt und das Überlegen über gemeinte Ausnahmen als durch die "Parenthese" (wohl 'wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung') "als nebensächlich beiseite (gewischt)" erklärt. (72) Aber trotz der Einschränkung durch die Parenthese hat ja der erste Absatz, der als Absatz gegenüber dem zweiten auch eine eigene Einheit ist, eine nicht zu übersehende Allgemeinheit in der Verwendung des Ausdrucks 'Klasse'. Diese zusätzlich durch 'große' beanspruchte relative Allgemeinheit macht es naheliegend, sich Ausnahmen zu überlegen. Und die Ausnahmen, die in Teil I der PU immerhin behandelt werden, machen das auch naheliegend, wenn sie auch nicht ihrerseits eine Klasse bilden sollten. In PU 531 ff. behandelt W. Bedeutung als etwas Erlebbares, wenn er feststellt, daß es zwar seltsam ist, "ein Wort in dieser Bedeutung zu HÖREN", aber "daß es so etwas gibt!" (PU 534) Was man so hört, kann nicht der 'Gebrauch in der Sprache' sein - das gibt W. einen Einwand seines Dialogpartners aus PU 138 zu. Also gehört 'erlebbare', in sprachlichem Aspektverstehen erfaßte Bedeutung nicht zu der großen Klasse von Fällen. Wenn ein Wort in einer Bedeutung gehört werden kann, kann es auch in dieser Bedeutung ausgesprochen und insofern gemeint werden, was v.S. auch gar nicht bestreitet, wenn er es wohl auch nur in Teil II thematisiert sehen möchte (83).*12* Man darf also, da diese Bedeutung von 'Bedeutung' als etwas Erlebbarem, das nicht der Gebrauch sein kann, wenn es auch auf der Vertrautheit mit ihm beruhen mag, auch in PU Teil I schon behandelt wird, wenn auch nicht in dem sie verständlich machenden Kontext des Aspektsehens wie in PU Teil II, im Blick auf PU 43a vermuten, daß W. bei der Beschränkung der Erklärung von Bedeutung als Gebrauch auf eine große Klasse von Fällen auch schon an diese Ausnahme gedacht hat. Denn um seinen mentalistischen Diskussionspartner zu widerlegen, muß er die Möglichkeit von dessen Auffassung erklären können *13* - und die Phänomene des Bedeutungserlebens sind neben Eigentümlichkeiten der Verwendung von 'meinen' die Hauptgrundlagen für die Illusion radikal-autonomen Meinens. Wenn es aber diese Bedeutung von 'Bedeutung' und außerdem noch die von Bedeutung als Wichtigkeit gibt (Anm. bei PU 142), ferner die Bedeutung auch eine Physiognomie sein kann (PU 568) und W., auch nach v.S., zumindest implizit mit der Bedeutung von Anzeichen rechnet (1996, 230 zu PU 543), dann kann W. nicht nur EINEN Zusammenhang von Bedeutung, Meinen und Verstehen expliziert haben wollen (denn im Erlebenssprachspiel liegt ein anderer vor), und v.S. depotenzierende Behandlung von PU 43a ist noch vor weiteren möglichen Bedenken als irreführend anzusehen. (23) Die weiteren Bedenken können sich daran knüpfen, daß v.S. in seiner sozial-konformistischen Deutung des vorherrschenden, aber nicht ausschließlichen Zusammenhang von Bedeutung, Meinen und Verstehen unterschlägt, daß nach W. Fähigkeiten zum Sehen eines Aspekts auch schon für elementare sprachliche Lernprozesse zu fordern sind. Die Forderung steckt in den Bemerkungen über normale und abnormale Reaktionen und die Abhängigkeit der MÖGLICHKEIT DER VERSTÄNDIGUNG vom "selbständigen" Weitermachen des Schülers (in einem Prozeß der Abrichtung!) beim Lernen einfacher arithmetischer Reihen in PU 143 ff. Zwar thematisiert W. das Betrachten-als (stetiges Aspektsehen im Unterschied zum Aufleuchten/Bemerken - vgl. PU II, XI, 520a) mit dem Ausdruck "Anschauungsweise" nur als eine seinem Dialogpartner von ihm abverlangte Leistung der "Anerkennung" (PU 144) - aber alles "Wissen gründet sich am Schluß auf der Anerkennung" (ÜG 378) und nach dem Kontext dieser Bemerkung gerade das sichere, elementare Wissen (wie fortzusetzen ist), das vom Arithmetikschüler erworben wird. Daß W. das englische Wort 'training', das er für Tiere und Menschen verwendet hat, erstmals in der deutschen Bearbeitung des 'Brown Book' („ 1, S. 77) mit 'Abrichtung' übersetzt hat (EPB 117 - hier wird charakteristischerweise der Vergleich mit der Abrichtung von Tieren im Englischen weggelassen und statt dessen die Reihe pädagogischer Einflußnahmen 'example, reward, punishment' nach Übersetzung des ersten mit 'Vormachen' vor 'Belohnung, Strafe' durch 'Ermunterung, Nachhilfe' ergänzt), ist insofern irreführend, als es ein zu einfaches Bild von elementaren Lernprozessen nahelegt, das W. nur vorübergehend geteilt zu haben scheint. Zwar sollten Erzieher bedenken, daß die Grundlage jeder Erklärung die Abrichtung ist (Z 419). In PU aber taucht 'abrichten' wesentlich nur im Kontext elementarer Lern-Sprachspiele (PU 5/6, 27, 630) als Äquivalent für 'erziehen' (PU 6, 27, 441) auf und kontrastiert da mit 'Erklären' (PU 5) - nur bei den 'Lesemaschinen' aus PU 157 ff. ist 'abrichten' ganz wörtlich zu nehmen -, und normale Lernende sind keine Maschinen. W. wollte mit dem provozierenden Sprachgebrauch den Aspekt einer Verwandtschaft zwischen tierischem und menschlichem Lernen auffällig machen. Der Kontrast mit 'erklären' ist der begrifflich begründete Punkt in diesem Sprachgebrauch, wie Z 318 mit einer Äquivalenz von 'abrichten' und 'lehren' deutlich macht - man kann die Befolgung einer Regel und die Sprache nicht mit der Sprache lehren, einführend erklären (vgl. schon PB I.6, 54). v.S. scheint das zu einfache Bild vom Sprachlernen zu teilen, also irregeführt worden zu sein. (24) Bisher habe ich darzulegen versucht, warum das Bild, das v.S. aus den PU über Bedeutung, Meinen und Verstehen gewinnt, als Interpretation Wittgensteins in verschiedenen Hinsichten irreführend ist. Ich möchte nun die spezifische These über das Meinen, die v.S. W. zuschreibt, direkt problematisieren. Sie lautet, wie schon angeführt: "Ein Mensch kann nur deshalb mit einer Äußerung etwas meinen, weil seine Mitmenschen bereit sind, die Äußerung in gewisser Weise zu verstehen; das Sprachverhalten des Individuums ist nur deshalb bedeutungsvoll, weil die Reaktionen der Umgebung ihm Bedeutung geben." (8) Das ist offenbar eine erklärende These ('weil'). Im Kommentar selbst lautet die These über das Meinen anders: "Daß jemand mit einer Äußerung ... etwas meint (etwas darunter versteht), betrifft ihn nicht isoliert. Vielmehr besteht diese Tatsache darin, daß die Muster seines individuellen Verhaltens in bestimmter Weise in Muster des sozialen Verhaltens in der Gemeinschaft, zu der er gerechnet wird, eingebettet sind." (1994, 9 f.) Nach W. kann es Thesen in der Philosophie nicht geben, ohne daß alle sofort mit ihnen einverstanden wären (PU 128). Und Erklärungen wollte er aus der Philosophie ausgeschlossen sehen (PU 109). v.S. meint, W. habe nur postulatorische Erklärungen durch mentale 'Entitäten' ausschließen wollen, die Rechtfertigungen für Weisen des Sprachgebrauchs sein sollen (255 ff.). Hier ist anzumerken, daß er immerhin auch kausale wissenschaftliche Erklärungen für philosophisch irrelevant gehalten hat. Ich möchte diese Diskussion aber nicht aufnehmen, weil ich etwa der Beispielsanalyse von PU 592 ff., die v.S. gibt (258 ff.), durchaus zustimmen kann. Aber ich meine, auch solche 'Erklärungen', wie sie die zugeschriebenen Thesen geben, hat W. ausgeschlossen, und halte mich daher an die Formulierung der These über das Meinen im Kommentar selbst als den für mich schwierigeren Fall, weil da kein 'weil' verwendet wird. Für diese These werde im ersten Teil der PU bis PU 315 argumentiert (die zweite, mich nicht beschäftigende Verallgemeinerung der These auf alle seelischen Sachverhalte sei der Argumentationsgegenstand der restlichen Teile in Teil I). Diese These schreibt W. dem so genannten sozialen Externalismus bezüglich des Meinens zu (1994, 12-16). Der soziale Externalismus bezüglich des Meinens ist aber eine durchaus umstrittene und bestreitbare These und scheint insofern vom Verdikt in PU 128 betroffen.*14* Daß das Meinen einer Person von irgendetwas eine Tatsache sei, die in etwas bestehe, hat er nicht nur nirgends gesagt (insofern wird ihm eine These zugeschrieben, die es philologisch bei ihm nicht gibt). Für W. war es sogar ausdrücklich ein Irrtum zu sagen, das Meinen bestehe in irgendetwas (Z 16) - also jedenfalls auch zumindest irreführend zu sagen, es bestehe in oder beruhe auf den verständnisvollen Reaktionen anderer. Auch das wäre zuviel an (Konstitutions-) Erklärung. Lassen wir also den zweiten Teil der Kommentarthese einfach weg und konzentrieren uns auf "betrifft nicht ihn isoliert". Diese These ist nicht so sehr falsch als sinnlos (unverständlich). Denn man könnte auf sie antworten - wenn, daß er etwas meint, ihn nicht allein betrifft, warum sagst du dann 'ER meint' und nicht 'er und die anderen meinen'. Du kannst nicht sagen 'er meint und die andern müssen verstehen, damit er etwas meint' - denn die andern müssen ihn ja gar nicht verstehen. Es gibt doch wohl auch Nicht- und Mißverstehen. Du kannst auch nicht sagen 'er meint und die andern müssen ihn verstehen, damit er etwas gemeint hat', denn sie können, wie gesagt, nicht oder mißverstehen und dann kann er trotzdem schon etwas gemeint haben und es vielleicht noch verständlicher oder überhaupt erst verständlich ausdrücken. Wenn du nur daran erinnern willst, daß er, um etwas zu meinen (= sagen zu wollen - vgl. PU 657), sich einer Sprache bedienen muß, die auch andere verstehen, WENN ER VON IHNEN VERSTANDEN WERDEN WILL, dann ist das doch selbstverständlich - warum sagst du es dann (und in so unverständlicher Form)? Du kannst deine These auch nicht als Antithese ihrer Antithese rechtfertigen. Denn die Antithese müßte lauten: daß er etwas meint, betrifft ihn ganz isoliert. Gegen sie müßte aber eingewendet werden, warum sagst du, wenn es ihn ganz isoliert betrifft (und nicht einmal dich angeht) 'er MEINT'. Darin steckt doch, daß er etwas sagen will und das könnte ihn doch nur in parasitären Fällen des Selbstgespräches ganz isoliert betreffen - und es ist überdies fragwürdig, ob man in Selbstgesprächen meint und nicht einfach sich sagt, was man sagt (man muß da nicht sagen wollen, 'meinen', weil man nicht nicht verstehen kann, was man sich im Selbstgespräch sagt). Auch die Antithese ist nicht falsch, sondern sinnlos (unverständlich) - und das überrascht nicht, denn die Negation von Unsinn ist Unsinn. Nun war W. entgegenstehenden Meinungen zum Trotz keineswegs gegen die Äußerung von Unsinn, wenn man auf ihn lauscht: "Scheü Dich ja nicht davor, Unsinn zu reden! Nur mußt Du auf Deinen Unsinn lauschen." (VB 530, 1947) v.S. versucht mit der Zuschreibung der These W.s pervasiven Kontextualismus zu fassen. Wo W. ihn im Zusammenhang von Meinen und Verstehen ausdrückt, spricht er oft von 'Umständen' , z.B.: "Wenn etwas 'hinter dem Aussprechen der Formel' stehen muß, so sind es GEWISSE UMSTÄNDE, die mich berechtigen, zu sagen, ich könne fortsetzen, - wenn mir die Formel einfällt." (PU 154 b) Nach dem Kontext wehrt sich diese Bemerkung dagegen, statt dessen anzunehmen, hinter dem Aussprechen der Formel stecke allein und entscheidend ein 'seelischer Vorgang'. (PU 154 c) Die These v.S. macht aus den unbestimmt 'gewissen Umständen' bestimmt soziale. Und sie versucht, tatsächliche Bedingungen FÜR das Sprachspiel zu Bedingungen IM Sprachspiel zu erklären. Aber die Tatsachen, die einem Sprachspiel seinen Witz geben mögen, müssen nicht im Sprachspiel ausgedrückt oder auch nur wirksam sein - auch nicht die soziale Abstimmung und resultierende Übereinstimmung im Handeln, die v.S. so beeindruckt. W. hat das vielfach festgestellt: "Ja, ist es nicht selbstverständlich, daß die Möglichkeit des Sprachspiels durch gewisse Tatsachen bedingt ist? - Es schiene dann, als müßte das Sprachspiel die Tatsachen, die es ermöglichen 'zeigen'. (Aber so ist es nicht.)" (ÜG 617-8) Und bzgl. 'Übereinstimmung' hat er sogar ausdrücklich gesagt: "Unser Sprachspiel kommt freilich nur zustande, wenn eine gewisse Übereinstimmung herrscht, aber der Begriff der Übereinstimmung tritt ins Sprachspiel nicht ein. Wäre die Übereinstimmung vollkommen, so könnte ihr Begriff ganz unbekannt sein." (Z 430) W.s Kontextualismus ist also überdies kein ausschließlich sozialer.*15* (25) Natürlich legen W.s Klärungen der psychologischen Begriffe die allgemeine Auffassung nahe, ihr formales Thema seien nicht Vorgänge und Zustände in einem verborgenen Inneren, sondern Aspekte menschlichen Benehmens in seinen Kontexten. Aber sie formulieren das nicht als These. Der Fehler der von v.S. W. zugeschriebenen These über das Meinen ist, daß sie nicht im Sinne W.s deskriptiv von den internen Artikulationen unserer Begriffe des Meinens ist, sondern diese internen Artikulationen in einer externe, theoretisch Tatsachen charakterisierende Perspektive glaubt überspringen zu können. Das ist durch W.s Philosophiekonzeption als reflexiver begrifflicher Klärung ausgeschlossen, weshalb nun noch kritisch über v.S. Verhältnis zu W.s Philosophiekonzeption zu handeln ist, bevor eine Alternative zu seiner Lektüre der PU zumindest skizziert wird. III. Philosophie (26) v.S. liest die PU mit einem systematischen Interesse an Bedeutungstheorie und ist daher mit der anscheinend unsystematischen Form der PU unzufrieden. 'Systema' ist allgemein "ein aus mehreren Teilen gebildetes Ganzes", zunächst "Haufen, Herde oder Menge", dann auch "Collegium, Verein, Bund", damit zusammenhängend "Konstitution, Verfassung", ferner "Lehrgebäude, System". Zwei Nebenbedeutungen sind hier nicht von Interesse.*16* Bei der Kritik an der "aphoristischen Methode" (266) W.s ist offenbar die Bedeutung "Lehrgebäude" ausschlaggebend. Ein solchen hat W. in der Tat nur einmal und gegen erklärte Absicht in der LPA vorgelegt, denn offiziell war für ihn Philosophie immer "keine Lehre, sondern eine Tätigkeit" zur "logischen Klärung der Gedanken": "Ein philosophisches Werk besteht wesentlich aus Erläuterungen. - Das Resultat der Philosophie sind nicht philosophische Sätze, sondern das Klarwerden von Sätzen." (LPA 4.112) Diese Überzeugungen gelten uneingeschränkt auch für die PU. D.h. aber keineswegs, daß die PU, weil sie kein "Lehrgebäude" sind, kein "aus mehreren Teilen gebildetes Ganzes" seien - nur müßte man den Charakter der Bildung dieses Ganzen aus ihm selbst bestimmen und nicht mit vorgefaßten Überzeugungen davon, wie ein philosophisches solches Ganzes auszusehen habe, an den Text gehen. Das tut v.S. mit den Grundsätzen der wohlwollenden Interpretation und der Kohärenz in seiner Deutung dieser Grundsätze. Insofern ist seine Auslegung im ganzen irreführend. (27) Den Grund dafür sehe ich neben der gewählten Interpretationsmethodologie einer rationalistischen Hermeneutik darin, daß v.S. sich geweigert hat, W.s Auffassungen über die Philosophie, die er nur als "Metaphilosophie" verstehen kann (269, 286), in allgemeiner Weise auszulegen und als Leitfaden der Auslegung der Sachprobleme zu verwenden. Er bringt das auf die schöne Pointe zu leugnen, daß es in den PU überhaupt ein Kapitel über Philosophie gebe. (269 ff.) Zwar spielte in den Abschnitt PU 89-133 "durchaus Methodologisches herein" und sein zweiter Teil ab PU 109 sei "ausgeprägter methodologisch" (279), aber zu einer "allgemeinen Metaphilosophie" trügen tatsächlich nur die Abschnitte PU 126-9 bei (286). Ausgangspunkt dieser Interpretation, die den Abschnitt statt dessen hauptsächlich mit der Kritik an exakten, ideal bestimmten Sprachregeln beschäftigt sieht, ist die These zu PU 89, daß 'Logik' dort nicht die Disziplin gleichen Namens meine, sondern die Sprachregeln selber. Daß W. in PU 89b offensichtlich von der Disziplin philosophische Logik handelt ('logische Betrachtung'), erklärt v.S. damit hinweg, daß W. dort Motive seines Dialogpartners expliziere (280). Hans-Johann Glock hat ihm in der Rezension der Erstauflage von (1994) in Erkenntnis 36 (1992) entgegengehalten, warum das sprachlich nicht geht - das 'Denn' im zweiten Absatz nach der Einleitungsfrage, ob die Logik etwas Sublimes sei, leitet eine Bezugnahme auf die Disziplin Logik und die logische Betrachtung ein. In den Anmerkungen zur Literatur in der Neuauflage glaubt sich v.S. von dieser philologischen Widerlegung mit folgendem Satz distanzieren zu können: "Offenbar liest er (sc. Glock) als erklärendes 'Denn', was ich als eine Annahme begründendes 'Denn' zu verstehen vorschlage." (1994, 150) Das hilft ihm aber gar nicht - denn ob erklärend oder begründend: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen der Regelmenge und der Disziplin - den nämlich, daß die Regelmenge der Gegenstand der Wissenschaft ist (oder jedenfalls werden kann, wenn die Logik der normalen Sprache geklärt werden soll). Wenn aber die Disziplin Logik etwas Sublimes ist, weil sie als Wissenschaft von allen Möglichkeiten am Grunde aller Wissenschaften liegt, dann liegt es für sie überaus nahe, die Sprachregeln zu sublimieren und damit die Logik unserer Sprache zu etwas Sublimem zu machen. Genau das hatte W. in LPA getan, als er den Prädikatenkalkül erster Stufe zur logischen (Tiefen)Grammatik der normalen Sprache stilisiert hat (und deswegen die Extensionalitätsthese verteidigen mußte (z.B. LPA 5.3, 5.54)). v.S. stützt sich vor allem auf die Deutung des Wortes 'sublimieren' im chemischen Sinn als 'reinigen' in PU 38, um die Deutung von 'Logik' als Regelmenge zu motivieren, weil auf die Disziplin nur 'erhaben' für 'sublim' zu passen scheint. Das ist nun nicht gerade eine Berufung auf den näheren Kontext, den zu respektieren sich die immanente Interpretation soviel zugute hält. Im übrigen dürfte das pollachos legesthai doch auch bei W. und also möglicherweise auch für seine Verwendung von 'sublim' und seinen Ableitungen gelten. v.S. selbst macht auf Wittgensteins Lust an Doppeldeutigkeiten (z.B. zu PU 85 bzgl. 'dastehen' in Verbindung mit 'Wegweiser' als auch metaphorisch für Regel) aufmerksam, und mindestens zu dieser Korrektur der Einräumung einer möglichen Doppeldeutigkeit hätte er sich verstehen müssen, wenn es ihm nicht um Immunisierung einer verfehlten Interpretation ging. Von PU 89 an wird daher pace v. S. in thematisch konzentrierterer Weise auch über die Philosophie gehandelt (denn in unthematischer Weise ist die Philosophie als reflexive Klärung immer auch mit sich selbst beschäftigt, daher die vielen eingestreuten Reflexionen zur Philosophie in PU), allerdings nicht in Form von 'metaphilosophischen' Bemerkungen. Und insofern v. S. das nicht sehen will, mißversteht er W. (28) Daß v.S. Überlegungen, die auch er bei W. zu finden nicht umhin kann, nur als "metaphilosophische" verstehen kann (vgl.1996, 286) und entsprechend den wichtigen Paragraphen PU 120 sehr irreführend kommentiert, zeigt, daß er etwas Grundlegendes an W. nicht verstanden hat, was dieser sogar einmal als möglichen leitenden Gesichtspunkt alles dessen, was er zu sagen hat, ausgezeichnet hat: "...die Philosophie hat es in demselben Sinn mit Kalkülen zu tun, wie sie es mit Gedanken, Sätzen und Sprachen zu tun hat. Hätte sie's aber wesentlich mit dem Begriff des Kalküls zu tun, also mit dem Begriff des Kalküls von allen Kalkülen, so gäbe es eine Metaphilosophie. (Aber die gibt es nicht. Man könnte alles, was wir zu sagen haben, so darstellen, daß das als ein leitender Gedanke erschiene.)" (PG 116) (29) Es gibt eine verwandte Stelle in PU und nichts kann von der Verranntheit des Interpretationsansatzes von v.S. leichter überzeugen als die Beobachtung, daß im Text von PU 121 von der Philosophie die Rede ist, im Kommentar dazu aber nicht, weil es ja kein Kapitel über Philosophie in PU geben darf. Die Stelle lautet: "Man könnte meinen: wenn die Philosophie vom Gebrauch des Wortes 'Philosophie' redet, so müsse es eine Philosophie zweiter Ordnung (d.i. eine Metaphilosophie, EML) geben. Aber es ist eben nicht so; sondern der Fall entspricht dem der Rechtschreibelehre, die es auch mit dem Wort 'Rechtschreibelehre' zu tun hat, aber dann nicht eine solche zweiter Ordnung ist." Und v.S. Kommentar dazu: "Der Wert des nicht interpretationsbedürftigen Abschnitts liegt in der Bestätigung des gesamten Sinnes von PU 120a-c: Weil man auf die nicht explizit geregelten Sprachen nicht verzichten kann und weil explizites Regeln nur mit Hilfe von nicht explizit geregelten Sprachen möglich ist, genügen die nicht explizit geregelten Sprachen." (1994, 168) (30) Statt einer Bewertung 'Der Wert liegt...' hätte der Leser aber gerne etwas erfahren über W.s normatives Verständnis von Philosophie (das ist der Sinn der Analogisierung mit der RechtschreibeLEHRE, die ja auch Vorschriften zur Schreibung der Wörter macht), aber v.S. verschweigt durch Behauptung der Interpretationsunbedürftigkeit sogar, daß in dem Abschnitt über die Philosophie gehandelt wird, weil das nicht in seinem Kram paßt. Das führt dazu, daß ihm ein Gedanke entgeht, den W. in einer früheren Version des Kontextes zu einem möglichen Leitgedanken alles dessen, was er zu sagen hat, erklärt hat!! (31) Ich will zeigen, warum die Absage an philosophische Thesen und die damit zusammenhängende Form der PU besser beachtet worden wären, wenn es darum ging, W. in seinem Text zu verstehen. Ich werde dabei nicht, wie v. S. verlangt, ausschließlich und eng immanent interpretieren. Da die Sache überhaupt und mir zu wichtig ist, lasse ich mich hier nicht auf einen philologischen Fußnotenkleinkrieg ein, sondern behandle sie aus eigenem Ansatz grundsätzlich. IV. Kritik (32) Ich kann meine Kritik vorgreifend so zusammenfassen, daß eine Interpretation des Werks eines philosophischen Autors nicht angemessen sein kann, die sich weigert, sich von dem Interpretierten über sein Verständnis von Philosophie belehren zu lassen UND DIES VERSTÄNDNIS ALS LEITFADEN DER AUSLEGUNG SEINER PHILOSOPHIE ZU VERWENDEN.*17* Das gilt allgemein, weil nicht kanonisch festgelegt ist, worin philosophische Untersuchungen zu bestehen und wie sie vorzugehen haben, und weil philosophische Untersuchungen jedenfalls für eine wichtige Tradition, zu der W. wegen seiner durch Schopenhaür vermittelten Herkunft von Kant ohne Zweifel gehörte, reflexive Untersuchungen sind, in deren Bereich Überlegungen zum Verständnis der Philosophie und damit dessen, was sie selbst zu sein beanspruchen, wesentlich gehörten, weil andernfalls die philosophische Reflexion keine grundsätzliche und umfassende wäre. In W.s Fall gilt das über die reflexive Kompetenz und Aufgabe der Philosophie hinsichtlich ihres Selbstverständnisses Gesagte noch aus dem zusätzlichen Grund, daß für seine Philosophie in ihrer Entwicklung ein interner Zusammenhang zwischen Philosophiekonzeption(/-verständnis) und Sprachkonzeption besteht und daher an seinem philosophischen Verständnis der Sprache etwas unverstanden bleibt, wenn die Philosophiekonzeption nicht berücksichtigt wird. Denn auch mit der Sprache hat es die Philosophie W.s nicht wesentlich als 'Sprachphilosophie', gar als ordinary language philosophy a la Austin zu tun (so daß man ihn sprechakttheoretisch belehren müßte - vgl. 1994, 58), sondern nur, weil sie es mit in der Sprache bzw. dem Nachdenken über sie angelegten PHILOSOPHIE zu tun hat: "Philosophie ist nicht Beschreibung des Sprachgebrauchs, und doch kann man sie durch ständiges Aufmerken auf alle Lebensäußerungen der Sprache lernen." (LS I, 121) Wenn es sich um die Philosophie eines Autors handelt, sind zentral zu beachtende Lebensäußerungen der Sprache seine eigentümliche Verwendungen bestimmter Wörter, z. B. des Wortes "Philosophie". Statt des Mottos, das mir der zur Kritik stehende Autor dankenswerter Weise geliefert hat - und das auf meine am Beginn von (IV.) vorgreifend zusammengefaßte Kritik so Anwendung hat, daß er einfach den Text, den er immanent interpretiert zu haben beansprucht, in gewissem Sinn nicht wirklich angeschaut hat (es ist traurige Ironie, das über so insistente Bemühungen um einen Text wie die von v.S. sagen zu müssen) - nicht unter dem von Text und Autor intendierten Aspekt gesehen hat, sondern statt dessen mit Vorurteilen operiert hat, was ein philosophischer Text zu sein und wie er verfaßt zu sein habe -, hätte ich auch PU 387 wählen können, denn was der Interpret unbeachtet gelassen hat, ist ein 'tiefer Aspekt' der Philosophie Wittgensteins, in dem nach meinem Verständnis ihre epochale Bedeutung liegt. (33) In der LPA hat W. bekanntlich unterstellt, den vielfältigen Erscheinungen der Sprache an ihrer schulgrammatisch beschriebenen Oberfläche liege das einheitliche Wesen einer logischen Grammatik zugrunde. Wie inzwischen eine wachsende Zahl von Interpreten einsieht und ich in meinem Studienkommentar *18* (Kap. III) ausführlich begründend dargelegt habe, war W. dieser Meinung u.a. aufgrund unhaltbarer psychologischer Voraussetzungen. Aber diese Voraussetzungen motivierten auch eine Form von Theoriebildung, die dieses verborgene Wesen aufzudecken unternahm und die W. selbst später als dynamische Theorie des Satzes und der Sprache mit Freuds Theorie der Träume als unbewußter Wunscherfüllungen analogisiert hat (Z 444), die bei seiner 'dynamischen Theorie' zudem noch das Beirrende hat, nicht als Theorie, sondern als unbezweifelbare Einsicht in das Wesen der Sprache zu erscheinen. Die Form der Theoriebildung, konstruktiv-postulatorische logische Analyse, setzte W. zudem in einen Widerspruch zu der von ihm schon in der LPA für allein richtig gehaltenen Methode dialogisch-dialektischer Sinnklärung (vgl. LPA 6.53), einen Widerspruch, den W. einzuräumen ehrlich genug war (LPA 6.54), den aber auch auszuräumen ihn seine Überzeugung über den Zusammenhang des Widerspruchs mit dem zentralen Problem der Philosophie, der Unterscheidung zwischen Sagen und Zeigen, zu entheben schien. (34) W. war ursprünglich der Meinung, daß die wichtigsten philosophischen Dinge nicht sprachlich formuliert werden können und daß deshalb die Markierung der Grenze zwischen dem Sagbaren und dem sich nur Zeigenden oder Zeigbaren das Hauptproblem der Philosophie bilde (Brief an Russell 19.8. 1919). Diese Überzeugung löst sich mit W.s Wiederbeginn in der Philosophie ab 1929 auf und die zu ihr gehörenden Unausdrückbarkeitsthesen werden in Auffassungen über verschiedene Grenzen der Ausdrückbarkeit in der Sprache transformiert. Diese Veränderung erlaubte es W. dann, nunmehr die von ihm als allein richtig angesehene Methode dialogisch-dialektischer Sinnklärung auch selbst wirklich zu befolgen.*19* Das begründet den fiktiv-dialogischen Charakter von W.s späteren philosophischen Bemerkungen. Was aber begründet den Bemerkungen-Stil dieser Bemerkungen (und der bestimmt ja die Form von W.s späterer Philosophie)? Das ist der Umstand, daß zwar nicht völlige Unsagbarkeit hinsichtlich des Sinns von sprachlichen Bestandteilen und Formen besteht (anders als die LPA, 4.1212, angenommen hatte, der zufolge sich logische Form nur zeigt, nicht sinnvoll sagen läßt), daß aber die Ausdrückbarkeit begrenzt ist: Einmal muß am Fundament der sprachlichen Erklärung von Sprachlichem die Einübung in ein Handeln, eine Praxis liegen - man kann also die Bedeutung von Formen und Ausdrücken ein Stück weit erklären, aber nicht restlos. Und zum andern sind diese Erklärungen, auch wo sie nur zusammenfassende Beschreibungen des Sprachgebrauchs geben, in letzter Instanz normativ und setzen für ihre Annahme eine Folgebereitschaft voraus, die selbst nicht wieder argumentativ oder sonstwie erzwungen werden kann. Man kann das auch so ausdrücken: W. hat in der impliziten Normativität philosophischer Sinnklärungen eine zuvor nur von Kant gesehene Grenze philosophischer Argumentation *20* (wieder)entdeckt (das - und nicht angebliche Einsicht in die richtige philosophische Anthropologie, die W. wie jede philosophische Theorie für Unsinn gehalten hätte - ist der oben gemeinte tiefe Aspekt seiner Philosophie und ihre Bedeutung über die thematischen Interessen W.s hinaus): Die Philosophie ist insofern im ganzen 'praktische' Philosophie, als sie therapeutisch und darin normativ ist, daß sie sich an einen (Verständnis)Willen richtet, der frei ist. Die provokanteste Form hat diese Einsicht W.s in seiner auf den Erörterungen über das 'einer Regel folgen' beruhenden (nicht in Dummetts Sinn!) radikalkonventionalistischen Philosophie der Logik - auch die 'Härte des logischen Muß' verbindet einen Sprecher nur in dem Masse, als er sich allgemein verständlich machen will, und er muß nicht wollen (oder kann nicht können - vgl. BGM I,3-16). Die Regeln der Logik binden uns: "Aber das heißt natürlich nur, ich bin in meinen URTEILEN gebunden darüber, was der Regel gemäß ist, und was nicht." (BGM VI. 27, 328 f.) (35) So wie in der LPA die Erscheinung-Wesen-Dichotomie bzgl. der Sprache den Widerspruch zwischen methodologischer Überzeugung und tatsächlicher theoretischer Praxis bedingte (und auch insofern ein internes Verhältnis von Sprach- und Philosophiekonzeption bestand, abgesehen davon, daß die Probleme der Philosophie auf dem "Mißverständnis der Logik unserer Sprache" beruhen - LPA, Vorwort b), so gibt es in der Spätphilosophie eine Entsprechung zwischen dem auf Bedeutungserklärungen und Abrichten zurückgehenden Verstehen der vielen Sprachspiele, die die Sprache bilden, und dem dialogisch-dialektischen Sinnklärungsgeschäft der Philosophie, das sich nach wie vor auf Mißverständnisse der Sprachlogik richtet, weil diese die philosophischen Probleme erzeugen. (Anders als in der ausgeführten Praxis und auch der unausgeführten Theorie der Frühphilosophie gibt es nicht mehr eine einzige einheitliche Methode, sondern eine Vielzahl, die sich der Verschiedenartigkeit der Probleme anzumessen hat [PU 133] - schon phänomenologisch ist es absurd, einen Autor, der uns Differenzen zu sehen und Unterscheidungen zu machen lehren wollte, auf die Armut einer in zwei Teilthesen differenzierten einheitlichen These des sozialen Externalismus bringen zu wollen. W. hätte seinem Interpreten geantwortet: so arm ist die Philosophie und bin ich an 'Problemen' nicht und also sind es meine fälschlicherweise auf Thesen gebrachten sinnkritischen Klärungen auch nicht *21*). Die Entsprechung besteht zwischen der normativ-konventionalistischen Basis des zu Zwecken der Auflösung der philosophischen Probleme zu klärenden Sprachgebrauchs und der Begrenztheit der Möglichkeit, philosophisch-zwingend für die philosophischen Klärungen zu argumentieren. So wie man den, der eine Regel noch nicht beherrscht, nur abrichten kann (Z 318, 419, 432), so kann man dem, der in einem philosophischen Mißverständnis befangen ist, mit dem Weg vom Irrtum zur Wahrheit (vgl. GB I, VüE 29, zit. in Fn 13) nur einen neün Aspekt aufweisen, der ihn von seinem Mißverständnis erlösen kann, wenn er will. Denn das philosophische Problem ist eines des Verstehenwollens (vgl. BT 406f.), die philosophischen Klärungen betreffen Sinn und Unsinn, nicht Wahrheit oder Falschheit - und auf der Ebene des Sinns gibt es nur begrenzt zwingende Argumentationsmöglichkeiten (Zirkel-, Regreß- und Widersprüchlichkeitsnachweise) - anders als auf der Ebene von Wahrheit oder Falschheit -, denn letztlich betrifft sie die Fragen, wie wir unsere Ausdrücke verstehen WOLLEN. An die Stelle der philosophisch wünschenswerten, aber nicht zur Verfügung stehenden zwingenden Argumentationsmöglichkeit *22* tritt die Technik, durch Gruppierung von Bemerkungen und Problemen sowie ihren Auflösungen den von W. für richtigen, d.h. angemessenen und zur Auflösung der Probleme hilfreichen Aspekt aufzuweisen. Wenn W. an zentraler Stelle (PU 143f.; vgl. Z 461) für seine Klärungen beansprucht, die Anschauungsweise seines fiktiven Dialogpartners zu ändern, dann beansprucht er diesen Aspekt/-wechsel/-änderungscharakter, der die fehlende Möglichkeit zwingender Argumentation kompensieren muß, weil es die auf der Ebene des Sinns nur begrenzt gibt. [Auch W.s scheinbar terminologische Neuprägungen (Sprachspiel, grammatischer Satz, Familienähnlichkeit u.a.) sind am besten als Versuche, Aspekte auffällig zu machen, zu verstehen.] Das ist der sachliche, auf dem internen Zusammenhang von Philosophie- und Sprachverständnis beruhende Grund für den Bemerkungen-Stil der PU. Für die von W. angezielten philosophischen Therapien nützen lange Argumentationsketten und Beweisführungen, wenn sie denn entwickelt werden könnten (die Gründe gehen einem bald aus - PU 211, 217), nichts, weil der in Mißverständnissen Befangene und sich nicht Auskennende (PU 123) ihnen nicht unbeirrt zu folgen vermag - führten sie ihn zu etwas, was ihm gar nicht einleuchtete, müßte er natürlich zweifeln, ob er an früherer Stelle etwas nicht Zwingendes zugegeben hat, und er würde sich zusätzlich zu dem Netz von Mißverständnissen, in dem er sich gefangen sieht, im Netz einer Argumentation gefangen sehen, das ihm nur neü Probleme zu erzeugen erscheinen müßte. Deswegen setzt W. stets bei einer möglichst direkten und präzisen Formulierung des jeweils thematisierten Problems/ Mißverständnisses neu an und argumentiert nicht über lange Passagen deduktiv zwingend. So wie die Sprache kein einheitliches Wesen zusammenhält, sondern nur die vielfachen Verwandtschaften zwischen verschiedenen Sprachspielen, so sind auch die philosophischen Probleme/Mißverständnisse vielgestaltig und oft nur entfernt miteinander verwandt und bedürfen zu ihrer Auflösung vielfältiger Methoden (PU 133 d). (36) Daß es in der Philosophie keine Thesen geben könnte, mit denen nicht sofort alle einverstanden wären (PU 128), ist also alles andere als "grotesk falsch" (1994, 174) oder "kurios" (1996, 280 zu PU 599) - nämlich wahr, deskriptiv von W.s philosophischer Praxis. Anderer Meinung kann nur sein, wer die Skrupel hinsichtlich der Grenzen der Sagbarkeit (Ausdrückbarkeit) nicht hat, von denen ich dargelegt habe, daß sie den Bemerkungen-Stil der Philosophie W.s motivieren. Letztlich gehen die Grenzen auf die fehlende Möglichkeit praktischer Letztbegründung zurück: "Nichts, was man tut, läßt sich endgültig verteidigen. Sondern nur in Bezug auf etwas anderes Festgesetztes. D.h., es läßt sich kein Grund angeben, warum man SO handeln soll (oder hat handeln sollen) als der sagt, daß dadurch dieser Sachverhalt hervorgerufen werde, den man wieder als Ziel HINNEHMEN muß." (VB 472, 1931) (37) Eine Thesen zuschreibende, auf die Rekonstruktion straffer Argumentation abzielende Interpretationsweise muß jene Skrupel für sich selbst in den Wind schlagen und bei W. für unbegründet, jedenfalls übertrieben halten und kann in demselben Masse weder Wittgenstein noch seinen Text völlig verständlich machen, weil der Text von diesen Skrupeln geprägt ist (ihretwegen progrediert er in nur mehr oder weniger zusammenhängenden Bemerkungen). (38) W. hat sich mit Recht geweigert, externe ('meta'sprachliche) Charakterisierungen von normativen Zusammenhängen, die er zur Klärung selbst in Anspruch nehmen muß, zu geben (das ist der tiefe Aspekt von PU 120) - denn hätte er es getan, hätte er aufgehört reflexiv zu philosophieren, und statt dessen (sprach)wissenschaftliche Theorie getrieben (und Evidenz liefern müssen). Die hat ihn nicht interessiert, weil die Philosophie sich dafür nicht zu interessieren hat (in seinem Verständnis, das man daher für die Interpretation seiner Philosophie auch strikt berücksichtigen muß, will man nicht Unsinn über W. reden). Um das noch einmal auf die These des sozialen Externalismus anzuwenden: Daß für die Verstehbarkeit von individuell Gemeintem in der Regel eine gewisse Übereinstimmung im Handeln mehrerer (in VGM, 221, spricht Wittgenstein einmal vom "Konsens des HANDELNS") erforderlich ist, ist keine 'meta'sprachliche These über den notwendig sozialen Charakter der Praxis des Befolgens von Regeln, sondern Erinnerung an eine der Tatsachen aus der Naturgeschichte des Menschen, an die wir zum Verständnis etwas uns Verwirrenden erinnert werden müssen (PU 415, 127, 129). Aber der Begriff der Übereinstimmung tritt ins Sprachspiel gerade nicht ein und könnte ganz unbekannt sein, wenn die Übereinstimmung vollkommen wäre (Z 430). Deswegen ist soziale Konformität kein Kriterium dafür, daß jemand etwas meint mit dem, was er äußert - und deshalb ist die von v.S. W. zugeschriebene These sinnlos (unverständlich - die Kriterien unseres normalen Begriffs des Meinens verletzend und uns keine anderen erklärend). Natürlich meint jemand etwas u. a. auch dann, wenn und insofern es von anderen verstanden werden kann - aber nicht "weil" - und dieses 'weil' der erklärenden Theorie tritt bei v.S. zu oft auf (z.B. 1994, 340 zu PU 284 Nr.2: Der Leichnam hat nicht keine Schmerzen, weil die andern zu ihm nicht die 'Einstellung zu Seele' haben, sondern weil der Mensch, der er war, nicht mehr lebt). Der soziale Kontextualismus wird im Musterrezept, das v.S. aus dem Teil II, I übernimmt und zu einem universellen Interpretationsschlüßel für 'seelische Sachverhalte' macht, zur interpretativen Zwangsjacke und privilegiert bestimmte interne Artikulationen der auf die Sprache zentral bezogenen psychologischen Begriffe des Meinen und Verstehens einseitig auf Kosten anderer. Weil er nicht die ganze Wahrheit ist, ist er falsch bzw. grob irreführend. Denn Philosophie soll die Probleme gänzlich verschwinden machen (PU 133b) und nicht neü erzeugen. W. bemerkt einmal in seinen Regelbefolgungserörterungen, daß diese Dinge feiner gewoben seien als grobe Hände ahnten - mancher Hände sind leider bei weitem zu grob. (39) Den von mir in entwickelten Zusammenhang internen Zusammenhang zwischen Philosophiekonzeption und Sprachkonzeption und dessen Einfluß auf die Form philosophischer Untersuchungen drücken einige Bemerkungen W.s so aus: "Aber, wenn so der allgemeine Begriff der Sprache, sozusagen zerfließt, zerfließt da nicht auch die Philosophie? Nein, denn die Aufgabe der Philosophie ist nicht, eine neü, ideale Sprache zu schaffen, sondern den Sprachgebrauch unsere Sprache - der bestehenden - zu klären. Ihr Zweck ist es, besondere Mißverständnisse zu beseitigen; nicht, etwa, ein eigentliches Verständnis erst zu schaffen." (PG 115) (40) Der allgemeine Begriff der Sprache ist der Sprachbegriff der dynamischen Theorie der LPA, zu zerfließen scheint er im Begriff der Sprache als Pluralität der Sprachspiele. Auf Mißverständnisse dieser Sprachspiele bleibt die Philosophie intern bezogen. Dabei haben die Probleme als solche des Verstehens (Sinns) und Verstehenwollens (auf das die Normativität von Sinn bezogen ist) noch zusätzlich einen persönlichen, einen 1.Person-Charakter: "Ist die Philosophie ein Geschöpf der Wortsprache? Ist die Wortsprache eine Bedingung für die Existenz der Philosophie? Richtiger würde man fragen: Gibt es außerhalb des Gebietes unserer Wortsprachen auch etwas der Philosophie analoges? Denn die Philosophie, das sind die philosophischen Probleme, d.h. die bestimmten individuellen Beunruhigungen, die wir 'philosophische Probleme' nennen. Das ihnen Gemeinsame reicht soweit wie das Gemeinsame zwischen verschiedenen Gebieten unserer Sprache.[*23*] Betrachten wir nun ein bestimmtes philosophisches Problem, ..., so ist das Charakteristische daran, daß sich hier eine Verwirrung in Form einer Frage äußert, die die Verwirrung nicht anerkennt. Daß der Frager durch eine bestimmte Änderung seiner Ausdrucksweise von seinem Problem ERLÖST wird." (PG 193) (41) Wenn man auch an dieser Stelle 'individuelle Probleme' noch als 'einzelne Probleme' lesen könnte, so macht das doch schon der Verwirrungs- oder Schein-Charakter der Probleme und ihre Bewältigung durch eine Erlösung fragwürdig und eine Notiz aus BT 407 (= VB 472, 1931) völlig unhaltbar: "Die Arbeit an der Philosophie ist ... eigentlich mehr die //eine// Arbeit an Einem selbst. An der eigenen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt.)" (42) Der individuell-persönliche (und, zufolge des Klammerzusatzes im letzten Zitat, letztlich normative Charakter) der philosophischen Klärung philosophischer Probleme hat nun zweierlei zur Folge: Erstens kann es seinetwegen in der Philosophie keine Thesen geben. Denn was in der Therapie vom Klienten nicht ohne neü Probleme akzeptiert werden kann, das hilft auch nicht. ('Wer heilt, hat Recht'.) W. hat daher ausdrücklich erklärt, er ziehe jede etwa kontroverse Äußerung in philosophischen Klärungen, die dadurch, daß sie kontrovertiert würde, auch schon zur bloßen Meinung herabgesetzt wäre, sofort zurück, weil die Kontroverse zeigte, daß der Diagnostiker und Therapeut sich noch nicht klar genug ausgedrückt hätte. (vgl. WWK 183; VGM 121; VGüÄPR 110) Die Äußerungen, die W. in indikativer Form tut, sind Erinnerungen an die mit dem Dialogpartner geteilte normative Basis des Verstehens, die, wenn die Unterstellung des Geteiltseins irrig ist, eben auch zurückgezogen werden müssen (in dem bestimmten Diskussionskontext - das tritt in schriftlicher Form in ungefilterter Weise nur auf der Ms.-Stufe auf und wird später durch Anstrengungen indirekter Mitteilung im Wege der Anordnung und Gruppierung von Bemerkungen zu substituieren gesucht). Zweitens aber hat der individuell-persönliche Charakter der philosophischen Probleme, die W. selbst tatsächlich behandelt, zur Folge, daß die PU mehr argumentative Struktur aufweisen, als nach dem der Vielgestaltigkeit der Sprachspiele entsprechenden vielgestaltigen Charakter der philosophischen Probleme zu erwarten wäre. W. hat tatsächlich weitgehend seine eigenen Probleme geklärt (so auch v.S., 255) - und zwar sowohl die, die zu seiner ersten Philosophie in der LPA geführt haben, als auch die, die sich aus ihrem systematisch-konstruktiven Charakter als dynamischer Theorie und dessen Auflösung im Zuge der Selbstkritik allererst ergeben haben. (43) Der 'Zusammenhang der Teile im Ganzen', das System der PU ist nun dadurch bestimmt, daß die zur Selbstkritik stehende Sprachkonzeption der LPA in ihrem verdeckten Mentalismus die Illusionen der Bestimmtheit des Sinn und der inneren geistigen Vorgänge miteinander verbunden hatte, diese Verbindung aber nicht zwingend ist und daher in der Selbstkritik aufgelöst wird. Bis zu PU 242 werden die verschiedenen Aspekte der Illusion der Bestimmtheit des Sinns erörtert, ab PU 243 die Illusion innerer geistiger oder seelischer Vorgänge. Dabei hat der große Abschnitt ab PU 363 die Funktion, den gefundenen Klärungen über Bedeutung, Meinen und Verstehen nach der Etablierung einer Alternative zur Illusion innerer Vorgänge im Privatsprachenargument und dem Abschnitt über Denken ihre Befremdlichkeit durch Einbettung in den Kontext zahlreicher anderer seelischer Einstellungen zu nehmen, bevor im Schlußteil in der Erörterung von Absicht, Wollen, und Meinen (als Wort unserer Sprache) die Kritik abgeschlossen wird, indem die Grundlagen der im wesentlichen kritisierten Auffassung, die Sprache diene immer nur dem einen Zweck, Gedanken auszudrücken (PU 304), in naheliegenden Mißverständnissen normaler Redeweisen über intentionale Einstellungen geklärt werden. Ironischerweise hat v.S. der Möglichkeit einer solchen Interpretation entscheidend vorgearbeitet, indem er plausibel gemacht hat, daß der einzige Abschnitt, der sich diesem groben Überblick nicht einzufügen scheint, weil er in herkömmlicher Exegese mit dem Problem der Induktion beschäftigt ist (PU 466-90), tatsächlich mit den Gründen für die Einstellung, etwas zu glauben, beschäftigt ist - mit "Rechtfertigungen dafür, daß man es glaubt" (1996, 157). Eine Ausführung der angedeuteten Interpretation würde den gesamten Teil I der PU in der Gegenüberstellung zur LPA als Selbstkritik deuten, und nicht nur versprengte Teile. (44) Der so gedeutete Teil I motiviert dann übrigens, wenn nicht den vorliegenden, so doch ein Version von Teil II. Denn dem Spiel des Bedeutungserlebens (PU 530-46) kann seine Befremdlichkeit nur im Kontext der Phänomene des Aspektsehens genommen werden, die im Zentrum von Teil II stehen und deren Wichtigkeit genau in diesem Sinne erklärt wird (PU II, XI, 553a). Wenn man dann in Ermangelung einer besseren Ausführung den vorliegenden Teil II akzeptiert, gibt dessen letzter Abschnitt (XIV b) den Hinweis auf einen intendierten Teil III über die 'Grundlagen der Mathematik'. Auch der gehört unter dem hermeneutischen 'Vorgriff auf Vollkommenheit' (Gadamer) zur Idee der PU, denn W. wollte seit seinem Wiederbeginn in der Philosophie 1929 stets nur ein Buch schreiben, wenn auch in mehreren Bänden.*24* (45) Freilich steht die Selbstkritik in Teil I unter zusätzlichen Bedingungen, von denen eine wesentliche die folgende ist: "Ich habe kein Recht der Öffentlichkeit ein Buch zu geben, worin einfach die Schwierigkeiten, die ich empfinde, ausgedrückt und durchgekaut sind, .... Sie gehören, sozusagen, in ein Tagebuch, nicht in ein Buch. Und wenn dies Tagebuch auch einmal für jemanden interessant sein könnte, so kann ich's doch nicht veröffentlichen. Nicht meine Magenbeschwerden sind interessant, sondern die Mittel - if any - die ich gegen sie gefunden habe."*25* (46) Die PU sind das Buch, nicht das Tagebuch. Daher verallgemeinern sie die Schwierigkeiten der mentalistischen Konzeption aus der LPA zum augustinischen Bild der Sprache *26* und legen in der Darstellung das Gewicht auf die Mittel gegen die Magenbeschwerden. Dennoch sind sie ein persönliches Buch und müssen zunächst als solches unter dem von ihm intendierten Aspekt der Kritik und nur der Kritik gelesen und ausgelegt werden. Erst so würden die PU, was v.S. als Forderung anerkennt, aber als auszuführen für unmöglich erklärt, so gelesen, daß sie in der "Eigentümlichkeit ihrer philosophischen Position in Einheit mit ihrer höchst eigentümlichen Form" verstanden werden. (Pothasts Forderung; akzeptiert von v.S. 1994, 7f.). v.S. deutet an, daß er von W. abweichende Auffassungen darüber hat, "welche Ansprüche Leser und Autor gegeneinander durchsetzen sollten". (1994, 7) W.s Ansprüche als Autor sind ihm vermutlich zu idiosynkratisch. Aber das ist nicht berechtigt, denn die Philosophie besteht außer in Techniken der Begriffsklärung und Argumentationsstrategien vor allem in den ausgeführten Beispielen, die ihre großen Vertreter gegeben haben. Ihnen SCHULDET ein Interpret das von ihnen intendierte Verständnis, denn er lebt nicht nur geistig von ihnen (der bloße Leser schuldet dem Autor nur Aufmerksamkeit, wenn er ihn lesen will) - sonst soll er nicht interpretieren, sondern eigene Bücher schreiben. (Das hat v.S. natürlich in beneidenswerter Produktivität reichlich getan, aber werden diese Bücher so viel gelesen wie seine Arbeiten über W.?) W. war ein solcher Großer im 'Gewerbe' (Kant) der Philosophie. Ihm schuldet, wieder mit Kant zu reden, jeder Prätendent zum Amte eines Auslegers die unnachlaßliche Bemühung um das intendierte Verständnis. ALS Interpret kann man sich z.B. von dem vom Autor autoritativ erklärten internen Bezug der PU auf die LPA nicht dadurch entlasten, daß man meint, daß "die 'Philosophischen Untersuchungen ' spannend sind und der 'Tractatus' langweilig ist" (257), sondern hat sein Bestes zu tun, die ihm verständlichen Bezüge zu explizieren (es ist ja nicht sicher und W. hat es für zweifelhaft gehalten, daß jemand ihn ganz versteht. Vgl. PU Vorwort h; LPA Vorwort a).*27* Im übrigen sind weder der interne Bezug der PU auf ein anderes Buch des Autors, noch die bloße Selbstkritik irgendwie anrüchig oder nicht reputierlich. Was das erste angeht, hat Schopenhaür z.B. von Lesern seines Hauptwerkes verlangt, eine in diesem Werk gar nicht enthaltene andere Arbeit von ihm als Einleitung zu lesen - W. wollte immerhin die PU mit den LPA in einem Band veröffentlicht sehen und hatte dazu schon Verlagsverhandlungen geführt. Und ad vocem 'bloße Selbstkritik': Ist nicht die radikale Selbstkritik W.s ein philosophisch beeindruckendes Beispiel wahrhaftiger Wahrheitssuche angesichts etwa der jämmerlichen Figur, die andere deutschsprachige Philosophen in diesem Jahrhundert (beispielsweise mit dem Buchstaben 'H' beginnenden Nachnamens) in dieser Hinsicht abgegeben haben, entweder nach dem Motto 'wer groß denkt, muß groß irren' oder durch Ideenflüchtigkeit? Ich hoffe, eine einführend kommentierende Auslegung der PU Teil I unter dem intendierten Aspekt der Selbstkritik an der LPA in absehbarer Zeit vorlegen zu können.*28* *1* Ich zitiere den ersten und den zweiten Band des "Kommentars für Leser" zu den PU als 1994 bzw. 1996 mit Seitenzahlen in ( ) im Text, "Der Mensch als Mitmensch" (dtv - München 1996) nur mit Seitenzahlen in ( ) im Text. Für W. verwende ich die üblichen Abkürzungen mit Ausnahme der "Logisch-Philosophischen Abhandlung", die ich als LPA anführe.- Die Durchnummerierung der Absätze meines Textes ist auf Anregung U. Steinvorths und E.v. Savignys erfolgt, um Bezugnahmen auf meinen Text in der Stellungnahme v. Savignys zu erleichtern. *2* In diesem Fall geht mir jedes Unrechtsbewußtsein dabei ab, diese Formulierung aus ihrem Kontext der Erörterung psychologischer Urteilskraft zu lösen und ihre Gültigkeit für die gesamten PU zu beanspruchen. Wie ich darlegen werde, handelt es sich in ihrem Teil I in der Tat um die aus radikaler Kritik sich ergebenden Trümmer eines Systems, des Systems nämlich der LOGISCH-PHILOSOPHISCHE ABHANDLUNG. Das kann vorläufig mit dem Verweise auf den bekannten Umstand plausibilisiert werden, daß W. im VORWORT erklärt, er wolle seine beiden Hauptwerke zusammen veröffentlicht sehen, weil seine neün Gedanken "nur durch den Gegensatz und auf dem Hintergrund meiner älteren Denkweise ihre rechte Beleuchtung erhalten könnten." (Vorwort e) *3* In der vorletzten Version seiner Theorie, "Zum Begriff der Sprache - Konvention, Bedeutung, Zeichen" (Stuttgart 1983) gesteht v.S., daß er Gilbert Ryle, weil er systematischer als Wittgenstein war, "größeren Dank schuldig" sei (29).- Peter Hacker teilt im abschließenden geistesgeschichtlichen Band seines Kommentars mit, es habe sich herausgestellt, daß Wittgenstein 'The Concept of Mind' angesehen hat und nach der unpublizierten Version der Aufzeichnungen von Bouwsma über seine Unterhaltungen mit W. mit einem einzigen Satz kommentiert habe: "all the magic has vanished" (Hacker, Wittgenstein's Place in 2Oth-Century Analytic Philosophy, Oxford 1996, 169 u. Fn 98). Hacker vermutet wohl richtig, W. werde die Rylesche Charakterisierung des Cartesischen Mythos oberflächlich vorgekommen sein - und, ergänze ich, seine Systematisierungen grobschlächtig. Für W. konnte man mit philosophischen Irrtümern in gewißer Weise nicht vorsichtig genug sein, weil sie soviel Wahrheit enthalten (Z 460). Das lag Ryle ebenso fern wie dem ihm Dank schuldenden v.S. *4* Vgl. Blü Book 5: "the meaning of the sign (roughly, that which is of importance about the sign)" (dt.BlB 20). Vgl. Anm. bei PU 142. *5* Vgl. PG 184 ff., bes. 187 c und EBT 578, zit. bei Baker & Hacker Bd. I im Essay 'Language-Games'. *6* W. verlangt es von Schimpansen, wenn sie als Regelbefolger gelten sollen! (BGM VI 42, 345) *7* Dazu paßt auch, was v.S. 118 Fn 16 anführt - daß 'Gepflogenheit' laut Grimm'schem Wörterbuch in der österreichischen Geschäftssprache nur 'Herkommen' heißt.- Zu McGinn vgl. Wittgenstein on Meaning, Oxford 1984, 37-9 u.ö. *8* Dagegen scheint mir McGinns Subtraktions-Argument (abgesehen von ihren mentalistischen Voraussetzungen, die W. abgelehnt hat), auch die multiple application-These sei nicht nur nicht logisch zwingend, sondern sogar falsch, nicht zutreffend, weil unsere Begriffe von Regeln uns nicht festlegen, was wir in extremen Ausnahmefällen sagen sollen - das ist, meint W., ich denke, zurecht, objektiv unbestimmt (vgl. PU 79 c/d, 80, 85, 87 b/c, 142: "nur in normalen Fällen ist der Gebrauch der Worte uns klar vorgezeichnet"). Vgl. McGinn, op. cit., 125 ff. bes. 131f. *9* Vgl. Hegel, Cambridge UP 1975, 568, wo er als Merkmal von Konzeptionen situierter Freiheit angibt, "that they see free activity as grounded in the acceptance of our defining situation." *10* Aus King Lear, Akt I Szene 4 - vgl. Baker & Hacker, Bd. I, ad loc. *11* Eine plausible rationale Erklärung des 'wie möglich' gibt Hans Julius Schneider mit seiner Theorie der 'syntaktischen Metapher' - vgl. 'Phantasie und Kalkül' , Frankfurt/Main 1992, 399-412. Überzeugend auch seine Erklärung der 'Illusion' einer Bedeutungstheorie, a.a.O., 548. *12* Vgl. PU II, XI, 556 b: "...es bleibt dann die Frage, warum wir bei diesem Spiel des Worterlebens auch von 'Bedeutung' UND MEINEN (meine Hervorheb.) sprechen. - Das ist eine Frage anderer Art. - Es ist die charakteristische Erscheinung dieses Sprachspiels, daß wir, in dieser Situation, den Ausdruck gebrauchen: wir hätten ein Wort in der Bedeutung ausgesprochen, und diesen Ausdruck aus dem andern Sprachspiel herübernehmen (--) Nenn es einen Traum (wie W. selbst in PU 358; meine Einfüg.). Es ändert nichts." *13* Vgl. "Man muß beim Irrtum ansetzen und ihn in Wahrheit überführen. - D.h., man muß die Qülle des Irrtums aufdecken, sonst nützt uns das Hören der Wahrheit nichts. Sie kann nicht eindringen, wenn etwas anderes ihren Platz einnimmt. - Einen von der Wahrheit zu überzeugen, genügt es nicht, die Wahrheit zu konstatieren, sondern man muß den Weg vom Irrtum zur Wahrheit finden." (GB I; VüE 29) - Vgl. Kant, Logik ed. Jäsche, A 129 f.: "Auch ist es nicht genug: daß ein jeder Zweifel bloß beantwortet werde; - man muß ihn auf auflösen, das heißt: begreiflich machen, wie der Skrupel entstanden ist." *14* Vgl. z.B. Donald Davidson, Externalisierte Erkenntnistheorie, in: Ders., Der Mythos des Subjektiven, Stuttgart 1993, 65-83, bes. 72-5 (mit dem Verweis in Fn 5). *15* Vgl. dazu meinen Aufsatz 'Übereinstimmung bei Wittgenstein' in der FS Theunissen: Dialektischer Negativismus, hg.v. Angehrn u.a., Frankfurt/Main 1992, 82-102. *16* Rost, Griechisch-Deutsches Wörterbuch, Braunschweig 1862, Bd 2, 492. Die Nebenbedeutungen sind musikalisch "Accord" bei Aristoxenus und medizinisch "Anhäufung des Blutes oder der Säfte" bei Galen. *17* Dieser wie mehrere weitere Punkte sind bereits von dem Peter Hacker-Schüler Hans-Johann Glock gemacht worden, dessen balancierter und fairer, aber ablehnender Kritik am ersten Band der Erstauflage ich mich durchgehend anschließen konnte. Worin meine Erwägungen hinausgehen über Glocks Ergebnisse, sind vor allem die Argumente, die einen internen Zusammenhang zwischen W.s Philosophieverständnis und der Form seiner Philosophie im Bemerkungen-Stil, der die PU zu einem unvergleichlich offenen und (anders als bei Aphoristikern wie Pascal oder Nietzsche) doch argumentativ dichten Buch machen. - Von Glock vgl. außer dem Beitrag in den Akten des 14. Wittgenstein-Kongresses (152-62) [Wien 1990] und der Besprechung in Erkenntnis 36 (1992), 117-128, inzwischen sein hervorragendes, den Stand der Interpretationskunst repräsentierendes Wittgenstein-Dictionary bei Blackwell (Oxford 1996). *18* UTB Schöningh, Nr. 1922, Paderborn 1996. *19* Vgl. die ausdrückliche Erklärung in diesem Sinn in WWK 183ff., an der sich auch die Stelle über Thesen in der Philosophie findet, die in PU 128 aufgenommen wurde und die Savigny für "grotesk falsch" (1994, 174) hält. Um entscheiden zu können, ob sie das ist, muß man sie erst einmal verstanden haben. *20* Auch für Kant macht "der Philosoph ... nur gegebene Begriffe deutlich" (Logik A 95) und betrachtet dabei, "wie es bei unserm Denken... zugehen soll" (Logik A 14). Es bleibt die entscheidende Differenz, daß Kants Philosophiebegriff kognitiv ist - Philosophie "System ... der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen" sein kann (Logik A 23), W.s aber als therapeutischer nicht-kognitiv. Insofern macht sich die in der Normativität von Begriffsbildung liegende Grenze für Argumentation erst unter seinem Philosophiebegriff fühlbar. *21* Meine Formulierung ist der Bemerkung W.s nachgebildet, die die 'Armut an Kategorien' betrifft, wenn ich recht erinnere, und die ich nicht wiederfinden kann. (Olaf Kistenmacher hat meinen Lapsus dankenswerterweise abgeholfen: Die Stelle ist BPP II, 690.) *22* Auch v.S. stellt das einmal fest, wenn er bzgl. der 'einer Regel folgen'-Erörterungen ausführt: "Allerdings ist Wittgensteins Alternative nicht zwingend; sie ist reizvoll, und eine andere ist nicht in Sicht." (124) Nach meiner Ansicht zu W. ist das das Schicksal aller grundlegenden Einsichten kritischer Philosophie. *23* Entgegen dem Anschein verneint W. nicht, daß es außerhalb der Wortsprache etwas philosophischen Problemen Analoges geben kann. Er hat in dem Beispiel der Konstruktionszeichnung einer starren 'Bewegungs'maschine (PG 194) ein Beispiel für ein nichtwortsprachliches 'philosophisches' Problem/Mißverständnis produziert (vgl. auch Z 248), das für ihn zeitlebens wichtig blieb, weil es ihn ex post facto auf die Struktur seiner Privatsprachenargumentation aufmerksam gemacht hat (vgl. BPP I 397).- Entgegen einem Mißverständnis, das Savigny und Hacker teilen (von dem sich der teilweise Partner Hackers, Baker, aber wohl distanziert hat und das Hallett fernliegt), ist Wittgensteins zweite Philosophie nicht wesentlich (Wort)Sprachphilosophie, sondern eher so etwas wie Kulturphilosophie auf der Basis eines physiognomischen Phänomenalismus, für den Göthe das Motto gibt (BPP I.889: "Man suche nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre.") Nur soweit (und das ist natürlich weit genug) die Phänomene sprachlich konstituierte sind, hat die Philosophie auf die Sprache über die Phänomene wesentlich zu achten (und nicht nur, weil man natürlich, wenn man Theorie treibt, sprechen muß). *24* Ich halte also die philologischen Argumentationen von von Wright und Scholz gegen die Zugehörigkeit von Teil II zu den PU für hermeneutisch entkräftbar. Vgl. G.H. von Wright und Oliver Scholz in: Wittgenstein über die Seele, hrg. E.v.Savigny/O.Scholz, Frankfurt/Main 1995, 12-23 und 24-40. Von Wright äußert selbst die Hypothese, die Idee der PU laufe auf eine Trilogie hinaus (19 mit Verweis in Fn 7) und führt in seinem Wittgenstein, Frankfurt/ Main 1990, 135, ein briefliches Zeugnis an, in dem offenbar von PU Teil I als dem "ersten Band" die Rede ist. *25* Ms. 136, von 1948, zit. nach Nedo/Rancchetti, Wittgenstein - Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main 1983, 316. *26* In der Hervorhebung der Relevanz von PU 32 für das Verständnis der augustinischen Konzeption, wenn auch nur eingeschränkt in der Auslegung, stimme ich v.S. gegen Baker&Hacker zu. *27* In einem anderen, zugegebenermaßen nicht bloß interpretativen Kontext äußert v.S.: "Nach einer widerspruchsfreien und haltbaren Analyse regelfolgenden Verhaltens bei Wittgenstein zu suchen reicht meine Geduld nicht aus". (Zum Begriff der Sprache..., op. cit., 33) Mir ist völlig schleierhaft, wie er dann a.a.O. Fn 5 eine Interpretation eines Freundes zuversichtlich als zutreffend beurteilen kann. Aber ich führe das nur als Beispiel an für etwas, was im Kontext von Interpretation fehl am Platze wäre. Ansonsten bleibt es selbständigen akademischen Philosophen unbenommen, bestimmte Dinge langweilig zu finden und für andere keine Geduld aufzubringen. *28* Der Beitrag von M.E. Lange wurde redaktionell bearbeitet - die Red.