***************************************************************** * * Titel: Einleitende Bemerkungen Autor: Uta *Eichler*, Richard *Raatzsch* Martin-Luther-Universität Halle (Saale) Universität Leipzig, Germany (d) Dateiname: 10-2-97.TXT Dateilänge: 11 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/97, Datei: 10-2-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Uta Eichler Richard Raatzsch Einleitende Bemerkungen "Wer die Absicht hat, ein Buch zu schreiben, der tut nach meiner Ansicht gut daran, über jene Sache, die er behandeln will, verschiedentlich nachzudenken. Er tut auch nicht schlecht daran, wenn er, soweit möglich, in Erfahrung bringt, was zuvor andere über dieselbe Sache geschrieben haben. ... Hat er dies in aller Stille getan, ... dann schreibe er frischweg sein Buch, wie der Vogel sein Lied singt - falls jemand Nutzen oder Freude davon hat, umso besser; dann gebe er es sorglos und unbekümmert heraus,...." Sören Kierkegaard "Der Verkehr mit Autoren wie ... Kierkegaard, macht ihre Herausgeber anmaßend. ... Es ist wohl das, daß die Ironie eines Autors den Leser anmaßend zu machen geneigt ist." Ludwig Wittgenstein Im folgenden wollen wir dem Leser eine Sammlung von Aufsätzen vorstellen, die sich dem Zusammenhang der Philosophien von S ren Kierkegaard und Ludwig Wittgenstein widmen. Beide galten und gelten als Begründer oder zumindest als herausragende Vertreter entgegengesetzter philosophischer Richtungen: der Existenzphilosophie und der analytischen Philosophie. Der herrschenden Meinung standen aber auch stets Minderheitenvoten gegenüber. Diesen zufolge kommt die ausschließliche Zuordnung beider Denker zu je einer Richtung einer zumindest partiellen Einebnung der Vielfalt und Komplexität ihrer Überlegungen gleich. In Bezug auf Wittgenstein konnte sich diese Sichtweise auf die bekannte Bemerkung des Autors des TRACTATUS in einem Brief an von Ficker stützen, wonach die ABHANDLUNG in gewissem Sinne ein ethisches Buch sei. Oft zitiert werden auch die Stellen in Waismanns Aufzeichnungen von Gesprächen Wittgensteins mit Mitgliedern des Wiener Kreises, in denen sich Wittgenstein zustimmend auf Kierkegaard bezieht. Hinzu kommen die von Bouwsma und Drury überlieferten Äußerungen Wittgensteins, wie etwa die, daß Kierkegaard der bei weitem tiefste Denker des 19. Jahrhunderts sei. Weitere Indizien für eine Affinität beider Philosophen enthalten die vor kurzem veröffentlichten Tagebücher Wittgensteins aus den 30-er Jahren. Dennoch läßt sich aus diesen Belegen allein nicht auf eine tiefgehende Verwandtschaft im Denken Kierkegaards und Wittgensteins schließen. Reduziert man die Zuschreibung von Verwandtschaften im Denken auf die Anzahl derartiger Bezugnahmen, dann liegt es auf der Hand, daß Autoren wie Frege oder Russell für Wittgenstein ungleich bedeutender waren. Allerdings sind für die Begründung einer geistigen Verwandtschaft derartige Bezugnahmen ohnehin nicht ausreichend. Eigentlich sind sie auch gar nicht nötig. Dennoch deutet die immer wieder zu konstatierende Suche nach offensichtlichen Gemeinsamkeiten auf etwas hin, sie ist Ausdruck der Unzufriedenheit mit gängigen philosophischen Katalogisierungen. Beide Denker stehen als Gründergestalten unterschiedlicher philosophischer Richtungen zunächst in einem deutlichen Gegensatz. Freilich hat sich der TRACTATUS - ganz abgesehen von irgendwelchen Bemerkungen seines Autors über andere Philosophen - nie GANZ NAHTLOS in positivistisches Philosophieren einpassen lassen. Dies gilt, wenn auch nicht offensichtlich, schon für die empiristische Deutung seiner "ontologischen" Passagen; manifest wird der Unterschied aber an den Stellen, in denen Wittgenstein von der Unsinnigkeit der philosophischen Sätze spricht. Der TRACTATUS wurde dadurch für eine Zeit zur "Bibel" des Neopositivismus, daß die Ideen, die man in ihm zu finden meinte, schon das Raster abgaben, durch welches er betrachtet wurde. Der TRACTATUS konnte so als das erlösende Wort, welches freilich von seinem Autor nicht in der Not geschrieben wurde, aus der es andere erlöste. Diese Differenz zwischen TRACTATUS und Neopositivismus findet ihren Ausdruck auch darin, daß der TRACTATUS nicht in dem Maße an Reiz verlor, wie die Grundlagen neopositivistischen Denkens unterminiert wurden. Freilich wäre es auch Unsinn, wollte man sagen, daß der Neopositivismus sich dadurch wandelte, daß die Neopositivisten "endlich lernten, wie man Wittgenstein richtig liest". Die Wandlungen des Neopositivismus waren vielmehr Ergebnis interner Auseinandersetzungen, unter anderem auch in Form des Ausbrechens zunächst unbedeutend erscheinender Differenzen zwischen seinen Vertretern, die mehr oder weniger von Anfang an bestanden. Sicher ist auch die Geschichte der Existenzphilosophie keine einheitliche. Es ist aber offensichtlich, daß sie ohne eine ständige Bezugnahme auf Kierkegaard nicht vorstellbar ist. Außerdem zeitigte Kierkegaards theoretischer Ansatz auch außerhalb des Existentialismus Wirkungen, so auf die philosophische Anthropologie und auf theologische Debatten. Mit der in der letzten Zeit zunehmenden Thematisierung der Grenzen des jeweils eigenen Kozepts kommt es zu einer breiteren nicht mehr nur abwehrenden wechselseitigen Rezeption. Um das Phänomen der bloßen Rezeption zu überschreiten, ist es wesentlich, die Diskussion inhaltlicher Probleme voranzubringen. In dieses Bemühen wollen wir uns mit unserem Sammelband einreihen. Unsere leitende Idee ist die, daß Kierkegaards und Wittgensteins Arbeiten wechselseitig Licht aufeinander werfen. Dadurch werden bisher wenig beleuchtete Seiten sichtbarer. Das verdeckt das Trennende natürlich nicht. Aber diese Gefahr besteht nach wie vor in deutlich geringerem Maße als die, daß möglicherweise wichtige Gemeinsamkeiten übersehen werden. Mit unserer Sammlung erheben wir nicht den Anspruch, einen repäsentativen Überblick zu geben. Wir haben uns gleichwohl bemüht, zumindest Vertreter verschiedener Schulen und Ansätze zu Wort kommen zu lassen. Die Beiträge sind in zwei Gruppen eingeteilt. Die Gliederung folgt Schwerpunkten der Rezeptionsgeschichte beider Denker. Der erste Schwerpunkt betrifft Fragen der Ähnlichkeit von Kierkegaard und Wittgenstein. Gilbert Ryle hat einmal gesagt, die Frage, was Philosophie eigentlich sei, sei stets Wittgensteins "master-question" gewesen. Demgegenüber hat sich Kierkegaard als religiöser Schriftsteller verstanden, nicht als Philosoph. Gerade diese Selbsteinschätzung läßt fragen, warum er sein Vorgehen in die philosophische Dimension gestellt. Hinsichtlich des Methodenproblems sind wohl auch die meisten Gemeinsamkeiten zwischen Kierkegaard und Wittgenstein gesehen worden. Die zweite Gruppe von Beiträgen enthält Diskussionen von Fragen zu Problemen menschlicher Existenz und ihrer theoretischen Vergegenwärtigung. Die Zuordnung einzelner Beiträge zu einer Gruppe kann zuweilen willkürlich erscheinen, hat aber seinen eigentlichen Grund darin, daß methodische nicht von inhaltlichen Problemen getrennt werden können. Bis auf drei Ausnahmen sind alle hier abgedruckten Beiträge neu. Die Ausnahmen sind einmal der Aufsatz von James Conant, der in einer leicht veränderten Fassung bereits in Pursuits of Reason, (eds. Cohen, Guyer & Putnam. Texas Tech Press 1993) erschienen ist. Der erste Teil des Aufsatzes von Helmut Fahrenbach erschien 1983 in TEXT & KONTEXT, (BAND 15). Der Beitrag von Jamie M. Ferreira wurde 1994 in Religious Studies (Jg. 30, S. 29-44) veröffentlicht. Wir danken Cambridge University Press für die Erlaubnis, diesen Text hier aufnehmen zu dürfen. Leipzig, im Dezember 1997