***************************************************************** * * Titel: Wie kam es zum Schachmatt? Existentialismus und Dialektik als Autonomie der Grammatik Autor: Andreas *Roser* (Universität Passau, Germany SUNY Buffalo, U.S.A.) Dateiname: 16-2-97.TXT Dateilänge: 142 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/97, Datei: 16-2-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Zusammenfassung (1) Für Kierkegaard wie für Wittgenstein scheint jeder Versuch, über das Absolute zu sprechen, ein zum Scheitern verurteilter Versuch zu sein. Für beide Philosophen ist ein Absolutes ein Unsagbares, bzw. Unmittelbares, das sich nicht aussprechen läßt. (2) Für Kierkegaard wie für Wittgenstein läßt sich jedoch ein Rekonstruktionsstandpunkt finden, der in der Konvergenz der dialektischen Methoden beider Philosophen zu finden ist. Kierkegaards Existenzdialektik trifft sich mit Wittgensteins Sprachphilosophie methodologisch im Begriff autonomer Grammatik. (3) Die Dialektik dieser autonomen Grammatik zeigt sich nun darin, daß einander ausschließende Spiele in ein-und-demselben Spiel ihren Ursprung haben können. Ein und dasselbe Spiel kann ein Gebiet autonomer und widersprüchlicher Regelanwendungen enthalten, deren praktische Beseitigung nun das eigentliche anthropologische Problem des Umgangs mit Widersprüchen offenkundig macht. Die Darstellung dieser Dialektik läßt sich für Kierkegaard wie auch für Wittgenstein am Beispiel unseres Sprechens über Wiederholungen analysieren. Die Beschreibung von Wiederholungen bringt für Kierkegaard mehrere Stadien bzw. Übergänge der Vermittlung zur Darstellung. (4) Kierkegaards 'Paradox' resultiert aus den Vermittlungen bzw. Wiederholungen des eigenen Lebensvollzuges, den Kierkegaard in den Widerspruch gestellt sieht, zwischen einer vermeintlich gelebten, jedoch existentiell geforderten Unmittelbarkeit einerseits und der Vermittlung durch ein geschichtlich wie sprachlich Allgemeines andererseits. In diesem Entweder-Oder sieht Kierkegaard die Beschreibung seines eigenen Lebens gleichsam zerrissen, zwischen der Sprache der Vermittlung und einer geforderten Sprache für die eigene Unmittelbarkeit. Kierkegaard thematisiert dabei den Verlust der Unmittelbarkeit als grundsätzliche Trennung von einem "göttlichen" Sprechen. (5) Diesen Verlust der Unmittelbarkeit der Sprache rekonstruiert Kierkegaards Dialektik über verschiedene existentielle Kategorien (Angst, Dasein, Existenz u.a.), in denen Wiederholungen stets neuerlich Grund für den Verlust einer immer wieder eingeforderten Unmittelbarkeit werden. Die Analyse und Rekonstruktion dieser alltäglichen Wiederholungen führt Kierkegaard jedoch zu der negativ-dialektischen These, daß Unmittelbarkeit nur existentiell begriffen werden kann, wenn und sofern sie als Gegenwärtigsein eines ständig- wiederholten Verlustes rekonstruiert wird. (6) Kierkegaards Thematisierung des Widerspruches zwischen der geforderten Sprache der Unmittelbarkeit und der vermittelten Sprache der Öffentlichkeit wird von Wittgenstein in analoger Form als Paradox im Verhältnis privater und öffentlicher Sprache, bzw. als Widerspruch zwischen privaten und öffentlichen Handlungsregeln diskutiert. Hierbei geht es 2 Wittgenstein primär nicht um die Darstellung logischer Widersprüche als vielmehr um anthropologische Probleme des Umganges mit Widersprüchen. Es ist dieser anthropologische Umgang mit Widersprüchen, der auch der Ursprung für Kierkegaards existentialistische Kategorien ('Angst', 'Sprung', 'Vermittlung', 'Wiederholung' u.a.) ist. Diese kierkegaardschen 'Kategorien der Existenz werden von Wittgenstein zwar nicht kategorial und nicht in theologischem Kontext diskutiert, wohl aber behandelt Wittgenstein analoge anthropologische Probleme im Umgang mit Widersprüchen, die im Kalkül eines Spieles bzw. seiner Grammatik auftreten können. (7) Im Unterschied zu Kierkegaards These vom gelebten Widerspruch zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung ist es Wittgensteins These, daß wir jeden im Kalkül eines Spieles auftretenden Widerspruch sofort beheben können; doch die Art und Weise, wie wir ihn beheben und damit womöglich neue Widersprüche im Kalkül erzeugen, kennzeichnet auch für Wittgenstein einen existentiellen Umgang mit dem Widerspruchsproblem, das seinen Ursprung in der Autonomie der Grammatik unsere Sprachspiele hat. (8) Wittgenstein beschreibt den anthropologischen Umgang mit dem Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung, wenn er Formen der Vermittlung analysiert, in denen spontan und auf willkürliche Weise ein Widerspruch behoben bzw. ein Sprachspiel in einen anderes Spiel transformiert werden kann. (9) Die existentielle Leistung, die in einem Sprachspiel erbracht werden muß, um mit einem Widerspruch in irgendeiner Weise "fertig zu werden", erlaubt dabei Kategorialisierungen dieses Umgangs mit Widersprüchen, wie wir sie auch in Kierkegaards Existenzkategorien beschreiben können, auch wenn diese von Wittgenstein (in einer Bemerkungen über Heidegger und Kierkegaard) nur angedeutet werden. (10) Wittgensteins Vorschlag, Schach mit 'lebenden Figuren' zu spielen, kann als Metapher für ein Leben in normierten Sprachspielen betrachtet werden. Diese Metapher bietet uns die Möglichkeit, die Grammatik eines Spieles und allfällige Regelprobleme für Teilnehmer an diesem Spiel auch als existentielle Grammatik zu beschreiben. Die Unmittelbarkeit, in die uns das Auftreten eines Widerspruches in der Grammatik eines Spieles stellt, ist eine Unmittelbarkeit der auf diese Weise entstandenen regelfreien Momente in einem Spiel. Momente der freien Wahl und Entscheidung, mit einem Widerspruch umzugehen. Zwar können Spieler einen Regelwiderspruch im Spiel jederzeit beheben und das Spiel z.B. in einer anderen Variante fortsetzen. Doch obwohl auch eine mögliche neue Variante Regeln folgt, gibt es einen Punkt der Regelfreiheit, bzw. der Autonomie der Grammatik, in dem von allen Spielern eine Entscheidung über die Fortsetzung des Spieles (des Lebens) gefordert ist, sofern in ihm ein Regelwiderspruch aufgetreten sein sollte. Dieser Punkt der Unmittelbarkeit, der grammatischen Autonomie, läßt sich jedoch im Spiel (wie im Leben) nicht darstellen. Denn solange das alte Spiel gespielt wird, gelten dessen Regeln. Wird aber ein neues Spiel gespielt, gelten neue Regeln. (11) Der Verlust dieser 3 Unmittelbarkeit - im Vermittlungssystem der Sprache - bedingt - für Kierkegaard wie für Wittgenstein - ein 'Scheitern der Metaphysik'. Für beide Philosophen bleibt jedoch die Darstellung einer Unmittelbarkeit der Sprache in Ausdrucksformen ihrer Autonomie erhalten. Für Kierkegaard in der Sprache der Existenz-Kategorien, für Wittgenstein in der autnomen Grammatik einer Beschreibung unseres Umganges mit Widersprüchen im Kalkül einer Sprache. Wittgensteins und Kierkegaards Bemerkungen über die Sprache. Erste Annäherung 1) Kierkegaard und Wittgenstein über Sprachverwirrung; 2) Das Unmittelbare als Unsagbares. Kierkegaards Kritik der Privatsprache. 1) Wittgensteins Verhältnis zu Kierkegaard ist nicht nur durch die persönliche Hochachtung Wittgensteins für das theologische Denken Kierkegaards geprägt*1*; beide verbindet auch eine Kritik der Sprache. Obwohl Kierkegaard nur an wenigen Stellen seines umfangreichen Werkes Bemerkungen über die Sprache macht, lassen sich erste Gemeinsamkeiten beider Philosophen schon hier vermuten. Insbesondere in einer Bemerkung Kierkegaards, die man in ähnlichen Varianten auch bei Wittgenstein*2* findet: Kierkegaard: "Eben weil man in unserer Zeit nur allzuviel weiß, ist es eine sehr leichte Sache, alles zu verwirren in einer Sprachverwirrung."*3* 2) Diese Verwirrung tritt für Kierkegaard wie für Wittgenstein ein, wenn mit den Mitteln der Sprache der Versuch unternommen wird, ein Unmittelbares als ein Absolutes, d.h. nicht Vermitteltes, zur Sprache zu bringen. Für beide ist ein solches Absolutes ein Unsagbares, weil Unmittelbares, etwas, das sich nicht aussprechen läßt*4*. Kierkegaard formuliert diese These der Unaussprechbarkeit auch für den eigenen religiösen Standpunkt: "[...] in der Zeitlichkeit können Gott und ich nicht miteinander reden, wir haben keine gemeinsame Sprache."*5* Diese Auffassung wird von Kierkegaard in Furcht und Zittern für jeden Sprecher einer solchen vermeintlich unmittelbaren Sprache behauptet. So sagt Kierkegaard über Abraham, er könne sich selbst nicht verstehen, wenn er einer Sprache mächtig wäre, in der das Absolute selbst zum Ausdruck käme: "Sprechen kann er [Abraham/A.R.] nicht, er spricht nicht mit menschlicher Zunge. Verstände er gleich die Erdensprachen alle, verstünden seine Lieben sie mit 4 ihm, er kann dennoch nicht sprechen, - er spricht in einer Sprache, die von der Gottheit kommt, er spricht in Zungen."*6* Göttlich ist diese Sprache für Kierkegaard, weil sie für ein unmittelbares Sprechen steht, ein Sprechen, in dem Sprecher und Hörer nicht mehr in einem vermittelten Zusammenhang stehen. Dieses Unmittelbare scheint für Kierkegaard wie auch für Wittgenstein gleichermaßen ein Sprechen "in Zungen" zu sein, denn beide Philosophen schließen die Möglichkeit aus, eine solche Sprache verstehen zu können. Doch für beide bliebe eine solche Sprache der Unmittelbarkeit selbst dann noch ein philosophisch-theologisches Problem, wenn alle anderen Fragen geklärt worden wären*7*, ein leidenschaftlicher Glaube an diese Unmittelbarkeit aber geblieben wäre. (Von letzterem wiederum geben jene Bemerkungen Wittgenstein Zeugnis, die von W. Baum erstmals im Druck zugänglich gemacht worden sind*8*.) Das Problem, Kierkegaard und Wittgenstein sprachphilosophisch zueinander in Beziehung zu setzen, ist durch diese wenigen Bemerkungen allerdings erst angedeutet. Zum einen finden sich in Wittgensteins bisher gedrucktem Werk nur sehr wenige Bemerkungen zu Kierkegaard*9*, zum anderen läßt sich einer solcher Vergleich generell nur dann ziehen, wenn gewisse gemeinsame methodologische Grundlagen bei beiden Philosophen gegeben sind, die über assoziative Gemeinsamkeiten und sprachliche Analogien hinausgehen. Mit der oben gegebenen Skizze einer ersten Annäherung an das Problem ist gleichsam nur das Thema aber noch keine Behandlung der Frage gegeben, inwiefern Kierkegaard und Wittgenstein methodologisch vergleichbare Standpunkte vertreten. Eine methodologische Bemerkung sei jedoch vorangestellt: Der religiöse Ernst und die Tiefe im Denken Kierkegaards sowie die möglichen religiösen Grundüberzeugungen Wittgensteins werden in dieser Untersuchung im wesentlichen ausgeklammert bleiben. Nicht, weil sich darüber nicht spekulieren ließe. Es sind die Inhalte solcher religiöser Übereugungen die sich einer analytischen Betrachtungsweise entziehen. Theologen mögen darum den spielerischen Habitus dieses Artikels und die unspektakulären Wahl der diskutierten Modellbeispiele verzeihen. Letztere Beispiele mögen vielleicht auch Ausdruck dafür sein, daß romantische Innerlichkeit heute das nicht mehr ist, was Philosophie auf den Begriff zu bringen hätte. Auch wird man die - vielleicht geforderte - "Tiefe" nicht finden, ohne sich zuvor an der Oberfläche zu bewegen. Beispielsweise dann, wenn hier von 'Schachfiguren' und nicht von Inhalten religiöser Sprache die Rede ist. Die Wahl solcher Beispiele läßt sich vermutlich nur ironisch rechtfertigen. Hätte Kierkegaard oder Wittgenstein auch nur an einer Stelle ihrer Werke die Auffassung vertreten, es gäbe ein 5 adäquates philosophisches Sprechen über Gott*10*, so wären diese ironischen Modelle der Existenzdialektik Kierkegaards (am Beispiel des Schachmodelles der Sprache) möglicherweise unangebracht und oberflächlich. So aber mag es ein Ausdruck für die Ironie negativer Theologie bei Kierkegaard und Wittgenstein sein. Einer negativen Theologie, der Wittgenstein folgt, wenn er zwar einerseits betont, Theologie als Grammatik sei möglich (PU 373) und im grammatischen Witz dieser Grammatik läge ihre Tiefe (PU 111), andererseits aber diese "grammatische Theologie" nochmals von dem trennt, was zum "Wesen der Welt gehört"*11* und solcherart Theologie letztlich auf die Tiefe dieses grammatischen Witzes*12* in der Sprache beschränkt. Schach mit 'lebenden Figuren' 1) Autonome Grammatik als Konvergenzpunkt von Existenz- und Regeldialektik; 2) Das Schachspiel als Modell autonomer Grammatik; 3) Schach mit 'lebenden Figuren': Wittgensteins dekonstruktive Grammatik; 4) 'Leben als Schachfigur': das Modell einer Existenzdialektik; 5) Schach als Dekonstruktion eines Sprachspiels. 1) Hier wird die These vertreten, daß sich für beide Philosophen ein Rekonstruktionsstandpunkt finden läßt, der in der Konvergenz ihrer dialektischen Methoden zu finden ist. Kierkegaards Existenzdialektik trifft sich mit Wittgensteins Sprachphilosophie methodologisch an einem Punkt, dem bisher vermutlich zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Diese Konvergenz zeichnet sich ab, wenn man den Begriff autonomer Grammatik*13*, in der Verwendung, die Wittgenstein ihm gegebenen hat, auf seine in ihm liegende Existenzdialektik hin untersucht. Dieser Begriff einer autonomen Grammatik läßt sich exemplarisch an jenen Beispielen deutlicher beschreiben, deren Grammatik konstruiert ist und von vornherein der Wirklichkeit keine Rechenschaft schuldig ist. Nur in solchen Beispielen kann eine autonome Grammatik und ihre - vorerst hypothetisch unterstellte - Dialektik isoliert von jenen Gründen und Ursachen betrachtet werden, die ihre behauptete Autonomie in Frage stellen könnten. Solche Abhängigkeiten ergäben sich beispielsweise, wenn wir ein bestimmtes Sprachspiel als autonom beschrieben und sich dann herausstellte, daß es seinen Grund in etwas anderem hätte, dessen Verfügbarkeit unseren Darstellungen entzogen wäre. 2) Kaum ein Beispiel wird nun von Wittgenstein häufiger herangezogenn um das Funktionieren unserer Sprache zu erläutern, als das Schachspiel*14*. Die Regeln dieses Spieles und die Funktion seiner Bestandteile formieren für Wittgenstein ein ideales Modell regelgeleiteter Sprachspiele. Neben der Diskussion vieler ungewöhnlicher Schach-Varianten diskutiert Wittgenstein nun auch eine Form 6 des Schachspieles, in der kriegerische Konflikte einer Gesellschaft nach den Regeln des Schachspiels ausgetragen werden: Wittgenstein: "Ich sagte einmal, es wäre denkbar, daß Kriege auf einer Art großem Schachbrett nach den Regeln des Schachspiels ausgefochten würden. Aber: Wenn es wirklich bloß nach den Regeln des Schachspiels ginge, dann brauchte man eben kein Schlachtfeld für diesen Krieg, sondern er könnte auf einem gewöhnlichen Brett gespielt werden."*15* 3) Man mag diese Idee Wittgensteins für skurril halten, doch wird man Wittgenstein hier kaum absprechen können, das umfassende Problem dekonstruktiver Sprachhandlungen in origineller Weise zur Sprache zu bringen*16*. Das ironische Szenario verdeckt hier jedoch - wie bei Wittgenstein häufig - den ernsten Hintergrund, der in der von Wittgenstein immer wieder vorgetragenen Behauptung zu finden ist, man könne die Frage nach dem, was ein Wort sei, ganz analog der Frage behandeln, was eine Schachfigur sei: Wittgenstein: "Die Frage 'was ist ein Wort?' ist ganz analog der "was ist eine Schachfigur?"*17* "Wörter und Schachfiguren sind einander ähnlich; zu wissen, wie ein Wort gebraucht wird, das ist so, wie zu wissen, welche Züge man mit einer Schachfigur ausführen kann."*18* "Wir rechtfertigen die Verwendung eines Wortes, indem wir eine Regel anführen, ebenso wie wir einen Schachzug durch Angabe einer Regel rechtfertigen würden."*19* 4) Läßt sich dieser Vergleich zwischen Sprache und Schachspiel analytisch entwickeln, dann müßte sich auch Kierkegaards Existenzdialektik in der Alltagssprache ebenso rekonstruieren lassen wie an ihrem Modell, dem Schachspiel. Hier wird darum die Hypothese vorgeschlagen, jenes wittgensteinsche Schachspiel mit 'lebenden Figuren' als Basismodell einer Rekonstruktion der Existenzdialektik Kierkegaards zu verwenden. In einer ersten Annäherung an das Problem jener Regeln der Bedrohung, der Zerstörung oder des Krieges für Teilnehmer an einem solchen Spiel mit 'lebenden Figuren' scheint es sinnvoll zu sein, eine Regel für das von Wittgenstein skizzierte Spiel zu rekonstruieren. Wittgensteins Schachmodell bietet sich aus mehreren Gründen an: - Das Schachspiel als Modell eines Sprachspieles bietet sowohl die erforderliche Komplexität als auch die notwendige geometrische Übersichtlichkeit für Sprachspielsimulationen der Alltagssprache, auch wenn 7 es nur den Idealtypus eines Alltagssprachspieles beschreibt. - Das Schachspiel kann den Verlust sprachlicher Handlungsfähigkeit simulieren, wenn Sprachhandlungen am Modell von Schachzügen rekonstruiert werden. Das Schachspiel ist seiner Anlage nach dekonstruktiv. Ein Gewinnen in diesem Spiel ist immer nur möglich durch diskursive Elimination eines Sprachspielteilnehmers. - Wittgensteins Vorschlag, Schach mit 'lebenden Figuren' zu spielen, bietet uns die Möglichkeit, die Grammatik eines Spieles als Ausdruck existentieller Probleme zu beschreiben. Wenn auch nicht - wie Wittgenstein vorschlägt - auf 'Leben und Tod', so doch im Diskurs dekonstruktiver Sprachhandlungen ist dieses Spiel ein Modell existentialistischer Grammatik. 5) Denken wir uns eine Gesellschaft, in der man Schach in der erwähnten Weise nicht mit Figuren, sondern mit lebenden Personen spielt. Für ein solches Spiel könnte die Regel gelten, daß alle Spielteilnehmer die üblichen Schachregeln befolgen und für alle Spieler offenkundig ist, wer wem in welcher Funktion auf dem Spielfeld gegenübertritt. Es gelte ferner, daß jeder Spieler mit jedem anderen Spieler sprechen darf, jedoch derart, daß neben den normalen sprachlichen Regeln der Verständigung auch die regelkonformen Bewegungen der 'lebenden Schachfiguren' als Sprachhandlungen gelten*20*. Dies erfolgt derart, daß die Teilnehmer beider Gruppen sich über ein großes Spielfeld bewegen und dabei die Bewegung der Schachfiguren ausführen, mit dem Ziel, den König der jeweils anderen Partei matt zu setzen. Der Spielverlauf einer Gruppe gleicher Farbe bzw. die Spielstrategie derselben könnte auf einer gemeinsamen Absprache beruhen*21*. (Es ist also nicht erforderlich, für ein solches Spiel externe Spielleiter vorauszusetzen.) Wir könnten ferner annehmen, daß beim 'Schlagen' einer 'lebenden Figur' der bisher gestattete Diskurs mit anderen Spielteilnehmern einzustellen und das Spielfeld zu verlassen ist. Spieler, die das Spielfeld verlassen haben, gelten als 'geschlagen' und nehmen nicht mehr am Sprachspiel 'Schach' teil*22*. Gemäß den üblichen Schachregeln gelte ferner, daß jene Gruppe identisch gekennzeichneter Schachpersonen gewonnen hat, der es gelingt, das Spiel durch ein Schachmatt, d.h. durch 'Schlagen des Königs' einer anderen Farbe, und damit durch das Vertreiben gegnerischer 'lebender Spielfiguren' (aus dem Diskurs dieses Sprachspiels), zu beenden*23*. Ein Problem im Zusammenhang der Analyse solcher Schachspiele mit 'lebenden Figuren' folgt nun aus der Frage nach der Beschreibung einer Grammatik der Teilnahme in und der Emigration aus einem solchen Spiel. Mit anderen Worten: Das hier zu analysierende Problem ist die Beschreibung der 8 grammatischen Regeln der Dekonstruktion für Sprachhandlungen der im Sprachspiel beteiligten Personen und das existentielle Verständnis dieser Grammatik durch diese Personen. Zur Beantwortung dieser Fragen wird eine Rekonstruktion iterierter Schachspiele vorgeschlagen, um am Modell der Wiederholung eines Spieles nicht nur Kierkegaards zentrale Verwendung des Begriffes der Wiederholung, sondern auch seinen Begriff der Existenzdialektik zu rekonstruieren. Kierkegaards Existenzdialektik - Wittgensteins Regeldialektik 1) Kierkegaard nicht im Kontext Hegels erläutert. Das Schachmodell als anthropologisches Modell; 2) Eine methodologische Einschränkung; 3) "Das Einzelne ist höher als das Allgemeine"; 4) Kierkegaards 'Paradox' als selbstreflexive Dialektik des Wiederholungsbegriffes; 5) Dialektik zwischen Einzelnem und Allgemeinem im Schachspiel. 1) Kierkegaard entwickelt seinen Begriff der Existenzdialektik in Abgrenzung zu Hegels Begriffsdialektik. Eine Erläuterung dessen, was Kierkegaard unter Existenzdialektik versteht, ist darum nicht ohne weiteres auf Wittgensteins Sprachmodelle übertragbar. Die primäre Frage, ob es bei Wittgenstein eine der kierkegaardschen Dialektik vergleichbare Dialektik zwischen Einzelnem und Allgemeinem gibt, wird darum nur unter Ausklammerung der Begriffsdialektik Hegels in überschaubarem Rahmen zu beantworten sein. Es ist aus diesem Grund das Ziel der weiteren Untersuchung, alle Thesen oder Hypothesen in bezug auf eine bei Wittgenstein auffindbare Existenzdialektik im allgemeinen zurückzustellen. Allein in bezug auf das hier untersuchte wittgensteinsche Schachmodell der Sprache soll die These vertreten werden, daß Wittgensteins Regelbegriff hier einer Dialektik unterliegt, die mit Kierkegaards Existenzdialektik vergleichbar ist. 2) Das Problem, diese These zu verteidigen, ist allerdings schon vorweg durch den Umstand erschwert, daß eine unübersehbar gewordene Menge an Einzelinterpretationen dem Regelfolgeproblem bei Wittgenstein gewidmet ist. Hinzu kommt, daß die hier vorgetragene These einer Dialektik von Einzelnem und Allgemeinem bei Wittgenstein eher ein Forschungsprogramm denn ein Thema für einen Artikel markiert. Wenn hier dennoch der Versuch unternommen wird, eine solche Dialektik ansatzweise zu rekonstruieren, um mit ihrer Hilfe Kierkegaards Existenzdialektik zu erläutern, dann unter der großen Einschränkung, daß alle vorgetragenen Argumente im wesentlichen nur auf das hier diskutierte Schachmodell eines Sprachspiels angewandt werden. 9 Die existentiellen Konnotationen dieses Beispiels ergeben sich dabei nur aus der von Wittgenstein erwähnten Möglichkeit, die Analyse eines solchen Schachspieles unter der Annahme durchzuführen, es werde nicht nur von, sondern auch mit Menschen gespielt. 3) Kierkegaards Existenzdialektik ist primär durch theologische Motive bestimmt, die sich auf philosophischer Ebene jedoch durch die von Kierkegaard betonte Formulierung wiedergeben lassen, es sei "der Einzelne höher [] als das Allgemeine"*24*, an dem er selbst Teil habe. Kierkegaard erläutert diesen Gedanken vor allem in Abgrenzung zur Logik hegelscher Dialektik. Die Dialektik zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen denkt Kierkegaard hierbei als selbstreflexive Wiederholung, derart, daß ein Allgemeines als vom Einzelnen unabhängig gedacht wird, dieses Allgemeine damit aber zugleich ein solches ist, das durch das Einzelne begrenzt und dadurch selbst ein Einzelnes und Endliches wird. Das Allgemeine steht in dieser Begrenzung dem Einzelnen seinerseits als ein Einzelnes (Jenseitiges) gegenüber und wiederholt dadurch die Begrenztheit des Einzelnen, denn es selbst wird als ein Abhängiges, Besonderes und Endliches gegen jenes Einzelne gedacht. 4) Obwohl dieser Gedankengang hegelsche Dialektik rekonstruiert, beschreibt er für Kierkegaard ein Paradox*25*, weil das Allgemeine auf diese Weise im Konflikt mit sich selbst liegt, sich selbst entzweit, d.h. jenen Selbstwiderspruch enthält, ein Allgemeines und Unmittelbares, zugleich jedoch nicht-Allgemeines, weil einem Einzelnen gegenüber Abhängiges und Endliches zu sein. Ein Widerspruch, der in diesem Allgemeinen jedoch nur durch die Selbstzuschreibung eines Einzelnen bedingt ist, der sich als ein von diesem Allgemeinen isolierter Einzelner begreift und es, das Allgemeine, dadurch zu einem dem Einzelnen gegenüber Besonderen macht. (Diese Selbstzuschreibung eigener Unmittelbarkeit jenseits aller Vermittlung ist es, die Kierkegaards Dialektik von derjenigen Hegels unterscheidet.) Hierin liegt der von Kierkegaard thematisierte Widerspruch negativer Dialektik, zwischen Allgemeinem und Einzelnem, daß sich wechselseitig bedingt, wechselseitig ausschließt und in beidem aufeinander angewiesen bleibt, ohne eine Synthese zu finden. Dieses hier im analytischen Kontext anzuführen, muß zugleich heißen, sich dafür zu entschuldigen. Denn diese Art selbstreflexiver Gedankenführungen, die Kierkegaard in Abgrenzung zu Hegel negativ-dialektisch*26* durchführt, bildet zwar den Hintergrund der kierkegaardschen Existenzdialektik und negativen Theologie, läßt sich jedoch aus dem hegelkritischen Kontext nicht unmittelbar - es sei den um den Preis massiver Sprachkonfusionen - auf Wittgensteins Sprachphilosophie anwenden. Der Brückenschlag dieser selbst noch im Banne Hegels stehenden Hegelkritik Kierkegaards erlaubt jedoch auch eine 10 Rekonstruktion an dem zuvor erwähnten wittgensteinschen Schachmodell der Sprache. 5) Für die Übertragung dieses kierkegaardschen Gedankens von der Dominanz des Einzelnen gegenüber dem Allgemeinen auf ein von Wittgenstein beschriebenes Schachmodell der Sprache könnte dies bedeuten, daß ein einzelner Spieler, in seinem Verhältnis zu allen anderen Spielern und zum Ganzen des Regelsystems dieses Spieles, seine eigene Rolle in diesem Spiel als eine von den allgemeinen Bedingungen des Spieles unabhängige begreift. Der erwähnte Widerspruch, den Kierkegaard als einen existentiellen beschreibt, kommt also dadurch zustande, daß einerseits ein Allgemeines (ein System von Regeln) schon gegeben sein muß, um mit einem Einzelnen (einer einzelnen Figur) in einem Spiel regelkonform spielen zu können; andererseits aber dieses Allgemeine (dieses System von Regeln) erst mit und durch einen Einzelnen (durch die Bewegung einer Spielfigur) definiert wird. Eine widersprüchliche Dialektik im Regelbegriff des Schachspieles ließe sich also behaupten, wenn gezeigt werden könnte, daß die Regeln des Schachspieles schon gegeben sein müssen, um Schach spielen zu können, andererseits aber erst durch das Spiel der einzelnen Figuren konstituiert werden, also nicht gegeben sind. Beides wird behauptet, weil beide Behauptung sich als notwendig erweisen werden. Die im folgenden versuchte Beweisführung für diese These ist allerdings nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für Kierkegaards Begriff einer Existenzdialektik. Das Schachmodell: Regelprobleme und ihre Dialektik in Wiederholungen 1) Jede Anwendung ist iterierte Anwendung; 2) Kierkegaards These vom Scheitern der Metaphysik an Wiederholungen; 3) Stadien der Wiederholung; 4) Stadien der Gebrauchsart; 5) Widerspruch in Wiederholungen und die Grenze einer Gebrauchsart; 6) Schach, vorwärts wiederholt; 6.1) Regelprobleme in Vorwärts-Wiederholungen; 6.2) "Tennis ohne Ball" - "Schach mit einer Farbe"; 6.3) Aufstellen der Figuren als Zug im Spiel; 6.4) Ein oder zwei Spiele in Wiederholungen?; 7) Schach, rückwärts gespielt. Zeigt ein Film dasselbe Spiel?; 7.1) Regelumkehr bei 'Rückwärts- Schach'; 8) Dialektik von Regel und Anwendung; 8.1) Diskussion zweier Einwände; 8.2) Nochmals: Dialektik des Regelwiderspruchs; 8.21) Das Scheitern der Metaphysik an der Darstellung der Unmittelbarkeit; 8.3) Kollektive Regelparadoxien; 9) Wittgensteins 'reiner grammatischer Kalkül'; 9.1) Die Dialektik 'reiner Kalküle'; 9.2) Wittgenstein über Hegel; 9.21) Dialektik von Regel und Anwendung; 9.22) Die stets mögliche pragmatische Auflösung aller Widersprüche; 10) Der 'Popanz' des ausgeschlossenen Widerspruchs; 10.1) Die anthropologische Grammatik im 11 Umgang mit Widersprüchen; 10.2) Der 'Sprung' in ein neues Sprachspiel. 1) Jede Anwendung unserer Sprache ist eine wiederholte Anwendung. Und für jede Anwendung, die einer Regel folgt, gilt, daß sie nicht nur einmal befolgt werden kann. Schon der Begriff eines geregelten Spieles enthält die vorgesehene wiederholbare Anwendung einer Regel. Eine Regel, die nur einmal befolgt werden könnte, könnte zwar gegeben*27* sein, ließe jedoch keinerlei Vergleich mit ihr zu. Für eine solche Regel gäbe es weder eine korrekte noch unkorrekte Befolgung, denn es gäbe keine Vergleichsmöglichkeit für ihre korrekte oder unkorrekte Anwendung. Der Regelbegriff ist darum auf zentrale Weise mit dem Begriff der Wiederholung und Wiederholbarkeit verbunden, auch mit dem der möglichen Wiederholung einer einzigen Anwendung einer Regel. Diese Wiederholbarkeit einer Anwendung formuliert Wittgenstein in der Metapher vom Fluß der Sprache: Daß alles fließt, muß in der Anwendung der Sprache ausgedrückt sein, und zwar nicht in einer Anwendungsart, im Gegensatz zu einer andern, sondern in der Anwendung. In dem, was wir überhaupt die Anwendung der Sprache nennen."*28* "Die apokalyptische Ansicht der Welt ist eigentlich die, daß sich die Dinge nicht wiederholen."*29* 2) Der Zusammenhang dieser Bemerkungen über die Anwendung der Sprache im allgemeinen, mit den Ausführungen Kierkegaards über die Wiederholung, läßt sich an der folgenden These Kierkegaards festmachen: "Die Wiederholung ist das Interesse der Metaphysik; und zugleich dasjenige Interesse, an dem die Metaphysik scheitert; [...] die Wiederholung ist die unerläßliche Voraussetzung (conditio sine qua non) für jedes dogmatische Problem."*30* Das Scheitern der Metaphysik ist zwar aus der Perspektive Kierkegaards in erster Linie das Scheitern der hegelschen Philosophie und ihres Vermittlungsbegriffes - dessen existentielle Variante diesen Begriff der Wiederholung gegen jenen Begriff der Vermittlung abgrenzen soll. Doch Kierkegaard sieht in der Wiederholung mehr als nur eine anti-hegelsche Metapher. "Die Wiederholung ist das tägliche Brot, welches satt macht und dabei segnet". "Ja gäbe es keine Wiederholung, was wäre dann das Leben?"*31* "Die Dialektik der Wiederholung ist leicht, denn was sich wiederholt, ist gewesen, sonst könnte es sich nicht wiederholen; aber eben dies, daß es gewesen ist, macht die Wiederholung zu dem Neuen."*32* 12 Während die erste Bemerkung noch den Eindruck einer Trivialität erwecken könnte, zeigt die zweite, daß in Wiederholungen etwas Gewesenes als Gegenwärtiges und damit etwas Neues behauptet wird, obwohl das Gewesene selbst es ist, das wiederholt wird, in ihm also nichts Neues zur Darstellung gelangt. Darin jedoch scheint ein Widerspruch zu liegen, denn entweder ist ein Wiederholtes ein Neues, dann könnte nichts Gewesenes wiederholt werden. Oder aber es kann in einer Wiederholung auch das Gewesene als Gewesenes wiederholt werden, dann aber ist es nichts Neues. Kierkegaard behauptet beides (und scheint darin Hegel näher zu sein, als ihm lieb gewesen sein dürfte). Denn diese Formel von der Wiederholung desselben in seinem Unterschied ist ein hegelscher Topos. Erstaunlicherweise sieht Kierkegaard in diesem Gedankengang jedoch eine Kritik spekulativer Philosophie formuliert: "Die Wiederholung ist die neue Kategorie, welche entdeckt werden muß. Wenn man etwas weiß von der neueren Philosophie [...] so wird man leicht sehen, daß eben diese Kategorie das Verhältnis zwischen den Eleaten und Heraklit erklärt, und daß die Wiederholung eigentlich das ist, was man irrtümlich die Vermittlung genannt hat. Es ist unglaublich, wieviel Wind man in der Hegelischen Philosophie der Vermittlung wegen gemacht hat [...]. Man sollte lieber versuchen die Vermittlung zu durchdenken [...]."*33* 3) Dieser Abgrenzungsversuch des Begriffes Wiederholung (gegen den Begriff der Vermittlung) findet bei Kierkegaard dennoch eine Rechtfertigung. Denn im Unterschied zu Hegel versucht Kierkegaard die einzelnen Stadien einer Wiederholung (bzw. Vermittlung) zu beschreiben. Wiederholungen sind für Kierkegaard nicht auf die dialektische Formel von der "Identität im Unterschied" zu bringen, weil Wiederholungen, gerade wenn wir sie als Vermittlungen beschreiben, mehrere Stadien der Wiederholung zur Darstellung bringen*34*. Bemerkenswert ist nun, daß dieser Gedanke einer Variation in Wiederholungen bzw. das Konzept einer in Stadien beschriebenen Wiederholung sich auch im oben zitierten Anwendungsbegriff der Sprache ("alles fließt") bei Wittgenstein finden läßt. Denn entscheidend für eine in Gebrauchsarten differenzierte Anwendung der Sprache ist, daß im Kalkül bzw. in der Grammatik eines Ausdrucks zwar die Möglichkeit differenzierter Anwendung liegt (denn der Kalkül ist immer allgemein und nie auf nur einen möglichen Fall beschränkt), ein Übergang jedoch von den Möglichkeiten, die ein Kalkül unserer Sprache offenhält, hin zu einer tatsächlich vollzogenen Sprachanwendung nur durch wiederholte Anwendungen vollzogen werden kann. Wittgenstein: "Die unendliche Möglichkeit wird durch die unendliche Möglichkeit wiedergegeben. In den 13 Zeichen selbst liegt nur die Möglichkeit und nicht die Wirklichkeit der Wiederholung."*35* Jeder wiederholten Anwendung der Sprache entspricht ein Stadium der Verwendung eines Ausdrucks, der seine eigene Individualität hat und dadurch eine bestimmte Gebrauchsart kennzeichnet. Verhielte es sich anders, wäre die Analyse eines einzigen Beispiels - stellvertretend für das Ganze einer Sprache - möglich. Damit jedoch wäre die Ebene der Beispiele überhaupt verlassen. Wittgensteins Philosophie bietet jedoch das Gegenteil einer derartig "Flucht" vor dem Beispiel. In Wittgensteins Philosophieren ist die Wiederholung konstitutiv für die Darstellung jeder Variation einer Gebrauchsart*36*. Wittgenstein: "Das Fundamentale ist nur die Wiederholung einer Operation. Jedes Stadium dieser Wiederholung hat seine Individualität."*37* 4) Das Problem der Stadien der Wiederholung einer Gebrauchsart liegt nun darin, jede Variante derselben als eigene Gebrauchsart beschreiben zu können (denn jedes hat seine eigene Individualität), auf diese Weise jedoch eine-und- dieselbe Gebrauchsart nicht zu wiederholen sondern vielmehr in andere Gebrauchsarten zu transformieren. Mit anderen Worten: Die Wiederholung der Gebrauchsart einer sprachlichen Wendung setzt voraus, daß es sich um denselben Gebrauch handelt, denn andernfalls könnte er nicht wiederholt werden. Wenn jedoch die Wiederholung derselben Gebrauchsart unterschiedliche aber individuell verschiedene Gebrauchsarten einer Wortverwendung erzeugt, dann kann die Wiederholung gerade nicht die Wiederholung derselben Gebrauchsart herstellen. Hierin liegt ein Widerspruch, den wir einen Widerspruch der Iterationshypothese nennen können. Das Auftauchen eines solchen Widerspruches, der hier ein Widerspruch in einem Vermittlungsbegriff ist ("Wiederholung"), wird von Wittgenstein in der Regel mit dem Hinweis auf eine Grenze der Sprache verbunden. So auch in diesem Fall: "Die Grenze der Sprache zeigt sich in der Unmöglichkeit die Tatsache zu beschreiben, die einem Satz entspricht/dem Satz gemäß ist/(seine Übersetzung ist) ohne eben den Satz zu wiederholen." [Hervorh. A.R.] "Ich sage ihm "geh' ...." und er übersetzt es in die Tat. Aber daß ich das nun nicht anders erklären kann als durch Wiederholung desselben Satzes, das zeigt die Grenzen der /meiner/ Ausdrucksfähigkeit, die Grenzen der Sprache."*38* 5) Was jenseits dieser Grenze liegt, wird von Wittgenstein als Grund seiner Unaussprechlichkeit ausgesprochen. Ein Widerspruch, der durch die Verdopplung einer Gebrauchsart entsteht, die ihre eigene Wiederholung im Übergang zu einem 14 anderen Bereich der Sprache (hier: dem Bereich der Tatsachen und Ereignisse) innerhalb eines gegebenen Sprachspiels nicht mehr darstellen kann. Wir finden diese von Wittgenstein erwähnte "Grenze" der Wiederholung einer Gebrauchsart auch in der Wiederholung einer Beschreibung in ihrer Anwendung. Eine Beschreibung, der keine Anwendung entspricht, hat für Wittgenstein keine Bedeutung*39*, d.h. jenseits einer Wiederholung der Beschreibung durch eine Anwendung ist es unsinnig, von Beschreibungen zu sprechen. Andererseits zeigt die Differenz der Ausdrücke "Beschreibung" versus "Anwendung der Beschreibung", daß die Anwendung einer Beschreibung keine Anwendung von etwas wäre, wenn der Ausdruck "Beschreibung" keine Bedeutung hätte und erst die "Anwendung der Beschreibung" uns sagte, was eine Beschreibung wäre. Im Gegenteil ist es die Wiederholung einer Beschreibung in ihrer Anwendung, die uns sagt, daß hier dasselbe wiederholt wird. Auch hier verdeckt die Rede von Wiederholung einen Widerspruch zwischen der Behauptung "es gibt Beschreibungen" und der Behauptung "eine Beschreibung ist nur durch die Anwendung einer Beschreibung eine Beschreibung". Dieses grenzbegriffliche Operieren mit Wiederholungen und die dadurch generierten Widersprüche lassen sich auch am Schachmodell der Sprache darstellen. 6) Betrachten wir die Wiederholung einer bereits gespielten Schachpartie, d.h. einer Partie, deren Züge und deren Ausgang uns bereits bekannt ist, und die wir nun nachspielen könnten. Ist uns das Ergebnis eines Spieles bekannt und wiederholen wir dieses Spiel in allen seinen Zügen, dann könnte es - oberflächlich betrachtet - den Anschein haben, als sei dies gleichsam eine triviale Angelegenheit. Wir wissen bei einem solchen wiederholten Schachspiel im voraus um alle unsere Fehler und die Fehler unseres Gegners. Wir kennen die nächsten beispielsweise 10 Züge und das Ende der Partie usw. Was könnte trivialer sein als solche Wiederholungen? Wie aber kann andererseits Kierkegaard zu der Auffassung gelangen, die Metaphysik scheitere an Wiederholungen*40*? Ist dies eine idiosynkratische Rede, eine Metapher vielleicht, für existentielle Probleme, jenseits aller Fragen der Alltagspraxis? Das philosophische Problem der Wiederholungen liegt seltsamerweise gerade darin, daß es auch aus einem dem Anschein nach nutzlosen Resultat hervorgeht: Wir kennen eine Schachpartie, die wir wiederholen, alle Details sind uns bekannt. Doch eben dieses Wissen verändert in Wiederholungen einer schon gespielten Partie die Regeln eines Schachspieles. Dies wird zu zeigen sein. 6.1) Denken wir uns beispielsweise die Wiederholung einer schon gespielten Schachpartie verbunden mit den antizipatorischen 15 Beschreibungen aller weiteren Züge, über die sich die Spieler einer Partie unterhalten könnten, etwa auch dann, wenn es das erwähnte 'Schach mit lebenden Figuren' wäre. Im Unterschied zu den üblichen Formen, Schach zu spielen, wäre ein solcher Kommentar der eigenen Spielabsicht und - strategie nicht nur ungewöhnlich, sondern - aus einer gewissen Perspektive - sogar unsinnig, wenn auch vielleicht nicht im Widerspruch mit den üblichen Schachregeln. Dennoch könnte man sich Situationen denken, in denen Spieler von diesem Spiel entfernt werden, weil die lautstarke und wahrhaftige Darstellung der eigenen Absichten und Spielstrategien anderen Spielern Anlaß zu der Vermutung geben könnte, man beherrsche dieses Spiel nicht*41*. Doch wenn wir nun auch annähmen, man könnte ganze Teile einer wiederholten Partie überspringen, etwa, weil diese wiederholten Spielpartien für die Spieler keinen Reiz hätten, dann scheint dies nur in Widerspruch zu den bestehenden Schachregeln möglich zu sein. So könnte jemand beispielsweise sagen: "Laß uns die nächsten 8 Halbzüge überspringen!". Für einen solchen Fall enthalten die üblichen Schachregeln bereits eine Regellücke, denn üblicherweise kann nicht angenommen werden, daß wir einen Teil einer Partie schon gespielt haben, bevor wir ihn gespielt haben, und das Abräumen der Figuren könnte - nach den üblichen Regeln - nur so ausfallen, daß nach und nach jeder Zug gemacht wird und auf diese Weise zu andern Spielstellungen übergegangen wird. - Hier hätten wir es bereits mit einem Regel-Grenzfall zu tun, und es ließen sich leicht Umstände anführen, in der eine solche Situation, bzw. das "Überspringen" von Teilen einer Partie, als regelwidrig zurückgewiesen würde. Man könnte zwar versuchen, dies mit dem Hinweis abzutun, es handle sich nur um die Wiederholung einer bereits gespielten Partie, doch ändert einer solche Einwand nicht die üblichen Schachregeln. Ernsthafte Regelprobleme bekommen wir vermutlich, wenn wir beginnen, mit den jeweils anderen Figuren des Spielpartners zu ziehen. Aus der Perspektive der Wiederholung könnte dies zwar als regelkonform erscheinen. Doch aus der Perspektive üblicher Schachregeln wäre ein solcher kontingenter Farbenwechsel - mitten im Spiel - eindeutig ein Regelverstoß; es sei denn, einer der beiden Schachspieler hätte den anderen aufgefordert, diesen Zug für ihn zu tun (etwa, weil er sich gerade beide Arme verstaucht hätte usw.). Doch wenn uns ein Spielpartner dazu nicht aufforderte, wir aber dennoch mit seinen Figuren zögen, und er fallweise mit unseren Figuren zöge, dann wäre der Spielverlauf nach den üblichen Kriterien korrekten Schachspieles verletzt. Es läge ein Regelverstoß vor. Doch ein Regelverstoß gegen welche Regel? In der zuvor gespielten Version könnte alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Warum also sollte in ihrer Wiederholung ein Regelverstoß vorliegen? Eine mögliche Antwort darauf wäre, daß die Wiederholung nach den üblichen 16 Schachregeln zu erfolgen hätte, und diese schließen den kontingenten Farbentausch während des Spieles aus. Doch es ist ebenso offensichtlich, daß aus der Perspektive der Wiederholung keinerlei Regelverstoß vorliegen muß. - Das Problem, die üblichen Schachregeln auf Spielwiederholungen derselben Partie anzuwenden, verschärft sich abermals, wenn wir beispielsweise alle Figuren einer Farbe aus dem Spielfeld entfernen und nun gemeinsam mit nur einer Farbe weiterspielen, fallweise Figuren vom Brett nehmen und schließlich behaupten, wir hätten gewonnen. Keine Schachregel sieht dergleichen vor. Dennoch könnte auch eine solche Partie ein vorhergegangenes Spiel wiederholen. Und warum sollte es für eine solche Wiederholung wesentlich sein, Figuren beider Farben auf dem Spielfeld zu bewegen? Wenn der Ausgang des Spieles feststeht, dann wird man das Spiel auch mit den Figuren nur einer Farbe wiederholen können, und zwar ganz so, wie diese Figuren im Spiel zuvor auf dem Feld bewegt worden sind. 6.2) In einer Analogie zu einem Beispiel Wittgensteins könnte man sagen: "Wenn es Tennis ohne Ball*42* gibt, warum sollte es in einer Wiederholungspartie nicht auch Schach ohne die Farbe weiß geben können?" In allen Fällen, in denen wir hier mit der Anwendung der geltenden Schachregeln in Konflikt geraten, könnten wir auch in völliger Konformität mit der Anwendung dieser Regeln eine schon gespielte Partie wiederholen*43*. 6.3) Auch fällt auf, daß in der Wiederholung einer bereits gespielten Schachpartie die Figuren nicht notwendigerweise auf der Grundlinie, sondern in jener Position aufgestellt werden könnten, die sich beispielsweise erst nach 10 Halbzügen ergeben hat. Das Aufstellen der Figuren in diesen Positionen widerspricht der Regel, die Figuren auf der Grundlinie aufzustellen. Ferner scheint das Aufstellen der Figuren im Spiel kein Zug im Spiel zu sein*44*, doch in der Wiederholung einer schon gespielten Partie, bei gleichzeitigem Übergehen der ersten Züge, könnten die Figuren jenseits der Spiellinie aufgestellt werden. 6.4) Probleme für Wiederholungs-Schach ergeben sich auch aus der Frage, ob wir es mit hier mit einem oder mit zwei verschiedenen Spielen zu tun haben. Handelt es sich um ein Spiel, dann könnte es nicht zweimal eröffnet werden. Sprechen wir hingegen von zwei Spielen, dann ist die Frage, inwiefern wir dasselbe Spiel wiederholen. 7) Noch komplizierter wird die Analyse für jene Schachpartien, die rückwärts-gespielt wiederholt werden. Nennen wir die rückwärts gespielte Version 'Quach'. Wir könnten beispielsweise einen fertiggestellten Film über eine Schachpartie rückwärts ablaufen lassen. Dann ergibt sich das Problem, daß dieselbe Schachpartie, die zuvor den Schachregeln folgte, nun in einer Form wiedergegeben wird, die im 'Quach' anderen Regeln zu folgen scheint. Denn in einem solchen rückwärts wiederholten Schachspiel ('Quach') könnten wir beispielsweise beschreiben, daß zuerst der 17 König zusammen mit irgendwelchen anderen Figuren beider Farben auf irgendwelche Felder gestellt wird und dann - nach und nach - noch andere Figuren hinzukommen, und das Spiel sich auf die beiden Grundlinien zurückbewegt. 7.1) Obwohl wir wissen, daß Schach und 'Quach' dasselbe Spiel sind und daß dieses Spiel folglich auch denselben Regeln folgen müßte, können wir diese Regeln für die rückwärts gespielte Partiewiederholung des 'Quach' nicht als Regeln beschreiben, die mit den alten Regeln von Schach kompatibel wären. Weder können wir die üblichen Regeln für Aufstellung der weißen und schwarzen Figuren in der rückwärts gespielten Quach-Version von Schach anwenden, noch können wir die üblichen Regeln dafür verwenden, einen Gewinner in diesem Spiel zu ermitteln. Denn am Ende dieser rückwärts wiederholten Schachpartie, d.h. am Ende der 'Quach'- Version, stehen weiße und schwarze Figuren geschlossen auf der Grundlinie, und diejenige Farbe, die dort zuerst alle Figuren versammelt hat, könnte dadurch allein nicht als Gewinner oder Verlierer bezeichnet werden. Im Gegenteil: Der Verlierer steht in der Umkehrvariante des wiederholten Schachspieles schon fest, d.h. der Spielzweck und damit das Spiel als Ganzes hat sich auch hier geändert, obwohl wir es mit demselben Spiel zu tun haben. (Der Spielzweck könnte nun darin bestehen, die Entwicklung der Spielfiguren im Spiel zu studieren.) Statt ein solches Spiel filmisch zu beschreiben, könnten wir es auch nachspielen und nach und nach immer mehr Figuren aufs Brett setzen und die Figuren auf die Grundlinie zurückziehen. Die Art und Weise unseres Vorgehens könnte dabei auch für eingeweihte Zuseher rätselhaft anmuten, denn wir fänden uns mit den alten Schachregeln nicht mehr zurecht. Wir würden ein neues Spiel spielen, ein Spiel, das wir - wie erwähnt - 'Quach' nennen könnten. 8) Dies scheint zu belegen, daß die Grammatik des Schachspieles, z.B. die Grammatik seiner Beschreibung, nicht unabhängig von dem Spiel selbst gegeben sein kann. Andernfalls nämlich müßte die Beschreibung eines rückwärts- wiederholten Spieles ('Quach') dieselbe sein wie die eines vorwärts gespielten oder vorwärts wiederholten Spieles. Daraus wiederum könnten wir schließen, daß die Grammatik des Schachspieles nicht getrennt ist von den einzelnen Spielzügen, sondern erst durch dieses Spiel konstituiert wird. Hier nun liegt ein Widerspruch oder besser eine Dialektik im Verhältnis "Regelsystem der Sätze eines Schachspieles" versus "Anwendung der Schachregeln". In jedem konkret von uns durchgeführten Schachzug fällt die Anwendung der Regeln mit dem Zug selbst zusammen, und doch erzeugt gerade dies den erwähnten Widerspruch, nämlich das Auseinanderfallen von Regel und Anwendung, wenn wir - wie 18 erwähnt - das Spiel rückwärts wiederholen*45*, d.h. wenn wir 'Quach' spielen. 8.1) Man könnten diesen Überlegungen (a) entgegenhalten, daß die Umkehrversion einer Schachpartie, in einem rückwärts wiederholten Spiel, ein anderes Spiel, nämlich 'Quach', wiedergebe, denn in den Spielregeln sei eine Ordnung der zeitlichen Abfolge der Schachzüge schon berücksichtigt und eine Umkehrung dieser Ordnung (in Rückwärts-Variante) widerspräche den Schachregeln. Man könnte ferner versuchen (b), dem oben skizzierten Problem durch die Annahme implizierter Zusatzregeln zu entkommen. So könnte man einwenden wollen: "Eine Regel und ihre Befolgung darf nicht in anderer Zeitrichtung wiederholt werden, es sei denn, die Regel selbst sieht dies vor." Doch im ersten Falle (a) stehen wir vor dem Problem, daß wir die Schachpartie - wie erwähnt - auch hätte filmen können und nun derselbe eine Film, ein-und-derselben Schachpartie, zwei verschiedene Partien (nämlich Schach und 'Quach') aufgenommen haben müßte, wenn es korrekt wäre zu sagen, daß der rückwärts abgespielte Schachfilm ein anderes Spiel wiedergäbe. Wäre es nämlich ein anderes Spiel, dann könnte man aus dem rückwärts abgespielten Film, wenn er wieder vorwärts abgespielt würde, nicht zu dem ursprünglichen Film über Schach zurückkehren. Ferner müßte diesem Einwand erwidert werden, daß ein Schachspiel auch in seiner rückwärts gespielten Wiederholung von der Grundlinie aus eröffnet wird und wir für den Anfang des Rückwärtsspieles den Ausdruck "zweite Eröffnung" statt "Eröffnung" verwenden könnten. Doch wenn die Schachregeln eine allgemeine zeitliche Ordnung ihrer Abfolge schon berücksichtigten, widerspräche dies nicht nur Wittgensteins Behauptung, die Grammatik sei der Wirklichkeit keine Rechenschaft schuldig*46*, es widerspräche auch der Tatsache, daß der Begriff der Wiederholung diese Reihenfolge schon berücksichtigt, sofern dieser Begriff ("Wiederholung") überhaupt eine erklärbare Verwendung haben soll. Auch die Wiederholung vom Ende her (der rückwärtslaufende Schachfilm) rekonstruiert diese zeitliche Ordnung des Schachspieles, denn es wird der letzte Zug als der letzte, der vorletzte als vorletzter usw. angegeben. Dennoch folgt die Beschreibung dieser Umkehrvariante nicht mehr den Schachregeln. (Z.B. werden ständig neue Figuren in das Spiel aufgenommen usw.) Der zweite Einwand (b), der die Annahme impliziter Zusatzregeln thematisierte, die eine Spielumkehr ausschließen sollen (es sei denn, die Spielregeln sähen die explizit vor), geht von der Annahme aus, wir hätten es in der Umkehrversion von Schach mit einem Spiel zu tun, das anderen Regeln folgt. - Verhielte es sich so, dann wäre es logisch unmöglich, einen Schachfilm über dasselbe eine Spiel rückwärts abzuspielen, denn wir hätten es in jeder "Filmrichtung" mit einer anderen Schachpartie zu tun. 19 8.2) Das Problem ist also, daß wir einerseits sagen, die Regel des Schachspiels seien schon vor dem Spiel gegeben, andererseits dasselbe Spiel nach denselben Regeln auch rückwärts gespielt werden können müßte, sofern diese These zutreffend wäre. Das ist jedoch offensichtlich nicht der Fall, weil wir es dann mit anderen Regeln zu tun haben (beispielsweise wenn wir Bauern rückwärts zur Grundlinie zurückziehen), so daß wir hier nicht mehr sagen können, es folge jemand denselben Regeln, wenn er ein schon gespieltes Spiel rückwärts spiele. Beide Annahmen zusammen führen jedoch in den Widerspruch, einerseits die Schachregeln als etwas schon Gegebenes*47* zu betrachten, denen die Figuren in ihren Bewegungen folgen. (Dies entspricht dem üblichen Spielverständnis.) Andererseits aber die Umkehrversion von Schach ('Quach') als ein Spiel zu beschreiben, in dem die Schachregeln erst in und durch ihre Anwendung als Schachregeln konstituiert werden, da es sonst unmöglich wäre zu behaupten, ein rückwärts vorgeführter Schachfilm zeige dasselbe Spiel. Man könnte hier einzuwenden versuchen 'Quach' zeige zwar 'Schach rückwärts gespielt', jedoch werde in 'Quach' eben nicht Schach gespielt. Träfe dieser Einwand zu, dann entspräche jeder Zeitrichtung ein anderes Spiel. Doch spielen wir mit Schach und 'Quach' wirklich verschiedene Spiele? Den Regeln nach: Ja. Doch hinsichtlich der zeitlichen Anwendung der Regeln auf ein Ereignis: Nein. Schach und 'Quach' sind als Ereignisse zeitgleich. Jeder Zug von Schach und 'Quach' fand zur selben Zeit, am selben Ort als dasselbe Ereignis statt*48*. Dieses Ereignis - aus verschiedenen Zeitrichtungen betrachtet - zeigt immer dasselbe Ereignis. Auch ein Film, den wir rückwärts betrachten, verändert nicht die Handlung des Filmes*49*. 8.21) Der Zusammenhang dieser Regel- und Regelanwendungsprobleme mit Kierkegaards Ausführungen über das 'Scheitern der Metaphysik' am Wiederholungsproblem*50* liegt im Begriff der Vermittlung. Die Vermittlung eines Gewesenen wiederholt dieses als ein bereits Bekanntes. Dies geschieht - beispielsweise - im Erinnern. Doch ein Gewesenes als Erinnertes kann nicht in der Weise wiederholt werden, in der es sich ursprünglich vollzog. Das Problem ist dem oben diskutierten Schachproblem für Wiederholungs- Schach analog. Die Wiederholung, d.h. das bereits vorhandene Wissen über eine Handlungsabfolge, ist nicht kompatibel mit jenen Handlungsregeln, die real zu seiner Entstehung geführt haben. Ob wir nun das Erinnerte in seiner chronologischen Abfolge wiederholen oder ob wir es vom Späteren zum Früheren hin wiederholen (vgl. 'Rückwärts- Schach') - in beiden Fällen sind die Regeln der Vermittlung einer Handlungsabfolge andere. Obwohl dies nun einerseits trivial zu sein scheint (denn kategorial verschieden ist es, etwas im und durch das Leben zu einem Faktischen zu machen oder dasselbe nur zu erinnern), so zeigt doch 20 andererseits dieser Graben zwischen Gegenwart und Erinnerung, d.h. zwischen Unmittelbarkeit und Vermittlung, daß wir dem eigenen Leben - in der Erinnerung - als einem vermittelten gegenüberstehen. Einem Leben, dessen Wiederholung in seiner Rekonstruktion anderen Regeln folgt als jenen, in denen es sich vollzog. Das erwähnte 'Scheitern der Metaphysik' an diesem Problem sieht Kierkegaard darin, daß die vermeintliche Unmittelbarkeit der Selbstgegenwart eines Individuums, wenn sie zur Sprache gebracht wird, schon diese Rekonstruktion und damit Wiederholung eines Gewesenen voraussetzt. Mit anderen Worten: Die Unmittelbarkeit des eigenen Lebens ist immer schon vermittelt. Eine Vermittlung, die nicht mehr in der Souveränität des eigenen Lebensvollzuges liegt, sondern in der Öffentlichkeit einer Vermittlung. Die erlebte und gefühlte Unmittelbarkeit des eigenen Lebens nicht auf den schon vermittelten Begriff bringen zu können begründet dieses 'Scheitern der Metaphysik'. Ein Scheitern des Individuums, dem es unmöglich ist, die existentielle Perspektive seines eigenen Leben, d.h. seine Unmittelbarkeit als Unmittelbarkeit zur Sprache zu bringen. Der von Kierkegaard thematisierte 'Sprung' in diese Unmittelbarkeit, jenseits aller Vermittlung, ist ein Sprung in einen Glauben an diese Unmittelbarkeit, auch wenn er keiner sprachlichen Darstellung und damit Vermittlung mehr fähig ist*51*. 8.3) Wir können dieses Problem des Verhältnisses von Unmittelbarkeit und Vemittlung (Wiederholung) auch verallgemeinernd darstellen und an Wittgensteins Umgang mit diesem Wiederholungs- bzw. Vermittlungsproblem im Kontext der Regelfolge-Probleme in Sprachspielen erläutern: Wenn Sprachspiele sich überschneiden und damit auch ihr Regelbereich, dann ist eine gemeinsame Praxis möglich, die dennoch verschiedenen Regeln folgt*52*, weil das Gemeinsame ein Gemeinsames vieler Spiele ist, die verschiedenen Regeln folgen. Es ist hier nicht nötig anzunehmen, es gäbe Regeln hinter oder neben den beobachteten Spielen, derart, daß wir von einer gemeinsamen Praxis aus über Deutungen zu einzelnen Regeln kommen könnten. Vielmehr ist die gemeinsame Praxis, insbesondere dann, wenn ihre Regeln selbst in ihren eigenen Anwendungsbereich fallen (wie das ist bei iterierten Spielen der Fall ist), eine Praxis, die schon aus verschiedenen Praktiken zusammengesetzt ist. In Sprachspielen, die einander überschneiden, kann es zwar eine gemeinsame Praxis geben, doch sie könnte verschiedenen Regeln folgen. Daß Sprachspiele aber einander überschneiden bzw. überlagern ist eine notwendige Folge der Behauptung, sie seien ineinander - auf welchen Wegen oder Umwegen auch immer - übersetzbar. Wenn wir die Möglichkeit atomistisch- isolierter Sprachspiele ausschließen wollen, müssen wir Sprachspielvernetzung annehmen, in denen Überlagerungen solche Sprachspiele vorkommen. Eine Annahme, die umso leichter fällt, weil Sprachspiele - wenn Wittgenstein Recht hat - ohnehin keine scharfen Grenzen haben*53*, und in ihnen - in der Regel - auch keine Grenzen gezogen sind*54*. 21 - Es ist seltsam, dies hervorzuheben, denn unsere eigene Alltagspraxis ist oft bestimmt durch teils inhomogene und teilweise auch inkompatible Handlungsweisen einer gemeinsamen Praxis, die nicht selten unter verschiedenen Teilen der Bevölkerung zu Antagonismen und Widersprüchen führen, dennoch aber eine gemeinsame Handlungsweise*55* charakterisieren. In Philosophischen Untersuchungen lautet die Fassung eines von Wittgenstein diskutierten vermeintlichen oder tatsächlichen Paradoxons*56*: "Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei". (PU § 201) Das Paradox wird - so hat es den Anschein - von Wittgenstein für den Fall: "Eine Regel, viele Handlungsweisen", interpretiert. Doch wie sieht es mit der Umkehrversion aus: Eine gemeinsame Handlungsweise aber viele Regeln, mit denen eine Handlungsweise übereinstimmen kann? Wittgenstein erwägt nur scheinbar nicht den Fall, daß es mehrere Regeln und doch nur eine kollektive Handlungsweise geben könne. Doch die Lösung, die Wittgenstein in PU § 201 anbietet, enthält das vermeintliche Paradox in neuer Form. Das skeptische Argument bleibt in der kollektiven Sprachpraxis erhalten, weil es selbst keiner weiteren Rechtfertigung zugänglich ist (und darin scheint Kripkes Lösungsvorschlag zu bestehen.) Wir können in einer gemeinsamen Handlungspraxis der Sprache zwar nicht sagen, daß ihr die kollektive Regelmäßigkeit fehle, doch das Regelproblem taucht nun erneut in der Frage auf: "Welcher Grammatik folgt eine Sprache, der zwar nicht die Regelmäßigkeit, wohl aber die eine exklusive Regel fehlt, über die sich diese Praxis konstituiert? Im Big Typescript (u.a.) nennt Wittgenstein hierfür ein Beispiel: "Könnte man sich eine Schachpartie gespielt denken, d.h., sämtliche Spielhandlungen ausgeführt denken, aber in einer anderen Umgebung, so dass dieser Vorgang [von A.R.] uns nicht die Partie eines Spieles genannt würde // genannt werden könnte //? Gewiss, es könnte sich ja um eine Aufgabe handeln, die die Beiden miteinander lösen."*57* Dieses Beispiel trifft auch auf die Wiederholung einer bereits gespielten Schachpartie zu. Die Aufgabe, die zu lösen wäre, könnte darin bestehen, jene Schlüsselzüge zu analysieren, in denen das Schachspiel für einen Spieler eine entscheidende Wendung nahm. Das Problem ist allerdings, daß die erwähnte "andere Umgebung" durch die Wiederholung einer bereits gespielten Schachpartie selbst 22 realisiert werden kann (und nicht gleichsam von außen - durch Wechsel eines Sprachspieles - hinzutritt). Die Tatsache, daß hier ein Spiel in unterschiedlichen Kontexten (beispielsweise jenes vorwärts und rückwärts wiederholte Schach) innerhalb derselben Alltagspraxis vorkommen kann, läßt sich durch Wiederholungen desselben einen Spieles darstellen. Dieses Iterationsproblem, die Resultate eines Spieles zum Gegenstand seiner wiederholten Durchführung zu machen, erzeugt auch in anderen Kontexten erhebliche Komplexitätsprobleme*58*. Hierin scheint nun etwas Rätselhaftes zu liegen, denn ein Regelwiderspruch in einem Spiel fordert Entscheidungen, für die das Spiel selbst keine Regel vorsieht*59*. 9) Diesen Widerspruch in Regelfolgen bringt Wittgenstein selbst zur Sprache, wenn er von einem reinen grammatischen Kalkül eines Spieles spricht. Ein reiner Kalkül ist ein Kalkül, der nichts regelt. Wittgenstein: "Die Grammatik ist für uns ein reiner Kalkül. (Nicht die Anwendung eines auf die Realität.)"*60* "Die Grammatik ist keiner Wirklichkeit verantwortlich."*61* 9.1) Diesem Kalkül zu "folgen" hieße, "einer leeren Regel folgen"; doch einer Regel folgen, die nichts regelt, widerspricht dem Begriff der "Befolgung". Einem solchen "reinen Kalkül" jedoch eine Anwendung zu geben, müßte bedeuten, ihn in und durch die Anwendung inhaltlich zu bestimmen. Das wiederum widerspricht der Behauptung, dieser Kalkül sei etwas schon Gegebenes, nach dem man sich zu richten hätte. Vielmehr würde er in diesem Fall durch die Bewegung der Spielfiguren überhaupt erst konstruiert. Dieser Widerspruch nun enthält eine Dialektik dadurch, daß ein Schachspiel sowohl durch seine schon gegebenen Regeln als auch durch die Konstruktion dieser Regeln in und durch das Spiel bestimmt ist. Weder können wir nur sagen, daß erst mit der Bewegung der Schachfiguren die Schachregeln konstruiert werden, noch können wir nur die Behauptung aufrecht erhalten, daß die Schachregeln schon gegeben seien, unabhängig davon, ob beispielsweise das Spiel vorwärts oder rückwärts gespielt wird. Wir gehen, wenn es die Umstände erfordern, von einer Behauptung zu einer anderen über, auch wenn diese einander widersprechen, ja auch dann noch, wenn diese Behauptungen aufeinander in diesem Widerspruch angewiesen sind. (Letzteres unterscheidet den kontingenten Widerspruch von der Behauptung einer notwendigen Dialektik.) 9.2) Wittgenstein schließt allem Anschein nach eine solche Dialektik nicht aus, und zwar aus mehreren Gründen: 23 9.21) Zum einen hält Wittgenstein selbst die hegelsche Dialektik, die nach diesem Muster notwendiger Widersprüche arbeitet, für ein solides Verfahren: "Die dialektische Methode ist ein sehr solides Verfahren, und zwar eines, nach dem wir wirklich vorgehen. Diese Methode sollte jedoch - im Gegensatz zu dem, was Broads*62* Beschreibung impliziert - nicht versuchen, im Falle zweier Sätze A und B von diesen ausgehend einen neuen, komplexeren Satz zu finden. Ihr sollte daran gelegen sein herauszufinden, wo in unserer Sprache die Mehrdeutigkeiten stecken." Die von Wittgenstein hier genannten Mehrdeutigkeiten des erwähnten Regelwiderspruches und seiner Dialektik liegen in dem schon oben skizzierten wittgensteinschen Begriff einer autonomen Grammatik: Sofern eine Grammatik keiner Wirklichkeit Rechenschaft schuldig ist, und ihr Kalkül von Wittgenstein als reiner Kalkül beschrieben wird (siehe oben), ergibt sich das Problem einer möglichen doppelten Variante der Anwendung eines Kalküles. Eine Variante (i) läßt sich als Bestimmung eines Spieles durch eine inhaltlich vorgegebene Regel beschreiben. Die andere Variante (ii) jedoch beschreibt die Bestimmung der Regel (des Kalküls) durch die Handlung einer Spielfigur. In der konkreten Spielsituation, bzw. in der Bewegung einer Schachfigur im Schachspiel, fallen beide Varianten zusammen, und erst die besonderen Umstände des Spieles*63* nötigen dazu, eine Differenzierung beider Varianten vorzunehmen, ohne jedoch diesen Widerspruchs auflösen zu können, der von Wittgenstein paradox*64* genannt wird: "Das Paradox ist doch das, daß die willkürliche Regel eine Wichtigkeit für uns hat. Während sonst gerade das Willkürliche uns nicht interessiert (z.B. Spielregeln)."*65* Willkürlich an der Auflösung des Widerspruches zwischen der Auffassung der Unabhängigkeit grammatischer Kalküle für ein Sprachspiel einerseits und ihrer inhaltlichen Bestimmung in und durch ihre praktischer Anwendung andererseits, ist die Kontingenz der Umstände, mit denen wir es zu tun haben. Hier nämlich können Widersprüche auftreten, die in keiner Weise vorhersehbar waren, für die es aber dennoch immer eine anthropologische Praxis des Umgangs mit ihnen gibt. Obwohl ein Widerspruch - und das ist der Punkt, den Wittgenstein mit Kierkegaard gemeinsam hat - in der Praxis etwa durch die Einführung eines neuen Sprachspiels aufgelöst werden kann, entsteht er dadurch auf einer anderen Ebene neuerlich. Ein Widerspruch besteht nun zwischen den Regeln des alten Spieles, deren Widersprüche beseitigt worden sind, und dem neuen Spiel, das durch die neuen Zusatzregeln in dem alten Spiel entstanden ist, um 24 Widersprüche im alten Spiel zu vermeiden, nun aber gerade dadurch im Widerspruch zu Regeln des alten Spieles steht. 9.22 Zum anderen scheint Wittgenstein eine Dialektik des Regelbegriffes nicht auszuschließen, weil die mit einer solchen Dialektik verbundenen Widersprüche für den Pragmatismus der Sprachphilosophie Wittgensteins kein Problem darstellen. Wittgenstein läßt die Möglichkeit offen, daß auch die Regeln des Schachspieles Widersprüche enthalten können*66*. Widersprüche, die wir bisher noch nicht entdeckt haben. Nicht, weil es in den Schachregeln versteckte Widersprüche geben könnte, sondern weil Spielvarianten denkbar sind, die Widersprüche erzeugen. Beispielsweise Spielvarianten, die bisher noch nicht gespielt worden sind, an die noch niemand gedacht hat, die bisher keine Verwendung fanden. Das hier konstruierte Beispiel eines rückwärts gespielten Schachspieles, scheint einen solchen Fall zu beschreiben. Es ist hier ein Fall beschrieben, der vielleicht nicht voraussehbar war, der jedoch zeigt, daß ein widerspruchsfreies Kalkül, d.h. ein widerspruchsfreies Erzeugungsverfahren für erlaubte Schachzüge, an ein Ende kommen kann. Eine Ende, das nicht prognostizierbar war. Finden wir jedoch einen Widerspruch im Kalkül und kommt dieser dadurch an das Ende seiner Verwendbarkeit im alten Spiel, so können wir ihn - so Wittgenstein - jederzeit beseitigen*67*. Aber wir könnten ihn auch beibehalten. Je nachdem, welchen Zweck wir mit einem Spiel verbinden. 10) Die Frage, wie es geschehen kann, einen Widerspruch in einem bisher als widerspruchsfrei geltenden Kalkül zu finden, ist dabei für Wittgenstein eine philosophisch interessante Frage: Wittgenstein: "Ich möchte mich gegen den Popanz des Widerspruchs wenden, gegen die abergläubische Furcht, als würde die Auffindung eines Widerspruchs die Zerstörung des Kalküls bedeuten. Ich möchte fragen: Warum diese Engherzigkeit? Hätten nicht die Kalküle mit Widerspruch ihren eigenen Reiz? Wahrscheinlich wird man sagen: Nein, ein solcher Kalkül ist trivial. Denn aus einem Widerspruch folgt jede Formel: Man kann jede beliebige Formel anschreiben, und damit verliert der Kalkül sein ganzes Interesse. Darauf würde ich sagen: Dann besteht der Kalkül ja aus zwei Teilen: aus einem Teil, der bis zur Auffindung des Widerspruchs führt, und aus einem zweiten Teil, in dem es erlaubt ist, jede Formel hinzuschreiben. Das Interessanteste ist der erste Teil. Man wird fragen: Geht der Kalkül zu Ende? Wann geht er zu Ende? Eine höchst spannende Frage!"*68* Der angesprochene 'Reiz' (Wittgenstein) dieser widersprüchlichen Kalküle (gleichsam ihr ästhetisches Moment) scheint für Wittgenstein im Unerwarteten zu liegen, in ihnen einen Widerspruch zu finden, der zuvor nicht da 25 war, nun aber die eigene Praxis im Umgang mit eben diesem Widerspruch gleichsam zur sprachlichen Darstellung zwingt. Doch welche Form des Umgangs mit einem Widerspruch im Kalkül einer gewählten Grammatik kann diese Beschreibung annehmen? 10.1) Kierkegaard versucht die Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit dem Widerspruch des Einzelnen in seiner Abhängigkeit und Unabhängigkeit von einem Allgemeinen über den Weg einer Kategorialisierung*69* dieses Widerspruches zu erschließen. Wittgensteins Umgang mit Widersprüchen, zwischen dem Allgemeinen (als dem Kalkül) und dem Einzelnen (als der Anwendung des Kalküls auf einen individuellen Fall), scheint in dem Versuch zu bestehen, jenen Kontext zu beschreiben, in dem wir mit Widersprüchen in einem Sprachspiel konfrontiert sind. Nicht die Kategorialisierung der Beschreibungsweisen auftretender Widersprüche, sondern die anthropologische Grammatik im Umgang mit solchen Widersprüchen interessiert Wittgenstein. Hier beginnen scheinbar willkürliche Regeln wichtig zu werden, denn aus einem Widerspruch läßt sich - mit allein logischen Mitteln - zu jedem beliebigen Argument übergehen. Doch diese scheinbare Willkürlichkeit im Umgang mit Widersprüchen, zwischen einem Einzelnen einerseits und der allgemeinen Regel sowie ihrem auch anwendungsunabhängigen Kalkül andererseits, ist keine Willkürlichkeit, die sprachphilosophisch belanglos wäre. Im Gegenteil: Das Widersprüchliche dieser Willkürlichkeit besteht darin, einerseits nicht weiter zu wissen, wenn wir einem solchen Widerspruch begegnen, andererseits aber keine Probleme damit zu haben, solche Situationen pragmatisch auflösen zu können. Doch eben hier tritt eine Differenz auf zwischen dem Auftauchen eines Widerspruch in unseren Regeln (dem Ende des Kalküls) und jenem neuen Anfang nach der Auflösung des Widerspruches, für den wir keinerlei Vorgaben im alten Sprachspiel finden. 10.2) Die Auflösung des Widerspruches fordert ihre Interpretation auf verschiedenste Weise, denn sie verlangt nach Motiven und Beweggründen dafür, mit dieser Willkürlichkeit umzugehen, vor die uns ein zwischen dem Kalkül und seiner Anwendung auftretender Widerspruch stellen kann. Die willkürliche Regel, zu der uns ein Widerspruch führen kann, wenn wir seine Auflösung verlangen, ist eine Regel, die in einem Spiel entsteht und zu einem neuen Spiel führen kann. Schach beispielsweise erzeugt in seiner rückwärts gespielten Version ('Quach') neue Regeln, die etlichen alten Regeln widersprechen, dennoch aber auf diese angewiesen bleiben. Der Widerspruch, bei Wittgenstein und Kierkegaard 26 1) Wittgensteins anthropologischer Umgang mit Widersprüchen; 2) Beispiele widersprüchlicher Regeln; 3) Der Widerspruch als existentielle Kategorie; 4) Anrennen gegen die Sprachgrenze als Stadium der Existenz; 5) Das Schachspiel als Lebensmetapher und das Paradox der Freiheit im Umgang mit Widersprüchen. 1) Wenn davon die Rede war, daß wir den Widerspruch beibehalten können, wenn es die Umstände erfordern, dann werden diese Umstände zu erläutern sein. Weder für Wittgenstein noch für Kierkegaard ist ein Festhalten am Widerspruch (bzw. am Paradox) etwas, das an und für sich irgendeine Verwendung hätte. Woran beide ein Interesse haben, ist vielmehr die Form des Umganges mit einem auftretenden Widerspruch. Kierkegaard beschreibt diesen Umgang in existentiellen Kategorien. Wittgenstein versucht hierfür anthropologische Beschreibungsformen zu finden. Beide Formen des Umgangs mit dem Widerspruch könnten in demselben Sprachspiel vorkommen. Wittgenstein: "Wir werden den Widerspruch in einem ganz andern Lichte sehen, wenn wir sein Auftreten und seine Folgen gleichsam anthropologisch betrachten - als wenn wir ihn mit der Entrüstung des Mathematikers anblicken. D.h., wir werden ihn anders sehen, wenn wir nur zu beschreiben versuchen, wie der Widerspruch Sprachspiele beeinflußt; als wenn wir ihn vom Standpunkt des mathematischen Gesetzgebers ansehen.*70*" Betrachten wir nun das erwähnte rückwärts wiederholte Schachspiel, so sind die anthropologischen Folgen eines im Schachkalkül auftretenden Widerspruchs von den Handlungen abhängig, die auf eine Konfrontation mit einem solchen Widerspruch folgen: Wittgenstein: "Der Widerspruch könnte als Wink der Götter aufgefaßt werden, daß ich handeln soll und nicht überlegen."*71* 2) Die Handlung, die wir wählen um eine Umgangsform mit einem im Kalkül des Sprachspiels auftretenden Widerspruch zu finden, könnte etwa darin bestehen, eine neue Handlungsinterpretation für die Behebungen eines Widerspruch zu finden. Wittgenstein gibt hierfür ein Beispiel. Wenn wir annehmen, es sage jemand: "Verlaß das Zimmer und verlaß es zugleich nicht!", dann wären viele Reaktionen auf eine solche Regel hin denkbar. Einer könnte ratlos die Schultern heben oder den Kopf schütteln oder auch das Zimmer verlassen. Wittgenstein: "So soll zum Beispiel 'Verlaß das Zimmer und verlaß es nicht!' bedeuten: 'Verlaß das Zimmer zögernd!'"*72* Was immer aber einer tut, wenn er mit einem solchen Widerspruch in den Sprachspielregeln konfrontiert wird, geht über das logische Argument der Nutzlosigkeit*73* eines 27 auftretenden Widerspruches hinaus. Wittgenstein beschreibt für den Fall des eintretenden Regelwiderspruches weniger die logischen als vielmehr die pragmatischen Folgen eines solchen Ereignisses. Bemerkenswert an diesen Beispielen ist das Phänomen des Übergangs aus einer ungeregelten in eine neue geregelte Situation, in der ein Widerspruch überwunden wird, ohne doch aufgelöst zu sein*74*. Wittgenstein: "Wie findet man heraus, daß jemand vom Gesetz des ausgeschlossenen Widerspruchs überzeugt ist? [...] Man könnte zu ihm sagen: 'Versuch's einmal, dich gleichzeitig zu setzen und nicht zu setzen.' Tatsächlich versucht er dann zwar nichts zu tun, doch es kann sein, daß er nach einiger Zeit meint: 'Nein, so etwas kann ich nicht.' Man könnte ihn auch fragen, ob er sich vorstellen könne, daß es sowohl regnet als auch nicht regnet. Dann würde sich tatsächlich folgendes ereignen: Zuerst tauchen gewisse Bilder in seiner Vorstellung auf, dann kommen keine Bilder mehr und schließlich gibt er es auf, sich etwas vorzustellen. Oder es verhält sich wie im Fall von 'Setz dich und setz dich nicht!', daß er nämlich verschiedene Möglichkeiten erwägt und sie alle zurückweist. Es könnte etwa sein, daß er erwägt aufzustehen, sich dann aber doch nicht erhebt, schließlich mit den Achseln zuckt und sagt: 'Ich kann's nicht.'*75*" In Beispielen wie diesen wird also nicht der Frage nachgegangen wie ein Regelwiderspruch logisch zu verstehen sei, vielmehr werden Regelwidersprüche genützt, um auf unvermittelte Weise in ein neues Sprachspiel zu kommen. Unvermittelt, weil eine Entscheidung, eine Wahl erforderlich ist, um diese ungeregelte Situation zu verlassen. Der Sprung in ein neues Regelsystem, in dem der alte Widerspruch keine Anwendung mehr findet, wird jedoch im alten Sprachspiel erzeugt. Dadurch ist der unmittelbar- unvermutet auftretende Widerspruch in einem Regelkalkül eine Instanz, die zwei Sprachspiele miteinander verbinden und dadurch vermitteln kann, wenn ein Weg aus jener paradoxen Regelsituation gefunden wird. Eine Sprachspielvermittlung durch eine Widerspruch, der zugleich in dem neu entstandenen Sprachspiel verschwunden ist, seinen Grund jedoch im alten Sprachspiel nach wie vor hat. Nur unter dieser pragmatisch-anthropologischen Sichtweise werden jene Bemerkungen Wittgensteins verständlich, die in massivem Gegensatz zu allen Regeln der Logik zu stehen scheinen: "Die Gesetze der Logik - z. B. die Sätze vom ausgeschlossenen Dritten und vom auszuschließenden Widerspruch - sind willkürlich. Diese Feststellung klingt ein wenig abstoßend, ist aber trotzdem wahr.*76*" 28 Wittgenstein: "'Der Widerspruch hebt den Kalkül auf' - woher diese Sonderstellung? Sie ist, glaube ich, durch etwas Phantasie gewiß zu erschüttern.*77*" Wittgenstein gibt etliche solcher phantasievollen Beispiele im Umgang mit einem im Sprachspielkalkül auftretenden Widerspruch. So antwortet Wittgenstein auf einen fiktiven Opponenten, der Wittgenstein vorhält, das Auftreten eines Widerspruches in der Mathematik würde dieselbe zerstören, zum Erzeugen beliebiger Resultate führen und die Mathematik als Ganzes zu einer Farce machen, weil sie mathematische Regeln zu gleichsam unstarren und dehnbaren Maßstäben machte. Und Wittgensteins Antwort darauf ist, daß die Menschen ja schließlich auch mit Maßstäben aus Teig arbeiten könnten: Wittgenstein: "Und wenn die Menschen mit Maßstäben aus Teig arbeiteten, wäre das an sich schon falsch zu nennen? Könnte man sich nicht leicht Gründe denken, weshalb eine gewisse Dehnbarkeit der Maßstäbe erwünscht sein könnte?*78*" 3) Die hermeneutische Leistung, die in einem Sprachspiel erbracht werden muß, um mit einem Widerspruch in irgendeiner Weise "fertig zu werden", verlangt jedoch nicht nur Phantasie, sie verlangt gleichsam den Sprung*79* in ein neues Sprachspiel*80*. In jedem Falle können wir, was wir auf das Auftreten des Widerspruches hin tun, in Kategorien beschreiben, die Kierkegaard verwendet hat: - Der Widerspruch stellt uns vor ein Rätsel, vor ein Paradox; - wir haben die Hoffnung, mit einem solchen Widerspruch fertig zu werden; - wir wiederholen jenes Spiel, um zu überprüfen, wie es zu dem Widerspruch kommen konnte, oder wir wiederholen ein Sprachspiel, um den Widerspruch zu erzeugen*81*; - wir führen eine Bewegung aus, um gleichsam 'um den Widerspruch herum zu kommen', indem wir eine Handlung finden, die als Antwort interpretiert werden kann, d.h. wir suchen eine pragmatisch-realisierbare Vermittlung im Umgang mit einem auftretenden Widerspruch; - wir zweifeln an den Regeln des Sprachspieles; - wir suchen nach einer indirekten Mitteilung, wenn uns jemand widersprüchliche Befehle gibt ("Was kann er nur gemeint haben?"). Die Kategorien: Sprung, Rätsel, Paradox, Hoffnung, Wiederholung, Vermittlung, Zweifel und indirekte Mitteilung sind solche kierkegaardschen Kategorien des Umganges mit einem Widerspruch. Kategorien, die Wittgenstein nur andeutet. So spricht Wittgenstein beispielsweise von der "abergläubischen Angst"*82* der Mathematiker vor dem Widerspruch und vom Anrennen gegen diesen Widerspruch. 29 Dieses Anrennen gegen den Widerspruch kann mit Angst verbunden sein und deutet für Kierkegaard wie auch für Wittgenstein etwas Ethisches an, da es mit Aufgaben und Verpflichtungen verbunden ist, die sich erst in der Widerspruchssituation zeigen: Wittgenstein: "Ich kann mir wohl denken, was Heidegger mit Sein und Angst meint. Der Mensch hat den Trieb, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Denken Sie z.B. an das Erstaunen, daß etwas existiert. Das Erstaunen kann nicht in Form einer Frage ausgedrückt werden, und es gibt auch gar keine Antwort. Alles, was wir sagen mögen, kann a priori nur Unsinn sein. Trotzdem rennen wir gegen die Grenze der Sprache an. Dieses Anrennen hat auch Kierkegaard gesehen und es sogar ganz ähnlich (als Anrennen gegen das Paradox) bezeichnet. Dieses Anrennen gegen die Grenzen der Sprache ist die Ethik. Ich halte es für sicher wichtig, daß man all dem Geschwätz über Ethik - ob es eine Erkenntnis gebe, ob es Werte gebe, ob sich das Gute definieren lasse etc. - ein Ende macht. [...] Aber die Tendenz, das Anrennen, deutet auf etwas hin."*83* 4) Hier fällt nicht nur die von Wittgenstein hergestellte Verbindung zwischen Heidegger und Kierkegaard auf. Bemerkenswert ist die methodische Klammer, mit der Wittgenstein beide Philosophen über den Begriff der Sprachgrenze verbindet. Das Anrennen gegen die Grenzen*84* der Sprache ist ein Anrennen gegen einen Widerspruch, denn eine Grenze der Sprache läßt sich in der Sprache nur erkennen, wenn ein Überschreiten dieser Grenze zu einem sprachlogischen Widerspruch führt. Dieser Widerspruch ist es, der das von Wittgenstein erwähnte Erstaunen auslöst und auf etwas hindeutet, daß für Wittgenstein einen Übergang in die Ethik markiert, auch wenn dieser Übergang wiederum in der Sprache nicht zur Darstellung gebracht werden kann. Jenes zweite und dritte Stadium der Existenz, das für Kierkegaard den Übergang ins Ethische und Religiöse kennzeichnet, ist in Wittgensteins Rede von der Sprachgrenze zusammengefaßt. Wittgenstein zeigt diesen Übergang auf, oder besser: er deutet ihn an. Und diese Andeutung einer ethischen und religiösen Tendenz der Sprache geschieht in einem Widerspruch. 5) Kehren wir zum Sprachmodell des Schachspieles mit 'lebenden Figuren' zurück. Es ist offensichtlich, daß dieses Spiel eine Metapher für eine Lebensform ist, in dem Personen miteinander strategisch kommunizieren. Die Teilnehmer des skizzierten Spieles spielen um die weitere Teilnahme an einem Diskurs; sie sind nicht nur durch ihren Ausschluß aufgrund der Anwendung der Schachregeln auf ihr Kommunikationsverhalten bedroht, sondern auch durch den Abbruch des Spieles bei auftretendem Regelwiderspruch. 30 Die Unmittelbarkeit, in die uns das Auftretenden eines Widerspruches in der Grammatik eines Sprachspieles stellt, ist eine Unmittelbarkeit des auf diese Weise entstandenen regelfreien Punktes in demselben. Ein Punkt der Wahl und Entscheidung, mit diesem Widerspruch umzugehen. Doch das dadurch erzeugte Paradox der Freiheit in einem solchen Spiel liegt in der Wiederholung dieses Widerspruchs, dann nämlich, wenn wir den Grund für die Überwindung eines Widerspruches in einem Spiel nennen wollen: Noch in der Negation eines Spieles mit Widersprüchen sind wir von diesem abhängig, sofern ein Widerspruch in einem alten Spiel und seine Überwindung der Grund dafür war, in ein neues Spiel einzutreten. Der Versuch, auch diese Abhängigkeit noch aufzulösen, führt in jenes Paradox, von dem Kierkegaard behauptet, es entspreche der Entdeckung eines Unaussprechlichen: Kierkegaard: "Dies ist also das höchste Paradox des Denkens, etwas zu entdecken, was es selbst nicht denken kann."*85* Die religiöse Tendenz dieses Spiel liegt nun nicht darin, daß jeder Versuch, sich diesem Spiel gegen die Regeln des Spieles zu entziehen, den Ausschluß aus diesem Spiel zur Folge hätte. Doch liegt eine religiöse Tendenz im oben angeführten Sinn, d.h. ein Anrennen gegen die Grenzen der Sprache, dann vor, wenn ein Regelwiderspruch im Spiel auftritt. Hier können die Spieler den Regelwiderspruch zwar jederzeit beheben und das Spiel in einer anderen Variante fortsetzen. Doch obwohl auch diese Variante Regeln folgt, gibt es einen Punkt der Regelfreiheit, in dem von allen Spielern eine Entscheidung über die Fortsetzung des Spieles gefordert ist, sofern in ihm ein Regelkonflikt aufgetreten sein sollte. Dieser Punkt der Unmittelbarkeit und Regelfreiheit läßt sich jedoch im Spiel selbst nicht darstellen. Denn solange das alte Spiel gespielt wird, gelten dessen Regeln. Haben wir aber ein neues Spiel oder eine Variante des alten Spieles gespielt, gelten die neuen Regeln. Die Unmöglichkeit, die Regelfreiheit und Wahl des Spieles in der Sprache des Spieles selbst darzustellen, gleicht jenem Anrennen gegen die Sprache, das auf etwas hindeutet, das jenseits der Darstellbarkeit liegt und doch praktisch realisiert werden kann. Das Versagen der Sprache an dieser Grenze ihrer Darstellbarkeit im Spiel, führt Wittgenstein wie Kierkegaard letztlich zu der gleichen Konsequenz, die Kierkegaard in ähnlich sprachkritisch- ironischer Weise wie Wittgenstein vorträgt: "Lerne das Schweigen; und lehre das Schweigen! [...] Indes, dies Schweigen kannst du nicht auf die gleiche Art anbringen, wie du z.B. nach einem schickst, der dir Gardinen aufhängt [...]."*86* Schweigen ist hier Ausdruck für den Verlust einer Darstellungsmöglichkeit. Die öffentliche Sprache - als ein 31 System der Vermittlungen - läßt jeden Versuch scheitern, ein Unmittelbares jenseits aller Vermittlung zur Sprache zu bringen. Der Verlust widerspruchsfreier Darstellung dieser Unmittelbarkeit bedingt für Kierkegaard wie für Wittgenstein ein 'Scheitern der Metaphysik'. Für beide Philosophen bleibt jedoch die Andeutung dieser Unmittelbarkeit in der Grammatik erhalten: In Kierkegaards Exstenz-Kategorien ebenso wie in Wittgensteins anthropologischen Beschreibungen autonomer Grammatik im Umgang mit sprachlogischen Widersprüchen oder Paradoxien. Literatur Cohen, Jonathon L. (1982) Chess as a Model of Language, Philosophia (Israel), vol. 11, no. 1-2 , p. 51-87 Donagan, A. (1966) Wittgenstein on Sensations, p. 324- 351; in: Pitcher (Hrsg.) (1966) Wittgenstein. The Philosophical Investigations: A Collection of Critical Essays; Garden City, N.Y. Hegel, G.W.F. (1986) Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum; dt: Philosophische Erläuterung der Planetenbahnen; Hrsg, übers. u. komment. v. W. Neuser; Weinheim Hegselmann, R.; Peiten, H.-O. (Hrsg.) (1996) Modelle sozialer Dynamiken. Ordnung, Chaos und Komplexität; Wien Hintikka, M.B.; Hintikka, J. H. (1990) Untersuchungen zu Wittgenstein, übers. J. Schulte; Frankfurt a.M. Keller, Michael (Ed.) (1991) World Game Review; Baltimore Kierkegaard, S. (1964) Philosophische Brocken oder ein bißchen Philosophie, übersetzt v. L. Richter; Reinbek Kierkegaard, S. (1988) Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken. Erster Teil, Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes; Gütersloh Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hsrg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes; Gütersloh Kierkegaard, S. (1993) Furcht und Zittern. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes; Gütersloh Kierkegaard, S. (1994) Der Augenblick. Aufsätze und Schriften des letzten Streits, Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes; Gütersloh Kierkegaard, S. (1995) Erbauliche Reden 1850/51. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen. Urteilt selbst. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes; Gütersloh Lütterfelds, W. (1980) Rechtfertigt die logische Sonderstellung 'meiner Sprache' Wittgensteins Wort von der 'Wahrheit des Solipsismus'?, in: Sprache, Logik und Philosophie (Akten des 4. Internat. Wittgenstein Symposiums 1979), p. 443-445; Wien Mandelbaum, Maurice (1968) Language and Chess, De Saussure's Analogy; in: Philosophical Review, vol. 77, p. 356-357 32 Muhr, Peter (1989) Der Souverän über die konkrete Sprachordnung: Bemerkungen zu Kripkes elementarer Darstellung des Problems des Regelfolgens und des Arguments gegen private Sprachen in Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen"; Frankfurt a.M., Bern Neuser, W. (1986) Schelling und Hegels Habilitationsthesen; in: Philosophia Naturalis; Vol. 23, p. 290 Rhees, Rush (Hrsg.) (1987) L. Wittgenstein: Porträts und Gespräche, mit einer Einl. v. N. Malcolm, übers. v. J. Schulte; Frankfurt a.M. Seifert, Josef (1989) Schachphilosophie. Ein Buch für Schachspieler, Philosophen und 'normale' Leute; Darmstadt Wittgenstein, L. (1969) Philosophische Grammatik, hrsg. v. R.Rhees, p. 312; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1978) Wittgensteins Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik, Cambridge, 1939; hrsg. v. C. Diamond, übers. v. J. Schulte; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1981) Philosophische Bemerkungen. Aus dem Nachlaß hrsg. v. R. Rhees; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1982) Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie, Bd I, hrsg. v. G.E.M. Anscombe u. G.H. von Wright; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1989) Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann; hrsg. v. B.F.McGuinness; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1991) Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47, nach den Aufzeichnung v. P.T. Geach, K.J. Shah u. A.C. Jackson, hrsg. v. P.T. Geach, übers. v. J. Schulte; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1994) Philosophische Betrachtungen; Philosophische Bemerkungen; Wiener Ausgabe Bd 2, hrsg. v. M. Nedo; Wien Wittgenstein, L. (1994) Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. hrsg. v. G.H. v. Wright; Neuberarbeitung A. Pichler; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1994) Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. hrsg. v. G.H. v. Wright; Neuberarbeitung A. Pichler; Frankfurt a.M. Wittgenstein, L. (1995) Bemerkungen zur Philosophie. Bemerkungen zur philosophischen Grammatik, Wiener Ausgabe Bd. 4, hrsg. v. M. Nedo; Wien Wittgenstein, L. (1995) Bemerkungen. Philosophische Bemerkungen. Wiener Ausgabe Bd. 3, hrsg. v. M. Nedo; Wien, New York FUSSNOTEN *1* N. Malcolm berichtet darüber, Wittgenstein habe einmal bemerkt, Kierkegaard sei 'bei weitem der tiefste Denker' des neunzehnten Jahrhunderts. Vgl. Rhees, Rush (Hrsg.) (1987) L. Wittgenstein: Porträts und Gespräche, mit einer Einl. v. N. Malcolm, übers. v. J. Schulte, p. 16f, Frankfurt a.M. *2* Vgl. PU § 109. *3* Kierkegaard, S. (1988) Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken. Erster Teil, Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 263; Gütersloh. *4* Wittgenstein: "Der Gott der seinen Platz in der Welt also in der Sprache fände wäre ein Götze." Vgl. Wittgenstein, L. (1994) Philosophische Betrachtungen; Philosophische Bemerkungen; Wiener Ausgabe Bd 2, hrsg. v. M. Nedo, p. 116; Wien. *5* Vgl. Kierkegaard, S. (1993) Furcht und Zittern. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 33; Gütersloh. *6* Vgl. Kierkegaard, S. (1993) ebd., p. 33; Gütersloh. *7* So in Wittgensteins Tractatus 6.52: "Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort"; so auch bei Kierkegaard: "Wäre man imstande, den gesamten Glaubensinhalt in die Form des Begriffs zu überführen, so folgt daraus doch noch nicht, daß man den Glauben begriffen hat, begriffen hat, wie man in ihn hinein kommt, oder wie er in einen hinein kommt." Vgl. Kierkegaard, S. (1993) Furcht und Zittern. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 5; Gütersloh. *8* Unter dem etwas irreführenden Verlagstitel: "Ludwig Wittgenstein - Geheime Tagebücher 1914-1916", hat L. Baum 1991 chiffrierte Textabschnitte aus Wittgenstein Notizbüchern veröffentlicht, die Wittgenstein als einen Menschen zeigen, der alles andere als ein Atheist gewesen sein muß. - Allerdings sollte man bei Wittgenstein gerade aus diesem Grund Vorsicht walten lassen, denn es dürften eben diese religiösen Motive gewesen sein, die Wittgenstein zu einer radikalen sprachphilosophischen Kritik religiöser Sprache veranlaßt haben. Motive, die wir auch in Kierkegaards wenig freundlichen Bemerkungen über jene Theologen finden, die als "Menschenfresser" (Kierkegaard) von ihrer theologischen Sprache leben. Vgl. "Daß die Pfarrer Menschenfresser sind, und zwar auf die abscheulichste Weise"; in: Kierkegaard, S. (1994) Der Augenblick. Aufsätze und Schriften des letzten Streits, Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 314; Gütersloh. *9* Nämlich in: Wittgenstein, L. (1994) Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. hrsg. v. G.H. v. Wright; Neuberarbeitung A. Pichler, p. 71, 80, 106; Frankfurt a.M. *10* In "Furcht und Zittern" unternimmt Kierkegaard den Versuch, das Handeln Abrahams zu 'rekonstruieren', dem geoffenbart wird er solle seinen Sohn Isaak zu opfern. Kierkegaard beschreibt verschiedene mögliche Verhaltensweisen Abrahams, mit dieser Offenbarung umzugehen. Doch Kierkegaard kommt zu dem für ihn ebenso paradoxen wie erschreckenden Resultat, daß das Verhalten Abrahams - dieser Offenbarung gegenüber - weder ein reflexives Ja noch ein Nein enthält. Abraham folgt dem Befehl Gottes gleichsam blind, jenseits aller begründbaren Rationalität für diesen Glauben. Kierkegaards negative Theologie findet hier eine ihrer zentralen Motive. *11* "Was zum Wesen der Welt gehört kann die Sprache nicht sagen /ausdrücken/." (MS 108, p. 1) *12* Zu Wittgensteins Bemerkungen über Freuds Theorie des Witzes, vgl.: Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg.v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 197; Frankfurt a.M. *13* Den Begriff "autonom" verwendet Wittgenstein auch im Kontext von "a priori": "Es ist das Wesen der Philosophie, von der Erfahrung unabhängig zu sein, und eben das ist damit gemeint, wenn man sagt, die Philosophie sei a priori." Vgl. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg.v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers.v. J. Schulte, p. 271; Frankfurt a.M. *14* Wittgenstein verwendet den Begriff "Schach" und "Schachspiel" in seinen bisher im Druck veröffentlichten Schriften mehr als 500 Mal. - Mandelbaum hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Schachanalogie zeitlich früher und in ähnlicher Verwendung, d.h. zur Erläuterung der Sprachfunktionen, bereits von Saussure verwendet worden ist. Vgl. Mandelbaum, Maurice (1968) Language and Chess, De Saussure's Analogy; in: Philosophical Review, vol. 77, p. 356-357. *15* Wittgenstein, L. (1969) Philosophische Grammatik, hrsg. v. R. Rhees, p. 294 ; Frankfurt a.M. *16* Diese Form des intellektuellen understatements bei Wittgenstein mag zum Verlust dieses Problemes in der philosophischen Diskussion mit beigetragen haben. Es existiert seltsamerweise keine Literatur zum Themenkreis: Dekonstruktivismus-Schach-Sprachspiel. Zum Thema Schachspiel-Sprachspiel kann im wesentlich nur auf den Artikel von Cohen hingewiesen werden. Vgl. Cohen, Jonathon L. (1982) Chess as a Model of Language, Philosophia (Israel), vol. 11, no. 1-2 , p. 51-87. - Wittgensteins Bemerkung, er mache "Kleinholz" aus der gewöhnlichen Grammatik, mag kennzeichnend sein für diese dekonstruktive Tendenz seiner Philosophie. Vgl. Ludwig Wittgenstein (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg.v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers.v. J. Schulte, p. 186; Frankfurt a.M. *17* Wittgenstein, L. (1981) Philosophische Bemerkungen. Aus dem Nachlaß hrsg. v. R. Rhees, p. 61; Frankfurt a.M. - Vgl. auch PU § 108. *18* Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 147; Frankfurt a.M. *19* Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg.v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 72; Frankfurt a.M. *20* Beispielsweise als Äußerung der Drohung, Täuschung, der Aggression usf. - Seifert widerspricht in seinem Buch "Schachphilosophie" der Auffassung Wittgensteins, man könne Schachzüge als Sprachhandlungen interpretieren: "Die Schachfiguren sind etwas, aber meinen nichts. Gerade wegen dieser Eigenschaft konnten Strukturalisten und Behavioristen mit Saussure und Wittgenstein meinen, daß im Schachspiel die glänzendste Analogie zur Sprache (zu Sprachspielen) liege [...]" (p 9). Zwar gesteht Seifert ein, daß ein Spieler mit einem Zug einen Plan enthüllen, warnen oder ablenken könne und dieses sich auch verbalisieren lasse, doch folge daraus keine begriffliche Bedeutung für die Züge im Schachspiel. Als Beweis dafür führt Seifert an, daß es eine "Fülle gänzlich verschiedener Gedanken" geben könne, "die sich auf ein und denselben Zug beziehen können, von denen jedoch keiner den 'Sinn' oder die 'Bedeutung' des Zuges als solchen ausmach[e]" (p. 33). Seifert übersieht hier jedoch, daß eben dies auch für verbalisierte Äußerungen gilt. Auch dort kann eine Fülle gänzlich verschiedener Sätze sich auf ein und denselben Satz beziehen, und eine Bedeutung "als solche" existiert - wenn überhaupt - nur relativ auf ein bestimmtes Sprachspiel, und selbst dort noch können verschiedene Äußerungen ein und denselben Satz ausdrücken. Vgl. Seifert, Josef (1989) Schachphilosophie. Ein Buch für Schachspieler, Philosophen und 'normale' Leute; Darmstadt. *21* Eine solche Verständigung könnte mit oder ohne Vetorecht, mit einfacher oder absoluter Mehrheit erfolgen. *22* Es sei denn im Abtausch für einen Bauern, der die Grundlinie des Gegners erreicht. *23* Diese Schachvariante ließe sich auch als kriegerische rekonstruieren. Doch um anthropologische Mechanismen dieser Sprachspiele zu beschreiben, mag diese 'harmlosere' Variante genügen. *24* "Der Glaube ist nämlich dies Paradox, daß der Einzelne höher ist als das Allgemeine, aber wohl zu merken dergestalt, daß die Bewegung sich wiederholt, d.h. daß er, nachdem er in dem Allgemeinen gewesen ist, nun als der Einzelne sich isoliert als höher denn das Allgemeine." Vgl. Kierkegaard, S. (1993) Furcht und Zittern. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 58, 72; Gütersloh. *25* Der Begriff des Paradoxons ist keine genuine Leistung Kierkegaards. Er wurde bereits in Hegels Habilitationsvortrag zwischen Hegel und Schelling diskutiert. Die von W. Neuser edierte und kommentierte Habilitationsschrift Hegels enthält auch Schellings Bemerkungen zu Hegels Disputationsthesen. In der Rekonstruktion Neusers lautet eine Bemerkung Schellings: "[...] daß der gelehrte Autor [gemeint ist Hegel/A.R.] den Begriff des Paradoxen offenbar verstanden hat". Vgl. Neuser, W. (1986) Schelling und Hegels Habilitationsthesen; in: Philosophia Naturalis; Vol. 23, p. 290. Vgl. auch: Hegel, G.W.F. (1986) Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum; dt: Philosophische Erläuterung der Planetenbahnen; hrsg. übers. u. komment. v. W. Neuser, p. 144; Weinheim. *26* Adornos Interesse an Kierkegaard scheint maßgeblich durch diese Form negativer-Existenzdialektik bestimmt zu sein. *27* Als Maßstab in der Funktion einer Regel könnten wir etwa jenes wittgensteinsche Urmeter (PU § 50) beschreiben, von dem wir nach Wittgenstein nicht sagen können, es sei einen Meter lang. Betrachten wir es als Regel für exakte Längenmessungen, können wir auch seine z.B. in Teilstrichen niedergelegte Regel nicht mit anderen Regeln vergleichen, weil sie in paradigmatischer Funktion Verwendung fände. *28* Vgl. Wittgenstein, L. (1981) Philosophische Bemerkungen. Aus dem Nachlaß hrsg. v. R. Rhees, p. 85; Frankfurt a.M. *29* Wittgenstein, L. (1994) Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. hrsg. v. G.H. v. Wright; Neuberarbeitung A. Pichler; Frankfurt a.M. *30* Vgl. Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hsrg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 22; Gütersloh. *31* Vgl. Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hsrg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 4f.; Gütersloh. *32* Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hsrg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 22; Gütersloh. *33* Vgl. Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hsrg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 21; Gütersloh. *34* Kierkegaards Rede über die Stadien der Existenz mag dafür ein Beispiel sein. *35* Vgl. Wittgenstein, L. (1981) Philosophische Bemerkungen. Aus dem Nachlaß hrsg. v. R. Rhees, p. 164; Frankfurt a.M. *36* So beispielsweise in der Analyse des mind-body- Problems. Dieses wird von Wittgenstein gelegentlich mit Hilfe des Wiederholungsbegriffes analysiert. Etwa, wenn Wittgenstein zeigt, daß wir statt von Gedanken ("im Kopf") von Zeichen auf dem Papier sprechen können. Hier ist im Begriff der Wiederholung das Problem des Verhältnisses von internen und externen Begriffen gleichsam aufgehoben. *37* Vgl. Wittgenstein, L. (1981) Philosophische Bemerkungen. Aus dem Nachlaß hrsg. v. R. Rhees, p. 147; Frankfurt a.M. *38* Wittgenstein, L. (1995) Bemerkungen. Philosophische Bemerkungen. Wiener Ausgabe Bd. 3, hrsg. v. M. Nedo, p. 194; Wien, New York. *39* Vgl. TLP 3.328. *40* Vgl. Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 22; Gütersloh. *41* Wenn ein Schachzug "nicht allein darin besteht, daß ein Stein so und so auf dem Brett verschoben wird", "sondern in den Umständen, die wir nennen: »eine Schachpartie spielen«, »ein Schachproblem lösen«, und dergl." (vgl. PU § 33), dann wäre das Verkünden der eigenen Strategie und Absicht schon ein regelwidriges Verhalten. *42* Schach zu spielen ohne die Farbe weiß, wäre etwas wie Tennis ohne Ball. Wittgenstein: "Stellen wir uns vor, jemand spiele stets etwas, was wie Tennis aussieht, aber ohne Ball." Vgl. Wittgenstein, L. (1991) Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47, nach den Aufzeichnung v. P.T. Geach, K.J. Shah u. A.C. Jackson, hrsg. v. P.T. Geach, übers. v. J. Schulte, p. 397; Frankfurt a.M. - Dieses Beispiel greift Wittgenstein auch im Zusammenhang mit der Diskussion des Schachspieles auf: "Schach in der Vorstellung mit dem Andern spielen: Beide Spieler spielen in der Vorstellung und stimmen miteinander darin überein, dieser habe gewonnen, dieser verloren. Sie können dann Beide aus dem Gedächtnis die Partie übereinstimmend reproduzieren, sie aufschreiben, erzählen. - Denke Tennis so gespielt. Es wäre möglich. Nur natürlich keine Übung für die Muskeln. (Obwohl sich auch das denken ließe.)" Vgl. Wittgenstein, L. (1982) Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie, Bd I, hrsg. v. G.E.M. Anscombe u. G.H. von Wright, p 190, § 1056; Frankfurt a.M. *43* David Pritchards 1994 herausgegebene Schachenzyklopädie ("The Encyclopedia of Chess Variants") beschreibt mehr als 1400 Schachvarianten. So kann es geschehen, daß in derselben Alltagspraxis nicht nur mehrere Schachvarianten gleichzeitig vorkommen, sondern auch die Wiederholung eines Schachspieles, und daß damit verbunden das Wissen um den Ausgang des Spieles (der Gewinner steht schon fest) sich mit einer anderen Schachpraxis überschneidet, für die wiederum andere Regeln gelten. D.h., dem Spiel selbst ist nicht unmittelbar zu entnehmen, welchen Regeln es folgt. - Gegenwärtig werden über 670 Schachvarianten gespielt. Vgl. Keller, Michael (Ed.) (1991) World Game Review; Baltimore. Vgl. auch: http://www.cs.ruu.nl/~hansb/d.chessvar/index.html. *44* Nach Wittgenstein - PU § 49 - ist das Aufstellen der Figuren im Spiel kein Zug im Spiel. *45* Es läßt sich vermuten, daß wir ähnlich Probleme haben, wenn wir beispielsweise einen Film über die wiederholte Befolgung des Befehls "Bring einen Stein!" rückwärts laufen lassen. Die Beschreibung eines Steinaufens, von dem Stück für Stück ein Stein weggetragen wird, läßt sich wohl kaum als wiederholte Befolgung der Regel "Bring einen Stein!" beschreiben. Dennoch folgen beide Sprachspiele zumindest insofern derselben Regel, als beide dasselbe Geschehen, wenn auch in unterschiedlicher Zeitrichtung, wiedergeben. Analoge Probleme hätten wir für die Beschreibung der Sprachhandlungs-Regeln rückwärts laufender Filmversionen unzählig vieler Sprachspiele. *46* "Von einer grammatischen Regel können wir nicht sagen, daß sie einer Tatsache entspricht oder ihr widerspricht. Die Regeln der Grammatik sind unabhängig von den Tatsachen, die wir in unserer Sprache beschreiben." Vgl. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 229; Frankfurt a.M. *47* Die "Grammatik muß im vorhinein bestimmt sein und hängt nicht von einem künftigen Ereignis ab". Vgl. Wittgenstein, L. (1995) Bemerkungen zur Philosophie. Bemerkungen zur philosophischen Grammatik, Wiener Ausgabe Bd. 4, hrsg. v. M. Nedo, p. 87; Wien. *48* D.h. wer 'Quach' spielt wiederholt bereits 'Quach', den 'Quach' wird zugleich mit Schach gespielt. *49* Dies hat wesentlich auch damit zu tun, daß Ereignisse, die bereits stattgefunden haben, eine zeitneutrale Ontologie aufweisen, d.h. weder der Entropie noch Kausalitätsgesetzen unterliegen. *50* Vgl. Kierkegaard, S. (1991) Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843, hsrg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 22; Gütersloh. *51* Für Kierkegaard ist das Selbstverhältnis des Individuums aus diesem Grund schon etwas Göttliches, weil Tiefes und Geheimnisvolles, das in der Sprache gleichsam nur über seine Vernichtung noch grammatisch angedeutet werden kann. *52* Eine gemeinsame Praxis enthält keine Entscheidungen darüber, welches Spiel gespielt wird. Nur so ist es möglich, daß eine gemeinsame Praxis aus vielen Spielen 'zusammengesetzt' ist: "Wie können wir entscheiden, welches Spiel wir spielen? In den meisten Fällen entscheiden wir es gar nicht. Wir diskutieren zwar ständig über Regelverzeichnisse, doch aus den eben genannten Gründen machen wir kaum jemals explizit von ihnen Gebrauch." Ludwig Wittgenstein (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg.v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p.108; Frankfurt a.M. *53* "Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen." PU § 68, vgl. auch PU § 71. *54* "Wir kennen die Grenzen nicht, weil keine gezogen sind. Wie gesagt, wir können - für einen besondern Zweck - eine Grenze ziehen." Vgl. PU § 69. *55* Gegen diese These wird ein naheliegender Einwand vermutlich lauten, daß eine Handlungspraxis nie widersprüchlich sein könne, denn man könne nur etwas tun oder eben nicht tun, nicht aber etwas zugleich tun und nicht tun. Dagegen läßt sich jedoch erwidern, daß Wittgenstein etliche Beispiele anführt, in denen, was einer tut, eine pragmatische Darstellung widersprüchlicher Regelbefolgungen ist. (Siehe unten: "Der Widerspruch, bei Wittgenstein und Kierkegaard"). Die These vom 'real existierenden Widerspruch' ist nicht allein auf Hegel und Marx zurückzuführen. Vgl. hierzu auch Wittgensteins Bemerkung über die Dialektik der Bewegung; in: Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 370; Frankfurt a.M. *56* Auch wenn es klare Mehrheiten in der Diskussion des sogenannten Regelfolgeparadoxons für bestimmte Lösungsvarianten desselben gibt, so gibt es doch keine Einigkeit in der Frage, ob dieses "Paradoxon" (a) tatsächlich ein solches ist, ob (b) die von Wittgenstein vorgeschlagene Lösung desselben womöglich das Paradoxon wiederum enthält (Krikpke), oder ob es (c) auch auf eine öffentliche und nicht nur eine vermeintlich private Handlungspraxis anwendbar sei. Ist unsere Praxis ein Resultat der Überschneidung zahllos vieler Sprachspiele, so scheint die Lösungsvariante (c) auch kompatibel zu sein mit den Varianten (a) und (b). Es käme darauf an, mit welchem Ausschnitt öffentlicher Praxis wir es zu tun haben. - Eine Rechtfertigung der Privatsprache im Kontext von PU §§ 243-315 findet sich beispielsweise auch bei Hintikka; in: Hintikka, M.B.; Hintikka, J. H. (1990) Untersuchungen zu Wittgenstein, übers. v. J. Schulte, p. 311-324, insbes. p. 315, 322; Frankfurt a.M. - Ferner bei: Lütterfelds, W. (1980) Rechtfertigt die logische Sonderstellung 'meiner Sprache' Wittgensteins Wort von der 'Wahrheit des Solipsismus'?, in: Sprache, Logik und Philosophie (Akten des 4. Internat. Wittgenstein Symposiums 1979), p. 443-445; Wien. Vgl. auch: Donagan, A. (1966) Wittgenstein on Sensations, p. 324-351; in: Pitcher (Hrsg.) (1966) Wittgenstein. The Philosophical Investigations: A Collection of Critical Essays; Garden City, N.Y. *57* Big Typescript p. 536f. *58* Eine Fülle an Beispielen für komplexe Modelle sozialer Dynamiken, auch bei Annahme sehr einfacher Grundregeln, bietet: Hegselmann, R.; Peiten, H.-O. (Hrsg.) (1996) Modelle sozialer Dynamiken. Ordnung, Chaos und Komplexität; Wien. *59* Im Spiel zum Souverän dieses Spiels zu werden, um diesen Widerspruch aufzulösen, setzt jedoch eine skeptische Regelinterpretation gegenüber dem allgemeinen Spiel bereits voraus, denn er schreibt sich selbst eine souveräne Regelinterpretation zu, um einen Regelwiderspruch auflösen zu können. P. Muhr interpretiert konsequenterweise die Situation der Auflösung eines Regelfolgeproblems als Bestätigung der skeptische Lösung des Regelparadoxons durch S. Kripke. Vgl. Muhr, Peter (1989) Der Souverän über die konkrete Sprachordnung: Bemerkungen zu Kripkes elementarer Darstellung des Problems des Regelfolgens und des Arguments gegen private Sprachen in Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen"; Frankfurt a.M., Bern. *60* Wittgenstein, L. (1969) Philosophische Grammatik, hrsg. v. R.Rhees, p. 312; Frankfurt a.M. *61* MS 213, Big Typescript, p. 234. *62* Broad hatte in seinen Vorlesungen auf die Dialektik Hegels hingewiesen und sie von deduktiven Methoden spekulativer Philosophie unterschieden. Desmond Lee hat Anmerkungen Wittgensteins zu diesen Thesen Broads ediert, die Wittgenstein in seinen Vorlesungen kommentierte. Vgl. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers.v. J. Schulte, p. 94f.; Frankfurt a.M. - Andererseits weist Wittgenstein auch darauf hin, er habe - um eine marxsche Metapher aufzugreifen - Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt: Wittgenstein: "Mir scheint, Hegel will immer sagen, daß Dinge, die verschieden aussehen, in Wirklichkeit gleich sind, während es mir um den Nachweis geht, daß Dinge, die gleich aussehen, in Wirklichkeit verschieden sind." Vgl. Rhees, Rush (Hrsg.) (1987) Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche, mit einer Einl. v. N. Malcolm, übers. v. J. Schulte, p. 217 Frankfurt a.M. *63* Beispielsweise die zuvor geschilderte Variante einer rückwärts wiederholten Schachpartie, die wir 'Quach' nannten. *64* Im Gegensatz zu nicht wenigen Sprachphilosophen in der Tradition Wittgensteins hatte Wittgenstein selbst ein eher experimentell zu nennendes Verhältnis zum Begriff des Widerspruches. So berichtet F.R. Leavis über ein Gespräch mit Wittgenstein, in welchem dieser ein seiner Auffassung nach fruchtbares Paradox rechtfertigen wollte. Vgl. Rhees, Rush (Hrsg.) (1987) L. Wittgenstein: Porträts und Gespräche, mit einer Einl. v. N. Malcolm, übers. v. J. Schulte, p. 101f, Frankfurt a.M. *65* Vgl. Wittgenstein, L. (1995) Bemerkungen. Philosophische Bemerkungen. Wiener Ausgabe Bd. 3, hrsg. v. M. Nedo, p. 256; Wien, New York. - Damit wendet sich Wittgenstein nicht gegen das Zufällige in der Grammatik, sondern gegen die Auffassung, in ihr werde Wesentliches behandelt. Vgl. ebd. p. 271. *66* Das Beispiel, das Wittgenstein wählt, ist allerdings nicht Schach, sondern Dame. Vgl. Wittgenstein, L. (1989) Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann; hrsg. v. B.F. McGuinness, p. 194f.; Frankfurt a.M. *67* "Wenn nun unter meinen Regeln ein Widerspruch vorkommt, so könnte ich sagen: Dann sind das keine Regeln in dem Sinn, in dem ich sonst von Regeln spreche. Was tun wir in einem solchen Fall? Nichts einfacher: Wir geben eine neue Regel, und damit ist die Sache erledigt. Ein Beispiel dafür wäre das Brettspiel." Vgl. Wittgenstein, L. (1989) Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann; hrsg. v. B.F. McGuinness, p. 194; Frankfurt a.M. *68* Vgl. Wittgenstein, L. (1989) Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann; hrsg. v. B.F. McGuinness, p. 196f; Frankfurt a.M. *69* Kierkegaard versucht dies durch die Einführung neuer Kategorien: Angst, Anfechtung, Augenblick, Wiederholung, Bewegung, Existenz, Furcht, Geheimnis, Gleichzeitigkeit, indirekte Mitteilung, Vermittlung (Mediation), Paradox, Rätsel, Schwermut, Sprung, Verzweiflung, Zweifel u.a. - Drury berichtet über ein Gespräch mit Wittgenstein, in dem dieser von den drei Kategorien des Lebensstils bei Kierkegaard berichtet habe. Drury: "Mir scheint, Kierkegaard macht einem stets neue Kategorien bewußt." Wittgenstein: "Da haben Sie völlig recht, das ist genau das, was Kierkegaard tut: Er führt neue Kategorien ein." Vgl. Rhees, Rush (Hrsg.) (1987) Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche, mit einer Einl. v. N. Malcolm, übers. v. J. Schulte, p. 131; Frankfurt a.M. *70* Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 220; Frankfurt a.M. *71* Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 254; Frankfurt a.M. *72* Vgl. Wittgenstein, L. (1978) Wittgensteins Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik, Cambridge, 1939; nach den Aufzeichnungen v. R.G. Bosanquet, N. Malcolm, R. Rhees u. Y. Smythies, hrsg. v. C. Diamond, übers. v. J. Schulte, p. 212; Frankfurt a.M. - Eine ähnliche Bemerkung lautet: "Angenommen ein Widerspruch in einem Befehl z.B. bewirkt Staunen und Unentschlossenheit - und nun sagen wir: das eben ist der Zweck des Widerspruchs in diesem Sprachspiel." Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 255; Frankfurt a.M.. In ähnlicher Weise auch: "Man bedenke auch, daß Widersprüche oft tatsächlich so verwendet werden. So sagen wir zum Beispiel: "Nun ja, das Wetter ist schön und auch wieder nicht so schön', womit wir meinen, das Wetter sei mäßig. Diesen Gebrauch könnte man sogar in die Mathematik einführen." Vgl. Wittgenstein, L. (1978) Wittgensteins Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik, Cambridge, 1939; hrsg. v. C. Diamond, übers. v. J. Schulte, p. 212; Frankfurt a.M. *73* Für Wittgenstein kann ein Widerspruch nutzlos sein, ohne doch darum falsch zu sein: "Den Widerspruch kann man in der Mathematik entweder als etwas Verbotenes oder als etwas Erlaubtes auffassen. Es mag sein, daß »2 + 2 = 4« und »2 + 2 = 5« zusammen nutzlos, aber nicht falsch sind. Zusammen würden sie eine neue Mathematik ergeben." Vgl. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 239; Frankfurt a.M. *74* Die Verbindungen zu Hegels Dialektik sind hier offensichtlich. Auch in der hegelschen Dialektik wird ein auftretender Widerspruch überwunden ("aufgehoben"), ohne doch dadurch gleichsam verschwunden bzw. aufgelöst zu sein. *75* Vgl. Wittgenstein, L. (1978) Wittgensteins Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik, Cambridge, 1939; hrsg. v. C. Diamond, übers. v. J. Schulte, p. 248f.; Frankfurt a.M. *76* Vgl. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg.v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers.v. J. Schulte, p. 228; Frankfurt a.M. *77* Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 376; Frankfurt a.M. *78* Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 377; Frankfurt a.M. *79* Diesen "Sprung" thematisiert Wittgenstein auch im Übergang vom Zeichen zur Anwendung desselben: "In der Sprache gibt es stets eine Brücke zwischen dem Zeichen und seiner Anwendung. Wir müssen die Kluft selbst überbrücken; das kann uns niemand abnehmen. Keine Erklärung erspart den Sprung, denn jede weitere Erklärung wird ihrerseits einen Sprung benötigen." Vgl. Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 88; Frankfurt a.M. *80* "Schach ist schon ohne irgendwelche zusätzlichen Komplikationen vollständig. Durch zusätzliche Komplikationen wird es zu einem neuen Spiel." Vgl Wittgenstein, L. (1984) Vorlesungen 1930-1935, hrsg. v. Desmond Lee u. Alice Ambrose, übers. v. J. Schulte, p. 422; Frankfurt a.M. *81* "Wäre es denn nicht möglich, daß wir einen Widerspruch hervorbringen wollten?" Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 211; Frankfurt a.M. *82* Vgl. Wittgenstein, L. (1974) Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. v. G.E.M. Anscombe, R. Rhees u. G.H. v. Wright, p. 122; Frankfurt a.M. *83* Vgl. Wittgenstein, L. (1989) L. Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann, hrsg. v. B.F. McGuinness, p. 68f.; Frankfurt a.M. *84* Diese Sprachgrenzen kennzeichnet Wittgenstein auch als metaphysische Grenze (ungeachtet seiner sonst radikalen Kritik aller Metaphysik): "Wie alles metaphysische ist die (prästabilierte) Harmonie zwischen dem Gedanken und der Wirklichkeit durch die Grenze der Sprache uns gegeben." Vgl. Wittgenstein, L. (1995) Bemerkungen. Philosophische Bemerkungen. Wiener Ausgabe Bd. 3, hrsg. v. M. Nedo, p. 19; Wien, New York. *85* Vgl. Kierkegaard, S. (1964) Philosophische Brocken oder ein bißchen Philosophie, übersetzt v. L. Richter, p. 36; Reinbek. *86* Vgl. Kierkegaard, S. (1995) Erbauliche Reden 1850/51. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen. Urteilt selbst. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Gerdes, p. 85f.; Gütersloh.