***************************************************************** * * Titel: Denkprojekte des Glaubens. Zeichen bei Kierkegaard und Wittgenstein Autor: Werner *Stegmaier* Universität Greifswald, Germany (d) Dateiname: 21-2-97.TXT Dateilänge: 56 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/97, Datei: 21-2-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** "Beim Philosophieren muß man in's alte Chaos hinabsteigen und sich dort wohlfühlen." Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen Kierkegaard "und" Wittgenstein - kann man über das historische Interesse hinaus etwas daraus lernen, daß man philosophische Werke aufeinander bezieht, die wenig miteinander zu tun zu haben scheinen? Liest man Kierkegaard von Wittgenstein und Wittgenstein von Kierkegaard her, so wird etwas deutlich, was keiner von beiden unmittelbar deutlich macht: daß Denken sich im Denken des Glaubens als bloßen Gebrauch von Zeichen erfährt und daß es im Gebrauch von Zeichen selbst zum Glauben wird. Wittgenstein bezieht sich, das ist seit langem bekannt, selbst auf Kierkegaard. Kierkegaard gehörte zu den philosophischen Favoriten seiner älteren Schwester Margarete, und sie dürfte ihn schon früh auf dessen Schriften aufmerksam gemacht haben.*1* Er hat offensichtlich Werke von Kierkegaard selbst studiert;*2* nach Aussagen Maurice Drury's hielt er Kierkegaard für den bedeutendsten Denker des 19. Jahrhunderts;*3* in seiner Umgebung wurde sein eigenes Auftreten mit dem Kierkegaards verglichen.*4* Es liegt nahe, daß Wittgenstein sich für Kierkegaard im Blick auf Fragen der Religion und des Glaubens interessierte, die ihn, wie die Forschung mehr und mehr herausgearbeitet hat, vom Beginn seiner philosophischen Arbeit an beschäftigten.*5* Dies bekräftigen die jüngsten Editionen von Tagebüchern Wittgensteins, die 1991 von Wilhelm Baum veröffentlichten "Geheimen Tagebücher 1914 - 1916"*6* und noch mehr die 1997 von Ilse Sommavilla unter dem Titel "Denkbewegungen" herausgegebenen Tagebücher 1930 - 1932 und 1936 - 1937, "von deren Vorhandensein", wie die Herausgeberin im Vorwort schreibt, "man erst seit kurzem weiß ".*7* Sie geben ein schärferes Bild von Wittgensteins Religiosität und ihrer Bedeutung für sein Denken im ganzen; bereiten die früheren Tagebücher den Tractatus logico-philosophicus, so die späteren die Philosophischen Untersuchungen vor. Beide sind in großer Einsamkeit entstanden: die früheren während Wittgensteins Kriegsdienst in der Isolation unter den Kameraden, die späteren (1936 - 1937) in der nahezu völligen Abgeschiedenheit der Skjöldener Hütte. Abgeschieden selbst von der Sonne, deren Wiederkehr er sehnsüchtig erwartet und dann wie eine Erlösung erfährt (TS 94 ff.), beschreibt er sein Dasein dort als "Alleinsein mit sich selbst - oder mit Gott" (TS 103). Die Frage, ob und inwieweit man Wittgenstein einen Christen oder Gläubigen oder gläubigen Christen nennen kann, ist schwer zu entscheiden,*8* vielleicht aber auch müßig. Am ehesten kann man ihn wohl fromm nennen: gottergeben ohne Anspruch auf ein Wissen von Gott. Alle Zeugnisse sprechen dafür, daß Wittgenstein in der Gewißheit des Glaubens lebte, ohne sich Gewißheit über seinen Glauben zuzugestehen: es war Teil seines Glaubens, sich dieses Glaubens nicht sicher sein zu dürfen. Anfang 1937 notiert Wittgenstein im Tagebuch (TS 71), er habe "keine[n] Glauben an die Lehren". Soweit die Bibel ein historisches Dokument darstelle, könne sie ihn nicht zu mehr "'verbinden'" als "irgend ein anderes Dokument": "Nicht die Schrift, nur das Gewissen kann mir befehlen an Auferstehung, Gericht etc zu glauben". Dies aber sei dann ein Glaube "nicht als an etwas wahrscheinliches, sondern in anderem Sinne." Über den Glauben in diesem anderen, religiösen Sinn verfüge man nicht, ja, man könne, solange man nicht zu ihm gekommen sei, "über einen solchen Glauben gar nichts wissen", und "Unglaube" könne darum auch nicht "zum Vorworf gemacht werden". So könne es für ihn, Wittgenstein, auch keinen "Streit über den Glauben" geben: "Das Glauben fängt mit dem Glauben an." Später (TS 97) notiert er, zum religiösen Glauben zu kommen, sei "eine Gnade" - also selbst schon Sache dieses Glaubens. Dazwischen (TS 86) hält er fest: "(Den eigentlichen Christen glauben - nicht den Glauben - verstehe ich noch gar nicht.)" So nimmt auch Kierkegaard in seiner philosophisch-religiösen Schriftstellerei alles Wissen vom Glauben zurück und sucht den Glauben stattdessen aus seiner Grundbedingung, dem bloß en "vor Gott", zu verstehen, daraus, daß er sich vor einen Gott gestellt sieht, der sich selbst dadurch kennzeichnet, daß er nicht zu begreifen ist. Natürlich kommt auch der religiöse Glaube nicht ohne Begriffe aus. Was ihn nach Kierkegaard zum religiösen Glauben macht, sind jedoch nicht die Begriffe, sondern das, was an ihnen nicht zu begreifen ist, die "Stimmung" der Begriffe.*9* Die Stimmung, in der sie gebraucht werden, etwa Scherz oder Ernst, Langeweile oder Verzweiflung, gibt den Begriffen einen jeweils andern Sinn, bestimmt sie auf eigentümliche Weise, die nicht die des Begreifens ist. Und sie bekommen ihren Sinn erst durch eine bestimmte Stimmung.*10* Kierkegaard stößt darauf bei der Erörterung des Begriffs der Sünde (in Der Begriff Angst). Um recht verstanden zu werden, brauche der Begriff der Sünde die Stimmung des Ernstes. Versuche man ihn so oder so zu definieren, werde man ihm nicht gerecht; er gehöre darum nicht zu irgendeiner Wissenschaft. Sein Sinn sei vielmehr, unmittelbar zum Handeln zu bewegen, sein Leben zu verändern, das heißt, mit ihm 'Ernst zu machen', und so entspreche ihm allein die Stimmung des Ernstes, die die Stimmung verantwortlichen Handelns ist. Wer sich stattdessen damit abgebe, die Sünde begreifen zu wollen, bringe sie um ihren Sinn, weil Begreifen bedeute, sie in andere Begriffe aufzuheben und damit für das Handeln gleichgültig zu machen. Unter den Wissenschaften reiche "noch am ehesten" die Ethik an die "Wirklichkeit" der Sünde heran, weil sie allein sich mit dem Handeln befasse. Kierkegaard faßt die Ethik streng in ihrem imperativischen Charakter auf und spitzt ihn aufs äußerste zu. Danach will die Ethik "die Idealität in die Wirklichkeit hineinbringen".*11* Sie soll nicht eine gegebene Lebensform beobachten und beschreiben, und sie soll auch keine solche bilden helfen; sie ginge ansonsten in die Ästhetik über. Ethik nach Kierkegaard ist "niemals beobachtend, sondern anklagend, urteilend, handelnd",*12* sie stellt die "Idealität als Aufgabe",*13* und dies unbedingt, ohne Rücksicht auf die jeweiligen Lebensbedingungen. Sünde ist danach die ethische Freiheit überhaupt in religiöser Perspektive, die Freiheit "vor Gott", der die Menschen gerecht werden sollen, ohne daß sie ihr je gerecht werden könnten.*14* Was für den Begriff der Sünde gilt, gilt so für das "vor Gott" überhaupt. Kierkegaard will mit seinem "Denkprojekt" des Glaubens*15* das Begreifen an eine Grenze führen, an der es begreifen muß, daß es sich selbst unbegreiflich ist. Er zeigt, wie das Denken im Versuch, das Dasein Gottes zu beweisen, selbst in die "Schwebe" gerät und zum "Sprung" gezwungen wird. Aber eben weil ihm der Versuch nicht gelingt, kann er sich ihm nicht entziehen. Dies ist, so Kierkegaard in den Philosophischen Brocken, des Denkens "höchstes Paradox: etwas entdecken zu wollen, das es selbst nicht denken kann".*16* Das Paradox wird zu "des Gedankens Leiden schaft", zu "des Verstandes paradoxer Leidenschaft, die den Anstoß will, und, ohne sich recht zu verstehen, ihren eigenen Untergang will". Das Denken bekommt im Denken des christlichen Glaubens selbst Passionscharakter. Wittgenstein geht es nicht um Kierkegaards Denken als solches. Er versucht nicht, es im ganzen zu durchdenken und für sich zur Klarheit zu bringen. Er greift nur auf, was ihm naheliegt. Besonders die Tagebücher von 1937 und die "Vermischten Bemerkungen" aus derselben Zeit*17* zeigen, in wie vielem ihm Kierkegaards Denken naheliegt, dann aber auch, worin er sich von ihm distanziert. Wittgenstein läßt sich in seinem Philosophieren bewußt auf Kierkegaards Denkprojekt des Glaubens ein und kehrt wie er das nicht Theoretische, sondern allein Praktische der Begriffe des Christentums hervor: "Es ist für mich wichtig, beim Philosophieren immer eine Lage zu verändern, nicht zu lange auf einem Bein zu stehen, um nicht steif zu werden. Wie, wer lange bergauf geht, ein Stückchen rückwärts geht, sich zu erfrischen, andre Muskeln anzuspannen. Das Christentum ist keine Lehre, ich meine, keine Theorie darüber, was mit der Seele des Menschen geschehen ist und geschehen wird, sondern eine Beschreibung eines tatsächlichen Vorgangs im Leben des Menschen. Denn die 'Erkenntnis der Sünde' ist ein tatsächlicher Vorgang, und die Verzweiflung desgleichen und die Er lösung durch den Glauben desgleichen. [...]" (VB 488) Er entzieht, was dem Glauben zugehört, konsequent dem Begreifen-Wollen - "Eher als eine Theorie, ist es ein Seufzer, oder ein Schrei." (VB 491) - und weist auch historische Kriterien zurück. Glauben ist für ihn (wie für Kierkegaard) ein "Für-wahr-halten", das nichts mit dem "spekulierenden Verstand", nichts mit dem "abstrakte[n] Geist" und nichts mit historischer Kenntnis zu tun habe (VB 495 f.): "Das Christentum gründet sich nicht auf eine historische Wahrheit, sondern es gibt uns eine (historische) Nachricht und sagt: jetzt glaube! Aber nicht, glaube diese Nachricht mit dem Glauben, der zu einer geschichtlichen Nachricht gehört, - sondern: glaube, durch dick und dünn und das kannst Du nur als Resultat eines Lebens." (VB 494) In den Tagebüchern formuliert Wittgenstein eine Art Glaubensbekenntnis: "Was ich jetzt glaube: Ich glaube, daß ich mich nicht vor den Menschen oder ihrer Meinung fürchten sollte wenn ich tun will, was ich für recht halte. - Ich glaube, daß ich nicht lügen soll; daß ich den Menschen gut sein soll; daß ich mich sehen soll, wie ich wirklich bin; daß ich meine Bequemlichkeit opfern soll, wenn es etwas Höheres gillt; daß ich in guter Weise fröhlich sein soll, wenn es mir gegeben ist, aber wenn nicht, daß ich dann mit Geduld & Standhaftigkeit die Trübseligkeit ertrage; daß der Zustand welcher alles von mir fordert durch das Wort 'Krankheit', oder 'Wahnsinn', nicht erledigt ist, d.h.: daß ich in diesem Zustand ebenso verantwortlich bin, wie außerhalb, daß er zu meinem Leben gehört wie jeder andere und ihm die also volle Aufmerksamkeit gebührt. Einen Glauben an eine Erlösung durch den Tod Christi habe ich nicht; oder aber noch nicht." (TS 87) Es scheint sich um Gemeinplätze christlicher Ethik zu handeln: äußerste Redlichkeit sich selbst und andern gegenüber, Opfer aller bequemen Übereinstimmung mit andern, Mut, sich selbst zu sehen, wie man ist, dabei "den Menschen gut sein" und "in guter Weise fröhlich sein". Wittgenstein zieht aus ihnen jedoch unvermutete Folgerungen. Die ethische Praxis, die der Glaube fordert, ist für ihn eine Praxis des Denkens, und sie kann, wenn sie konsequent ausgeübt wird, als "Krankheit" oder "Wahnsinn" erscheinen. Danach greift sie in den Begriff der Vernunft selbst ein, überschreitet sie alle herkömmlichen Begriffe von Vernunft. Wittgenstein fährt fort: "Ich soll meine Vernunft nicht verunreinigen. (Der Wahnsinn aber verunreinigt die Vernunft nicht. Auch wenn er nicht ihr Wächter ist)" (TS 87).*18* Verunreinigt werde seine Vernunft vielmehr, wenn er "mit Worten, die [er] etwa lese, Magie treiben" und sich dadurch "in eine Art Glauben, eine Art Unvernunft hineinreden" würde. Vernunft, wie Wittgenstein sie hier denkt, scheint eine Vernunft zu sein, die ganz auf theoretische Dogmen und praktische Normen zu verzichten versucht und damit auf die Möglichkeit und das Recht, das Leben nach ihnen zu beurteilen, sei es anklagend, sei es rechtfertigend,*19* eine Vernunft, die sich im Gegenteil genötigt sieht, alle Begriffe, die sie sich bildet, stets wieder rückhaltlos in Frage zu stellen, einschließlich den Begriff ihrer selbst. "Rein" ist danach die Vernunft, die sich von allen Gewißheiten in Begriffen rein hält - und das muß nach herkömmlichen Maßstäben verrückt erscheinen. Wittgenstein formuliert die ethische Praxis, sich von Gewißheiten in Begriffen rein zu halten, schließlich als "das erste Gebot der Weisheit": "Wenn Du mit Gott rechten willst, so heißt das, Du hast einen falschen Begriff von Gott. Du bist in einem Aberglauben. Du hast einen unrichtigen Begriff, wenn Du auf das Schicksal erzürnt bist. Du sollst Deine Begriffe umstellen. Zufriedenheit mit Deinem Schicksal müßte das erste Gebot der Weisheit sein." (TS 96) Wir leben so, daß wir uns Begriffe vom Leben bilden und es nach ihnen zu gestalten versuchen. Wenn das Leben sich ihnen nicht fügt, werden wir mit ihm, nicht mit den Begriffen unzufrieden sein. Der Glaube verlangt nach Wittgenstein das Umgekehrte: die eigenen Begriffe, die man an das Schicksal heranträgt, so lange umzustellen, bis sich Zufriedenheit mit ihm einstellt. Nichts mehr anders haben zu wollen wäre, so Wittgenstein, der "Geisteszustand des Glaubens", der "den Menschen seelig machen kann. [...] Und, ich glaube, die Bedingung für ihn ist, daß wir unser Äußerstes tun & sehen, daß es uns zu nichts führt, daß, soviel wir uns auch plagen, wir unversöhnt bleiben. Dann kommt die Versöhnung zu Recht." (TS 97) "Du mußt Dich also", notiert er kurz darauf, "als tot anerkennen, & ein anderes Leben in Empfang nehmen (denn ohne das ist es unmöglich, Dich, ohne Verzweiflung, als tot anzürkennen). Dieses Leben muß Dich, gleichsam, schwebend über dieser Erde erhalten; d.h., wenn Du auf der Erde gehst, so ruhst Du doch nicht mehr auf der Erde, sondern hängst im Himmel; Du wirst von oben gehalten, nicht von unten gestützt. - Dieses Leben aber ist die Liebe, die menschliche Liebe, zum Vollkommenen. Und diese ist der Glaube." (TS 101 f.)*20* So können wir von folgendem ausgehen: Bei Wittgenstein hat das Denken des Glaubens deutlicher als bei Kierkegaard Folgen für das Denken des Denkens selbst. Kierkegaard, für den sein Christentum noch außer Zweifel stand, ging es um dessen Redlichkeit, und er setzte alles daran, die Christenheit seiner Umgebung, die sich (in seinen Augen) in einem bequemen Christentum eingerichtet hatte, zu dieser Redlichkeit zurückzubringen, indem er sie auf deren Bedingungen "aufmerksam machte". Daß er dabei das Begreifen (gegenüber Hegel) neu begreifen, das Denken anders denken mußte, war für ihn Mittel, nicht Zweck seines Unternehmens. Für Wittgenstein, der sich seines eigenen Christentums nicht mehr sicher ist, sich darum jedes Urteils darüber zu enthalten sucht und ganz darauf verzichtet, andere "aufmerksam machen" zu wollen, bekommt der Glaube einen neün Sinn: er ist für ihn die stärkste "Forderung" (TS 95) zur Redlichkeit im eigenen Philosophieren. Redlichkeit des Philosophierens aber bedeutet danach, sich alle festen Begriffe, alle Gewißheit in Begriffen zu verweigern. Denken, von der christlichen Seligkeit her gedacht, wie Wittgenstein sie versteht, muß sich bewußt dem Verdacht der Verrücktheit aussetzen. Die "Forderung" zur Redlichkeit liegt danach nicht im Denken selbst. Es erhebt sie nicht von sich aus, sie wird ihm, als Forderung des Glaubens, gestellt. Sie tritt nach Wittgenstein als Ärgernis auf: "Sich selbst zu erkennen ist furchtbar, weil man zugleich die lebendige Forderung erkennt, &, daß man ihr nicht genügt. Es gibt aber kein besseres Mittel sich selbst kennen zu lernen, als den Vollkommenen zu sehen. Daher muß der Vollkommene einen Sturm der Empörung in den Menschen wecken; wenn sie sich nicht ganz & gar demütigen wollen. Ich glaube, die Worte: 'Seelig, wer sich nicht an mir ärgert', meinen: Seelig, wer den Anblick des Vollkommenen aushält." (TS 95) Kierkegaard hat seinerseits diesen Worten Christi (aus dem Evangelium des Matthäus 11,6) eine eigene Abhandlung gewidmet, die II. Abhandlung aus der Einübung im Christentum. Die Kategorie des Ärgernisses hat zentrale Bedeutung in seinem Denkprojekt des Glaubens. Ein Ärgernis ist danach für das Denken, was die Gewißheit seiner Begriffe aufhebt und es ins Paradox treibt. Ein solches Ärgernis aber ist das Zeichen, zu dem Gott wird, wenn er als Mensch auftritt: er kann dann ebenso als Gott wie nur als Mensch verstanden werden, ohne daß es ein allgemeines Kriterium gäbe, darüber zu entscheiden, was er "wirklich" ist. Hat man es jedoch mit Zeichen zu tun, die ohne ein allgemeines Kriterium so und anders verstanden werden können, steht die Möglichkeit der Mitteilung überhaupt in Frage. Wittgenstein teilt den Begriff des Zeichens, zu dem Kierkegaard in seinem Denkprojekt des Glaubens kommt, und orientiert an ihm seine Untersuchungen des Funktionierens der Sprache; er wird zu einem Schlüsselbegriff der Philosophischen Untersuchungen. Dennoch reagiert er charakteristisch anders auf ihn als Kierkegaard: Während Kierkegaard an den fraglichen Begriff des Zeichens sein Theorem der indirekten, doppelt reflektierten Mitteilung anschließt, antwortet Wittgenstein auf ihn mit dem Theorem geregelter Sprachspiele. Sofern aber beide Theoreme Lösungen desselben Problems sind, können sie als funktionsäquivalent betrachtet und ihr theoretischer Gewinn daher aneinander gemessen werden. Kierkegaard argumentiert in der II. Abhandlung der Einübung im Christentum folgendermaßen: Wenn Gott als schlichter Mensch, ein schlichter Mensch als Gott auftritt, kann, wer ihm begegnet, nicht wissen, womit er es zu tun hat - der Gott-Mensch ist ein Zeichen, in dem Gott "unkenntlich" ist. Damit wird er zum "Ärgernis", zum Ärgernis, daß sich nicht eindeutig und für jedermann entscheiden läßt, wie das Zeichen verstanden werden soll. So muß der Einzelne selbst entscheiden, wie er das Zeichen verstehen will (und damit auch über seine weitere Art zu leben), ohne jede Handhabe anderswo und also ganz auf eigene Verantwortung. Aber eben dies könnte, so Kierkegaard, der Sinn des Zeichens sein, daß für oder gegen Gott sich jeder selbst auf eigene Verantwortung entscheiden muß: "Gegenstand des Glaubens ist der Gott-Mensch eben deshalb, weil der Gott-Mensch Möglichkeit des Ärgernisses ist." Die Entscheidung, die am Zeichen des Gott-Menschen für oder wider den Glauben fällt, wird jedoch nicht bewußt und aus freiem Willen getroffen, sie wird zunächst gar nicht als Entscheidung erlebt. Denn keiner hat irgendeine Schwierigkeit, das Zeichen zu verstehen, jeder versteht es unmittelbar und ohne weiteres - nur versteht der eine den Gott-Menschen als Gott, der andere als schlichten Menschen. So fällt die Entscheidung ohne Alternative und insofern blind - um eine Entscheidung handelt es sich nur in der Sicht eines andern, der auch die Alternative sieht. Auf diese Weise zeigt sich in der Begegnung mit Christus, dem Gott-Menschen, unfreiwillig, wie der Einzelne zu Gott und zum Glauben steht und stehen kann, und er muß die Verantwortung für eine Entscheidung tragen, die er gar nicht bewußt getroffen hat. Kierkegaard will mit seiner philosophisch-religiösen Schriftstellerei immer neu auf diese Entscheidung "aufmerksam machen", ohne sie je dem Leser abzunehmen oder auch nur nahezulegen: Um eine Entscheidung zum Glauben zu sein, muß sie eine Entscheidung des Einzelnen bleiben. Wittgenstein hat präzise beschrieben, was Kierkegaard versucht: "Es kommt mir vor, als könne ein religiöser Glaube nur etwas wie das leidenschaftliche Sichentscheiden für ein Bezugssystem sein.*21* Also obgleich es ein Glaube ist, doch eine Art des Lebens, oder eine Art das Leben zu beurteilen. Ein leidenschaftliches Ergreifen dieser Beurteilung. Und die Instruktion in einem religiösen Glauben müßte also die Darstellung, Beschreibung jenes Bezugssystems sein und zugleich ein in's-Ge-wissen-reden. Und diese beiden müßten am Schluß bewirken, daß der Instruierte selber, aus eigenem, jenes Bezugssystem leidenschaftlich erfaßt. Es wäre, als ließe mich jemand auf der einen Seite meine hoffnungslose Lage sehen, auf der andern stellt er mir das Rettungswerkzeug dar, bis ich, aus eigenem, oder doch jedenfalls nicht von dem Instruktor an der Hand geführt, auf das zustürzte und es ergriffe." (VB 540 f. [1947]) Der Begriff des Zeichens, der dem zugrunde liegt, unterscheidet sich vom gängigen Zeichenbegriff dadurch, daß dieses Zeichen nicht für etwas steht, das selbst bekannt wäre. Man kann es nicht durch das ersetzen, was es bezeichnet, denn im Fall des Gott-Menschen ist ja gerade offen, was es bezeichnet. Man hat hier nur das Zeichen. Aber an einem solchen Zeichen hat man wiederum nichts außer seinem eigenen Verständnis. Es ist, so Kierkegaard, zunächst einmal (auch nach dem gängigen Zeichenbegriff) "verneinte Unmittelbarkeit",*22* es bedeutet etwas anderes, als es unmittelbar ist. Doch um in seiner Unmittelbarkeit überhaupt als Zeichen wahrgenommen zu werden, muß es "auffallen", aus seiner Unmittelbarkeit irgendwie herausfallen, muß es etwas an sich haben, womit es die "Aufmerksamkeit" auf sich zieht. Im Fall des Gott-Menschen ist das, so Kierkegaard, ein "Widerspruch", der "größtmögliche" Widerspruch "zwischen Gott Sein und ein einzelner Mensch Sein". Der Gott-Mensch macht als "Zeichen des Widerspruchs" auf sich aufmerksam und stellt auf diese Weise den Einzelnen vor die eigene Entscheidung für oder wider den Glauben: Das Zeichen des Widerspruchs "zieht die Aufmerksamkeit auf sich, und dann hält es einen Widerspruch vor Augen. Da ist etwas, das macht, daß man es nicht lassen kann, hinzusehn - und sieh, indem man sieht, sieht man wie in einen Spiegel, man gelangt dazu, sich selber zu sehn, oder auch: er, der des Widerspruchs Zeichen ist, sieht einem unmittelbar ins Herz, indes man hineinstarrt in den Widerspruch. Ein Widerspruch, einem Menschen unmittelbar gegenübergestellt - und wenn man ihn dazu kriegt, darauf hinzusehen: das ist ein Spiegel; indem der Sehende urteilt, muß es offenbar werden, was in ihm wohnt. Es ist ein Rätsel; indem er es zu raten sucht, wird es offenbar, was in ihm wohnt, dadurch, worauf er rät. Der Widerspruch stellt ihn vor eine Wahl, und indem er wählt, und zugleich in dem, das er wählt, wird er selber offenbar." Eine Mitteilung durch ein solches Zeichen ist danach keine "Lehre", die allgemein, ohne Rücksicht auf die Individualität der beteiligten Individuen, und insofern "direkt" mitgeteilt werden könnte. Wenn es darauf ankommt, "den Empfänger selbsttätig werden zu lassen" (was bei der Mitteilung des Gott-Menschen, fügt Kierkegaard hinzu, "der höchste Ernst ist"), kann und darf sich der Gott-Mensch nicht direkt mitteilen, und wenn es einem religiösen Schriftsteller darum geht, darauf aufmerksam zu machen, darf er das ebensowenig tun. Zeichen, die ohne ein allgemeines Kriterium so und anders verstanden werden können, lassen keine "direkte Mitteilung" zu. Sie machen die Kommunizierenden zu Individuen. Bei Wittgenstein, im § 504 der Philosophischen Untersuchungen, heißt es knapp: "Wenn man aber sagt: 'Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen', so sage ich: 'Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen.'" Zeichen wird hier generell ein allgemeines Kriterium ihrer Bedeutung abgesprochen. Zwar sind es dieselben Zeichen, die der eine "hat" und der andere "sieht", und weil es dieselben sind, können beide durch sie miteinander kommunizieren. Aber sie können dabei dennoch nicht "wissen", was der andere mit ihnen "meint", ja noch nicht einmal, was sie selbst mit ihnen meinen. Sie können nur ihre Zeichen gebrauchen. Und damit, schickt Wittgenstein voraus (§ 503), könne und müsse man "zufrieden" sein, wenn man das Funktionieren der Sprache verstehen wolle. Grammatik, als Untersuchung des Funktionierens der Sprache, könne und müsse sich darauf beschränken, "den Gebrauch der Zeichen" zu beschreiben, ohne ihn erklären zu wollen (§ 496). Das Bedürfnis nach Erklärung ist verständlich. Es entspringt selbst der Differenz der Zeichen und ihres Gebrauchs. Erfährt man in der Kommunikation, daß andere die Zeichen, die man gebraucht, anders gebrauchen als man selbst, kann man "unzufrieden" werden mit dem, "was man im gewöhnlichen Leben 'Satz', 'Wort', Zeichen', nennt". Man wird dann nach der allgemeinen, verbindlichen Bedeutung der Zeichen fragen und Versuche machen, eine solche zu begründen. Man wird das, so Wittgenstein, jedoch nur dann tun, wenn man von der "wirklichen Sprache" bereits einen vorgefaßten Begriff hat und ihr ein "Ideal", das Ideal unbedingter Eindeutigkeit, unterstellt. Man wird sich dann "über das Wesen des eigentlichen Zeichens" den Kopf zerbrechen, es etwa in der "Vorstellung vom Zeichen" suchen und von da aus zu Theoremen des Meinens und des Wissens von diesem Meinen kommen (§ 105). Sie sollen denkbar machen, daß Zeichen, auch wenn sie so oder anders gebraucht werden können, dabei doch stets mit einer Bedeutung versehen werden, von der man "weiß", daß man sie "meint", und die man darum jederzeit allgemein mitteilen könnte. Dazu muß man wiederum ein Subjekt einführen, das "transzendental", d.h. den empirischen Bedingungen der Kommunikation, also dem individuellen Gebrauch der Zeichen enthoben ist. Kant hatte es in der Tat so eingeführt, als Grund der Denkbarkeit notwendig allgemeiner Erkenntnisse, aus denen die Individualität des Zeichengebrauchs von vornherein ausgeschlossen sein sollte. Wittgenstein will mit seinem Rückgang auf den individuellen Gebrauch der Zeichen solche Theoreme erübrigen. Denn jenes vorstellen, Meinen und Wissen von diesem Meinen läßt sich auf keine Weise ausweisen. Es handelt sich, wie Kant selbst in seiner Vorrede zur 2. Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft betont, nicht um die Beschreibung von etwas Gegebenem, sondern um das "Experiment" einer "Erklärung", der Erklärung der Möglichkeit von Erkenntnissen a priori, und jene Begriffe haben darum auch nur Sinn im Zusammenhang mit dieser Erklärung, aber nicht in einer Untersuchung des Funktionierens der "wirklichen Sprache". Was Kant versuchte (die Möglichkeit von Erkenntnissen a priori zu erklären), hat nach Wittgenstein nun seine Zeit gehabt: "Es war charakteristisch für die Theoretiker der vergangenen Kulturperiode, das A-priori finden zu wollen, wo es nicht war. - Oder soll ich sagen, es war charakteristisch für die verg. Kulturperiode, den Begriff, des 'a priori' zu schaffen." (TS 45) Wittgenstein versucht stattdessen, nun, im Blick auf das Funktionieren der "wirklichen Sprache", in nichts mehr über den individuellen Gebrauch der Zeichen hinauszugehen, nichts mehr in der Kommunikation von ihm auszunehmen. Noch nicht einmal den Begriff des Denkens selbst: auch "Denken" ist etwas, das zum individuellen Gebrauch der Zeichen hinzugedacht wird, um unterschiedliche Weisen ihres Gebrauchs zu erklären, ohne daß es sich wirklich von diesem Gebrauch unterscheiden ließe.*23* Das bedeutet nach Wittgenstein nicht, daß man nicht auch Begriffe wie Vorstellen, Denken, Meinen, Wissen sinnvoll gebrauchen könnte; es bedeutet nur, daß man das Funktionieren der "wirklichen Sprache" nicht durch sie "erklären" kann. Eine solche Erklärung erübrige sich jedoch, da ein abgestimmtes Handeln, z.B. einem Befehl zu folgen, offensichtlich auch bei individuellem Zeichengebrauch durchaus möglich sei.*24* Denn Zeichen, auch wenn sie als "willkürlich" gelten, lassen sich, so Wittgenstein, doch nicht durch beliebige andere ersetzen; sie scheinen etwas zu "sagen", was andere "an der Stelle" nicht sagen könnten, und damit hinreichend eindeutig für die Mitteilung zu sein (§ 508).*25* Auf die Frage nun, wie Mitteilungen trotz des stets individuellen Zeichengebrauchs hinreichend eindeutig sein können, antworten Kierkegaard und Wittgenstein unterschiedlich: Kierkegaard mit seinem Theorem der indirekten, doppelt reflektierten Mitteilung, Wittgenstein mit seinem Theorem geregelter Sprachspiele. Kierkegaard rechnet nicht nur mit dem individuellen Gebrauch der Zeichen, er fordert ihn in seiner philosophisch-religiösen Schriftstellerei bewußt heraus, um den Einzelnen auf seine Entscheidung als Einzelner für oder gegen den Gott-Menschen aufmerksam zu machen. Er irritiert gezielt alle Erwartungen direkter Mitteilung. Er versucht nicht, wie man es sonst von Autoren gewohnt ist, seine Individualität so weit wie möglich zurückzunehmen zugunsten der "Sache", die er "vertritt", sondern macht sich im Gegenteil so weit wie möglich als Individuum kenntlich. Dies jedoch nicht als Sören Kierkegaard, sondern in Gestalt vielfacher Pseudonyme, die er in psychologisch variierter Individualitätsverschiedenheit", hier in "Zerknirschung", dort in "Ausgelassenheit", hier in "Verzweiflung", dort in "Übermut", hier in "Leid", dort in "Jubel" sprechen läßt und für die er, wie er erklärt, keine Verantwortung übernimmt.*26* Er läßt die Pseudonyme sich auch nicht mit Abhandlungen der gewohnten Art begnügen, sondern mit Dichtungen, Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Essays, Reden und anderem hantieren und im ganzen "Ernst" und "Scherz" so mischen, daß sie für den Leser nicht mehr zu unterscheiden sind. Er inszeniert auf diese Weise eine Grundstimmung der Ironie, der Ironie im sokratischen Sinn als Verweigerung eindeutigen Wissens, die gerade dadurch Ironie ist, daß man an keiner Stelle weiß, ob es sich nun um Ironie handelt oder nicht. So hat der Leser niemanden, auf den, und nichts, auf das er sich verlassen könnte, und so muß und soll er sich ganz auf sich selbst verlassen. Dennoch, auch eine indirekte, von Individuum zu Individuum, in Zeichen, die der eine so, der andere anders verstehen kann, gegebene Mitteilung ist eine Mitteilung. Sie ist eine Mitteilung, die man auf eigene Verantwortung so oder anders versteht, und man kann sich ihrer darum nie sicher sein. Aber man kann sich ihrer doch, jedenfalls "im Verhältnis von Mensch zu Mensch",*27* bis zu einem gewissen Grad versichern. Dies geschieht, so Kierkegaard, durch "Doppel-Reflexion".*28* Diese Doppel-Reflexion ist etwa so zu verstehen: Tritt das Individuum, das zunächst "unkenntlich" ist, zur Mitteilung hinzu, macht es auch die Mitteilung "unkenntlich" - man kann, mit Wittgenstein zu sprechen, nicht wissen, was es meint, man sieht nur seine Zeichen. Im Fall des Gott-Menschen ist die Unkenntlichkeit die "größtmögliche"; aber um Unkenntlichkeit handelt es sich auch, so Kierkegaard, "z.B. wenn ein Polizeibeamter Zivil trägt."*29* Der Gott-Mensch muß unkenntlich sein, er "muß die unmittelbare Mitteilung versagen, um den Glauben zu fordern."*30* Ein gewöhnlicher Mensch kann sich, mehr oder weniger, unkenntlich machen, aus edlen oder anderen Absichten - ob er das Recht dazu hat, läßt Kierkegaard offen. Jedenfalls muß man immer damit rechnen, daß er es tut, und selbst wenn er sagt, also "direkt" mitteilt, er teile sich ohne alles Inkognito mit, kann dies immer noch Teil seines Inkognito, eines gewollten oder ungewollten sein.*31* Ein Individuum ist als Individuum unkenntlich. Andererseits aber "verdoppelt" das Individuum, das zur Mitteilung hinzutritt, die Zeichen. Ein Individuum gibt nicht nur Zeichen, wenn es sich mitteilt, es ist auch Zeichen, es teilt sich auf charakteristische Weise mit, in einem bestimmten Ton, mit einem bestimmten Gesichtsausdruck, durch eine bestimmte Wortwahl usw., und der andere, der diese Zeichen sieht, zieht daraus Schlüsse, wie er die Mitteilung aufzunehmen hat. Er "reflektiert" Inhalt und Art der Mitteilung aneinander. Dasselbe tut der andere, und beide wissen das voneinander. Jeder reflektiert die Reflexion des andern mit, ihre Reflexion ist jeweils eine Doppel-Reflexion. In dieser Doppel-Reflexion nun stellen sich die Individuen als Individuen laufend aufeinander ein und können einander so hinreichend als Individuen verstehen. Sie müssen sich auf jedes Individuum und auf jede Situation wieder anders, also individuell einstellen, aber sie können das, eben weil sie ihre Zeichen individuell gebrauchen. Und dennoch werden sie nie wissen, ob sie den andern "wirklich" verstehen; die indirekte, doppelt reflektierte Mitteilung hält Verstehen und Mißverstehen immer offen, ohne daß man zwischen ihnen immer unterscheiden könnte. Individuen können nur "glauben" und bestenfalls "versichern", den andern zu verstehen.*32* Darüberhinaus bleibt nur, auf das Handeln des andern sehen. Wittgenstein nennt im Tagebuch von 1937 die Gedanken zu "verzwickt" (TS 103), die Kierkegaard an das Paradox des Zeichens anschließt.*33* Er versucht zunächst, den religiösen Glauben als eigentümliches Sprachspiel zu fassen, als Sprachspiel zwar, das "nur mit Lebensfragen gespielt wird" (TS 91), jedoch als besonderes Sprachspiel, das man spielen kann oder nicht: "[...] lebt man anders, so spricht man anders. Mit einem neün Leben lernt man neü Sprachspiele." (TS 75) Er beschreibt das religiöse Sprachspiel so: "Man kniet & schaut nach oben & faltet die Hände & und spricht, & sagt man spricht mit Gott, man sagt Gott sieht alles was ich tü; man sagt Gott spricht zu mir in meinem Herzen; man spricht von den Augen, der Hand, dem Mund Gottes, aber nicht von andern Teilen des Körpers: Lerne daraus die Grammatik des Wortes 'Gott'!" (TS 90)*34* Die Lebensform, die sich in diesem Sprachspiel darstellt, ist dann nicht weiter zu erklären: "Ganz ähnlich, wie das Wort 'Au-weh' keine Bedeutung hat - außer als Schmerzensschrei." (TS 91) Wird der religiöse Glaube in dieser Weise als Praxis gefaßt, verschwindet das Paradox des Glaubens an den Gott-Menschen. Das Paradox, von dem Kierkegaard ausgeht, daß Christus ein Zeichen sein muß, das so und anders verstanden werden kann, löst sich auf, der Verstand wird, so Wittgenstein, nicht mehr "gereizt", wenn man statt "Glaube an Christus" "Liebe zu Christus" sagt: "Ich glaube: es ist durch das Wort 'glauben' in der Religion furchtbar viel Unheil angerichtet worden. Alle die verzwickten Gedanken über das 'Paradox', die ewige Bedeutung einer historischen Tatsache u. dergl. Sagst Du aber statt 'Glaube an Christus': 'Liebe zu Christus', so verschwindet das Paradox, d.i., die Reizung des Verstandes. Was hat die Religion mit so einem Kitzeln des Verstandes zu tun. (Auch das kann für den oder den zu seiner Religion gehören) Nicht daß man nun sagen könnte: Ja jetzt ist alles einfach - oder verständlich. Es ist gar nichts verständlich, es ist nur nicht unverständlich.-" (TS 103 f.) In den Philosophischen Untersuchungen sucht Wittgenstein das Kierkegaardsche Paradox der Zeichen auch im Blick auf das Funktionieren der Sprache überhaupt zu vermeiden. Die "Regeln" des Gebrauchs von Zeichen in "Sprachspielen", die er dort einführt, erwägt er im Tagebuch von 1937 dennoch in engem Zusammenhang mit den Fragen des religiösen Glaubens und den Anstössen, die ihm Kierkegaard dazu gegeben hat. Am 30.1.1937 notiert er: "Unser Gegenstand ist doch sublim, - wie kann er dann von gesprochenen oder geschriebenen Zeichen handeln? Nun wir reden von dem Gebrauch der Zeichen als Zeichen (& natürlich ist der Gebrauch des Zeichens nicht ein Gegenstand; der als das eigentliche & interessante dem Zeichen als seinem bloß en Vertreter gegenübersteht.) Aber was ist am Gebrauch der Zeichen Tiefes? Da erinnere ich mich, erstens, daran, daß Namen oft eine magische Rolle zugekommen ist, & und zweitens daran, daß die Probleme, die durch ein Mißdenken der Formen unserer Sprache entstehen, immer den Charakter des Profunden haben." (TS 74) Und kurz darauf, am 8.2.1937: "Die 'sublime Auffassung' zwingt mich von dem konkreten Fall wegzugehen, da, was ich sage, ja auf ihn nicht paßt. Ich begebe mich nun in eine ätherische Region, rede vom eigentlichen Zeichen, von Regeln, die es geben muß (obwohl ich nicht sagen kann wo & wie), - & und gerate 'aufs Glatteis'." (TS 77) Das "eigentliche" Zeichen ist hier offenbar (anders als im § 105 der Philosophischen Untersuchungen) das Zeichen, das jenseits des "konkreten Falls" des religiösen Glaubens in der alltäglichen Kommunikation gebraucht wird, - und von ihm, nicht von denen des religiösen Glaubens, sagt Wittgenstein, er begebe sich in eine "ätherische Region" und gerate "aufs Glatteis"! Sein Gedanke zu diesem "eigentlichen Zeichen" scheint zu sein: Es muß für seinen Gebrauch Regeln geben. Denn nur wenn Zeichen nach Regeln gebraucht werden, werden sie gleich gebraucht, nur wenn der Zeichengebrauch durch Regeln gesichert ist, ist die allgemeine Mitteilbarkeit gesichert - ohne Paradox. Doch kann, wie Wittgenstein im Tagebuch befürchtet, auch die Einführung des Regelbegriffs zu einem "Paradox" führen, dem berüchtigten Paradox der Philosophischen Untersuchungen:*36* "Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei. Die Antwort war: Ist jede mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen, dann auch zum Widerspruch. Daher gäbe es hier weder Übereinstimmung noch Widerspruch." (§ 201) Das "Mißverständnis", das der Entstehung dieses Paradoxes zugrunde liegt, besteht, so Wittgenstein, in der "Neigung, zu sagen: jedes Handeln nach einer Regel sei ein Deuten", so daß dann "Deutung hinter Deutung" gesetzt werde (ebd.). Der Regelbegriff hilft darum, schließt er daraus, nur weiter, wenn "es eine Auffassung einer Regel gibt, die nicht eine Deutung ist" (ebd.), und die Auffassung, die vorschlägt, ist dann die, daß man "dazu abgerichtet" wird, einer Regel zu folgen (§206), und ihr dann "blind" folgt (§ 219). Wenn allgemeine Mitteilbarkeit durch Regeln des Gebrauchs von Zeichen denkbar gemacht werden soll, ist zweierlei nicht sinnvoll: einerseits ein allgemeines, "direkt mitteilbares" Wissen von ihnen vorauszusetzen, das dann wiederum nur nach Regeln erworben und angewendet werden könnte, andererseits zu sagen, einer allein könne einer Regel folgen, weil dann die Regel den Sinn verlöre, für den sie eingeführt wurde. Beides läßt nach Wittgenstein jedoch unberührt, "daß dem, was wir Regel eines Sprachspiels nennen, sehr verschiedene Rollen im Spiel zukommen können" (§ 53), und daß auch, wer im Gebrauch von Zeichen einer Regel folgt, gleichwohl "jedesmal etwas Anderes" tut*38* - jedesmal andere Zeichen mit einem anderen Sinn gebraucht. Von Kierkegaard her gelesen, hat die Einführung des Regelbegriffs den Sinn, es mit der Regel genug sein zu lassen und weitere Fragen nach der Möglichkeit der (direkten oder indirekten) Mitteilung abzuschneiden. Regeln des Gebrauchs von Zeichen sind nur dann eine der Kierkegaardschen Doppel-Reflexion äquivalente Lösung des Problems der Mitteilbarkeit, wenn sie alle weiteren Erklärungen, auch die Kierkegaardsche, erübrigen.*39* So wie man sich mit dem Gebrauch von Zeichen zufriedengeben muß, muß man sich auch damit zufriedengeben, daß der Gebrauch von Zeichen geregelt sein muß - wie auch immer. Das Theorem des geregelten Sprachspiels ersetzt das Theorem der indirekten, doppelt reflektierten Mitteilung nur dann, wenn man es bei der bloß en Annahme von Regeln beläßt und nicht wieder ein Wissen von ihnen und den Kriterien ihrer Befolgung verlangt. Damit ist nicht entschieden, welches der beiden Theoreme zur Lösung des Problems der Mitteilbarkeit vorzuziehen ist, und Wittgenstein legt es mit seiner Form philosophischer Schriftstellerei ebenso wie Kierkegaard darauf an, dem Leser die Entscheidung nicht abzunehmen.*40* In jedem Fall ändert auch die Einführung des Regelbegriffs nichts daran, daß man in der Kommunikation unter Individuen beim Gebrauch von Zeichen nicht "weiß", was der andere (und man selbst) "meint", sondern "sehen" muß, wie der andere die Zeichen gebraucht, um darauf den eigenen Gebrauch einzustellen. Doch so viel wird man sagen können: Wenn Kierkegaard auf dem Boden seines unangefochtenen religiösen Glaubens zu einem neün Denken des Zeichens kam, des Zeichens als Ärgernisses, sofern es nicht für etwas schon Bekanntes steht, sondern der eine es so, der andere anders verstehen kann, so kommt Wittgenstein, nun ohne den Boden eines unangefochtenen religiösen Glaubens, zu einem neuen Vertrauen in die Zeichen, einem Vertrauen, das sich in der Annahme ausspricht, daß ihr Gebrauch geregelt ist - wie auch immer. Auch bei diesem Vertrauen handelt es sich, wie Wittgenstein zuletzt, in Über Gewißheit, notiert, um einen Glauben, einen Glauben, der eine Praxis ermöglicht. Dort heißt es zwar (§ 166): "Die Schwierigkeit ist, die Grundlosigkeit unseres Glaubens einzusehen." Und (§ 173): Es liegt nicht "in meiner Macht, was ich glaube". Doch auch (§ 174): "Ich handle mit voller Gewißheit. Aber diese Gewißheit ist meine eigene."*41* *1* Vgl. Allan Janik und Stephen Toulmin, Wittgensteins Wien (Or.ausg. New York 1973), aus dem Amer. von Reinhard Merkel, München/Wien 1984, 233, und Kurt Wuchterl und Adolf Hübner, Ludwig Wittgenstein in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1979, 30. *2* Nach Charles L. Creegan, Wittgenstein and Kierkegaard. Religion, Individuality, and Philosophical Method, London/New York 1989, 18, waren das Entweder - Oder und die Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift, vielleicht auch die Stadien auf des Lebens Weg und die Einübung im Christentum. Wittgenstein zog es jedoch vor, Kierkegaard in kurzen Stücken zu lesen (ebd.). Unzufrieden mit den Übersetzungen, lernte er, wie er Lee mitteilte, nach seiner Rückkehr nach Cambridge Dänisch, um Kierkegaard im Original lesen zu können (a.O., 17 f.). *3* Vgl. Janik/Toulmin, a.O., 30. Janik und Toulmin stellen Kierkegaards Denken als Hintergrund von Wittgensteins Tractatus ausführlich dar (215 ff.). *4* Vgl. Janik/Toulmin, a.O., 28. *5* Vgl. die kurze Forschungsübersicht von Wilhelm Baum im Nachwort zu seiner Edition der "Geheimen Tagebücher" Ludwig Wittgensteins, Wien/Berlin 1991, 184 f. Baum verweist auf Kurt Studhalter, Ethik, Religion und Lebensform bei Ludwig Wittgenstein, Innsbruck 1973 (Studien und Arbeiten der Theologischen Fakultät, Bd. 9), Donald Hudson, Wittgenstein and Religious Belief, London/Basingstoke 1975, Alan Keightley, Wittgenstein, Grammar and God, London 1976. Vgl. jedoch auch Walter Schweidler, Wittgensteins Philosophiebegriff, Freiburg/München, 1983, Janik/Toulmin, a.O., bes. 300, Peter Kampits, Ludwig Wittgenstein. Wege und Umwege seines Denkens, Graz u.a. 1985, Fergus Kerr, Theology after Wittgenstein, Oxford/New York 1986, Matthias Kroß, Klarheit als Selbstzweck. Wittgenstein über Philosophie, Religion, Ethik und Gewißheit, Berlin 1993, 101-126, Norman Malcolm, Wittgenstein: A Religious Point of View? Edited with a response by Peter Winch, Ithaca/NY 1994, und Wilhelm Vossenkuhl, Ludwig Wittgenstein, München 1995 (Beck'sche Reihe Denker), 293-301. Vossenkuhl kann in der Beziehung Wittgensteins zu Kierkegaard nur "weltanschauliche und religiöse, nicht [...] philosophische und begriffliche Zusammenhänge" erkennen (S. 328, Anm. 73). Auch Peter Winch will in seiner Antwort auf Norman Malcolm Religion und Philosophie in dieser Beziehung möglichst trennen. *6* Ludwig Wittgenstein, Geheime Tagebücher 1914 - 1916, hrsg. u. dokumentiert von Wilhelm Baum, Wien 1991 [im folgenden TB]. *7* Ludwig Wittgenstein, Denkbewegungen. Tagebücher 1930 - 1932, 1936 - 1937 (MS 183), hrsg. von Ilse Sommavilla, 2 Bde. (Teil 1: Normalisierte Fassung, Teil 2: Diplomatische Fassung), Innsbruck 1997 [im folgenden TS]. Ich werde stets die normalisierte Fassung zitieren. *8* Vgl. Ludwig Hänsel, Ludwig Wittgenstein, in: Ludwig Hänsel - Ludwig Wittgenstein. Eine Freundschaft. Briefe, Aufsätze, Kommentare, hrsg. v. Ilse Sommavilla, Anton Unterkircher und Christian Paul Berger unter Leitung von Walter Methlagl und Allan Janik, Innsbruch 1994, 245 f., und Kampits, Ludwig Wittgenstein, a.O., 168 ff. *9* Sören Kierkegaard, Der Begriff Angst, Einleitung, 11. - Die Werke Kierkegaards werden zitiert nach der Ausgabe der Gesammelten Werke, hrsg. v. Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, 36 Abteilungen in 26 Bänden, Düsseldorf/Köln 1950 - 1969 (als Taschenbücher Gütersloh 1979 ff.). *10* Auch die Wissenschaft setzt eine bestimmte Stimmung (der Nüchternheit, Kühle und Strenge) voraus, die erst eigens geschaffen werden muß. *11* Kierkegaard, Der Begriff Angst, a.O., 13. *12* Kierkegaard, Der Begriff Angst, a.O., 20. *13* Kierkegaard, Der Begriff Angst, a.O., 13. *14* Vgl. Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, a.O., 75. - Zur Interpretation von Der Begriff Angst und Die Krankheit zum Tode im ganzen vgl. vom Verf., Sören Kierkegaard: Der Begriff Angst und Die Krankheit zum Tode, in: Verf., Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie: Von Kant bis Nietzsche, unter Mitarbeit von Hartwig Frank, Stuttgart 1997, 325-366. *15* Sören Kierkegaard, Philosophische Brocken, a.O., 7. *16* Kierkegaard, Philosophische Brocken, a.O., 35 (die übrigen Zitate 35 ff.). *17* Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß, hrsg. v. Georg Henrik von Wright unter Mitarbeit von Heikki Nyman, in: Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe, Bd. 8, Frankfurt am Main 1984 (stw 508) [im folgenden VB], 445 - 572, hier bes. 488 ff. *18* Vgl. TS 84 - "Du sollst so leben, daß Du vor dem Wahnsinn bestehen kannst, wenn er kommt. Und den Wahnsinn sollst du nicht fliehen." - und TS 90: "Respekt vor dem Wahnsinn - das ist eigentlich alles, was ich sage." *19* Vgl. TS 99: "Kritisiere nicht, was Ernste Ernstes geschrieben haben, denn Du weißt nicht, was Du kritisierst. Warum sollst Du über Alles Dir eine Meinung bilden." *20* Vgl. VB 496 (ebenfalls 1937): Am Glauben, an der Erlösung festzuhalten kann "nur geschehen, wenn Du dich nicht mehr auf die Erde stützst, sondern am Himmel hängst. Dann ist alles anders und es ist 'kein Wunder', wenn Du dann kannst, was Du jetzt nicht kannst." Und später (1948): "Der ehrliche religiöse Denker ist wie ein Seiltänzer. Er geht, dem Anscheine nach, beinahe nur auf der Luft. - Sein Boden ist der schmalste, der sich denken läßt. Und doch läßt sich auf ihm wirklich gehen." (VB 554) Parallelen zu Nietzsche drängen sich auf. Vgl. dazu vom Verf., Nietzsches Kritik der Vernunft seines Lebens. Zur Deutung von Der Antichrist und Ecce homo, in: Nietzsche-Studien 21 (1992), 163-183. *21* Wittgenstein nennt Kierkegaard hier nicht. Doch er hat diese Begriffe zuvor schon (VB 525 [1946]) mit Kierkegaard verknüpft "Weisheit ist leidenschaftslos. Dagegen nennt Kierkegaard den Glauben eine Leidenschaft." *22* Einübung im Christentum, a.O., 126. Die folgenden Zitate aus 126-128. *23* Philosophische Untersuchungen, §§ 327-342. Vgl. die verwandten Untersuchungsreihen zur Frage, was beim Lesen von Zeichen geschieht, mit dem Ergebnis: "Können wir mehr sagen, als daß nach einiger Zeit dieser Laut [den es bezeichnet] automatisch kommt, wenn wir das Zeichen ansehen?" (§ 156-171), und zur Frage, ob man sich "richtig" an die Bedeutung eines Zeichens erinnern kann, mit dem Ergebnis, "daß sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt" und daß man "kein Kriterium der Richtigkeit" hat (§ 258). Auch hier bleibt es beim bloßen Gebrauch von Zeichen. *24* Vgl. den auf den § 504 folgenden § 505: "Muß ich einen Befehl verstehen, ehe ich nach ihm handeln kann? - Gewiß! sonst wüßtest du ja nicht, was du zu tun hast. - Aber vom Wissen zum Tun ist ja wieder ein Sprung! -" *25* Reichen sie nicht hin, kann man sie "durch weitere Zeichen ergänzen". Aber dadurch können sie ebensogut undeutlicher werden, gleichsam "zu stammeln" beginnen (§ 433). *26* Sören Kierkegaard, Anhang zur Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, a.O., Bd. 2, 339 ff. *27* Kierkegaard, Einübung im Christentum, a.O., 146. *28* Kierkegaard, Einübung im Christentum, a.O., 135. *29* Kierkegaard, Einübung im Christentum, a.O., 130. *30* Kierkegaard, Einübung im Christentum, a.O., 146. *31* Kierkegaard spielt das am Verhältnis zwischen zwei Liebenden durch (Einübung im Christentum, a.O., 144 f.). *32* Kierkegaard, Einübung im Christentum, a.O., 144 u. 146. *33* Er scheint dabei jedoch nicht so sehr an die Einübung im Christentum zu denken, sondern spielt auf die Entfaltung des Paradoxes in den Philosophischen Brocken und der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift an ("die ewige Bedeutung einer historischen Tatsache u. dergl."). *34* Wittgenstein fügt in Klammern hinzu: "[Ich habe irgendwo gelesen, Luther hätte geschrieben, die Theologie sei die 'Grammatik des Wortes Gottes', der heiligen Schrift.]" Die Notiz könnte helfen, die berühmte Bemerkung im § 373 der Philosophischen Untersuchungen "(Theologie als Grammatik.)" leichter als bisher verstehen zu lassen. *35* Wittgensteins Gebrauch der Wendungen 'Glauben an' und 'Glauben, daß' untersucht Dallas M. High, Language, Persons, and Belief. Studies in Wittgenstein's Philosophical Investigations and Religious Uses of Language, Oxford/New York 1967, Part II. *36* Wir können hier nicht auf die breite Diskussion eingehen, die sich daran angeschlossen hat. Wir können nur versuchen, von Kierkegaard her ein Licht darauf zu werfen. *37* Vgl. Philosophische Untersuchungen, § 31: "Man kann sich [...]denken, Einer habe das Spiel gelernt, ohne je Regeln zu lernen, oder zu formulieren." *38* Ludwig Wittgenstein, Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, hrsg. von G.E.M. Anscombe, Rush Rhees, G.H. von Wright, Werkausgabe Bd. 6, Frankfurt am Main 1984 (stw 506), 416. Vgl. Vossenkuhl, Ludwig Wittgenstein, a.O., 270. *39* Vossenkuhl, Ludwig Wittgenstein, a.O., 262 ff., macht in seiner Kritik von Kripkes Diskussion des Regelparadoxes im § 201 der Philosophischen Untersuchungen darauf aufmerksam, daß Saul Kripkes Problem, wie man einer Regel folgt, in: Wittgenstein on Rules and Private Language. An Elementary Exposition, Oxford 1982 (aus dem Engl. übers. von Helmut Pape, Frankfurt am Main 1987), nicht Wittgensteins Problem ist. Dennoch unterscheidet er dann selbst zwischen tatsächlicher und "nur scheinbarer" Regelbefolgung, die freilich wieder nicht zu überprüfen wäre: nach Vossenkuhl selbst gibt es dafür "keine weitere Instanz". Zwischen Regel und Regelanwendung dürfte es deshalb "keine Lücke" geben, weil nach Wittgenstein die Regel, um ihren Sinn zu erfüllen, gar nicht formuliert und bewußt zu sein braucht. *40* Es dürfte sich auch nicht ohne weiteres entscheiden lassen, ob es sich bei Kierkegaards Theorem der indirekten, doppelt reflektierten Mitteilung um eine Erklärung handelt, die dann unter Wittgensteins Verdikt fiele, oder um eine Beschreibung in seinem eigenen Sinn handelt. *41* Man kann von hier aus die Unbegreiflichkeit Gottes und die Unbegründbarkeit der Sprachspiele zusammenführen und auf einen religiösen Rand aller Sprachspiele, alles Sprechens schliessen (vgl. Schweidler, a.a.O., und Malcolm, a.a.O.) und so Wittgensteins Denken im ganzen, wenn man so will, "kierkegaardisieren". So weit muß man, denke ich, nicht gehen (vgl. auch Vossenkuhl, Ludwig Wittgenstein, a.O., 293). Wittgenstein selbst jedenfalls ist, indem er den religiösen Glauben als besonderes Sprachspiel beschrieb (s.o.), nicht so weit gegangen.