***************************************************************** * * Titel: Logische Untersuchungen. Dritter Teil: Gedankengefüge. Autor: Gottlob *Frege*, hrgg. von Frank *Kannetzky* (Universität Leipzig, Germany) Dateiname: 26-2-97.TXT Dateilänge: 46 KB Erschienen in: Wittgenstein Studies 2/97, Datei: 26-2-97.TXT; hrsg. von K.-O. Apel, N. Garver, B. McGuinness, P. Hacker, R. Haller, W. Lütterfelds, G. Meggle, C. Nyíri, K. Puhl, R. Raatzsch, T. Rentsch, J.G.F. Rothhaupt, J. Schulte, U. Steinvorth, P. Stekeler-Weithofer, W. Vossenkuhl, (3 1/2'' Diskette) ISSN 0943-5727. * * ***************************************************************** * * * (c) 1997 Deutsche Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. * * Alle Rechte vorbehalten / All Rights Reserved * * * * Kein Bestandteil dieser Datei darf ganz oder teilweise * * vervielfältigt, in einem Abfragesystem gespeichert, * * gesendet oder in irgendeine Sprache übersetzt werden in * * irgendeiner Form, sei es auf elektronische, mechanische, * * magnetische, optische, handschriftliche oder andere Art * * und Weise, ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung * * der DEUTSCHEN LUDWIG WITTGENSTEIN GESELLSCHAFT e.V. * * Dateien und Auszüge, die der Benutzer für * * seine privaten wissenschaftlichen Zwecke benutzt, sind * * von dieser Regelung ausgenommen. * * * * No part of this file may be reproduced, stored * * in a retrieval system, transmitted or translated into * * any other language in whole or in part, in any form or * * by any means, whether it be in electronical, mechanical, * * magnetic, optical, manual or otherwise, without prior * * written consent of the DEUTSCHE LUDWIG WITTGENSTEIN * * GESELLSCHAFT e.V. Those articles and excerpts from * * articles which the subscriber wishes to use for his own * * private academic purposes are excluded from this * * restrictions. * * * ***************************************************************** Logische Untersuchungen. Dritter Teil: Gedankengefüge. (1) Von Gottlob Frege. Erstaunlich ist es, was die Sprache leistet, indem sie mit wenigen Silben unübersehbar viele Gedanken ausdrückt, daß sie sogar für einen Gedanken, den nun zum ersten Male ein Erdbürger gefaßt hat, eine Einkleidung findet, in der ihn ein Anderer erkennen kann, dem er ganz neu ist. Dies wäre nicht möglich, wenn wir in dem Gedanken nicht Teile unterscheiden könnten, denen Satzteile entsprächen, so daß der Aufbau des Satzes als Bild gelten könnte des Aufbaues des Gedankens. Freilich sprechen wir eigentlich in einem Gleichnisse, wenn wir das Verhältnis von Ganzem und Teil auf den Gedanken übertragen. Doch liegt das Gleichnis so nahe und trifft im Ganzen so zu, daß wir das hie und da vorkommende Hinken kaum als störend empfinden. Sieht man so die Gedanken an als zusammengesetzt aus einfachen Teilen und läßt man diesen wieder einfache Satzteile entsprechen, so wird es begreiflich, daß aus wenigen Satzteilen eine große Mannigfaltigkeit von Sätzen gebildet werden kann, denen wieder eine große Mannigfaltigkeit von Gedanken entspricht. Hier liegt es nun nahe zu fragen, wie der Aufbau des Gedankens geschieht und wodurch dabei die Teile zusammengefügt werden, sodaß das Ganze etwas mehr wird, als die vereinzelten Teile. In meinem Aufsatze DIE VERNEINUNG (2) ________________________________ (1) Erster Teil: Der Gedanke. (Band I, S. 58ff.) -- Zweiter Teil: Die Verneinung. (Band I, S. 143 ff.). (2) Band I dieser Zeitschrift. S. 143 *** Seite 37 *** habe ich den Fall betrachtet, daß ein Gedanke zusammengesetzt erscheint aus einem ergänzungbedürftigen oder, wie man auch sagen kann, ungesättigten Teile, dem sprachlich das Verneinungswort entspricht, und einem Gedanken. Wir können nicht verneinen ohne etwas, was wir verneinen, und dieses ist ein Gedanke. Dadurch, daß der Gedanke den ungesättigten Teil sättigt oder, wie man auch sagen kann, den ergänzungsbedürftigen Teil ergänzt, wird der Zusammenhalt des Ganzen bewirkt. Und die Vermutung liegt nahe, daß im Logischen überhaupt die Fügung zu einem Ganzen immer dadurch geschehe, daß ein Ungesättigtes gesättigt werde. (1) Hier soll nun ein besonderer Fall solcher Fügung betrachtet werden, nämlich der, daß zwei Gedanken zu einem einzigen zusammengefügt werden. Im Gebiete der Sprache wird dem die Zusammenfügung von zwei Sätzen zu einem Ganzen entsprechen, das ebenfalls ein Satz ist. Dem Worte "Satzgefüge" der Grammatik bilde ich den Ausdruck "Gedankengefüge" nach, ohne damit sagen zu wollen, daß jedes Satzgefüge als Sinn ein Gedankengefüge habe, oder daß jedes Gedankengefüge Sinn eines Satzgefüges sei. Unter einem Gedankengefüge will ich einen Gedanken verstehen, der aus Gedanken besteht, aber nicht nur aus Gedanken. Ein Gedanke ist nämlich vollständig und gesättigt, bedarf, um bestehen zu können, keiner Ergänzung. Darum haften Gedanken nicht aneinander, wenn sie nicht durch etwas aneinander gefügt werden, was kein Gedanke ist. Wir dürfen vermuten, daß dieses Fügende ungesättigt ist. Das Gedankengefüge soll selbst ein Gedanke sein, nämlich etwas, von dem gilt: es ist entweder wahr oder falsch, ein Drittes gibt es nicht. Nicht jeder Satz, der sprachlich aus Sätzen zusammengesetzt ist, kann uns ein brauchbares Beispiel liefern; denn die Grammatik kennt Sätze, die von der Logik nicht als eigentliche Sätze anerkannt werden können, weil sie keine Gedanken ausdrücken. Das zeigen uns die Relativsätze; denn in einem von seinem Hauptsatze getrennten Relativsatze können wir nicht erkennen, was mit dem Relativpronomen bezeichnet werden soll. Wir haben in einem solchen Satze keinen Sinn, nach dessen Wahrheit wir fragen könnten, mit anderen Worten: wir haben als Sinn eines abgetrennten Relativsatzes keinen Gedanken. Wir dürfen also nicht erwarten, daß einem Satzgefüge, bestehend aus einem Hauptsatze und einem Relativsatze, als Sinn ein Gedankengefüge entspreche. ERSTE ART DER GEDANKENGEFÜGE. Sprachlich scheint der Fall am einfachsten zu sein, daß ein Hauptsatz mit einem Hauptsatze durch "und" verbunden ist. Doch ist die Sache nicht so einfach, wie sie zunächst scheint; denn in einem Behauptungssatze ist zweierlei zu unterscheiden: der ausgedrückte Gedanke und die Behauptung. Nur auf jenen kommt ________________________________ (1) Hier wie im folgenden ist immer fest im Auge zu behalten, daß dieses Sättigen, dieses Fügen kein Vorgang in der Zeit ist. *** Seite 38 *** es hier an; denn nicht Taten des Urteilens sollen verbunden werden.(1) Darum verstehe ich die mit "und" zu verbindenden Sätze so, daß sie ohne behauptende Kraft auszusprechen sind. Am leichtesten wird man die behauptende Kraft dadurch los, daß man das Ganze in eine Frage verwandelt; denn in der Frage kann man denselben Gedanken ausdrücken wie im Behauptungssatze, aber ohne Behauptung. Wenn wir zwei Sätze, von denen keiner mit behauptender Kraft ausgesprochen wird, durch "und" verbinden, so ist zu fragen, ob der Sinn des so entstehenden Ganzen ein Gedanke sei. Dann muß nicht nur jeder der beiden Teilsätze, sondern auch das Ganze einen Sinn haben, der zum Inhalte einer Frage gemacht werden kann. Wenn die Geschworenen gefragt werden "Hat der Angeklagte den Holzhaufen absichtlich in Brand gesetzt und absichtlich einen Waldbrand bewirkt?" so kommt es darauf an, ob hierin zwei Fragen liegen sollen oder eine einzige. Wenn es den Geschworenen freisteht, die den Holzhaufen betreffende Frage zu bejahen, die den Waldbrand betreffende aber zu verneinen, so haben wir zwei Fragen, von denen jede einen Gedanken enthält. Ein aus diesen beiden Gedanken zusammengefügter Gedanke ist dann nicht in Frage. Wenn aber die Geschworenen nur "ja" oder "nein" antworten dürfen, ohne das Ganze in Teilfragen zu zerlegen -- und das nehme ich hier an --, dann ist dieses Ganze eine einzige Frage, und diese ist nur dann zu bejahen, wenn der Angeklagte absichtlich sowohl den Holzhaufen in Brand gesetzt als auch den Waldbrand bewirkt hat. In jedem andern Falle ist die Frage zu verneinen. Wenn also ein Geschworener meint, der Angeklagte habe zwar den Holzhaufen absichtlich in Brand gesetzt, das Feuer habe sich dann aber ohne Absicht des Angeklagten weiter verbreitet und den Wald ergriffen, so muß er die Frage verneinen. Dann ist von den beiden Teilgedanken der Gedanke der ganzen Frage zu unterscheiden. Diese enthält außer den beiden Teilgedanken das, was sie zusammenfügt und diesem entspricht sprachlich das "und". Dieses Wort wird hier in besonderer Weise gebraucht. Es kommt hier nur in Betracht als Bindewort zwischen eigentlichen Sätzen. Eigentlich nenne ich einen Satz, welcher einen Gedanken ausdrückt. Ein Gedanke aber ist etwas, von dem gilt: wahr oder falsch, ein Drittes gibt es nicht. Das "und", von dem hier die Rede ist, soll auch nur Sätze verbinden, welche ohne behauptende Kraft ausgesprochen werden. Hiermit soll die Urteilsfällung nicht ausgeschlossen sein, aber sie soll, wenn sie vorkommt, sich auf das ganze Gedankengefüge beziehen. Wenn wir ein Gefüge der hier betrachteten ersten Art als wahr hinstellen wollen, können wir etwa die Wendung gebrauchen "es ist wahr, daß . . . und daß . . ." Ebensowenig wie Behauptungssätze soll unser "und" Fragesätze verbinden. In unserm Beispiele wird den Geschworenen nur eine einzige Frage vorgelegt. ________________________________ (1) Die Logiker verstehen, wie es scheint, unter "Urteil" oft etwas, was ich Gedanken nenne. Ich sage: man urteilt, indem man einen Gedanken als wahr anerkennt. Die Tat dieser Anerkennung nenne ich Urteil. Das Urteil wird kund gemacht durch einen mit behauptender Kraft ausgesprochenen Satz. Man kann aber einen Gedanken fassen und ausdrücken, ohne ihn als wahr anzuerkennen, d.h. ohne zu urteilen. *** Seite 39 *** Der Gedanke aber, den diese Frage zur Beurteilung stellt, ist zusammengefügt aus zwei Gedanken. Der Geschworene hat in seiner Antwort nur ein einziges Urteil abzugeben. Nun kann das freilich als eine gesuchte Überfeinheit aussehen. Ist es nicht eigentlich dasselbe, ob der Geschworene erst die Frage "Hat der Angeklagte den Holzhaufen absichtlich in Brand gesetzt?" bejaht und dann die Frage "Hat der Angeklagte absichtlich einen Waldbrand bewirkt?" bejaht, oder ob er die ganze vorgelegte Frage mit einem Schlage bejaht? Im Falle der Bejahung kann es so scheinen; der Unterschied wird deutlicher im Falle, daß die Frage verneint wird. Darum ist es nützlich, den Gedanken in einer Frage auszudrücken; denn dabei muß der Fall der Verneinung ebenso wie der der Bejahung betrachtet werden, wenn der Gedanke richtig erfaßt werden soll. Das so in seiner Gebrauchsweise genauer bestimmte "und" erscheint zwiefach ungesättigt. Es fordert zu seiner Sättigung einen Satz, der vorhergeht, und einen Satz, der folgt. Auch was dem "und" im Gebiete des Sinnes entspricht, muß zwiefach ungesättigt sein. Indem es durch Gedanken gesättigt wird, fügt er diese Gedanken zusammen.(1) Als bloßes Ding ist die Gruppe von Buchstaben "und" freilich ebensowenig ungesättigt als irgend ein anderes Ding. Im Hinblick auf seine Gebrauchsweise als Zeichen, das einen Sinn ausdrücken soll, kann man es ungesättigt nennen, indem es hier nur in der Stellung zwischen zwei Sätzen den gemeinten Sinn haben kann. Sein Zweck als Zeichen verlangt eine Ergänzung durch einen vorhergehenden und einen nachfolgenden Satz. Eigentlich kommt das Ungesättigtsein im Gebiete des Sinnes vor und wird von da aus auf das Zeichen übertragen. Wenn "A" ein eigentlicher Satz ist, der ohne behauptende Kraft und nicht als Frage ausgesprochen wird, und wenn dasselbe von "B" gilt, so ist "A und B" gleichfalls ein eigentlicher Satz und sein Sinn ist ein Gedankengefüge erster Art. Dafür sage ich auch: "A und B" drückt ein Gedankengefüge erster Art aus. Daß "B und A" denselben Sinn hat wie "A und B", sieht man ein ohne Beweis nur dadurch, daß man sich des Sinnes bewußt wird. Wir haben hier einen Fall, daß sprachlich verschiedenen Ausdrücken derselbe Sinn entspricht. Diese Abweichung des ausdrückenden Zeichens von dem ausgedrückten Gedanken ist eine unvermeidliche Folge der Verschiedenheit des in Raum und Zeit Erscheinenden von der Welt der Gedanken. (2) Schließlich mag auf einen Schluß hingewiesen werden, der hier gilt. A ist wahr; (3) B ist wahr; also ist (A und B) wahr. ________________________________ (1) Vergl. Anm. auf S. 37 (2) Ein anderer Fall dieser Art ist der, daß "A und A" denselben Sinn hat wie "A" (3) Wenn ich schreibe "A ist wahr", meine ich genauer "der in dem Satze "A" ausgedrückte Gedanke ist wahr". Ebenso in ähnlichen Fällen. *** Seite 40 *** ZWEITE ART DER GEDANKENGEFÜGE. Die Verneinung eines Gefüges erster Art eines Gedankens mit einem Gedanken ist selbst ein Gefüge derselben beiden Gedanken. Ein solches will ich Gedankengefüge zweiter Art nennen. Immer wenn ein Gefüge erster Art von zwei Gedanken falsch ist, ist das Gefüge zweiter Art dieser Gedanken wahr und umgekehrt. Ein Gefüge zweiter Art ist nur dann falsch, wenn jeder der gefügten Gedanken wahr ist. Ein Gedankengefüge zweiter Art ist immer wahr, wenn mindestens einer der gefügten Gedanken falsch ist. Hierbei ist immer vorausgesetzt, daß die Gedanken nicht der Dichtung angehören. Indem ich ein Gedankengefüge zweiter Art als wahr hinstelle, erkläre ich die gefügten Gedanken als unvereinbar. Ohne zu wissen, ob (21/20)^100 größer als 10^(21/10) sei, und ohne zu wissen, ob (21/20)^100 kleiner 10^(21/10) sei, kann ich doch erkennen, daß das Gefüge erster Art dieser beiden Gedanken falsch ist. Demnach ist das Gefüge zweiter Art dieser Gedanken wahr. Außer den gefügten Gedanken haben wir etwas, was sie fügt. Das Fügende ist auch hier zwiefach ungesättigt. Und die Fügung kommt dadurch zustande, daß die Teilgedanken das Fügende sättigen. Um ein Gedankengefüge dieser Art kurz auszudrücken, schreibe ich "Nicht [A und B]", wobei "A" und "B", die den gefügten Gedanken entsprechenden Sätze sind. In diesem Ausdrucke tritt das Fügende deutlicher hervor; es ist der Sinn dessen, was in ihm außer den Buchstaben "A" und "B" vorhanden ist. Die beiden Lücken in dem Ausdrucke "Nicht [ und ]" lassen die zwiefache Ungesättigtheit erkennen. Das Fügende ist der zwiefach ungesättigte Sinn dieses zwiefach ungesättigten Ausdrucks. Wenn wir die Lücken durch Gedankenausdrücke ausfüllen, bilden wir einen Ausdruck eines Gedankengefüges zweiter Art. Man darf aber eigentlich nicht sagen, das Gedankengefüge entstehe so; denn es ist ein Gedanke, und ein Gedanke entsteht nicht. In einem Gedankengefüge erster Art sind die beiden Gedanken vertauschbar. Dieselbe Vertauschbarkeit muß auch in der Verneinung eines Gedankengefüges erster Art, also in einem Gedankengefüge zweiter Art bestehen. Wenn also "Nicht [A und B]" ein Gedankengefüge ausdrückt, so drückt "Nicht [B und A]" dasselbe Gefüge derselben Gedanken aus. Diese Vertauschbarkeit ist hier ebensowenig wie bei den Gefügen erster Art als ein Lehrsatz aufzufassen; denn im Reiche des Sinnes besteht keine Verschiedenheit. Es ist also selbstverständlich, *** Seite 41 *** daß der Sinn des zweiten Satzgefüges wahr ist, wenn der des ersten wahr ist; denn es ist derselbe Sinn. Auch hier mag ein Schluß angeführt werden. Nicht [A und B] ist wahr; A ist wahr; also ist B falsch. DRITTE ART DER GEDANKENGEFÜGE. Das Gefüge erster Art der Verneinung eines ersten Gedankens mit der Verneinung eines zweiten Gedankens ist auch ein Gefüge des ersten Gedankens mit dem zweiten. Ich nenne es Gefüge dritter Art des ersten Gedankens mit dem zweiten. Es sei z.B. der erste Gedanke der, daß Paul lesen kann, der zweite Gedanke der, das Paul schreiben kann. Dann ist das Gefüge dritter Art dieser beiden Gedanken der Gedanke, daß Paul weder lesen noch schreiben kann. Ein Gedankengefüge der dritten Art ist nur dann wahr, wenn jeder der beiden gefügten Gedanken falsch ist. Ein Gedankengefüge der dritten Art ist falsch, wenn mindestens einer der gefügten Gedanken wahr ist. Auch in dem Gedankengefüge dritter Art sind die beiden gefügten Gedanken vertauschbar. Wenn "A" einen Gedanken ausdrückt, so soll "nicht A" die Verneinung dieses Gedankens ausdrücken. Das Entsprechende gelte von "B". Wenn dann "A" und "B" eigentliche Sätze sind, so ist der Sinn von "(nicht A) und (nicht B)", wofür ich auch schreibe "weder A, noch B", das Gefüge dritter Art der beiden durch "A" und durch "B" ausgedrückten Gedanken. Das Fügende ist hier der Sinn dessen, was außer den Buchstaben "A" und "B" in jenen Ausdrücken vorhanden ist. Die beiden Lücken in "(nicht ) und (nicht )" oder in "weder , noch " deuten die zwiefache Ungesättigtheit dieser Ausdrücke an, die der zwiefachen Ungesättigtheit des Fügenden entspricht. Indem dieses durch Gedanken gesättigt wird, kommt das Gefüge dritter Art dieser Gedanken zustande. Auch hier möge ein Schluß angeführt werden. A ist falsch; B ist falsch; also ist (weder A noch B) wahr. Die Klammer soll deutlich machen, daß ihr Inhalt das Ganze ist; dessen Sinn als wahr hingestellt wird. VIERTE ART DER GEDANKENGEFÜGE. Die Verneinung eines Gefüges dritter Art von zwei Gedanken ist gleichfalls ein Gefüge dieser beiden Gedanken. Ein solches möge Gedankengefüge *** Seite 42 *** vierter Art heißen. Das Gefüge vierter Art von zwei Gedanken ist das Gefüge zweiter Art der Verneinungen dieser Gedanken. Wenn man ein solches Gedankengefüge als wahr hinstellt, sagt man damit, daß mindestens einer der gefügten Gedanken wahr ist. Ein Gedankengefüge vierter Art ist nur dann falsch, wenn jeder der gefügten Gedanken falsch ist. Wenn wieder "A" und "B" eigentliche Sätze sind, so ist der Sinn von "nicht [(nicht A) und (nicht B)]" ein Gedankengefüge vierter Art der durch "A" und "B" ausgedrückten Gedanken. Dasselbe gilt von "nicht [weder A noch B]". Noch kürzer schreiben wir dafür "A oder B". Das in diesem Sinne genommene "oder" steht nur zwischen Sätzen, und zwar eigentlichen Sätzen. Indem ich ein solches Gedankengefüge als wahr anerkenne, schließe ich nicht aus, das beide gefügte Gedanken wahr sind. Wir haben hier das nicht ausschließende "oder". Das Fügende ist Sinn dessen, was in "A oder B" außer "A" und "B" vorkommt, also von "( oder )", wo die beiden Lücken links und rechts von "oder" die zwiefache Ungesättigtheit des Fügenden andeuten. Die durch "oder" verbundenen Sätze sind nur als Gedankenausdrücke aufzufassen, also einzeln nicht mit behauptender Kraft versehen. Dagegen kann das ganze Gedankengefüge als wahr anerkannt werden. Im sprachlichen Ausdrucke tritt das nicht deutlich hervor. Wenn behauptet wird, "5 ist kleiner als 4 oder 5 ist größer als 4", hat jeder der Teilsätze die sprachliche Form, die er auch hätte, wenn er einzeln mit behauptender Kraft ausgesprochen würde, während in der Tat nur das ganze Gefüge als wahr hingestellt werden soll. Vielleicht findet man, daß der hier angegebene Sinn des Wortes "oder" mit dem Sprachgebrauche nicht immer übereinstimmt. Hiergegen sei zunächst bemerkt, daß es bei der Festsetzung des Sinnes wissenschaftlicher Ausdrücke nicht die Aufgabe sein kann, den Sprachgebrauch des Lebens genau zu treffen; dieser ist ja meist für wissenschaftliche Zwecke ungeeignet, wo das Bedürfnis genauerer Prägung gefühlt wird. Es muß dem Naturforscher erlaubt sein, im Gebrauche des Wortes "Ohr" von dem sonst Üblichen abzuweichen. Auf dem Gebiete der Logik können mitanklingende Nebengedanken stören. Nach dem, was über den Gebrauch von "oder" gesagt worden ist, kann wahrheitsgemäß behauptet werden: "Friedrich der Große siegte bei Roßbach, oder zwei ist größer als drei." Da meint jemand: "Sonderbar! was hat der Sieg bei Roßbach mit dem Unsinn zu tun, das zwei größer als drei sei?" Das zwei größer als drei sei, ist falsch, aber kein Unsinn. Ob die Falschheit eines Gedankens leicht oder schwer einzusehn ist, macht für die Logik keinen Unterschied. Man ist gewohnt, bei Sätzen, die mit "oder" verbunden sind, anzunehmen, daß der Sinn des einen mit dem des andern etwas zu tun habe, daß zwischen ihnen irgend eine Verwandtschaft bestehe; und in einem *** Seite 43 *** gegebenen Falle wird man eine solche vielleicht auch angeben können; aber in einem andern Falle wird man eine andere haben, sodaß es unmöglich sein wird, eine Sinnverwandtschaft anzugeben, die immer mit dem "oder" verknüpft wäre und zu dem Sinne dieses Wortes gerechnet werden könnte. Aber warum fügt der Redner den zweiten Satz überhaupt an? Wenn er behaupten will, daß Friedrich der Große bei Roßbach siegte, genügte dazu der erste Satz; daß der Redner nicht sagen will, zwei sei größer als drei, ist doch anzunehmen. Wenn der Redner sich mit dem ersten Satze begnügt hätte, hätte er mit weniger Worten mehr gesagt. Wozu also dieser Aufwand von Worten? Auch diese Fragen führen nur auf Nebengedanken. Welche Absichten und Beweggründe der Redner habe, gerade dies zu sagen und jenes nicht, geht uns hier gar nichts an, sondern nur das, was er sagt. Die Gedankengefüge der vier ersten Arten haben das gemein, daß die gefügten Gedanken vertauschbar sind. Auch hier folge noch ein Schluß. (A oder B) ist wahr; A ist falsch; also ist B wahr. FÜNFTE ART DER GEDANKENGEFÜGE. Wenn wir aus der Verneinung eines Gedankens und einem zweiten Gedanken ein Gefüge der ersten Art bilden, erhalten wir ein Gefüge fünfter Art des ersten Gedankens mit dem zweiten. Wenn "A" den ersten Gedanken, "B" den zweiten Gedanken ausdrückt, ist der Sinn von "(nicht A) und B" ein solches Gedankengefüge. Ein Gefüge dieser Art ist dann und nur dann wahr, wenn der erste gefügte Gedanke falsch, der zweite aber wahr ist. So ist z.B. das durch "(nicht 3^2 = 2^3) und (2^4 = 4^2)" ausgedrückte Gedankengefüge wahr. Es ist der Gedanke, daß 3^2 nicht gleich 2^3 und 2^4 gleich 4^2 ist. Nachdem jemand erkannt hat, daß 2^4 gleich 4^2 ist, vermutet er vielleicht, daß allgemein Exponent und Basis einer Potenz vertauschbar seien. Diesen Irrtum sucht ein anderer abzuwehren, indem er sagt "2^4 ist gleich 4^2, aber 2^3 ist nicht gleich 3^2". Wenn man nun fragt, welcher Unterschied zwischen der Anfügung mit "und" und der mit "aber" bestehe, so ist zu antworten: Für das, was ich den Gedanken oder den Sinn des Satzes genannt habe, ist es ganz einerlei, ob die Wendung mit "und" oder die mit "aber" gewählt wird. Der Unterschied besteht nur in dem, was ich Beleuchtung(1) des Gedankens nenne; er gehört dem Gebiete der Logik nicht an. Das Fügende in einem Gedankengefüge fünfter Art ist zwiefach ergänzungsbedürftiger Sinn des zwiefach ergänzungsbedürftigen Ausdrucks "(nicht ) und ( )". ______________________________ (1) Vergl. meinen Aufsatz "Der Gedanke" im ersten Band dieser Zeitschrift, S. 63. *** Seite 44 *** Hier sind die gefügten Gedanken nicht vertauschbar; denn "(nicht B) und A" drückt nicht dasselbe aus wie "(nicht A) und B". Die Stelle des ersten Gedankens im Gefüge ist nicht von derselben Art wie die des zweiten Gedankens. Da ich nicht wage, ein Wort neu zu bilden, bin ich genötigt, das Wort "Stelle" in übertragener Bedeutung zu gebrauchen. Vom geschriebenen Gedankenausdrucke sprechend wird man "Stelle" in der gewöhnlichen örtlichen Bedeutung nehmen. Der Stelle im Gedankenausdrucke muß etwas im Gedanken selbst entsprechen, und ich behalte hierfür das Wort "Stelle" bei. Hier können wir nicht einfach die Gedanken ihre Stellen wech seln lassen; aber wir können an die Stelle des ersten Gedankens die Verneinung des zweiten und zugleich an die Stelle des zweiten Gedankens die Verneinung des ersten setzen. Auch das muß freilich mit einem Körnchen Salz verstanden werden; denn ein Handeln in Raum und Zeit ist nicht gemeint. So erhalten wir aus "(nicht A) und B" "(nicht (nicht B)) und (nicht A)". Da aber "nicht (nicht B)" denselben Sinn hat wie "B", haben wir "B und (nicht A)", was dasselbe ausdrückt wie "(nicht A) und B". SECHSTE ART DER GEDANKENGEFÜGE. Die Verneinung eines Gefüges fünfter Art eines Gedankens mit einem zweiten ist ein Gefüge sechster Art des ersten Gedankens mit dem zweiten. Man kann auch sagen: Das Gefüge zweiter Art der Verneinung des ersten Gedankens mit dem zweiten Gedanken ist ein Gefüge sechster Art des ersten Gedankens mit dem zweiten. Ein Gefüge fünfter Art eines ersten Gedankens mit einem zweiten ist dann und nur dann wahr, wenn der erste Gedanke falsch, der zweite Gedanke aber wahr ist. Daraus folgt, daß eine Gefüge sechster Art eines ersten Gedankens mit einem zweiten dann und nur dann falsch ist, wenn der erste Gedanke falsch, der zweite aber wahr ist. Ein solches Gedankengefüge ist also wahr, wenn der erste Gedanke wahr ist, einerlei, ob der zweite Gedanke wahr oder falsch ist. Ein solches Gedankengefüge ist auch wahr, wenn der zweite Gedanke falsch ist, einerlei, ob der erste Gedanke wahr oder falsch ist. Ohne zu wissen, ob ((21/20)^100)^2 größer als 2^2 sei, und ohne zu wissen, ob (21/20)^100 größer als 2 sei, kann ich doch erkennen, daß das Gefüge sechster Art des ersten Gedankens *** Seite 45 *** mit dem zweiten wahr ist. Die Verneinung des ersten Gedankens und der zweite Gedanke schließen einander aus. Man kann das so aussprechen: "Wenn (21/20)^100 größer als 2 ist, so ist ((21/20)^100)^2 größer als 2^2." Statt "Gedankengefüge sechster Art" sage ich auch "hypothetisches Gedankengefüge" und nenne den ersten Gedanken "Folge", den zweiten "Bedingung" im hypothetischen Gedankengefüge. Demnach ist ein hypothetisches Gedankengefüge wahr, wenn die Folge wahr ist. Auch ist ein hypothetisches Gedankengefüge wahr, wenn die Bedingung falsch ist; einerlei, ob die Folge wahr oder falsch ist. Doch muß die Folge immer ein Gedanke sein. Es seien wieder "A" und "B" eigentliche Sätze, dann haben wir in "nicht ((nicht A) und B)" den Ausdruck eines hypothetischen Gefüges, dessen Folge der Sinn (Gedankeninhalt) von "A" und dessen Bedingung der Sinn von "B" ist. Wir können dafür auch schreiben "Wenn B, so A". Freilich können hier Bedenken entstehen. Man wird vielleicht finden, daß der Sprachgebrauch hierdurch nicht getroffen sei. Demgegenüber muß immer wieder betont werden, daß es der Wissenschaft erlaubt sein muß, ihren eigenen Sprachgebrauch zu haben, daß sie sich der Sprache des Lebens nicht immer unterwerfen kann. Eben darin sehe ich die größte Schwierigkeit der Philosophie, daß sie für ihre Arbeiten ein wenig geeignetes Werkzeug vorfindet, nämlich die Sprache des Lebens, für deren Ausbildung ganz andere Bedürfnisse mitbestimmend gewesen sind, als die der Philosophie. So ist auch die Logik genötigt, aus dem, was sie vorfindet, sich erst ein brauchbares Werkzeug zurechtzufeilen. Auch für diese Arbeit findet sie zuerst nur wenig brauchbare Werkzeuge vor. Der Satz "Wenn 2 größer als 3 ist, so ist 4 eine Primzahl" wird gewiß von Vielen für unsinnig erklärt werden und doch ist er nach meiner Festsetzung wahr, weil die Bedingung falsch ist. Falsch sein ist noch nicht unsinnig sein. Ohne zu wissen, ob 10^(21/10) größer als (21/20)^100 ist, kann man erkennen, daß wenn 10^(21/10) größer als (21/20)^100 ist, (10^(21/10))^2 größer als ((21/20)^100)^2 ist, und niemand wird hierin einen Unsinn sehen. Nun ist es falsch, daß 10^(21/10) größer als (21/20)^100 sei. *** Seite 46 *** Und ebenso ist es falsch, daß (10^(21/10))^2 größer als ((21/20)^100)^2 sei. Wenn dies ebenso leicht eingesehen werden könnte, wie die Falschheit davon, daß 2 größer als 3 ist, würde das hypothetische Gedankengefüge in diesem Beispiele ebenso unsinnig erscheinen, wie in jenem. Ob die Falschheit eines Gedankens leichter oder schwerer einzusehen ist, macht für die logische Betrachtung nichts aus; denn der Unterschied ist ein psychologischer. Auch der in dem Satzgefüge "Wenn ich einen Hahn habe, der heute Eier gelegt hat, wird morgen früh der Kölner Dom einstürzen" ausgedrückte Gedanke ist wahr. "Aber Bedingung und Folge haben hier ja gar keinen innern Zusammenhang", wird vielleicht jemand sagen. Nun ich habe keinen solchen Zusammenhang in meiner Erklärung gefordert und bitte nur das unter "Wenn B so A" zu verstehen, was ich gesagt und in der Form "nicht [nicht A und B]" ausgedrückt habe. Freilich wird diese Auffassung eines hypothetischen Satzgefüges zunächst befremden. Es kommt bei meiner Erklärung nicht darauf an, den Sprachgebrauch des Lebens zu treffen, der für die Zwecke der Logik meist zu verschwommen und schwankend ist. Da drängt sich allerlei heran, z.B. das Verhältnis von Ursache und Wirkung, die Absicht, mit der ein Redender einen Satz von der Form "Wenn B, so A" ausspricht, der Grund, aus dem er seinen Inhalt für wahr hält. Der Redende gibt vielleicht Winke hinsichtlich solcher beim Hörenden etwa auftauchenden Fragen. Solche Winke gehören zum Beiwerke, das in der Sprache des Lebens den Gedanken oft umrankt. Meine Aufgabe ist es hier, durch Abscheidung des Beiwerks als logischen Kern ein Gefüge von zwei Gedanken herauszuschälen, ein Gefüge, welches ich hypothetisches Gedankengefüge genannt habe. Die Einsicht in den Bau der aus zwei Gedanken gefügten Gedanken muß die Grundlage für die Betrachtung vielfältiger gefügter Gedanken bilden. Was ich über den Ausdruck "Wenn B, so A" gesagt habe, darf nicht so verstanden werden, daß jedes Satzgefüge dieser Form ein hypothetisches Gedankengefüge ausdrücke. Wenn "A" für sich allein kein vollständiger Ausdruck eines Gedankens, also kein eigentlicher Satz ist, oder wenn "B" für sich allein kein eigentlicher Satz ist, haben wir einen andern Fall. In dem Satzgefüge "Wenn jemand ein Mörder ist, so ist er ein Verbrecher" drückt weder der Bedingungssatz, noch der Folgesatz, für sich genommen einen Gedanken aus. Ob das, was in dem aus dem Zusammenhange gelösten Satze "Er ist ein Verbrecher" ohne hinzukommenden Wink ausgedrückt wird, wahr oder falsch sei, läßt sich nicht entscheiden, weil das Wort "er" kein Eigenname ist, sondern in dem aus dem Zusammenhange gelösten Satze ohne hinzukommenden Wink nichts bezeichnet. Folglich drückt unser Nachsatz keinen Gedanken aus, ist also kein eigentlicher Satz. Dasselbe gilt von unserm Bedingungssatze; denn er *** Seite 47 *** enthält einen Bestandteil -- "jemand" --, der ebenfalls nichts bezeichnet. Trotzdem kann das Satzgefüge einen Gedanken ausdrücken. Das "jemand" und das "er" weisen aufeinander hin. Dadurch und durch das "wenn --, so --", werden die beiden Sätze so miteinander verbunden, daß sie zusammen einen Gedanken ausdrücken, während wir in einem hypothetischen Gedankengefüge drei Gedanken unterscheiden können, nämlich die Bedingung, die Folge und den aus beiden gefügten Gedanken. Nicht immer drückt also ein Satzgefüge ein Gedankengefüge aus, und es ist sehr wesentlich, die beiden Fälle zu unterscheiden, die bei einem Satzgefüge von der Form "Wenn B, so A" vorkommen. Auch hier füge ich einen Schluß an, [Wenn B, so A] ist wahr; B ist wahr; also ist A wahr. In diesem Schlusse tritt vielleicht das Eigentümliche des hypothetischen Gedankengefüges am deutlichsten hervor. Bemerkenswert ist noch folgende Schlußweise. [Wenn C, so B] ist wahr [Wenn B, so A] ist wahr; also ist [Wenn C, so A] wahr. Hier mag eine irreführende Redeweise erwähnt werden. Manche mathematische Schriftsteller drücken sich so aus, als ob man Folgerungen aus einem Gedanken ziehen könne, dessen Wahrheit noch zweifelhaft ist. Wenn man sagt "ich schließe A aus B" oder "ich folgere aus B die Wahrheit von A", so versteht man unter B eine der Prämissen oder die einzige Prämisse des Schlusses. Bevor man aber die Wahrheit eines Gedankens anerkannt hat, kann man ihn nicht als Prämisse eines Schlusses gebrauchen, kann man nichts aus ihm schließen oder folgern. Wenn man es doch zu tun vermeint, verwechselt man, wie es scheint, die Anerkennung der Wahrheit eines hypothetischen Gedankengefüges mit einem Schlusse, in dem man die Bedingung in diesem Gefüge für eine Prämisse nimmt. Nun kann ja die Anerkennung der Wahrheit des Sinnes von "Wenn C, so A" auf einem Schlusse beruhen, wie in dem oben gegebenen Beispiele und es kann dabei zweifelhaft sein, ob C wahr sei (1); aber hierbei ist der in "C" ausgedrückte Gedanke garnicht Prämisse jenes Schlusses, sondern Prämisse war der Sinn des Satzes "Wenn C, so B". Wenn der Gedankeninhalt von "C" Prämisse des Schlusses wäre, käme er im Ergebnis des Schlusses nicht vor; denn darin besteht die Wirkung des Schließens. _______________________________ (1) Genauer: ob der durch "C" ausgedrückte Gedanke wahr sei. *** Seite 48 *** Wir haben gesehen, daß man in einem Gedankengefüge fünfter Art den ersten Gedanken durch die Verneinung des zweiten und zugleich den zweiten Gedanken durch die Verneinung des ersten ersetzen kann, ohne den Sinn des Ganzen zu ändern. Da nun ein Gedankengefüge sechster Art die Verneinung eines Gedankengefüges fünfter Art ist, gilt auch von dem Gedankengefüge sechster Art dasselbe: man kann in einem hypothetischen Gefüge, ohne den Sinn zu ändern, die Bedingung durch die Verneinung der Folge und zugleich die Folge durch die Verneinung der Bedingung ersetzen. -- Übergang von MODUS PONENS zum MODUS TOLLENS --, Kontraposition. ÜBERSICHT DER SECHS GEDANKENGEFÜGE. I. A und B; II. nicht (A und B); III. (nicht A) und (nicht B); IV. nicht ((nicht A) und (nicht B)); V. (nicht A) und B VI. nicht ((nicht A) und B). Es liegt nahe hinzuzufügen A und (nicht B); aber der Sinn von "A und (nicht B)" ist derselbe wie der von "(nicht B) und A", welche eigentlichen Sätze "A" und "B" auch ein mögen. Da nun "(nicht B) und A" dieselbe Form hat, wie "(nicht A) und B", erhalten wir hierin nichts Neues, sondern nur wieder den Ausdruck eines Gedankengefüges fünfter Art, und in "nicht (A und (nicht B))" haben wir wieder den Ausdruck eines Gedankengefüges sechster Art. Unsere sechs Arten von Gedankengefügen bilden so ein abgeschlossenes Ganzes; und als Urbestandteile erscheinen hier die Gefüge erster Art und die Verneinung. Der Vorrang, den hiernach die Gefüge erster Art vor den andern zu haben scheinen, so annehmbar er dem Psychologen sein mag, ist logisch nicht gerechtfertigt; denn man kann irgendeine der sechs Arten der Gedankengefüge zugrunde legen und aus ihr mit Hilfe der Verneinung die andern ableiten, sodaß für die Logik alle sechs Arten gleichberechtigt sind. Geht man z.B. vom hypothetischen Gefüge Wenn B, so C oder Nicht ((nicht C) und B) aus und setzt für "C" "nicht A", so erhält man Wenn B, so nicht A oder Nicht (A und B), *** Seite 49 *** Durch Verneinung des Ganzen ergibt sich Nicht (wenn B, so nicht A) oder A und B. Demnach besagt Nicht (wenn B, so A) dasselbe wie A und B und es ist ein Gefüge erster Art auf ein hypothetisches Gefüge und die Verneinung zurückgeführt. Und da sich aus den Gefügen erster Art und der Verneinung die übrigen Gedankengefüge ableiten lassen, so lassen sich auch alle Gedankengefüge unserer sechs Arten aus den hypothetischen Gefügen und der Verneinung ableiten. Was von den Gefügen erster und sechster Art gesagt ist, gilt von den Gedankengefügen unserer sechs Arten überhaupt, sodaß keine dieser Arten vor der anderen etwas voraus hat. Jede von ihnen kann als Grundlage zur Ableitung der andern dienen. Die Wahl ist durch die logische Sachlage nicht bestimmt. Etwas Ähnliches haben wir in der Grundlegung der Geometrie. Es lassen sich zwei verschiedene Geometrien so aufstellen, daß einige Theoreme der ersten als Axiome der zweiten und einige Theoreme der zweiten als Axiome der ersten erscheinen. Es seien nun Fälle betrachtet, in denen nicht verschiedene Gedanken, sondern ein Gedanke mit sich selbst gefügt ist. Wenn "A" wieder ein eigentlicher Satz ist, so drückt "A und A" denselben Gedanken aus wie "A". Jenes besagt nicht mehr und nicht weniger als dieses. Demnach drückt "nicht (A und A)" dasselbe aus wie "nicht A". Ebenso drückt auch "(nicht A) und (nicht A)" dasselbe aus wie "nicht A": Folglich drückt auch "nicht [(nicht A) und (nicht A)]" dasselbe aus wie "nicht nicht A" oder wie "A". Nun drückt "nicht [(nicht A) und (nicht A)]" ein Gefüge vierter Art aus. Wir sagen dafür auch "A oder A". Mithin hat nicht nur "A und A", sondern auch "A oder A" denselben Sinn wie "A". *** Seite 50 *** Anders ist es bei dem Gefüge fünfter Art. Das durch "[(nicht A) und A]" ausgedrückte Gedankengefüge ist falsch, weil von zwei Gedanken, von denen einer die Verneinung des andern ist, immer einer falsch ist, sodaß auch ihr Gefüge erster Art falsch ist. Demnach ist das Gefüge sechster Art eines Gedankens mit sich selbst, nämlich das durch "nicht [(nicht A) und A]" ausgedrückte wahr, wenn A ein eigentlicher Satz ist. Wir können dies Gedankengefüge sprachlich wiedergeben durch "wenn A, so A", z.B. "wenn die Schneekoppe höher als der Brocken ist, so ist die Schneekoppe höher als der Brocken". In einem solchen Falle liegen die Fragen nahe: "Drückt dieser Satz einen Gedanken aus? Ist er nicht inhaltsleer? Was erfährt man denn Neues, wenn man ihn hört?" Nun, vielleicht hat man, bevor man ihn hört, diese Wahrheit überhaupt nicht gekannt und also auch nicht anerkannt. Insofern kann man doch unter Umständen etwas dadurch erfahren, was einem neu ist. Es ist doch die Wahrheit nicht zu leugnen, daß die Schneekoppe höher als der Brocken ist, wenn die Schneekoppe höher als der Brocken ist. Da nur Gedanken wahr sein können, muß dieses Satzgefüge einen Gedanken ausdrücken und dann ist auch die Verneinung dieses Gedankens ein Gedanke trotz ihrer scheinbaren Unsinnigkeit. Man muß sich nur immer gegenwärtig halten, daß man einen Gedanken ausdrücken kann, ohne ihn zu behaupten. Hier handelt es sich nur um den Gedanken. Der Schein der Unsinnigkeit kommt nur hinzu durch die behauptende Kraft, mit der man unwillkürlich den Satz ausgesprochen denkt. Aber wer sagt denn, daß jemand, der ihn ohne behauptende Kraft ausspricht, dieses tut, um seinen Inhalt als wahr hinzustellen? Vielleicht tut er es gerade in der umgekehrten Absicht. Dieses läßt sich verallgemeinern. Es sei "O" ein Satz, in dem ein besonderer Fall eines logischen Gesetzes ausgedrückt aber nicht als wahr hingestellt wird. Dann erscheint "nicht O" leicht als unsinnig, aber nur dadurch, daß man es mit behauptender Kraft ausgesprochen denkt. Das Behaupten eines Gedankens, der einem logischen Gesetze widerspricht, kann in der Tat, wenn nicht unsinnig, so doch widersinnig erscheinen, weil die Wahrheit eines logischen Gesetzes unmittelbar aus ihm selbst, aus dem Sinne seines Ausdrucks einleuchtet. Ausgedrückt aber darf ein Gedanke werden, der einem logischen Gesetze widerspricht, weil er verneint werden darf. "O" selbst aber scheint fast inhaltslos zu sein. Da jedes Gedankengefüge selbst ein Gedanke ist, kann es mit andern Gedanken gefügt sein. So ist das Gefüge, das durch "(A und B) und C" ausgedrückt wird, gefügt aus den Gedanken, die durch "A und B" und durch "C" ausgedrückt werden. Wir können es aber auch auffassen als gefügt aus den durch *** Seite 51 *** "A", "B", "C" ausgedrückten Gedanken. So können Gedankengefüge entstehen (1), die drei Gedanken enthalten. Andere Beispiele von Gefügen aus drei Gedanken sind in "nicht [(nicht A) und (B und C)]" und "nicht [(nicht A) und ((nicht B) und (nicht C))]" ausgedrückt. So wird man auch Beispiele von Gedankengefügen finden können, die vier, fünf oder mehr Gedanken enthalten. Zur Bildung aller dieser Gefüge reichen Gedankengefüge erster Art und die Verneinung hin, wobei statt der ersten Art auch irgend eine andere unserer sechs Arten gewählt werden kann. Nun drängt sich die Frage auf, ob jedes Gedankengefüge eine solche Bildung hat. Was die Mathematik anbetrifft, bin ich überzeugt, daß in ihr Gedankengefüge anderer Bildung nicht vorkommen. Auch in der Physik, Chemie und Astronomie wird es schwerlich anders sein; aber die Finalsätze mahnen zur Vorsicht und scheinen eine genauere Untersuchung zu fordern. Diese Frage will ich hier unentschieden lassen. Immerhin scheinen Gedankengefüge, die so aus Gefügen erster Art mittels der Verneinung gebildet sind, einer besonderen Benennung wert. Sie mögen mathematische Gedankengefüge heißen. Damit soll nicht gesagt sein, daß es andere Gedankengefüge gebe. Noch in anderer Hinsicht erscheinen die mathematischen Gedankengefüge als zusammengehörig. Ersetzt man nämlich in einem solchen einen wahren Gedanken durch einen wahren Gedanken, so ist das so gebildete Gedankengefüge wahr oder falsch, jenachdem das ursprüngliche Gefüge wahr oder falsch ist. Dasselbe gilt, wenn man in einem mathematischen Gedankengefüge einen falschen Gedanken durch einen falschen ersetzt. Ich will nun sagen, zwei Gedanken haben denselben Wahrheitswert, wenn sie entweder beide wahr oder beide falsch sind. Danach sage ich, daß der durch "A" ausgedrückte Gedanke denselben Wahrheitswert habe, wie der durch "B" ausgedrückte, wenn entweder "A und B" oder "(nicht A) und (nicht B)" einen wahren Gedanken ausdrückt. Nachdem dies festgesetzt ist, kann unser Satz so ausgesprochen werden: "Wird in einem mathematischen Gedankengefüge ein Gedanke durch einen Gedanken von demselben Wahrheitswerte ersetzt, so hat das so gewonnene Gedankengefüge denselben Wahrheitswert wie das ursprüngliche." _____________________________ (1) Dieses Entstehen ist nicht als zeitlicher Vorgang aufzufassen.