RELIGION und STAAT

in der Philosophie G. W. F. Hegels

 

 

 

 

 

 

D I P L O M A R B E I T

 

 

zur Erlangung des Magistergrades der

Philosophie

an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften

der Universität Wien

 

 

 

 

 

 

eingereicht von

Leonhard Weiss

 

Wien, (März, 2004)


 

 

Für

Andrea

und

meinen Vater

 

 

 

Ein herzliches Dankeschön

sei an dieser Stelle Frau Univ.-Prof. Dr. Herta Nagl-Docekal

für die Betreuung der vorliegenden Arbeit ausgesprochen.


 

 

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht

garantieren kann.“[1]

Ernst-Wolfgang Böckenförde

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorwort.. 6

I. Staat und Staatlichkeit.. 11

I.I. Hegels Begriff des Staates. 11

I.I.I. Die emotionale Einheit der Familie. 12

I.I.II. Die Subjektivität der bürgerlichen Gesellschaft 14

I.II. Staat und Freiheit 17

I.III. Der Staat als Antwort auf das „Problem der Moderne“. 26

I.III.I. Die Stände als Vertretung der besonderen Interessen. 28

I.III.II. Das letzte „Ich will“ des Fürsten. 29

I.IV. Gesinnung, Gewissen und Patriotismus. 31

I.IV.I. Ein Grundgefühl der Ordnung. 31

I.IV.II. Das moralische Gewissen. 32

I.IV.III. Die politische Gesinnung. 35

II. Hegels Begriff der Religion.. 40

II.I. Vorbemerkungen. 40

II.II. Hegels Ablehnung eines nichterkennbaren Gottes. 41

II.III. „Begriff“ und „Form“ der Religion. 43

II.IV. Kultus und Gemeinde - das Bewusstsein der Versöhnung. 50

III. Das „systematische“ Verhältnis von Staat und Religion.. 56

III.I. Der objektive Geist als „Weg“ zum absoluten. 56

III.II. Der Volksgeist 58

III.III. Der absolute Geist „über“ dem objektiven. 62

IV. Das „praktische“ Verhältnis von Religion und Staat.. 65

IV.I. Die Religion als „Grundlage“ des Staates?. 66

IV. II. Die Bedeutung religiöser „Gesetze“. 73

IV.III. Endlichkeit und Unendlichkeit - ein „Exkurs“ zur Logik. 77

IV.IV. Selbsterkenntnis des Menschen in Gott 82

IV.V. Die differenten Formen von Religion und Staat 89

IV.III.I. Fanatismus. 91

IV.III.II. Frömmigkeit als Weltabgewandtheit 96

IV.VI. Die politische Kraft des Christentums. 100

IV.VI.I. Die absolute Religion als die selbstreflexive Religion. 100

IV.VI.II. Die Religion der Freiheit 105

IV.VI.III. Protestantismus und moderner Staat 107

IV.VII. Staat und Kirche - Religionsfreiheit 112

V. Zusammenfassung und Kritik.. 117

V.I. Gegensätzliche Ansprüche und Relativierungen. 117

V.II. Kein Staat ohne Menschenbild?. 124

V.III. Die Bedeutung der Identifikation. 132

V.IV. Konsequenzen aus Hegels Überlegungen?. 138

V.V. Eine andere „Grundlage“ des Staates?. 143

VI. Anhang.. 147

VI.I. Siglen der zitierten Schriften Hegels. 147

VI.II. Zitierte Werke anderer Autoren. 149

VI.III. Lebenslauf 152

 


Vorwort

Noch vor einigen Jahren wäre eine philosophische Arbeit zum Verhältnis von Religion und Staat möglicherweise in den Bereich abgehobener Theorie ohne viel gesellschaftspolitischer Relevanz einzuordnen gewesen. Zurzeit sieht dies meines Erachtens allerdings ein wenig anders aus. Zu nennen sind in diesem Kontext vor allem zwei politische Ereignisse bzw. Entwicklungen, welche die neue Aktualität der in dieser Arbeit behandelten Frage aufzeigen.

Im Laufe der vergangenen Monate ist in Europa, im Zuge der Debatte um die neue europäische Verfassung, ein Thema gesellschaftspolitisch virulent geworden, welches zuvor jahrelang als nicht mehr diskussionswürdig bzw. als überholt betrachtet wurde. Zentral handelt es sich dabei um die Frage, ob die Verfassung eines Staates (in diesem Fall einer Staatengemeinschaft, der Europäischen Union) eine Begründung in einem gemeinsamen Wertekonsens oder sogar in einer Religion benötigt. (Eine ähnliche Debatte gibt es derzeit in kleinerem Rahmen auch auf österreichischer Ebene.)

Beobachtet man die Diskussionen über eine eventuelle Erwähnung der Termini „religiöse Wurzeln“, „Christentum“ oder „Gott“ in einer Verfassungspräambel, so fallen einem die oft überraschenden Frontlinien innerhalb dieses Disputs auf. Während die katholische Kirche grosso modo für eine Nennung Gottes in der Verfassung auftritt, lehnen etwa die österreichischen evangelischen Kirchen genau dies ab[2]. Und während die stark katholisch geprägten Staaten Polen und Italien entschiedene Befürworter eines Gottes- bzw. Religionsbezuges sind, gehört das „laizistische“ Frankreich diesbezüglich zu deren striktesten Gegnern. Diese Gegenüberstellung ist insofern interessant, als sich hier die kulturellen Traditionen der einzelnen Länder als stärker zu erweisen scheinen als die parteipolitischen Bindungen der Regierungen. Hat Frankreich doch zurzeit einen konservativen Premierminister, Polen hingegen einen sozialdemokratischen.

Vergessen werden darf an dieser Stelle jedoch keineswegs, dass die aktuelle Debatte um die Bedeutung des Religiösen in der Verfassung eigentlich zwei differente Fragestellungen vereint. Denn während die Forderung nach einem „Religionsbezug“, also nach einer Erwähnung der religiösen Wurzeln eines politischen Systems, primär nur der - vermeintlichen oder wahren - historischen Herkunft der Verfassung Tribut zollen möchte, hat etwa ein in der Verfassung kodifizierter Verweis auf die Verantwortlichkeit gegenüber „Gott“ meines Erachtens einen entscheidend größeren normativen Gehalt, da ein solcher Verweis nur unter der Voraussetzung Sinn macht, dass die Bürger des Staates in ihrer Mehrzahl als religiös bezeichnet werden können. Auf die durchaus problematischen Konsequenzen eines „Gottesbezuges“ werde ich im Laufe der vorliegenden Arbeit nochmals zurückkommen.

 

Brisant wurde die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Staat zweifellos auch durch die Ereignisse bzw. Folgen des 11. September 2001. Zeigte sich doch bei den Anschlägen auf New York und Washington, in welch schrecklicher Weise „Religion“ - in den Handlungen religiöser Fundamentalisten - „praktisch“ werden kann. Wobei zugleich natürlich auch die Frage zu stellen ist, wieweit die Terroristen von 9/11 tatsächlich religiös motiviert waren, oder ob Religion dabei nur Mittel im Dienste anderer - politischer oder ökonomischer - Zwecke war. Für mich selbst noch deutlicher zeigte sich die Aktualität der Frage nach der Relation von Religion und Weltanschauung einerseits und politischem System anderseits aber im Laufe der „Konsequenzen“, die den Terroranschlägen folgten - im Zuge der internationalen Debatte um einen Militärschlag gegen den Irak und den Möglichkeiten, im Irak (wie zuvor in Afghanistan) ein diktatorisches Regime durch ein demokratisches zu ersetzen. Stand damit doch auch die entscheidende Frage im Raum, wieweit die Herrschaftsform eines Landes von außen bestimmt werden kann bzw. ob einer Gesellschaft Demokratie „verordnet“ werden kann. Und damit sind wir bereits bei dem für Hegel so entscheidenden Verhältnis von Staat und „Gesinnung“, „Religion“ oder „Menschenbild“. Ist hier doch zu fragen, ob politische Systeme nicht auch von den in einem Land dominierenden Weltanschauungen abhängig sind, d. h. ob ein Verfassungswechsel nicht von einer Gesellschaft selbst erreicht werden muss. Virulent wird dabei auch die Frage, ob es eine für alle historischen, geografischen und kulturellen Umstände gleichermaßen geeignete Herrschaftsform gibt. Oder müssen politische Systeme der weltanschaulichen und religiösen Überzeugung der jeweiligen Gesellschaft angemessen sein? Und wenn ja, in welcher Form kann es eine „Übereinstimmung“ von religiösen und politischen Überzeugungen geben? Sind Religionen die legitimierende Basis eines staatlichen Systems? Oder sind sie eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit? Braucht der demokratische Staat als ideelles Fundament die „Gesinnung“ seiner Mitglieder? Oder lebt der moderne Staat gerade von der Neutralität gegenüber allen individuellen Überzeugungen?

All dies sind meines Erachtens durchaus spannende Fragen, deren politische Relevanz auch in der (Post-)Moderne nicht zu umgehen ist.

 

Warum aber gerade Hegel? Warum widme ich mich nicht den Erörterungen anderer Denker zum Verhältnis von Religion und Staat? Alternativen gäbe es ohne Zweifel viele. Von Platon über Thomas von Aquin, Hobbes, Montesquieu, Rousseau, Kant bis zu Marx oder anderen. Was die Hegel’schen Ausführungen meines Erachtens so interessant macht, ist ihr Vielklang. Finden wir bei Hegel doch Aussagen wie „Im allgemeinen ist die Religion und die Grundlage des Staates eins und dasselbe“[3], und „Die Vorstellung von Gott macht die allgemeine Grundlage eines Volkes aus“[4], ebenso wie die Feststellung „Die Religion als solche darf nicht das Regierende sein“[5]. Hegel pocht einerseits auf die Trennung von Kirche und Staat und vermeint anderseits, letztlich nur im Protestantismus eine Sicherung des modernen, freien Staates zu finden. Im Laufe dieser Arbeit möchte ich versuchen, diese vielfältigen Überlegungen zu rekonstruieren und in einen Zusammenhang zu bringen.

 

Inhaltlich und formal ist die vorliegende Arbeit in fünf Teile gegliedert. Im ersten und zweiten Abschnitt versuche ich, Hegels Verständnis der Begriffe „Staat“ und „Religion“ zu verdeutlichen und, wo notwendig, vom üblichen Sprachgebrauch zu unterscheiden. Anhand einiger wesentlicher Punkte soll dabei gezeigt werden, was, und in welcher Form, für Hegel in die Bereiche „Staat“ bzw. „Religion“ fällt.

Im Anschluss widme ich mich dann den Hegel’schen Überlegungen zum Verhältnis der beiden Gesellschaftsbereiche. Wobei am Beginn, im dritten Abschnitt der Arbeit, eine Rekonstruktion der Positionen von „Staat“ und „Religion“ innerhalb des von Hegel entwickelten philosophischen Systems steht. Wie sich dabei zeigt, hat dieses „systematische Verhältnis“ auch Auswirkungen auf das „praktische Verhältnis“ von Religion und Staat, dem ich mich im folgenden Abschnitt zuwende, und das insofern den Kern dieser Arbeit ausmacht, als es demonstriert, in welcher Form die Religion von Hegel als „Grundlage des Staates“ gedacht wird. Hier finden sich möglicherweise auch Gedanken Hegels, die als Basis für eventuelle Antwortversuche auf die oben behandelten aktuellen Fragen nach der Begründung eines Staates in religiösen Werten genützt werden könnten.

Den fünften und letzten Teil meiner Arbeit bildet ein Versuch, die Hegel’schen Thesen einer kritischen zeitgenössischen Relektüre zu unterziehen. Dabei möchte ich zum einen die vielfältigen Überlegungen Hegels aneinander messen und dadurch eventuelle Bruchstellen und Schwächen aufzeigen, zum anderen der Frage nachgehen, ob die Hegel’schen Konzepte auch heute noch Gültigkeit haben, und in welcher Form sie eventuell Antworten auf die Fragen des beginnenden 21. Jahrhunderts sein können. Dieser fünfte Abschnitt wird daher sowohl eine Zusammenfassung der vorhergehenden Teile als auch eine versuchte Weiterentwicklung derselben sein.

 

Vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit muss an dieser Stelle noch eine inhaltliche Einschränkung vorgenommen werden; entspricht der Inhalt der Arbeit doch nicht ganz dem Umfang des im Titel aufgeführten Themengebiets. Denn behandeln werde ich in der Folge nicht alle Hegel’schen Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Staat, sondern im Wesentlichen nur die Ausführungen des „reifen Hegel“, d. h. diejenigen Texte, die Hegel im Laufe der letzten rund 13 Jahre seines Lebens verfasst hat bzw. die auf Mitschriften Hegel’scher Vorlesungen aus dieser Zeit basieren. Konkret sind dies die „Grundlinien der Philosophie des Rechts“[6], die „Wissenschaft der Logik“[7] und die „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“[8] sowie die zum Teil erst nach Hegels Tod veröffentlichten Mitschriften der Vorlesungen über Religionsphilosophie, Geschichtsphilosophie, Rechtsphilosophie und Philosophiegeschichte. Nicht berücksichtigen werde ich in meiner Arbeit hingegen die zahlreichen Texte über religiöse und politische Fragen, die Hegel in früheren Jahren verfasst hat. Dies, obwohl meines Erachtens auch in diesen Schriften viel Interessantes zu finden ist;  manche - zum Teil sehr von Rousseau beeinflusste - Überlegungen des jungen Hegels sind sogar spannende Relativierungen bzw. vorweggenommene Kritiken späterer Konzepte. Trotzdem werde ich mich - vor allem um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen - im Großen und Ganzen auf eine Auseinandersetzung mit den oben genannten Schriften beschränken.


I. Staat und Staatlichkeit

I.I. Hegels Begriff des Staates

Im Folgenden werde ich versuchen, einige wesentliche Elemente und Voraussetzungen des Hegel’schen Staatsbegriffs zu explizieren, und möchte dazu anfangs auf einen Paragrafen der EPW zurückgreifen, anhand dessen ich eine vorläufige Erläuterung darlegen werde, um im Anschluss daran auf besondere Problem- und Fragestellungen in Bezug auf Hegels Staatsbegriff einzugehen.

In der EPW beginnt Hegel seine Erklärung des Begriffes des Staates mit den Worten:

„Der Staat ist die selbstbewußte sittliche Substanz, - die Vereinigung des Prinzips der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft.“[9]

Im ersten Schritt der Auslegung dieses Satzes werde ich die Bedeutung des Ausdrucks „sittliche Substanz“ untersuchen. Um den Begriff der „Sitte“ fassen zu können, müssen wir anfangs eine negative Abgrenzung vornehmen. Sitte steht bei Hegel, anders als im alltäglichen Sprachgebrauch, in erster Linie nicht für eine traditionale Lebensweise bzw. -regel. Eher ist „Sittlichkeit“ als eine Form der Beziehung zwischen Individuen einerseits und Traditionen, Gebräuchen und Gesetzen andererseits zu verstehen[10]. Mit dem Konzept der Sittlichkeit vereint Hegel sowohl die Idee eines objektiven Guten als auch den Gedanken des Guten als Inhalt des subjektiven Gewissens. Dies bedeutet, dass Hegel Sittlichkeit nicht primär als von außen vorgegebene Ordnung versteht, wodurch der Begriff „sittlich“ sich nicht auf ein naturrechtlich zu deutendes Sittengesetz bezieht, und auch der Staat, als „sittliche Substanz“, in der Hegel’schen Philosophie nicht als „Ausdruck und Werkzeug einer der Welt von Natur innewohnenden oder von Gott eingestifteten Ordnung, die dem Menschen von außen vorgegeben und zur Vollbringung aufgegeben wäre“[11], zu interpretieren ist. Vielmehr steht „Sittlichkeit“, wie es in § 142 der GPR heißt, für „die Idee der Freiheit“[12]. Sittlichkeit ist also im Sinne des Hegel’schen Konzepts der Idee[13] als Einheit von Begriff und Wirklichkeit von Freiheit zu betrachten. Liest man die Hegel’schen Texte in diesem Sinne, so sind die Sphären der Sittlichkeit (Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat) unterschiedliche Weisen des Verhältnisses von Freiheitsbegriff und -wirklichkeit. Auf die besondere Realisation des Freiheitsbegriffs im Staat wird an späterer Stelle noch zurückzukommen sein. Entscheidend ist, an dieser Stelle festzuhalten, dass „Sittlichkeit“ bei Hegel immer schon ein zweidimensionales Phänomen bezeichnet: Unter „Sittlichkeit“ sind sowohl Formen des sozialen Umgangs zu subsumieren als auch die Vorstellungen, die sich die diesen Umgang pflegenden Individuen von der Strukturierung des sozialen Zusammenhangs machen.

Zur Klärung des Adjektivs „selbstbewußt“ sei hier auf den § 257 der GPR verwiesen. Dort beschreibt Hegel den Staat als den sich selbst deutlichen, substanziellen Geist, „der sich denkt und weiß“[14]. Um diese Beschreibung allerdings verstehen zu können, scheint mir eine Abgrenzung des Staates von den von Hegel ebenfalls im besprochenen Paragrafen der Enzyklopädie genannten, weiteren (früheren) Formen der Sittlichkeit - Familie und bürgerliche Gesellschaft - notwendig.

I.I.I. Die emotionale Einheit der Familie

Familie erläutert Hegel als „unmittelbare Substantialität“[15] und als eine die Liebe zu ihrer Bestimmung habende Gemeinschaft. Die Familie ist demzufolge wesentlich durch die emotional verfasste Einheit ihrer Mitglieder definiert. Interessant ist allerdings, dass Hegel mehrfach betont, dass sich die Ehe nicht im gefühlten Wunsch nach Vereinigung erschöpft, sondern dass sie vielmehr durch die öffentliche Übereinstimmung im Vertrag, durch „das Zeichen, die Sprache, als das geistigste Dasein des Geistigen, als sittlich konstituiert“[16] sei. Auch der Ehe, der Form der gefühlten Einheit, muss demzufolge bereits das Element der geistigen, vernünftigen Zustimmung innewohnen[17]. Für Christoph Jermann fasst Hegel die Ehe „nicht als die äußerliche Relation zweier Personen, sondern als deren wesentliche Einheit, rechtlich gesehen also im Sinne einer einzigen, neuen Person“[18], zusammen. Obwohl Hegel die Ehe als „an sich unauflöslich“[19] bezeichnet, gehört die „Auflösung“ zum Begriff der Familie wiederum wesentlich dazu. Diese Auflösung erfolgt in der Erziehung der Kinder zu freien Persönlichkeiten. Zugleich ist die Erziehung der Kinder für Hegel die Vollendung der in der Ehe erreichten Einheit, da diese in den Kindern „Gegenständlichkeit“[20] erlangt, während die substanzielle Vereinigung in der Ehe nur in den Sphären von „Innigkeit“ und „Gesinnung“[21] besteht.

Durch das Selbstständigwerden der Kinder kommt es auf natürliche Weise zur Destruktion der ursprünglichen, gefühlten Einheit der Familie. Durch die neuen, von den Kindern gegründeten Familien entsteht ein Verhältnis konkreter Personen[22], die sich „äußerlich zueinander verhalten“[23].

Hegel geht in der Anmerkung zu § 158 der GPR auf das Bewusstsein der Identität innerhalb der Ehe ein und stellt es der politischen Einheit gegenüber. Während in der Liebe die Empfindung, das Natürliche, vereint, leisten im Staat die Gesetze diese Aufgabe - aber auf einer wesentlich anderen Ebene, da die Inhalte der Gesetze vernünftig gewusst sein müssen. Wir kommen damit nochmals zu einem sehr wesentlichen Teil des oben zitierten Paragrafen, dem zufolge der Staat die selbstbewusste sittliche Substanz ist. Wie Hegel sowohl in den GPR als auch der EPW schreibt, realisiert sich dieses Selbstbewusstsein in der Verfassung eines Staates. In der EPW heißt es, „Sie [die Verfassung] enthält die Bestimmungen, auf welche Weise der vernünftige Wille, insofern er in den Individuen nur an sich der allgemeine ist, teils zum Bewußtsein und Verständnis seiner selbst komme [...]“[24]. Die Aufgabe der Verfassung, erläutert Hegel in § 540, liegt in der Garantie der Vernünftigkeit der Gesetze und der Rechtssicherheit. Die Verfassung muss, um vom einzelnen, vernünftigen Willen anerkannt werden zu können, dessen an sich selbst und an die Allgemeinheit, an der er partizipiert, gelegten Maßstäbe der Vernunft sichern. Zugleich leistet die Verfassung als Gesetztes den Schutz des vernünftigen Willens vor der „zufälligen Subjektivität“ und ist als Wirklichkeit der Freiheit „existierende
Gerechtigkeit“[25]. 

I.I.II. Die Subjektivität der bürgerlichen Gesellschaft

Es gehört, wie Jürgen Habermas betont, zu Hegels Verdiensten, als Erster eine „der modernen Gesellschaft angemessene Begrifflichkeit auch terminologisch“ darin zum Ausdruck zu bringen, „daß er die politische Sphäre des Staates von der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ trennt“[26]. Mit dem Konzept der bürgerlichen Gesellschaft versucht Hegel, eine Welt, die moderne Welt, die mit den traditionellen Begriffen der politischen Philosophie nicht mehr zu fassen ist, auf den Punkt zu bringen. Durch die Trennung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft gelingt Hegel, wie Christoph Jermann schreibt, eine zweifache Abgrenzung, denn das Hegel’sche Konzept sieht nicht nur eine unabhängige Gesellschaft vor, sondern negiert auch alle Staatsmodelle, die dem Ideal der bürgerlichen Gesellschaft nachempfunden wurden[27]. Bekanntlich nennt Hegel in den GPR einen auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft stehenden Staat „Not- und Verstandesstaat“[28]. Ein solcher „Staat“ bildet ein System allseitiger Abhängigkeit und gründet in den selbstsüchtigen Zwecken der Einzelnen[29].

Die bürgerliche Gesellschaft bildet in der Hegel’schen Philosophie innerhalb des Bereichs des objektiven Geistes die Sphäre der Besonderheit[30]. Am prägnantesten wird das Neue der bürgerlichen Gesellschaft von Hegel in einem Zusatz zum § 182 der GPR zusammengefasst: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck, alles andere ist ihm nichts.“[31] Egoistische Bedürfnisbefriedigung ist demzufolge das Kennzeichen dieses Bereichs der Sittlichkeit, der jedoch, wie Hegel in Anlehnung an die klassische Nationalökonomie[32] darlegt, gerade durch das Hervortreten der Partikularität ihrer Mitglieder zu einer neuen Form der Allgemeinheit führt. Worauf Hegel dabei abzielt, ist das in der ökonomisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft entstehende „System allseitiger Abhängigkeit“[33]. Jeder der alleine auf seinen Vorteil bedachten Akteure tritt notwendigerweise in Interaktion mit anderen, ebenso egoistisch orientierten Personen. Aber nicht nur das. Der Einzelne benötigt die Allgemeinheit gerade. Hegel nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel der Bezahlung von Abgaben, mit deren Hilfe der Staat erst in der Lage ist, die - modern gesprochen - Rahmenbedingungen für die Erfüllung der besonderen Interessen zu schaffen. Die in der bürgerlichen Gesellschaft erreichte Allgemeinheit ist aber deutlich von der im Staat erzielten zu differenzieren, da sie nur Notwendigkeit, nicht aber Freiheit ist[34]. Wir können an dieser Stelle daher festhalten, dass die staatliche Allgemeinheit eine in Freiheit gewählte sein muss.

Hegel versucht, die explosiven Kräfte der Entwicklung der selbstständigen Besonderheit in der bürgerlichen Gesellschaft[35] durch die Institutionen der Stände, durch Korporationen aufzufangen. In der Korporation wird die bewusstlose Notwendigkeit der Allgemeinheit innerhalb des Systems der Bedürfnisse zur gewussten und denkenden Sittlichkeit[36]. In der Korporation wird der reine Eigennutz beiseite gelassen, um auch den Standesgenossen zu unterstützen, dabei verliert, wie es Hegel nennt, die Hilfe, welche die Armut empfängt, ihr Zufälliges[37]. Es gehört zu den überraschenden Wendungen der Hegel’schen Rechtsphilosophie, dass gerade im Bereich der egoistisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft wieder Elemente der, Hegels systematischem Anspruch nach, bereits aufgehobenen Moralität erscheinen. Das durch die volle Entfaltung des Bewusstseins seiner eigenen Besonderheit gekennzeichnete Individuum muss, wie Ludwig Siep schreibt, aus seiner sittlichen Gesinnung heraus, in einer freien und bewussten Wahl seines Standes und durch die Übernahme der entsprechenden Pflichten, die Vereinigung von freier Selbstverwirklichung und Befolgung objektiv notwendiger Regeln anstreben[38].

 

Ich möchte damit die bisher erreichte Erläuterung des § 535 der EPW zusammenfassen und abschließen, um mich dann einzelnen Problemkreisen des Hegel’schen Staatsbegriffs zu widmen. Der Staat wäre demzufolge eine Einheit von Individuen, die aber, anders als in der Familie, nicht nur durch ein Gefühl des Zusammengehörens, sondern durch ein Bewusstsein der Sicherung der eigenen Freiheit und der in der bürgerlichen Gesellschaft manifest gewordenen Besonderheit erreicht wird. Im Staat bleibt diese Besonderheit aber nicht letzter Zweck, da die Gesinnung und Tätigkeit der Einzelnen zum Teil der allgemeinen Substanz werden[39]. Wie Hegel diese neue Form der Allgemeinheit zu fassen versucht und wie ihr Verhältnis zur Einzelheit des modernen Individuums zu denken ist, soll in den nächsten Abschnitten dieser Arbeit behandelt werden.

 


I.II. Staat und Freiheit

In einem Zusatz zu § 153 der GPR bringt Hegel eine Auseinandersetzung mit dem rousseauschen Erziehungskonzept. Schlusspunkt der Kritik an Versuchen, junge Menschen in der Abgeschiedenheit des Landes, unter Ausschluss des „Lebens der Gegenwart“ zu erziehen, ist Hegels Feststellung, dass das Individuum erst als Bürger eines guten Staates zu seinem Recht komme[40]. Was am Staat ist es aber, das dem Individuum dies erlaubt?

Deutlich ist, dass Hegel den Staat nicht als eine dem Einzelnen gegenüberstehende Institution des Zwangs und der Freiheitsbeschränkung denkt. Vielmehr kommt im Staat „die Freiheit zu ihrem höchsten Recht“[41]. Diese Freiheit ist aber für Hegel nicht ausschließlich als negative, d. h. als Abwesenheit aller Beschränkungen und Bestimmungen zu denken, dies wäre nur die Willkürfreiheit der bürgerlichen Gesellschaft. Nicht der Schutz der Interessen der Einzelnen ist letzter Zweck des Staates. Hegel erkennt sehr deutlich die Schwierigkeiten aller Staatsmodelle, die den Staat als Instrument im alleinigen Dienste des Schutzes der Individuen begreifen. Die Teilnahme an einem solchen Gemeinwesen müsste, da aus eigenem Interesse gewählt, auch jederzeit negierbar sein, argumentiert Hegel. Demgegenüber stellt Hegel die Vereinigung als solche als wahrhaften „Inhalt und Zweck“[42] dar. Damit aber hat, wie Hegel, die Konsequenzen des eigenen Konzepts offen legend, festhält, der Endzweck der Verwirklichung der Freiheit „das höchste Recht gegen die Einzelnen“[43]. Die ohne Zweifel diskussionswürdigen Folgen dieses Gedankens vorerst beiseite lassend, soll zuerst die Binnenstruktur des Hegel’schen Arguments beleuchtet werden.

In der Vorrede zu den GPR nennt Hegel den Staat die Vernunft, wie sie sich im Element des Selbstbewusstseins verwirklicht[44]. Obwohl der Staat historisch betrachtet erst auf einer bestimmten Stufe der Menschheitsentwicklung erscheint, ist er also als Realisation der Vernunft immer schon mit derselben verbunden, ihr nichts Äußerliches[45]. Warum dies so ist, scheint mir Hegel im Zusatz zu § 4 der GPR zu erläutern, in welchem er die Freiheit als Grundbestimmung des Willens bezeichnet.[46] Sobald Wille und Denkvermögen[47] existieren, ist Freiheit unumgänglich. Worin liegt nun aber diese Freiheit, und in welcher Form realisiert sie sich gerade im Staat? Hegel beschreibt Freiheit als zweifach Bestimmtes. Zum einen als „negative Freiheit“, als Abstraktion von allen Bestimmungen, als reiner Selbstbezug[48]. Zum anderen als Verwirklichung des Willens und damit als Schritt in die Besonderheit und in die eigene Beschränkung. Erst die Einheit der beiden Momente ergibt die Freiheit des Willens, denn Freiheit ist, „ein Bestimmtes zu wollen, aber in dieser Bestimmtheit bei sich zu sein und wieder in das Allgemeine zurückzukehren“[49]. Kritik übt Hegel dabei an Modellen, denen zufolge die Inhalte dieses Sich-Bestimmens dem Selbstbewusstsein fremd sind, weil damit, so die Hegel’sche Argumentation, die Autonomie zur Heteronomie verkehrt würde, da die „freie“ Entscheidung von äußeren, vorgegebenen Faktoren abhinge[50]. Was Hegel hingegen selbst verwirklicht sehen möchte, nennt er den „konkreten Begriff der Freiheit“[51], worunter er die Fähigkeit versteht, in der „Besonderung“ des Willens immer auch das Allgemeine des eigenen Ichs - das sich selbst von jeder Bestimmung abstrahieren kann - festzuhalten und die Bestimmungen des Willens als seine eigenen anzuerkennen. Am Beginn des Abschnittes über den Staat greift Hegel wieder auf den früher entwickelten Terminus der „konkreten Freiheit“ zurück:

„Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, daß die persönlichen Interessen sowohl ihre vollständige Entwicklung und die Anerkennung ihres Rechts für sich (im System der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als Endzweck tätig sind.“[52]

Die konkrete Freiheit des Staatsbürgers besteht in einem dualen Prozess, in der Anerkennung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse, deren Befriedigung, wie bereits erläutert, der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft obliegt, und in der Rückführung der Subjektivität in die Allgemeinheit als ihrem Selbstzweck. Dies gelingt, wie Hegel mehrfach betont, erst dem modernen Staat. Für Habermas ist es daher Hegel, der das „Prinzip der neuen Zeit - die Subjektivität“ entdeckt hat[53].

In den Augen Hegels kommt diese Ehre vermutlich Rousseau zu, dem es, wie Hegel in den GPR schreibt, als Erstem gelungen ist, ein Grundprinzip des Staates zu finden, das „nicht nur seiner Form nach (wie etwa der Sozialitätsprinzip, die göttliche Autorität), sondern dem Inhalt nach Gedanke ist“[54]. Die Leistung Rousseaus war es demzufolge, den Staat allein auf dem freien Willen zu begründen. Zugleich übt Hegel aber Kritik an Rousseau, den er als Teil der Philosophie des Kontraktualismus liest, da dieser nur die Summe der einzelnen, empirischen Willen als Fundament des Staates fassen würde[55]. Wird die Vereinigung im Staat als freiwilliger Akt unabhängiger Einzelner verstanden, dann folgen, so Hegels Credo, „zerstörende Konsequenzen“[56]. Eine Philosophie des Gesellschaftsvertrags kann den Staat immer nur als kontingentes Ergebnis einer Übereinkunft von empirischen Individuen denken. Das Resultat eines Vertrags - als Form des Übereinkommens mehrerer unabhängiger Parteien - kann, wie Hegel es nennt, nur gemeinsamer, nicht aber allgemeiner Natur sein. Der Vertrag, argumentiert Hegel, geht von der Willkür der Personen aus. Es liege aber „nicht in der Willkür der Individuen, sich vom Staat zu trennen“[57]. Daher scheint Hegel auch nicht von einer individuellen Wahl der Staatszugehörigkeit auszugehen, verweigert er den Staatsbürgern doch ein generelles Emigrationsrecht[58]. Ein Staat, der auf den besonderen Wünschen der Individuen aufbaut, kann niemals dem „Prinzip der modernen Staaten“ - der Einheit von Subjektivität und Allgemeinheit - Genüge leisten, ist Hegel überzeugt.

In den „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“[59] behandelt Hegel ebenfalls die alleinige Begründung des Staates aus den Willen der Einzelnen heraus und nennt eine weitere Problematik dieses Ansatzes: das Obsolet-Werden jeder Verfassung (d. h. eines geordneten Systems von Institutionen und Regeln). Ein Staat, der einzig auf der bei jeder geplanten Maßnahme neu einzuholenden Zustimmung der einzelnen Mitglieder beruht, bedürfte nur eines „willenlosen Mittelpunkts“, der die Verfahren der Entscheidungsfindung leitet und überwacht, wäre jedoch kein ausdifferenziertes Gemeinwesen mehr, wie es der moderne Staat zu sein versucht, so die Hegel’sche Überlegung zu einem solchen extremen Modell der direkten Demokratie[60].

Positiv bezieht sich Hegel, wie bereits erwähnt, auf Rousseaus Versuch, den Staat aus dem freien Willen herzuleiten. In den VGP nennt Hegel als besonderes Verdienst Rousseaus, dass bei diesem deutlich werde, „der freie Wille sei der Begriff des Menschen“[61].

In Abgrenzung zu dem - seiner Meinung nach bei Rousseau angewandten - Prinzip des einzelnen Willens, insistiert Hegel in den GPR aber auf den „Grundbegriff [...], „dass der objektive Wille das an sich in seinem Begriffe Vernünftige ist, ob es vom Einzelnen erkannt und von ihrem Belieben gewollt werde oder nicht“[62]. Nicht ganz einfach zu deuten ist, was unter diesem „objektiven Willen“ zu verstehen ist. Hegels eigenem Anspruch nach kann es kein individueller Wille sein, da er sonst den von ihm gegen das Rousseau’sche Konzept erhobenen Einwänden nicht genügen würde. Am einleuchtendsten erscheint mir eine Interpretation, die auf Hegels Überlegungen zum Begriff des „objektiven Geistes“ in der EPW zurückgreift. Dort schreibt Hegel:

„Die Zwecktätigkeit aber dieses Willens ist, seinen Begriff, die Freiheit, in der äußerlich objektiven Welt zu realisieren, dass sie eine durch jenen bestimmte Welt sei, so daß er in ihr bei sich selbst, mit sich selbst zusammengeschlossen, der Begriff hiermit zur Idee vollendet sei.“[63]

Es gehört also demzufolge zum Begriff des Willens dazu, dass sich dieser selbst eine äußerliche Form gibt, eine Form, die seinem „Begriff“ entspricht. Dieser Begriff des Willens ist für Hegel die Freiheit. „Es ist absoluter Zweck der Vernunft, daß die Freiheit wirklich sei.“[64] Hegel ergänzend könnte man wohl sagen, dass das Konzept Freiheit überhaupt nur Sinn macht, wenn man davon ausgeht, dass die Freiheit real sei. Der Wille, der ein solcher nur ist, wenn er frei ist, kann nur diejenige Form als seine anerkennen, die Freiheit realisiert. Das gelingt, so das Hegel’sche Argument, nur im - modernen - Staat, wo die für die Freiheit wesentliche Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit erreicht wird. Diese Synthese von subjektivem, besonderem Interesse und objektiver Allgemeinheit enthält zwei Komponenten, oder besser zwei Seiten: das Wissen, dass allgemein nur gilt, was meinem Willen entspricht; zugleich aber auch eine Form der Übereinstimmung dieses Willens mit der Allgemeinheit. Zur Verdeutlichung, warum diese Einheit für die Freiheit so zentral ist, scheint mir ein Rückgriff auf die Kant-Interpretation Hegels sinnvoll. Ist Kant doch auch für Hegel derjenige Denker, der erkannt hat, „daß die Freiheit die letzte Angel ist, auf der der Mensch sich dreht“[65]. Kant habe, so Hegel, zu Recht „was für das Selbstbewußtsein Wesen hat, als Gesetz, Ansich gilt, in es selbst zurückgeführt“[66]. Hegel kritisiert an der Gesetzgebung aus der Identität der Allgemeinheit mit der Individualität kantischer Prägung allerdings deren „Inhaltslosigkeit“. Tatsächlich bleibt jedoch das notwendige Moment der Anerkennung der allgemeinen Gesetze durch den Einzelnen als ein Teil der Entwicklung der Gesetze auch bei Hegel zentral. Und verwirklichte Freiheit ist für Hegel wesentlich mit Recht und Gesetz verknüpft[67]. Während hingegen der „Zustand der Gesetzlosigkeit, wo der besondere Wille als solcher [...] als Gesetz oder vielmehr statt des Gesetzes gilt“[68] ein Kennzeichen des Despotismus ist. In den VPG bringt Hegel die Bedeutung des Gesetzes für ein Verständnis wirklicher Freiheit sehr präzise auf den Punkt: „und nur der Wille, der dem Gesetz gehorcht, ist frei, denn er gehorcht sich selbst“[69]. Wenn man bedenkt, dass Hegel eine Trennung des Willens von der Vernunft dezidiert ablehnt[70], so wird klar, dass in seinen Augen ein vernünftig orientierter Wille mit den Gesetzen „sich selbst“ - nämlich seinem eigenen Anspruch - gehorcht; dem Anspruch nach vernünftigen Regeln zu handeln; während „Gesetzlosigkeit“ für Hegel immer mit zufälligen, nicht argumentierbaren Entscheidungen verbunden ist.

In den Einleitungsparagrafen zum Kapitel über die Sittlichkeit spricht Hegel in den GPR von der Pflicht, in der das Individuum zur substanziellen Freiheit gelangt[71]. Obwohl sich der Terminus „Pflicht“ hier allgemein auf die in einem sittlichen Zusammenhang geltenden Regeln bezieht, scheint Hegel bereits die staatlichen Gesetze im Auge zu haben. Seine Argumentation richtet sich, wie sich unter anderem im Zusatz zum § 149 zeigt, in erster Linie gegen die Vorstellung einer „abstrakten Freiheit“, der „jede Bestimmung und Gliederung im Staate“ als eine Beschränkung der Freiheit gilt. Für Hegel jedoch ermöglicht erst die Pflicht die „Befreiung, teils von der Abhängigkeit, in der es [das Individuum] in dem bloßen Naturtriebe steht, sowie von der Gedrücktheit, in der es als subjektive Besonderheit in den moralischen Reflexionen des Sollens und Mögens ist, teils von der unbestimmten Subjektivität, die nicht zum Dasein und der objektiven Bestimmtheit des Handelns kommt und in sich und als eine Unwirklichkeit bleibt“[72]. Diese vor allem im ersten Teil stark kantisch anmutende Argumentation enthält im zweiten - implizit - den bereits genannten Vorwurf Hegels, das Konzept des kategorischen Imperativs wäre inhaltsleer[73]. Dadurch, dass Hegel Pflicht als den von bzw. in einem Gemeinwesen vorgegebenen Regelkanon bestimmt, fällt die Schwierigkeit, als einziges Gebot der Pflicht die Pflichterfüllung anzuerkennen. Da die vom sittlichen Gemeinwesen übernommene Pflicht sowohl Unabhängigkeit von den unmittelbaren, natürlichen Trieben als auch von der Inhaltsleere, die Hegel dem Standpunkt der moralischen Gewissens vorwirft, ermöglicht, hat sie, wie Honneth schreibt, innerhalb der Hegel’schen Argumentation eine „therapeutische  Funktion“[74]. Mit der Bestimmung von Pflicht als Ausdruck eines sozialen Gefüges eröffnen sich allerdings zahlreiche andere Fragen, deren zentralste wohl die ist, wie eine solche Pflicht mit einem modernen Menschenverständnis, das fundamental vom Autonomiebewusstsein und von der Ablehnung der Fremddetermination geprägt ist, vereinbar wird - mit einem Menschenbild, das in der Hegel’schen Philosophie selbst von entscheidender Bedeutung ist. Für Hegel ist jedoch eine solche Anerkennung der Regeln der Gemeinschaft eben keine Heteronomie, denn die sittlichen Normen sind, obwohl sie absolute Autorität haben, für das Subjekt nichts Fremdes. Das Individuum gibt vielmehr „Zeugnis des Geistes von ihnen als von seinem eigenen Wesen“[75]. Indem das Individuum die Normen seiner sittlichen Gemeinschaft, seines kulturellen und historischen Umfelds als ihm gemäß erkennt, ist es ihm zugleich möglich, auch die staatlichen Regeln anzuerkennen. Kann doch, wie Hegel mehrfach betont, ein politisches System - eine Verfassung - nur gelebt werden, wenn es dem sittlichen (und religiösen) Weltbild seiner Bürger entspricht. Später wird auf diese Relation noch intensiver einzugehen sein.

An dieser Stelle scheint mir ein Versuch einer Erklärung des von Hegels oftmalig erwähnten Gedankens, dass Freiheit nur in einem als vernünftig verstandenen sittlichen System, d. h. auch in Übereinstimmung mit dieser Vernünftigkeit, denkbar ist, sinnvoll. Eindrucksvoll gibt Wilm Hüffer das von Hegel angedachte Problem wieder: „Wer Freiheit als unveräußerlich erachtet, weil sie in einem angeblich an sich gegebenen Willen manifestiert, stilisiert lediglich die ‚Außenwelt‘ zur unüberwindlichen Schranke dieses Willens, zum Hindernis, an dem er aufläuft und zerbricht.“[76] Der hier skizzierte Gedanke besagt wohl, dass Freiheit nur denkbar ist, wenn die dem Handelnden gegenüberstehenden Strukturen selbst bereits als potenziell vernünftige verstanden werden, da ansonsten die Freiheit zur reinen Abgrenzung von einem nicht zu bewältigenden Äußeren wird. Alle Überlegungen, wie ein Gemeinwesen vernünftig ausdifferenziert werden kann, schließen ein, dass eine solche Veränderung als möglich erachtet wird. Eine Annahme, die sich nur mit dem Verweis auf eine zumindest in Ansätzen bereits vorhandene Sinnhaftigkeit der vorhandenen Strukturen rechtfertigen lässt. Wird ein Staat nur als das Ergebnis naturwissenschaftlich zu beobachtender Determinationen oder aber als die zufällige Summe emotional bestimmter Willkürakte seiner gegenwärtigen und früheren Mitglieder gedacht, dann ist eine Reflexion auf seine derzeitige und primär auf seine potenzielle, zukünftige Verfasstheit von geringer Relevanz. Wobei Hegel selbst in den GPR kaum Hinweise auf eine zukünftige Verbesserung des Staatsgebildes gibt. Mit Josef Kosian muss wohl gesagt werden, dass „von Erwartung und Hoffnung“, wie sie sich im Werk des jungen Hegel zeigten, wenig übrig geblieben ist[77].

Neben der Bedeutung von Gesetzmäßigkeit und Pflicht für eine Verwirklichung von Freiheit und der Notwendigkeit einer zumindest in Ansätzen vorhandenen Vernünftigkeit im sozialen System scheint mir innerhalb der Hegelschen Philosophie noch ein dritter Theoriestrang für das Verständnis der Relation von Freiheit und Staat wesentlich zu sein. Zur Erläuterung dieses Gedankens möchte ich nochmals auf Hegels Behandlung des „freien Willens“ zurückgreifen. In einer Anmerkung zum § 10 der GPR heißt es, der wahrhafte freie Wille sei ein solcher, der sich selbst und seine Freiheit wolle, der sich, wie es im Paragrafen selbst steht, „zum Gegenstand hat“[78]. Hegel scheint damit folgenden Gedanken anzudeuten[79]: Freier Wille kann nur etwas anstreben, was selbst Ausdruck von Freiheit ist bzw. Freiheit ermöglicht. Andernfalls würde sich sein freier Charakter selbst aufheben. Wenn aber das Objekt eines freien Willens Freiheit verwirklichen, d. h. selbst Subjekt von Freiheit sein soll, dann muss dieses Objekt personal oder als soziale Gruppe gedacht werden. Hegel selbst führt als Beispiele für eine solche verwirklichte Freiheit Freundschaft und Liebe an[80]. In diesen Formen der Gemeinschaft könnte das Individuum sich selbst beschränken, aber sich in dieser Beschränkung als frei fühlen. Diese neue Unbeschränktheit basiert aber auf einer anderen Ebene, da sie erst in der Gemeinschaft erscheint. In Bezug auf die Sphäre der Staatlichkeit könnte also gesagt werden, dass der Einzelne in seiner Beschränkung innerhalb des sozialen Systems eben dieses vernünftig geordnete System als Subjekt von Freiheit verstehen kann; aber auch nur ein solches System, denn ein etwa auf egoistischem Glückseeligkeitsstreben oder Willkür basierendes kann der freie Wille nicht als Ausdruck seiner selbst anerkennen. So wie in der Freundschaft eine Form von Freiheit erlebt werden kann, die ohne diese intersubjektive Beziehung nicht existent wäre, so ermöglicht ein vernünftig organisierter Staat, d. h. ein Verfassungsstaat, der Vernunft eine ihr gemäße Form der Freiheit, da nur in ihm Gesetzmäßigkeit herrscht und da seine Gesetze solcher Art verfasst sind, dass sie, die Vernunft, ihnen (generell, selbstverständlich nicht in jedem konkreten Fall) zustimmen kann.

Eine wirklich vernünftige politische Form findet sich Hegel zufolge erst im modernen Staat. Daher scheint es mir an dieser Stelle notwendig zu sein, auf Hegels Verständnis desselben einzugehen[81].


 I.III. Der Staat als Antwort auf das „Problem der Moderne“[82]

Wenn im modernen Staat tatsächlich das Allgemeine mit der vollen Freiheit der Besonderheit verbunden ist[83], dann stellt sich die Frage, wie diese Synthese erreicht wird. Werner Maihofer vermeint in der Hegel’schen Geschichtsphilosophie drei prinzipielle Stufen der Staatsentwicklung zu erkennen[84]: den Staat der Antike, der Neuzeit und der Moderne[85]. War in der Antike die Partikularität „noch nicht losgebunden und freigelassen und zur Allgemeinheit, d. h. zum allgemeinen Zweck zurückgeführt“[86], so erfolgt im neuzeitlichen Staatsdenken die Umkehrung: Der Staat wird als „Aggregat der vielen Einzelnen“[87] verstanden. Damit entstehen aber neue, fundamentale Probleme. Zerbrach der antike Staat, der Hegel’schen Interpretation zufolge, an der entstehenden Individualität, so hat der neuzeitliche, der sie zu seinem Prinzip gemacht hat, erst recht mit den Konsequenzen ihres Absolutheitsanspruchs zu kämpfen. Laut Armin Adam besteht Hegels Lösung des Problems, dass die Freiheit der Selbstbestimmung, stünde sie den vielen Einzelnen zu, den sittlichen Zusammenhang des Staates zu zerstören droht, darin, „den Staat selbst zum Subjekt der Freiheit zu erheben“[88]. Eine wie mir scheint durchaus überzeugende Hegel-Interpretation, die ich jedoch zumindest um einen Hinweis auf den § 270 der GPR ergänzen möchte, um den Eindruck zu vermeiden, Hegel führe ein metaphysisches Subjekt „Staat“ ein. In diesem Paragrafen schreibt Hegel, der Staat wüsste, was er wolle, und handle daher nach Grundsätzen und Gesetzen, „die nicht nur an sich, sondern fürs Bewußtsein sind“[89]. Dieses Bewusstsein kann sich wohl nur auf die Individuen beziehen[90]. Ich interpretiere Hegels diesbezügliche Überlegungen daher dahingehend, dass im sittlichen System dem Individuum die allgemein verwirklichte Freiheit - als Ausdruck seines eigenen Autonomiebewusstseins(!) - so bedeutungsvoll erscheinen kann, dass ihr Wert über den des reinen Eigennutzes hinausgeht[91].

 

Ohne Zweifel ist für Hegel jedoch der Gedanke des Staates als Subjekt der Freiheit insofern zentral, als er zum Prinzip der ganzen inneren Struktur, der Verfassung, und damit der Gewaltenteilung, innerhalb des modernen Staates wird. Daher scheint es mir sinnvoll, Hegels Erörterungen des „inneren Staatsrechtes“, d. h. der Konstitution des modernen Staates, unter zwei Gesichtspunkten zu lesen. Erstens unter dem Gesichtspunkt der Vereinigung der besonderen Subjekte der bürgerlichen Gesellschaft in der gesetzgebenden Gewalt, in den Ständen, und zweitens unter dem Gesichtpunkt der Zusammenfassung der Staatssouveränität (d. h. des „Freiheitssubjektes Staat“) im Individuum des Monarchen.

Zuerst jedoch muss einiges Generelles zu der von Hegel skizzierten Gewaltenteilung erwähnt werden. Im Gegensatz zu der in der Tradition Lockes und Montesquieus vertretenden Trias der Gewalten setzt sich die Hegel’sche aus gesetzgebender, exekutierender und monarchischer Gewalt zusammen und enthält also die Jurisdiktion nicht als unabhängige Gewalt. Hegel betrachtet die Rechtssprechung vielmehr als Teil der ausführenden Gewalt, deren Aufgabe die Anwendung der allgemeinen Gesetze auf den Einzelfall ist. Auch vom hinter der Gewaltenteilung stehenden Gedanken her unterscheidet sich Hegel wesentlich von der üblichen politischen Auffassung.      Soll Hegel zufolge doch durch die Gewaltentrennung gerade keine gegenseitige Kontrolle und Beschränkung erreicht werden, da eine Konkurrenz der Gewalten die Einheit des Staates gefährden könnte, vielmehr müsse jede Gewalt „an sich selbst ein Ganzes bilden“[92] und einen „Unterschied des Begriffs ausdrücken“[93], d. h. die staatlichen Gewalten sollen Verkörperungen der Prinzipien Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sein.

 


I.III.I. Die Stände als Vertretung der besonderen Interessen

Zunächst zu den Hegel’schen Überlegungen über die gesetzgebende Gewalt, die Stände, deren „eigentümliche Begriffsbestimmung“ es, wie Hegel in den GPR sagt, ist, „dass in ihnen das subjektive Moment der allgemeinen Freiheit, die eigene Einsicht und der eigene Wille der Sphäre, die in dieser Darstellung bürgerliche Gesellschaft genannt worden ist, in Beziehung auf den Staat zur Existenz kommt“[94]. Bedenkt man, dass gerade den Ständen als den Vertretern der bürgerlichen Gesellschaft die Rolle zukommt, die Gesetze, die Verfassung weiterzuentwickeln[95], so stehen sie, wie mir scheint, fast paradigmatisch für das für die Moderne und besonders für die Hegel’sche Philosophie so zentrale Problem der Vereinigung von Besonderheit und Allgemeinheit.

Wogegen sich Hegel entschieden wehrt, sind Vorstellungen einer politischen Partizipation der „Vielen“ als Menge atomisierter Einzelner. Nicht als losgelöste Individuen, als „abstrakt“ bestimmte Staatsbürger, sondern als Teil der Korporationen sollen sich die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft an der Allgemeinheit beteiligen. Die Aufgabe der Korporation scheint es für Hegel zu sein, bereits in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft die subjektiven Zwecke insofern in einem Allgemeineren zu bündeln, als dessen Zweck „ganz konkret ist und keinen weiteren Umfang hat, als der im Gewerbe, dem eigentümlichen Geschäfte und Interesse, liegt“[96]. Das egoistisch orientierte Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft tritt der Korporation als Vertretung der Interessen, die es als Teil eines bestimmten Wirtschaftszweiges hat, bei. Daher liegen die Aufgaben der Korporation im Festlegen von Qualitätsrichtlinien und Aufnahmebeschränkungen und auch in gewissen sozialen Schutzfunktionen. Wichtig ist Hegel jedoch die „Standesehre“ innerhalb der Korporation. Darunter ist wohl eine Art des Zusammengehörigkeitsgefühls zu verstehen. Diese Gesinnung wird besonders für die Rolle, die Hegel den Ständen im politischen System einräumt, wichtig.

An den gesetzgebenden Beratungen nehmen Abgeordnete der Korporationen teil. Damit vertreten diese Repräsentanten nicht die „nur für einen einzelnen und temporären Akt sich auf einen Augenblick ohne weitere Haltung“ versammelnden Einzelnen[97], sondern Interessengruppen[98]. Für das Verhältnis Repräsentierter zu Repräsentant ist das Zutrauen wesentlich, dass der zweite „meine [des Vertretenen] Sache als seine Sache, nach seinem besten Wissen und Gewissen, behandeln wird“[99]. Die Identifikation des Vertretenen mit seinem Repräsentanten erfolgt für Hegel über das gemeinsame berufliche Umfeld und die damit verbundenen gemeinsamen Interessen[100].

Bemerkenswert ist Hegels Argument für die Öffentlichkeit der Beratungen der Ständeversammlungen. Diese seien nicht etwa wegen der größeren Transparenz der Entscheidungen im Sinne einer politischen Kontrolle durch die Bürger wichtig, sondern weil das Volk durch die Verhandlungen der Ständevertreter „das Wahrhafte seiner Interessen“ kennen lerne[101], argumentiert Hegel gerade von der gegenteiligen Seite aus. Durch eine Rekonstruktion des Prozesses der Gesetzesfindung gelänge dem Bürger eher eine Anerkennung der Norm, denn „das Prinzip der modernen Welt fordert, daß was jeder anerkennen soll, sich ihm als ein Berechtigtes zeige“[102].

 

            I.III.II. Das letzte „Ich will“ des Fürsten

Es gehört zu den überraschendsten Schlüssen der Hegel’schen Rechtsphilosophie, dass die dem modernen Menschen- und Staatsbild entsprechende Herrschaftsform die konstitutionelle Monarchie sein soll.

Hegel verteidigt die herausragende Stellung des Fürsten als Verkörperung des Prinzips der freien, souveränen Willensentscheidung. Das Abwägen der Argumente, also die Tätigkeit der beratenden Instanzen, der Gesetzgeber, lässt sich nur mit dem Akt des „Ich will“ beschließen, den für Hegel nur ein Subjekt setzen kann[103]. Selbst wenn man aber Hegels Argumentation noch weiter folgt und zugesteht, dass dieses souveräne Subjekt des Willens eine natürliche Person sein muss[104], bleibt jedoch fraglich, ob diese Aufgabe nicht von einem demokratisch gewählten Staatsoberhaupt ebenfalls erfüllt werden könnte.

Interessant ist an dieser Stelle, dass Hegel in den GPR einen Wechsel im systematischen Aufbau vollzieht, der seinem eigenen Begriffsschema widerspricht. Noch in § 273 beginnt Hegel die Nennung der politischen Gewalten mit der die Allgemeinheit verkörpernden Gesetzgebung und geht dann über die Regierung, als der Subsumtion der Besonderheit unter die Allgemeinheit, zur Subjektivität der fürstlichen Willensentscheidung über. Die Behandlung der einzelnen Gewalten beginnt Hegel jedoch mit dem Monarchen, ohne überzeugend zu erklären, warum die Einzelheit nicht die Synthese, sondern die Grundlage von Besonderheit und Allgemeinheit ist. Dadurch entledigt er sich der Frage, wie die Einzelheit durch die Allgemeinheit vermittelt sein muss[105]. In Bezug auf das Thema dieser Arbeit ist in erster Linie festzuhalten, dass für Hegel die Einheit des Volkes im Staat, trotz der Vermittlung durch die Stände, in einer Person dokumentiert sein muss, in einer Person allerdings, deren faktische Macht eher gering ist, da sie an den „konkreten Inhalt der Beratungen gebunden“ ist und oft nicht mehr zu tun hat, als ihren „Namen zu unterschreiben“. Der Fürst setzt den Akt, über den „nicht hinausgegangen werden kann“[106]. Worauf Hegel hier insistiert, ist, dass auch die ausgiebigsten Beratungen, um nicht im sinnlosen Zirkel der theoretischen Erörterung hängen zu bleiben, beendet werden müssen und ihr Resultat als gültig bestätigt werden muss. Um die Stärke des, seiner Meinung nach, modernen Prinzips der Monarchie zu zeigen, verweist Hegel auf die Antike. Auch in der demokratischen Verfassung Athens gab es einen äußeren Anstoß für die Gesetze, argumentiert Hegel - das Orakel. Im Spruch der Götter erkannten die Griechen eine letzte Aussage darüber, was den Menschen als gut zu gelten hätte. Die Moderne hingegen wäre dazu gelangt, das letzte „Ich will“ - man könnte wahrscheinlich auch sagen: das letzte „So soll es sein“ - als durch den Menschen selbst gesetzt zu verstehen.

 


I.IV. Gesinnung, Gewissen und Patriotismus

Wie bereits an früherer Stelle erläutert, räumt Hegel dem individuellen Wissen um den Wert des Staates für die Verwirklichung der Freiheit und dem Zutrauen in die Rechtmäßigkeit desselben durchaus viel Bedeutung ein. Allerdings ist diese Wertschätzung eine zwiespältige. Denn wie Hösle richtig festhält, ist es tatsächlich erstaunlich, dass Hegel in den GPR der subjektiven politischen Gesinnung einen Paragrafen, der objektiven Verfassung aber ganze 61 Paragrafen widmet[107]. Zugleich ist die Rolle des Staates als Verwirklichung der Freiheit aber eines der zentralen Themen der ganzen GPR und auch die Frage der „sittlichen“ Gesinnung berührt Hegel an vielen Stellen. Möglichweise führt Hegel hier tatsächlich - wie ihm Schnädelbach in Bezug auf die Einsicht in den historischen Charakter der Verfassung vorwirft[108] - eine problematische Unterscheidung zwischen der Perspektive der Staatsbürger und der philosophischen Perspektive ein.

 

I.IV.I. Ein Grundgefühl der Ordnung

„Durch die Gewalt, meint die Vorstellung oft, hänge der Staat zusammen; aber das Haltende ist allein das Grundgefühl der Ordnung, das alle haben.“[109]

Mit dem hier zitierten Satz grenzt sich Hegel nicht nur von einem politischen Denken, das in der philosophischen Tradition etwa von Thomas Hobbes vertreten wurde[110], ab, sondern konterkariert, wie es zumindest auf den ersten Blick scheint, auch einiges in seinen eigenen Ausführungen. Äußert sich Hegel in der Vorrede der GPR doch durchaus polemisch über die „Seichtigkeit“ eines politischen Denkens, das den Staat auf den „Brei des Herzens, der Freundschaft und Begeisterung“, der „subjektiven Zufälligkeit des Meinens“, des Gefühls bauen lässt[111]. Warum soll also plötzlich ein „Grundgefühl der Ordnung“ die „Architektonik der Vernünftigkeit“[112] des Staates tragen? In § 168 bezeichnet Hegel die „politische Gesinnung“, die er auch „Patriotismus“ nennt und um deren Erläuterung sich der ganze Paragraf dreht, als „Zutrauen“, das aber „zu mehr oder weniger gebildeter Einsicht übergehen kann“. Obwohl hier durchaus die Gefahr besteht, Hegel als Denker zu lesen, der das „Zutrauen“ der „einfachen Leute“ von der philosophischen Erkenntnis der Notwendigkeit des Staates unterscheidet und damit den Staat der Kritik durch seine Bürger entzieht, so muss hier doch eine Erläuterung dieser Differenz von „Zutrauen“ und „Einsicht“ versucht werden. Dafür scheint mir der Verweis auf den an selber Stelle angeführten Begriff der „Gewohnheit“ sinnvoll. Auch der aufgeklärteste Staatsbürger muss - und kann - nicht in jeder Situation alle staatlichen Zusammenhänge durchschauen und sollte trotzdem im Interesse des Staates - und damit wohl auch in seinem eigenen - das Vertrauen in die Vernünftigkeit des Gemeinwesens haben können. Die Gründe für die staatlichen Strukturen können aber durch eine vertiefte Beschäftigung, durch „Einsicht“ erkannt werden. Der Verweis auf das gewohnheitsmäßige Zutrauen verhindert aber, wie Milan Znoj schreibt, dass alle ständig zu Aktivisten werden[113], d. h. sich jederzeit um den staatlichen Gesamtzusammenhang sorgen müssen. Daher ist die Gesinnung wesentlich, „welche in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhältnisse das Gemeinwesen für die substantielle Grundlage und Zweck zu wissen gewohnt ist“[114]. Zentral ist hier der Verweis auf das Gemeinwesen als „Grundlage“, der als Hinweis auf Hegels Unterscheidung zwischen der politischen Gesinnung und der moralischen zu deuten ist.

 

I.IV.II. Das moralische Gewissen

Hegels Behandlung des subjektiven Gewissens gehört zu den meistkritisierten Teilen der GPR. Stellvertretend für eine Reihe von Vorwürfen sei hier ein Satz von Ernst Tugendhat genannt:

„Die Möglichkeit eines selbstverantwortlichen, kritischen Verhältnisses zum Gemeinwesen, zum Staat wird von Hegel nicht zugelassen, vielmehr hören wir: die bestehenden Gesetze haben eine absolute Autorität; was vom Individuum zu tun ist, steht in einem Gemeinwesen fest; das eigene Gewissen des Einzelnen hat zu verschwinden, und an die Stelle der Reflexion tritt das Vertrauen.“[115]

Anlass für diese scharfe Kritik sind Hegel’sche Ausführungen wie die folgende:

„Der Staat kann deswegen das Gewissen in seiner eigentümlichen Form, d. i. als subjektives Wissen nicht anerkennen.“[116]

Im Folgenden möchte ich versuchen, die Hegel’schen Überlegungen zum „moralischen“ Gewissen zusammenzufassen und zu erläutern. In § 137 der GPR unterscheidet Hegel das „wahrhafte“ Gewissen, das er auch „Gesinnung“ nennt, vom „formellen“. Zweiterem gelten Hegels Ausführungen im „Moralitätskapitel“ und auch die Überlegungen zu einer notwendigen „Aufhebung“ des Gewissens.

Das Gewissen versteht Hegel als Ausdruck der absoluten Berechtigung des subjektiven Selbstbewusstseins, „nichts anzuerkennen, als was es so als das Gute weiß“[117]. Ist es doch, wie Hegel an anderer Stelle schreibt, das Recht des subjektiven Willens, dass das, was er als gültig anerkennen soll, von ihm als gut eingesehen werde[118]. Aufgrund dieser zentralen Bedeutung ist das Gewissen auch „ein Heiligtum, welches anzutasten Frevel wäre“[119]. Zugleich aber kann die rein formelle Bestimmung, dass etwas Inhalt des Gewissens ist, nicht Kriterium der Berechtigung dieses Inhalts sein. Denn ob das, was das Gewissen für gut hält, „auch wirklich gut ist, dies erkennt sich allein aus dem Inhalt dieses Gutseinsollenden[120]“. Hegels Argumentation stützt sich an dieser Stelle aber, wie wir etwas später sehen werden, nicht nur auf die recht leicht einsehbaren Schwierigkeiten, die eine moralische Wertung auf der alleinigen Basis des Gewissens inkludiert[121]. Da das Gewissen als „formelles“ immer „leer“ ist, d. h. da alles aus „bestem Gewissen“ heraus getan werden kann, muss das „formelle Gewissen“ in das „wahre“ übergehen, in eines, das seine Inhalte aus dem System der Sittlichkeit bezieht[122].

Interessant sind Hegels Ausführungen über die juristische Unzurechnungsfähigkeit, die er Kindern und psychisch Kranken zwar zuerkennt, die aber nicht aufgrund von „Verblendungen des Augenblicks“ geltend gemacht werden dürfte, da sonst dem Täter keine Behandlung nach „dem Recht und der Ehre des Menschen“ zukommen würde und auf die Natur des Menschen, ein „Allgemeines, nicht ein abstrakt Augenblickliches und Vereinzeltes des Wissens zu sein“, vergessen würde[123]. Wenn eine Tat nur aufgrund einer momentanen emotionalen Regung entschuldigt wird, geschieht dem Täter damit gerade nicht „Recht“, da ihm die menschliche Fähigkeit vernünftig zu handeln abgesprochen wird. Doch Hegel geht noch weiter. Auch die subjektive „Einsicht in die Rechtlichkeit oder Unrechtlichkeit“[124], d. h. das Gewissen, kann vor Gericht nicht alles entschuldigend sein, so Hegel.

Hegels Ablehnung der reinen Formalität des Gewissens darf aber, wie Daniel Dahlstrom sehr richtig betont, nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das formelle Gewissen eine ganz wesentliche Rolle hat, nämlich „das Entscheiden, das dem subjektiven Willen alleine zuzurechnen ist[125]. Hegel erkennt daher in Zeiten, „wo die Wirklichkeit eine hohle geist- und haltungslose Existenz ist“, die „Flucht in die innerliche Lebendigkeit“[126] durchaus als berechtigt an.

An dieser Stelle scheint mir eine nochmalige Lektüre des oben zitierten Satzes, wonach der Staat das Gewissen nicht anerkennen könne, sinnvoll. Hegel führt neben der immer möglichen Differenz von subjektivem Gewissen und objektivem Inhalt noch ein zweites Argument gegen eine moralische Bewertung allein aufgrund des Gewissens an. Gerade weil das Gewissen den Anspruch erhebt, letzter und vernünftiger Handlungsgrund zu sein, kann es sich nicht nur auf sich selbst berufen, sondern muss einerseits immer danach trachten, mit der „objektiven“ Wirklichkeit in Einklang zu sein, und kann andererseits „nicht allen intersubjektiv überprüfbaren Maßstäben entzogen sein“[127]. Und daher könne der Staat das Gewissen, als subjektives Wissen, nicht anerkennen, „sowenig als in der Wissenschaft die subjektive Meinung [...] eine Gültigkeit hat“[128]. Worauf Hegel vermutlich abzielt ist, dass tatsächlich der „Staat“ - repräsentiert beispielsweise durch einen Richter - nicht allein nach dem Gewissen des Vor-Gericht-Stehenden urteilen kann, sondern immer auch die Folgen und den Ablauf der zu beurteilenden Handlung beachten muss. Dabei ist aber festzuhalten, dass dem Staat das Recht zukommt, eine Handlung zu verurteilen, wenn sie aus einem „Irrtum“ des Gewissens heraus entstanden ist, nicht aber das Gewissen selbst. Dieses „Heiligtum“ anzutasten, wäre - wie bereits erwähnt - für Hegel ein „Frevel“. Daher können „Gesinnungstäter“ für Verbrechen bestraft werden, ohne „Gesinnungsterror“ zu verüben.

Trotzdem aber bleibt bei Hegel „die Tendenz tätig, die Moral zu verrechtlichen“[129]. Dies zeigt sich unter anderem in § 132, wo Hegel die „Zufälligkeit“ der Gewissensinhalte durch die „Öffentlichkeit der Gesetze und durch die allgemeinen Sitten“ zu beheben sucht.

 

I.IV.III. Die politische Gesinnung

Die oben erwähnte problematische Zusammenführung der Gesinnung mit Staat und Gesetz scheint Hegel auch in §268 vorzunehmen, wenn er schreibt „die politische Gesinnung, der Patriotismus [...] ist nur Resultat der im Staat bestehenden Institutionen“[130]. Würde dies so gelten, bliebe tatsächlich wenig Raum für ein kritisches Verhältnis des Individuums zum Staat. Einem Staat, der individuelle Gesinnung nur als Resultat seines Einflusses versteht, müsste ohne Zweifel der Vorwurf des Totalitarismus gemacht werden. Laut der Nachschrift von Griesheims fügte Hegel aber bei seiner 1824/25 gehaltenen Vorlesung über die Rechtsphilosophie dem zitierten Paragraphen unter anderem folgende Ergänzung bei:

„Der Patriotismus ist das Resultat der Institutionen des Staats, aber ebenso ist die Gesinnung die Ursache, durch sie und aus ihr erhält der Staat Bethätigung, Erhaltung.“[131]

Demzufolge versteht Hegel die Gesinnung keineswegs nur als Ausdruck und Abbild der staatlichen Einrichtungen, sondern der Staat kann tatsächlich nur existieren, wenn er auf der Gesinnung seiner Bürger basieren kann. Als von Menschen geschaffen gründet sich auch der „objektive Geist“ des Staates auf den subjektiven Geistern der Individuen.

Nachdem bisher vor allem die formale Seite der Gesinnung im Mittelpunkt der Betrachtung stand ist es nun nötig, auf Hegels inhaltliche Bemerkungen zum Patriotismus einzugehen. Dabei ist zuerst auf eine Abgrenzung Hegels hinzuweisen:

„Unter Patriotismus wird häufig nur die Aufgelegtheit zu außerordentlichen Aufopferungen und Handlungen verstanden. Wesentlich ist aber die Gesinnung, welche in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhältnisse das Gemeinwesen für die substantielle Grundlage und Zweck zu wissen gewohnt ist.“[132]

Znoj interpretiert Hegels Argumentation als Ablehnung eines „national-romantischen“ Patriotismus, der sich an Heldensagen und Opfertaten berauscht[133]. Ein solcher „Patriotismus“ diene gerade als Vorwand für das Fehlen einer wahrhaft politischen Gesinnung, die im Staat mein „substantielles und besonderes Interesse“ „bewahrt und enthalten“ sieht, erläutert Hegel[134]. Die Einsicht - bzw. das Zutrauen - in die Struktur des Staates als Form der Freiheit ermöglicht dem Bürger, im Staat „nicht ein Anderes“ zu sehen, sondern zu erkennen, dass „mein Wohl auch sein Zweck ist“[135]. Allerdings gehört es sicher zu den Schwächen der Hegel’schen Ausführungen, dass er an dieser Stelle[136] nicht einmal auf die Möglichkeit einer Entfremdung von Staat und Individuum eingeht und nicht hinterfragt, ob der Staat nicht zumindest in bestimmten Situationen zu einem „ganz Anderen“ der Gesinnung werden kann. Dass es durchaus zu Konflikten zwischen moralischen Positionen und staatlichen Gesetzen kommen kann, die keineswegs immer zu Gunsten der staatlichen Gesetze entschieden werden müssen, führt Hegel aber in einer Anmerkung zu § 30 der GPR aus. Dort erklärt er beide Sphären - Staatlichkeit und Moralität - als „beschränkt“. Interessanterweise bezeichnet Hegel an dieser Stelle auch den moralischen Standpunkt als ein „Recht des Geistes“[137]. Wenn aber sowohl Moral als auch Staat nur limitiert geltende „Rechte“, d. h. für Hegel, Formen der Freiheit, sind, dann stellt sich tatsächlich die Frage, ob Hegel in seiner Behandlung des Gewissens nicht gerade die wesentliche Differenz zwischen staatlichem, sittlichem Recht und Moral unberücksichtigt lässt. Wie er meines Erachtens in den GPR auch der Frage ausweicht, ob Konflikte zwischen Recht und Moralität nicht in jedem Gemeinwesen notwendig auftreten müssen. In Hegels Geschichtsphilosophie finden sich, wie mir scheint, immer wieder Hinweise darauf, dass gerade auch solche Spannungen, zwischen individuellen, moralischen Überzeugungen und der anerkannten Sittlichkeit, entwicklungsnotwenig sind. Ein klassisches Beispiel hierfür wäre die Figur des Sokrates, des „Erfinders der Moral“, dessen Prinzip des „Daimonion“ sich nicht nur als „revolutionär gegen den athenischen Staat“ erweist, sondern durch den Bruch mit der griechischen Sittlichkeit für Hegel erst das Auftreten der modernen Subjektivität ermöglicht zu haben scheint[138].

Dieser Einwand der mangelnden Berücksichtigung des möglichen Konflikts zwischen Moral und Recht gilt meiner Meinung auch, wenn Siep vermutlich Recht hat, dass für Hegel das „Zutrauen“ der Individuen nur „zu den Institutionen eines Gemeinwesens, das man prinzipiell ‚Staat’ nennen kann“ gilt, und der Begriff „Staat“ nur Gemeinwesen bezeichnet, deren „Verfassung und Institutionen das Recht und auch die Selbstverwirklichung der Individuen“ zum Zweck haben[139]. Denn auch in einem solchen Staat können Regeln „unmoralisch“ sein, oder zumindest erscheinen.

 

Hegels Zusammenbringung von Gesinnung und Institutionen hat zwei Seiten: zum einen, dass Letztere nur dann auf Dauer existieren können, wenn sie von Ersterer getragen werden, zum anderen aber auch, dass „die Freiheit des Selbststeins, der Absicht, des Gewissens und so das sittliche Leben der Freien nur dann Bestand haben, wenn die Institutionen ihnen gemäß sind“[140]. Der individuellen Gesinnung ist es nur dann möglich ihre Ziele und Vorstellungen zu realisieren, wenn die Institutionen die Freiheit ihrer Handlung verbürgen. Ist dies nicht der Fall, so kann das Gewissen seinem Anspruch, Grund einer in Freiheit erwählten Aktion zu sein, nicht genügen. In diesem Sinn pocht Hegel wohl darauf, dass die Gesinnung davon ausgehe, dass der Staat „mein substantielles und besonderes Interesse“ bewahrt und sie daher „in diesem Bewusstsein frei“ sei[141]. Aufgrund dieser Bedeutung für die Realisierung des Freiheitsbewusstseins scheint mir trotz der oben erwähnten Kritik an der Ausblendung eines möglichen Konflikts zwischen Moral und staatlichem Recht Hegels Pochen auf die „wahrhafte“ politische Gesinnung insofern berechtigt, als damit in erster Linie das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Gesetze als Ganzes, der Verfassung, zu verstehen ist[142]. Denn tatsächlich besteht der moderne Verfassungsstaat doch nur, wenn seine Bürger ein generelles Vertrauen in seine Legitimität haben können. Dass jedoch auch wenn dieses „Zutrauen“ grundsätzlich vorhanden ist, einzelne Fragen zu Kontroversen zwischen dem moralischen und dem rechtlichen Standpunkt führen können - wie es ja in einer Gesellschaft etwa auch zu Differenzen zwischen den besonderen Berufsinteressen kommen kann, zu Differenzen, die laut Hegel im Rahmen der „Ständevertretungen“ überwunden werden -, das lässt sich nicht so leicht umgehen.

 

Etwas erstaunlich wirkt an Hegels Ausführungen sein Insistieren auf die Bedeutung des „Geist einer Nation als unbewegtem Beweger der Individuen“, wie von Griesheim Hegels diesbezügliche Erklärungen betitelt[143]. Wenn tatsächlich alle Individuen nur „Kinder ihrer Zeit“ und vom „Geist der Nation“ bewegt sind, scheint gerade die für Hegel so zentrale Geistigkeit des Menschen zu wenig zu ihrem Recht der Aufhebung der Natürlichkeit zu kommen. Konterkarierend ergänzt werden könnten Hegels Überlegungen mit von ihm selbst früher geäußerten Gedanken. In der „Phänomenologie des Geistes“[144] betont Hegel nämlich gerade, das selbstbewusste Individuum müsste aus dem allgemeinen Geist seines Volkes „heraustreten“, auch wenn die unmittelbare Einheit mit der sittlichen Gemeinschaft ein „Glück“ sei und der Verlust des Vertrauens in die Sittlichkeit zunächst eine Isolation bedeute. Zu wirklicher, weil reflektierter Sittlichkeit könne das Individuum erst kommen, wenn ihm die Gesetze zu „abstrakter Theorie“ geworden seien, es aber sich selbst wieder für eine Form der Gemeinschaft entschieden habe[145]. Mit Hösle möchte ich an dieser Stelle zwei unterschiedliche von Hegel benützte Begriffe von Sittlichkeit unterscheiden, deren Differenz sich unter anderem in folgender Stelle der VPG findet:

„Hieraus folgt, daß was wir früher bei den Griechen als Form der Sittlichkeit betrachteten, nicht mehr in derselben Bestimmung in der christlichen Welt seinen Standpunkt hat, denn jene Sittlichkeit ist die unreflektierte Gewohnheit; das christliche Prinzip ist aber die für sich stehende Innerlichkeit, der Boden auf dem das Wahrhafte aufwächst.“[146]

Die Sittlichkeit der modernen (christlichen) Welt ist demzufolge immer schon von der antiken zu unterscheiden, da in ihr das einzelne Subjekt der Substanz der Gewohnheit reflektierend gegenübersteht. In Bezug auf die oben vorgenommene Konfrontation der Argumentationen  aus den GPR und der PhG, kann mit Hösle daher gesagt werden, dass Hegel, während er in der PhG eine Form der „vorreflexiven, archaischen Kultur“ beschreibt, in der Anmerkung zu § 268 der GPR „die Sittlichkeit einer sich wissenden, aus Freiheit sich institutionell bindenden Intersubjektivität“[147] thematisiert. Möglicherweise aus diesem Grund, da er die Gesetze bereits als Ausdruck reflektierter Sittlichkeit verstand, verzichtete Hegel in der GPR auf einen Verweis auf das notwendige Heraustreten des Individuums aus der Sittlichkeit[148].

 

 


II. Hegels Begriff der Religion

II.I. Vorbemerkungen

Es könnte so scheinen, als ob für eine Arbeit zum Verhältnis von Staatlichkeit und Religion in erster Linie die individuelle religiöse Einstellung von Interesse sein müsste - um diese den ebenfalls individuellen ethischen und politischen Vorstellungen gegenüberstellen zu können -, nicht aber der Inhalt des religiösen Bewusstseins. Die Position, dass sich eine solche Arbeit doch vor allem um das Verhältnis von religiösem Transzendenzbewusstsein einerseits und Einsicht in die Zweckrationalität staatlicher Gesetze anderseits drehen müsste, nicht aber um die Vorstellungen, die sich die Individuen von dieser Transzendenz machen, hat meiner Meinung nach durchaus Berechtigung. Trotzdem scheint mir eine - zumindest kurze - Behandlung auch der inhaltlichen Aspekte des Hegel’schen Religionsbegriffs für diese Arbeit nötig zu sein - und das hat mit den Spezifika dieses Begriffs selbst zu tun. Wehrt sich Hegel doch mehrfach gegen eine Erörterung von Religion unter Ausklammerung ihrer besonderen Inhalte.[149] Hegels Religionsphilosophie ist daher, wie unter anderem Falk Wagner ausführte, der Versuch, die alte spekulative Theologie und die moderne Religionsphilosophie seiner Zeit miteinander zu verschränken[150]. In diesem Sinne werde ich im Folgenden versuchen, die wesentlichen inhaltlichen und formalen Bestimmungen des Hegel’schen Religionsbegriffs zusammenzufassen.

 

Anschließend werde ich mich genauer mit Hegels Überlegungen zur Bedeutung des religiösen Kultus beschäftigen, der für Hegel, wie ich seine Argumentationen verstehe, zwei wesentliche Identitätsstiftungen zu leisten hat: die „Versöhnung“ von Endlichkeit und Unendlichkeit, und die Einheit der Menschen. Die Bedeutung des „Kultus“ für diese Arbeit zeigt sich unter anderem auch daran, dass Hegel in den 1831 gehaltenen Vorlesungen zur Religionsphilosophie auch das Verhältnis von Religion und Staat unter diesen Begriff subsumiert[151].

 


II.II. Hegels Ablehnung eines nichterkennbaren Gottes

„Es macht unserem Zeitalter keinen Kummer mehr, von Gott nichts zu erkennen, vielmehr gilt es für die höchste Einsicht, daß diese Erkenntnis sogar nicht möglich sei.“[152]

Obiges Zitat fasst Hegels kritische Diagnose des Zustandes der religionsphilosophischen und theologischen Diskurse seiner Zeit zusammen. Hegel wendet gegen das Diktum von der Unerkennbarkeit Gottes eine zweifache Überlegung ein, die sich in erster Linie gegen Theologen richtet, die versuchen, Religion allein auf dem subjektiven Gottesbewusstsein zu begründen. Zum einen erinnert er, dass ein solches Religionsverständnis fundamental dem Anspruch des Christentums, „geoffenbarte“ Religion zu sein, widerspricht und zum anderen wendet er gegen die - seiner Meinung nach falsche - Demut die Anerkennung der eigenen Endlichkeit mit der Unerfassbarkeit des Göttlichen zu verbinden ein, eine solche „Demut“ wäre eigentlich Hochmut, lege sie doch fest, dass das Unendliche durch die Endlichkeit des menschlichen Subjekts begrenzt sei und mache so das endliche Ich zum „einzigen Affirmativen, Unendlichen und Absoluten“[153] und widerspreche daher, wie Hegel in der EPW ausführt, ihrem eigenen religiösen Anspruch[154].

Eng mit den Einwänden gegen eine Religion, die auf die Frage nach der Existenz Gottes vergisst, verknüpft ist Hegels Kritik an alleinigen Fundierungen des Religiösen im Gefühl bzw. in dem, was Hegel selbst „unmittelbares Wissen“ nennt. Auch wenn Religion nur als die empirisch überprüfbare Existenz des Gefühls von Gott verstanden wird, kann diese Religion ihrem eigenen Anspruch (in welcher Form auch immer, Vermittlung zwischen Menschen und Göttlichkeit zu sein) nicht genügen, da Gott so nur als „zufälligster Inhalt“[155] eines selbst zufälligen Gefühls gedacht ist[156]. Dieser Charakter einer nur kontingenten Fundierung im empirischen Gefühl widerspricht aber der Vorstellung Gottes als „freiem Anunfürsichsein“[157].

Bemerkenswerterweise wendet Hegel aber noch einen zweiten Gedanken gegen eine solche Religion des Gefühls ein. In den religionsphilosophischen Vorlesungen heißt es: „Man beruft sich auf das Gefühl, wenn die Gründe ausgehen. So einen Menschen muß man stehenlassen; denn mit dem Appellieren an das eigene Gefühl ist die Gemeinschaft unter uns abgerissen.“[158] Leider führt Hegel die Argumentation an dieser Stelle nicht weiter aus, aber man kann vermuten, dass er einen Religionsbegriff, der keine Gemeinschaft erlaubt, da er von der Ebene der Intersubjektivität absieht, als ebenso ungenügend versteht wie einen, der die Form des Verhältnisses Mensch-Gott nicht stringent fassen kann[159].

Obwohl eine Fundierung der Religion im Gefühl gegenüber dem vorhin skizzierten Ausschließen des Wissens um Gott aus der Religion für Hegel den Vorteil hat, dass sie Gott wieder zum Thema macht, so haben beide Positionen doch etwas gemeinsam - die Verankerung des Religiösen im empirischen Subjekt - für Hegel eine zweiseitige Tatsache. Zum einen besteht damit, wie gesagt, die Gefahr, dass Gott zum akzidentellen Bewusstseinsinhalt wird, zum zweiten aber wird damit auch für Hegel ein wichtiger Punkt erreicht. Zeigt diese Verankerung des Religiösen im Subjekt doch, dass alle „äußere Autorität“ weggeworfen ist, denn „was mir gelten soll, muß seine Bewährung in meinem Geiste haben“[160].

Vom Verständnis des Gottesgedankens als nur zufälligem Inhalt des Gottesbewusstseins versucht Hegel seine eigene Religionsphilosophie abzuheben. Vor allem ein zentraler Gedanke scheint Hegels Ausführungen dabei, wie Wagner ausführt, zu begleiten, und zwar dass „das Gottesbewußtsein, als die Beziehung des menschlichen Bewußtseins auf Gott“ die „für diese Beziehung vorausgesetzte Selbständigkeit des Gottesgedanken“ mit zur Sprache bringen muss[161]. Wir werden darauf bei der Beschäftigung mit Hegels Interpretation des Christentums wieder zu sprechen kommen.

 


II.III. „Begriff“ und „Form“ der Religion

 

Hegel zerlegt den „Begriff der Religion“ in drei Elemente: in „Gott“, das „religiöse Verhältnis“ und den „Kultus“. Gott versteht Hegel als Allgemeines, in Einheit mit sich seiendes, als absolute Substanz[162]. Wobei Hegel allerdings Wert darauf legt, dass bei der Erörterung solcher Bestimmungen noch nicht Religion, die erst mit der Unterscheidung zwischen Gottesgedanken und Gottesbewusstsein erreicht wird, thematisiert sei[163]. Um jedoch nicht nur vom zufälligen Vorhandensein von Religion ausgehen zu können, versucht Hegel die „Notwendigkeit des religiösen Standpunkts“ zu beweisen. Dabei geht er gewissermaßen auf doppelte Weise vor. Während er zum einen die Notwendigkeit der Religiosität im Bewusstsein der menschlichen Endlichkeit verankert, führt Hegel zum Zweiten die Notwendigkeit des endlichen Bewusstseins für die göttliche Allgemeinheit aus[164].

Unter dem Titel des „religiösen Verhältnisses“ behandelt Hegel Religion vor allem als „das Bewußtsein des Menschen von einem Höheren, Jenseitigen, außer ihm und über ihm Seienden“[165] und wendet ein, dass Vorstellungen von einem Jenseits als ganz Anderem des Diesseits, die Transzendenz beschränken würden. Ein adäquater Begriff der Unendlichkeit müsste dagegen auch ihr Verhältnis zum Endlichen schlüssig fassen können, so der Hegel’sche Anspruch[166]. Religion versteht Hegel als Versuch einer „Versöhnung“ von Endlich- und Unendlichkeit. Eine Synthese, die nur im Ansatz in den Relationen von Gefühl, Vorstellung und Verstandesdenken erreicht wird und die im religiösen Kultus als „Vermittlung von subjektiver Erhebung des Menschen zu Gott und der Selbstentäußerung Gottes an den Menschen“[167] und letztlich in der Philosophie erfolgen kann. Damit ist allerdings interessanterweise für Hegel ein wesentlicher Teil der Religion (zumindest: der christlichen Religion), die Gemeinde, eigentlich bereits über die für die Religion konstitutive Bewusstseinssphäre, die Vorstellung hinaus[168]; ist für Hegel doch, wie wir noch sehen werden, die Subjekt-Objekt-Differenz Charakteristikum der Vorstellungssphäre.

Die Religion, deren Aufgabe laut Günther Dellbrügger bei Hegel in der Vereinigung des menschlichen mit dem göttlichen Willen liegt[169], synthetisiert sowohl theoretische, emotionale als auch voluntative Elemente. Als theoretische Form der Religion versteht Hegel wie gesagt die „Vorstellung“. Eine Charakterisierung, die meines Erachtens nur verständlich wird, wenn sie in Relation zu dem gesetzt wird, was Hegel die Bereiche der Anschauung und des Denkens nennt - zu Kunst und Philosophie. Alle drei Sphären des absoluten Geistes sind nach Hegel Formen der Darstellung des Absoluten. Da die bildliche Darstellung der Kunst das Absolute immer „beschränkt“, weil physisch, zur Anschauung bringt, kann sie nach Hegel einem Bewusstsein, das zur Vorstellung eines rein geistigen Absoluten gelangt ist[170] nicht mehr genügen; die Religion bewirkt das „Ende der Kunst“[171]. Gegenüber der Kunst erreicht die Religion eine Verinnerlichung des Bildes vom Absoluten. Allerdings bedient sich auch die Vorstellung sinnlicher Symbole und Beschreibungen, aber diese werden eben nicht mehr als unmittelbare Darstellung des Göttlichen verstanden, sondern als Verweis auf etwas Übersinnliches. Trotzdem bleibt in diesem Rückgriff der religiösen Vorstellung auf Bilder nach Hegel immer etwas Inadäquates. Ein Defizit, das sich in der zeitlich-räumlichen Verfasstheit der religiösen Erzählungen zeigt. Zum entscheidenden Kriterium der Unzulänglichkeit der Sphäre der Vorstellung wird für Hegel aber die seines Erachtens für die Vorstellung wesentliche Differenz von Subjekt und Objekt, von Vorstellendem und Vorgestelltem. Da die Vorstellung einerseits die Unangemessenheit des Bildes erkennt, andererseits aber das über das Sinnliche Hinausgehende selbst nur wieder mittels Symbol explizieren kann, steht sie in „beständiger Unruhe“[172]. Da sich die Vorstellung immer schon ihrer eigenen Probleme bewusst sein kann, liegt auch die viel zitierte „Flucht in den Begriff“[173] bereits in ihr angelegt. Für Hegel ist die Philosophie in der Lage, die Inhalte der religiösen Vorstellung, die in Wahrheit ihre eigenen sind[174], aufzunehmen und auf einer höheren Bewusstseinsstufe zu erhalten, da Religion und Philosophie letztlich dieselbe Frage nach dem Absoluten behandeln. Ob und in welcher Form diese „Aufhebung“ der Religion aber tatsächlich möglich ist, das wurde von zahlreichen Denkern hinterfragt. Aber auch Hegel selbst sieht dieses Problem durchaus. Stellt er in den VPR doch klar, dass es ein wichtiger Vorwurf gegenüber dem Denken sei, dass es die Inhalte der Vorstellung verändere und verfälsche. Die Schwierigkeit dabei sei, so Hegel, „zu trennen was Inhalt als solcher, der Gedanke ist, von dem, was der Vorstellung als solcher angehört“[175]. Denn zu ändern ist für Hegel alleine die Form der Vorstellung. Welche Konsequenzen aus der Hegel’schen Kritik an der Form der Religion als Ausdruck der Vorstellung zu ziehen sind, darin unterschieden sich Links- und Rechtshegelianer ganz wesentlich. Während Erstere mit der Erkenntnis der inferioren Form der Religion auch gleich deren Inhalte verabschieden wollten, legten Letztere auf Hegels Betonung der Inhaltsgleichheit von Religion und Philosophie Wert und folgerten daraus die Legitimation der Religion als solcher. Wie aber schon Karl Löwith in seiner berühmten Studie „Von Hegel zu Nietzsche“ festhielt, liegt die Wurzel dieses Streites gewissermaßen bereits in der „Zweideutigkeit“[176] der Hegel’schen Argumentation selbst angelegt. Michael Schulz kritisiert, seine Argumentation an Falk Wagner anlehnend, beide - rechts- und linkshegelianische - Positionen als zu kurz greifend[177]. Ihm zufolge gehen sowohl Links- als auch Rechtshegelianer von einem als zu ident verstandenen Verhältnis von Form und Inhalt innerhalb der Hegel’schen Philosophie aus - beide Seiten legten demnach zu wenig Augenmerk auf den dialektischen Charakter der Hegel’schen Denkfiguren. Vielmehr dürfte, so Schulz, weder aus der Inhaltsgleichheit von Religion und Philosophie eine Gleichheit im Erkenntniswert der beiden gefolgert werden, noch aus der Ablehnung der Form des religiösen Bewusstseins ein Ende der Inhalte. In der Vorstellung wird der an sich unendliche Inhalt verendlicht. Die endliche Form des unendlichen Inhalts könne daher nicht als rein akzidentelle Größe der Religion verstanden werden, da die Form selbst ein wesentlicher Teil von ihr sei, argumentiert Schulz. „Insofern aber die verendlichte Gegenüberstellung sich in ihrer Einseitigkeit zu sich negativ verhalten muß, kommt es zur Fortbestimmung. In dieser Hinsicht unterschiedet sich die endliche Form als Form vom absoluten Inhalt und von der Form, die ihrerseits den Inhalt zu generieren vermag.“[178] Aus der unzureichenden Form der Religion folgt also eine auch inhaltliche Veränderung - diese Wandlung liegt bereits im Wesen der Religion selbst begründet. Die Legitimation der Religion liegt demzufolge in dem ihr immanenten Potenzial zur eigenen Fortbestimmung. Trotzdem ist das Verhältnis von Religion und Philosophie keineswegs ein spannungsfreies, vielmehr scheint gerade aus Sicht des religiösen Bewussteins die Philosophie oft genug eine destruktive Wirkung zu haben. Da Vorstellungen sich immer aus endlichen „Bildern“ zusammensetzen, die Philosophie aber gerade diese Endlichkeit zu überwinden trachtet, droht aus religiöser Sicht ein Ersatz religiöser Wahrheiten durch „abstrakte Prinzipien“.

Ein gutes Beispiel für die, in Hegels Augen wesentlichen Unzulänglichkeiten der religiösen Vorstellung, findet sich in Hegels Beschäftigung mit dem christlichen Konzept der „Erbsünde“. Begegnet das Denken der biblischen Geschichte in Form des abstrakten Verstandes, so verstünde es das Verhältnis des Erbes endlich und erhebe den Einwand, es sei für Kinder doch zufällig, wer ihre Eltern seien, so Hegel[179]. In Wahrheit dürfe die Erzählung aber nicht wörtlich genommen werden, sondern die endlichen Bestimmungen müssten in das Gebiet des Allgemeinen erhoben werden. Als paradigmatisch für Hegels „Aufhebung“ des Religiösen werde ich hier eine kurze Wiedergabe Hegels eigener Genesisinterpretation geben[180]. Zeigen sich doch für Hegel gerade auf dem Gebiet der Bibelexegese die Schwierigkeiten eines Erfassens der Inhalte einer religiösen Erzählung. Charles Taylor fasst in seiner großen Hegelstudie die doppelte Problematik des Verständnisses der biblischen Texte aus der Sicht Hegels wie folgt zusammen: „Entweder nehmen sie [Menschen ohne philosophisches Verständnis] es als unverfälschte Wahrheit (d. h. sie nehmen die Bibel wörtlich) oder sie erkennen an, daß etwas Unausgesprochenes übrig bleibt und schließen daraus dann, daß Gott in dieser Hinsicht nicht zu verstehen ist.“[181] Keiner dieser Wege ist für Hegel gangbar. Weder ein orthodoxes, wörtliches Bibelverständnis noch ein Anerkennen einer Unerkennbarkeit Gottes sind für ihn der „absoluten Religion“, dem Christentum, entsprechend. Er möchte vielmehr ein Durchdenken der religiösen Erzählungen. Ein Versuch, dies zu leisten, ist Hegels Interpretation der Geschichte vom „Sündenfall“. Da Adam nicht nur als „erster Mensch“, sondern als „Mensch als solcher“ verstanden werden müsste, sei die Sünde Adams nicht nur sein, sondern aller Menschen Vergehen, deutet Hegel den biblischen Text. Auch die Beschreibung des Akts des Vergehens selbst versteht Hegel als „vorgestellte“ Erzählung einer in Wahrheit allgemeinen, weil gedanklichen Wirklichkeit. Mit dem Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis erlangt Adam Wissen, Bewusstsein und tritt damit in die Entzweiung ein, die „Quell alles Bösen ist“. Der Mensch, als bewusstes Wesen, lebt immer in der Differenz von Subjekt und Objekt; ohne diese Entzweiung gibt es kein Wissen, aber auch keine Schuld, sondern nur die tierische, fraglose Eingebundenheit in den Naturzusammenhang, folgert Hegel aus der biblischen Geschichte. Den eigentlichen Kern der religiösen Erzählung machen bei Hegel also die in ihr enthaltenen Aussagen über das Wesen des Menschen aus.

Bevor wir nochmals auf die „Aufhebung“ der Religion in der Philosophie zu sprechen kommen, scheint es mir wichtig, auf Hegels Insistieren auf der Religion als der „Wahrheit für alle Menschen“[182] hinzuweisen. Im Interesse der allgemeinen Verständlichkeit räumt Hegel der vorstellungsmäßigen Erläuterung des Absoluten in der Religion große Bedeutung ein. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Religion nur eine unvollständige Darstellung bieten kann, sind ihre Erklärungen leichter nachvollziehbar und damit wertvoll. Damit scheint sich aber eine unüberbrückbare Differenz zwischen dem „vollständigen“ Verständnis der Philosophie und dem „beschränkten“ der Religion aufzutun. Eine Differenz, die zwar vom Standpunkt der Philosophie aus als notwendig verstanden werden kann, die für das religiöse Bewusstsein aber unversöhnlich bleibt. Gerade diese Trennung möchte Hegel aber durch die Entwicklung seiner Religionsphilosophie beenden. Die Religionsphilosophie soll daher die, wie es Wagner nennt, „bildungspraktische Aufgabe“[183] übernehmen, das religiöse Bewusstsein aus der Form der Vorstellung heraus zu der des Denkens führen. Die Religionsphilosophie muss ausgehend von der vorstellungsmäßigen Begrifflichkeit der Religion eine Überführung der religiösen Inhalte in gedankliche Fassungen leisten und dabei zugleich das religiöse Bewusstsein davon überzeugen können, dass ein solcher Transport ohne entscheidende inhaltliche Verluste erfolgen kann. In dieser Aufgabenstellung der Religionsphilosophie liegt Wagner zufolge auch die Wurzel des bereits erwähnten Löwith´schen Vorwurfs der „Zweideutigkeit“ der Aufhebung der Religion. Da Hegel mit seiner Religionsphilosophie versucht, das religiöse Bewusstein zur Philosophie zu geleiten, müsse er immer wieder „zwischen Vorstellung und Begriff“ hin- und hergehen, so Wagner[184]. Er müsse sich auf den religiösen Inhalt beziehen, um ihn dann als im philosophischen Begriff aufgehoben darlegen zu können. Wodurch es zu einer Aufhebung kommen kann, die insofern auch dem eigenen Anspruch des religiösen Bewusstseins entspricht, als es nur so „den geglaubten, gefühlten oder vorgestellten Inhalt auch an der Stelle seiner begrifflichen Explikation erfassen kann[185]. Allerdings scheint mir Wagner zum einen Hegels pessimistische Schlusssätze der VPR, wonach die Aufhebung der Religion in der Philosophie keine allgemeine Verwirklichung erlebt[186], und zum anderen auch Aussagen Hegels, wie die bereits zitierte, dass die Religion der Ort der Wahrheit „für alle“ sei, nicht ausreichend zu berücksichtigen. Trotz aller theoretisch möglichen Überführung der Religion in die Philosophie bleibt die Sphäre der „vorgestellten“ Wahrheit im Dienste der allgemeinen Verständlichkeit von immenser Bedeutung. Das scheint mir gerade im Kontext der im Zuge dieser Arbeit behandelten Frage nach der Relation von Staatlichkeit und Religion wichtig, da Hegel generell nicht von einer „Übernahme“ der religiösen Erklärungsfunktion durch die Philosophie ausgeht. Allerdings muss Wagner insofern Recht gegeben werden, als Hegel selbst das resignierende Ende der religionsphilosophischen Vorlesungen in einigen Vorlesungszyklen zu Gunsten der „Realisierung des Geistigen der Gemeinde“ ausließ und eine Verwirklichung des Religiösen als möglich erachtete[187]. Auch scheinen für einen primär nicht „philologisch“ orientierten Zugang zu den Hegel’schen Texten auch weniger Hegels persönliche Zeitdiagnosen von Bedeutung zu sein, als die Konsequenzen, die aufgrund der inneren Logik der Texte selbst folgen; und in diesem Sinne muss sowohl die Bedeutung der „Aufhebung“ der religiösen Inhalte in der Philosophie, die ja immer auch eine „Konservierung“ ist, für die Religion selbst betont werden, als auch dass, weil Hegel immer auf den elitären Charakter des philosophischen Zugangs pocht, er der Religion als Ort der Wahrheit „für alle“ eine große Bedeutung zukommen lassen muss, eine Bedeutung, die der Philosophie aus dieser Perspektive betrachtet verwehrt bleiben muss.

 

 


II.IV. Kultus und Gemeinde - das Bewusstsein der Versöhnung

Dem Kultus[188] voran geht das für die (religiöse) Vorstellung konstitutive Wissen um die Trennung von Göttlichem und Menschlichem, eine Entgegensetzung, die in allen theoretischen Formen des Religiösen zu Tage tritt. Die Differenz manifestiert sich für Hegel auch im Bewusstsein der „rein geistigen Trennung des subjektiven Willens vom göttlichen“[189], der moralischen Fehlerhaftigkeit des Menschen[190]. Als natürliches Wesen ist jeder Mensch „an sich böse“, da in seiner Natürlichkeit Antriebe verwurzelt sind, die einer vernünftigen Leitung seines Willens widersprechen. Wenn die „Unmittelbarkeit das Gesetz ist“[191], verfehlt der Mensch für Hegel die Anforderung, nicht zu sein wie er von Natur ist, und damit sein Menschsein. Indem der Mensch das in seiner Natürlichkeit angelegte Böse sieht, erkennt er sich als von Gott getrennt. Religiöser Kultus ist für Hegel der Versuch diese Trennung zu überwinden, „sich im Zwecke Gottes, in Einigkeit mit ihm zu wollen“[192]. Neben dem Kultus sieht Hegel übrigens noch einen zweiten Weg der Überwindung der negativen Natürlichkeit des Menschen, die Erziehung. In dieser geschehe die Aufhebung jedoch bewusstlos, so Hegel, und erst im Kultus erfolge sie mit „Bewußtsein und Wille“[193].

Hegel subsumiert unter den Terminus „Kultus“ sowohl innerliche Zustände als auch äußerliche Rituale und nennt als „erste Form“ des Kultus die Andacht. Dies ist insofern bemerkenswert, als Hegel das andächtige Subjekt dadurch charakterisiert, dass es „sich hineinversenkt“, und „Feuer“ und „Wärme“ der Andacht betont[194]. Damit eröffnet sich die Frage, ob es Hegel gelingt, diese, von ihm positiv bewertete Form der Religiosität von einer Religion des Gefühls abzuheben, oder ob nicht Hegels eigene Einwände gegen den „zufälligsten Inhalt“ des Gefühls auch die Gewissheit in der Andacht treffen können. Aber Hegel zielt mit dieser Beschreibung der Andacht auf eine seines Erachtens wesentliche Bestimmung ab. Liegt in ihr doch die Unterscheidung der Andacht vom rein vorstellungsmäßigen Bezug auf die Unendlichkeit, da das andächtige Subjekt in jener „nicht bloß gegenständlich mit diesem Inhalt beschäftigt“ ist[195]. Hier zeigt sich, dass für Hegel gegenüber dem Kultus die wesentlichen Kritikpunkte am beschränkten Zugang der religiösen Vorstellung nicht mehr relevant sind, da der Kultus als Form der Praxis die Subjekt-Objekt-Differenz der Vorstellung bereits überwindet. Daher sind für Hegel, neben der Andacht, die noch ganz auf der Stufe der „Innerlichkeit“ erfolgt, gerade auch die äußerlichen Formen, die „die Versöhnung zum Gefühl, zum gegenwärtigen, präsenten, zum sinnlichen Bewußtsein“[196] bringen, zentrale Teile des Kultus. Zu notieren ist an dieser Stelle, dass Hegel in den religionsphilosophischen Erörterungen in bestimmter Weise eine Form der Praxis, den Kultus, als Fortschritt gegenüber dem bloß theoretischen Verhältnis der Vorstellung einführt[197].

Wie bereits erwähnt ist das Wissen um die Differenz zwischen der menschlichen Endlichkeit und dem Göttlichen für Hegel konstitutiv für den religiösen Kultus. Doch dieses Bewusstsein muss nach Hegel im Lauf des historischen Lernprozesses, als welchen er die Religionsgeschichte versteht, selbst erst entwickelt werden. Daher interpretiert Hegel die verschiedenen Kultformen als unterschiedliche Stadien des Versöhnungsprozesses[198]. Wenn die „Glückseligkeit“ herrscht, dass Gott den Menschen nahe ist - beispielsweise als lokale Schutzgottheit[199] -, dann kann der Kultus insofern keine „Versöhnung“ leisten, weil die ihr notwendig vorausgehende Trennung noch gar nicht vorhanden ist. Ein auf dieser Stufe stehender Kultus ist daher nicht ein „vom übrigen Leben abgesondertes“[200]. Alltägliche und religiöse Handlung gehen ineinander über und bilden zusammen „ein heiliges Leben“[201]. Erst mit dem Bewusstsein der Spannung zwischen „feierlicher“ Form und profanem Inhalt einer Tätigkeit entsteht zugleich der Wunsch nach Aufhebung des Endlichen. Hegel versteht alle Formen des Opfers (Gabe-, Reinigungs- und Arbeitsopfer) als Versuche, den endlichen Wert der natürlichen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung gewissermaßen auszugleichen. Doch materielle Opfer können die Unzulänglichkeit des Endlichen nicht hinreichend beheben, da sie „die Negativität des Endlichen“ auch „nur auf endliche Weise“ ausdrücken[202]. Der Anspruch, dem Unendlichen zu genügen, kann daher erst dann mit der Natürlichkeit „versöhnt“ werden, wenn diese Versöhnung auf einer anderen Ebene geschieht - auf der des Geistes. Weder in einer „ursprünglichen Einigkeit“ noch durch eine materielle „Bezahlung“ kann sich der Mensch als mit dem göttlichen Willen, dem „vollendeten Willen“[203], in Einklang befindlich verstehen, sondern nur in einer bewussten Überwindung der subjektiven, natürlichen Bedürfnisse zu Gunsten der freien Geistigkeit.

 

Die spekulative Religionsphilosophie Hegels legt, wie es bei Jaeschke heißt, „den Akzent nicht auf die Lehre, sondern auf den Kultus - nicht auf das Wissen von Gott im Bewußtseinsverhältnis, sondern auf die Selbstgewißheit der Gemeinde“[204]. Im Folgenden seien kurz einige Grundzüge des für Hegels Religionsphilosophie zentralen Begriffs der „Gemeinde“ skizziert. 

Die Gemeinde bringt den Zusammenschluss der Individuen in der gemeinsamen Liebe zu Gott hervor. Interessant ist hierbei Hegels Unterscheidung dieser Gemeinschaft von Formen der Freundschaft und der Liebe zwischen Mann und Frau. Die Liebe innerhalb der religiösen Gemeinde ist Hegel zufolge frei von aller Besonderheit, d. h. sowohl von der für die Freundschaft konstitutiven Übereinkunft in „Grundsätzen, Studien, Wissenschaft“ als auch von der Zuneigung zu einem speziellen Menschen, der zwischenmenschlichen Liebe. Die Einheit in der Gemeinde beruht vielmehr auf einer rein geistigen Übereinkunft. Der in der Gemeinde geglaubte Inhalt muss aus diesem Grund immer schon von der sinnlichen in die geistige Form übergegangen sein[205]. Dies obwohl der in der Gemeinde praktizierte Kultus auch sinnliche Elemente enthalten kann. Aber auch in der religiösen Erzählung sind nicht die überlieferten Wunder das eigentlich Entscheidende, so Hegel - denn „der sinnliche Inhalt ist nicht an ihm selbst gewiß“[206] und muss durch die Vernunft beglaubigt werden -, sondern die innerhalb der Gemeinde geglaubte Wahrheit; diese jedoch werde nicht unmittelbar durch die Worte der heiligen Texte hervorgebracht, sondern durch die Gemeinde selbst[207], der Glaubensinhalt ist wesentlich „erst in der Kirche gemacht worden“[208]. Die Gemeinde[209] hat daher immer auch die entscheidende Aufgabe diese Inhalte zu tradieren, zu lehren.

Das neu in die Gemeinde aufgenommene Mitglied - Hegel denkt hier in erster Linie an das getaufte Kind[210] - lernt mit der Zeit die Glaubensinhalte und weiß sich als Teil der Gemeinschaft, in der die Versöhnung immer schon geschehen ist. Mit der Zentrierung auf das getaufte Kind konterkariert Hegel allerdings die zuvor erwähnte Unterscheidung zwischen Erziehung und Kultus, als der „bewussten“ Form der Überwindung der unmittelbaren Natürlichkeit. Eine wirklich „bewusste“ Entscheidung könnte der Kultus doch streng genommen nur für Erwachsene sein. Hegel denkt jedoch die Einführung in den Kultus als Form einer Erziehung eines Kindes. Die religiöse Wahrheit tritt dem (kindlichen) Individuum zunächst als ein ihm Äußerliches gegenüber[211], in Form einer Autorität. So wie das Kind zunächst unbewusst an die religiöse Wahrheit herangeführt wird, so erfolgt auch die Aufnahme in die Gemeinde nach Hegel zunächst nicht aufgrund einer Initiative des neuen Mitglieds, sie geschieht durch die Kindestaufe. Erst durch die Taufe und die Heranführung des Kindes in der Erziehung an die religiösen Wahrheiten wird es dem Individuum möglich, sich am Kultus zu beteiligen. Den Kultus versteht Hegel als bewusste Aneignung der religiösen Lehren, die zuvor bereits „unbewusst“ in der Erziehung erfolgt war.

Durch die Taufe wird das Individuum Mitglied der Gemeinde, „in der das Böse an und für sich überwunden“ ist[212]. Das Wissen um dieses Überwundensein des Bösen ermöglicht es dem Gemeindemitglied das Böse nichtig zu setzen. Hegel bleibt jedoch eine Erläuterung dessen schuldig, was hier unter dem Bösen zu verstehen ist. Möglicherweise meint er rein generell alles innerhalb einer religiösen Gruppe als negativ Definierte, welches vom Einzelnen, eben weil es als „Böses“ festgelegt ist, verneint werden kann. Zugleich erlauben religiöse Reue und Buße dem Individuum, Verbrechen „auszulöschen“[213], da das Vergehen als solches keinen Wert, und d. h. auch keinen negativen Wert, hat. Da ein Ungeschehenmachen des Geschehenen nicht auf der Ebene des Materiellen erfolgen kann, ist die Versöhnung von Anspruch und Tat - und um eine solche Versöhnung zwischen dem, was als an sich gut erkannt, und dem, was getan wurde, geht es nach Hegel anscheinend primär - eine geistige und damit aber in gewisser Hinsicht nur eine „abstrakte“[214].

Als Gemeinschaft von Menschen steht die religiöse Gemeinde aber immer schon vor dem Problem der Realisierung ihrer Überzeugungen, der Überwindung des abstrakten Charakters der „Versöhnung“. Daher steht die Gemeinde notwendigerweise in einem Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit.

Hegel skizziert im Folgenden drei alternative Bestimmungen dieser Relation von Religion und sittlicher Ordnung - der Begriff „Staat“ wird von Hegel an dieser Stelle nicht genutzt, wäre hier aber im Wesentlichen deckungsgleich einzusetzen. Festzuhalten ist, dass Hegel hier das religiös-sittliche Verhältnis nur aus der Perspektive des Glaubens, nicht aber aus der Sicht der weltlichen Ordnung betrachtet. Ich werde später die hier vorgestellten Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung von Religion und Staat noch ausführlicher behandeln und auch die „gegenteilige” Optik wählen und die Rolle der Religion aus der staatlichen Perspektive beleuchten.

Hegel vermeint drei Arten der geistigen Verortung der religiösen Gruppe innerhalb der sittlichen Wirklichkeit zu erkennen. Man könnte diese verschiedenen Verhältnisbestimmungen meines Erachtens als externe (a), subordinierende (b) und integrierte (c) Positionen bezeichnen.

Ad a)   Bestimmend für die erste Position ist der Begriff des „Entsagens“[215]. Obwohl Hegel auch sie als „Form der Versöhnung“ bezeichnet, scheint dieser Relation von Religion und Wirklichkeit gerade das versöhnte Element zu fehlen, da sie durch ein Sichabschließen des Glaubens gegenüber der Welt gekennzeichnet ist. Um zu verstehen, warum Hegel trotzdem von „Versöhnung“ spricht, muss nochmals auf die oben erwähnte Bedeutung des Kultus als Form der Versöhnung von Mensch und Gott hingewiesen werden. Diese Weise der Versöhnung findet natürlich auch hier statt. Jedoch bleibt die religiöse Versöhnung auf der Ebene des Realen mit der Wirklichkeit „unversöhnt“, da zwar der religiöse Anspruch des Individuums und sein Handeln in der religiösen Buße versöhnt ist, seine Aktionen im Rahmen der Weltlichkeit aber immer als unzulängliche angesehen werden. Daher ist innerhalb eines solchen Verständnisses die „mönchische Abstraktion“, worunter Hegel primär einen Rückzug aus der Welt versteht, die eigentlich korrekte Verhaltensweise.

Ad b)   Die zweite Form der Versöhnung beschreibt Hegel mit der Formel, „daß die Weltlichkeit und Religiosität einander äußerlich bleiben und doch in Beziehung kommen sollen“[216]. Diese Beziehung kann aus Sicht des Glaubens nur in Form der Herrschaft über die Weltlichkeit existieren, da nur so dem religiösen Anspruch, dass die eigene Versöhnung der rohen Wirklichkeit überlegen sein muss, Genüge getan werden kann. Für die religiöse Vereinigung sieht Hegel dadurch die Gefahr entstehen, selbst den kontigenten Charakter zu übernehmen, zu „verweltlichen“. Der in einer solchen Gesellschaft lebende Mensch steht in der ständigen „Entzweiung“, da sein familiäres, berufliches und politischen Agieren ein „nichtiges“ sei[217]. Da er nur tun kann, was ihm die religiöse Autorität vorschreibt, kann er in keiner seiner Handlungen so etwas wie einen Selbstzweck erkennen. Alles bleibt nur falsches, notwendiger- und unfreiwilligerweise zu Tuendes. Daher ist gerade diese Form der Versöhnung das Gegenteil dessen, was sie erreichen möchte, betont Hegel. Statt die eigene, geistige Versöhnung in die Welt zu tragen, importiert die religiöse Gemeinde die Zerrissenheit der Wirklichkeit.

Ad 3)   Im Gegensatz zu den vorhin skizzierten Alternativen erlaubt die dritte Verhältnisbestimmung, auch in den sittlichen Institutionen Bedeutung zu finden, diese als „heilig“, einer eigenen Teleologie gehorchend zu empfinden. Erkennt die glaubende Gemeinde doch, dass „die wahre Versöhnung“ in dem sittlichen und rechtlichen Staatsleben besteht[218]. Hegels genauere Überlegungen, wie diese Versöhnung zu erreichen ist, werde ich an späterer Stelle erörtern. Festzuhalten ist hier primär, dass nach Hegel eine religiöse Bewegung aufgrund ihres eigenen Anspruchs in ein Verhältnis zur sittlichen Wirklichkeit treten muss, um sich selbst nicht als „abstrakte“ erleben zu müssen.


III. Das „systematische“ Verhältnis von Staat und Religion

III.I. Der objektive Geist als „Weg“ zum absoluten

Während Hegel in seinen Behandlungen des „äußeren Staatsrechts“, d. h. der internationalen Beziehungen, besonders auf die Souveränität der Staaten Wert legt, wird genau diese Selbstständigkeit in seinen - sowohl in den GPR als auch der EPW unmittelbar anschließenden - Überlegungen zur „Weltgeschichte“ wieder relativiert. Und es kann tatsächlich erstaunen, dass am Ende der GPR wieder eine Form des Naturzustandes steht und auf den Aufstieg hin zum sittlichen Staat letztlich wieder ein Abstieg zum rechtlich nicht vollends fassbaren Konkurrenzverhältnis zwischen den Staaten folgt.[219] Interessanterweise hält Hegel einen internationalen Staatenbund, der als Richter über allen zwischenstaatlichen Konflikten steht, deswegen für nicht realistisch, weil eine solche Instanz nur dann anerkannt werden könnte, wenn die Staaten eine „Einstimmung“, welche „auf moralischen, religiösen oder welchen Gründen und Rücksichten, überhaupt immer auf besonderen souveränen Willen beruhte und dadurch mit Zufälligkeit behaftet“ sei, erzielt hätten. Dadurch dass Hegel den innerhalb eines Staates, eines „Volksgeistes“, so zentralen kulturellen Wertekonsens international nicht verwirklicht sieht, kann er einem Staatenbund nur beschränkte Dauerhaftigkeit zugestehen. Bedeutung misst Hegel aber dem Völkerrecht zu, dessen wesentlichste Bestimmung er in der gegenseitigen Anerkennung der Souveränität der Staaten und damit in der Verpflichtung zur Nichtintervention zu erkennen scheint. Das ist gerade im Zusammenhang mit der durchaus problematischen Tolerierung des Krieges als Mittel zur Durchsetzung der Interessen eines Staates bei Hegel wichtig, da das Pochen auf die Autonomie der einzelnen Staaten Hegels Diktum, dass der Streit der Staaten „insofern die besonderen Willen keine Übereinkunft finden, nur durch Krieg“ entschieden werden könne[220], in gewisser Weise relativiert[221]. Gerade die Wertschätzung der Selbstständigkeit der Staaten ermöglicht Hegel, wie wir sehen werden, den systematischen Übergang vom „äußeren Staatsrecht“ zur „Weltgeschichte“ und von dieser zu den Formen des „absoluten Geistes“.


III.II. Der Volksgeist

An dieser Stelle scheint mir ein klärender Exkurs zum bereits oben erwähnten Begriff des „Volksgeistes“ sinnvoll, da dieser Terminus in der folgenden Argumentation eine wesentliche Rolle einnehmen wird. Der Volksgeist, so Hegel in der VPG, drücke, „das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit“ aus[222]. Die Bedeutung aller genannten Faktoren für die historische Entwicklung der Staaten aufzuzeigen, setzt sich Hegel als Zweck seiner philosophischen Ausführungen zur Weltgeschichte. Über Hegels historische, praktische Bestimmungen des Verhältnisses von Religion und Staatlichkeit wird in dieser Arbeit an späterer Stelle gesprochen. Hier sei nur Hegels Gleichsetzung der unterschiedlichen Volksgeister mit verschiedenen Formen des Bewusstseins der Freiheit genannt.

Das Verhältnis der Individuen zum Volkgeist beschreibt Hegel als eine sich selbst entwickelnde Identität. Jeder ist „Repräsentant“ des Volkgeistes[223] und versteht die Taten seines Volkes als „sein Werk“[224]. Zugleich eignet sich das Individuum die „Gesinnungsart“ erst an[225]. Der Einzelne ist also nicht biologisch determiniert, sondern lernt erst im Laufe seines Lebens, was innerhalb der Gruppe Wert hat. Die Aneignung scheint Hegel durchaus als eine bewusste zu verstehen. Was Hegel aber nicht in Erwägung zieht, ist die Möglichkeit der Entscheidung des Individuums über das Objekt dieser Aneignung. Wenn der Einzelne erst für sich entwickeln muss, was an sich bereits angelegt ist, bleibt die Frage, ob er diese Entwicklung nicht entweder verweigern oder aber anders steuern könnte.

Trotzdem ist der Begriff der „Aneignung“ insofern bedeutsam, als Hegel damit aufzeigt, dass der Volksgeist, existierend etwa in Bräuchen und Traditionen, nur dadurch bestehen kann, dass er von Individuen erhalten wird. Zugleich aber ist ein Brauch eben nur dadurch ein solcher, dass er gewissermaßen immer schon vor den Individuen existiert. Erst wenn eine Regel dem Individuum als etwas bereits Bestehendes gegenübertritt, kann sie von diesem als Teil des Volksgeistes „angeeignet“ werden.

Für die Entwicklung innerhalb eines Volkgeistes ist die Differenz zwischen dem, „was an sich ist, [...] und was es wirklich ist“ entscheidend. Alle Versuche, die an sich immer schon vorhandene Idee der Freiheit zu verwirklichen, treten ihm, einem historischen Volk, „von neuem als Stoff gegenüber“ und produzieren immer eine neue „Anforderung der Verarbeitung“[226]. Erreicht ein Volksgeist aber im Laufe dieses ständigen Prozesses der Ausdifferenzierung seiner selbst einen Punkt der zumindest scheinbaren Übereinstimmung von Anspruch und Wirklichkeit, so zeigt sich gerade dieser Moment der „Blüte“ als höchst instabil. Denn das Volk verliert, so der Hegel’sche Gedanke, das Interesse an der Weiterentwicklung seiner Institutionen, wo der Gegensatz zwischen dem, was „an sich“, und dem, was „wirklich“ ist, aufgehoben ist. Allerdings ist hier die Frage zu stellen, wie eine solche Übereinstimmung überhaupt erreicht werden kann, wenn das „an sich“ doch die Vorstellung reiner Freiheit ist. Wir werden später noch sehen, dass für Hegel die Religion eine zentrale Rolle als die Manifestation des Freiheitsbewusstseins, der etwa die rechtlichen und politischen Institutionen zu genügen haben, spielt.

Als Ausdruck des Verfalls eines bestimmten Volksgeistes[227] bezeichnet Hegel die „Gewohnheit“. Dies ist insofern erstaunlich, als Hegel, wie früher bereits erwähnt[228], an anderer Stelle gerade diesen Begriff sehr positiv belegt und als für das Bestehen eines Staates wichtiges Element anführt. Möglicherweise könnte das als Hinweis darauf gelesen werden, dass auch der von Hegel etwa in den GPR beschriebene Staat der Moderne à la longue gesehen nur eine vorübergehende Hochblüte eines bestimmten Freiheitsverständnisses sein kann. Allerdings greift der moderne Staat für Hegel bereits über die Beschränkungen eines bestimmten „Volksgeistes“ hinaus bzw. relativiert den Begriff des Volksgeistes. Um dies jedoch zu verstehen, muss an dieser Stelle die Hegel’sche Sicht der Relation von Volk bzw. Volksgeist und Staat beleuchtet werden; denkt Hegel dieses Verhältnis doch keineswegs in der Form der Identität. Hegel ist sich durchaus bewusst, dass das „Volk“ einer Staatsbildung immer schon vorausgeht und damit auch der „Volksgeist“ der ihm gemäßen Staatlichkeit. Allerdings hält Hegel interessanterweise Völker, die das Stadium der Staatsbildung noch nicht erreicht haben, historisch für nicht relevant, da ihnen eben das Bewusstsein der notwendigen „Verobjektivierung“ ihrer Freiheitsbestimmungen abgeht[229]. In diesem Sinne spricht Hegel in den VPG auch davon, dass „Geschichtserzählung mit eigentlich geschichtlichen Taten und Begebenheiten gleichzeitig erscheine“[230]. Da die vorstaatlichen Gesellschaften, die Hegel im Allgemeinen für patriarchalische hält, noch von einem gleichförmigen Verlauf ihres Zustandes ausgehen, leben sie in ihren traditionalen Geschichten und Bildern, ohne diese als bewusste Ordnungsstrukturen zu erkennen. Sie haben weder Gesetze im eigentlichen Sinne noch eine Geschichte als Form der Reflexion auf die eigene Genese. Allerdings unterscheiden sich nach Hegel auch patriarchalische Gesellschaften schon von den ihnen vorausgehenden familiären Einheiten, die alleine auf Natürlichkeit und Gefühl basieren, insofern, als bei jenen von einem „Zusammenhang des Dienstes“[231] gesprochen werden kann, es also Herrschaftsstrukturen gibt, die über die familiären Bindungen hinausgehen. Um den Schritt vom Volk, mit all seinen geistigen und natürlichen Bestimmungen, zum Staat zu schaffen, scheint es nach Hegel im Lauf der Geschichte „welthistorischer“ Individuen, großer Gestalten, „in die das Volk sein Zutrauen setzte“[232], benötigt zu haben, die aus dem allgemeinen „Volksgeist“ heraus, d. h. aus den anerkannten Freiheitsbestimmungen, konkrete Verfassungen entwickelten. Allerdings darf dies nicht so verstanden werden, als ob aus einem Volksgeist ein Staat werden müsste. Eine bestimmte Kultur entwickelt nach Hegel zwar die ihr gemäße Gesetzeslage und -form. Jedoch kann, wie Avineri zu Recht mit Verweis auf die griechische Poliskultur betont, es einer Gesellschaft gerade entsprechen, viele, klein strukturierte Staaten zu entwickeln[233]. Auch sollte der Hegel’sche Begriff des „Volksgeistes“ wohl nicht mit „nationaler Einheit“ synonym gesetzt werden, sondern viel eher mit „Kulturepoche“. Eine solche historische Epoche ist für Hegel in erster Linie nicht durch die politische, militärische Hegemonie eines Staates, sondern, modern gesprochen, durch die Dominanz einer Lebensart gekennzeichnet. Dies muss besonders in Hinsicht auf Hegels Ausführungen über den „modernen Staat“, der seiner Meinung nach zumindest die gesamte protestantisch geprägte Welt und keineswegs nur eine „Nation“ bestimmt, betont werden; und das, obwohl Hegel in seinen Ausführungen über die „Anthropologie“ das „Beharrliche des Typus der besonderen Nationen“ zu erkennen vermeint[234]. Bemerkenswerterweise greift Hegel dort aber auch nicht den Terminus „Volksgeist“ auf, sondern spricht von „Lokalgeist“. Dies ist meiner Meinung nach unter anderem ein Hinweis darauf, dass Hegel die bereits genannten geistigen, kulturellen Bestimmungen eines Volksgeistes letztlich als entscheidender ansieht als die in der Anthropologie vor allem beachteten natürlichen, physischen Charakteristika.

 

Nach diesem kurzen Exkurs zum Verhältnis von „Volksgeist“ und Staat möchte ich wieder auf den nach Hegel notwendigen „Verfall“ eines welthistorischen Volkes zurückkommen. Dieser sollte, wie Hegel in den VPG betont, primär nicht als von außen bewirktes Ereignis betrachtet werden - beispielsweise als Folge einer Eroberung -, sondern als Ergebnis der Binnenentwicklung des jeweiligen Volksgeistes. Wenn ein Volk den „höchsten Punkt der Bildung“[235] erreicht hat, d. h. seinen eigenen Freiheitsbegriff nicht nur auf bestmögliche Weise verwirklicht, sondern auch gedanklich erfasst hat, gerade dann beginnt damit sein Auseinanderfallen. Die Individuen - nur solche können diese Entwicklung bewirken - erkennen nicht nur, was der Freiheitsbegriff besagt, den ein bestimmter Volksgeist verwirklicht, sondern sie sehen auch die Differenz zwischen dem Allgemeinen des gedachten Prinzips und dem „wirklichen Werk“[236].

„Der Volksgeist enthält  Naturnotwendigkeit und steht in äußerlichem Dasein; die in sich unendliche sittliche Substanz ist für sich eine besondere und beschränkte und ihrer subjektive Seite mit Zufälligkeit behaftet, bewußtlose Sitte, und Bewußtsein ihres Inhaltes als eines zeitlich Vorhandenen und im Verhältnisse gegen eine äußerliche Natur und Welt.“[237]

Da jeder Staat immer nur Ausdruck eines besonderen „Volksgeistes“, d. h. Teil einer kulturell, religiös und wissenschaftlich geprägten Epoche ist, kann er dem Anspruch, realisierte Freiheit zu sein, immer nur partiell genügen. Mit dem gedanklichen Erfassen des „Wesens“ einer Zeit wird die „Beschränktheit“ der Verwirklichung derselben gesehen. Da aber damit auch die ursprünglich fraglosen Sitten und Regeln als ungenügender Ausdruck erkannt werden, zerfällt der kulturelle Konsens innerhalb des „Volksgeistes“. Setzt sich die zunächst nur von Einzelnen vertretene Einsicht in die Mangelhaftigkeit der Lebensweisen durch, so tritt ein neues Prinzip auf.


III.III. Der absolute Geist „über“ dem objektiven

Doch Hegel geht nicht von einer unendlichen Reihe von immer neuen Formen der Realisierung von Freiheitsbegriffen aus. Denn die „Beschränktheit“ und „Naturnotwendigkeit“, in der jeder Volksgeist und damit jeder Staat notwendigerweise steht, sind nicht nur quasi systemimmanente Unzulänglichkeiten, sondern sie sind gerade wesentliche Bestimmungen jeder Form des objektiven Geistes. Weil jeder Volksgeist nur existiert, indem er von Gesellschaften und Institutionen gelebt wird, ist es laut Hegel unumgänglich, dass Freiheit auf seinem Boden nicht vollends begriffen werden kann.

Dank der Allgemeinheit des Denkens werden nicht nur die Mangelhaftigkeiten der bestimmten Volksgeister, sondern auch die grundsätzliche Differenz zwischen ideellem Freiheitsprinzip und realer Verwirklichung erkannt. Damit wendet sich der Geist „von der Objektivität der praktischen Welt zum reinen Wissen der theoretischen Vernunft“[238].

Obwohl der Übergang vom beschränkten objektiven zum absoluten Geist gewissermaßen in der Fähigkeit des Denkens zum Allgemeinen zu gelangen immer schon angelegt ist[239], kann er letztlich, wie Peperzak in Anlehnung an Hegels Argumentation in § 50 der EPW schreibt, nur mittels eines „Sprungs“ erfolgen[240]. Aber es ist ein Sprung, der notwendigerweise gemacht werden muss, denn wenn die Endlichkeit nicht als endlich erkannt und negiert werden soll, dann „soll nicht gedacht werden“[241], so Hegel.

Was die Sphären des „absoluten Geistes“ leisten sollen, woran der „objektive“ gescheitert ist, darauf verweist Hegel im § 553 der EPW:

„Der Begriff des Geistes hat seine Realität im Geiste. Daß diese in der Identität mit jenem als das Wissen der absoluten Idee sei, hierin ist die notwendige Seite, daß die an sich freie Intelligenz in ihrer Wirklichkeit zu ihrem Begriffe befreit sei, um die dessen würdige Gestalt zu sein. Der subjektive und der objektive Geist sind als der Weg anzusehen, auf welchem sich diese Seite der Realität oder der Existenz ausbildet.“[242]

Zentral scheint mir Hegels Verweis auf die Befreiung der „an sich freien Intelligenz“ in ihrer Wirklichkeit „zu ihrem Begriff“. Da Freiheit nach Hegel die Grundbestimmung des Geistes ist, jede Intelligenz an sich also schon frei ist, eine völlige Freiheit im objektiven Geist, der daher nur „Weg“ sein kann, aber nicht möglich ist, kann die „freie Intelligenz“ ihren eigenen Begriff, d. h. den des freien Geistes, selbst wieder nur auf der Ebene des Geistes erreichen. Wie Theunissen betont, dürfen Hegels Gedanken aber nicht so verstanden werden, als ob Freiheit nur in einem theoretischen Verhältnis erreicht werden könnte und die Sphären der Praxis damit nichtig wären. Zu erinnern ist daher zum einen an die an anderer Stelle[243] bereits erwähnte Zusammenführung Hegels von Denken und Wille sowie an Hegels Bestimmung des freien Willens als „Einheit des theoretischen und des praktischen Geistes“[244]. Theunissen schreibt daher: „Solange der Mensch seine Freiheit bloß weiß, bleibt er noch bei sich, und erst wenn er sie verwirklicht, geht er in die Welt hinaus. [...] Denn Verwirklichung der Freiheit heißt Verwirklichung in der Welt.“[245] Daher muss sich die freie Intelligenz „in ihrer Wirklichkeit“ befreit haben, um im theoretischen Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie Gestalt des freien Geistes zu sein. Die Formen des subjektiven Geistes (beispielsweise das Selbstbewusstsein) und des objektiven (die intersubjektiven Verhältnisse in einer Gemeinschaft) sind Teile einer solchen Freiheit „in Wirklichkeit“. Da der Geist seinen eigenen „Begriff“ nur im Geist selbst findet, sind die Sphären des absoluten Geistes, meines Erachtens, verschiedene Formen der Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Geistes und damit des Menschen[246]. Nennt Hegel in den VPG Religion doch „das Wissen des Wesens, das eigentlich unser Wesen ist[247]“. An späterer Stelle wird darauf noch genauer einzugehen sein.

 

Wenn wir das Verhältnis von Religion und Staat im Kontext der weiter oben skizzierten Relation von objektivem und absolutem Geist betrachten, so finden wir einige Punkte, die vom rein „systematischen“ Verhältnis bereits auf Hegels Versuche, das praktische Verhältnis zu fassen, verweisen. Da Religion als Form des absoluten Geistes die wesentliche Bestimmung[248] des Menschen, die Freiheit, bereits geistig - wenn auch nur auf der Ebene der „Vorstellung“ und nicht des „Begriffs“ - fassen kann, ist sie dem Staat gewissermaßen immer schon „überlegen“.

Entscheidende Differenz zwischen objektivem und absolutem Geist ist, dass Letzterer die bewusste Reflexion auf Ersteren ist oder sein kann, da dieser eine „Wirklichkeit“, jener aber ein „Wissen“ ist[249]. In diesem Sinne nennt Hegel in den VPG das Bewusstmachen der im objektiven Geist verwirklichten Vereinigung der Einzelnen in der Gemeinschaft den Zweck „aller geistiger Tätigkeit“, d. h. von Kunst, Religion und Philosophie.

Die Zugehörigkeit von Religion und Staat zu verschiedenen Sphären ist insofern von eminenter Bedeutung, als dadurch eine mögliche Verhältnisbestimmung für Hegel unmöglich wird - das Verständnis der Religion als Mittel im Dienste des Staates. Würde die Religion nur als Werkzeug im Dienste des Staates gedacht, ginge damit ihr wesentlich „höheres Recht“ gegenüber allen nur beschränkten Formen der Freiheitsrealisation verloren. In diesem Sinne ist meiner Interpretation nach Hegels Aussage in den VPG, dass die Religion kein „zu Machendes“ sei[250], zu verstehen. Und auch Hegels Kritik, dass die Religion in Zeiten „öffentlichen Elends“ als Trost angegeben werde, richtet sich unter anderem gegen eine Instrumentalisierung des Glaubens. Eine Religion, die ihre eigenen Erklärungs- und Deutungsansprüche ernst nimmt, kann sich nicht dazu hergeben, Mittel im Dienste eines ihr fremden, staatlichen Zwecks zu sein, sondern muss vielmehr auf ihre Souveränität und auf ihren Selbstzweckcharakter pochen. Da jedes Mittel gerade dadurch charakterisiert ist, dass es nicht um seiner selbst willen vonnöten ist, schreibt Hegel, wüsste der Geist, wenn er die Religion als Mittel verstehe, „daß er sie gebrauchen, daß er aber auch andere Mittel ergreifen kann“[251]. Obwohl natürlich auch der Religion die Formen der Wirklichkeit nicht gleichgültig sein können, da sie sich sonst zum weltfremden, wirkungslosen Jenseitigen entwickeln würde, was nach Hegel fatale Konsequenzen hätte. Als „Bewusstein der absoluten Wahrheit“ kann sie auch in der Welt der objektiven Gesetze, der staatlichen Regeln, nur anerkennen, was „Teil an jener Wahrheit hat, unter sie subsumiert ist und aus ihr folgt“[252].

 


IV. Das „praktische“ Verhältnis von Religion und Staat

Unter diesem Titel möchte ich den Hegel’schen Überlegungen zur Bedeutung und Fragwürdigkeit der These von der Religion als „Grundlage“ des Staates, abseits der „systematischen“ Differenz zwischen den Sphären des objektiven und des absoluten Geistes, nachgehen. Hierbei werden besonders Hegels geschichtsphilosophische Betrachtungen eine Rolle spielen, da vor allem die Abschnitte der VPG über die verschiedenen historischen Kulturepochen ganz wesentlich von der Wirkung des religiösen Glaubens auf die politischen Institutionen und Überzeugungen geprägt sind. Dieses Kapitel soll aber keineswegs ein primär geschichtsphilosophisches sein und Hegels Überlegungen zu den Relationen von Religion und Staat im Laufe der Geschichte untersuchen, sondern vielmehr auf Grundlage der betreffenden Ausführungen in den GPR und der EPW der Frage nach der religiösen Begründung staatlicher Ordnung nachgehen. Dabei wird das „praktische“ Verhältnis von Religiosität und Staatlichkeit abseits der historischen Beispiele erörtert werden, wodurch sich zeigen wird, wie weit im Fokus der Hegel’schen Überlegungen die These von einer notwendigen „Begründung“ des Staates durch Religion steht - unabhängig von der geschichtlichen Konstellation.

Darüber hinaus wird auch die bereits mehrfach angeklungene Frage erörtert werden, ob nicht die Religion von sich heraus ein „Praktischwerden“ anstreben muss. Dabei wird es also nicht darum gehen, inwieweit eine staatliche Ordnung eine sittliche, religiöse Basis braucht - oder auch nicht braucht -, sondern ob Religion „staatsbildend“ sein muss bzw. vor welchen Problematiken eine Religion im Kontakt mit der staatlichen Realität steht.

 


IV.I. Die Religion als „Grundlage“ des Staates?

Sowohl in den GPR als auch den VPR beginnt Hegel seine Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Staat mit der „Behauptung“, dass „die Religion die Grundlage des Staates sei“, macht aber zugleich deutlich, dass er diese These, obwohl sie „in neueren Zeiten oft wiederholt worden ist“[253], keineswegs für unmittelbar einsichtig und überzeugend hält. Es sind im Wesentlichen zwei Argumente, die Hegel gegen eine singuläre Fundierung des Staates in der Religion anführt, ein eher formales und ein eher historisch inhaltliches.

Wird die Religion als „Grundlage des Staates“ bezeichnet, so könnte dies den - falschen - Eindruck erwecken, so Hegel, dass damit „die Wissenschaft des Staates erschöpft sei“[254]. Für den Theoretiker des „vernünftigen“ Staates keine akzeptable Vorstellung, würde sie doch alle Versuche, den Staat als komplexes System von Institutionen zu fassen, zu Gunsten eines einzigen „simplen“ Erklärungsmusters negieren. Hegels umfangreiche Ausführungen zur Rolle von Familie und bürgerlicher Gesellschaft im Staat, sein Pochen auf die rechtsstaatliche Gewaltenteilung und die Bedeutung der Stände, all das könnte als belanglos erscheinen, wenn alleine die religiöse Überzeugung dem Staat als Basis dienen würde.

Doch nicht nur durch den Verweis auf die Gefahr, die Erklärung der Religion als Grundlage des Staates absolut zu setzen, relativiert Hegel vorschnelle Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Staat. Hegel erinnert weiters daran, „dass die Religion vornehmlich auch für die Zeiten öffentlichen Elends, der Zerrüttung und Unterdrückung empfohlen und gesucht“ wurde[255]. Fast scheint Hegel damit Marx’ Kritik der Religion als „Seufzer der bedrängten Kreatur“[256] vorauszunehmen - wenn er selbstverständlich auch ganz andere Konsequenzen aus der Einsicht zieht, dass es „Hohn“ wäre, würde dem von einer Diktatur geknechteten Individuum „Trost in der Religion“ empfohlen. Während Marx daraus eine generelle Aufhebung des „illusorischen Glücks“[257] der Religion folgert, versteht Hegel seinen Verweis auf einen solchen Missbrauch der Religion „nur“ als Kritik an einer speziellen Religion, die eine derartige Benützung ihrer sinnstiftenden Funktion ermöglicht und damit nach Hegel ihren eigen Anspruch verfehlt[258].

In den VPG erwähnt Hegel noch einen weiteren Einwand gegen die Religion als Grundlage des Staates, oder besser gegen eine seines Erachtens falsche, weil simplifizierende Interpretation dieser Überlegung. Würde mit der These, dass der Staat auf der Religion basiere, nichts anderes gemeint sein, als dass „die Individuen, als gottesfürchtige, um so geneigter und bereitwilliger seien, ihre Pflicht zu tun, weil Gehorsam gegen Fürst und Gesetz sich so leicht anknüpfen läßt an die Gottesfurcht“[259], so müsste mit dem Verweis geantwortet werden, dass Religion auch „fanatisch werden und gegen den Staat [...] zerstörend wirken“[260] könne. Meines Erachtens nach muss aber nicht nur der zweite Teil dieser Argumentation als Kritik gelesen werden, sondern auch bereits der erste. Den Gedanken von der Gottesfurcht als Transportmittel der Gesetzestreue kann Hegel schon aufgrund der früher genannten „systematischen“ Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Staat nicht akzeptieren, da er den intrinsischen Wert der Religion als Form des absoluten Geistes missachten würde. Wir werden auf diesen fundamentalen Einwand gegen die Thesen zur Religion als „Grundlage“ des Staates an späterer Stelle noch zu sprechen kommen und auch besonders der Frage nachgehen müssen, ob sich ein als vernünftig gedachter Staat mit einer Fundierung in der „Gottesfurcht“ vereinbaren lässt.

 

Trotz der hier erwähnten Einwände gegen eine Reduktion der Staatsbegründung auf den religiösen Glauben heißt es in den VPR aber explizit:

„Im allgemeinen ist die Religion und die Grundlage des Staates eins und dasselbe; sie sind an und für sich identisch.“[261]

Im Folgenden möchte ich dem Hegel’schen Verständnis dieser „an und für sich“ vorhandenen Identität nachgehen. Wesentlich scheint mir, gleich anfangs festzuhalten, dass Hegel nicht davon spricht, die Religion sei die Grundlage des Staates, sondern vielmehr die Formel einer „Identität“ von Religion und Grundlage benützt. Dies ist bedeutsam, weil ja auch ein Identitätsverhältnis zwei Elemente umfasst und Hegel sich damit gegen eine übereilte Charakterisierung der Religion als Basis des Staates wehrt. Interessanterweise benützt Hegel an anderer Stelle durchaus auch die simplere Formel der Religion als Grundlage des Staates[262], führt dort jedoch den entsprechenden Gedanken - wie bereits erwähnt - nur indirekt ein, indem er darauf verweist, dass es sich dabei um eine oft genannte Überlegung handle.

Als seine eigene Position führt Hegel jedoch die Identität von Religion und Grundlage des Staates ins Treffen. Eine Identität, welche die beiden Relata nur unter einer bestimmten Perspektive verbindet, während sie zugleich eine Unterscheidung der beiden Begriffe ermöglichen muss. In diesem Sinne schreibt Hegel in der EPW auch, der Staat beruhe „nach diesem Verhältnis“ (von Religion und Sittlichkeit) auf der religiösen Gesinnung[263]. Damit haben wir bereits auf einen entscheidenden Terminus zurückgegriffen, auf jenen der „Gesinnung“, welche Hegel an erwähnter Stelle selbst nochmals in „sittliche“ und „religiöse“ Gesinnung ausdifferenziert. Ich habe bereits an früherer Stelle die zweiseitige Bestimmung der Rolle der Gesinnung innerhalb des Staatsganzen durch Hegel erläutert. Demzufolge erkennt Hegel die Gesinnung sowohl als vom objektiven System der politischen Institutionen abhängige Variabel als auch als notwendige Wurzel der Institutionen. Diese doppelte Fixierung der Gesinnung erklärt sich in erster Linie dadurch, dass Hegel aufgrund seiner Kritik der Abstraktheit einer Gesinnungsethik, Gewissen und Gesinnung nur innerhalb eines komplexen Systems der Sittlichkeit Bedeutung zumessen zu können meint. Zu erinnern ist an dieser Stelle an die bereits zitierte Erläuterung der politischen Gesinnung als „Grundgefühl der Ordnung“[264]. Bedenkt man, dass Hegel dieses „Grundgefühl“ als wesentliche Basis des Zusammenhalts im Staat versteht, dann wird deutlich, welche Rolle die Religion seines Erachtens hier spielen kann. Wenn sich der Staat durch das gemeinschaftliche „Zutrauen“ in seine Vernünftigkeit, durch die „politische Gesinnung“, konstituiert, dann kann die Religion zunächst als Fundament dieser Gesinnung verstanden werden, als deren „Substantialität“, wie es an der oben zitierten Stelle der EPW heißt[265].

Bemerkenswert ist, dass, wie ebenfalls bereits erwähnt, Hegel im § 268 der GPR zunächst vor allem auf die Bedeutung des Staates für die Gesinnung pocht, während er nun in der EPW bei der Erörterung der Rolle der Religion von einem in Etappen erfolgenden Begründungsprozess des Staates durch die religiöse Gesinnung ausgeht und die sittliche Gesinnung nur wegen ihrer Rolle der Vermittlung zwischen Religion und Staat zu erwähnen scheint. Herbert Scheit schreibt in diesem Zusammenhang meines Erachtens zu Recht, dass Hegel die Religion zwar als direkte Stütze des Staates ablehne (man denke an die oben erwähnten Einwände Hegels), aber davon ausginge, dass der Glauben den Staat „auf indirektem Wege“ stützen müsse[266]. Aufgrund ihres Einflusses auf die sittliche Gesinnung bestimmt die Religion auch die Formen der Staatlichkeit. Gerade in Anlehnung an diese Formulierung Scheits können zwei mögliche Varianten des Verhältnisses von Religion und Staat expliziert werden, die meiner Meinung nach für ein Verständnis der Hegel’schen Position wesentlich sind. Eine „direkte“ Begründung des Staates würde die Religion demzufolge liefern, wenn sie unmittelbar zur Gesetzestreue aufriefe, dies wäre die laut Hegel weit verbreitete Position, dass „Gottesfurcht“ den „Gehorsam“ fördere. Von dieser Überzeugung ist jedoch die zweite Argumentationsvariante zu unterscheiden, die vor allem darauf pocht, dass Religion eine „sittliche“ Gesinnung hervorrufe, da sie einen bestimmten Wertekonsens begründe, und dass diese politische Überzeugung Grundlage einer spezifischen staatlichen Ordnung sei. Während die erste Position eher formal orientiert scheint, da Religion hier als Basis des politischen Gehorsams als solchem gilt, geht die zweite von einer inhaltlichen Deduktion der Inhalte der politischen Gesinnung und damit der Prinzipien der staatlichen Institutionen aus der Religion aus. Hegel muss im Allgemeinen als entschiedener Vertreter zweiter und Kritiker ersterer Position verstanden werden. Dies zeigt sich in den vielen Verweisen darauf, dass nur die „wahrhafte“ Religion sinnvollerweise als Grundlage des modernen Staates verstanden werden dürfte[267], d. h. dass nur das Christentum aufgrund seiner inhaltlichen Bestimmungen zur Stabilisierung der den vernünftigen Staat tragenden Gesinnung geeignet sei. Allerdings sind für Hegel natürlich auch andere Religion „staatsbegründend“ - mit den verschiedenen Arten des Politischen und den jeweils „entsprechenden“ Religionen beschäftigen sich schließlich die VPG - aber den Staat der Moderne, als den Staat der Freiheit, sieht er nur im Christentum begründet. Was Hegel nicht meint, ist, dass andere Religionen nicht „Grundlage“ eines Staates sein können - bestimmte Glaubensformen des Orients versteht Hegel als möglicherweise sogar festere Fundamente gewisser Staatsmodelle - besonders „despotischer“ Herrschaften. Insofern basiert selbstverständlich auch die These von der „indirekten“ Begründung des Staates durch die Religion auf einer „formalen“ Überlegung. Denn abstrahiert besagt diese Argumentation nichts anderes, als dass Religion eine besondere Form des Politischen „begründet“. Es ist aber eine formale Überlegung, die den Inhalt zum entscheidenden Kriterium macht, während erstere Überlegung das Befolgen der staatlichen Regeln unter Ausblendung ihrer Inhalte und Ziele im religiösen Glauben zu fundieren versucht. Mit der „direkten“ Begründung des Staates durch die Religion beschäftigt sich Hegel in den religionsphilosophischen Vorlesungen, wo es über Vorstellungen, denen zufolge „die Gesetze, die Obrigkeit, die Staatsverfassung von Gott stammen“[268], heißt, diese bedeuteten auch „man soll den Gesetzen gehorchen, sie mögen sein wie sie wollen“[269]. Hegel ist sich sehr wohl bewusst, dass eine Gleichsetzung von Gesetzestreue mit Gehorsam gegenüber Gott die Gefahr der Willkürherrschaft inkludiert. Denn wenn die juristischen Gesetze als unmittelbarer Ausdruck göttlichen Willens gelten, stehen sie notwendigerweise außerhalb des Bereichs des Kritisierbaren. Gewisserweise beschreibt Hegel an dieser Stelle eine besondere Form des religiösen Fanatismus. Weist er doch daraufhin, dass „das Prinzip der göttlichen Autorisation des Regenten“ darauf beruhe, dass der Wille des Herrschers „eine unmittelbare Offenbarung Gottes sei“[270] und dass sich diese Legitimationsform jederzeit umkehren könne, sodass auch andere Menschen diese Qualität, unmittelbarer Ausdruck göttlichen Willens zu sein, für sich beanspruchen können. Obwohl Hegel dem Gedanken, dass Gesetze Teil einer gottgewollten Entwicklung sind, keineswegs ganz fern steht, so betont er doch - und grenzt sich dadurch von allen Formen der „direkten“ Begründung des Staats ab -, wie entscheidend es sei, den göttlichen Willen in den Gesetzen zu erkennen; und dies ist laut Hegel „nichts Partikulares, sondern kommt allen zu“[271]. Damit stellt er klar, dass keine Person, keine Gruppe, aber auch kein Gesetz unmittelbarer Ausdruck göttlichen Willens sein kann und dass religiöse Legitimationen von Herrschaftsansprüchen, die auf den alleinigen Besitz der Wahrheit bauen, nicht akzeptabel sein können.

 

Scheits These von der „indirekten“ Begründung des Staates durch die Religion ist jedoch insofern problematisch, als sie den Anschein erwecken könnte, Hegel denke die Relation Religion-Staat als linear geordnetes Kausalverhältnis[272]. So, als ob zunächst eine Form der Religion existierte, aus der sich dann eine bestimmte sittliche Gesinnung entwickle, die im letzten Schritt eine ihr gemäße politische Verfassung entstehen ließe. So einfach versucht Hegel meines Erachtens das Problem aber nicht zu lösen.

Vielmehr versteht Hegel das Begründungsverhältnis als zirkuläres. Religiöses und politisches Selbstverständnis sind demzufolge als wechselseitig abhängige Faktoren zu denken, die - neben anderen Einflüssen[273] - zusammen den einen Geist der „Totalität“ eines Volkes ausmachen[274]. Möglichweise könnte man dies am besten mit dem Wort „Kräftefeld“ beschreiben. Das „Volk“ wäre einem solchen Vergleich nach die Summe verschiedenster Kräfte, die sich selbst, einander und ihr Resultat beeinflussen. Wie ich aber bereits an früherer Stelle festgehalten habe, kommt bei Hegel nichtsdestotrotz der Religion innerhalb dieses „Kräftefeldes“ insofern eine zentrale Rolle zu, als sie der Maßstab der Kompatibilität der verschiedenen Kräfte ist. Die Besonderheit dieses „Kräftefeldes“ wäre bei Hegel, dass es aus sich heraus neue Kräfte entwickeln kann, die aber immer schon auf die Gesamtheit hin abgestimmt sind. Warum gerade die Religion innerhalb dieses virtuellen „Kräftefeldes“ eine besondere Position einnimmt, erläutert Hegel meines Erachtens in den VPG, wo es heißt: „Der Geist aber hat sich ein ausdrückliches Bewußtsein davon [von der Synthese von Subjektivität und Allgemeinheit in der Sittlichkeit des Staates] zu geben, und der Mittelpunkt dieses Wissens ist die Religion.“[275] Für ein Verständnis dieses Satzes ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Religion - anders etwa als das Rechtssystem - innerhalb des „Kräftefeldes“ eines „Volkgeistes“ eine zweifache Rolle spielt. Denn Religion ist nicht nur ein auf die Individuen und damit auf die Gesamtheit des Volkes wirkender Faktor, sondern sie liefert den Individuen auch ein Leitbild, an dem entlang sie die anderen Faktoren messen bzw. kritisieren können. Daher hat sie nach Hegels Meinung etwa auch entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung politischer Systeme, die ja immer nur aus diesem „einen Geist“ der Menschen heraus entwickelt werden.

Interessanterweise nennt Hegel im Anschluss an die zitierte Stelle auch die beiden anderen Formen des „absoluten Geistes“ als weitere Arten dieses Wissens. Am Schluss der Arbeit werde ich darauf noch näher eingehen und insbesondere hinterfragen, ob und in welcher Form Philosophie diese Rolle der Religion übernehmen kann. Für Hegel steht jedenfalls die Religion „an der Spitze“ der Reflexionen über die im Staat erfolgende Vereinigung[276]. Aufgrund dieser doppelten Rolle der Religion, als Einfluss auf die Menschen und als von denselben innerhalb eines „Volkes“ Bewirktes, kann Hegel sagen, dass der Staat aus der Religion „hervorgegangen ist und jetzt und immer aus ihr hervorgeht“[277].


IV. II. Die Bedeutung religiöser „Gesetze“

Wenn die Religion tatsächlich innerhalb des von mir zur Erläuterung der Hegel’schen Gedanken herbeigezogenen „Kräftefeldes“ eine entscheidende Rolle einnehmen soll, dann stellt sich unweigerlich die Frage, welche besondere Qualität sie dazu berechtigt. Bisher haben wir dazu nur festgestellt, dass die Religion ein Wissen über die Vereinigung von Subjektivität und Allgemeinheit im Staat sei. Ohne Zweifel bedarf diese These noch einiger Präzisierungen, die aber Hegel selbst nicht zu geben scheint.

Im Voraus ist zu bemerken, dass sich die übergeordnete Stellung der Religion innerhalb eines Gemeinwesens für Hegel in entscheidender Hinsicht nicht von dem leicht zu argumentierenden Gedanken herleitet, dass politische und soziale Regeln, die im Widerspruch zu religiösen Geboten stehen, für das gläubige Individuum immer weniger zählen können als die „heiligen Gesetze“. Natürlich ist sich Hegel dieser Tatsache bewusst und er weist auch an mehreren Stellen darauf hin. Exemplarisch sei ein Zitat aus der EPW genannt:

„Die Gesetze scheinen in diesem Gegensatz gegen das, was von der Religion für heilig erklärt wird, als ein von Menschen Gemachtes; sie können, wenn sie auch sanktioniert und äußerlich eingeführt wären, dem Widerspruche und den Angriffen des religiösen Geistes gegen sie keinen dauerhaften Widerstand leisten.“[278]

Selbstverständlich können für den Gläubigen die temporären Regeln der endlichen Wirklichkeit nicht die Relevanz der ewigen Gesetze haben. Es ist dies meines Erachtens aber nicht der eigentliche „Angelpunkt“, um den sich die Hegel’sche Argumentation dreht. Warum dies nicht der Fall ist, erklärt sich primär dadurch, dass Gebote und Gesetze für Hegel nicht den Kern einer Religion ausmachen können. Eine Überzeugung, die sich in den teils fast polemischen Ausführungen Hegels über die Inhalte des Alten Testaments[279] und den teils sehr kritischen Überlegungen zur jüdischen Religion ausdrückt[280]. Kritisiert Hegel am Judentum doch gerade die starke Betonung von Geboten innerhalb seiner heiligen Schriften und die Gefahr, in eine „Vernunftlosigkeit des Dienens“[281] abzurutschen. Der jüdische Gott stünde, so die Meinung Hegels, den Menschen als Herr gegenüber, dessen Gebote „wie von Knechten“ befolgt werden müssten[282]. Damit wären die Gesetze aber „nicht aus dem allgemeinen Zweck entwickelt“ und stünden auch niemals zur Disposition; vielmehr inkludiere jede politische Veränderung einen „Abfall von Gott“[283]. Gegenüber einem solchen Gott könne sich der Mensch aber nie als frei empfinden, da er, was er ist, nur „durch den Einen“[284] sei. Nun könnte es so scheinen, als ob die Vorstellung eines allmächtigen Gesetzesgottes - dem gegenüber Furcht die existenzielle Empfindung ist - Menschen sich nur als nichtig verstehen lassen könnte. Hegel schreibt jedoch: „Die Furcht, in der der Knecht sich als Nichts betrachtet, gibt ihm die Wiederherstellung seiner Berechtigung.“[285] Im Dienen gewinnt der sich als von Gott getrennt, ausgeschlossen erkennende Mensch eine neue Form des Selbstbewusstseins, so der Hegel’sche Gedanke; in einem Dienen, das zugleich „höchster Zweck“[286] und inhaltlich „willkürlich“[287] ist. Der „willkürliche“ Charakter der göttlichen Gebote zeigt sehr gut, warum Gesetze für Hegel nicht den eigentlichen Kern von Religion ausmachen können. Weil gegenüber einer absoluten Macht Gottes, die keine Vermittlung zu der ihr als Negatives gegenüberstehenden Welt inkludiert, jede Handlung „an sich unbestimmt und deswegen ganz äußerlich“[288] sein muss. Besteht für Hegel das Problem göttlicher Gebote, die sich auf ein der Religion fremdes Gebiet beziehen, doch darin, dass sie „ungeistig“, d. h. „zufällig“, weil nicht begründbar sein müssen. Denn „was geglaubt werden soll, muß aber einen religiösen, geistigen Inhalt haben“[289], ansonsten wird es allein zur zu befolgenden Äußerlichkeit.

Hegels Kritik einer solchen Religion[290] basiert nun auf zwei Strängen, auf der Unmöglichkeit eines Verständnisses des Menschen als freiem Wesen und auf der Mangelhaftigkeit des Gottesbildes, die sich für Hegel im Wesentlichen eben darin beweist, dass ein solcher Gott kein ihm gemäßes, weil geistiges und damit freies Wesen geschöpft hätte. Es ist wohl auch kein Zufall, dass Hegel an dieser Stelle die Metapher von „Herr und Knecht“ verwendet. Verweist diese Ausdrucksweise doch sehr deutlich auf Hegels Ausführungen über den „Kampf um Anerkennung“. In der EPW betont Hegel, dass ein auf der Stufe der „Herr-Knecht-Beziehung“ stehendes Anerkennungsverhältnis nicht nur die Freiheit des Knechts beschränkt, sondern gerade auch die des Herrn. „Der dem Knecht gegenüberstehende Herr war noch nicht wahrhaft frei, denn er schaute im anderen noch nicht durchaus sich selber. Erst durch das Freiwerden des Knechtes wird folglich auch der Herr vollkommen frei.“[291] Religionsphilosophisch interpretiert folgt daraus, dass einem als „Herr“ verstandenen Gott erst dann wirkliche Freiheit zuzusprechen ist, wenn der ihm gegenüberstehende Mensch nicht als „Knecht“, sondern als Freier erkannt wird. Solange dies nicht der Fall ist, kann diese Gottesvorstellung nicht als einem philosophisch konsistenten Gottesbegriff entsprechend angesehen werden.

Beide Argumente (die Kritik an einem mangelhaften Menschenbild und die an der ebensolchen Gottesvorstellung), die offensichtlich eng mit einander verbunden sind, zeigen meines Erachtens Wesentliches, wenn es um ein adäquates Verständnis der Hegel’schen Einschätzung des Verhältnisses von Religion und Staat geht. Verweisen sie doch bereits darauf, worin für Hegel die eminent geschichtsmächtige Kraft von Religion begründet liegt, nicht darin, dass sie Regeln inkludiert, die in einem Konflikt mit säkularen Regeln aus religiöser Sicht die größere Relevanz haben, sondern in der engen Verknüpfung von Gottes- und Menschenbild.

Auf diesen starken Konnex von Gottesvorstellung und Anthropologie bzw. Politik spielt Hegel in den VPR an, wenn es heißt:

„Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat. Dieser eine Begriff ist das Höchste, was der Mensch hat, und er wird von dem Menschen realisiert. Das Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat, schlechte Regierung, schlechte Gesetze.“[292]

Trotzdem gibt es interessanterweise meines Wissens keine explizite Darlegung Hegels dieses Verhältnisses. Im Anschluss an obiges Zitat erklärt Hegel selbst, dass der Zusammenhang „in seiner ausgebildeten Ausführlichkeit eigentlich der Philosophie der Weltgeschichte“ angehöre[293]. Einen Hinweis darauf, was die eigentliche Verbindung von Religion und Politik ausmacht, finden wir unter anderem auch in den VPR, wo Hegel Religion als „auseinandergelegte Geschichte dessen, was der Mensch ist“[294] bezeichnet.

 

Tatsächlich gibt es meines Erachtens zwei Diskursbereiche innerhalb der Hegel’schen Philosophie, die Antworten auf die Frage nach der Relation zwischen dem in der Religion wesentlichen Gottesbegriff und dem für Hegel im politischen Zusammenhang wichtigen Menschenbild anbieten. Konkret wird dieses Verhältnis innerhalb der geschichtsphilosophischen Ausführungen in VPG und VPR (in den Texten über „die bestimmte Religion“) behandelt - hier thematisiert Hegel den Zusammenhang von Religion und Anthropologie innerhalb der verschiedenen Religionen. Darüber hinaus ist aber auch der logische Zusammenhang von Gottes- und Menschenbegriff zu beachten, für dessen Verständnis meines Erachtens vor allem Hegels Erörterungen des Charakters von Endlichkeit und Unendlichkeit im Rahmen der „Seinslogik“ relevant sind. Ich werde im Folgenden zunächst die logische Seite berücksichtigen und anschließend versuchen, die Konsequenzen des Verhältnisses der Begriffe von Unendlichkeit und Endlichkeit mit der Relation Gott-Mensch in Beziehung zu bringen.


IV.III. Endlichkeit und Unendlichkeit - ein „Exkurs“ zur Logik

Wie bereits früher erwähnt[295] versteht Hegel Religion im Allgemeinen als Form des Übergangs von der Endlichkeit zur Unendlichkeit. Zunächst ist darunter vor allem eines zu verstehen: Der Mensch, der sich, aber auch seine Umwelt, als kontingent erkennt und dieses Faktum als Mangel interpretiert, vermutet (oder erhofft) ein notwendiges Allgemeines hinter den zufälligen Dingen. Er sucht „den Grund seiner Unselbständigkeit“[296], den er nur in einem Unendlichen finden kann.

Doch Hegel weist in seinen religionsphilosophischen Vorlesungen auch noch auf eine zweite Form des Zusammenhangs von Endlichkeit und Unendlichkeit hin, die aber „ganz der logischen Betrachtung angehörig“ sei und zeige, dass es das Endliche selbst wäre, das „sich übersetzt ins Unendliche“[297].

Es ist mir hier nicht möglich, eine prinzipielle Debatte des Hegel’schen Grundgedankens des sich selbst bewegenden Begriffs zu führen. Ich werde im Folgenden trotzdem einen Exkurs zur Logik machen, allerdings nur aus dem Grund, um den für Hegel wesentlichen Zusammenhang zwischen Definitionen des Unendlichen und des Endlichen zu betonen. Ein Konnex, der, meiner Meinung nach, auch unter der - von Hegel nicht geteilten[298] - Voraussetzung gilt, dass Begriffe in erster Linie von Menschen produzierte Bezeichnungen sind. Auch wenn Begriffe als solche nicht Ausdruck des „Wesens“ der Dinge sind, bleibt die Frage von Interesse, ob Vorstellungen vom Unendlichen nur unter Bezug auf Endlichkeit möglich sind, d. h. ob jedes Bild der Unendlichkeit auch eines der Endlichkeit inkludiert.

 

Wenn wir nun den für eine solche Betrachtung relevanten Abschnitt der Hegel’schen Seinslogik[299] betrachten, so fällt auf, dass Hegel je nach Lesart zwei beziehungsweise drei unterschiedliche Begriffe von Unendlichkeit behandelt. Wobei es, wie Justus Hartnack zu Recht festhält, auffällig ist, „daß die wahre Unendlichkeit, die Hegel meint, nichts mit dem zu tun haben scheint, was man gemeinhin unter einer Unendlichkeit versteht und daß er dagegen das, was gemeinhin unter diesem Begriff verstanden wird, die schlechte Unendlichkeit nennt“[300]. Am Anfang der Hegel’schen Gedanken über die Begriffe „Endlichkeit“ und „Unendlichkeit“ steht das Verständnis von Unendlichkeit als „Negation der Endlichkeit“[301]. Dies daher, weil für Hegel jede Definition eines Unendlichen zunächst bei der Bestimmung Gegensatz des Endlichen zu sein beginnen muss. Eine Tatsache, die aber auch bedeutet, dass die Unendlichkeit in bestimmter Hinsicht auf ihr Gegenteil angewiesen ist. Denn wenn „gesagt wird, was das Unendliche ist, nämlich die Negation des Endlichen, so wird das Endliche selbst mit ausgesprochen; es kann zur Bestimmung des Unendlichen nicht entbehrt werden“[302].

In Opposition zur Vergänglichkeit des Endlichen befindlich inkludiert „Unendlichkeit“, die Bestimmung das „Nichts des Endlichen“[303] zu sein; da im Vergleich zur Unendlichkeit das Sein des Endlichen als wertlos, weil unbeständig und veränderlich erscheint, d. h. das Endliche durch Vergleich mit seinem Gegenüber als „nichtig“ erkannt wird. Zugleich umfasst der Bereich des Endlichen aber auch „den Kreis der seienden Bestimmtheiten, der Realitäten“, wohingegen das Unendliche „das unbestimmte Leere, das Jenseits des Endlichen“ ist.[304] „Unendlichkeit“ bezeichnet dieser Interpretation zufolge etwas rein Ideelles.

Im Rahmen meiner Arbeit scheint es mir entscheidend, dass nach Hegel das oben skizzierte Verständnis von „Unendlichkeit“ diese in der Form begreift, dass das Unendliche „nur unendlich in Beziehung auf das Endliche“[305] ist. Wenn jedoch das Unendliche als dem Endlichen Gegenüberstehendes gedacht wird, muss das Endliche die Grenze des Unendlichen bilden, d. h. auch das Unendliche beschränkt werden. Ein solcher „falscher“ Begriff der Unendlichkeit kann für Hegel die eigentliche Qualität des Unendlichen nicht fassen, da er es verendlichen muss. Vielmehr beschreibt er in Wahrheit nichts anderes als „zwei Endliche“: das von ihm als Beschränktes verstandene Diesseits und das vermeintlich „unendliche“ Jenseits.

Doch ein solcher Unendlichkeitsbegriff (Hegel nennt ihn „abstrakt“[306]) macht das Unendliche nicht nur notwendigerweise zu einem „endlichen Unendlichen“, sondern zugleich wird sein Gegenteil zum „unendlichen Endlichen“, da vom Endlichen immer nur zu einem weiteren Endlichen zu gelangen ist, d. h. ein „ewiger, unendlicher“ Progress auftritt[307]. Genauso wie das Unendliche so gefasst nur in Bezug auf sein Gegenteil verstehbar ist, existiert auch die Endlichkeit nur als Widerpart der Unendlichkeit, d. h. jede der beiden hat nur an der anderen „ein eigenes unmittelbares Entstehen“[308].

Hegel entwickelt damit einen zweiten „falschen“ Unendlichkeitsbegriff. Versteht er als „schlechte Unendlichkeit“ doch auch jenes Konzept, das Unendlichkeit als Form einer grenzenlosen Reihe versteht[309]. Wenn vom Endlichen zu einem diesem gegenüberstehenden Unendlichen (einem „endlichen Unendlichen“) übergegangen wird, dann kann „über“ dieses endliche Ergebnis abermals ein unendliches gesetzt werden, das aber ebenfalls mit Endlichkeit behaftet ist, und so fort. Zum unendlichen Progress kommt es, so Hegel, wo „relative Bestimmungen bis zu ihrer Entgegensetzung getrieben sind“, wo jeder der beiden Bestimmungen „selbständiges Dasein“ zugeschrieben wird, obwohl „sie in untrennbarer Einheit sind“[310]. Das große Manko eines Verständnisses von Unendlichkeit als endlosem Fortschritt liegt für Hegel darin begründet, dass es sich nicht von der grundlegenden Überzeugung löst,  das Unendliche müsse vom Endlichen unüberbrückbar getrennt sein, dass es den Bezug auf die Unendlichkeit nur als äußerliches, zufälliges Attribut der Endlichkeit versteht.

Zugleich liegt aber dem Konzept des endlosen Progresses bereits etwas zu Grunde, was zentral für Hegels Begriff der „affirmativen Unendlichkeit“ ist - die Bezogenheit von Endlichkeit und Unendlichkeit. Der dritte Unendlichkeitsbegriff zeigt für Hegel nun auf, was an sich auch in den beiden anderen schon vorhanden war[311]: die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit. Denn jede der beiden Bestimmungen geht nach Hegel notwendigerweise in ihr Gegenteil über. Das Unendliche wird als Opposition zum Endlichen gedacht und wird damit selbst ein Endliches. Das Endliche wiederum wird als Nichtiges, als zu Überwindendes definiert und führt durch die unendliche Annäherung zur Bestimmung der Unendlichkeit. Der scheinbare Widerspruch, der im Laufe dieses „Prozesses“[312] auftritt, nämlich dass sich Endlichkeit in Unendlichkeit (und vice versa) wandelt, hebt sich für Hegel dadurch auf, dass eben beide Bestimmungen auch ihr Gegenteil inkludieren. Wenn die Kategorie „Endlichkeit“ auch „Unendlichkeit“ verlangt, führt jene ja auch zur „Endlichkeit“, was nichts anderes besagt, als dass beide Bestimmungen die „Rückkehr zu sich selbst“[313] enthalten. Denn der Begriff einer abstrakt verstandenen Unendlichkeit negiert nicht nur sich selbst und führt so zur Endlichkeit, sondern zugleich ist auch die Endlichkeit nichts anderes als Hinausgehen übers Endliche, Aufgehen in der Unendlichkeit. Beide Bestimmungen sind „Negation der Negation“[314] und damit „Affirmation“[315], weil sie sich - über ihr Gegenteil - selbst bestimmen. Damit führt diese Begriffsentwicklung zu einem, wie Keyserlingk zu Recht schreibt, „verblüffendem Resultat“[316]: Sowohl Unendlichkeit als auch Endlichkeit sind unendlich.

Neben der hier versuchsweise wiedergegebenen prozessualen Herleitung des Begriffs der „affirmativen“ Unendlichkeit findet sich in dem diesbezüglichen Hegel’schen Text aber auch noch eine zweite, meines Erachtens einfachere Erklärung dessen, was „wahre Unendlichkeit“ sein muss. Hegels Gedanke geht dabei von der bereits mehrfach erwähnten Mangelhaftigkeit der „schlechten Unendlichkeit“ aus, der Tatsache, dass ein als Gegensatz des Endlichen gedachtes Unendliches begrenzt, also endlich ist. Dagegen muss wahre Unendlichkeit, kurz gesagt, genau das Gegenteil dieses „endlichen Unendlichen“ sein. Sie muss ihr Gegenteil, das Endliche, umfassen, um nicht von diesem begrenzt zu werden, sie muss aber dadurch auch die „schlechte Unendlichkeit“, die ja in Wahrheit nichts anderes ist als Endlichkeit, inkludieren. Sie ist „Einheit des Endlichen und Unendlichen, die Einheit, die selbst das Unendliche ist, welches sich selbst und die Endlichkeit in sich begreift“[317]. Wahre Unendlichkeit umfasst für Hegel nicht nur das Endliche, sondern auch die Differenz zwischen Endlichkeit und (endlicher) Unendlichkeit.

 

Wenn wir das oben Erörterte nochmals kurz zusammenfassen, so bleibt festzuhalten, dass für Hegel jeder Begriff von Unendlichkeit in Beziehung zur Endlichkeit steht. Worauf Hegel dabei besonders insistiert, ist, dass gerade die Voraussetzung der absoluten Trennung von Endlichkeit und Unendlichkeit zu einer Einheit, Bezogenheit der beiden Bestimmungen führt. Während „falsche“ Vorstellungen von Unendlichkeit aber bei dieser Differenz stehen bleiben und so das Unendliche verendlichen, umfasst „wahre Unendlichkeit“ sowohl „Unendlichkeit“ als auch „Endlichkeit“. Dies wird im Folgenden noch entscheidend, wenn ich versuchen werde, Hegels Überlegungen zur „Unendlichkeit“ in Verbindung zu den vom ihm behandelten Gottesvorstellungen zu bringen.

 


IV.IV. Selbsterkenntnis des Menschen in Gott

Zunächst möchte ich meinen Exkurs zur Hegel’schen Logik beenden und wieder zum bereits thematisierten Verhältnis von Gottes- und Menschenbild zurückkommen. Wie oben erwähnt ist eine philosophische Aufarbeitung dieser Relation für Hegel eine von der Geschichtsphilosophie zu bewältigende Problemstellung. Begibt man sich nun in den VPG auf Spurensuche, so findet man zunächst Sätze wie „Die Religion ist uns das Wissen des Wesens, das eigentlich unser Wesen ist“[318], und die Aussage, der Mensch habe „in seinem absoluten Gegenstande das Wesen und sein Wesen gefunden“[319], jedoch ebenfalls kein systematisches Elaborat zum Thema.

Wo liegt nun aber für Hegel die entscheidende Gemeinsamkeit des „Wesens“, um das es in der Religion geht, und unserem „Wesen“?

Einen für die Beantwortung dieser Frage wichtigen Hinweis finden wir in dem Satz:

„Der Inhalt ist der Geist, und eine Entwicklung, was der Geist ist, ist der Inhalt der ganzen Religionsphilosophie.“[320]

Setzen wir dem Hegels Überzeugung, der Mensch sei „wesentlich als Geist“[321] gegenüber, so entsteht bereits ein wichtiger Konnex. Die Geistigkeit ist demzufolge die wesentliche Verbindung zwischen den Begriffen „Mensch“ und „Gott“ bzw. „Absolutes“. Wie eng diese Verbindung für Hegel ist, zeigt sich zum einen an den mehrfachen Betonungen, dass Religion nur bei Menschen, nicht aber bei Tieren existiere[322], zum anderen in den Erklärungen, warum Gott nur als Mensch, nicht aber als Tier erscheinen könne. Daher erschien Hegel der Schiller’sche Gedanke, dass die Götter Griechenlands „menschlicher“ wären so besonders problematisch[323]. Zeigt diese Menschenähnlichkeit für Hegel doch gerade die geistige Überlegenheit der griechischen Antike gegenüber „Naturgöttern“ und „Abstraktionen des einen und höchsten Wesens“[324]. Im Gegensatz zur langen geistesgeschichtlichen Tradition der Anthropomorphismusvorwürfe gegenüber den griechischen Göttern kritisiert Hegel die antike Götterwelt bemerkenswerterweise aber gerade als zu wenig menschlich. Die Unsterblichkeit der griechischen Götter verhindere deren wahre Humanität, so Hegel. Während der christliche Gottessohn als Leidender und Sterbender „unendlich menschlicher“ sei. Daher ist für Hegel das Christentum, wie Höffe festhält, „die humanste Religion“, findet doch tatsächlich mit dem Tod Jesu eine „radikalere Vermenschlichung“ statt als „etwa mit dem Ehebruch Zeus“[325]. Mit dieser Betonung des Todes als eigentlich menschlichem Charakteristikum eines Gottes trifft sich Hegel interessanterweise indirekt genau mit dem „Urvater“ des Anthropomorphismusvorwurfs, mit Xenophanes. Kritisierte dieser doch, dass wer die vielfältigen Geschichten der Geburten der griechischen Götter erzähle, genauso viel sündige, „wie jene, die sagen, daß sie sterben“[326]. Auch Xenophanes sah im möglichen Tod, den er indirekt - und argumentativ wohl richtig - aus dem Geborenwerden herleitete, das Charakteristikum der Humanität der Götter. Während dies für ihn jedoch ein Zeichen falscher, „sündhafter“ Gottesvorstellungen war, deutet Hegel dies genau gegensätzlich. Wenn Gott erscheine, dann, so Hegel, könne dies nur in Menschengestalt sein, „denn keine andere Gestalt vermag es als Geistiges aufzutreten“[327].

Allerdings deutet Hegel den Tod des christlichen Gottes zweifach. Dieser ist nicht nur ein Zeichen der Humanität des Göttlichen, sondern auch Symbol dafür, dass „nicht der Mensch im sinnlichen, unmittelbaren Dasein, sondern der, der die Gestalt des Geistes an sich trägt“[328] Gegenstand der Verehrung ist[329]. Weil sie die „Forderung der Erhebung“ bereits in sich trägt - weil der Mensch als Denkender auch über seine Endlichkeit hinausgehen kann -, ist die menschliche Gestalt dem Göttlichen am ehesten entsprechend. Da das Tier unreflektiert, seinem Trieb gehorchend agiert, sind Götter in Tiergestalt für Hegel Kennzeichen dafür, dass das Göttliche als „die Macht überhaupt“[330], als Substanz und nicht als Subjektivität verstanden wird. Nur ein Absolutes, das etwa als „das allgemeine Leben“, nicht aber als freier Geist interpretiert wird, kann in einem Tier, welches „die bewußtlose Macht, die im Ganzen wirkt“[331] in sich hat, repräsentiert werden. Die vielen Seiten eines obersten Prinzips können zwar durch Tiere, als Symbole bestimmter Qualitäten, dargestellt werden, nicht aber die - bewusste - Freiheit eines als Subjektivität gedachten Gottes, so der Hegel’sche Gedanke. Für unseren Zusammenhang von größerem Interesse ist allerdings die Umkehrung dieser Überlegungen zum Hintergrund animalischer Darstellungen des Göttlichen - die Bedeutung solcher Theologien für das Menschenbild und damit für die politische Ordnung. Hegel meint nämlich, dass, wenn Tiere als Götter verehrt werden, dies insofern zu einer Geringschätzung des Menschen führen kann, da dann jeder Naturgegenstand gleich bedeutsam ist. Die Verehrung des Göttlichen in Menschengestalt hingegen führt seines Erachtens dazu, dass auch die Humanität höher geachtet wird. Allerdings ist hier kritisch anzumerken, dass eine „Tier-Religion“ ja auch als Form des größeren Respekts vor den nichtmenschlichen Lebewesen verstanden werden könnte. Für Hegel ist jedoch besonders wichtig, dass eine Darstellung des Göttlichen im Menschen zu mehr Achtung vor der Freiheit des humanen Subjekts führt, da die Subjektivität dann auch Charakteristikum des Göttlichen ist. Damit sind wir auch bereits beim zweiten wichtigen Bindeglied zwischen Gottes- und Menschenbild, dem Freiheitsverständnis, das für Hegel wesentlich dadurch bestimmt wird, in welcher Form die menschliche Autonomie im Göttlichen begründet ist. Sagt Hegel doch in den VPG, dass das Bewusstsein der Freiheit des Menschen als Mensch „zuerst in der Religion, in der innersten Region des Geistes aufgegangen“[332] ist. Wenn aber die Geschichte primär „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“[333] ist und zugleich diese Erkenntnis der eigenen Freiheit, die doch nur existiert, wenn sie gewusst wird[334], zuerst in der Religion vorhanden ist, dann sagt Hegel damit nichts anderes, als dass Religionen notwendigen Stufen des historischen Fortschritts sind.[335] Allerdings darf das zunächst nur als historischer Befund gewertet werden, d. h. Hegels Hypothese gilt auch seinem eigenen Anspruch nach nur für die bereits vergangenen historischen Epochen. Inwieweit auch die Gegenwart in ihrem Freiheitsverständnis ebenfalls noch von Religion abhängig ist, darauf wird an späterer Stelle noch einzugehen sein.

Die Verbindung der Begriffe „Mensch“ und „Gott“ über den Aspekt der Freiheit zeigt, dass es sich dabei um eine zweidimensionale Relation handelt. Zum einen demonstriert, wie oben dargelegt, das Verständnis der göttlichen Freiheit und Subjektivität die Wertschätzung dieser Attribute auch in Bezug auf den Menschen, zum anderen ist aber auch die Freiheit des Menschen in der Beziehung auf das von ihm verehrte höchste Wesen entscheidend. Exemplarisch bin ich darauf schon früher[336] eingegangen und habe dabei gezeigt, dass für Hegel der Mensch auch in Beziehung auf einen als „Herr“ verstandenen Gott eine Form des - „knechtischen“ - Selbstbewusstseins erlangen kann. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass jede Bestimmung des Göttlichen auch eine besondere Form der Freiheit des Endlichen im Verhältnis zum Göttlichen inkludiert. An dieser Stelle scheint mir ein Verweis auf den oben vorgenommenen Exkurs zu den logischen Bestimmungen „Endlichkeit“ bzw. „Unendlichkeit“ sinnvoll. Wenn wir die drei dort behandelten Unendlichkeitsbegriffe mit religiösen Gottesvorstellungen parallel setzen, so zeigt sich, dass ein Gott, der als das ganz Andere des Menschen verstandenen wird, das Endliche als „Nichtiges“ bestimmt; als ein Nichtiges aber, das wie bereits erwähnt sein Selbstbewusstsein als dienendes erhält. Der „abstrakten“ Unendlichkeit entspricht für Hegel religionsphilosophisch die Vorstellung von Gott als Unendlichem, demgegenüber das Sein des Menschen nur Schein ist[337]. Die „Freiheit“ des Menschen liegt hier im Dienen, nicht im Entscheiden. Zugleich muss - das zeigt uns der Verweis auf die Logik - eine solche Gottesvorstellung mit dem Problem zu kämpfen haben, dass sie das Jenseits nur als gegensätzliche Bestimmung des Diesseits fassen kann, d. h. dass auch ein solcher Gottesbegriff nur in Beziehung auf Endliches zu fassen ist.

Ähnlich sieht die Bestimmung des Menschen aus, wenn das Göttliche als fortwährender Prozess der Veränderung, als „unendlicher Progress“ verstanden wird. Dann ist auch der Mensch nur ein Teil dieser andauernden Bewegung des Lebens, dessen Wert wie gesagt den aller natürlichen Objekte nicht übersteigt.

Wie aber auch in der Logik die falschen Unendlichkeitsbegriffe an sich bereits das eigentliche Verhältnis von Unendlichkeit und Endlichkeit enthalten, so ist für Hegel auch in den kritisierten Gottesbildern die notwendige Bezogenheit von „Gott“ und „Mensch“ bereits - unausgesprochen - behandelt. Obwohl dem „abstrakten“ Gott noch die letzte Freiheit fehlt, solange er im „Knecht“ noch nicht seine eigene Freiheit sieht, und der Bestimmung des Unendlichen als infinitem Progress noch abgeht, dass die endlichen Element bewusst aus ihm heraus entwickelt werden, so existiert keine der beiden Gottesvorstellungen ohne Bezug auf das Endliche. Wirkliche Freiheit besteht aber erst dort, schreibt Hegel im Zuge seiner Überlegungen zu „Herr und Knecht“, wo ich mich unmittelbar auf mich beziehe, „indem ich mich auf den anderen beziehe“[338]. Parallel zur doppelten „Bewegung“ in der Logik bedeutet das, dass sich der „Herr“ als frei versteht, indem er den „Knecht“ als autonom anerkennt, und dass der „Knecht“ frei ist, wenn er sich in einem über sein ursprünglich individuelles Anliegen hinausgehenden Allgemeinen selbst findet. Es wundert nicht weiters, dass Hegel an der zitierten Stelle der EPW im Folgenden seine Erklärung dieses Selbstbewussteins unter anderem mit Verweisen auf „Vaterlandsliebe, dieses Wollen der allgemeinen Zwecke und Interessen des Staates“ und „Liebe zu Gott“ weiter ausführt. Womit wir abermals bei einer der wichtigsten Bestimmungen des Verhältnisses von Religion und Staat bei Hegel angelangt sind, dem für beide Bereiche wesentlichen Spannungsbogen zwischen den Begriffen „Subjektivität“ und „Allgemeinheit“.

Zu erinnern ist dabei zunächst an bereits Erläutertes: „Staat“ bezeichnet für Hegel primär die bewusste Integration der Einzelnen in ein Ganzes, das auch über ihre eigenen, „besonderen“ Wünsche hinausgeht[339], und „Religion“, im Besonderen der religiöse „Kultus“, ist für ihn der Versuch, die erkannte Unzulänglichkeit der eigenen Existenz in einem Zusammenschluss mit dem Göttlichen zu überwinden[340].

Sehr deutlich hebt Hegel die Bedeutung der Synthese von Einzelheit und Allgemeinheit an einer bereits zitierten Stelle der VPG hervor:

„Indem ich aber denkend weiß und will, will ich den allgemeinen Gegenstand, das Substantielle des an und für sich Vernünftigen. Wir sehen somit eine Vereinigung, die an sich ist, zwischen der objektiven Seite, dem Begriffe und der subjektiven Seite. Die objektive Existenz dieser Vereinigung ist der Staat, welcher somit die Grundlage und der Mittelpunkt der anderen konkreten Seiten des Volkslebens ist, der Kunst, des Rechts, der Sitten, der Religion, der Wissenschaft. Alles geistige Tun hat nur den Zweck, sich dieser Vereinigung bewußt zu werden, d. h. seiner Freiheit. Unter den Gestalten dieser bewußten Vereinigung steht die Religion an der Spitze.“[341]

Wesentlich scheint es mir zu sein, dass sowohl Staat als auch Religion Formen einer „Versöhnung“ von Individuum und Allgemeinheit sind, denen das Bewusstsein einer Trennung vorausgeht. Wie der Staat, im Speziellen der Staat der Moderne, ein Versuch ist, das Scheitern des Egoismus der bürgerlichen Gesellschaft, der wiederum nur in ein System der Abhängigkeit, der Heteronomie führt, zu beheben, so lebt Religion von dem Wunsch nach Überwindung der eigenen „Sündhaftigkeit“, d. h. der Trennung des Einzelnen von der allgemeinen, „göttlichen“ Ordnung. Zugleich aber, und das ist an dieser Stelle sehr wesentlich, sind beide Formen der Vereinigung mit einer Art des Verzichts, der Reduktion der eigenen Bedürfnisse, verbunden - mit einer Preisgabe, die ein Bewusstsein um den Wert der Synthese erfordert und die im Anspruch des Denkens, allgemein gültig zu entscheiden, angelegt ist. Da ich auf Hegels Überlegungen zur Begründung des Staates im freien Denken bereits am Beginn dieser Arbeit ausführlich zu sprechen gekommen bin, möchte ich mir hier vor allem dem zweiten Teil des obigen Zitates widmen, der Erläuterung der Religion als Bewusstsein der Vereinigung.

In der Religion, so Hegel in den VPG weiter, „entsagt der Wille des Menschen seinem besonderen Interesse“, im kultischen Opfer zeige der Gläubige, dass er „seines Eigentums, seines Willens, seiner besonderen Empfindung sich entäußere“[342]. Ich habe bereits früher erwähnt, dass Hegel Opfer als Versuche, die Nichtigkeit der eigenen, endlichen Existenz auszugleichen, versteht. Bemerkenswert ist hier, dass diese Negation der Individualität Merkmal der Vereinigung von Subjektivität und Allgemeinheit sein soll. Betont Hegel doch in den rechtsphilosophischen Ausführungen, dass der Staat wesentlich auf der Integration und der Bewahrung der Individualität basiere. Was nur schlecht mit dem hier ebenfalls genannten Begriff der „Andacht“ (die Hegel anderorts als „Hineinversenken“ charakterisiert[343]) zusammenpasst. Wesentlich ist die Religion insofern für den Staat, als sie ein Versuch ist, die Synthese von Subjektivität und Allgemeinheit nicht nur zu leben, sondern auch zu reflektieren. Womit wir abermals bei Gottesvorstellungen und ihren Verbindungen zur Endlichkeit sind. Kann die Integration des einzelnen Menschen in ein - politisches - Allgemeines für Hegel letztlich nur dann wirklich verstanden werden, wenn sich dies auch im - religiösen - Absoluten ausdrückt. Wenn im Religiösen das Endliche nur als nichtiger Gegensatz des Unendlichen gedacht wird, dann wird auch im Politischen das Einzelne nicht geschätzt, d. h. das Allgemeine des Staates wird zum einzig Relevanten und der Schutz der Besonderheit der Individuen gleichgültig. Daher kann Freiheit nur sein, „wo die Individualität als positiv im göttlichen Wesen gewußt wird“[344].

Aus diesem Grund macht für Hegel die Vorstellung von Gott „die allgemeine Grundlage eines Volkes aus“[345] und ist Religion „der Ort, wo ein Volk sich die Definition dessen gibt, was es für das Wahre hält“[346]. Da die Realität eines Volkes die Vereinigung seiner Mitglieder ist, und diese dauerhaft nur bestehen kann, wenn sich die Individuen zugleich des Wertes der Synthese und der Subjektivität ihrer Elemente bewusst sind, spielt die Religion im Leben eines Volkes eine derart relevante Rolle. Die religiöse Gottesvorstellung enthält für Hegel nicht nur „alles, was zur Wesentlichkeit des Gegenstandes gehört“, sie bringt die wesentlichen Elemente des Verständnisses der Vereinigung auch „auf einfache Grundbestimmungen zurück“[347]. Das zeigt, was die Religion gegenüber den anderen oben zitierten Formen der „bewussten Vereinigung“ auszeichnet - ihre Simplizität und Verständlichkeit. Kunst und Wissenschaft etwa haben dagegen für Hegel durch ihre formal anderen Antworten - auf die inhaltlich identen Fragen - genau diese Qualität nicht.


IV.V. Die differenten Formen von Religion und Staat

Es könnte so scheinen, als ob die Frage nach den unterschiedlichen Formen von Staat und Religion bereits an früherer Stelle, bei der Gegenüberstellung von „objektivem“ und „absolutem“ Geist, beantwortet wäre. Und wären die Hegel’schen Texte nur Teile seiner systematischen Philosophie, so müsste dies tatsächlich zutreffen. Hat sich doch gezeigt, dass die Religion für Hegel als Element des absoluten Geistes ein über das Existierende des objektiven Geistes und damit den Staat als Form der Wirklichkeit hinausgehendes Wissen ist.

Nun gibt es aber vor allem in den GPR einige Stellen, an denen Hegel seine eigene systematische Ordnung zu unterlaufen scheint. Etwa wenn er, wie bereits zitiert, schreibt:

„Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee - der sittliche Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß ...“[348]

Dieses Sich-selbst-Wissen des Staates wäre aber, wenn der Staat nur als Form der Wirklichkeit gedacht würde, nicht möglich. Da jedoch, meines Erachtens nach, Hegel keine strenge - v. a. keine zeitliche - Trennung der verschiedenen Geistsphären gedacht hat, sondern auch den absoluten Geist als dem objektiven immer schon vorausgehend, kann er seine eigene begriffliche Trennung, dass der Staat eine „Wirklichkeit“ und die Religion ein „Wissen“ sei[349] nur als Teilaspekt des Verhältnisses von Staat und Religion betrachten.

Auch wenn es an dieser Stelle möglicherweise eine Unschärfe innerhalb des „Systems“ gibt, so scheint mir gerade die Erklärung des Staates als sich-selbst-denkender Geist[350] für eine Erörterung des Verhältnisses von Staat und Religion ganz wesentlich, zeigt sie doch das vermutlich größte Problem, welches innerhalb dieser Relation auftreten kann. Denn wenn der Staat tatsächlich ein System der allgemein gültigen und vernünftig argumentierbaren Regeln ist, dann muss dies notwendigerweise zu Konflikten mit der Sphäre der Vorstellung, des Gemütes und der Innerlichkeit führen. Und solange die Religionsphilosophie mit ihrer „bildungspraktischen Aufgabe“[351] noch nicht restlos erfolgreich war, d. h. solange die religiösen Inhalte noch nicht im philosophischen Denken „aufgehoben“ sind, muss zwischen Staat und Religion eine Dissonanz bestehen bleiben. 

Bemerkenswerterweise erkennt Hegel in den GPR bei der Reflexion des staatlich-religiösen Verhältnisses eine Unterscheidung an, die er, was problematisch genug ist, an anderer Stelle zu übergehen scheint[352] - die Differenz zwischen legaler Handlung und innerlicher Überzeugung. Betont er doch, dass es für den Staat „gleichgültig ist, in welcher Gemütsweise“[353] das vom Gesetz Geforderte erfüllt wird. Anders als die Religion, die ihre wesentliche Erfüllung in der subjektiven Überzeugung des Individuums findet, kann sich der Staat darauf beschränken, die Legalität der Handlungen einzufordern und muss sich davor hüten, auf „religiöse Weise“ zu fordern, da er sonst „das Recht der Innerlichkeit gefährden würde“[354]. Wobei hier natürlich nicht Hegels luzide Überlegungen über die generelle Abhängigkeit eines politischen Systems von der „Gesinnung“ seiner Mitglieder vergessen werden sollten[355].

Das große Konfliktpotenzial in der Beziehung von Staat und Religion liegt für Hegel darin begründet, dass die Inhalte der Religion „vorgestellte“ sind und dadurch mit all den beschriebenen Mankos dieser Bewusstseinsform behaftet sind. Da die religiösen Geschichten die ihnen impliziten Wahrheiten nur als außerhalb des Subjekts liegende Objekte - beispielsweise als göttliche Gestalten - darstellen, kann letztlich etwa auch die für Hegel so wesentliche Vereinigung von Individualität und Allgemeinheit im Religiösen nur als jenseitiger Vorgang, nicht aber als an sich notwendiger Zusammenhang betrachtet werden. Das eigentlich Problematische ist nun daran, dass auch eine „Übersetzung“ der religiösen Inhalte immer individuell gebunden ist. Das bedeutet, dass auch das religiöse Subjekt, welches die religiösen Wahrheiten zu Regeln im sozialen Zusammenhang wandeln möchte, diese Übertragung nur auf Basis seiner eigenen Überzeugung leisten kann und dadurch gerade nicht die vom staatlichen Gesetz verlangte Allgemeinheit erreicht. Weil die Inhalte im Religiösen „vorgestellt“ sind, sind sie bestenfalls exemplarisch, nicht aber allgemein und damit gesetzmäßig. Eine wirkliche Übertragung der religiösen Konzepte in staatliche Gesetze kann nur über den Umweg einer philosophischen Reformierung des Religiösen führen, was aber all die schon besprochenen Schwierigkeiten inkludiert[356].

Wenn die Religion jedoch an ihrer besonderen Form festhält und sich zugleich „staatliche“ - d. h. gesetzgebende - Funktion anmaßt, dann wird der Rechts- zum „Frömmigkeitsstaat“. Nicht mehr die allgemeine Begründung wird zur entscheidenden Instanz, sondern das „subjektive Gefühl ist das gesetzgebende“[357], die Religion und der mit ihr verbundene Staat wird „fanatisch“. Womit wir bei einem Begriff angelangt sind, dessen Verwendung bei Hegel meines Erachtens eine genauere Untersuchung erfordert.

 

IV.III.I. Fanatismus

Ausgangspunkt der Gedanken Hegels zum Phänomen des „Fanatismus“ ist in den VPR die von mir „systematisch“ genannte Differenz zwischen dem Staat als Wirklichkeit und der Religion als Wissen und Verhältnis zum Absoluten, der gegenüber „alles nur als ein Akzidentelles, auch Verschwindendes“ ist. Als Gegenüber eines solchen Glaubens scheint der Staat der „Unsicherheit und Zerrüttung preisgegeben“ zu sein. Da im Vergleich zu den „ewigen“ Gesetzen der Religion die staatlichen immer nur als bedingte, kontingente erscheinen, gelte: „[…] dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben“[358], so Hegel. Diese „Erhöhung“ der Religion führt aber nicht nur zur Beliebigkeit gegenüber der sozialen, staatlichen Ordnung, sondern trägt die Gefahr der Willkür und der Intoleranz in sich. Wer seinen eigenen Glauben über jede sittliche Struktur stellt, kann dem „Ungläubigen“ die für den intersubjektiven Zusammenhang wesentliche Anerkennung als vernünftiges Wesen nicht mehr gewährleisten. Damit tritt aber insofern eine bedeutsame Wendung ein, als gerade aus der Nichtigsetzung der besonderen Wirklichkeit eine Art des Umgangs mit eben dieser Wirklichkeit folgt. Fanatismus hat also gewissermaßen immer schon zwei Seiten: Zum einen kann er Handlungen nur durch ein „abstraktes“ Prinzip legitimieren und jeden anderen Handlungsgrund für nichtig oder gar böse erklären, zum anderen kann der Fanatiker gerade weil ihm die Wirklichkeit im Vergleich zu einer „höheren“ Realität  zwecklos erscheint innerhalb dieser „unbedeutenden“ Welt willkürlich handeln.

Interessant ist, dass Hegel den Begriff „Fanatismus“ auch an zumindest zwei Stellen seiner geschichtsphilosophischen Überlegungen verwendet - bei seinen Erörterungen der welthistorischen Bedeutungen von so unterschiedlichen Ereignissen wie dem Auftreten des Islams und dem Stattfinden der Französischen Revolution[359].

Wie bereits gesagt ist es für Hegel ein wesentliches Charakteristikum des „Fanatismus“, das Bestehende zu Gunsten eines Idealen, „Abstrakten“ zu negieren. In den VPG schreibt Hegel bei seiner Behandlung des „Mohammedanismus“[360], der Fanatismus sei „wesentlich nur dadurch, daß er verwüstend, zerstörend gegen das Konkrete sich verhält“[361]. „Fanatisch“ ist für Hegel, wer aufgrund seines Glaubens an ein jenseitiges Idealbild die immer ausdifferenzierte Realität nicht achten kann, da sie im Vergleich zu der einfachen Zielvorstellung immer auch Unvollkommenes inkludiert. In diesem Sinne spricht Hegel auch vom „abstrakten Gedanken“ des Fanatikers und der „konkreten“ Wirklichkeit. Das Ideal lässt sich genau durch eine Bestimmung charakterisieren, sei es die der „Güte“, der „Gerechtigkeit“ etc. Demgegenüber steht eine Wirklichkeit, die genau diese Simplizität des Utopischen vermissen lässt. Da die Realität der „einen“ Bestimmung des Ideals nie vollends genügen kann, ist sie für den Fanatiker nur eine zu vernichtende. Zugleich aber liegt im Fanatismus ein enormes schöpferisches Potenzial. Da dem Fanatiker Diesseitiges unbedeutend ist, zählt ihm auch seine eigene Mühe wenig. Metaphorisch könnte gesagt werden, wer nur das Ziel vor Augen hat, sieht wenig von den Hindernissen am Weg dorthin. Daher schreibt Hegel, nie habe „die Begeisterung als solche größere Taten vollbracht“ als in Zeiten der Ausbreitung des „fanatischen“ Islams. Wobei hier Hegel keineswegs nur an die militärische Eroberungsgewalt denkt, sondern auch an die Entwicklung von Kunst und Wissenschaft.

Religionsphilosophisch vermeint Hegel einen dem Fanatismus entsprechenden Gottesbegriff zu erkennen. Es ist dies die Vorstellung von Gott als dem „absolut einen“[362]. Wenn Gott nur als unbestimmtes Absolutes gefasst wird, dem der Mensch als Partikularer nichtig gegenübersteht, dann gibt es für den Menschen nur einen einzigen tolerablen Zweck, die Verehrung dieses Einen selbst. Worauf Hegel wohl abzielt ist, dass, wenn jede Handlung als typisch menschliche immer nur als beschränkte, unbedeutende, weil im Diesseits situierte gilt, alleine die Form des Bezugs auf das Jenseits Wert haben kann, da nur dabei eine Überwindung der Partikularität erfolgt. In dieser singulären Wertschätzung der „Versenkung“ in Gott liegt Hegel zufolge insofern der Fanatismus begründet, da sie zugleich auch erfordert, „die Verehrung des Einen in allen Menschen hervorzubringen“[363]. Das Fatale eines solchen Gottesbegriffes scheint für Hegel zu sein, dass der Mensch „nur insofern Wert“ hat, „als er seine Wahrheit setzt in das Wissen, daß dies der Eine, das Wesen sei“[364]. Die Problematik liegt dabei natürlich in dem „nur insofern“. Fehlt damit doch die zentrale Bestimmung des Selbst(!)wertes des Menschen. Da der Fanatiker dem Mitmenschen nur über eine bestimmte Eigenschaft oder Tätigkeit Bedeutung zuschreiben kann, steht er immer schon am Rand der Gewalttätigkeit.

 

Eine Erörterung der Hegel’schen Sicht des „fanatischen“ Charakters der Französischen Revolution könnte an dieser Stelle insofern unpassend erscheinen, als es für Hegel gerade zu den Kennzeichen dieser Epoche gehört, ein völlig vom religiösen Kontext abgetrenntes Freiheitsideal verwirklichen zu wollen[365]. Trotzdem scheint mir auch aus Hegels Behandlung des areligiösen Fanatismus der französischen Revolutionäre einiges über das „fanatische“ Verhältnis von Religion und Staatlichkeit ableitbar.

Hegel beschäftigte sich an zwei Stellen seines Werkes ausführlich mit der Französischen Revolution, ihrer welthistorischen Bedeutung und den gewalttätigen Konsequenzen der Ereignisse von 1789: in der PhG und in den VPG. Den Begriff „fanatisch“ wendet Hegel dabei nur in den geschichtsphilosophischen Vorlesungen zur Charakterisierung der Revolutionäre an. In der PhG stehen zwei andere Ausdrücke im Zentrum der Hegel’schen Ausführungen: „absolute Freiheit“ und „Schrecken“. Nichtsdestotrotz könnte auch hier der Terminus „Fanatismus“ ohne große Beugungen des Hegel’schen Textes aufgenommen werden. Mit dem Begriff „absolute Freiheit“ beschreibt Hegel das anscheinend seinem Verständnis nach bei den Revolutionären vorherrschende Bewusstsein, dass nichts gelten dürfe als der die Revolution tragende Gedanke der Freiheit selbst. Da aber auch die Revolutionäre immer besondere Menschen sind, kann jedem von ihnen als absolute, zu verwirklichende Freiheit letztlich nur seine eigene Vorstellung gelten. Der Einzelne kann keinerlei Strukturen oder Institutionen anerkennen, da solche immer schon eine Beschränkung seiner Freiheit bedeuten. Den gewissermaßen einzigen „Minimalkonsens“ der Revolutionäre kann daher nur ihre gemeinsame Ablehnung alles Bestehenden bilden. Meines Erachtens kann auch Hegels berühmte Wendung von der „Furie des Verschwindens“[366] in diesem Sinne interpretiert werden. Da keiner der die „absolute Freiheit“ verwirklichen wollenden Revolutionäre eine Einschränkung seiner Rechte und Möglichkeiten tolerieren kann, ist Negation die einzige mögliche Form der intersubjektiven Einigung. Die letzte, „konsequenteste“ Form dieser Negation bildet die Vernichtung des Anderen. Da die jeweils Regierenden sich nur als Organ der Verwirklichung des Prinzips der Freiheit sehen, können sie die Vorstellungen der anderen, die sich immer auch in Opposition zu den  ihrigen befinden müssen, nicht achten; die anderen werden zum zu beseitigenden Hindernis. Dem einzelnen Bürger tritt damit der Staat, d. h. die Regierung, als Instanz des „Schrecken des Todes“[367]gegenüber. Wie bereits oben erwähnt kommen wir hiermit zum Terror als Kennzeichen des Fanatismus. Interessant ist meines Erachtens, dass es, wenn wir Hegels Überlegungen an dieser Stelle spekulativ weiterführen, nur eine einzige Situation geben könnte, in der ein solches fanatisches Regime nicht gewalttätig gegen eine innere Opposition vorgehen „müsste“ - in einem Zustand der völligen geistigen Identität seiner Bürger, einer Einheit, die wohl nur durch systematische Gleichschaltung aller kulturellen und geistigen Instanzen, letztlich durch totalitären Terror, zu erreichen wäre. Dass eine solche „Einigkeit“ aller Bürger aber nie völlig zu erreichen ist, darauf hat Hegel, wie bereits erwähnt, mit seinem Verweis auf die jeweilige „Besonderheit“ aller einzelnen Revolutionäre hingewiesen. Dies erscheint mir insofern von großer Bedeutung zu sein, als damit extreme Lesweisen der Hegel’schen Ausführungen über die Identität innerhalb eines Volksgeistes aus den Texten Hegels heraus widerlegbar sind. Hegel ist sich der Gefahr einer angestrebten absoluten Identität der Menschen innerhalb einer sozialen Einheit nicht nur bewusst, eine solche Form der Einheit würde auch allen seinen Überlegungen zur Ausdifferenzierung der Gesellschaft innerhalb eines Staates widersprechen.

 

Auch in den VPG verwendet Hegel den Begriff „Schrecken“ als Beschreibung der entscheidenden Erfahrung im revolutionären Frankreich. Allerdings gelangt er diesmal über einen anderen argumentativen Weg zu dieser Charakterisierung. Da jede besondere Institution wie bereits erwähnt den „abstrakten Prinzipien der Freiheit“[368] widerspricht, konnten die Revolutionäre nur eine Bestimmung erlassen, die Vorschrift, die Freiheit anzustreben. Hegel benützt hierfür den Begriff der „Tugend“. Ob jemand diese Tugend, d. h. das Ziel der Freiheitsverwirklichung, tatsächlich lebt, kann nur „von der Gesinnung erkannt werden“[369], daher können nicht Taten Kriterium dafür sein, ein „guter Revolutionär“ zu sein - Handlungen genügen den abstrakten Freiheitsprinzipien ja niemals -, sondern nur Überzeugungen. Doch gerade diese sind per definitionem nicht überprüfbar. Der Staat der „Gesinnung“ wird somit zum System des „Verdachtes“. Der „Schrecken“ einer solchen Gesellschaft potenziert sich nun noch dadurch, dass ja keine institutionellen Maßnahmen der Rechtssicherheit anerkannt werden. Da keine „gerichtlichen Normen“[370] gelten, ist, wer dem Regierenden als nicht tugendhaft gilt, auch schon verurteilt und da nichtexistente „Tugend“ innerhalb eines solchen Systems das kapitalste Vergehen sein muss, ist die Todesstrafe die „logische“ Folge. Dies wohl auch daher, da wer die „Tugend“ vermissen lässt, aus Sicht des Fanatikers die singuläre und entscheidende Bestimmung eines „Revolutionärs“ nicht einhält und damit sein Menschsein in bestimmter Hinsicht „verfehlt“.

 

Wenn wir nun sowohl Hegels Überlegungen zum Islam als auch zur Französischen Revolution hinsichtlich seiner Charakterisierung des Fanatismus betrachten, so sehen wir Folgendes: Während erste Form des Fanatischen dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich allein auf ein Jenseitiges hinorientiert, so resultiert der Fanatismus der Revolutionäre gerade aus ihrem Anspruch, das Diesseits zu verändern. Die Abstraktheit der Freiheit der Französischen Revolution folgt nach Hegel aus dem Versuch, ein ideales Ziel vermittlungslos in die Praxis umzusetzen[371]. Nach Hegels Verständnis ist eine Verwirklichung von Freiheit, wie er sie als entscheidende Konsequenz der Französischen Revolution achtet, nur im Kontext verschiedener, vernünftig geordneter Sphären des menschlichen Daseins möglich. Die revolutionäre Epoche musste demnach deswegen zu Ende gehen[372] bzw. nach Hegel sich weiter entwickeln, da die „Vernünftigkeit selbst“ gegen „diese fürchterliche konsequente Freiheit“ auftrat[373]. Anerkennen könne die „Vernünftigkeit“ nur eine strukturierte, geteilte Herrschaftsform, so die Hegel’sche Überzeugung.

 

Interessant ist, dass, wenn wir den religiösen Fanatismus des Islams und den areligiösen, politischen der Französischen Revolution zusammen betrachten, sich für das Verhältnis von Religion und Staat zwei in verschiedene Richtungen gehende Konsequenzen zu ergeben scheinen: zum einen die Gefahr, die für den Staat aus einer „fanatischen“ Religion erwächst, die Zerstörung aller seiner Ordnung, und zum anderen ein „Scheitern“ der Religion selbst. Gilt meines Erachtens nach doch Hegels Einwand, dass die Revolutionäre ihrem Anspruch der „absoluten Freiheit“ nicht genügen konnten, weil sie dieselbe als in Opposition zu aller Wirklichkeit stehend verstanden, auch für eine Form des Religiösen, die beispielsweise ihre Vorstellung eines „Paradieses auf Erden“ unmittelbar Wirklichkeit werden lassen möchte. Eine solche Religion wäre nicht nur politisch „gefährlich“, sondern stünde auch gegenüber sich selbst, d. h. gegenüber ihren Gläubigen, gewissermaßen unter ständigem Legitimationsdruck, warum die angestrebte Implementierung des Ideals noch nicht erfolgt sei bzw. noch nicht erfolge. Auch müsste sich wohl die Frage stellen, ob überhaupt Schritte dazu erfolgen können, da ja diese selbst wieder Maßnahmen im Kontext des als nichtig gesetzten Bestehenden, also, um es mit dem berühmten Adorno’schen Ausdruck zu sagen, nur ein „Richtiges im Falschen“[374] und damit eben kein „Richtiges“ wären.

Aus diesem Dilemma folgen aus der Sicht des fanatischen Bewusstseins zwei mögliche „Auswege“: die Zerstörung des Bestehenden und eine Haltung, die Hegel „polemische Art von Frömmigkeit“ nennt[375].

 

IV.III.II. Frömmigkeit als Weltabgewandtheit

Mit dem Ausdruck „polemische Art der Frömmigkeit“ bezeichnet Hegel den geistigen Rückzug des religiösen Menschen aus der sozialen und staatlichen Welt bei gleichzeitiger Einhaltung der Gesetze. Die polemische Frömmigkeit ist demzufolge eine Form einer, wie ich es an früherer Stelle genannt habe „externen“ Relation der Religion zum Staat[376].

Ein solcher gläubiger Mensch handelt immer legal, weil er in gewisser Weise die Gesetze als so unbedeutend versteht, dass sie auch des Widerspruchs nicht wert sind; er tut unter „Seufzen“, „Verachten“ und „Wünschen“[377], was von ihm gefordert wird, pocht aber innerlich vor sich selbst auf seine reine Überzeugung. Diese Form des „Fanatischen“ führt damit genau zum gegenteiligen Verhalten der rein zerstörerischen; nicht durch Destruktion, sondern durch Ignoranz der weltlichen Gesetze zeichnet sie sich aus.

Doch nicht nur die staatlichen Gesetze stehen in den Augen der „Frömmigkeit“ ständig unter dem Verdacht der Nichtigkeit, sondern auch alle anderen Weisen des realen Lebens, da auch sie gegenüber dem religiösen Ideal nur Scheincharakter haben müssen. Diese Art der Frömmigkeit, die für den Protestant Hegel in besonderer Weise ein Phänomen des Katholizismus ist, negiert das Sittliche „in seinen wahrhaften drei Hauptpunkten“[378]. Der „ersten Sittlichkeit“, der Ehe, stelle sie den Wert des Zölibats gegenüber, dem Wert der Arbeit - dem Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft - den Gedanken der Enthaltung gegenüber weltlichen Bedürfnissen und der freien Entscheidung im Politischen die Gehorsamkeit, kritisiert Hegel in den VPR die religiöse „Entsagung“[379], die er anderorts auch als „mönchische Abstraktion“[380] bezeichnet. Wenn Teile dieser Kritik auch durchaus zu hinterfragen sind[381], so bleibt meines Erachtens das von Hegel hier angesprochene Grundproblem, dass dem Gläubigen die Arbeit an den Schwierigkeiten der Wirklichkeit als vernachlässigbar erscheinen kann, relevant[382]. Entscheidend ist für Hegel, dass die „polemische Art der Frömmigkeit“ nicht nur ihr Unvermögen bzw. ihren Unwillen, die Welt zu ändern, betont, sondern zugleich jederzeit in der Lage ist, anzugeben, wie die Wirklichkeit sein sollte. Dies daher, weil sie sich im Besitz der Wahrheit, eines idealen „Himmels auf Erden“[383], seiend wähnt. Letztlich ist für Hegel eine solche Position aber Ausdruck der Schwäche des religiösen Gewissens, welches sich als nicht stark genug erweist, die Realität nach seinen Vorstellungen zu formen, und sich daher ins Jenseits zurückzieht und damit einen Ausweg wählt, der nach Hegel Schwäche und geistige Bequemlichkeit demonstriert, ermöglicht er doch eine Zufriedenheit im Gefühl der „Gottseligkeit“[384], ohne sich die Arbeit eines in der Wirklichkeit stehenden Lebens anzutun. Zugleich ist eine solche Frömmigkeit auch eine Art Immunisierungsstrategie, da sie durch die Fundierung der Behauptungen in der religiösen Überzeugung „weder nach ihrer Seichtigkeit noch nach ihrer Unrechtlichkeit“[385] beurteilt werden kann. Womit wir abermals bei der entscheidenden formalen Differenz zwischen Staat und Religion gelandet sind. Zeigt sich an der hier thematisierten besonderen Form der Religiosität doch ein allgemeines Charakteristikum des Religiösen, aufgrund dessen die religiösen Individuen, die alles unmittelbar zu wissen meinen, vor der Gefahr des Fanatismus stehen. Das grundsätzliche Problem, dass die Religion das Wahre als „vorgestelltes“ Objekt außerhalb der Welt sehen kann, während das staatliche Gesetz gerade die Besonderheiten innerhalb der Realität erfassen muss, inkludiert - in Verbindung mit der Tatsache, dass Religion einerseits auf gegebener Autorität beruht und andererseits lediglich „ein Inneres“, das „dem Gewissen angehört“[386] ist, während das politische Gesetz auf Argumentation basiert - die Gefahr, das angestrebte Ziel über die Vernünftigkeit zu setzen. Dadurch kommt es zum Konflikt zwischen staatlichem Gesetz und religiöser Überzeugung. Daher ist es für Hegel entscheidend, dass im Staat „alles fest und gesichert“ ist, um eine „Schanze gegen die Willkür und die positive Meinung“ zu bilden, und dass die Religion „nicht das Regierende“ sei[387].

Allerdings muss gesagt werden, dass Hegel bei seiner Kritik der „polemischen Frömmigkeit“ seinen eigenen Religionsbegriff zu unterlaufen und Religion nur als Ausdruck des Gefühls zu verstehen scheint. Wodurch er sie als, wie bereits früher erwähnt[388], der Gemeinschaft unfähig kritisieren kann. Daher unterscheidet er diese Form der „Frömmigkeit“ auch von der Religion der „wahrhaften Art“[389], welche in Kultus und Lehre von der Subjektivität der Gefühlsreligion bereits zur Intersubjektivität übergegangen ist und sich historisch für Hegel in der Religion des trinitarischen Gottesbegriffes, dem Christentum zeigt.


IV.VI. Die politische Kraft des Christentums

Bevor ich mich der Hegel’schen Auseinandersetzung mit dem Christentum und dessen politisch, praktischer Seite zuwende, muss ich auch an dieser Stelle betonen, was ich früher bereits in anderem Zusammenhang hervorgehoben habe: In dieser Arbeit kann es nicht darum gehen, ob oder wieweit „Hegels Christentum“ mit der „historischen“ Ausformung dieser Religion[390] übereinstimmt. Dazu fühle ich mich genauso wenig in der Lage[391], wie zu einer grundsätzlichen Diskussion der Hegel’schen These vom Christentum als „vollendeter“, bzw. „absoluter Religion“. Trotzdem werde ich auf den Gedanken Hegels, dass die Geschichte der Religionen eine Lerngeschichte darstellt, an deren Abschluss das Christentum steht, in der Folge noch eingehen, aber nur deswegen, weil mir die Klärung des Grundes der elitären Position des Christentums für ein Verständnis der praktischen Konsequenzen, welche die Annahme der christlichen Religion für Hegel hat, wesentlich erscheint. Primär soll es aber darum gehen, die Auswirkungen einer Religion, die - um es ganz neutral zu formulieren - von Hegel „Christentum“ genannt wird, auf den politischen Kontext der Religion zu untersuchen und dabei an diesem einen Fallbeispiel nochmals zu verdeutlichen, wie für Hegel der Zusammenhang von Religion und Staat zu denken ist.

 

IV.VI.I. Die absolute Religion als die selbstreflexive Religion

„Die absolute Religion ist erstens die offenbare Religion. Die Religion ist das Offenbare, ist manifestiert erst dann, wenn der Begriff der Religion für sich selbst ist.“[392]

Es macht großen Sinn, obiges Zitat sehr genau zu lesen. Zeigt sich dabei doch, was für Hegel das eigentlich entscheidend Neue am Christentum ist, und was es zur Stellung als „vollendeter Religion“ qualifiziert. Bei einer oberflächlichen Lektüre der Hegel’schen Texte könnte es scheinen, als würde Hegel argumentieren, das Christentum sei „absolute Religion“, weil es dem Begriff der Religion selbst entspricht, weil es sozusagen dem Idealtypus jeder Religion äquivalent ist. Das Christentum wäre demzufolge das vollständigste Bewusstsein des absoluten Geistes[393]. Hegel unterstützt zwar auch diese These, geht aber in seiner Argumentation noch über sie hinaus: Das Christentum ist für Hegel nicht nur die adäquate Realisation des Begriffs der Religion, sondern in ihm ist „der Begriff der Religion für sich selbst“. Zu bemerken ist hier besonders, dass im ersten Satz des obigen Zitats nicht „offenbarte“, sondern „offenbare“ steht. Es geht hier also nicht darum, dass sich im Christentum Gott den Menschen zeigt, oder dass in den heiligen Texten dieser Religion Gott selbst spricht, sich das Göttliche offenbart - obwohl für Hegel auch das Attribut „geoffenbarte Religion“ eine wesentliche Beschreibung des Christentums bietet[394].  Was im Christentum für Hegel „offenbar“ wird, ist die Religion selbst. Denn die „absolute Religion ist die offenbare, die Religion, die sich selbst zu ihrem Inhalt, [ihrer] Erfüllung hat“[395].

Wenn wir uns nochmals erinnern, dass das Wesentliche einer Religion das Bewusstsein vom Göttlichen ist, und nun dazu bedenken, dass das Christentum das Wesen der Religion selbst offenbart, dann bedeutet das, dass im Christentum das Bewusstsein von Gott selbst Gegenstand des religiösen Bewusstseins ist, d. h. dass die christliche Form der Religion insofern eine selbstreflexive Struktur hat, da sie die Ausübung der Religion selbst zum religiösen Inhalt macht. Dies kann besonders im Zusammenhang mit der bereits früher dargelegten Polemik Hegels gegen Vorstellungen, wonach das Entscheidende an Religion allein die subjektive Überzeugung sei, nicht aber objektives Wissen um Gott[396], überraschen. Nennt Hegel im Folgenden einen solchen Standpunkt der subjektiven Frömmigkeit doch einen „ganz wichtigen Fortschritt“[397], da er der Subjektivität auch im Religiösen zu ihrem absoluten Recht verhelfe, relativiert ihn aber zugleich durch den Hinweis auf die gläubige Versenkung in der Andacht als notwendigem Element der Religion.

Was im Kontext der Frage nach Religion und Staat der Begründung des Christentums als absoluter Religion Relevanz verleiht, ist die Tatsache, dass mit dem Objektivwerden des Begriffs der Religion in der Religion nicht nur eine verstärkte Wertschätzung des Bewusstseins von Gott verbunden ist, sondern auch das Subjekt dieses Bewusstseins als notwendig gewusst wird. Denn wenn im Christentum tatsächlich nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch die des Gottesbewussteins als unbedingte gezeigt wird, dann muss dort auch die Notwendigkeit des Menschen als Träger dieses Bewusstseins behandelt sein. Da in der christlichen Religion die Beziehung von Gott und Mensch als Teil des Begriffs der Religion offenbar wird, erlaubt sie für Hegel einen wesentlich neues Selbstverständnis des Menschen.

Eine vorstellungsmäßige Demonstration dieser besonderen Stellung des Menschen vermeint Hegel im christlichen Dogma der Trinität zu erkennen. Werde Gott im Christentum doch gefasst als „das Eine, sich selbst gleiche Unendliche, die reine Identität, welche zweitens sich von sich trennt, als das Andere ihrer selbst“[398], so Hegel. In der Person des „Vaters“ betrachten die Christen Gott „sozusagen vor oder außer Erschaffung der Welt“[399]. Bemerkenswert ist, dass Hegel dadurch, dass er die erste göttliche Person als reinen Gedanken, als göttliches Prinzip vor aller Realisation versteht, bei der Behandlung dieser Sphäre der Dreieinigkeit die trinitarische Struktur selbst zum Thema macht. Gott als Allgemeines verstanden inkludiert für Hegel auch die Unterscheidung, das Setzen seines Anderen, des „Sohnes“, und die Aufhebung der Differenz zu diesem, denn „was er aber so von sich unterscheidet, hat nicht die Gestalt eines Andersseins, sondern das Unterschiedene ist unmittelbar nur das, von dem es geschieden worden“[400]. Mit dem Bewusstsein der in Gott selbst immanenten Differenzierung leistet das Christentum für Hegel den entscheidenden Schritt über Religionen hinaus, die alleine die Schöpfung als Akt der göttlichen Unterscheidung verstehen. Bleibt doch, solange „Gott als bloß der Vater“[401] verstanden wird, die Erschaffung der Welt eine Handlung außerhalb Gottes, während mit dem Hervorgehen des Sohnes aus dem Vater der Unterschied „am Begriff selbst“[402] bestehend, die Differenz als Teil des Göttlichen, erkannt wird. Erst mit dieser Anerkennung der Differenz im Göttlichen erreiche die Gottesvorstellung tatsächlich Unendlichkeit, während wenn unter „Gott“ nur das Allgemeine, „Gott der Vater“, verstanden werde, damit nur eine Bezeichnung „nach der Endlichkeit“[403] verbunden sei[404], so Hegel. Das Christentum hingegen zeige, dass „das Anderssein keinen Eintrag tue der Einheit“[405]. Mit der Menschwerdung des Gottessohns werde dem Christen die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur „zum Bewußtsein, zur Gewißheit gebracht“[406]. In Christus wäre „der Mensch selbst im Begriff Gottes enthalten“[407]. Aufgrund dieser spekulativen Wahrheit, die er im religiösen Bild des „Gottmenschen“ zu erkennen vermeint, kritisiert Hegel auch Vorstellungen, wonach Jesus nicht mehr als ein Prediger einer neuen Moral und Märtyrer seiner Überzeugung gewesen sei, als nicht „auf dem christlichen Standpunkte“ stehend; während der wahren Religion dagegen die Erkenntnis entspräche, dass die Menschwerdung selbst notwendiger Teil des Göttlichen sei[408]. Diese an sich im Begriff existierende Wahrheit führe der „Gottmensch“ sinnlich vor Augen, denn in der Religion gehe es nicht darum, dass die Menschen „die Notwendigkeit dieser Idee einsehen und erkennen, sondern darum ist es zu tun, daß sie ihnen gewiß wird, d. h. daß diese Idee, die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur zur Gewißheit komme, daß sie für sie die Form unmittelbarer sinnlicher Anschauung, äußerlichen Daseins erhalte, kurz, daß diese Idee als in der Welt gesehen und erfahren erscheine“[409].

Wesentlicher Teil der menschlichen Erscheinung Gottes ist für Hegel, wie bereits früher ausgeführt[410], der Tod Jesu, jener „höchste Beweis der Menschlichkeit“[411] des Gottessohnes,  der Hegel nicht denkbar erscheint ohne die „Auferstehung“. Auf die absolute Menschlichkeit, welche die Negation als in Gott selbst existierend zeigt, folgt für ihn notwendigerweise die Überwindung der Endlichkeit als solcher, die Negation der Negation. Am auferstandenen Christus zeige sich, „daß Gott es ist, der den Tod getötet hat“, einen Tod, der Ausdruck seines radikal Anderen, des Endlichen ist, so Hegel. Mit dem Bewusstsein, dass Gott den Tod auf sich genommen habe, um ihn zu überwinden, ist für den Gläubigen zugleich die Sicherheit verbunden, Christus habe „die Sünde der Welt getragen“, habe „Gott versöhnt“[412]. Da „in dem Tode Christi [...] die Endlichkeit des Menschen getötet worden“ ist[413], sei für den Christen die Versöhnung des an sich aufgehobenen Gegensatzes von Gott und Mensch bzw. von Gott und Welt möglich. Mit dem Tod des einen, sinnlichen Subjektes, Jesus, verlagert sich für die Gläubigen die von diesem Individuum verkörperte Wahrheit, die Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur, in einen anderen Bereich, von der Sphäre der sinnlichen Existenz in die der geistigen Gewissheit. Mit dem Verschwinden des Gottmenschen, mit der „Himmelfahrt“, wird die „Ausgießung des Geistes“, wird „Pfingsten“ möglich. Während in Jesus die Versöhnung von Mensch und Gott verkörpert ist, verwirklicht sie sich in der dritten göttlichen Person. Im sich in der Gemeinde der Gläubigen realisierenden Heiligen Geist erfolgt der „Übergang aus dem Äußeren, der Erscheinung, in das Innere“[414]. Zu Recht schreibt Dellbrügger daher in Anlehnung an Hegels Interpretation des Christentums: „Die göttliche Geschichte findet ihre Fortsetzung im Inneren des Menschen.“[415] Denn was an Christus erschienen ist, die Einheit Gottes mit den Menschen, muss von jedem Menschen selbst vollbracht werden. Zugleich wird mit dem Beginn der Gemeinde für den Christen, so argumentiert Hegel, die Innerlichkeit, die subjektive Überzeugung entscheidend. Die einzelne Seele bekommt damit als „unsterbliche“ eine „unendliche, ewige Bestimmung: Bürger im Reich Gottes zu sein“[416]. Mit dem Eintritt in die Gemeinde, der für Hegel eine Art „zweiter Geburt“[417] ist, erhält der Mensch ein neues Ziel, Teil des Heiligen Geistes zu sein, des „Gottes als gegenwärtigen, wirklichen Geistes“[418]. In diesem Sinne will Hegel das Christentum als „die Religion des Geistes“[419] verstanden wissen, da hier die Vereinigung der Menschen im Geist selbst geschieht, und führt ein Bibelzitat an: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“[420] Wesentlich ist, dass Hegel die Versöhnung zwischen Menschlichem und Göttlichen nur in der Überwindung des Endlichen, im Geistigen, denkt. Ich habe bereits früher gezeigt, dass Hegel den religiösen Kultus im Allgemeinen und die christliche Gemeinde im Speziellen als Versöhnung eines zweifachen Gegensatzes versteht. Als Überwindung der Differenz zwischen Gott und Mensch einerseits und der zwischen Mensch und Welt anderseits. Zugleich aber, das scheint mir im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit besonders bemerkenswert, liefert die Gemeinde auch eine Form der zwischenmenschlichen Verbindung[421], die sich in der gemeinsamen Liebe der Gläubigen zu Gott äußert. Aber nicht nur das, im Christentum wird, wie Hegel betont, Gott selbst als „Liebe“, verstanden[422], d. h. als „Unterscheiden zweier, die doch füreinander schlechthin nicht unterschieden sind“[423]. Dies ist insofern wichtig, als für Hegel die Liebe innerhalb der christlichen Gemeinde nicht nur die Hingabe des Einzelnes an ein Allgemeines ist - was auch als Auslöschung der Subjektivität interpretiert werden könnte -, sondern er die Liebe, als Überwindung einer Differenz zweier Getrennter, als die wesentliche Struktur des trinitarischen Gottes selbst zu erkennen vermeint.

Wenn wir nun nochmals die am Beginn dieses Kapitels stehende Erklärung für den Grund, warum das Christentums als „absolute Religion“ zu bezeichnen ist, rekapitulieren, dann zeigt sich, dass für Hegel in der christlichen Religion die Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in der zweiten göttlichen Person deutlich wurde und in der dritten die Innerlichkeit und die Möglichkeit der Versöhnung der Trennung des Menschen von Gott und Welt „entdeckt“ wurden. Wobei sowohl die Überwindung als auch die zu überwindende Differenz in Gott selbst vorhanden sind. Wodurch im Christentum nicht nur das Objekt der Anbetung erfasst wird, sondern auch die religiöse Hingabe selbst. Was für Hegel, wie am Anfang des Kapitels angeführt, bedeutet, dass in der christlichen Religion „der Begriff der Religion für sie selbst“ sei und dass das Christentum von einer Form der selbstreflexiven Struktur bestimmt wird.

 

IV.VI.II. Die Religion der Freiheit

Aus der religiösen Einsicht in die Gottesebenbildlichkeit und der Bedeutung, die durch den Glauben an den „Gottmenschen“ der Menschlichkeit zukommt, folgen im Christentum für Hegel entscheidende praktische Konsequenzen. Deren wesentlichste ist, erklärt Hegel in den VPG, dass, da der Mensch als Selbstzweck „unendlichen Wert“[424] hat, unter Christen die Sklaverei unmöglich sei. Meines Erachtens ist die christliche Ächtung der Sklaverei eines der Themen, an denen das Hegel’sche Verständnis der politischen Wirkung einer Religion am deutlichsten demonstriert wird. Leitet Hegel doch, was durchaus auch stringent wäre, das Verbot der Sklaverei nicht aus dem christlichen Gebot der Nächstenliebe oder von Bibelzitaten her, sondern verknüpft es über das christliche Menschenbild mit der Gottesvorstellung. Ist für den Christen doch der Mensch „als Mensch nach seiner allgemeinen Natur in Gott angeschaut“[425] - wodurch „der Mensch“ an dieser Stelle zum Synonym für „jeder Mensch“ wird. Ohne es ausdrücklich festzuhalten, greift Hegel hier auf eine rhetorische Figur zurück, die er anderorts zur Erklärung der Singularität der Menschwerdung Gottes benützt: „Einmal ist allemal“ bzw. „Einer ist alle“[426]. Damit hebt das Menschsein und die damit verbundene Würde „alle Partikularität der Geburt und des Vaterlandes auf“[427].

Das Verbot der Sklaverei[428] - bzw. der dahinter stehende Glaube an die Würde jedes Menschen - verleiht dem Christentum die enorme Bedeutung, die es in der Hegel’schen Geschichtsphilosophie innehat, und ist der entscheidende Schlüssel zum Verständnis des  vermutlich bekanntesten Zitats aus den VPG:

„Der Orient wußte und weiß nur, daß Einer frei ist, die griechische und römische Welt, dass Einige frei seien, die germanische Welt weiß, daß Alle frei sind.“[429]

Bedacht werden muss dabei, dass für Hegel die Geschichte der „germanischen Welt“ mit der Annahme des Christentums durch die Germanen - deren Entstehungsgeschichte er „nicht in ihre Wälder zurückverfolgen“ wollte - beginnt[430], dass also das Wissen um die Freiheit „Aller“ auch an dieser Stelle eng mit dem Christentum verknüpft ist.

Wie bereits erwähnt erfährt nach Hegel mit dem Christentum die Innerlichkeit, als „Ort, wo der göttliche Geist innewohnend und gegenwärtig sein soll“, wesentliche Bedeutung und wird daher zum „Ort der Entscheidung“[431]. Das Individuum erkennt in der eigenen „unsterblichen“ Seele die Basis seiner freien Wahl. In der EPW schreibt Hegel, bei Griechen und Römern, die nicht erkannt hätten, dass der Mensch als solcher zur Freiheit berechtigt sei, wäre Sklaverei deswegen akzeptiert worden, weil das Privileg der Freiheit als von der Geburt, von der Natürlichkeit abhängig verstanden worden wäre. Im Christentum löst sich dagegen die Freiheit nun von allen „natürlichen“, d. h. materiellen Kriterien und wird zum Charakteristikum des Geist-Charakters des Menschen. Mit der Entdeckung der Innerlichkeit als Ort der subjektiven Entscheidung kommt es aber auch deswegen zum Verbot der Sklaverei, weil in ihr, wie gesagt, der Selbstzweck des Individuums lokalisiert ist - während der Sklave ja gerade dadurch definiert ist, allein dem Zweck des Gebieters zu dienen.

Mit der Wertschätzung der Innerlichkeit werde auch jede „unreflektierte Sittlichkeit“[432] unmöglich, heißt es in den VPG; woran deutlich wird, dass sich mit dem Beginn des Christentums auch, wie bereits erwähnt[433], der Begriff der Sittlichkeit für Hegel ändert. Während die antike Sittlichkeit noch durch die unmittelbare und zufällige - weil von der Herkunft anhängigen - Zugehörigkeit zum Gemeinwesen und durch den Glauben an äußerliche Zeichen - etwa an Orakel - charakterisiert war, werde die christliche durch das Selbstbewusstsein eines jeden Menschen, „unendliche Macht des Entschließens“ zu sein[434], gekennzeichnet. Dies bedeutet nichts anderes, als dass mit dem Christentum innerhalb des Gemeinwesens jene Konflikte beginnen, die Hegel mit seinen Ausführungen über den „modernen Staat“ zu erklären und zu beheben versucht[435]. Auch aus diesem Grund ist der moderne Staat für Hegel ein „Kind“ des Christentums. Wobei Hegel nicht an einen von einer christlichen Kirche dominierten Staat, sondern an einen „Staat aus christlichem Prinzip“[436] denkt. Der moderne Staat ist für Hegel nicht deswegen „christlich“, weil er von gläubigen Christen entwickelt wurde - oder von ihnen regiert werden sollte -, sondern weil er auf dem christlichen Grundgedanken der Freiheit aller Menschen, der freien Subjektivität basiert; auf einem Gedanken, der das Christentum für Hegel zur „Religion der Freiheit“ macht.

 

IV.VI.III. Protestantismus und moderner Staat

„... aber wenn die Verfassung und die Gesetze auf wahrhaftes ewiges Recht gebaut werden sollen, dann ist Sicherheit allein in der protestantischen Religion.“[437]

Zur völligen Realisation kommt die Erkenntnis der menschlichen Innerlichkeit als Fundament der (auch politischen) Freiheit für Hegel erst im Protestantismus. Von der katholischen Religion hätte sich die Reformation abgehoben und betont, dass „das Dieses, die unendliche Subjektivität, Christus, auf keine Art in äußerlicher Weise gegenwärtig und wirklich ist, sondern als Geistiges überhaupt nur in der Versöhnung mit Gott erlangt wird - im Glauben und Genusse“[438], heißt es in den VPG. Luther hätte sich vom „Aberglauben“ an Äußerlichkeiten emanzipiert und die Versöhnung ganz in der geistigen Gemeinde lokalisiert. Erst der Protestantismus mit seiner Aufhebung der Differenz zwischen Geistlichen und Laien verwirklicht für Hegel die entscheidend christliche Erkenntnis, dass die Wahrheit in den Besitz aller Menschen kommen kann und nicht einer bestimmten Gruppe vorbehalten ist. Denn im Protestantismus habe jeder „an sich selbst das Werk der Versöhnung zu vollbringen“[439], während im Katholizismus der Laie das Wissen der göttlichen Wahrheit „von außen her und von einem anderen Stande“ empfange“[440]. Für die Lutheraner sei nicht die Wahrheit als „gemachter Gegenstand“ zentral, sondern das Subjekt selbst solle „ein wahrhaftes werden“, indem es seine eigene Partikularität aufgebe und sich „diese Wahrheit zu eigen“ mache.[441] Hatte Luther doch „siegreich festgestellt, was die ewige Bestimmung des Menschen sei, müsse in ihm selber vorgehen“[442], wodurch die religiöse Versöhnung allein im Glauben, im Gewissen des Einzelnen selbst erfolge. Die Reformation erkenne, dass der Mensch durch sich selbst bestimmt sei, frei zu sein, und realisiere dadurch die christliche Freiheit und die für den modernen Staat wesentliche Anerkennung der Freiheit aller Individuen, betont Hegel. Während der katholische Glaube von einer „Unfreiheit des Geistes“, die sich für Hegel unter anderem im Vertrauen auf die wundersame Wirkung von Reliquien ausdrückt, gekennzeichnet sei. Nun könnte es so scheinen, als ob Hegel an dieser Stelle indirekt genau jene Vorstellungen einer Freiheit des Subjekts einführe, die er anderorts als Überbewertung der „Besonderheit“ kritisiert und mit den Verweisen auf die Bedeutung der selbst gewählten Partizipation an einem Ganzen (besonders am vernünftig verfassten Staat) einzuschränken versucht[443]. Eine derartige Interpretation der Hegel’schen Texte würde aber übersehen, dass für Hegel eine der wesentlichen Aussagen des Christentums (und im Speziellen des Protestantismus) die Erkenntnis ist, der Mensch müsse seine Natürlichkeit überwinden und fände erst in der geistigen Vereinigung in der „Gemeinde“ seine wirkliche Bestimmung, wobei die Gemeinde selbst Teil der religiösen Wahrheit ist. Daher vermeint Hegel im Protestantismus eine Form der Wertschätzung der Subjektivität zu sehen, welche die Gefahr der Absolutsetzung des besonderen Willens insofern entgeht, als sie das letzte Ziel jeder Subjektivität in einer - geistigen - Allgemeinheit erkennt. In den VPG heißt es in diesem Sinne: „So wird der subjektive Geist in der Wahrheit frei, negiert seine Partikularität und kommt zu sich selbst in seiner Wahrheit.“[444]

Bemerkenswert ist die Hegel’sche Reformulierung der protestantischen Kritik an der Beichte. Im Beichtvorgang vertrete die Kirche die Stelle des Gewissens und leite die Menschen wie Kinder, heißt es in den VPG[445]. In Anbetracht der Bedeutung, die dem subjektiven Gewissen für Hegel im Protestantismus zukommt, zeigt dies, dass der Katholizismus für Hegel dem Individuum die Möglichkeit nimmt, selbst, aus seinem eigenen Gewissen heraus, zu entscheiden und zu handeln. Ähnlich argumentiert Hegel gegen die katholische Heiligenverehrung. Auch in ihr würde dem Individuum die Möglichkeit verwehrt, sich selbst dem Göttlichen zuzuwenden, wodurch es den Umweg über die Vermittlung anderer nehmen müsste.

Für das Verhältnis von Religion und Staat wird für Hegel das Ende des Mönchtums und die Abschaffung eines „Priesterstandes“ im Protestantismus wesentlich; drückt diese Entwicklung doch den Wandel von der „Heiligkeit“ zur „Sittlichkeit“ aus. Während das katholische Bild der Heiligkeit nach Hegel von den Zielen Armut, Keuschheit und Gehorsam gekennzeichnet ist, engagieren sich die protestantischen Priester in der Welt, partizipieren an den Sphären von Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat. Während der Katholizismus die Trennung von sakraler und profaner Sphäre propagiere, lasse die protestantische Religion nicht „zweierlei Gewissen“[446] zu, betont Hegel. Mit dem Protestantismus realisiert sich für Hegel, was an sich jeder Religion zu Grunde liegt, der Anspruch die eigenen Ziele nicht nur im Jenseitigen verwirklicht zu sehen, sondern das Weltliche vom göttlichen Geist „immanent durchdringen“[447] zu lassen, das „weltliche Treiben“ zum „geistigen Geschäft“ zu machen[448]. An diesen Gedanken knüpft Hegel auch seine Erklärung, warum es zwar in Frankreich, nicht aber in Deutschland zur Revolution gekommen ist: Die deutschen Aufklärer hätten ihre Lehre von den Rechten aller bereits im Protestantismus als mit der Wirklichkeit versöhnt gesehen, da dort das Gewissen der Einzelnen als Basis aller Entscheidungen anerkannt werde. Zugleich hätten sich die französischen Revolutionäre gegen einen König von Gottesgnaden, d. h. gegen einen Herrscher, dessen Willkür, „weil sie Willkür des Gesalbten ist, göttlich, heilig sein soll“[449], aufgelehnt, während im Protestantismus auch der König nur insoweit als ehrwürdig gelte, als sein Handeln der Gerechtigkeit und dem Wohl des Ganzen genüge[450]. Da der Protestantismus keinen den Laien übergeordneten Stand der Geistlichkeit kenne, könnten die lutherischen Priester auch keinen Herrscher kraft ihrer kirchlichen Autorität legitimieren. Während die katholische Kirche zwar eine Sicherung der Macht des Herrschers ermögliche, da sie Gehorsam und Autoritätsglauben vertrete und eine - der protestantischen Kirche unmögliche - Form der Legitimation verleihen könne. Zugleich birgt aber eine solche Form des Verhältnisses von Religion und Staat die bereits beschriebenen Gefahren von Fanatismus und „polemischer Frömmigkeit“ und unterliegt all den bereits erhobenen Einwänden gegen eine „direkte Begründung“ des Staates in der Religion.

 

Gegen eine Rückführung der Begründung des modernen Staates allein im Protestantismus, wie sie Hegel vor allem in den letzten Jahren seines Lebens zunehmend vollzog[451], sprechen meines Erachtens jedoch zwei entscheidende Einwände. Zum einen der historische, dass die laut Hegel mit dem Protestantismus erreichte Einheit von religiöser und politischer Sittlichkeit möglicherweise im Widerspruch zu der von Luther im Anschluss an Augustinus vertretenen „Zwei-Reiche-Lehre“ steht, die für eine Trennung von politischer und religiöser Sphäre eintritt[452]; zum anderen der fundamentalere, dass Hegel dadurch möglicherweise eine Eingrenzung der Basis des modernen Staates vollzieht, die dem Freiheitsbewusstsein desselben widerspricht. Auch scheint Hegel in seiner Kritik des Katholizismus nicht zu bedenken, dass ja auch die Lehren dieser christlichen Konfession trotz aller möglichen Defizite das christliche Prinzip der Freiheit aller Menschen umfassen. Auch wenn das fundamentale Grundprinzip des neuen Menschenbildes von der religiösen Gemeinde selbst noch nicht expliziert wurde, ja selbst wenn die institutionellen, kirchlichen Regeln ihm sogar widersprechen mögen, ist es in den kanonischen Texten des Katholizismus ebenfalls enthalten.


IV.VII. Staat und Kirche - Religionsfreiheit

In Anbetracht der oben darlegten Überlegungen Hegels über eine Fundierung des modernen Staates im Christentum bzw. im Protestantismus, kann es verwunderlich erscheinen, dass Hegel auch ein großer Verfechter der Trennung von Kirche und Staat, der Religionsfreiheit und der weltanschaulichen Neutralität des Staates war. Zunächst kann der Widerspruch zwischen Aussagen, wonach die Innerlichkeit „nicht das Gebiet des Staates ausmacht“[453], und dem Pochen darauf, dass ohne Reformation keine Revolution zu machen sei[454] durch die in der Literatur immer wieder aufgezeigte Veränderung der Hegel­’schen Position in den Jahren zwischen 1817 und 1831 zwar nicht erklärt, aber begründet werden. Am besten wird meines Erachtens dieser Wandel mit den von Sergio Dellavalle in die Diskussion gebrachten Termini „Juristisches Untermodell“ und „Zusammenführung von Staat, Religion und Philosophie“ begriffen.[455] Dellavalle unterscheidet so die Differenzen innerhalb der Philosophie Hegels in der Zeit zwischen 1817 und 1831. Während in den Texten der Jahre `17 bis `21 die „Vermittlung zwischen Individuum und Gemeinwesen in erster Linie durch die juristisch-institutionellen und sozialen Strukturen“ erfolgt[456], kam Hegel, Dellavalle zufolge, in den späten Berliner-Jahren zunehmend zur Überzeugung, nur die protestantische Subjektivität könne gewährleisten, dass „das Bewußtsein der individuellen Freiheit nicht mit der Einheit des Gemeinwesens in Konflikt gerät“[457].

Da die vorliegende Arbeit keinem primär text-philologischen Zugang folgt, möchte ich an dieser Stelle nicht den einzelnen Schritten der Entwicklung des Hegelschen Denkens vom Konzept des konfessionell-neutralen Staat zum „protestantischen“ nachgehen, sondern mich zunächst einer genauen Rekonstruktion des Hegelschen Verständnisses der Trennung von Kirche und Staat und Religionsfreiheit widmen, um später auf die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Ansätzen einzugehen.

 

Sehr bemerkenswert ist, dass Hegel in den VPG das Verhältnis von Staat und Kirche als eines der entscheidenden Kriterien der historischen Entwicklung Europas seit dem Ende des römischen Reiches versteht:

„Die europäische Geschichte ist die Darstellung der Entwicklung eines jeden dieser Prinzipien für sich, in Kirche und Staat, dann des Gegensatzes von beiden nicht nur gegeneinander, sondern in jedem derselben, da jedes selbst die Totalität ist, und endlich der Versöhnung dieses Gegensatzes.“[458]

Im Laufe der Historie des Abendlandes vermeint Hegel nun drei Formen des Gegensatzes von religiösem und weltlichem Bewusstsein zu sehen, eines Gegensatzes, den er in der Folge als den von Kirche und Staat behandelt. Während es im Frühmittelalter noch so etwas wie eine unmittelbare Einheit von religiöser und weltlicher Herrschaft gegeben hatte, entwickelten sich Kirche und Staat im Hochmittelalter zu eigenen selbständigen konkurrierenden Mächten, deren Gegensatz dadurch virulent wurde, dass beide Mächte sich Funktionen der anderen aneignen[459]. Durch die Einflussnahme weltlicher Herrscher auf die Besetzung geistlicher Positionen einerseits und der politischen Macht der Kirche andererseits kam es für Hegel notwendigerweise zu einem Konflikt, welcher sich im Mittelalter in der Vermischung weltlicher und geistlicher Interessen zeigte. Interessant ist, dass Hegel an dieser Stelle die Festschreibung des Zölibats anscheinend als sinnvoll oder zumindest zweckmäßig erachtet, da er sie hier als kirchlichen Versuch, den Klerus aus dem Interessenkonflikt zwischen den weltlichen Zielen der meist adeligen Herkunft der Kirchenführer und den geistlichen Ansprüchen zu befreien, versteht. Trotz zahlreicher Anläufe, das Verhältnis von Kirche und Staat zu regeln, gelang es nach Hegels Überzeugung weder geistlicher noch weltlicher Herrschaft im Mittelalter zu einer in sich konsistenten Struktur zu kommen. Zwar wehrte man sich seitens der Kirche zu Recht gegen den Einfluss der Herrscher auf kirchliche Positionen, insbesondere gegen die Simonie, löste sich aber nicht vom eigenen Anspruch selbst politischen Einfluss auszuüben[460]. Damit stand die mittelalterliche Kirche für Hegel im inneren Zwiespalt einerseits das Weltliche als Untergeordnetes und Nichtiges[461] zu betrachten, anderseits selbst weltliche Interessen zu haben.

Erst infolge der Reformation, die zum einen im Protestantismus, wie bereits ausgeführt, eine neue religiöse Sichtweise der weltlichen Ordnung bewirkte, und zum anderen durch die zahlreichen konfessionellen Konflikte den Staat zu einer neuen Bestimmung seines Verhältnisses zur Religion zwang, kam es zu einem grundlegenden Wandel im europäischen Staatsverständnis. Demgemäss ist der „moderne Staat“ Hegels ein die konfessionellen Differenzen und Spaltungen innerhalb des Christentums als Faktum anerkennendes Gemeinwesen. Daher heißt es in den GPR, der Staat hätte die Aufgabe, die religiöse Gemeinde zu unterstützen, ja, von seinen Bürger zu fordern, dass „sie sich zu einer Kirchengemeinde halten[462] - übrigens zu irgendeiner, denn auf den Inhalt, insofern er sich auf das Innere der Vorstellung bezieht, kann sich der Staat nicht einlassen“[463]. Zu Recht sieht Hegel es als Kriterium der Stärke eines Staates an, sich liberal gegenüber Weltanschauungen zu zeigen und sogar Religionen, „welche selbst die direkten Pflichten gegen ihn religiös nicht anerkennen“[464] zu tolerieren. In einem Zusatz dazu erklärt Hegel, dass etwa auch Angehörige der Gemeinschaften der Quäker und Wiedertäufer im Staat anzuerkennen seien, obwohl sie eine der wichtigsten Pflichten der Staatsbürger, die Gemeinschaft zu verteidigen, aus religiösen Gründen nicht erfüllen dürfen. Unanhängig davon, ob das Leisten des Wehrdienstes tatsächlich zu den wichtigsten Pflichten eines Staatsbürgers gehört, bleibt es bemerkenswert, dass Hegel hier auf Toleranz gegenüber Gemeinschaftsmitgliedern pocht, die wesentliche Regeln der Gemeinschaft nicht erfüllen. Zugleich aber macht Hegel klar, dass dabei Toleranz, „im eigentlichen Sinn“ geübt werde, da wer Grundregeln der Gemeinschaft nicht achte, kein „Recht“ darauf habe, Mitglied der Gemeinschaft zu sein[465]. Interessanterweise relativiert Hegel in der Folge diesen durchaus problematischen Gedankengang dadurch, dass er gegen Argumente, wonach etwa Juden nicht vollwertige Staatsbürger sein könnten, da sie sich als Angehörige eines fremden Volkes empfänden, festhält, „dass sie zuallererst Menschen sind“[466]. Ein Staat, der dies vergesse, erhielte gerade „die den Juden vorgeworfene Trennung“[467], betont Hegel. Meines Erachtens bezieht er sich dabei auf den Gedanken, die Zugehörigkeit zu einem „Volk“ über die zu einem Staat zu stellen. Ein Staat, der dies tue, verkenne „sein Prinzip, die objektive Institution und deren Macht“, schreibt Hegel und verweist auf eine Anmerkung zu § 268 der GPR. Dort behandelt Hegel die Bedeutung der Gesinnung, des Zutrauens, dass das besondere Interesse des Einzelnen im Allgemeinen gewahrt bleibt. Nicht die Abstammung, sondern die Identifikation mit einem Gemeinwesen muss demzufolge das entscheidende Kriterium der Staatszugehörigkeit sein. Jeder, der sich als freies Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft verstehe, habe das Recht Mitglied des Staates zu werden, argumentiert Hegel. Den Verweis auf die bürgerliche Gesellschaft nimmt Hegel meines Erachtens an dieser Stelle vor, weil er dort durch die Anerkennung der bürgerlichen Rechte, das Selbstgefühl des Menschen „rechtliche Person“ zu sein, begründet sieht[468].

Ich habe bereits an früherer Stelle auf die grundsätzliche formale  Differenz zwischen den Sphären von Religion und Staat aufmerksam gemacht und dabei die Unterscheidung zwischen der Allgemeinheit der staatlichen Gesetze, die Hegel als Ausdruck einer gedanklichen Universalität versteht, und der vorstellungsmäßig begrenzten Gültigkeit der religiösen Inhalte hervorgehoben. Daran muss nun auch hier wieder erinnert werden, liegt in dieser Differenz doch eine entscheidende Wurzel für Hegels Eintreten für die Trennung von Kirche und Staat. Betont Hegel doch, dass gerade erst in Abgrenzung von den nur beschränkten, weil vorstellungshaften religiösen Inhalten die Universalität der staatlichen Gesetze deutlich werde. Hegels Argumentationsgang geht aber interessanterweise noch weiter:

„Diese Unterscheidung [zwischen der bewussten Form der staatlichen Gesetze und der autoritären des Glaubens] tritt aber nur hervor, insofern die kirchliche Seite in sich selbst zur Trennung kommt; nur so, über den besonderen Kirchen, hat der Staat die Allgemeinheit des Gedankens.“[469]

Dies bedeutet nichts anderes, als dass erst nach der konfessionellen Spaltung der Staat sich zur für die Moderne wesentlichen Universalität erheben konnte. Erst nachdem sich historisch durch die verschiedenen religiösen Interpretationen der einen - biblischen - Geschichte das grundsätzliche Manko einer jeden religiösen Erzählung, nur vorstellungshaft, nicht aber gedanklich verfasst zu sein, gezeigt hatte, konnte sich in Abgrenzung zu den Konflikten zwischen den religiösen Parteien der Staat als neutraler konstituieren.

Neben dieser entscheidenden Differenz zwischen dem Staat - als Sphäre der Allgemeinheit - und den Kirchen - als Ausdruck der Besonderheiten - führt Hegel auch noch das Problem des weltlichen Besitzes der Kirchen als Argument für eine Trennung von Kirche und Staat an. Muss sich doch die Kirche, wie jede andere Vereinigung auch, selbstverständlich an die staatlichen Eigentumsregeln halten.

Damit steht der von Hegel hier skizzierte Staat aber nicht nur philosophisch - aufgrund seiner Universalität - über jeder konfessionellen Bindung, sondern zum Teil auch praktisch, weil er zu Recht auch von den Kirchen die Achtung seiner Regeln einfordern kann. Allerdings schränkt Hegel in den GPR diese Positionierung des Staates als übergeordnete Instanz insofern ein, als er auf die grundsätzliche Freiheit der religiösen Überzeugung pocht; gehört die Religionswahl doch der „Sphäre der Innerlichkeit, die als solche nicht das Gebiet des Staates ausmacht“[470] an. Obwohl der Staat auf seinem Gebiet, dem der Gesetze, von den Kirchen Unterordnung verlangen kann, wäre ein Eingriff in das ureigenste Gebiet der Religionen, die menschliche Subjektivität, nicht tolerabel; dies auch deswegen, weil das individuelle Gewissen für Hegel „ein Heiligtum, welches anzutasten Frevel wäre“[471] ist[472].


V. Zusammenfassung und Kritik

Nachdem ich nun versucht habe, die vielfältigen thematischen Überlegungen Hegels zur Relation von Staat und Religion zu rekonstruieren, möchte ich die nachgezeichneten Konzepte im Folgenden zusammenfassen, einander gegenüberstellen und einer kritischen Lektüre unterziehen. Teilweise wird es zu diesem Zwecke notwendig sein, bereits Erläutertes nochmals zu wiederholen, um daran weiterführend anknüpfen und ein paar eigene Gedanken zum Thema formulieren zu können.

 

V.I. Gegensätzliche Ansprüche und Relativierungen

Ausgehen werde ich zunächst von der grundsätzlichen Differenz zwischen den von mir „systematisch“ bzw. „praktisch“ genannten Verhältnisbestimmungen von Religion und Staat; einer Differenz, die sich im Wesentlichen in der unterschiedlichen Anwendung der Zweck-Mittel-Relation zeigt. Während das „systematische“ Verhältnis von Religion und Staat in Letzterem, als Teil der Sphäre des objektiven Geistes, vor allem ein Mittel zur Realisation des absoluten Geistes, der Religion, sieht, so scheint das „praktische“ Verhältnis genau für das Gegenteil zu stehen - für die Unterstützung des Staates durch die Religion, welche dadurch leicht in die Rolle des Werkzeuges gedrängt werden könnte. Nun habe ich bereits früher zu zeigen versucht, dass Hegel genau diese Reduktion der Religion zum Mittel im Dienste eines ihr fremden Zweckes ablehnt. Nichtsdestotrotz scheint mir ein methodisches Festhalten an den beiden unterschiedlichen Ansätzen, die sich in Hegels Erörterungen über Religion und Staat finden lassen, durchaus sinnvoll.

Was sich bei Hegels Ausführungen nämlich deutlich zeigt, ist zunächst das grundsätzliche Dilemma, in welches Religion und Staat fast notwendigerweise im Kontakt miteinander zu kommen scheinen - die sich entgegenstehenden Geltungsansprüche von religiöser und politischer Überzeugung. Muss die Religion, als Teil des absoluten Geistes doch, gemäß Hegel, auf ihre Vormachtstellung gegenüber allen Formen des objektiven Geistes pochen und kann diese nur als „Weg“ zum eigenen Begriff von Freiheit akzeptieren. Demgegenüber steht jedoch, wie im Abschnitt über das „praktische Verhältnis“ ausgeführt, ein Staat, der die Religion zwar als wichtiges Transportmittel für die ihn tragende Gesinnung anerkennt, diese jedoch dort, wo sie aufgrund ihrer (formalen) Defizite dem staatlichen Anspruch, eine vernünftige Fassung des Freiheitsbegriffes zu sein, nicht genügt, begrenzt. Während also gemäß dem systematischen Verhältnis der Staat Mittel zum Zweck der Religion ist, stehen die Hegel’schen Ausführungen über den Glauben als „Grundlage“ des Staates größtenteils für die umgekehrte Relation.

Wenn man nun überlegt, auf welche Weise der Konflikt zwischen den konkurrierenden Geltungsansprüchen von Religion und Staat zu beheben ist, so erscheint zunächst ein völliger Rückzug einer der beiden Sphären aus dem Einflussbereich der anderen sinnvoll. Gegen einen Verzicht der Religion auf jeden gesellschaftlich realen Einfluss wendet Hegel aber ein, dass eine solche Frömmigkeit letztlich nicht nur an ihren Ansprüchen scheitern müsse, sondern im besonderen Maße von der Gefahr das Fanatischwerdens betroffen wäre[473]. Ein Rückzug des Staates auf die institutionelle Ebene unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Basis in der Überzeugung der Bürger kommt für Hegel wiederum nicht infrage, da ein solcher Staat seines Erachtens nicht nur instabil, sondern vor allem auch dem Ziel, realisierter Freiheitsbegriff zu sein, widersprechend verfasst wäre[474].

Aufgrund seiner Ablehnung solcher Extrempositionen muss Hegel einen anderen Weg zur Lösung des Geltungskonfliktes zwischen Religion und Staat suchen. Hegel findet diesen im Konzept des „einen Geistes“, der sich in beiden Sphären, Politik und Glauben, ausdrückt, und vor allem im Gedanken der gegenseitigen Angewiesenheit von religiöser und politischer Überzeugung. Dabei muss bedacht werden, dass es sowohl beim „systematischen“ als auch beim „praktischen“ Verhältnis neben der Subordination des Mittels unter den Zweck auch eine Abhängigkeit des Ziels von der Ursache gibt. Denn auch wenn etwa die religiöse Überzeugung das politische System nur als „Weg“ betrachtet, so bliebe sie ohne dieses doch realitätslos. Und genauso ist für Hegel der Staat, für den die subjektive (religiöse) Überzeugung seiner Mitglieder „Grundlage“ ist, ja auch von dieser abhängig. Die beiden Theorieansätze zeigen meines Erachtens daher, dass für Hegel keine der beiden Sphären ihre Ziele ohne die andere erreichen kann. Dies erscheint mir nun tatsächlich sehr entscheidend. Findet sich doch durch den Versuch, die unterschiedlichen Ansprüche von absolutem und objektivem Geist - unter Berücksichtigung der „systematischen“ Differenz zwischen den beiden Sphären - zusammenzudenken, in den Hegel’schen Überlegungen ein Werkzeug, um der Hegel immer wieder vorgeworfenen „Vergötterung des Staates“ zu entgehen; einer Kritik, die sich meist an dem berühmten Zitat aus den GPR entzündet, welches da heißt:

„[…] es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist.“[475]

Eine solche „Vergötterung“ - die Hegel an der betreffenden Stelle, wie sich zeigen wird, meines Erachtens auch gar nicht bezweckt - wird, wenn man die grundsätzliche Relativierung aller Formen des objektiven Geistes durch den absoluten ernst nimmt, durch die „systematische“ Differenz unterbunden. Wenn man bedenkt, dass der absolute Geist die Beschränkung jeder objektiven Manifestation eines Freiheitsbegriffs aufzeigt, dann kann kein jemals existierender Staat „Gott sein“. Aber nicht nur jede historische Ausformung eines Staates hat mit diesem Einwand umzugehen, sondern auch der „Staat an sich“, d. h. die Idee desselben. In diesem Zusammenhang zeigt sich jedoch meines Erachtens eine gewisse argumentative Unschärfe in den Hegel’schen Texten: Beachtet Hegel doch den Gedanken des im „Wissen des absoluten Geistes“ seine eigene Weltlichkeit abstreifenden Geistes[476] in den GPR anscheinend nicht, wenn er die Idee des Staates als „wirklichen Gott“[477] bezeichnet. Allerdings darf hier das Adjektiv „wirklich“ nicht übersehen werden. Erläutert Hegel in der Folge doch, dass der Staat immer „in der Welt, somit in der Sphäre der Willkür, des Zufalls und des Irrtums“[478] stehe. Dies ist in Verbindung mit der Tatsache, dass für Hegel „Idee“ nie nur ein Ideal bezeichnet, insofern wichtig, als damit deutlich wird, dass auch zum Gedanken des Staates bereits seine Wirklichkeit dazugehört - sonst wäre er nicht „objektiver Geist“ - und damit immer auch seine Zufälligkeit und Mangelhaftigkeit. Daher verweist die „Wirklichkeit“ des „Gottes ‚Staat’“ auch auf die Problematik seines grundsätzlichen Ungenügens. In einer gewissen Hinsicht ist der Staat gerade weil er ein „wirklicher“ Gott ist, auch ein mit Zufälligkeit behafteter.

Trotzdem bleibt kritisch zu fragen, ob mit der Bezeichnung „wirklicher Gott“ nicht die Differenz von objektivem und absolutem Geist überschritten wird.

Anders sieht dies allerdings in Bezug auf die zitierte Formulierung vom „Gang Gottes in der Welt“ aus. Damit erläutert Hegel im Zusatz zu § 258 nämlich die Rolle des Staates als notwendiger Verwirklichung der Freiheit. Da für Hegel, wie bereits ausgeführt, Freiheit ein vernünftiges Ordnungssystem - welches er an dieser Stelle „Staat“ nennt - erfordert, und Gott nur als sich in der Geschichte realisierender verstehbar ist, kommt dem Staat die Aufgabe zu, Mittel zum Zweck der Freiheitsverwirklichung, d. h. Teil des „Gang Gottes in der Welt“ zu sein. Daher kann die Metapher vom „Gang“ an dieser Stelle gewissermaßen auch wörtlich verstanden werden. Der Staat wäre demzufolge Teil eines Fortschritts, dessen Ziel - wie bei jeder Bewegung - zumindest teilweise an, oder sogar hinter, seinem Ende und nicht nur in ihm selbst liegt. Wodurch interessanterweise gerade ein Verständnis des Staates als „Gang Gottes“ eine Relativierung der Ansprüche eines „totalen Staates“ ermöglichen würde. Es könnte jedoch so scheinen, als ob dieser Interpretation Hegels Diktum, dass die staatliche Einheit „absoluter unbewegter Selbstzweck“[479] sei, widerspräche. Allerdings wendet sich Hegel damit in Wahrheit nur gegen eine singuläre Interpretation der staatlichen Gemeinschaft als Schutzinstrument im Dienste der Partikularinteressen ihrer Mitglieder, wodurch „das Interesse der Einzelnen als solcher der letzte Zweck[480]“ würde und der staatliche Selbstzweck, Freiheitsrealisation zu sein, verloren ginge. Diesem Selbstzweck wird hingegen auch Genüge getan, wenn die staatlichen Ansprüche etwa durch das religiöse Freiheitsverständnis relativiert werden.

Wenn die gegenseitige Abhängigkeit von Religion und Staat, wie oben formuliert, eine wechselseitige Relativierung der Geltungsansprüche bedingt, dann stellt sich allerdings nicht nur die Frage, ob und wie der Bereich des objektiven Geistes durch den absoluten beschränkt wird, sondern auch die Frage nach einer eventuellen Relativierung der Religion durch den Staat. Aufgrund der „systematischen“ Differenz müsste die Frage eigentlich verneint werden; nichtsdestotrotz erfordert sie nach Lektüre der Hegel’schen Texte eine positive Antwort. Ja, es gibt für Hegel auch eine Form der Relativierung der Religion durch die Realität des objektiven Geistes. Allerdings erfolgt sie - anders als ihr oben erläutertes Gegenstück - nicht durch das Aufzeigen der höheren Ansprüche einer anderen Sphäre, sondern gewissermaßen relativiert sich die Religion für Hegel selbst, da ein Glauben, der sich allein auf seine theoretischen Wahrheiten beschränkt und deren praktische Umsetzbarkeit vernachlässigt, sich selbst nicht genügen kann[481]. Wobei keine Religion für Hegel völlig vor dieser Gefahr, zur konsequenzlosen Frömmigkeit zu werden, gefeit ist. Sogar die „wahre Religion“, das Christentum, droht, wie Hegel etwa in den VPG am Beispiel des oströmischen Christentums ausführt, „abstrakt“ und lediglich dem Gewissen angehörig zu werden[482]. Demgegenüber muss ein Glaube, der seine Antworten auf die existenziellen Fragen des Menschseins ernst nimmt, auch die praktische Relevanz dieser Antworten berücksichtigen. Wodurch für die Religion nicht nur die Ebene des Staates - als Form der sozialen Gestaltung der menschlichen Existenz - interessant wird, sondern auch eine Reduktion theologischer Wahrheiten auf handlungsleitende Aussagen unumgänglich wird. Was neben einer Simplifizierung vor allem auch eine Zusammenfassung ausgefeilter religiöser Konzepte in zentralen Inhalten einer Religion bedeutet. In den Hegel’schen Ausführungen ist, wie gezeigt, das religiöse Wissen darum, was es heißt Mensch zu sein, einer dieser Kernpunkte.

Eine derartige Übersetzung religiöser Inhalte ist für Hegel besonders auch wegen der „vorstellungsbedingten“ Mankos jeder Religion notwendig. Damit etwa beispielsweise das christliche Verständnis der Würde aller Menschen auch politisch-praktisch relevant wird, muss es erst von seinem theologischen „Kostüm“ befreit und gedanklich gefasst werden[483]. Daher können theoretisch auch konfessionelle Differenzen einer solchen Relativierung der religiösen Wahrheiten durch ihre praktische Anwendung zum Opfer fallen, da auch unterschiedliche Strömungen einer Religion trotz differenter dogmatischer und institutioneller Verfasstheiten implizit dieselben Aussagen über das Menschsein umfassen.

 

Wenn wir das bisher Gesagte nochmals zusammenfassen, so zeigt sich, dass für Hegel Religion sowohl „unter“ und als auch „über“ dem Staat steht. Einerseits stützt sie ihn, andererseits geht sie als Form des Wissens über ihn hinaus. Genauso wie der Staat die Religion zur Sicherung der individuellen Unterstützung seiner Ziele „benützt“, greift die Religion auf ihn zurück, um ihre Ansprüche zu verwirklichen. Woraus jene Form der gegenseitigen Abhängigkeit resultiert, die Hegel durch die Herleitung beider Sphären aus dem „einen Geist“ eines Volkes begründet. Eine gemeinsame Herkunft, die seines Erachtens auch die Lösung für den möglichen Geltungskonflikt zwischen Religion und Staat inkludiert. Da sowohl religiöses als auch politisches Freiheitsverständnis Teil desselben Geistes sind, muss es nach Hegel zumindest so etwas wie eine partielle Übereinstimmung beider Bereiche geben. Genau dies kann natürlich auch als argumentative Taschenspielerei verstanden werden. Habe ich doch oben den Konflikt zwischen den konkurrierenden Ansprüchen von Religion und Staat eingeführt und erkläre nun, gemäß Hegel würde diese Differenz dadurch aufgelöst, dass Staat und Religion ohnehin dasselbe anstreben. Wodurch der Konflikt weniger gelöst als negiert wäre. Allerdings muss dabei auf die gegenseitigen Relativierungen von Religion und Staat verwiesen werden, die diese Parallelität von religiösen und politischen Zielen erst ermöglichen. Relativierungen allerdings, die bei Hegel nicht explizit angesprochen werden, die meines Erachtens aber, wenn man die Hegel’schen Ausführungen unter anderem über die „falschen“ versus die „wahren“ Formen des Religiösen liest, nicht übergehen kann. Zeigt das ausführliche Kapitel über die Gefahr des Fanatismus doch sehr deutlich, dass auch für Hegel der oben behandelte Konflikt denkbar und in einer prinzipiellen Grenzüberschreitung begründet ist. Sei es dadurch, dass die Religion unmittelbar aus ihrem Bereich des Ideellen heraus auf die Wirklichkeit einzuwirken versucht[484], oder dadurch dass der Staat die Gewissensfreiheit seiner Bürger beschränkt[485]. Die deutlichsten Aussagen Hegels zu den notwendigen Beschränkungen, die sich sowohl Religion als auch Staat auferlegen müssen, um zu einem sinnvollen Verhältnis zu kommen, finden sich in einem Zusatz zu § 270 der GPR, wo es heißt „so wie der Staat, wenn er auf religiöse Weise forderte, das Recht der Innerlichkeit gefährden würde, so artet die Kirche, die wie ein Staat handelt und Strafen auferlegt, in eine tyrannische Religion aus“[486].

Allerdings - und das ist sehr entscheidend - entsteht dem Hegel’schen Verständnis nach diese problematische Dissonanz zwischen Religion und Staat durch Fehlentwicklungen innerhalb einer oder beider Bereiche und ist insofern theoretisch immer vermeidbar. Vermeidbar dadurch, dass beide Bereiche nicht nur den Respekt vor dem anderen bewahren, sondern vor allem auch dadurch, dass sie die oben erläuterten gegenseitigen Relativierungen nicht vernachlässigen. Zeichnet sich eine nichtfanatische Religion nach Hegel doch durch Anerkennung der sozialen Wirklichkeit und durch eine Beschränkung ihrer Ziele auf die in dieser Wirklichkeit realisierbaren aus, und ein liberaler Staat durch Respekt vor der Würde individueller Überzeugungen und Reduktion seiner Gebote, wo diese Würde verletzt werden könnte. Wenn aber sowohl Religion als auch Staat die ihnen gemäßen Formen annehmen, dann gibt es für Hegel keinen Gegensatz zwischen den beiden Sphären, sondern ein Verhältnis gegenseitiger Dependenz und Akzeptanz. Eine „wahre“ Religion umfasst seines Erachtens nicht nur ideelle Konzepte, was das Menschsein betrifft, sondern versteht auch die politische Wirklichkeit als wertvolles Gebiet der möglichen und notwendigen Realisation dieser Konzepte. Und der Staat weiß nicht nur, dass die religiösen Vorstellungen der Staatsbürger „Grundlage“ der ihn tragenden „Gesinnung“ sind, sondern auch, dass er diese Vorstellungen, obwohl - oder gerade weil - sie für ihn wichtig sind, nicht bestimmen kann und darf.


V.II. Kein Staat ohne Menschenbild?

In den GPR betont Hegel, dass ein moderner Staat auch Nichtchristen (er spricht von Juden) die Staatsbürgerschaft nicht verweigern dürfe, da er sonst seinen eigenen Prinzipien der Anerkennung aller Menschen widersprechen würde. Hegels diesbezügliche Bemerkungen[487] sind aus zwei Gründen interessant: erstens weil Hegel dabei das Charakteristikum der Humanität über alle anderen Kriterien (explizit nennt er die Zugehörigkeit zu einem anderen „Volk“) stellt, zweitens weil es dabei zu einer bemerkenswerten Transzendierung des Hegel’schen Konzepts der Geburt des modernen Staates aus dem Christentum kommt. Wenn der moderne Staat auf dem (christlichen) Prinzip der Freiheit aller Menschen basiert, ja, eine Errungenschaft dieser Weltanschauung ist, dann muss er selbst die Grenzen dieser Herkunft insofern sprengen, als er eben alle Menschen und nicht nur Christen anerkennt. Da das Jemanden-als-Mensch-Anerkennen aber auch Akzeptanz seiner Gewissens- und Religionsfreiheit bedeutet, muss gerade der auf dem Christentum basierende Staat mit religiöser Vielfalt umgehen. Wodurch die Frage auftaucht, ob der Staat aus christlichem Prinzip nicht notwendigerweise zum säkularen Staat wird. Nun scheint dies zunächst nicht sehr problematisch. Vor allem deswegen nicht, weil damit gedanklich etwas hergeleitet wird, was wir historisch möglicherweise ebenfalls nachvollziehen können. Schließlich hat sich das Konzept des modernen, säkularen Staates im Laufe der vergangenen Jahrhunderte doch tatsächlich besonders im christlich dominierten Raum Europas bzw. Amerikas entwickelt und durchgesetzt. Wenn wir aber die Hegel’sche Überzeugung ernst nehmen, dass sich der Gedanke der Freiheit aller Menschen nur in der christlichen Religion wirklich begründen lässt, während alle anderen Religionen diesbezüglich ein zumindest partielles Defizit aufweisen, dann muss diese Entwicklung des „christlichen Staates“ zum säkularen Staat allerdings zum Problem werden. Würde der „christliche Staat“ doch dann durch die - für ihn unumgängliche - Anerkennung von Nichtchristen als Staatsbürger - weil sie „zuallererst Menschen“[488] sind - gewissermaßen selbst seine eigene Basis untergraben, da mit dem Christentum auch der Glaube an die Freiheit der Subjektivität verloren ginge oder zumindest geschwächt würde. Um dieses Dilemma zu umgehen, gibt es meines Erachtens zwei Wege: zum einen die Übertragung des für Hegel so zentralen Inhaltes des Christentums, des Bewusstseins der Freiheit des Menschen als Menschen, von der religiösen Sphäre in eine säkulare, und zum anderen die Sicherung der christlichen Botschaft als wesentlichem Teil einer religiösen Mehrheitskultur. Letzterer Weg wäre mit Maßnahmen seitens des Staates zu Gunsten der christlichen Religion verbunden, da diese für ihn „das Tiefste der Gesinnung integrierende Moment“[489] ist, wie es in den GPR heißt.

 

Nun ist es deutlich, dass Hegel die Frage, ob der moderne Staat seine „christliche“ Herkunft nicht notwendig überwinden und zum säkularen werden muss, explizit nicht stellt. Auch in den GPR, wo Hegel ein System des liberalen Staates entwirft, der nicht direkt auf Religion begründet scheint, bleibt das christliche Prinzip der Freiheit bestimmend und obwohl der moderne Staat zwar die Grenzen der Konfessionen überwindet bzw. sich erst im Laufe dieser Überwindung konstituiert, bleibt die Religion ein entscheidender Faktor. Dies zeigt sich auch daran, dass Hegel zwar staatliche Anerkennung differenter Glaubensgemeinschaften fordert und die Wahl der Religion als wichtigen Teil der modernen Gewissensfreiheit erkennt, er aber nicht die Möglichkeit der Wahl keiner Religionsgemeinschaft berücksichtigt. Der Staat kann zwar - zumindest nach dem Modell der GPR[490] - unterschiedliche religiöse Welt- und Menschenbilder tolerieren, da Religion für Hegel aber ein so entscheidender Faktor bei der Ausdifferenzierung dieser Vorstellungen ist, scheinen atheistische Staatsbürger für ihn nicht denkbar. Der moderne Staat löst sich Hegel zufolge von allen Kirchen bzw. sogar von allen Religionen, nicht aber von der Religion als solcher. Wie ich versucht habe im Laufe des vorliegenden Textes herauszuarbeiten, liegt ein Schlüssel für das Verständnis der zentralen Rolle der Religion im Hegel’schen Verständnis des Staates im Begriff des „Menschen“. In der religiösen Vorstellung kommt der Mensch für Hegel zu einer entscheidenden Bestimmung seiner selbst, da diese in ihren Konzepten der Geistigkeit des Absoluten immer auch den subjektiven Geist bestimmt. Jede Gottesvorstellung ist für Hegel auch mit einer Vorstellung vom Menschen verbunden, wobei die entscheidende Ausdifferenzierung des Menschenbildes durch die dem Menschen zugestandene Freiheit erfolgt. Durch eine Freiheit, die Hegel in Bezug auf das göttliche Wesen in zweifacher Weise bestimmt: zum einen durch die Autonomie, die der Mensch von bzw. gegenüber Gott zugesprochen bekommt, zum anderen aber auch dadurch, dass Gottesbilder für Hegel auch eine jeweils besondere Form der Wert- oder Geringschätzung der Subjektivität inkludieren[491]. Da Hegel zufolge jede Staatsform eine Realisation eines speziellen Freiheitsbegriffs ist und Religion die wichtigste Bestimmung dieses Begriffs liefert, basiert jeder Staat eben auf einer Religion. Wobei dieses Basieren ein doppeltes ist, historisch haben sich Staatsformen für Hegel aus Religionen entwickelt, philosophisch steht die „verwirklichte Freiheit Staat“ auf dem Vertrauen seiner Bürger in den jeweils speziellen Freiheitsbegriff, einem Vertrauen, dessen dauerhafte Existenz vom religiösen Glauben gesichert wird. Dagegen muss ein Staat, dessen Freiheits- und damit Menschenbild sich in Opposition zum religiösen befindet, nach Hegel in Probleme geraten.

 

Bei einem Versuch einer Kritik der diesbezüglichen Hegel’schen Gedanken muss meines Erachtens bedacht werden, dass Hegel dabei zwei grundsätzlich differente Argumente verbindet, dass es an dieser Stelle eigentlich um zwei Fragen geht: um die, ob Religion die einzig wirklich feste Stütze des für einen Staat notwendigen Freiheitsverständnisses ist, und um jene, ob ein Staat überhaupt einen solchen Konsens seiner Bürger im Glauben an die Freiheit und die Rechte ihrer Mitmenschen erfordert.

Da ich auf die erste Frage am Schluss meiner Arbeit eingehen möchte, werde ich mich zunächst einer versuchten kurzen Kritik des Zusammenhangs von Freiheitsverständnis und staatlicher Ordnung widmen. Allerdings werde ich dazu nur einige wenige Überlegungen bieten können, da eine ausführliche Beschäftigung mit dieser Frage nicht nur den Umfang dieser Arbeit sprengen würde, sondern sich meines Erachtens von ihrem zentralen Thema zu weit entfernen würde. Da für Hegel der Zusammenhang von Staat und Freiheitsbegriff, wie ich im ersten Teil dieser Arbeit aufgezeigt habe, ein sehr wichtiger und meiner Meinung nach ein auch seiner Erörterung des Verhältnisses von Religion und Staat zu Grunde liegender Gedanke ist, möchte ich aber trotzdem ein paar kritische Anmerkungen dazu machen.

Zunächst scheint mir der Hegel’sche Gedanke, dass eine Staatsform immer Ausdruck einer Weltanschauung ist, insofern sinnvoll zu sein, als die Autoren einer Verfassung diese zweifellos nach ihren Vorstellungen einer „gerechten“ Gesellschaft und im Einklang mit ihrem „Weltbild“ formulieren. Und auch Hegels Überzeugung, dass ein Staat letztlich nur stabil sein kann, wenn die an ihm partizipierenden Menschen einen gewissen weltanschaulichen „Minimalkonsens“ teilen, ist meinen Augen durchaus zutreffend. Wobei natürlich betont werden muss, dass diese Weltanschauung auch ein Bewusstsein des Wertes der Pluralität der Konzepte umfassen kann. Gerade der Grundsatz, dass Bürgern das Recht zusteht, ihre individuellen Lebensentwürfe zu verwirklichen, basiert doch - bzw. kann basieren - auf einem spezifischen Menschenbild, auf einem, das eben den intrinsischen Wert jedes Menschen anerkennt. Wenn man den Begriff der Weltanschauung bzw. des Menschenbildes oder, um mehr in Hegel’scher Terminologie zu bleiben, der Gesinnung so weit fasst, dass auch Toleranz gegenüber anderen „Gesinnungen“ damit bezeichnet wird, dann scheint mir der Gedanke des Staates als Realisation eines Freiheitsbegriffes durchaus stringent und auch mit dem modernen Konzept eines weltanschaulich neutralen Staates vereinbar zu sein. Lebt doch auch dieser Staat von dem Bewusstsein, dass dem Leben der anderen Bürger Wert zukommt oder zumindest, dass allen Bürgern das Recht zusteht, ihrem eigenen Lebenswillen zu gehorchen. Insofern basiert meines Erachtens sogar der von Hegel als „Notstaat“ apostrophierte Staat zum alleinigen Zweck des Schutzes der Partikularinteressen auf einem bestimmten Menschenbild[492]. 

Allerdings sind wir damit natürlich auch schon beim eigentlichen problematischen Punkt angelangt. Steht doch der neutrale Staat gerade vor der Schwierigkeit, das Bewusstsein seiner Bürger um den Wert der Freiheit aller Menschen zu sichern, ohne gerade diese Freiheit zu minimieren. Meines Erachtens liegt darin das entscheidende Dilemma des Konzepts des Staates als Ausdruck eines Freiheitsbewussteins; ein Dilemma, das unter anderem auf die Differenz von Staatsgründung und Staatserhaltung zurückgeht. Denn selbst wenn wir akzeptieren, dass die „Schöpfer“ einer Verfassung[493] und damit eines staatlichen Systems ihre Freiheitsvorstellung in diesem System verwirklicht haben - ich lasse hier die Frage, ob eine solche Realisation überhaupt restlos möglich ist, d. h. die „systematische“ Differenz von „objektivem“ und „absolutem“ Geist, beiseite - bleibt das Problem, dass das System ja normalerweise eine über die Lebenszeit der Verfasser hinausgehende Wirkung hat. Und wer kann garantieren, dass nachfolgende Generationen diesen Freiheitsbegriff ebenfalls teilen? Und wodurch ist gesichert, dass selbst die Zeitgenossen der „Gründer“ die von diesen vorausgesetzten Rechtsvorstellungen teilen? Die zweite Frage würde Hegel wohl mit dem Verweis auf die Einheit eines „Volksgeistes“, d. h. der Dominanz eines kulturell, religiös, wissenschaftlichen Weltbildes innerhalb einer historischen Kulturepoche zu beantworten versuchen. Dabei zeigt sich meines Erachtens aber, dass, selbst wenn wir davon absehen, diese Erklärung einer Überprüfung an historischen Fallbeispielen zu unterziehen und sie als überzeugend hinnehmen, sich die Frage auftut, was aus dieser ursprünglichen kulturellen Übereinstimmung für das Fortbestehen einer Gemeinschaft gefolgert werden kann. Womit wir auf prinzipieller Ebene bei der bereits im Vorwort angesprochenen doppelten Debatte um einen Religions- bzw. Gottesbezug in einer Verfassung angelangt sind. Zeigt sich doch unter anderem in der Diskussion um die zukünftige europäische Verfassung, dass für Menschen, die nicht grundsätzlich auf der völligen Laizität des Staates bestehen, sondern auch das Thema der Religion als Teil des politischen Diskurses betrachten, zwei unterschiedliche Verweise auf die Sphäre des Religiösen in einer Verfassung möglich scheinen. Zum einen kann in einer Verfassung explizit auf die philosophischen und religiösen Wurzeln der in ihr versuchsweise realisierten Werte Bezug genommen werden, zum anderen können die Adressaten der Verfassung direkt auf ihre Verantwortlichkeit „vor Gott“ verwiesen werden. Während ersterer Gedanke gewissermaßen nur der - vermeintlich oder wahren - ideellen Herkunft der Verfassung Tribut zollt, hat der Verweis auf die Verantwortlichkeit gegenüber Gott nur unter der Voraussetzung Sinn, dass die Bürger des Staates religiös sind. Dabei zeigt sich meines Erachtens sehr gut, worin die Problematik der Verknüpfung von religiöser und staatlicher Sphäre in einer Verfassung liegt. Denn selbst wenn unter den Autoren einer Verfassung Konsens darüber bestehen würde, dass aktuelle und zukünftige Staatsbürger ihre Handlungen vor einem höchsten Wesen zu rechtfertigen haben, könnten natürlich die Bürger eben diesen Konsens nicht teilen und würden dann mit einer Verfassung leben müssen, die ihrem Weltbild ganz und gar nicht entspräche und die sie möglicherweise genau aus diesem Grund nur bedingt akzeptieren könnten[494]. Wodurch entweder die Stabilität der Verfassung selbst infrage gestellt wäre, oder aber es zu zwei Klassen von Staatsbürgern kommen würde, da sich diejenigen, die nicht an den in der Verfassung festgeschriebenen „Gott“ glauben, diskriminiert fühlen könnten.

Anders scheint dies allerdings in Bezug auf eine Erwähnung eines religiösen Erbes auszusehen. Würde damit doch grundsätzlich nur eine historisch, ideengeschichtliche Erläuterung der Werte einer Verfassung gemacht und eine Herleitung vollzogen, die auch für denjenigen nachvollziehbar sein kann, der die begründeten Werte auf einem anderen Fundament basieren sieht.

Genau in dieser Dualität des Verhältnisses von Religion und Staat liegt meines Erachtens eine - wenn auch beschränkte - Aktualität der Hegel’schen Gedanken zum Thema. Lehnt Hegel doch eine direkte Begründung der staatlichen Gesetze im Glauben ab und unterstützt hingegen eine indirekte Begründung des Staates in der Religion[495]. Wie ich versucht habe zu zeigen, liegt die Bedeutung des Religiösen für das Politische in dessen Kraft, Vorstellungen über den Wert des Menschen und seine Freiheit zu formen. Weswegen für Hegel Religion - als Bewusstsein über den Wert der Freiheit - eine „Grundlage“ des Staates bleibt. Insofern wäre es für Hegel wohl keine Frage, dass eine Verfassung (auch) auf religiösen Werten basiert. Ist die Religion doch seines Erachtens die erste Form eines Bewussteins über die Vereinigung der Einzelnen in einem Allgemeinen[496]. Zugleich liefert Hegel aber auch einige Argumente gegen eine direkte Fundierung des Politischen im Religiösen. Dabei zeigt sich in Bezug auf die angesprochene aktuelle Debatte eine interessante Differenz zwischen deskriptiver und normativer Ebene. Denn auch wenn nach Hegel’scher Überzeugung die religiösen Wurzeln einer Verfassung immer vorhanden sind, so steht ihrer expliziten Erwähnung die Frage entgegen, ob damit nicht einem „direkten“ Bezug des Politischen auf das Religiöse in der Zukunft der Weg geebnet wird, einer Bezugnahme Vorschub geleistet wird, die mit großen Missbrauchsmöglichkeiten verbunden ist. Denn eine - deskriptive - Fixierung der Verbindung von Verfassung und Religion hätte vermutlich insofern auch - normative - Folgen, als (tatsächlich oder scheinbar) der genannten Religion widersprechende Phänomene dann auch als der Verfassung widersprechend angesehen würden. Dies mag wenig verwundern, da das Verständnis einer Religion als „verfassungsbegründend“ selbstverständlich mit dem Wunsch, die Prinzipien dieser Religion zu verwirklichen, verbunden zu sein scheint. Wenn zum Beispiel nach Hegel’scher Überzeugung der moderne Staat auf dem „christlichen Prinzip“ der Freiheit aller basiert, so scheint es nicht zur Debatte zu stehen, dass dieses Prinzip auch wesentlicher Teil aller bestimmten, ausgearbeiteten Gesetze sein muss. Trotzdem finden sich bei Hegel auch wichtige Argumente dagegen. Zwar nicht gegen den Gedanken, das „christliche Prinzip“ auch normativ zu verstehen und politisch anzuwenden, aber grundsätzlich gegen die verfassungsrechtliche Nennung einer Religion. Entscheidend dafür sind formale Kriterien des Hegel’schen Religionsbegriffs. Da Religion im Wesentlichen Vorstellung und Gefühl betrifft, d. h. Bild und Erzählung ihre wichtigsten Transportmittel sind, kann sie, wie bereits ausgeführt[497], nicht die Allgemeinheit des Staates erreichen. Eine explizite Erwähnung einer Religion würde die formalen Mankos der Religion in die Verfassung importieren und dadurch deren Charakter der Vernünftigkeit torpedieren, da, während im Staat alles „fest und gesichert[498] zu sein hat, die religiöse Wahrheit immer auch von der Interpretation der exemplarischen Erzählung lebt. Dies ist meines Erachtens ein nicht zu hintergehender Einwand Hegels gegen jede Form der „direkten“ Begründung einer Verfassung in einer Religion, sei sie in Form eines Gottes- oder eines Religionsbezuges.

 

Aber auch die - Hegel’sche - Überzeugung, dass ein Staat auf einer indirekt religiös gestützten „Gesinnung“ basiert, muss mit dem Einspruch konfrontiert werden, dass eine solche Gesellschaft leicht einen problematischen Umgang gegenüber denjenigen Mitglieder entwickeln kann, die den - weltanschaulichen, religiösen - Konsens nicht teilen. Hegel plädiert in diesem Zusammenhang ja für „Toleranz“ und Anerkennung der Freiheit des Gewissens. Allerdings handelt es sich dabei um eine „Toleranz“, die letztlich nur die Mehrheit ausüben kann, wobei sie nach Hegel umso toleranter sein kann, je gefestigter sie in sich ist. Wenn eine politische Gemeinschaft stabil ist, kann sie auch Mitglieder tragen, die wesentliche Ziele des Ganzen nicht verfolgen, so Hegel, der aber damit immer von einer Form der dominanten Mehrheitskultur ausgeht, welche es sich leisten kann liberal zu sein. In diesem Festhalten an einer bestimmenden Mehrheitskultur liegt auch ohne Zweifel das größte Defizit der Hegel’schen Überlegungen in Bezug auf eine mögliche Übertragung in die Gegenwart. Negiert Hegel doch gerade die für die Moderne so wichtige Pluralität der Lebensstile und -entwürfe[499].

Ein problematisches Faktum, welches mit der Negation des republikanischen Grundkonsenses, wonach ein Staatsvolk keine vorpolitische Einheit, sondern erst ein Ergebnis der Staatsbildung ist[500], durch Hegel zusammenhängt. Auch wenn Hegel ein „Volk“ primär kulturell und sozial nicht ethnisch bestimmt, bleibt die Problematik bestehen, dass er die Staatszugehörigkeit von vorpolitischen Faktoren - etwa der Teilnahme an einer Gesellschaft, die das „christliche Prinzip“ der Freiheit aller Menschen lebt - abhängig denkt.


V.III. Die Bedeutung der Identifikation

 

In gewisser Weise macht die Tatsache, dass Hegel den modernen Staat immer unter Voraussetzung eines Konsenses der Bürger im Bewusstsein vom Wert der Freiheit denkt, zugleich die Stärke und die Schwäche seines politisch-philosophischen Ansatzes aus. Wie ich bereits zu zeigen versuchte, liegt ein entscheidendes Manko des Konzeptes in der kaum beantwortbaren Frage nach der Sicherung dieser Übereinstimmung und der Gefahr den Staat intolerant werden zu lassen, indem er nur eine „Gesinnung“ erlaubt. Nichtsdestotrotz wohnt dem Hegel’schen Ansatz meines Erachtens auch eine große Aktualität inne. Wobei es vor allem zwei grundsätzliche Positionen Hegels in Bezug auf den Staat sind, die seine Philosophie auch heute noch ausgesprochen bedenkenswert machen. Positionen, die sich mit den Schlagworten „Identifikation“ und „kultureller Konsens“ bezeichnen lassen[501]. 

 

Da Hegel den modernen Staat im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Vereinigung, zwischen Subjektivität und Gemeinschaft lokalisiert, sind die konzeptionellen Wege zu einer freiwilligen Partizipation an einer Allgemeinheit und zu einem Verständnis der Allgemeinheit als dem Einzelnen nicht Fremdes, Feindliches entscheidende Teile seiner politischen Philosophie. Weil Hegel weiß, dass der moderne Staat auf dem Prinzip der Freiheit aller Menschen basiert, er aber zugleich den Problemen eines strengen Liberalismus, der die Gemeinschaft nur als Werkzeug im Dienste der Interessen der Einzelnen versteht, entgehen möchte, sieht er sich mit der Aufgabe konfrontiert, einerseits den Staat selbst zum notwendigen Teil einer Realisation des Freiheitsprinzips zu erklären und andererseits den Staatsbürgern Möglichkeiten zu eröffnen, sich als Teil dieser Entwicklung zu verstehen. Da das Bewusstsein der Subjektivität - als der entscheidenden Instanz jeder Entscheidung - konstitutives Element der Moderne ist, muss der ihr gemäße Staat Chancen zu einer Integration der differenten Ansprüche, Ziele und Interessen bieten, so die vielleicht grundlegendste Überzeugung der politischen Philosophie Hegels.

Auch wenn wir heute das von Hegel für einen solchen Ausgleich vorgeschlagene verfassungsrechtliche Instrument - die Ständevertretung - wohl kaum noch als überzeugend ansehen, so muss doch bedacht werden, was Hegel damit zu erreichen vermeint: die Identifikation aller gesellschaftlichen Gruppen mit dem Staatsganzen. Plädiert Hegel doch nicht nur deswegen für Ständevertretungen als gesetzgebende Instanz, weil er die auf diese Art Delegierten für eine bessere Vertretung des Volkes als freigewählte Abgeordnete hält, da sie seines Erachtens die Interessen und Probleme der Bürger nicht nur besser kennen, sondern auch weil seines Erachtens die Vertretenen den Delegierten mehr vertrauen könnten, da beide dieselben Anliegen hätten. Nun liegt ein entscheidendes Mankos dieses Gedankens bereits in der alleinigen Fokussierung auf die beruflichen Interessen der Menschen, denn nur diese werden ja von Ständevertretern  und -vertretenen geteilt. Wobei Hegel ganz offensichtlich von einem enorm großen Einfluss der ökonomischen Verhältnisse auch auf andere Sphären des Lebens ausgeht, da er etwa die beruflichen Stände auch durch differente Lebensarten unterscheidet. Obwohl von einer derartigen Identität auch berufsferner Anliegen und Vorstellungen innerhalb eines „Standes“ (heute) selbstverständlich nicht mehr ausgegangen werden kann, ist die Betonung, dass Ständevertretungen eine enge Identifikation der Bürger mit den Delegierten erlauben, möglicherweise gerade in Zeiten zunehmender „Politikverdrossenheit“ und einer möglichen „Krise des Parteienstaates“ insofern interessant, als sie das Augenmerk auf die Bedeutung des Vertrauens der vertretenen Bürger in ihre Abgeordneten lenkt. Der Probleme eines politischen Systems, dem es an Identifikation seiner Mitglieder mit den Entscheidungsträgern und damit den gefällten Entscheidungen mangelt, scheint sich Hegel durchaus bewusst zu sein. Das ist zu notieren, auch wenn, wie gesagt, Hegels Lösungsversuch für dieses Problem nicht überzeugt.

 

Die Berufsstände sind keineswegs das einzige Mittel, mit dem Hegel eine Identifikation der Bürger mit dem Staat erreichen möchte. Versteht er doch auch die Figur des Monarchen, des letzten „Ich will“[502] einer Gesellschaft, in gewisser Weise als die Verkörperung des Staatsganzen. Wobei hier doch anzumerken ist, dass Hegel damit genau jene Leistung, welche die Ständevertretungen erbringen sollen, wieder zurücknimmt. Ersetzt die Identifikation mit der Person des Monarchen doch diejenige mit der Gesetzgebung und damit den Gesetzen selbst. Während die Stände die Verbindung der Individuen in einem intersubjektiven Prinzip oder Inhalt ermöglichen sollen, tritt im Vertrauen in den Monarchen doch wieder nur die Identifikation mit einem besonderen Subjekt auf. Damit würde aber die Überwindung der Partikularinteressen ja selbst wieder nur in einer natürlichen Person erfolgen, während die Instanz der Stände doch der Versuch ist, eine Allgemeinheit zu finden, die in einer der Besonderheit übergeordneten Sphäre angesiedelt ist. Hier tritt ohne Zweifel eine prinzipielle Differenz zwischen dem von Hegel selbst erkannten Prinzip der Moderne und der von ihm vorgeschlagenen Verfassungswirklichkeit auf. Wobei Hegel, wie erwähnt, versucht, den Monarchen als notwendige Instanz einer Entscheidungsfindung zu erklären, ohne die es zu keiner gültigen Handlung kommen könnte, die aber nicht von inhaltlicher, sondern von - unverzichtbarer - formaler  Relevanz für die Entscheidung selbst ist. Aber auch wenn wir daran erinnern, dass der Monarch für Hegel deswegen eine der gesetzgebenden Gewalt übergeordnete Instanz ist, weil der Herrscher - anders als die Ständevertretungen - nicht das logische Prinzip der Allgemeinheit, sondern jenes der Einzelheit verkörpern soll, bleibt der Einwand, dass die dabei erreichte Einzelheit prinzipiell nicht entscheidend von der Besonderheit der Individuen abgehoben zu sein scheint.

 

Grundsätzlich anders sieht jedoch der dritte Versuch, eine Identifikation der einzelnen Staatsbürger im Ganzen zu erklären, aus. Dabei kehren wir wieder zum eigentlichen Thema dieser Arbeit zurück: Die entscheidende Rolle der Religion als Teil der Verbindung der Bürger mit dem Staat liegt - abgesehen von dem für Hegel primär nur von historischer Relevanz seienden Glauben an lokale Schutzgötter, also an eine direkte Symbiose von religiösen Figuren und bestimmten politischen Einheiten - in dem religiösen Bewusstsein über den Wert des Einzelnen in einem Allgemeinen, über die Bedeutung der Vereinigung[503]. Dies besonders, weil Religion für Hegel in erster Linie ein Versuch ist, die eigene Endlichkeit zu überwinden und an einem größeren, dem Unendlichen, zu partizipieren. Wie der Staat, verstanden als versuchte Freiheitsrealisation, immer schon mehr ist als die Summe der Einzelnen, so überwinden auch die religiösen Subjekte ihre Besonderheiten und werden für Hegel etwa in der Andacht selbst Teil des göttlichen Geschehens. Zugleich zeigt sich den Gläubigen im kultischen Prozess des Opfers, dass die Vereinigung mit dem Absoluten eine Form des Verzichts erfordert.

Dabei wird jedoch deutlich, dass Hegel an dieser Stelle tatsächlich, solange er Religion als Versuch die eigene Endlichkeit zu negieren, versteht, auf eine wesentliche Gemeinsamkeit von Religion und Staat verweist, zugleich aber den Fehler begeht, diese Parallelität zu weit zu fassen. Denn auch wenn Religion und Staat insofern gleiche Ziele verfolgen, so darf nicht auf die unterschiedliche Form dieser beiden Sphären vergessen werden. Religion demonstriert zwar das Bedürfnis nach Vereinigung von Subjektivität und Allgemeinheit, wie es sich auch im Staat zeigt, erreicht deswegen aber noch nicht die Qualität der politischen Vereinigung, da sie nicht deren Ansprüchen einer vernünftig verfassten Allgemeinheit genügt.

Für Hegel versichern sich in der Religion die Menschen nicht nur ihrer Stellung innerhalb des göttlichen Prozesses, da jeder ihrer Bezüge auf eine Transzendenz immer auch ihre eigene Existenz inkludiert, sondern auch innerhalb der menschlichen Gemeinschaft, innerhalb der religiösen Gemeinde einerseits und der politischen Vereinigung andererseits. Dabei zeigt sich allerdings sehr deutlich, wie weit Hegels diesbezügliche Überlegungen nur in Verbindung mit seiner Ablehnung einer „polemischen Frömmigkeit“ Sinn machen. Denn nur wenn die Religion die Wirklichkeit als achtenswertes und notwendiges Feld ihrer Realisation begreift, erlaubt sie tatsächlich eine Identifikation auch mit dem Staat. Andernfalls könnte die Identifikation der Individuen mit dem Allgemeinen der Religion gerade zu einer Abwendung vom Politischen führen. Für Hegel hingegen liegt in der Religion als Bewusstsein eines bestimmten Freiheitsbegriffes die Identifikation mit dem Staat, der Realisation dieses Begriffes, begründet.

 

Zusammenfassend scheint mir Hegel zu Recht das Augenmerk der Staatsphilosophie auch auf den Faktor „Identifikation“ gelenkt zu haben, da tatsächlich jedes politische System, dem auch die ideelle Verbindung seiner Mitglieder fehlt, in Schwierigkeiten geraten kann. Wobei Hegel meines Erachtens allein mit den drei oben besprochenen Feldern des öffentlichen Lebens drei unterschiedliche Weisen der Identifikation zu ermöglichen versucht. Während die Institution der Ständevertretungen nämlich den Bürgern ermöglichen soll, den Gesetzfindungsprozess als einen ihnen nicht fremden, sondern von ihnen „selbst“ vollzogenen zu betrachten und an diesem Geschehen indirekt zu partizipieren, so vermeint Hegel in der Figur des Monarchen, als Verkörperung des Staates, eine Identifikation mit der Gesamtheit der staatlichen Institutionen zu erkennen. Die Identifikation, welche die Religion für Hegel leisten soll, steht aber auf einer prinzipiell anderen Ebene als die beiden ersten Formen. Sie soll eine grundsätzliche Verbindung mit der Verfassung des Staates ermöglichen, wobei „Verfassung“ hier durchaus in beiden von Hegel verwendeten Bedeutungen zu verstehen ist. Nicht nur an die kodifizierte, gesetzliche Verfassung ist dabei zu denken, sondern auch an die Verfassung, d. h. die „Verfasstheit“, des „Volksgeistes“. (Die Verfassung im zweiten Sinne enthält auch die sozialen und kulturellen Normen einer Gesellschaft.) Religion ist meines Erachtens für Hegel Teil der Antizipation an dieser „Verfassung“ im weiteren Sinne. Nicht spezielle Gesetze werden mit ihrer Hilfe geschrieben oder interpretiert; sie bildet vielmehr den Hintergrund, auf dem die Gesetze erst entwickelt werden. In diesem Sinne habe ich am Beginn dieses Kapitels neben die „Identifikation“ auch den Begriff „kultureller Konsens“ gestellt. Denn, und das ist meines Erachtens eine der bemerkenswertesten Voraussetzungen des Hegel’schen Staatsbegriffes, „Staat“ bezeichnet bei Hegel keineswegs „Nationalstaat“; auch wenn die Verweise auf den „Volksgeist“ dies vielleicht nahe legen zu scheinen. Wie ich versucht habe zu zeigen[504], geht es Hegel aber um anderes: Er situiert einen Staat nicht innerhalb nationaler Grenzen - weder sprachliche noch ethnische Kriterien bestimmen bei Hegel die staatliche Einheit -, sondern in einem sozialen und kulturellen System, welches von „einem Geist“ erfüllt wird. Die Einheit der Staatsbürger sieht Hegel in der gemeinsamen Teilhabe an diesem Geist, d. h. in ihrem „kulturellen Konsens“, begründet.

Ähnlich wie bereits zuvor im Zusammenhang mit den Überlegungen über die Ständevertretungen möchte auch an dieser Stelle die Aktualität der Hegel’schen Erörterungen - unter Ausklammerung mancher konkreter Vorstellungen - betonen. Scheint mir doch die Problematisierung einer möglicherweise notwendigen Übereinstimmung der Staatsbürger in Bezug auf wesentliche gesellschaftspolitische Fragen auch dann noch sinnvoll, wenn man nicht die Religion als das entscheidende Substrat der gemeinsamen Antwortversuche für diese Fragen ansieht. Denn ob man einen Konsens der Staatsbürger in Bezug auf grundlegende Fragen[505] als für den Zusammenhalt eines politischen Gebildes wichtig versteht, ist in keiner Weise davon abhängig, wo man eine Basis dieses Konsenses zu sehen vermeint. Ja, vom Wert einer solchen Übereinstimmung kann auch überzeugt sein, wer keine letztentscheidende Stütze für sie sieht; wer etwa den Wertekonsens weniger als Faktum als als eine immer aufs Neue zu bewältigende Aufgabe versteht.

V.IV. Konsequenzen aus Hegels Überlegungen?

 

Wenn die These, dass ein Staat immer auch von einem Wertekonsens - sei er nun religiös oder anderweitig bestimmt - abhängig ist, zutrifft, dann muss sich gezwungenermaßen die Frage nach der Sicherung dieser Übereinstimmung stellen. Womit sich aber auch ein Problem auftut, welches mit der bereits angesprochenen Differenz zwischen deskriptiver und normativer Ebene der Hegel’schen Theorien zu tun hat. Da es Hegel jenem berühmt-berüchtigten Diktum der Vorrede zu den GPR nach stets um ein Begreifen dessen, was  „vernünftig“ und „wirklich“ ist, geht[506], dürfen auch seine Äußerungen über das Verhältnis der Religion zum Staat primär nicht als normative Aussagen verstanden werden. Wenn Hegel die Bedeutung der Religion für den Zusammenhalt der politischen Einheit hervorhebt, so ist dies in erster Linie als Beschreibung eines für ihn einsichtigen historischen Zusammenhangs zu verstehen. Dies bedeutet, dass man, selbst wenn man die These der Fragilität eines politischen Zusammenhangs ohne religiöse Basis uneingeschränkt teilte, nicht unter Berufung auf Hegel verstärkte Religiosität fordern könnte, um den staatlichen Zusammenhalt für die Zukunft zu sichern. Denn Hegel erhebt primär nicht den Anspruch zu zeigen, wie politische Systeme aufzubauen sind. Daher kann man auch, wenn man die Frage nach den möglichen praktischen Konsequenzen aus der These von der Gesinnung als „Grundlage“ des Staates stellt, bei Hegel keine direkten Antworten erwarten. Höchstens kann aus den Hegel’schen Überlegungen gefolgert werden, in welche Richtung die Antworten gehen könnten, denn auch wenn Hegel gewissermaßen rein „deskriptiv“ argumentiert, so sind seine Überlegungen nichtsdestotrotz immens „normativ“, da sie ja jenes gesellschaftliche System zu beschreiben beanspruchen, welches ein Verständnis des Individuums in der Gemeinschaft als freies ermöglichen soll[507].

Zunächst möchte ich versuchen, kurz auf die Frage einzugehen, wie, wenn eine gemeinsame „Gesinnung“ für einen Staat konstitutiv ist, diese zu sichern bzw. zu erreichen ist. Gegen einen Appell an die Individuen, Teil des sittlichen Konsenses zu werden, spricht Hegels Kritik am „leeren“ Sollen der Moralität. Damit die Sittlichkeit leisten kann, was sie Hegels Anspruch nach leisten soll - die Annerkennung der Subjektivität in einem sozialen

System -, muss der Eintritt in die Sphäre der Sittlichkeit nicht nur Ergebnis einer individuellen Entscheidung, sondern auch Teil einer sozialen „Erziehung“ sein. Womit wir, in Bezug auf eine „christliche Sittlichkeit“, d. h. eine Sittlichkeit der Freiheit, vor einem enormen Paradox stehen. Jede Erziehung zur Religion der Freiheit ist immer auch mit Unfreiheit seitens des Objekts der Erziehung (sei es geschichtsphilosophisch betrachtet ein Volk oder sozialphilosophisch gesehen ein Individuum) verbunden. Eine wirkliche Religion der Freiheit wäre doch streng  genommen nur jene Religion, zu der sich alle in Freiheit entschieden haben, wenn aber diese Freiheit selbst wieder das Ergebnis einer bestimmten Religion ist, dann würde das Begründete Begründendes sein - der logische Zirkel schlösse sich. Dazu muss aber gesagt werden, dass Hegel trotz aller Verknüpfungen von „Christentum“ und „Freiheit“ ja keineswegs von einem völligen Fehlen menschlicher Freiheit vor dem Auftreten der christlichen Religion ausgeht - ansonsten gäbe es vor dem Christentum auch keine Geschichte, da diese doch „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ ist -, sondern vielmehr wie bereits mehrfach erwähnt sowohl in geschichts- wie in sozialphilosophischer Hinsicht von einer kontinuierlichen Entwicklung zur Freiheit. Gerade weil auch die Religion für Hegel aber nur ein Teil dieser Entwicklung ist, kann der religiöse Konsens in einer Gemeinschaft nicht gezielt erreicht werden, sondern ist selbst immer von vielen anderen (kulturellen) Faktoren abhängig. Wodurch aber auch der religiöse Konsens nur bedingt als Absicherung des politischen Konsenses dienen kann, da Religion nichts „zu Machendes“[508] ist. Daher ist der normative Gehalt der Hegel’schen Diagnose einer prinzipiellen Abhängigkeit des politischen Freiheitsbegriffes und damit des staatlichen Systems von der Religion nach meiner Interpretation ein durchwegs limitierter.

Interessant ist dabei besonders, dass Hegel indirekt gerade durch das Pochen auf den Faktor der „Gesinnung“ als wesentlichem Teil des Politischen dessen Fragilität aufzeigt, da er den ideellen Konsens des „einen Geistes“ eines Volkes als nicht steuerbaren erkennt. Denn auch die religiöse Gemeinschaft, für die Lehre und Weitergabe ihrer Inhalte wichtige Teile ihrer Aufgaben sind, kann nach Hegel nur sehr bedingt als Werkzeug zur Stabilisierung des kulturellen Konsenses verwendet werden. Auch der Hegel’sche Staat scheint demzufolge vor der Problematik zu stehen, ein Fundament im Freiheitsverständnis seiner Bürger zu erfordern, ohne diese Grundlage aus sich heraus liefern zu können. Denn auch im Hegel’schen Konzept basiert die Politik auf einer Sphäre, „von der sie ihre Legitimität bezieht, die sie aber nicht selbst gestalten kann“[509]. Dies zeigt, dass auch der Hegel’sche Staat leicht in ein Dependenzverhältnis zur Religion geraten kann, was ohne Zweifel auch als Symptom der Schwäche des Politischen ausgelegt werden kann. Für Hegel träfe eine solche Diagnose vermutlich deswegen nicht zu, weil es sich dabei seines Erachtens nur um eine Schwäche des rein politischen Staates, nicht aber um ein Manko des Systems des ganzen „Volksgeistes“, innerhalb dessen die sittliche, politische durch die religiöse Gesinnung gesichert wäre, handeln würde. Wenn aber Hegels eigener Anspruch, dass im Staat alles „fest und gesichert“[510] zu sein hat, ernst genommen wird, muss gefragt werden, ob der Verweis auf die Einheit des Volksgeistes nicht gegenüber diesem Argument hinfällig wird. Hier zeigt sich ohne Zweifel ein Widerspruch innerhalb der Hegel’schen Ausführungen zum Thema.

Möglicherweise gerade weil Hegel sich bewusst ist, dass ein Konsens der Staatsbürger mit dem im Staat verwirklichten Freiheitsbegriff nicht zu garantieren ist, verweist er in den GPR bei der Behandlung des „Patriotismus“ vor allem auf das Eigeninteresse der Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft als für den Staat wichtige Stütze. Ist doch die politische Gesinnung das Zutrauen, dass das besondere Interesse der Einzelnen im Staat „bewahrt und erhalten“[511] wird. Das heißt, der Staat lebt nach Hegel keineswegs nur vom Wissen um die Verwirklichung der Freiheit aller im Politischen, sondern auch ganz entscheidend vom Individualinteresse der Mitglieder. Zugleich kann dieses für Hegel aber nicht die einzige oder letztentscheidende Wurzel der staatlichen Vereinigung sein und wer den Wert des Staates als realisierte Freiheit versteht - oder aber, wer das im religiösen Glauben gewonnene Menschenverständnis auch verwirklichen möchte -, blickt nach Hegel schon über sein unmittelbares Eigeninteresse hinaus.

Neben der oben behandelten Frage nach einer möglichen praktischen Konsequenz der deskriptiven Aussagen über die Abhängigkeit des Staates von der (religiösen) Gesinnung, stellt sich aber auch noch eine zweite: Wenn jede Staatsform kulturell abhängig ist, gibt es dann keinen neutralen, universalen Maßstab für die Beurteilung politischer Systeme? Denn wenn man die Hegel’sche Überzeugung ernst nimmt, dass die Verfasstheiten politischer Gemeinschaften Ausdruck der ideellen Freiheitsbegriffe ihrer Mitglieder sind, dann könnte man daraus auch eine Form des politischen Relativismus ableiten. Der Verweis auf die - religiöse - „Grundlage“ des Staates kann schließlich auch ein Versuch sein, Kritik am politischen System zu unterbinden. Wodurch ein Staat gegen Vorwürfe immunisiert werden könnte, menschenrechtswidrig bzw. inhuman zu agieren. Die Hegel’sche Überzeugung von der Notwendigkeit einer ideellen Basis des Politischen kann daher auch mit der fatalistischen Überzeugung einhergehen, wonach manche Staaten - denen die „richtige“ Religion fehlt - einfach nicht „demokratiefähig“ sind. Nun weisen manche Hegel’sche Aussagen tatsächlich in eine solche Richtung. Wie etwa jenes Diktum aus den VPG, wonach „nur mit dieser Religion“ „diese Staatsform vorhanden sein“ könnte[512], oder auch jenes der EPW, wonach es eine Torheit ist, „eine Revolution ohne eine Reformation“ zu machen[513]. Sagt dieses doch, dass allen nichtprotestantischen Staaten der Weg zum modernen Staat, d. h. zur politischen Anerkennung der Subjektivität, nur bedingt
offen steht. Allerdings darf dabei natürlich nicht übersehen werden, dass auch die Reformation von Hegel als ein von Menschen bewirktes Geschehen und nicht als „Naturereignis“ gedacht wird. Wodurch klar ist, dass nach Hegel auch jedes politische System eines Volkes zu ändern ist und nicht als quasi „gottgewolltes“ und damit kritikresistentes zu gelten hat. Allerdings ist für Hegel eine Reform des staatlichen Systems nur in Verbindung mit einer Transformation des ideellen, religiösen Bewusstseins möglich. Aber auch dabei zeigt sich ein großes Problem der Hegel’schen Gedanken. Denn auch wenn Hegel immer von einer Religionsgeschichte, d. h. von einer teleologischen Entwicklung, ausgeht, so gelingt es ihm nur sehr bedingt ein Strukturprinzip dieses Fortschritts aufzuweisen. Vielmehr zeigt er die prinzipiellen Differenzen der verschiedenen existierenden und vergangenen Religionen auf, liefert dabei aber tatsächlich, wie Jaeschke zu Recht betont, mehr eine „Religionsgeographie“ als eine „Religionsgeschichte“[514]. In seinem Rückgriff auf die historische Empirie als Grundlage der geschichtsphilosophisch erkannten Teleologie „übersieht“ Hegel aber, dass diese Empirie immer auch von Formen der Gleichzeitigkeit von „Ungleichzeitigem“ („ungleichzeitig“ im Sinne des „Fortschritts“) geprägt ist. Was Hegel nun nicht aufzeigt, ist, in welcher Form ein Dialog bzw. auch eine kritische Auseinandersetzung zwischen den gleichzeitig wirkenden Religionen und damit auch zwischen politischen Systemen denkbar ist. Eine Kritik des Anderen ist dabei auch deswegen kaum möglich, weil dafür ein gemeinsames Prinzip als anerkannte Grundlage der Diskussion fehlt. Nun stellte sich für Hegel dieses Problem insofern nicht, als er geschichtsphilosophisch von einem absoluten Recht des „historischen Volkes“ gegenüber den anderen ausging. Da wir heute Hegel in diesem Punkt aber wohl kaum zustimmen können, müssen wir, wenn wir den Gedanken einer weltanschaulichen Basis eines Staates trotzdem ernst zu nehmen versuchen, eine Grundlage eines Dialogs zwischen „Ungleichzeitigen“, aber auch einer Kritik eines fremden politischen Systems finden. Klar ist Hegel zufolge, dass ein Aufoktroyieren der eigenen politischen Vorstellungen auf die kulturellen Gegebenheiten einer anderen Kultur weder wünschenswert noch zweckdienlich wäre. Eine „Revolution von außen“ muss nach Hegel immer scheitern[515], solange die importierte Verfassung nicht mit den politischen und weltanschaulichen Überzeugungen der Staatsbürger korreliert. In welcher Form ist dann aber trotzdem ein kritisches Gespräch zwischen politischen Systemen möglich? Eine Option wäre meines Erachtens der Rückgriff auf die von Hegel für eminent politisch erachteten religiösen Vorstellungen davon, was es heißt, „Mensch“ zu sein. Wobei dabei die Schwierigkeit auftritt, dass diese Menschenbilder nach Hegel durch ihre Verschiedenheit auch differente Vorstellungen von „Menschenrechten“ inkludieren. Aber auch wenn die Menschenbilder der unterschiedlichen Religionen sehr verschieden gezeichnet sind, so haben sie doch die Gemeinsamkeit, Versuche zu sein, Begriffe wie „Freiheit“ oder „Subjektivität“ zu interpretieren.

 


V.V. Eine andere „Grundlage“ des Staates?

Es ist sehr interessant, dass bei Hegel sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Religion als politischem Faktor in ihrem vorstellungshaften Charakter begründet liegt. Ermöglicht dieser doch durch die Simplizität der Bilder sowohl die Tatsache, dass die Religion die „Wahrheit für alle Menschen“[516] ist, als auch ihr Ungenügen in Bezug auf die vernünftig verfasste politische Ordnung. Entscheidende Differenz zwischen Religion und Philosophie ist in Bezug auf das auch politisch interessante Menschenbild ohne Zweifel, dass es in der Religion nicht um ein „Erkennen“, sondern ein „Gewisswerden“ und ein „Erfahren“ dessen, was Humanität bedeutet, geht[517]. Wodurch die Religion diesbezüglich für Hegel größere Relevanz hat. Aber genauso wie die Religion für den Staat die Basis seiner „Gesinnung“ sein kann, indem sie in den Sphären von Gefühl und Vorstellung bereits ein prärationales Bild des Menschen und seiner Beziehung zur Umwelt konstituiert, enthält sie immer auch das Element des Nichtargumentierbaren, des Unvernünftigen, das zur Gefahr für die politische Ordnung werden kann.

Aus diesem Grund scheint es mir sinnvoll an den Schluss dieser Arbeit die Überlegung zu stellen, ob nicht auch ein anderer Bereich des Humanen die für Hegel wichtige Aufgabe der Religion im Politischen, ein Verständnis des Menschseins zu konstituieren, übernehmen kann. Gerade in einer Gesellschaft, die einerseits eine immer größer werdende Gruppe von Menschen ohne Religionsbekenntnis umfasst und andererseits auch zunehmend multireligiös geprägt wird, scheint mir eine Alternative zur religiösen Begründung des staatlichen Zusammenhalts sinnvoll und auch in Bezug auf die Hegel’schen Texte überlegenswert. Schließlich nennt Hegel selbst in den VPG neben der Religion auch die beiden anderen Bereiche des absoluten Geistes, Kunst und Philosophie, als Formen des Bewusstseins über die Vereinigung im politischen Zusammenhang, da auch sie Varianten der Synthese von Subjektivität und Objektivität aufzeigen[518]. Dies auch aus dem Grund, da, wie ich bereits zu zeigen versucht habe, für Hegel jeder Gottesbegriff die Frage nach der Relation von Individuum und Allgemeinheit stellt und auch Kunst und Philosophie das Absolute, Göttliche thematisieren. Interessanterweise betont Hegel in den VPG in diesem Zusammenhang zwar, dass die Philosophie, d. h. das denkende Wissen über das Absolute und damit auch sein Verhältnis zur Einzelheit, die „höchste, freieste und weiseste“ Form des Bewusstseins der Vereinigung ist, thematisiert im Folgenden aber nur die Religion als politisch bedeutende Kraft. Ähnlich sieht die Situation auch in den GPR aus, wo Hegel die „philosophische Einsicht“ als beste Form des Bewusstseins vom Wesen des Staates bezeichnet und die religiöse Gesinnung nur als deren Substitut nennt, aber ebenfalls nur das Verhältnis der Religion und nicht der Philosophie zum Staat behandelt. Und so kann es wohl ein wenig erstaunen, dass Hegel, der Denker des im absoluten Wissen der Philosophie gipfelnden Systems und der „Aufhebung“ aller vorhergehenden Formen des absoluten Geistes in dieser, in Bezug auf den Staat nur die Religion, nicht aber die Philosophie bedenkt[519]. Noch dazu, wo Hegel bei seinem Pochen auf die Vernünftigkeit und Allgemeinheit der staatlichen Gesetze doch Eigenschaften, die er in erster Linie der Philosophie zuschreibt, nennt. Es kann meines Erachtens als Ausdruck eines diesbezüglichen pragmatischen Realismus Hegels verstanden werden, dass er hier dem Phänomen der leichteren Verständlichkeit der religiösen Vorstellungswelt einen solche Vormacht gegenüber dem der in seinen Augen gültigeren Wahrheit des philosophischen Denkens einräumt; wie er ja auch bei der Behandlung der politischen Gesinnung primär die Faktoren „Zutrauen“ und „Gefühl“ hervorhebt, welche unter Umständen zu „gebildeter Einsicht“ übergehen können[520].

Die Vormachtstellung, die Hegel der Religion gegenüber der Philosophie in Bezug auf den Staat einräumt, hat aber meines Erachtens noch eine zweite Begründung. Diese verweist auf Überlegungen, die ich am Beginn der vorliegenden Arbeit zum Thema der „Sittlichkeit“ erläutert habe. Versteht Hegel unter „Sittlichkeit“ doch auch die Relation zwischen einem Individuum und einem sozialen System, welche jenem ermöglicht, sich in diesem „frei“ zu fühlen, da das soziale Gefüge als passend verstanden wird. Nennt Hegel doch die Sittlichkeit auch eine „zweite Natur“[521], was sehr deutlich das Kriterium der vorbewussten Integration in das System betont. Seines Erachtens befreit sich das Individuum in jenem System, dessen Werte und Regeln es als „seine“ ansieht, als dessen Teil es sich in bestimmter Hinsicht empfindet. Religion kann dies ohne Zweifel erleichtern. Sind die religiösen Erzählungen für den Gläubigen doch nicht nur die Quelle seiner ethischen Maßstäbe, sondern auch etwas, „in“ dem er lebt, da die religiöse Narration immer auch die Geschichte der umgebenden Welt und Gesellschaft ist. Aus diesem Grund habe ich bei der Rekonstruktion der Hegel’schen Überlegungen über die Religion auch besonders auf den Begriff der „Gemeinde“ hingewiesen. Ist die Gemeinde doch jene Gemeinschaft, in der für den Gläubigen, „das Böse an und für sich überwunden“ ist[522]. Zu erinnern ist hier auch an Hegels Insistieren auf die Bedeutung der dritten trinitarischen Person des christlichen Gottes, durch welche die religiöse Gemeinde selbst Teil des göttlichen Prozesses wird. Diese Qualität, ein Leben „in“ der „Wahrheit“ zu ermöglichen, kann nun der Philosophie ohne Zweifel nur schwer zugeschrieben werden. Daher kann wohl gesagt werden, dass Hegel der Religion deswegen in dieser Hinsicht eine größere Relevanz als der Philosophie zuschreibt, weil er die Religion - obwohl sie „absoluter Geist“ ist - sowohl als Form des Theoretischen als auch des Praktischen ansieht, während er die Philosophie oder Wissenschaft doch als reine Theorie versteht. Sollte also gerade in einem zunehmend multireligiös werdenden Staat der Moderne eine „Philosophie“ die Rolle, die Hegel in Bezug auf den Staat der Religion zuschreibt, übernehmen, dann müsste sie möglicherweise nicht nur Grundlage des auch das Politische beeinflussenden Menschenbildes sein, sondern auch ein Leben „in“ diesem Bild ermöglichen. Für Hegel scheint dies aber nicht möglich zu sein, weil er letztlich einem „Praktischwerden“ der philosophischen Theorie extrem kritisch gegenübersteht. Ein Faktum, welches sich besonders in den polemischen Äußerungen der Vorrede zu den GPR über die Rolle der Philosophie in Bezug auf die Politik ausdrückt. Lehnt es Hegel doch explizit ab, „einen Staat, wie er sein soll“ zu konstruieren, da er ein Entwerfen eines zukünftigen Staates als zwecklosen Versuch „seine Zeit“ zu überspringen ansieht[523]. Wobei es, wie Habermas zu Recht festhält, „ein eigenartiges Licht“ auf Hegels Verhältnis zur politischen Praxis wirft, dass er einerseits den Anspruch, durch eine Theorie die zukünftige Praxis zu beeinflussen, verwirft, und andererseits in den Schriften zur politischen Situation seiner Zeit genau dieses versucht[524]. Was aber meines Erachtens auch zeigt, dass Hegels Polemik der „Vorrede“ primär nur als Ablehnung utopischer Staatsentwürfe und nicht politischer Kritik im Generellen zu interpretieren ist. Bestehen bleibt jedenfalls bei Hegel das Dilemma einer extrem geringen Wirkung der philosophischen Theorie auf die Lebenspraxis der Gesellschaft[525], was sich, wie bereits gesagt[526], ganz besonders am Schluss der religionsphilosophischen Vorlesungen zeigt. Nennt Hegel die Philosophie dort doch ein „angesondertes Heiligtum“, und erinnert die „empirische Gegenwart“ daran, dass sie und ihre aktuellen Probleme „nicht die unmittelbar praktische Sache und Angelegenheit der Philosophie“ seien[527]. Bemerkenswert allerdings der Zusatz des Wortes „unmittelbar“ - heißt dies doch, dass „mittelbar“ die gesellschaftliche Situation sehr wohl Thema der Philosophie sein kann. Erinnert werden kann hier auch an die „bildungspraktische Aufgabe“ der Übersetzung der religiösen Vorstellungen in vernünftige Begriffe, die laut Falk Wagner der Religionsphilosophie bei Hegel zukommt[528]. Möglicherweise könnte für Hegel die Philosophie, wenn ihr diese Aufgabe gelänge, auch die politische Funktion der Religion übernehmen und etwa Basis eines politisch realisierten Freiheitsbegriffes und Menschenbildes sein. Allerdings dürfte, selbst wenn die Philosophie die Rolle der Religion im „praktischen Verhältnis“ zum Staat ausfüllen würde, nicht auf die grundsätzliche „systematische“ Differenz des absoluten Geistes gegenüber jeder Form des objektiven vergessen werden, da nur sie verhindert, dass es zu einer unkritischen Identität von Bewusstsein und Realisation kommt. Diese prinzipielle Zweideutigkeit, einerseits „Grundlage“ des Staates zu sein und anderseits jede Form des objektiven Geistes als notwendigerweise beschränkte zu erkennen, kommt im Hegel’schen Denken nicht nur der Religion zu, sondern auch jeder anderen Sphäre des absoluten Geistes, die möglicherweise deren Funktion übernehmen könnte.


VI. Anhang

VI.I. Siglen der zitierten Schriften Hegels

 

EPW III           Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III
Werke 10,
Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1999 (4. Aufl.)

 

GPR                Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel
Grundlinien der Philosophie des Rechts

                        Werke 7

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2000 (6. Aufl.)

 

PhG                 Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Phänomenologie des Geistes

                        Werke 3

            Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1998 (6. Aufl.)

 

RPi  III Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Vorlesungen über Rechtsphilosophie

Dritter Band

                        Herausgegeben von Karl-Heinz Ilting

                        Frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1974  

 

RPi  IV            Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Vorlesungen über Rechtsphilosophie

Vierter Band

                        Herausgegeben von Karl-Heinz Ilting

                        Frommann-holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1974  

 

VGP III           Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III

                        Werke 20

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1996 (3. Aufl.)

 

VPG                Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte

                        Werke 12

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1999 (5. Aufl.)

 

VPRm I           Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Herausgegeben von Walter Jaeschke

Vorlesungen über die Philosophie der Religion I

                        Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1993

 


VPRm III         Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Herausgegeben von Walter Jaeschke

Vorlesungen über die Philosophie der Religion III

                        Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1995

 

VPRs I            Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Vorlesungen über die Philosophie der Religion I

                        Werke 16

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1995 (3. Aufl.)

 

VPRs II           Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Vorlesungen über die Philosophie der Religion II

                        Werke 17

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1996 (3. Aufl.)

 

WL I               Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Wissenschaft der Logik I

                        Werke 5

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1993 (3. Aufl.)

 

WL II              Georg, Wilhelm, Friedrich Hegel

Wissenschaft der Logik II

                        Werke 6

                        Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1999 (5. Aufl.)

 

 

 


VI.II. Zitierte Werke anderer Autoren

 

·        Adam, Adam, Despotie der Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel; Freiburg, München, 1997

·        Adorno, Theodor, W., Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben; Frankfurt/M., 2003

·        Amengual, Gabriel, Das Gewissen als das höchste Recht des Subjekts, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994, Berlin, 1995, S. 430-438

·        Avineri, Shlomo, Hegels Theorie des modernen Staates; Frankfurt/M., 1979

·        Avineri, Shlomo, Der Staat - das Bewußtsein der Freiheit, in: Riedel, Manfred, Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2; Frankfurt/M., 1975, S. 393-414

·        Bärsch, Claus, Staat und „Corpus Christi Mysticum“. Religions-politologische Aspekte der Hegelschen Philosophie des Staates, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994; Berlin, 1995, S. 256-259

·        Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Recht, Staat, Freiheit; Frankfurt/M., 1991

·        Brunkhorst, Hauke, Hegel und die Französische Revolution. Die Verzichtbarkeit der Restauration und die Unverzichtbarkeit der Revolution, in: Die Ideen von 1789 in der deutschen Rezeption, Herausgegeben vom Forum für Philosophie Bad Homburg; Frankfurt/M., 1989, S. 156-173

·        Cesa, Claudio, Entscheidung und Schicksal: die fürstliche Gewalt, in: Henrich, Dieter/Horstmann, Rolf-Peter (Hg.), Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik; Stuttgart, 1982, S. 185-205

·        Dahlstrom, Daniel, Die Zweideutigkeit des Gewissens, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994; Berlin, 1995, S. 439-444

·        Gessmann, Martin, Hegel: Freiburg/Breisgau, 1999

·        Habermas, Jürgen, Theorie und Praxis, Sozialphilosophische Studien; Frankfurt/M., 1974, S. 148-171

·        Habermas, Jürgen, Der philosophische Diskurs der Moderne; Frankfurt/M., 1985

·        Habermas, Jürgen, Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie; Frankfurt/M., 1999

·        Hartnack, Jürgen, Hegels Logik. Eine Einführung; Frankfurt/M., 1995

·        Hobbes, Thomas, Leviathan; Frankfurt/M., 1996

·        Hösle, Vittorio, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Bd.1 + 2; Hamburg, 1987

·        Hösle, Vittorio, Der Staat, in: Jermann, Christoph, Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie; Stuttgart-Bad Cannstatt, 1987, S. 183-226

·        Hösle, Vittorio, Ethische Prinzipien der Friedenssicherung, in: ders., Philosophie und Öffentlichkeit; Würzburg, 2003, S. 85-102

·        Honneth, Axel, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie; Stuttgart, 2001

·        Hüffer, Wilm, Theodizee der Freiheit : Hegels Philosophie des geschichtlichen Denkens, Hegel-Studien: Beiheft 46; Hamburg, 2002 

·        Hyppolite, Jean, Introduction to Hegel´s Philosophy of History; Gainesville, 1996

·        Jaeschke, Walter, Kunst und Religion, in: Graf, Friedrich Wilhelm/Wagner, Falk: Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels Religionsphilosophie; Stuttgart, 1982, S. 163-195

·        Jaeschke, Walter, Staat aus christlichem Prinzip und christlicher Staat. Zur Ambivalenz der Berufung auf das Christentum in der Rechtsphilosophie Hegels und der Restauration, in: Der Staat 18 H, 3, Berlin, 1979, S. 349-374

·        Jaeschke, Walter, Die Religionsphilosophie Hegels; Darmstadt, 1983

·        Jaeschke, Walter, Vernunft in der Religion; Stuttgart-Bad Cannstatt, 1986

·        Jermann, Christoph, Die Familie, Die bürgerliche Gesellschaft, in: ders., Anspruch und Leistung der Hegelschen Rechtsphilosophie; Stuttgart-Bad Cannstatt, 1987, S. 145-182

·        Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werke Bd. 7, Frankfurt/M., 1974

·        Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft; Werke Bd. 3 und 4, Frankfurt/M., 1974

·        Kant, Immanuel, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1; Werke Bd. 9, Frankfurt/M., 1977

·        Kettner, Matthias, Revolutionslogik. Zur Begriffsform von Hegels Deutungen der Französischen Revolution, in: Die Ideen von 1789 in der deutschen Rezeption, Herausgegeben vom Forum für Philosophie Bad Homburg; Frankfurt/M., 1989, S. 186-204

·        Keyserlingk, Alexander von, Die Erhebung zum Unendlichen: eine Untersuchung zu den spekulativ-logischen Voraussetzungen der Hegelschen Religionsphilosophie; Frankfurt/M., 1995

·        Kosian, Jozef, Staatsräson und das Recht des Herzens, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994; Berlin, 1995, S. 457-562

·        Löwith, Karl, Von Hegel zu Nietzsche; Hamburg, 1995

·        Maihofer, Werner, Hegels Prinzip des modernen Staates, in: Riedel, M., Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2, Frankfurt/M., 1975, S. 361-391

·        Mansfeld, Jaap, Die Vorsokratiker 1, Stuttgart, 1999

·        Marx, Karl, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke, Bd. 1, S. 378-391 (Berlin, 1981)

·        Ottmann, Henning, Die Weltgeschichte, in: Siep, Ludwig, Grundlinien der Philosophie des Rechts; Berlin, 1997, S. 267-286

·        Peperzak, Adriaan, Selbsterkenntnis des Absoluten. Grundlinien der Hegelschen Philosophie des Geistes; Stuttgart-Bad Cannstatt, 1987,  

·        Peperzak, Adriaan, Zur Hegelschen Ethik, in: Henrich, Dieter/Horstmann, Rolf-Peter(Hg.), Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik; Stuttgart, 1982, S. 103-131

·        Philipsen, Peter-Ulrich, Dekonstruktion als schlechte Unendlichkeit?, in: Arndt, Andreas/Iber, Christian, Hegels Seinslogik; Berlin, 2000, S. 186-201

·        Rawls, John, Geschichte der Moralphilosophie; Frankfurt/M., 2002

·        Ritter, Joachim, Hegel und die Französische Revolution; Frankfurt/M., 1965

·        Ritter, Joachim, Moralität und Sittlichkeit, in: Riedel Manfred (Hg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2; Frankfurt/M., 1975, S. 217-244

·        Scheit, Herbert, Geist und Gemeinde. Zum Verhältnis von Religion und Politik bei Hegel; München, Salzburg, 1973

·        Schnädelbach, Herbert, Hegels praktische Philosophie; Frankfurt/M., 2002

·        Schulz, Michael, Sein und Trinität. Systematische Erörterungen der Religionsphilosophie Hegels; St. Ottilien, 1997

·        Siep, Ludwig, Was heißt „Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie, in: Hegel-Studien, Bd. 17; Bonn, 1982, S. 75-96

·        Siep, Ludwig, Hegels politische Anthropologie, in: Höffe, Otfried, Der Mensch - ein politisches Tier?; Stuttgart, 1992, S. 110-133

·        Siep, Ludwig, „Gesinnung“ und „Verfassung“. Bemerkungen zu einem nicht nur Hegelschen Problem, in: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus; Frankfurt/M., 1991, S. 270-284

·        Taylor, Charles, Hegel; Frankfurt/M., 1978

·        Theunissen, Michael, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat; Berlin, 1970

·        Tugendhat, Ernst, Selbstbewußtein und Selbstbestimmung; Frankfurt/M., 1979,

·        Wagner, Falk, Religion zwischen Rechtfertigung und Aufhebung. Zum systematischen Ort von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: Henrich, Dieter/Horstmann, Rolf-Peter (Hg.), Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes; Stuttgart, 1984, S. 127-150

·        Wagner, Falk, Zum begrifflichen Aufbau und argumentativen Duktus von Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie Bd. 22; Wien, 1990, S. 115-133

·        Znoj, Milan, Der Patriotismus als politische Gesinnung bei Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994; Berlin, 1995, S. 231-237

 


VI.III. Lebenslauf

 

 

Leonhard Weiss

 

 

 

 

 

 



[1] Böckenförde, E.-W., Recht, Staat, Freiheit, S. 112

[2] Auf österreichischer Ebene gab es zwar einen gemeinsamen Beschluss aller im Ökumenischen Rat der Kirchen vereinten christlichen Kirchen, keinen „Gottesbezug“ in der Verfassung zu fordern, seitens katholischer Kirchenvertreter wurde aber auch nach diesem Beschluss ein solcher Bezug immer wieder eingemahnt. So meinte etwa der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, in seiner Ansprache zum Jahreswechsel 2003/04, es wäre sinnvoll, in der Verfassung Gott „als den Garanten und Beschützer des Menschen“ zu nennen. (Vgl. zum Beschluss der christlichen Kirchen betreffs eines „Gottesbezuges“: http://religion.orf.at/projekt02/news/0311/ne031121_konvent_fr.htm, und zur Silvesteransprache Kardinal Schönborns: http://religion.orf.at/projekt02/news/0312/ne031231_schoenborn_fr.htm)

[3] VPRs I, S. 236

[4] VPG, S. 70

[5] Vgl.: GPR, § 270 Z, S. 431

[6] Im Folgenden zitiert als: GPR

[7] Im Folgenden zitiert als: WL I + II

[8] Im Folgenden zitiert als: EPW

[9] EPW III, § 535, S. 330

[10] Ludwig Siep interpretiert das Hegel’sche Konzept derart, dass sich das „sittliche Verhältnis“ innerhalb der Entwicklung der Sittlichkeit über vier Stufen hinweg zu der adäquaten Erkenntnis, dass die Sitten, Institutionen und Gesetze Gestaltungen der Freiheit sind, entfaltet. (Siep, L., Was heißt „Aufhebung der Moralität in der Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie?, in: Hegel-Studien, 17, S. 75-96)

[11] Maihofer, W., Hegels Prinzip des modernen Staates, in: Riedel, M., Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2, S. 265 f.

[12] GPR, § 142, S. 292

[13] Vgl.: „Indem sich aber das Resultat ergeben hat, daß die Idee die Einheit des Begriffs und der Objektivität, das Wahre ist, so ist sie nicht nur als ein Ziel zu betrachten, dem sich anzunähern sei, das aber selbst immer eine Art von Jenseits bleibe, sondern daß alles Wirkliche nur insofern ist, als es die Idee in sich hat und ausdrückt.“ (WL II, S. 464)

[14] GPR, § 257, S. 398

[15] GPR, § 158, S. 307

[16] Vgl.: GPR, § 164, S. 315

[17] In einem Zusatz zum Paragrafen 164 wendet sich Hegel gegen die von Friedrich v. Schlegel vertretene Position, dass sich die Ehe im Gefühl der Liebe erschöpft und ein förmlicher Vertrag derselben schadet. (Vgl.: GPR, § 164 Z, S. 317)

[18] Jermann, Ch., Die Familie, Die bürgerliche Gesellschaft, in: ders., Anspruch und Leistung der Hegelschen Rechtsphilosophie, S. 156

[19] Vgl.: GPR, § 163 Z, S. 314 f.

[20] Ebd., § 173 Z, S. 326

[21] GPR, § 173, S. 325

[22] Hegel versteht hier jede Familie als eine rechtliche Person.

[23] GPR, § 181, S. 338

[24] Vgl.: EPW, § 539, S. 331

[25] Ebd.

[26] Habermas, J., Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 50

[27] Vgl.: Jermann, Ch., Die Familie, Die bürgerliche Gesellschaft, in: ders., Anspruch und Leistung der Hegelschen Rechtsphilosophie, S. 166

[28] GPR, § 183, S. 340

[29] Um das, was Hegel als „Staat“ bezeichnet, von diesem „Not- und Verstandesstaat“ abzugrenzen, schlägt Claus Bärsch vor, innerhalb der Hegel’schen Texte statt „Staat“ „Staatsgesellschaft“ zu lesen. (Vgl.: Bärsch, C., Staat und ‚Corpus Christi Mysticum‘. Religionspolitologische Aspekte der Hegelschen Philosophie des Staates, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994, S. 256-259) Obwohl dies meines Erachtens ein durchaus sinnvoller Vorschlag ist, werde ich aber im Folgenden beim Hegel’schen Wortgebrauch bleiben und weiter den Begriff „Staat“ benützen.

[30] Dies zeigt sich auch in der Binnenstruktur der diesbezüglichen Kapitel der GPR. Am Beginn steht das „System der Bedürfnisse“, dominiert von der Befriedigung der besonderen Wünsche, dann folgt „Die Rechtspflege“ als Ausdruck des Allgemeinen und den Schluss bilden „Polizei und Korporation“ als, wenn auch unzureichende, Vermittlung von Besonderheit und Allgemeinheit. (Vgl.: GPR, § 188, S. 346)

[31] GPR, § 182 Z, S. 339

[32] In einer Anmerkung zum Paragrafen 189 der GPR nennt Hegel Adam Smith, Jean Baptiste Say und David Ricardo. (Vgl.: GPR, § 189 A, S. 346 f.)

[33] GPR, § 183, S. 340

[34] Jermann deutet die Beziehung Einzelheit - Allgemeinheit auf der Stufe der bürgerlichen Gesellschaft als eine wesenslogische Relation, da „die beiden Relata sich gegenseitig negieren, aber schon deswegen aufeinander angewiesen sind“. (Jermann, Ch., Die Familie, Die bürgerliche Gesellschaft, in: ders., Anspruch und Leistung der Hegelschen Rechtsphilosophie, S. 167)

[35] Wie sehr Hegel die Sprengkraft dieser Entwicklung erkannte, zeigt sich unter anderem in seinem Verweis darauf, dass diese der „letzte Grund des Untergangs“ der „alten Staaten“ war. (GPR, § 185 Z, S. 341)

[36] Vgl.: GPR, § 255 Z, S. 397

[37] Vgl.: GPR, § 253 Z, S. 396

[38] Vgl.: Siep, L., Was heißt „Aufhebung der Moralität in der Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie?, in: Hegel-Studien, Bd. 17, S. 89

[39] Vgl.: GPR, § 260, S. 406 f.

[40] Vgl.: GPR, § 153 Z, S. 304

[41] GPR, § 258, S. 399

[42] GPR, § 258 A, S. 399

[43] GPR, § 258, S. 399

[44] Vgl.: GPR, Vorrede, S. 15

[45] Laut Ludwig Siep offenbart die historische Entwicklung des menschlichen Bewusstseins für Hegel „die Wahrheit“, dass die „geistige Existenz“ des Menschen als bewusst wollendes und handelndes Wesen die staatliche Rechtsordnung verlangt. (Vgl.: Siep, L., Hegels politische Anthropologie, in: Höffe, O., Der Mensch - ein politisches Tier?, S. 122)

[46] Wörtlich schreibt Hegel hier: „Wille ohne Freiheit ist ein leeres Wort, so wie die Freiheit nur als Wille, als Subjekt wirklich ist.“ (GPR, § 4  Z, S. 46)

[47] An derselben Stelle setzt sich Hegel gegen alle Versuche zu Wehr, Denken und Wollen als voneinander unabhängig gegenüberzustellen, denn „es sind nicht etwa zwei Vermögen, sondern der Wille ist eine besondere Weise des Denkens“. (GPR, § 46 Z, S. 47)

[48] Hegel verweist in diesem Zusammenhang auf das Ich = Ich der Fichte’schen Wissenschaftslehre.

[49] GPR, § 7 Z, S. 57

[50] Axel Honneth setzt die beiden von Hegel abgelehnten Freiheitsbegriffe („negative Freiheit“ und Freiheit als Umgang mit als extern und „endlich“ verstandenen Objekten) mit den Sphären von „Recht“ und „Moralität“ parallel und interpretiert Hegels Einführung der „Sittlichkeit“ als versuchte Aufhebung dieser beiden defizitären Konzepte. (Vgl.: Honneth, A., Leiden an Unbestimmtheit, S. 22 ff.)

[51] GPR, § 7 Z, S. 57

[52] GPR, § 260, S. 406 f.

[53] Dieser neue Gedanke, mit dessen Hilfe Hegel sowohl die Überlegenheit als auch die Krisenhaftigkeit der Moderne erklärt, differenziert sich laut Habermas in vier Momente: Individualismus, Recht der Kritik, Autonomie des Handelns und idealistische Philosophie. (Vgl.: Habermas, J., Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 27)

[54] GPR, § 528 A, S. 400

[55] Wieweit Hegel Rousseau damit unrecht tut bzw. wieweit ihm, wie es etwa Shlomo Avineri zu erkennen meint, tatsächlich die „Bedeutung der Rousseauschen Unterscheidung zwischen la volontè gènèral und la volontè de tous entgeht“, ist hier nicht zu debattieren. (Vgl.: Avineri, S., Der Staat - das Bewusstsein der Freiheit, in: Riedel, M,, Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2, S. 401)

[56] GPR, § 528 A, S. 400

[57] GPR, § 75 Z, S. 159

[58] Wie Hösle zu Recht schreibt, wäre die Hegel’sche Argumentation hier allerdings nur dann stringent, wenn der Emigrant nicht nur einen besonderen Staat, sondern die Sphäre der Staatlichkeit als solcher verließe, da er nur dann der „vernünftigen Bestimmung des Menschen“ (Vgl.: GPR, § 75Z) widersprechend handeln würde. (Vgl.: Hösle, V., Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Bd. 2, S. 557)

[59] Im Folgenden zitiert als: VPG

[60] Vgl. dazu: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (im Folgenden zitiert als: VGP), S. 61 f.

[61] VGP III, S. 307

[62] GPR, § 258 A, S. 401

[63] EPW III, § 483, S. 303

[64] GPR, § 258 Z, S. 403

[65] VGP III, S. 367

[66] VGP III, S. 367

[67] Im § 4 der GPR nennt Hegel das Rechtssystem „das Reich der verwirklichten Freiheit“. (GPR, § 4, S. 46)

[68] GPR, § 278 A, S. 443

[69] VPG, S. 57

[70] Man vergleiche die bereits erwähnte Stelle (§ 4 Z) der GPR.

[71] Ähnlich argumentiert Hegel auch in den VPG, wo es heißt, nur der dem Gesetz gehorchende Wille sei frei, denn er gehorche sich selbst. (Vgl.: VPG, S. 57)

[72] GPR, § 149, S. 298

[73] In den VGP nennt Hegel das Beispiel, dass ein Diebstahlsverbot nach kantischer Argumentation nur dann haltbar wäre, wenn zuerst das Recht auf Eigentum gesetzt wäre. Ein solches Recht ist aber nicht aus dem Kategorischen Imperativ ableitbar. (Vgl.: VGP III, S. 368 f.) Fraglich ist allerdings, ob Hegel hier die zweite Formulierung des Sittengesetzes bei Kant, das Gebot, jeden Menschen immer auch als Selbstzweck zu betrachten, ausreichend berücksichtigt. Vgl: „Handle so, dass du die Menschehit, sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (Kant, I., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA66f, S. 61)

[74] Honneth, A., Leiden an Unbestimmtheit, S. 75

[75] GPR, § 147, S. 295

[76] Hüffer, Wilm, Theodizee der Freiheit. Hegels Philosophie des geschichtlichen Denkens, S. 162 f.

[77] Kosian betrachtet diese „Zeitvergessenheit“ beim späten Hegel als starke Abwendung von Hegels früheren Überlegungen, wo das „Bewusstsein des Werdens“ noch viel stärker in das Gegenwartsverständnis einbezogen gewesen sei. (Vgl.: Kosian, J., Staatsräson und Recht des Herzens, in: Hegel-Jahrbuch 1993/94, S. 457-462)

[78] Vgl.: GPR, § 10, S. 60 f.

[79] Meine diesbezügliche Interpretation des Hegel’schen Textes folgt gewissermaßen Überlegungen von A. Honneth. (Vgl.: Honneth, A., Leiden an Unbestimmtheit, S. 25 ff.)

[80] Vgl.: GPR, § 7 Z, S. 57

[81] Auch wenn, wie etwa Claudio Cesa betont, eine strikte Unterscheidung der Prinzipien „Staat“ versus „Moderner Staat“ innerhalb einer Interpretation der Hegelschen Philosophie durchaus problematisch ist. (Vgl.: Cesa, Claudio, Entscheidung und Schicksal: die fürstliche Gewalt, in: Henrich, D./Horstmann, R.-P. [Hg.], Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, S. 187)

[82] Sergio Dellavalle führt diesen Begriff in Anlehnung an Jürgen Habermas ein und umschreibt damit das von mir in diesem Kapitel behandelte spannungsreiche Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen in der Hegel’schen Philosophie. (Vgl.: Dellavalle, S., Hegels dreieinhalb Modelle zum Bürger-Staat-Verhältnis, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994, S. 191-203)

[83] Vgl.: GPR, § 260, S. 407

[84] Vgl.: Maihofer, W., Hegels Prinzip des modernen Staates, in: Riedel, M., Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2, S. 361-391

[85] Als Kennzeichnung der unterschiedlichen Prinzipien erscheint mir diese Einteilung durchaus sinnvoll, obwohl sie sehr wohl auch problematisch wirkt, da die Trennung von „Neuzeit“ und  „Moderne“ in der Hegel’schen Philosophie nicht immer ganz deutlich ist. So beginnt Hegel in den VPG seine Erörterung der Französischen Revolution (für Maihofer die entschiedenste Verwirklichung des neuzeitlichen Prinzips) mit den Worten „ […] kommen wir an das letzte Stadium der Geschichte, an unsere Welt, an unsere Tage“. Wenn die politische Neuzeit das letzte Stadium wäre, gäbe es aber keinen Platz für die Moderne.

[86] GPR, § 260 Z, S. 407

[87] VPG, S. 527

[88] Adam, A., Despotie der Vernunft? Hobbes, Rousseau, Kant, Hegel, S. 269

[89] GPR, § 270, S. 415

[90] Was sich auch daran zeigt, dass Hegel in den Erläuterungen zum genannten Paragrafen auf die Religion als - individuelle - Bewusstseinsform und ihr Verhältnis zum Staat eingeht.

[91] Eine ähnliche Deutung scheint auch Axel Honneth zu vertreten, wenn er schreibt, die Absicht Hegels wäre es, „allgemeine Prinzipien der Gerechtigkeit in Form einer Rechtfertigung derjenigen sozialen Bedingungen zu entwickeln, unter denen ‚die Subjekte wechselseitig in der Freiheit des anderen eine Voraussetzung der eigenen Selbstverwirklichung erblicken können`“. (Vgl.: Honneth, A., Leiden an Unbestimmtheit, S. 34 f.)

[92] GPR, § 272 Z, S. 434

[93] GPR, § 272, S. 432

[94] GPR, § 302, S. 471

[95] Bemerkt werden muss, dass Hegel nicht von einer Neuschaffung einer Verfassung ausgeht, sondern eher von einer Ausdifferenzierung. Allerdings ist die Verfassung, obwohl sie als das „Göttliche und Beharrende“ zu betrachten ist (Vgl.: GPR, § 273 A, S. 439), ebenso wesentlich im Werden (Vgl.: GPR, § 298 Z, S. 465).

[96] GPR, § 251, S. 394

[97] Vgl.: GPR, § 308, S. 476

[98] Damit scheint sich Hegel gegen das allgemeine freie Wahlrecht zu wenden, bei dem die „Vereinigung“ der Einzelnen ja tatsächlich nur durch eine „temporäre“ Handlung erfolgt - durch die Wahl. Die Repräsentation eines Standes scheint für Hegel eine dauerhaftere Verbindung von Vertreter und Vertretenem zu garantieren.

[99] GPR, § 309 Z, S. 478

[100] Zur Bedeutung der Stände im von Hegel entworfenen politischen System vgl.: Avineri, Sh., Soziale Stände, Repräsentation und Pluralismus, in: ders., Hegels Theorie des modernen Staates, S. 187-210

[101] Vgl.: GPR, § 315 Z, S. 482

[102] GPR, § 317 Z, S. 485

[103] Vgl.: GPR: § 279, S. 444 f.

[104] Zu bedenken ist hier, dass Hegel selbst dem Monarchen insofern keine sehr entscheidende Funktion einräumt, als er dessen Tätigkeit mit dem Setzen des Punkts auf dem I vergleicht. In einem ausgebildeten politischen System regiert Hegel zufolge das Gesetz, das zum In-Kraft-Treten nur die formelle Beglaubigung der Unterzeichnung durch den Fürsten braucht. (Vgl.: GPR: § 280 Z, S. 451)

[105] Vittorio Hösle sieht in dieser Umkehrung in erster Linie eine Akkommodation Hegels an die „kontingenten Zeitverhältnisse“. Für Claudio Cesa hingegen ist die Änderung auch vom theoretischen Anspruch her gerechtfertigt, da Hegel damit seiner eigenen Argumentation folge, dass die fürstliche Gewalt der Grund sei, warum es ein Volk gebe (Vgl.: Hösle, V., Der Staat, in: Jermann, Ch., Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie, S. 200 ff., Cesa, C., Entscheidung und Schicksal: die fürstliche Gewalt, in: Henrich, D./Horstmann, R.-P. [Hg.], Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, S. 199)

[106] Vgl.: GPR, § 279 Z, S. 449

[107] Vgl.: Hösle, Vittorio, Hegels System, S. 561

[108] Vgl.: Schnädelbach, Herbert, Hegels praktische Philosophie, S. 308 f.

[109] GPR, § 268 Z, S. 414

[110] Man denke nur an Hobbes’ Erläuterungen der Ursachen der Staatsentstehung im Leviathan, wo es gerade die Furcht ist, die die Menschen zum Eintritt in das Gemeinwesen verleitet und die Einhaltung der Gesetze bewirkt. (Vgl.: Hobbes, T., Leviathan, S. 131-135)

[111] Vgl.: GPR, Vorrede, S. 18 f.

[112] Ebd. S. 19

[113] Vgl.: Znoj, M., Der Patriotismus als politische Gesinnung bei Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994, S. 233

[114] GPR, § 268 A, S. 413

[115] Tugendhat, E., Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, S. 349

[116] GPR, § 137 A, S. 255

[117] GPR, § 137 A, S. 255

[118] Vgl.: GPR, § 132 A, S. 245

[119] GPR, § 137 A, S. 255

[120] Ebd.

[121] Fast beschwörend wirkt Hegel diesbezüglich, wenn er schreibt: „Wenn aber das gute Herz, die gute Absicht und die subjektive Überzeugung für das erklärt wird, was den Handlungen ihren Wert gebe, so gibt es keine Heuchelei und überhaupt kein Böses mehr, denn was einer tut, weiß er durch Reflexion der guten Absichten und Bewegungsgründe zu etwas Gutem zu machen, und durch das Moment seiner Überzeugung ist es gut.“ (GPR, § 140 A, S. 274)

[122] Eine interessante Vermutung, warum Hegel an so vielen Stellen seines Werkes vor den Gefahren eines übertriebenen Subjektivismus für die Gemeinschaft warnt, aber nur selten vor denen eines Vernachlässigens der Subjektivität, äußert Adriaan Peperzak. Laut Peperzak waren für Hegel Positionen, die alleine auf das Recht des Bestehenden pochten, geistesgeschichtlich bereits überwunden, da sie alleine dem antiken, nicht aber dem modernen Menschenbild entsprachen. Hegel hielt, so Peperzak, „eine Wiederkehr ihres objektiven Totalitarismus für unwahrscheinlich“. (Vgl.: Peperzak, A., Zur Hegelschen Ethik, in: Henrich, D./Horstmann, R.-P. [Hg.], Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, S. 120 f.)

[123] Vgl.: GPR, § 132 A, S. 246 f.

[124] Vgl.: GPR, § 132 A, S. 246 f.

[125] Dahlstrom, D., Die Zweideutigkeit des Gewissens, in: Hegel/Jahrbuch 1993-1994, S. 442

[126] Vgl.: GPR, § 138 Z, S. 260

[127] Siep, L., Was heißt: „Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie?, in: Hegel-Studien, Bd. 17, S. 95

[128] GPR, § 132 A, S. 255

[129] Amengual, G., Das Gewissen als das höchste Recht des Subjekts, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994, S. 435

[130] GPR, § 268, S. 413

[131] RPi IV, S. 641

[132] GPR, § 268 A, S. 413

[133] Vgl.: Znoj, M., Der Patriotismus als politische Gesinnung bei Hegel, in: Hegel-Jahrbuch 1993/1994, S. 234

[134] Vgl.: GPR, § 268: S. 413

[135] Vgl.: RPi IV, S. 642

[136] Wie bereits erwähnt, findet sich in den GPR unter anderem im Zusatz zu § 138 eine diesbezügliche Bemerkung.

[137] GPR, § 30 A, S. 83

[138] Vgl.: VPG, S. 329 f.

[139] Vgl.: Siep, L., Was heißt: „Aufhebung  der Moralität in Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie?, in: Hegel-Studien, Bd. 17, S. 91

[140] Ritter, J., Moralität und Sittlichkeit, in: Riedel, M. (Hg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie 2, S. 237

[141] Vgl.: GPR, § 268, S. 413

[142] In den VPG hebt Hegel als wesentliches Moment des modernen Staates die „Gesinnung, daß die Gesetze und die Verfassung überhaupt das Feste seien“ hervor. (Vgl.: VPG, S. 531)

[143] Vgl.: RPi IV, S. 642

[144] Im Folgenden zitiert als: PhG

[145] Vgl.: PhG, S. 266 f.

[146] VPG, S. 404

[147] Vgl.: Hösle, V., Hegels System II, S. 476

[148] Auf die diesbezügliche Bedeutung und Rolle dessen, was Hegel „Volksgeist“ nennt, werde ich an späterer Stelle noch zu sprechen kommen.

[149] Für Hegel geht es hier zentral um die Frage nach der Existenz Gottes. Eine nähere Behandlung dieses Gedankens folgt später.

[150] Vgl.: Wagner, F., Zum begrifflichen Aufbau und argumentativen Duktus von Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie Bd. 22, S. 115-133

[151] Vgl.: VPRs I, S. 236-246

[152] VPRs I, S. 43

[153] VPRs I, S. 182

[154] Vgl.: „Wenn es mit dem Wort Gott überhaupt in der Religion Ernst ist, so darf und muß die Bestimmung  auch von ihm, dem Inhalte und Prinzip der Religion, anfangen, und wenn ihm das Sichoffenbaren abgesprochen wird, so bliebe von einem Inhalte desselben nur dies übrig, ihm Neid zuzuschreiben.“ (EPW III, § 564 A, S. 373)

[155] Vgl.: VPRs I, S. 128

[156] Bekannt ist in diesem Zusammenhang auch Hegels Einwand geworden, würde Religion allein im Gefühl basieren, müssten auch Tiere Religion haben. (Vgl. u. a.: VPRs I, S. 129 und 168)

[157] Vgl.: VPRs I, S. 134

[158] VPRs I, S. 129

[159] Bei seiner Erörterung der Bedeutung der christlichen Gemeinde greift Hegel abermals auf diesen Gedanken zurück und schreibt, dass, wenn die Religion Zuflucht zur Empfindung nimmt, die Kirche keine Gemeinschaft mehr hat und in Atome zerfällt, denn jedes Individuum habe ein eigenes Gefühl, eigene Empfindung und eine besondere Weltanschauung”. (Vgl.: VPRs II, S. 340) 

[160] VPRs I, S. 50

[161]Vgl.: Wagner, F., Zum begrifflichen Aufbau und argumentativen Duktus von Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie, Bd. 22, S. 121

[162] Vgl.: VPRm I, S. 268 f.

[163] Den Schritt von der abstrakten Lehre von Gott zu einer Behandlung der Religion als Verhältnis sieht Hegel in der „neueren Theologie“ getan. (Vgl.: VPRs I, S. 101 f.)

[164] Die Überlegungen Hegels dazu sind natürlich sowohl mit seiner Interpretation des Christentums als auch mit seinem Verständnis von „Geist“ eng verknüpft. In einer Anmerkung zu § 364 der EPW schreibt Hegel: „Gott ist nur Geist insofern er sich selber weiß; sein Sichwissen ist ferner sein Selbstbewußtsein im Menschen und das Wissen des Menschen von Gott, das fortgeht zum Sichwissen des Menschen in Gott.“ (EPW, § 364 A, S. 374)

[165] Vgl.: VPRs I, S. 167

[166] Eine genauere Auseinandersetzung mit Hegels Bestimmung „wahrer Unendlichkeit“ folgt an späterer Stelle dieser Arbeit.  Vgl.: IV.III. Endlichkeit und Unendlichkeit - ein „Exkurs“ zur Logik

[167] Keyserlingk, A., Die Erhebung zum Unendlichen: eine Untersuchung zu den spekulativ-logischen Voraussetzungen der Hegelschen Religionsphilosophie, S. 210

[168] Daher kann Jaeschke schreiben, die Gemeinde fände „ihren eigentlichen Ort innerhalb der Philosophie“. (Jaeschke, W., Hegels Religionsphilosophie, S. 108)

[169] Vgl.: Dellbrügger, G., Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. Hegels Theorie des Kultus, S. 309 f.

[170] Ein menschheitsgeschichtlicher Fortschritt, den Hegel mit dem Auftreten des Christentums verwirklicht sieht.

[171] Ein Ende, das sich weniger in einem Verschwinden als in einem Bedeutungsverlust der Kunst manifestiert. Entscheidend ist hier, wie Jaeschke völlig zu Recht schreibt, dass die Hegel’sche These vom „Ende der Kunst“ nur dann diskussionswürdig ist, wenn die Aufgabe der Kunst in der Darstellung des Absoluten gesehen wird. Wird dieser Hegel’sche Gedanke nicht geteilt, kann auch das „Ende der Kunst“ nicht in Bezug auf Hegel begründet oder widerlegt werden. Zu weit geht Jaeschke meines Erachtens allerdings, wenn er das „Absolute“ allein auf die religiösen Aspekte dieses Begriffs reduziert. Auch wenn die Kunst etwa die „Absolutheit“ des Menschenbegriffs thematisiert, steht sie vor dem Problem der möglicherweise als unzulänglich empfundenen Darstellung dieses Begriffs im angeschauten Bild. (Vgl.: Jaeschke, W., Kunst und Religion, S. 184)

[172] VPRs I, S. 141

[173] Vgl.: VPRs II, S. 339

[174] In § 573 der EPW spricht Hegel von der Gleichheit der Inhalte von Religion und Philosophie. (Vgl.: EPW, § 573 A, S. 379)

[175] VPR I, S. 152

[176] Vgl.: Löwith, K., Von Hegel zu Nietzsche, S. 356

[177] Vgl.: Schulz, Michael, Sein und Trinität, S. 310 ff.

[178] Schulz, M., Sein und Trinität, S. 310

[179] Vgl.: VPRs I, S. 154

[180] Vgl.: VPRs II, S. 256-260

[181] Taylor, Ch., Hegel, S. 611

[182] EPW, § 573 A, S. 379

[183] Wagner, F., Religion zwischen Rechtfertigung und Aufhebung, S. 135

[184] Vgl.: ebd. S. 144

[185] Ebd. S. 148

[186] Vgl.: „Aber diese Versöhnung ist selbst nur eine partielle, ohne äußere Allgemeinheit; die Philosophie ist in dieser Hinsicht ein abgesondertes Heiligtum“. (VPRs II, S. 343)

[187] Vgl.: VPRm III, S. 167-167, S. 262-270

[188] In einem von D. F. Strauss überlieferten Auszug einer Nachschrift der religionsphilosophischen Vorlesungen aus dem Jahr 1831 findet sich eine sehr prägnante Zusammenfassung der Hegel’schen Ausführungen zum Kultus, an der ich mich im Folgenden orientieren werde (zur Dignität dieses Textes vgl.: VPRm I, S. XLVI), die ich aber um einige an anderer Stelle von Hegel gemachte Erläuterungen erweitern möchte.

[189] VPRm I, S. 360

[190] Vgl.: die oben erwähnte Interpretation der „Erbsünde“.

[191] VPRs II, S. 253

[192] VPRm I, S. 360

[193] Vgl.: VPRm I, S. 360

[194] Vgl.: VPRm I, S. 333

[195] Vgl.: ebd.

[196] VPRm I, S. 334

[197] Jedoch muss bemerkt werden, dass, wie Herbert Scheit zu Recht betont, „Kult“ „nicht als die sakrale Umschreibung für ‚Arbeit’ genommen werden kann, weil der Kult gar nichts ‚hervorbringt’.“ (Scheit, H., Geist und Gemeinde, S. 225) Die religiöse, kultische Handlung hat ihren Zweck in sich selbst, dient also nicht einem ihr fremden Telos.

[198] Dies ist allerdings nur eine mögliche den Hegel’schen Texten über die verschiedenen Religionen zu Grunde liegende Ordnungsstruktur. Jaeschke weist nach, dass Hegel auch die Dreiteilung der Logik (Sein, Wesen und Begriff) und die drei wesentlichen Formen des Gottesbeweises als Grundstruktur der Religionsgeschichte interpretiert hat. Letztlich scheint mir das von Jaeschke als „wenig originell“ bezeichnete Schema von „Einheit“, „Entzweiung“ und „Versöhnung“ im Kontext der in dieser Arbeit behandelten Frage am interessantesten. (Vgl.: Jaeschke, W., Vernunft in der Religion, S. 276-283)

[199] Hegel erwähnt in diesem Zusammenhang Athene als göttliche Macht, mit der sich die Athener „ursprünglich einig“ wissen. (Vgl.: VPRs I, S. 222)

[200] VPRs I, S. 223

[201] Ebd.

[202] Vgl.: VPRs, S. 224

[203] VPRm, S. 360

[204] Jaeschke, W., Vernunft in der Religion, S. 203

[205] Hegel verweist in diesem Zusammenhang auf die biblische Erzählung des Pfingstwunders. Die „Ausgießung des Geistes“ konnte dort nur nach dem physischen Tod Christi erfolgen, erst nachdem „die sinnliche, unmittelbare Gegenwart aufgehört hat“, so Hegel. (Vgl.: VPRs II, S. 308)

[206] VPRs II, S. 314

[207] Vgl.: VPRs II, S. 318

[208] Vgl.: VPRs II, S. 322

[209] Hegel verwendet an dieser Stelle die Termini „Kirche“ und „Gemeinde“ synonym.

[210] Vgl.: VPRs II, S. 323 f.

[211] Dies gilt nach Hegels Verständnis für jede Form der Wahrheit, auch für die „sinnliche“ Wahrheit, die Hegel aber nicht als Wahrheit im engeren Sinn ansieht. (Vgl.: VPRm III, S. 258)

[212] Vgl.: VPRm III, S. 258

[213] Vgl.: ebd. S. 259

[214] Vgl.: VPRs II, S. 330

[215] Vgl.: VPRs II, S. 331

[216] Ebd.

[217] VPRs II, S. 332

[218] Vgl.: ebd.

[219] Aber vielleicht hat Henning Ottmann mit seiner Vermutung Recht, dass Hegels Verweis am Ende seiner rechtsphilosophischen Ausführungen auf die Geschichte als alle Staaten einholende Instanz auch „Respekt vor der Vielfalt der Völker und ihrer Lebensformen“ ausdrückt. (Ottmann, H., Die Weltgeschichte, S. 284, in: Siep L. [Hg.], Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 267-286)

[220] Vgl.: GPR, § 334, S. 500

[221] Zu den durchaus sehr diskussionswürdigen Thesen Hegels über die Bedeutung des Krieges vgl. u. a.: Rawls, J., Geschichte der Moralphilosophie, S. 462-466; Avineri, Sh., Hegels Theorie des modernen Staates, S. 231-246

[222] Vgl.: VPG, S. 87

[223] Vgl.: ebd. S. 72

[224] Vgl.: ebd. S. 99

[225] In diesem Sinne heißt es bei Jean Hyppolite, das Individuum fände im Volksgeist „destination“ und „realization“. (Vgl.: Hyppolite, J., Introduction to Hegel´s Philosophy of history, S. 7 f.)

[226] Vgl.: VPG, S. 98

[227] Hegel spricht in diesem Zusammenhang sogar vom „natürlichen Tod“. (Vgl.: VPG, S. 100)

[228] Vgl.: I.IV.II. Ein Grundgefühl der Ordnung

[229] Vgl.: VPG, S. 56

[230] Ebd. S. 83

[231] VPG, S. 60

[232] Vgl.: Hegels Ausführungen über die Bedeutung Solons (VPG, S. 307 ff.)

[233] Vgl.: Avineri, S., Hegels Theorie des modernen Staates, S. 263

[234] Vgl.: EPW, § 394 f . + Zusätze

[235] VPG, S. 101

[236] Vgl.: ebd. S. 102

[237] EPW, § 552, S. 353

[238] Peperzak, A., Selbsterkenntnis des Absoluten, S. 77

[239] Als Ausdruck genau dieser Kompetenz des Denkens versteht Hegel etwa die Gottesbeweise; vor allem das „ontologische“ Argument des Anselm. Allerdings bleibt der Anselm’sche Gottesbeweis für Hegel insofern „abstrakt“, als er die Denknotwendigkeit eines der Differenz von logischer und ontischer Sphäre vorausgehenden Begriffs nur formal ableitet, nicht aber als „Erhebung zum Unendlichen“ aufzeigt. (VPRs I, S. 165)

[240] Vgl.: Peperzak, A., Selbsterkenntnis des Absoluten, S. 80

[241] EPW I, § 50, S. 231

[242] EPW, § 553, S. 366

[243] Vgl.: I.II. Staat und Freiheit

[244] EPW, § 481, S. 300

[245] Theunissen, M., Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, S. 114

[246] Die zweite für Hegel zweifellos mindestens ebenso entscheidende Deutungsvariante des „absoluten Geistes“, d. h. die Interpretation von Kunst, Religion und Philosophie als Stufen der Selbsterkenntnis des Absoluten, lasse ich hier beiseite. 

[247] VPG, S. 197, Ähnlich klingt Hegels Aussage aus den VPR, Religion wäre „das Wissen des Menschen von Gott und Wissen seiner in Gott“. (VPRs I, S. 236)

[248] Der Terminus „Bestimmung“ fasst meiner Meinung nach die mehrfache Bedeutung, die Hegel dem Freiheitsbegriff in Bezug auf den Menschen zumisst insofern gut, als er sowohl „teleologisch“ auch „substantialistisch“ gelesen werden kann.

[249] Vgl.: „Der Staat ist die wahrhafte Weise der Wirklichkeit [...] Die Religion ist das göttliche Wissen, das Wissen des Menschen von Gott und Wissen seiner in Gott“ (VPRs I, S. 236)

[250] Vgl.: VPG, S. 71

[251] VPRs I, S. 104

[252] Vgl.: EPW, § 252, S. 355

[253] Vgl.: GPR, § 270 A, S. 415

[254] Ebd. S. 416

[255] Vgl.: ebd.

[256] Marx, K. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, S. 378

[257] Ebd. S. 379

[258] Wir werden an späterer Stelle sehen, dass Hegel nur dem Christentum und in letzter Konsequenz sogar allein dem Protestantismus die Fähigkeit zugesteht, zu einem schlüssigen Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit zu gelangen. 

[259] VPG, S. 70

[260] Ebd.

[261] VPRs I, S. 236

[262] Vgl.: GPR, § 270 A, S. 415

[263] Vgl.: EPW, § 552, S. 355

[264] Vgl.: GPR, § 268 Z, S. 414

[265] Vgl.: EPW, § 552, S. 355

[266] Vgl.: Scheit, H., Geist und Gemeinde, S. 238

[267] Vgl.: u. a.: GPR, § 270 A, S. 420, Auf die (inhaltliche) Bestimmung der „wahrhaften Religion“ wird später einzugehen sein.

[268] VPRs I, S. 237

[269] Ebd. S. 238

[270] VPRs I, S. 238

[271] Ebd. S. 239

[272] Wobei Scheit selbst meines Erachtens Hegel nicht in dieser Form interpretiert. (Vgl.: Scheit, H., Geist und Gemeinde, S. 230-233)

[273] Vgl.: III.II. Der Volksgeist            

[274] Vgl.: EPW, § 562 A, S. 370

[275] VPG, S. 69

[276] Vgl.: VPG, S. 68

[277] VPG, S. 71

[278] EPW, § 552, S. 360

[279] Dem Alten Testament scheint Hegel - abgesehen von der von ihm sehr geschätzten und ausführlich interpretierten Geschichte vom „Sündenfall“ - generell wenig inhaltliche Tiefe, d. h. philosophisch redimensionierbare Wahrheit, zuzugestehen. Eine Tatsache, welche die Frage aufwirft, ob Hegel damit dem von ihm als „absolute Religion“ verstandenen Christentum gerecht wird, das sich doch auch auf die Schriften des Alten Testaments beruft.

[280] Ein Beispiel für diese Polemik ist Hegels offensichtlich zustimmende Erwähnung des Spottes Voltaires, wonach es besser gewesen wäre „wenn Gott den Juden Belehrung über die Unsterblichkeit der Seele gegeben hätte, als daß er sie lehrte auf den Abtritt zu gehen“. (Vgl.: VPRs I, S. 211)

[281] VPRs II, S. 89

[282] Vgl.: ebd.

[283] Vgl.: VPRs II, S. 85

[284] Vgl.: VPG, S. 243

[285] VPRs II, S. 82

[286] Vgl.: ebd. S. 87

[287] Vgl.: ebd. S. 89

[288] Vgl.: ebd.

[289] VPRs I, S. 212

[290] Wobei hier nicht zu debattieren ist, inwieweit Hegels Charakterisierungen dem historischen Judentum gerecht werden.

[291] EPW, § 436 Z, S. 226 f.

[292] VPRs I , S. 237

[293] Vgl.: ebd.

[294] VPRs II, S. 256

[295] Vgl.: II.III. „Begriff“ und „Form“ der Religion          

[296] VPRs I, S. 308

[297] Vgl.: ebd. S. 309

[298] Bei Hegel heißt es explizit: „ [...] es ist wesentlich, dies in seinem eigentlichen Sinn festzuhalten, daß nämlich nicht wir, in bloß äußerer Reflexion, es sind, welche von einer solchen Bestimmung zu der ihr anderen übergehen, vielmehr so, daß sie es an ihnen selbst sind, so überzugehen.“ (VPRs I, S. 310)

[299] Vgl.: WL I, S. 149-165

[300] Hartnack, J., Hegels Logik. Eine Einführung, S. 23

[301] Vgl.: „Das Unendliche ist in einfacher Bestimmung das Affirmative als Negation des Endlichen.“ (WL I, S. 149)

[302] Ebd. S. 157

[303] Ebd. S. 151

[304] Vgl.: ebd.

[305] Ebd. S. 155

[306] Vgl.: WL I, S. 149

[307] Eine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit Hegels diesbezüglichen Überlegungen liefert Alexander von Keyserlingk. (Vgl.: Keyserlingk, A., Die Erhebung zum Unendlichen, besonders: S. 147-177)

[308] Vgl.: WL I, S. 154

[309] Was Hegel an dieser Stelle kritisiert ist nichts anderes als das gemeinhin übliche Verständnis von „Unendlichkeit“.

[310] Vgl.: WL I, S. 155

[311] Trotzdem gelingt es Hegel nicht wirklich überzeugend, dieses neue Unendlichkeitsverständnis als Weiterentwicklung der vorangehenden zu argumentieren. Vielmehr wirkt es, als ob Hegel hier eine neue Sichtweise darlegt, ohne zu erklären, wie sie sich entwickelt. Peter-Ulrich Philipsen, für den an der fraglichen Stelle der WL sogar ein „Bruch“ existiert, vermeint zu erkennen, dass es für Hegel von „entscheidender Bedeutung“ sei, dass „es keinen Übergang, keine Vermittlung von ‚schlechter’ zu ‚wahrer’ Unendlichkeit gibt und geben kann“, da Hegel die Kategorie „Endlichkeit“ als solche als unwahr aufzeigen möchte. (Vgl.: Philipsen, P.-U., Dekonstruktion als schlechte Unendlichkeit?, S. 191 f.)

[312] Welcher selbstverständlich nicht als zeitlicher zu verstehen ist.

[313] WL I, S. 160

[314] Ebd.

[315] Ebd.

[316] Vgl.: Keyserlingk, A., Die Erhebung zum Unendlichen, S. 175

[317] WL I, S. 158

[318] VPG, S. 197

[319] Vgl.: ebd. S. 386

[320] VPRs I, S. 305

[321] Vgl.: u. a. VPRs I, S. 264 und EPW III, § 377, S. 9

[322] Vgl.: EPW I, § 50, S. 122 und VPRs I, S. 168

[323] Vgl.: „Da die Götter menschlicher noch waren - Waren Menschen göttlicher.” (Zitiert nach: VPG, S. 304)

[324] Vgl.: VPG, S. 304

[325] Vgl.: Hösle, V., Hegels System II, S. 660

[326] Vgl.: „Xenophanes sagte, jene, welche behaupten, daß die Götter geboren werden, sündigen genauso viel wie jene, die sagen, daß sie sterben.“ (DK 21 A 12; Zitiert nach: Mansfeld, K., Die Vorsokratiker 1, S. 233)

[327] VPG, S. 305

[328] VPRs I, S. 378

[329] Auf die Bedeutung des Zusammenhangs von Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten in Hegels Auslegung des Christentums als Wissen über den Zusammenhang von Gott und Mensch wird an späterer Stelle noch einzugehen zu sein.

[330] VPRs I, S. 434

[331] Ebd.

[332] VPG, S. 31

[333] Vgl.: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit.“ (VPG, S. 32)

[334] Vgl.: ebd.: „Die Orientalen wissen es noch nicht, daß der Geist oder der Mensch als solcher an sich frei ist; weil sie es nicht wissen, sind sie es nicht.“ (Hervorhebung von L. W.)

[335] Dass dies wohl tatsächlich Hegels Überzeugung war, zeigt sich rein formal auch daran, dass die Behandlung der Religion in den meisten Kapiteln der VPG sehr weit vorne steht.

[336] Vgl.: IV.II. Die Bedeutung religiöser „Gesetze“

[337] Vgl.: VPRs I, S. 311 f.

[338] Vgl.: EPW III, § 436 Z, S. 227

[339] Vgl.: I.I. Hegels Begriff des Staates

[340] Vgl.: II.IV. Kultus und Gemeinde - Bewusstsein der Versöhnung

[341] VPG, S. 68

[342] Vgl.: ebd.

[343] Vgl.: VPRm I, S. 333

[344] VPG, S. 70, Genaueres dazu folgt in meiner Erörterung des „Hegel’schen Christentums“.

[345] VPG, S. 70

[346] Ebd.

[347] Vgl.: ebd.

[348] GPR, § 257, S. 398

[349] Vgl.: „Der Staat ist die wahrhafte Weise der Wirklichkeit [...] Die Religion ist das göttliche Wissen, das Wissen des Menschen von Gott und Wissen seiner in Gott.“ (VPRs I, S. 236)

[350] Um die es ja in bestimmter Weise während des ganzen ersten Kapitels dieser Arbeit gegangen ist.

[351] Vgl.: II.III. „Begriff“ und „Form“ der Religion                         

[352] Vgl.: I.IV.III. Das moralische Gewissen

[353] Vgl.: GPR, § 270 Z, S. 430

[354] Vgl.: ebd.

[355] Vgl.: I.IV. Gesinnung, Gewissen und Patriotismus

[356] Vgl.: II.III. „Begriff“ und „Form“ der Religion                         

[357] GPR, § 270 Z, S. 430

[358] Vgl.: VPRs I, S. 418

[359] Wenn ich mich im Folgenden mit Hegels diesbezüglichen Überlegungen beschäftige, tue ich dies selbstverständlich nicht in der Überzeugung, dass Hegels Charakterisierungen von Islam und Französischer Revolution als „fanatisch“ historisch bzw. religionsphilosophisch korrekt sind. Eine grundsätzliche Erörterung dieser Thesen würde sowohl den Rahmen dieser Arbeit als vor allem auch mein diesbezügliches Wissen übersteigen. Ich gebe Hegels Ausführungen daher hier nur wieder, um daraus Rückschlüsse auf seine Überlegungen zum Thema des Fanatismus ziehen zu können.

[360] Vgl.: VPG, S. 428-434

[361] Ebd., S. 432

[362] Vgl.: VPRs II, S. 337

[363] VPRs II, S. 337

[364] Ebd. S. 336

[365] Matthias Kettner hat hier meines Erachtens Recht, wenn er die völlige Abgelöstheit des Freiheitsprinzips vom religiösen Inhalt als eine wesentliche Hegel’sche Bedeutung der „Abstraktheit“ des Ideals der Revolutionäre versteht. (Vgl.: Kettner, M., Revolutionslogik, S. 192)

[366] PhG, S. 436

[367] PhG, S. 437

[368] VPG, S. 532

[369] Vgl.: ebd.

[370] Ebd. S. 533

[371] Habermas zufolge versucht Hegel, um die für ihn zentrale Realisierung von Freiheit durch die Französische Revolution geschichtsphilosophisch zu begreifen, ohne dadurch das seines Erachtens notwendigerweise terroristische Züge annehmende Verhalten der Revolutionäre zu legitimieren, „die Revolution zum Herzstück seiner Philosophie“ zu machen. Möchte Hegel, nach Habermas, doch „die Revolutionierung der Wirklichkeit ohne Revolutionäre“. (Habermas, J., Theorie und Praxis, S. 144)

[372] Vergessen werden darf aber keinesfalls, dass Hegel den Ereignissen von 1789 eine sehr große Bedeutung beimaß. Egal ob die in der Literatur immer wieder zitierte Anekdote, dass Hegel regelmäßig am Jahrestag der Revolution auf dieselbe angestoßen habe (vgl. u. a.: Ritter, J., Hegel und die Französische Revolution, S. 23; Habermas, J., Theorie und Praxis, S. 128; Gessmann. M., Hegel, S. 114) nun richtig oder falsch ist, Tatsache ist, dass für Hegel die Französische Revolution als Stufe im „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ von immenser Bedeutung und, wie Brunkhorst richtig schreibt, „einer der wichtigsten Schritte des Geistes“ (Brunkhorst, H., Hegel und die Französische Revolution, S. 165) war.

[373] Vgl.: VPG, S. 533

[374] Adorno, T. W., Minima Moralia; S. 43

[375] Vgl.: GPR, § 270 A, S. 419

[376] Vgl.: II.IV. Kultus und Gemeinde - Bewusstsein der Versöhnung

[377] Vgl.: ebd.

[378] Vgl.: VPG, S. 457

[379] Vgl.: VPRs I, S. 240 f.

[380] VPRs II, S. 331

[381] Besonders die von Hegel hier vorgenommene Gleichsetzung von mönchischer Armut und Arbeitslosigkeit, die ja bereits empirisch, etwa durch Verweis auf das bekannte Motto eines der ältesten Mönchsorden, der Benediktiner, das „Ora et labora“, zumindest teilweise widerlegt werden kann.

[382] Genauer werde ich später - bei der Behandlung des Protestantismus - auf die religiöse Verhältnisbestimmung von Jenseits und Diesseits eingehen.

[383] Vgl.: VPRs I, S. 240

[384] GPR, § 270 A, S. 420

[385] Ebd.

[386] Vgl.: VPG, S. 409

[387] Vgl.: GPR, § 270 Z, S. 431

[388] Vgl.: III.II. Hegels Ablehnung eines nichterkennbaren Gottes

[389] Vgl.: GPR, §270 A, S.420

[390] Bzw. mit einem der vielen „Christentümer“

[391] Zu den zahlreichen Debatten über das Verhältnis von „Hegels“ Christentum zu dem der Kirchen und über die Differenzen zwischen Hegel’scher „Trinitätsphilosophie“ und dogmatischer „Trinitätstheologie“ vgl.: Jaeschke, W., Die Religionsphilosophie Hegels, S. 83 ff. sowie: ders., Vernunft in der Religion, S. 297-303

[392] VPRs II, S. 188

[393] Als Begriff der Religion bestimmt Hegel das Bewusstsein, “daß Gott die absolute Wahrheit, die Wahrheit von allem und daß die Religion allein das absolute Wissen“ sei. (VPRs I, S. 92)

[394] Vgl.: VPRs II, S. 194-203

[395] VPRs II, S. 189

[396] Vgl.: II.II. Hegels Ablehnung eines nichterkennbaren Gottes

[397] Vgl.: VPRs II, S. 190

[398] VPG, S.391

[399] VPRs II, S.218

[400] VPRs II, S.223

[401] Ebd.

[402] VPRs II, S.226

[403] Ebd. S.227

[404] An dieser Stelle ist an Hegels Überlegungen zu “wahrer” und “falscher” Unendlichkeit zu erinnern. (Vgl.: IV.III. Endlichkeit und Unendlichkeit - ein „Exkurs“ zur Logik)

[405] VPRs II, S.278

[406] Vgl.: ebd.

[407] VPG, S.392

[408] Vgl.: VPRs II, S. 278 f. 

[409] VPRs II, S. 274

[410] Vgl.: IV.IV. Selbsterkenntnis des Menschen in Gott

[411] VPRs II, S. 289

[412] Vgl.: ebd. S. 292

[413] Ebd. S. 295

[414] Ebd. S. 302

[415] Dellbrügger, G., Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, S. 343

[416] Ebd. S. 303

[417] Vgl.: „Der Mensch muss zweimal geboren werden, einmal natürlich und sodann geistig, wie der Brahmane.“ (VPRs II, S. 323)

[418] Vgl.: VPRs II, S. 305

[419] Ebd.

[420] Matth.18,20

[421] Vittorio Hösle vermeint daher, meines Erachtens nicht zu Unrecht, bei Hegel Ansätze einer Interpretation des Christentums als „Religion der Intersubjektivität“ zu erkennen. (Vgl.: Hösle, V., Hegels System II, S. 651-662)

[422] Hegel verwendet an den diesbezüglichen Stellen die Begriffe „Liebe“ und „Geist“ zum Teil synonym, scheint letztlich aber zweiteren Terminus vorzuziehen.

[423] VPRs II, S. 222

[424] VPG: S. 403

[425] Ebd.

[426] Vgl.: VPRs II, S. 276 und 299

[427] VPG, S. 404

[428] Von dem Hegel natürlich weiß, dass es nicht sofort mit dem Auftreten des Christentums verwirklicht wurde, da die religiöse Bekenntnis noch zu einer „wirklichen gegenwärtigen Welt“ (vgl.: VPG, S. 405) werden, d. h. realisiert werden, musste.

[429] VPG, S. 134

[430] Meines Erachtens sehr plausibel ist die Gleichsetzung der Begriffe „germanische Welt“ mit „westliche Christenheit“ durch Shlomo Avineri. (Vgl.: Avineri, Sh., Hegels Theorie des modernen Staates, S. 269 ff.)

Wohl zu Recht schreibt Avineri auch: „Der Versuch, die letzte und vierte Stufe in Hegels Geschichtsphilosophie mit den nationalistischen oder ethnisch-sprachlichen Ansichten späterer deutscher Romantiker oder Nationalisten in Zusammenhang zu bringen, ist völlig verfehlt.“ (Ebd., S. 270)

[431] Vgl.: VPG, S. 404

[432] Vgl.: VPG, S. 404

[433] Vgl.: I.IV.IV. Die politische Gesinnung

[434] Vgl.: VPG, S. 404

[435] Vgl.: I.III. Der Staat als Antwort auf das „Problem der Moderne“

[436] Mit dem Begriff des „Staates aus christlichem Prinzip“ greife ich an dieser Stelle auf eine Arbeit W. Jaeschkes zurück. (Vgl.: Jaeschke, W., Staat aus christlichem Prinzip und christlicher Staat)

[437] VPG, S. 517

[438] Ebd. S. 494

[439] Ebd. S. 496

[440] Vgl.: EPW, § 552, S. 357

[441] Vgl.: ebd.

[442] VPG, S. 523

[443] Vgl.: I.II. Staat und Freiheit

[444] VPG, S. 496

[445] Vgl.: VPG, S. 456

[446] Ebd., S. 527

[447] EPW, § 552, S. 359

[448] VPG, S. 427

[449] Ebd. S. 526

[450] Ebd. S. 527

[451] Am deutlichsten wird die geänderte Auffassung Hegels, was das Verhältnis von Religion und Staat betrifft, in dem entsprechenden Abschnitt der EPW. (§ 552)

[452] Auf diese Diskrepanz zwischen der Hegel’schen Deutung des Protestantismus und den lutherischen Thesen weist Jaeschke hin. (Vgl.: Jaeschke, W., Staat aus christlichem Prinzip und christlicher Staat, S. 361-363) Die Frage, inwieweit Hegel an dieser Stelle tatsächlich einer Fehlinterpretation aufsitzt, kann an dieser Stelle nicht behandelt werden, da sie eher Teil einer theologisch-orientierten Arbeit wäre.

[453] Vgl.: GPR, § 270 A, S. 422

[454] Vgl.: EPW III, § 552, S. 360

[455] Vgl.: Dellavalle, S., Hegels dreieinhalb Modelle zum Bürger-Staat-Verhältnis, S. 195-198

[456] Vgl.: ebd. S. 196

[457] Vgl.: ebd. 197

[458] VPG, S. 415

[459] Vgl.: „Dieser Gegensatz [von Kirche und Staat] ist nur darum vorhanden, weil die Kirche, welche  das Heilige zu verwalten hatte, selbst zu  aller Weltlichkeit herabsinkt und die Weltlichkeit nur um so verabscheuungswürdiger erscheint, als alle Leidenschaften sich die Berechtigung der Religion geben.“ (Ebd.)

[460] Als Beispiel dafür nennt Hegel etwa das Lehensverhältnis einiger europäischer Staaten gegenüber dem Vatikan und den Einfluss, den kirchliche Besitztümer auf die politische Geschichte hatten.

[461] Was sich laut Hegel, wie bereits ausgeführt, in den Zielen der katholischen „Heiligkeit“, Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam zeigt.

[462] Auf das bemerkenswerte Faktum, dass Hegel zwar die Freiheit der Religionswahl betont, nicht aber die Möglichkeit der Bekenntnislosigkeit in Betracht zieht, werde ich an späterer Stelle noch eingehen.

[463] Vgl.: GPR, § 270 A, S. 420

[464] Ebd.

[465] Vgl.: ebd. S. 421

[466] Ebd.

[467] Ebd.

[468] Im System der Bedürfnisse gilt der Mensch, „weil er Mensch ist“, heißt es in § 209 der GPR. In den Regeln des Tausches, der Bedürfnisbefriedigung und der Arbeit erlebt das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft für Hegel die Gleichwertigkeit aller als „allgemeine Personen“. (Vgl.: GPR, § 209, S. 360 f.)

[469] GPR, § 270, S. 428

[470] Ebd. S. 422

[471] GPR, § 137 A, S. 255

[472] Vgl.: I.IV.II. Das moralische Gewissen

[473] Vgl.: IV.V.I. Fanatismus; IV.V.II. Frömmigkeit als Weltabgewandtheit

[474] Vgl.: I.II. Staat und Freiheit; I.IV. Gesinnung, Gewissen und Patriotismus

[475] GPR, § 258 Z, S. 403

[476] Vgl.: EPW, § 552, S. 353

[477] GPR, § 258 Z, S. 403

[478] Ebd., S. 404

[479] GPR, § 258, S. 399

[480] GPR, § 258 A, S. 399

[481] Vgl.: IV.V.II. Frömmigkeit als Weltabgewandtheit

[482] Vgl.: VPG, S. 409 ff.

[483] Vgl.: IV.VI. Die politische Kraft des Christentums

[484] Vgl.: IV.V.I. Fanatismus

[485] Vgl.: IV.VII. Staat und Kirche - Religionsfreiheit

[486] GPR, § 270 Z, S. 430

[487] Vgl.: IV.VII. Staat und Kirche - Religionsfreiheit

[488] Vgl.: GPR, § 270 A, S. 421

[489] Ebd., S. 420

[490] Ein wenig anders sah Hegel dies möglicherweise - wie bereits erwähnt - in den letzten Jahren seiner Lehrtätigkeit, wo er besonders auf den Protestantismus als Basis der modernen Freiheit der Subjektivität pochte. Vgl.: IV.VII. Staat und Kirche - Religionsfreiheit

[491] Vgl.: IV.VI.I. Die absolute Religion als die selbstreflexive Religion; IV.VI.II. Religion der Freiheit               

[492] Nur ganz am Rande möchte ich als kurze Erläuterung dieser These zu bedenken geben, dass ja auch Kant bei seinem Versuch einen Staat für ein „Volk von Teufeln“ zu entwerfen, zumindest von einer Gemeinsamkeit aller „Teufel“ ausgeht, dem Wunsch der Gesellschaftsmitglieder ihre eigene Existenz zu sichern. Erfordert ein Staat nach Kant doch eine „Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen“. (Kant, I., Zum ewigen Frieden, B61, A60, in: ders., Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1) Noch deutlicher wird der Rückgriff auf die Übereinstimmung der Staatsbürger im Wunsch für ihre „Selbsterhaltung zu sorgen“ bei der Hobbe’schen Staatsbegründung. (Vgl.: Hobbes, T., Leviathan, S. 131) Gerade in letzter Zeit wurde uns aber drastisch vor Augen geführt, dass dies unter Menschen gar kein so selbstverständlicher „Wertekonsens“ ist. Demonstrieren doch Selbstmordanschläge, wie manche Menschen durchaus keine Gesetze für ihre „Erhaltung“ suchen und damit wahrscheinlich die drastischste Form der Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung wählen können.

[493] Wobei Hegel selbst meines Erachtens nicht von einem Akt der Verfassungsgebung ausgeht, sondern von einem historischen Prozess, in dessen Verlauf sich die politischen und sozialen Regeln einer Gemeinschaft erst zur „Verfassung“ ausdifferenzieren.

[494] Natürlich verweisen alle Befürworter eines Gottesbezuges in einer Verfassung in der derzeitigen Debatte darauf, dass die entscheidenden Werte dieser Verfassung auch für nichtgläubige Menschen stringent begründet sein müssten. Allerdings müssen solche Argumentationen meines Erachtens mit dem Frage leben, ob sie nicht ihrem Glauben einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie erklären, Verantwortung müsse letztlich gegenüber Gott getragen werden und gleichzeitig ein verantwortliches Handeln auch auf anderem Weg begründen wollen. Würden sie nicht damit nicht gerade ihrer eigenen Überzeugung widersprechen und den Glauben an Gott zu etwas eigentlich Irrelevantem, weil ohnehin Ersetzbarem machen?

[495] Vgl.: IV.I. Die Religion als „Grundlage“ des Staates?

[496] Vgl.: IV.IV. Selbsterkenntnis des Menschen in Gott

[497] Vgl.: IV.V. Die differenten Formen von Religion und Staat

[498] Vgl.: GPR, § 270 Z, S. 431

[499] Wobei auch gesagt werden muss, dass Hegel auf einer anderen Ebene gerade jene Balance zwischen differenten „Gesinnungen“ sucht, die er im Bereich des Religiösen nicht in Betracht zieht. Es handelt sich dabei um die Sphäre der „Stände“. (Dazu vgl.: Siep, L., „Gesinnung“ und „Verfassung“. Bemerkungen zu einem nicht nur Hegelschen Problem, in: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, S. 270-284)

[500] Vgl.: Habermas, J., Die Einbeziehung des Anderen, S. 163

[501] An dieser Stelle muss ich mich zunächst von der eigentlichen Kernfrage der Arbeit, der nach dem Verhältnis von Religion und Staat, abwenden, da es sich hier um eine grundsätzliche Überlegung zur Aktualität der Hegel’schen Staatsphilosophie handelt. Ich werde aber in der zweiten Hälfte dieses Kapitels wieder auf das Thema „Religion“ zurückkommen.

[502] Vgl.: GPR, § 279, S. 445

[503] Vgl.: IV.IV. Selbsterkenntnis des Menschen in Gott

[504] Vgl.: III.II. Der Volksgeist

[505]  Als Pars pro Toto möchte ich hier nur die Frage nach der Todesstrafe nennen.

[506] Vgl.: GPR, Vorrede, S.24

[507] Einige Literaturhinweise zur enorm umfangreichen Debatte darüber wie weit Hegels politische Theorie normativ zu verstehen ist finden sich u. a. bei Hösle (Vgl.: Hösle, V., Hegels System 2; S.417-423) und Schnädelbach (Vgl.: Schnädelbach, H., Hegels Praktische Philosophie; S.347-453).

[508] Vgl.: VPG, S. 71

[509] Vgl.: Hösle, V., Ethische Prinzipien der Friedenssicherung, S. 100, in: ders., Philosophie und Öffentlichkeit, S. 85-102

[510] Vgl.: GPR, § 270 Z, S. 431

[511] Vgl.: ebd., § 268, S. 413

[512] Vgl.: VPG, S. 73

[513] Vgl.: EPW III, § 552, S. 360

[514] Vgl.: Jaeschke, W., Vernunft in der Religion, S. 294 f.

[515] In einem Zusatz zu den GPR verweist Hegel auf das Scheitern der von Napoleon in Spanien erwirkten neuen Verfassung (erlassen im Jahr 1808), die den Spaniern ein „Fremdes“ war. (Vgl.: GPR, § 274 Z, S. 440)

[516] EPW, § 573 A, S. 379

[517] Vgl.: VPRs II, S. 274

[518] Vgl.: VPG, S. 68 f.

[519] Bei sehr freiem Umgang mit den Hegel’schen Texten könnte allerdings betont werden, dass für Hegel, wie er in § 554 der EPW schreibt, „im allgemeinen” die ganze Sphäre des absoluten Geistes, als „Religion“ bezeichnet werden kann und demzufolge alle Abhandlungen über die Religion als auch politisch relevantem Bewusstsein über die Vereinigung von Subjektivität und Objektivität auch als Aussagen über die Bedeutung von Kunst und Philosophie betrachtet werden können. Da die betreffende Stelle der EPW meines Wissens aber die einzige ist, die diese Gleichsetzung vornimmt, scheint mir eine solche Interpretation kaum haltbar. (Vgl.: EPW, § 554, S. 366)

[520] Vgl.: GPR, § 268, S. 413, Vgl.: I.IV. Gesinnung, Gewissen und Patriotismus

[521] Vgl.: GPR, § 151, S. 301

[522] Vgl.: VPRm III, S. 258

[523] Vgl.: GPR, Vorrede, S. 26

[524] Vgl.: Habermas, J., Theorie und Praxis, S. 154 f.

[525] Hier liegt meines Erachtens eines der größten Probleme des Hegel’schen Philosophiebegriffs. Scheint Hegel doch letztlich nur, um es mit kantischen Ausdrücken zu sagen, an den „Schulbegriff“ der Philosophie zu denken und den „Weltbegriff“ zu vernachlässigen, d. h. jene Form des philosophischen Wissens zu übersehen, welche die Antwortversuche für jene Fragen inkludiert, die „jedermann notwendig interessieren“. (Vgl.: Kant, I., Kritik der reinen Vernunft; B868, S. 701)

[526] Vgl.: II.III. „Begriff“ und „Form“ der Religion

[527] Vgl.: VPRs II, S. 343 f.

[528] Vgl.: Wagner, F., Religion zwischen Rechtfertigung und Aufhebung, S. 135