Thomas Metzinger

SCHIMPANSEN, SPIEGELBILDER, SELBSTMODELLE
UND SUBJEKTE

Drei Hypothesen über den Zusammenhang zwischen mentaler Repräsentation und phänomenalem Bewußtsein

Der Moment der Selbsterkenntnis

Wissen Sie, was der Unterschied zwischen einem Schimpansen und einem Rhesusaffen ist? Wenn wir an einer modernen Theorie der Subjektivität interessiert sind, dann wird der interessanteste Unterschied vielleicht der folgende sein: Ein Schimpanse kann lernen, sich selbst im Spiegel wiederzuerkennen - ein Rhesusaffe kann es nicht. Auch Orang-Utans verfügen über diese Fähigkeit, wogegen etwa Gorillas sie nicht besitzen. Bekanntlich sind die allermeisten Tiere nicht in der Lage, sich selbst im Spiegel wiederzuerkennen, also das visuelle Bild eines Artgenossen auch als ein Bild ihrer selbst zu erkennen. Wenn man sich jedoch mit einem Schimpansen vor den Spiegel setzt, seine Hand in rote Farbe tupft, sie darauf vorsichtig zu seiner Stirn führt und diese mit einem roten Punkt verziert, dann kann es geschehen, daß der Affe sein Gegenüber im Spiegel - dessen Stirn nun auf einmal einen roten Fleck aufweist - als sich selbst erkennt. Man nennt diesen Test auch den Rouge-Test.

G. Gallup hat in seinen Experimenten gezeigt, daß Schimpansen diesen Test sogar dann bestehen, wenn sie vor der Applikation des Rouge-Flecks narkotisiert werden. Auch menschliche Kinder bestehen den Rouge-Test, allerdings erst ab einem gewissen Alter. Bei menschlichen Kindern tritt die fragliche Leistung zwischen dem 15. und 24. Lebensmonat auf. Doris Bischof-Köhler hat in ihrer 1989 erschienenen Arbeit unter dem Titel "Spiegelbild und Empathie" das Auftreten der Fähigkeit, sich selbst im Spiegel zu erkennen, in ihrem Zusammenhang mit der Entwicklung von Einfühlungsvermögen, sozialer Kognition und der Kompetenz für Perspektivenübernahmen untersucht. Es zeigt sich, daß der Zeitpunkt, ab dem die Fleckmarkierung im Rouge-Test richtig lokalisiert werden kann, bei Kindern weitgehend kulturinvariant ist, daß mit ihm die Entwicklung eines ersten vorrationalen Wissens um die emotionale Verfassung anderer Menschen einhergeht und daß nun - allerdings mit einer kurzen zeitlichen Verzögerung - auch die Fähigkeit entsteht, das Spiegelbild mit dem eigenen Namen oder dem Wörtchen "Ich" zu bezeichnen (dies gilt jetzt auch für Fotos, Videofilme usw.).

Was bedeutet es, sich selbst unerwarteterweise in einem Spiegel wiederzuerkennen? Was geschieht in solchen Momenten der Selbsterkenntnis, in denen sich gleichzeitig das Selbsterleben sprunghaft verändert? Welcher Typ von psychischem Ereignis ist es, mit dem auch wir Menschen in solchen Fällen der Ausdehnung unseres phänomenalen Selbstbewußtseins konfrontiert werden? Man kann diese Fragen noch schärfer zu fassen versuchen: Auf welche Art von kognitiver Kompetenz zielt der Rouge-Test ab - etwa im Gegensatz zum Turing-Test -, was sagt er uns über die interne Struktur eines informationsverarbeitenden Systems mit psychologischen Eigenschaften? Denn Schimpansen und Menschen sind (neben vielem anderen) auch informationsverarbeitende Systeme und die Mehrzahl der an einer Theorie des Geistes arbeitenden Wissenschaftler und Philosophen sind heute der Auffassung, daß es die Informationsverarbeitung im Gehirn ist, die wir untersuchen müssen, wenn wir die Struktur und den Inhalt unseres subjektiven Erlebnisraumes besser verstehen wollen.

Wirft man nun einen Blick auf die aktuelle Diskussion in der analytischen Philosophie des Geistes, dann sieht man, daß dort drei große Problemfelder mit der Frage nach der Subjektivität mentaler Zustände verknüpft werden: "das phänomenale Selbst", "Bewußtsein" und "Qualia". Ich werde dem Leser auf den folgenden Seiten für jedes dieser Problemfelder eine provisorische Hypothese anbieten. Die drei Hypothesen sind naturalistische Hypothesen, weil sie davon ausgehen, daß phänomenales Selbstbewußtsein, Bewußtsein im allgemeinen und der qualitative Gehalt gewisser innerer Zustände (Qualia) natürliche Phänomene mit einer natürlichen Geschichte sind, für die natürliche Erklärungen gefunden werden können. Ich werde dabei so vorgehen, daß ich mich zuerst der Frage nach dem Wesen des phänomenalen Selbst zuwende. Die zweite und dritte Frage - Qualia und Bewußtsein - werde ich dann in Form von Einwänden einführen, die bestreiten, daß wir mit einer Theorie des phänomenalen Selbst schon alles über die Subjektivität mentaler Zustände gesagt hätten, was uns interessieren könnte.

Für eine umfassende Theorie der Subjektivität psychischer Zustände benötigen wir ein besseres Verständnis davon, wie die Emergenz eines Erlebnissubjekts, also das Hervortreten eines phänomenalen Selbst aus der Aktivität eines biologischen Informationsverarbeitungssystems möglich ist. Was hat es zu bedeuten, daß unser Erlebnisraum - unter Standardbedingungen - um einen Brennpunkt herum aufgebaut ist, um ein phänomenales Zentrum? Es ist dieses Zentrum, das uns eine psychische Identität verleiht und dadurch die menschliche Variante phänomenalen Bewußtseins zu einem zentrierten Bewußtsein macht. Das Kernproblem der "Subjektivität" mentaler Zustände scheint sich dabei in der rätselhaften phänomenalen Qualität der "Meinigkeit" zu verstecken, die die Aktivierung mancher Formen von mentalem Gehalt begleitet. Diese Qualität der "Meinigkeit" verleiht dem Bereich des Geistigen eine gewisse Perspektivität, eine Eigenschaft die sich dem objektivierenden Zugriff der Wissenschaft aus prinzipiellen Gründen zu entziehen scheint. Ich werde zunächst einige knappe Bemerkungen zu diesem Problem anbieten, das heißt zu dem Problem, wie man vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation eine erfolgversprechende Perspektive auf das philosophische Problem des phänomenalen Selbst einnehmen kann. Vorher müssen wir jedoch noch einen kurzen Blick auf die logische und erkenntnistheoretische Struktur des zugrundeliegenden epistemischen Prozesses werfen.

Mentale Repräsentation, mentale Simulation
und mentale Modelle

Den Begriff der "mentalen Repräsentation" kann man als eine dreistellige antisymmetrische Relation zwischen Repräsentanda und Repräsentaten bezüglich eines Systems analysieren: Mentale Repräsentation ist ein Prozeß, der für ein System die innere Abbildung eines Repräsentandums durch die Erzeugung eines als Repräsentat fungierenden Zustands leistet.


Mentale Repräsentation: MRep (S,X,Y)

- X repräsentiert Y für S.
- X ist ein interner Systemzustand.
- X ist potentiell introspizierbar ("mental");
d.h. kann seinerseits zum Repräsentandum von
Repräsentationsprozessen höherer Ordnung
werden.
- M
Rep ist antisymmetrisch.


Im Idealfall bildet also eine Teilmenge der Eigenschaften des Repräsentats die relevanten "Zieleigenschaften" ab. Da das Repräsentat ein physischer Teil des jeweiligen Systems ist - zum Beispiel ein komplexer neuronaler Aktivierungszustand im Gehirn eines biologischen Organismus -, verändert sich das System durch den Vorgang der internen Repräsentation ständig selbst: Es erzeugt in sich neue Eigenschaften, um Eigenschaften der Welt zu erfassen.

In vielen Fällen ist diese Analyse allerdings ganz offenkundig falsch. Denn es ist ein wichtiges Charakteristikum menschlichen Bewußtseins, daß mentale Repräsentate oft auch dann aktiviert und miteinander verknüpft werden, wenn das "Y", also die ihren Gehalt bildenden Zustände der Welt keine aktuellen Zustände sind: Gehirne können mögliche phänomenale Welten erzeugen. Beispiele für solche durch die Generierung möglicher Welten ausgelösten Ketten von subjektiven Erlebnissen sind sexuelle Fantasien, innere Monologe oder auch philosophische Gedankenexperimente wie etwa die subjektive Erzeugung objektiver Selbste. Sie umfassen aber insbesondere auch absichtlich eingeleitete kognitive Operationen: die Planung möglicher Handlungen, die Analyse zukünftiger Zielzustände, das absichtliche "Vergegenwärtigen" vergangener mentaler Zustände usw. Offensichtlich haben wir es hier nicht mit einem Fall von mentaler Repräsentation zu tun, weil die jeweiligen Repräsentanda nicht oder nur teilweise als Elemente der aktuellen Systemumwelt gegeben sind. Ich werde solche psychischen Vorgänge darum ab jetzt auch als "mentale Simulationen" bezeichnen.


Mentale Simulation: MSim (S,X,Y)

- X simuliert Y für S.
- X ist ein mentales Simulat; d.h. es ist das
mentale Repräsentat einer kontrafaktischen
Situation.
- Y ist eine kontrafaktische Situation.
- das teleologische Zusatzkriterium muß nicht
erfüllt sein; die Aktivierung mentaler Simulate
kann auch durch zufällige Mikro-Ereignisse auf
der neuronalen Ebene ausgelöst werden (Traum,
Halluzination).
- M
Sim ist antisymmetrisch und kein Fall von
M
Rep.


Nach diesem Schema ist jede Repräsentation auch eine Simulation, aber nicht umgekehrt. Mentale Repräsentation ist nämlich derjenige Sonderfall von mentaler Simulation, bei dem erstens das Simulandum zum Zeitpunkt der Aktivierung des fraglichen inneren Zustandes als Element der wirklichen Welt gegeben ist und zweitens die Aktivierung des Simulats über die Standard-Kausalketten auslöst. Mit den Begriffen der "mentalen Simulation" und der "mentalen Repräsentation" besitzen wir nun ein erstes rudimentäres Instrumentarium, mit dem wir uns speziellen Problemen für eine zeitgenössische Theorie der Subjektivität nähern können. Auf den folgenden Seiten werde ich mit Blick auf jede der drei eingangs geschilderten Fragen einen vorläufigen technischen Term einführen, der die jeweils zugrundeliegenden Phänomene als einen Sonderfall von "mentaler Simulation" zeigt. Mit Hilfe dieser neugewonnenen Begriffe werde ich dann für jedes der philosophischen Probleme eine eigene Hypothese zur Diskussion stellen. Mir geht es dabei nicht darum, einen neuen materialistischen Jargon zu entwickeln, in dem die traditionellen Probleme nicht mehr auftauchen. Ich möchte vielmehr zeigen, daß es vielversprechende Möglichkeiten gibt, diese Probleme in einer empirisch verankerbaren und für zukünftige Entwicklungen offenen Begrifflichkeit darzustellen. Denn es gibt keine prinzipiellen Gründe, aus denen eine naturalistische Theorie des Geistes nicht in der Lage sein sollte, die vielen Rätsel der subjektiven Dimension einer Lösung näher zu bringen.

Das Thema besitzt auch eine erkenntnistheoretische Dimension, denn man kann fragen: Was sind die internen Strukturen, die es einem physischen System ermöglichen, durch Informationsverarbeitung und mentale Repräsentation Wissen zu erlangen - Wissen über die Welt und Wissen über sich selbst? Die empirisch plausibelsten und philosophisch interessantesten Kandidaten für diesen Platz innerhalb einer modernen Theorie des Geistes sind möglicherweise mentale Modelle. Der Begriff des "mentalen Modells" ist das Herzstück einer Theorie der mentalen Repräsentation, die Colin McGinn die "Cambridge-Theorie der mentalen Repräsentation" genannt hat. Dieser Konzeption zufolge sind mentale Modelle analoge Datenstrukturen, die keine Variablen enthalten und wahrscheinlich auch interpretiert abgespeichert werden. Sie repräsentieren ihre Gegenstände durch Isomorphismen zweiter oder höherer Ordnung. Das soll heissen, daß das Repräsentat einen Teil der relationalen Struktur des Repräsentandums durch seine eigene relationale Struktur intern noch einmal darstellt. Also besitzen mentale Modelle keine Wahrheitswerte oder Referenzobjekte, sie erzeugen ein nicht-diskursives Wissen durch Ähnlichkeit. Der Begriff des mentalen Modells ist gegenwärtig ein Arbeitsbegriff, der in verschiedenen Disziplinen auf manchmal divergierende Art und Weise eingesetzt wird. Mentale Modelle scheinen empirisch sehr plausible Entitäten zu sein, die als multimodale Datenstrukturen in menschlichen Gehirnen physisch realisiert sein könnten. Besonders interessant für eine Theorie phänomenalen Bewußtseins macht sie die Tatsache, daß sie über ihre relationale Struktur wechselseitig ineinander eingebettet werden können. Also sind mit ihnen auch mentale Simulationen möglich, interne "Trockenläufe", die es dem System ermöglichen, das Endresultat einer Simulation direkt von dem auf diese Weise entstehenden mentalen Gesamtmodell der Wirklichkeit "abzulesen". Soviel zur Erläuterung einiger Hintergrundannahmen. Im nächsten Abschnitt wird deutlich werden, wie man sich unter Abwandlung dieser ersten begrifflichen Einsichten unserer Ausgangsfrage nähern kann: Was geschieht eigentlich, wenn wir uns selbst im Spiegel wiedererkennen?

Mentale Selbstmodelle: Innere Spiegelbilder

Die im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit von phänomenalem Selbstbewußtsein interessanten Sonderfälle sind die folgenden:


Mentale Selbstrepräsentation: MS-Rep (S,X,S)

- X repräsentiert S für S.
- X ist ein interner Systemzustand.
- X ist potentiell introspizierbar; d.h. kann
seinerseits zum Repräsentandum höherstufiger
kognitiver Prozesse werden.
- M
S-Rep ist antisymmetrisch.


Mentale Selbstsimulation: MS-Sim (S,X,S)

- X simuliert S für S.
- X ist ein mentales Selbst-Simulat; d.h. es ist das
mentale Repräsentat eines kontrafaktischen Zustands
des Systems als Ganzem.
- das teleologische Zusatzkriterium muß nicht erfüllt
sein, denn es gibt afunktionale Selbstsimulate.
- M
S-Sim ist antisymmetrisch.

Ausgehend von dieser ersten Differenzierung des eben skizzierten Begriffsapparates durch zwei weitere Sonderfälle möchte ich nun die erste These meines Beitrags formulieren. Es ist eine Hypothese bezüglich der repräsentationalen Entstehungsbedingungen subjektiven Bewußtseins. Ich werde sie ab jetzt als Selbstmodell-Theorie der Subjektivität oder Selbstmodell-Hypothese - kurz: "SMT" - bezeichnen. Sie lautet:


(SMT): Subjektivität [in dem eingangs angedeuteten schwachen Sinn] ist eine psychologische Eigenschaft komplexer informationsverarbeitender Systeme, die genau dann instantiiert wird, wenn das System in das von ihm aktivierte Realitätsmodell ein Selbstmodell einbettet.


Ein Selbstmodell ist ein internes Modell des jeweiligen Systems in seiner Umwelt. Das bedeutet: Das Selbstmodell ist ein mentales Modell genau desjenigen Systems, durch das erzeugt wird. Sein Gegenstand - sein Repräsentandum - ist ein physikalischer Gegenstand, nämlich dasjenige System, das eben dieses Selbstmodell in Form einer multimodalen Analogstruktur in sich aktiviert. Da diese Datenstruktur letztlich durch einen physischen Aspekt des Systems realisiert wird, stossen wir im Fall der internen Selbstmodellierung auf eine sehr interessante epistemische Struktur: Ein Teil des Systems (zum Beispiel ein komplexes neuronales Aktivierungsmuster in seinem Gehirn) funktioniert als mentales Repräsentat für das Systems als Ganzes. Wenn man wollte, könnte man hier von Selbstähnlichkeit oder mereologischer Intentionalität sprechen: Von der Entstehung einer repräsentationalen Teil-Ganzes-Beziehung.

Das Selbstmodell repräsentiert intern das System als Ganzes für das System, es ist - wie alle anderen mentalen Modelle auch - ein Instrument, das von ihm in der Verfolgung gewisser Ziele eingesetzt wird. Mit Blick auf biologische Systeme könnte man es als ein abstraktes Organ bezeichnen, das - um eine Metapher von Andy Clark zu verwenden - entwickelt wurde, um unter den Bedingungen eines "kognitiven Wettrüstens" zu überleben. In diesem Sinne kann man mentale Selbstmodelle nicht nur als "innere Stellvertreter" und geistige Bilder des Selbst interpretieren, sondern auch als immer weiter optimierte Waffen, die von Organismen in einem "Informationsverarbeitungskrieg" eingesetzt werden.

Von besonderer Bedeutung ist die Einbettungsbeziehung, die zwischen verschiedenen mentalen Modellen bestehen kann. Die Grundidee ist folgende: Jedes mentale Modell, das in das Selbstmodell eingebettet wird, gewinnt auf der phänomenalen Ebene die Qualität der "Meinigkeit" hinzu: Mein Bein, mein Gedanke, meine Emotionen usw. Dadurch, daß das mentale Modell eines Beins in das Selbstmodell eingebunden wird, kommt also eine neue psychologische Eigenschaft ins Spiel: Erlebte Identität. Wenn der Einbettungsprozeß gestört wird, zum Beispiel unter pathologischen Bedingungen wie denen eines schizophrenen Schubs, kann es geschehen, daß ein Gedanke nicht mehr mein Gedanke ist. Oder ein Bein könnte - wie wir es von Patienten kennen, die unter einem unilateralen hemisphärischen Neglekt leiden - subjektiv nicht mehr mein Bein sein.

Noch bedeutsamer für eine philosophische Theorie phänomenaler Zustände scheint die Tatsache, daß durch die Einbettung eines Selbstmodells in ein inneres Realitätsmodell der repräsentationale Gesamtzustand (wenn Sie so wollen: der Bewußtseinszustand des Systems) eine fundamentale strukturelle Veränderung erfährt: Er wird nun zu einem zentrierten repräsentationalen Zustand. Durch die Einbindung eines Selbstmodells wird das mentale Wirklichkeitssmodell eines Systems nämlich in eine wesentlich reichere und komplexere Struktur verwandelt. Als ein zentriertes mentales Modell der Welt kann es nun zur Instantiierungsbasis für neue psychologische Eigenschaften werden - wie zum Beispiel die Entstehung von Selbstbewußtsein.

Kehren wir noch einmal zurück zu unserem Ausgangsbeispiel: Was geschieht in dem Moment, in dem ein Schimpanse sich selbst unerwarteterweise im Spiegel wiedererkennt? Die äussere Spiegelung ereignet sich in einem physikalischen Medium, zum Beispiel auf einer Glasplatte, die einseitig mit Metall bedampft wurde. Die innere Spiegelung in Form von phänomenalem Selbstbewußtsein entsteht ebenfalls in einem physikalischen Medium: Ein Gehirn aktiviert ein Selbstmodell, eine komplexe Datenstruktur in mehreren Modalitäten. Der Gehalt dieser Datenstruktur ändert sich ständig, denn er ist das betreffende Lebewesen selbst in seiner Umwelt. Das äussere Spiegelbild wiederum ist dem Schimpansen nur in Form eines mentalen Modells gegeben, technisch gesprochen: als mentales Repräsentat, physikalisch realisiert durch einen ganz bestimmten Aktivierungszustand seines Gehirns. In demselben Moment, indem sich das Selbstmodell des Schimpansen im Bereich des Tastsinns kurz verändert ("Der Mensch tunkt meine Hand in ein Töpfchen und tupft sie auf meine Stirn") verändert sich auch das ihm über die visuelle Modalität gegebene mentale Modell eines anderen Schimpansen ("Dem anderen Kerl da drüben wird auch gerade die Hand an die Stirn geführt - und jetzt hat er auch noch einen roten Fleck am Kopf"). Da beide mentale Modelle, das visuelle Modell des gegenübersitzenden Artgenossen und das Selbstmodell, in großen Teilen übereinstimmen (das heißt: in einer partiellen relationalen Homomorphiebeziehung zueinander stehen), kann das visuelle Modell in das Selbstmodell eingebettet werden. Und genau dies ist der Moment der Selbsterkenntnis: Auf der Ebene des inneren Erlebens wird aus dem Bild eines anderen Wesens nun plötzlich mein Spiegelbild. Dem neuen phänomenalen Zustand entspricht somit ein neuer repräsentationaler Zustand, weil das aktive mentale Modell des anderen Schimpansen in das gegenwärtige mentale Selbstmodell eingebettet wurde. Daß dieser erstaunliche phänomenale Zustandswechsel sehr stark durch neuronale Informationsverarbeitung, also "von unten" determiniert wird, sieht man daran, daß erwachsene Menschen bei bestimmten Hirnverletzungen die Fähigkeit, ihr eigenes Gesicht im Spiegel wiederzuerkennen, für immer verlieren können.

Die meisten mentale Modelle werden so schnell und zuverlässig aktiviert, daß wir "durch sie hindurchschauen". Uns Menschen liegen naiv-realistische und metaphysische Interpretationen der fraglichen phänomenalen Zustände deshalb nahe, weil unser Gehirn die Tatsache, daß unser mentales Modell der Welt und des Selbst nur ein Modell ist, nicht innerhalb desselben noch einmal darstellt. Dadurch werden wir zu Systemen, die auf der phänomenalen Ebene erlebnismäßig unhintergehbar in einem naiv-realistischen Selbstmißverständnis gefangen sind. Um dies nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern um auch zu erleben, daß das phänomenale Selbst letztlich nur ein mentales Modell ist, müßten wir ein Modell des eigenen Selbst als eines internen Konstrukts in uns aktivieren. Wir würden in einem solchen Fall ganz andere psychologische Eigenschaften instantiieren: Sollte es einmal Menschen oder künstliche Systeme geben, die diese Tatsache - daß das Selbst ein mentales Modell ist - innerhalb desselben noch einmal darstellen, dann würden sie in einem völlig anderen Bewußtseinszustand leben als wir.

Neuronale Informationsverarbeitung
und der qualitative Gehalt innerer Erlebnisse

Die Freunde des metaphysischen Subjekts: Auch durch solche vulgärbuddhistischen Anspielungen können Sie uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß es im Rahmen Ihrer modischen Repräsentationstheorie niemals möglich sein wird, die Subjektivität mentaler Zustände in ihrem vollen Gehalt zu verstehen. Daß objektive Beschreibungssysteme niemals den subjektiven Charakter des Mentalen einfangen können, sieht man doch allein daran, daß wir prinzipiell eine Maschine bauen könnten, die ständig einen Teil ihrer eigenen Zustände überwacht und intern in Form eines "Selbstmodells" darstellt. Niemand würde glauben, daß ein solches System subjektive Zustände oder eine phänomenale Innerlichkeit besässe!

Der Naturalist: Richtig. Um mit Thomas Nagel zu sprechen: Niemand würde glauben, daß es "irgendwie ist, dieses System zu sein". Die inneren Repräsentationsvorgänge einer solchen Maschine würden in erlebnismässiger Blindheit ablaufen. Wenn man das Nagel'sche "Wie es ist, ein X zu sein" als die Gesamtheit der zu einem gegebenen Zeitpunkt im phänomenalen Raum eines bewußten Wesens auftretenden Qualia interpretiert, dann heißt das, daß wir zusätzlich zu einer repräsentationalen Theorie über die "Meinigkeit" mancher Formen von mentalem Gehalt auch noch mindestens eine adäquate Theorie über "Röte" oder "Schmerzhaftigkeit" - das heißt: über qualitativen Gehalt - entwickeln müssen. Warum sollte dies prinzipiell unmöglich sein?

Die Geschichte subjektiven Bewußtseins auf unserem Planeten war eine biologische Geschichte. Eine der frühesten und grundlegendsten Aufgaben von Bewußtsein wird es gewesen sein, zu präsentieren: Interne Ereignisse zu erzeugen, die zuverlässig die Gegenwart äußerer Eigenschaften der Welt anzeigen. Solche Zustände könnten sich von reinen Reflexbögen dadurch unterschieden haben, daß sie ein stabiles internes Präsentat erzeugten. Insofern solche inneren Zustände bereits das Potential besitzen, vorübergehend zu Inhalten subjektiven Bewußtseins zu werden, kann man sie auch als mentale Präsentate bezeichnen. Mentale Präsentate besitzen zwei Eigenschaften, die für das philosophische Qualia-Problem von zentraler Bedeutung sind.

Erstens: Sie sind nicht unabhängig vom Strom des Inputs aktivierbar. Mentale Präsentate haben Signalcharakter, d.h. sie signalisieren für ein System die aktuelle Präsenz eines Präsentandums. Mentale Präsentation ist also eine rudimentäre Form von mentaler Repräsentation. Schmerzerlebnisse oder eine türkise Farbwahrnehmung können wir nicht unabhängig von einer Signalquelle in uns erzeugen. Denn es gibt in nicht-pathologischen Zuständen keine Möglichkeit einer phänomenalen Simulation von Qualia: Mentale Präsentate unterscheiden sich von mentalen Repräsentaten dadurch, daß sie nicht simulationsfähig sind. Wir können ein Schmerzerlebnis oder ein türkises Seherlebnis nicht einfach mit geschlossenen Augen in uns erzeugen. Weil Präsentate nicht die kausalen Relationen von Umweltelementen untereinander abbilden, sondern die pure aktuelle Präsenz einer Reizquelle zum Inhalt haben, hat es auch den Anschein, als entzögen sie sich einer funktionalen Analyse. In Qualia erleben wir, so scheint es, ein reines, nicht-relationales Präsentieren.


Mentale Präsentation: MPrä (S,X,Y)

- X präsentiert Y für S.
- X ist ein Präsentat; ein nicht
simulationsfähiger interner Systemzustand, der
nur bei konstantem Input aufrechterhalten
werden kann.
- M
Prä ist antisymmetrisch.


Zweitens: Unsere cartesianischen Intuitionen bezüglich der Transparenz und Unmittelbarkeit phänomenalen Bewußtseins haben neben dem puren Präsentationsaspekt mancher mentalen Zustände ihre Wurzeln in mindestens einer weiteren Eigenart dieser Zustände. Viele von ihnen besitzen eine instantane Qualität. (Sellars: Grain-problem) Das bedeutet, daß zu ihrem subjektiven Erlebnischarakter auch eine Unmittelbarkeit im zeitlichen Sinne gehört. Wenn die mit ihnen verknüpften mentalen Gehalte subjektiv gegeben sind, dann ist auch der pure Präsentationsaspekt "immer schon" gegeben. Der rote Apfel auf dem Tisch ist immer schon rot, der qualitativ-präsentative Aspekt der Röte ist unter Standardbedingungen immer schon Teil des Gesamterlebnisses. Interessanterweise ist er das aber ohne in Relation zu anderen Eigenschaften des Apfels (räumliche Ausdehnung, Form, Gewicht) oder weiteren Elementen des phänomenalen Feldes zu stehen. Die Kombination der Unabhängigkeit von anderen relationalen Inhalten und des erlebnismässigen Immer-schon-Gegebenseins kann zu einer transzendentalen Interpretation von Qualia verleiten Wenn man die intuitive Evidenz introspektiver Erlebnisse nicht erkenntniskritisch hinterfragt, gelangt man auf diese Weise fast zwangsläufig zur Postulierung von phänomenalen Individuen und anderen außerweltlichen Gegenständen.

Gegen die Freunde des metaphysischen Subjekts, die diese Eigenart mancher mentaler Zustände theoretisch ausbeuten möchten, läßt sich aus naturalistischer Perspektive einwenden: Es gibt gute neuroinformatische Alternativerklärungen. Wenn nämlich die zugrundeliegenden Prozesse neuronaler Informationsverarbeitung schlicht zu schnell sind, als daß sie zu Repräsentanda von Introspektion werden könnten, dann wird den so erzeugten Präsentaten auf der Ebene bewußten Erlebens die Qualität des "Gewordenseins" oder "intern Konstruiertseins" fehlen. Wenn mentale Repräsentate die Resultate interner Informationsverarbeitungsvorgänge sind, dann bedeutet das nämlich nicht automatisch, daß die Zeitlichkeit der zugrundeliegenden Vorgänge durch ihren Gehalt noch einmal dargestellt wird. Wenn Qualia zudem funktionale Zustände sind, deren Funktion im Signalisieren der puren Präsenz eines Sachverhalts in der Welt für das jeweilige System besteht, dann ist es natürlich sinnvoll, daß diese Zustände so schnell wie möglich erzeugt werden und die relationalen Eigenschaften sowie die Prozessualität ihrer kausalen Antezedentien nicht darstellen. Schmerzen müssen schnell sein, um ihre biologische Funktion - die Auslösung erfolgreichen Vermeidungsverhaltens - zu erfüllen.

Wie steht es jedoch mit den jeweiligen Qualitäten, die uns subjektiv durch mentale Präsentate zeitlich unmittelbar und nicht-derivativ gegeben sind? Ein Schmerzerlebnis oder eine Rotwahrnehmung präsentieren dem psychologischen Subjekt scheinbar eine pure Qualität, eine phänomenale Essenz. Diese Qualität hat einen monadischen Charakter, sie scheint der private Kern des Erlebnisses zu sein. Sie ist außerdem inkommunikabel: Wir können einem Blinden nicht erklären was Röte ist. Außerdem weist die subjektive Qualität eines Präsentats prima introspectione keinerlei Beziehungen zu anderen Elementen der phänomenalen Ebene auf, sie kann nicht durch andere Elemente analysiert werden. Diese vermeintliche Irreduzibilität von Qualia hat monistischen Philosophen seit jeher Sorgen bereitet. Einige von ihnen haben Qualia ignoriert, andere haben versucht, sie zu eliminieren, zu Epiphänomenen zu degradieren oder einfach ihre Existenz überhaupt bestritten. Wichtig scheint in Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion jedoch, daß eine naturalistische Theorie des Geistes den qualitativen Gehalt mentaler Zustände ernstnimmt. Gegenüber den Theoretikern vergangener Jahrhunderte besitzen wir den Vorteil, daß wir ein wesentlich besseres und sich ständig vergrößerndes Wissen über die physischen Entstehungsbedingungen phänomenaler Qualitäten besitzen. Es wäre falsch, auf diesen Vorteil mit physikalistischer Arroganz gegenüber dem Problem zu reagieren.

Was also ist allen Roterlebnissen gemeinsam? Roterlebnisse sind aktive mentale Präsentate, Datenstrukturen eines gewissen Typs, die immer einem bestimmten Modul bzw. dem Subsystem eines solchen Moduls entstammen. Module sind funktionale Untereinheiten informationsverarbeitender Systeme, die - um die Terminologie von Jerry Fodor zu übernehmen - informationell eingekapselt sind. Das heißt: Ihr interner Informationsfluß ist weitgehend von dem anderer Prozessoren abgeschottet. Auf einem Computer könnten wir festlegen, in welchem Format wir Information repräsentieren und ausgeben lassen. Zum Beispiel könnten wir Information in Form von Bildern und in Form von Sätzen repräsentieren, verarbeiten oder auch extern darstellen lassen. Gehirne dagegen scheinen bereits auf der Ebene ihrer physischen Realisierung weit stärker modularisiert zu sein. Das heißt: Biologische Informationsverarbeitungssysteme wie das menschliche Gehirn haben bereits auf der Hardware-Ebene wesentlich mehr funktionale Subsysteme. Man kann nun annehmen, daß jedes dieser Subsysteme, soweit es vom restlichen Informationsfluß abgeschottet ist, mit eigenen internen Formaten arbeitet. Wenn diese Vermutung richtig ist, dann werden eine Vielzahl von Modulen ihren Output auch in einer Vielzahl von Formaten weitergeben. Die betreffenden Aktivierungszustände könnten prinzipiell durch ihre Position in Vektorräumen mathematisch exakt beschrieben werden und die dabei eingesetzten "internen Formate" kann man ebenfalls als abstrakte Eigenschaften neuronaler Erregungsmuster verstehen.

Die Formate aktiver Datenstrukturen haben nun interessante Eigenschaften mit dem qualitativen "Kernaspekt" mentaler Präsentate gemein: Sie sind inkompatibel mit anderen Formaten und weisen - so sie nicht in einem noch höheren Format integriert werden - untereinander keinerlei informatische Beziehung auf. Röte könnte schlicht ein bestimmtes Präsentationsformat sein, das von gewissen Subsystemen des menschlichen Gehirns verwendet wird. Die phänomenale Atomizität und Irreduzibilität auf andere phänomenale Elemente könnte erstens aus der Inkompatibilität der jeweiligen Formate resultieren und zweitens daraus, daß der Prozeß, durch den die fraglichen Repräsentate aus niedrigstufigeren Repräsentaten mit eigenen Formaten erzeugt werden, selbst kein Repräsentandum mentaler Meta-Repräsentation ist. Und im Fall des Farbensehens kann man sogar sagen, daß der qualitative Aspekt visueller Präsentate dem psychologischen Subjekt eine wichtige Information anbietet: Nämlich durch welches Subsystem eines Sinnesmoduls der fragliche Bewußtseinsinhalt geliefert wird. Darum trägt auch der qualitative Aspekt mentaler Präsentate Information, und zwar über ihre physische Genese.

Der vorwissenschaftliche Begriff von Qualia ist voller Widersprüche und eignet sich nicht für ein adäquates Verständnis unserer phänomenalen Zustände. Die philosophische Analyse ihrerseits zeigt die Unmöglichkeit, das Konzept mit einem präzisen begrifflichen Gehalt zu versehen und dabei unsere essentialistischen Intuitionen zu retten. Man kann nun die Elimination der diffusen theoretischen Entität "Qualia" favorisieren oder man kann versuchen, das Problem weiterhin ernstzunehmen, indem man den vortheoretischen Begriff klärt und vorsichtig in einen technischen Term überführt - zum Beispiel vor dem Hintergrund einer am Modell der Informationsverarbeitung orientierten Theorie mentaler Repräsentation. Dies werde ich nun - in zugegebenermassen sehr spekulativer Weise - zu tun versuchen, in dem ich die folgende provisorische Hypothese aufstelle:


(AIT): Qualia sind Analog-Indikatoren, die für ein System die aktuelle Gegenwart eines Präsentandums intern signalisieren. Das, was alle introspektiv erlebbaren mentalen Präsentate (die durch den Vorgang erzeugten aktiven Datenstrukturen) eines phänomenalen Typs (einer Quale) miteinander gemein haben, ist ihr Format.


Was ist ein Indikator? Betrachten wir dazu kurz die entsprechende Funktion in natürlichen Sprachen. Indikatoren oder indexikalischen Ausdrücke wie "Ich", "Hier", "Dieses da", "Jetzt" sind Beispiele für solche Ausdrücke. Ihre Referenz hängt von dem räumlichen, zeitlichen oder psychischen Kontext und der Position des Sprechers in diesem Kontext ab. Sie helfen dem Sprecher, sich zu orientieren und zu lokalisieren. In gehaltvollen Aussagen können Indikatoren in ihrer Bezugnahme fehlgehen, darum sind sie digitale Indikatoren - sie erzeugen Wahrheit und Falschheit.

Analog-Indikatoren - wie zum Beispiel die von mir beschriebenen mentalen Präsentate - melden dagegen durch einen systeminternen Zustand die pure Präsenz eines Reizes. Als Datensätze sind sie unter der Hinsicht ihres Gehalts nicht relational strukturiert, aber sie besitzen relationale Eigenschaften (zum Beispiel bezüglich anderer Systemzustände und ihrer physikalischen Aktivierungsbedingungen). Wenn wir den Gehalt eines visuellen Präsentats sprachlich wiedergeben wollen, müssen wir Digital-Indikatoren verwenden, zum Beispiel, indem wir sagen: "Hier - Jetzt - Rot!" Das verdeutlicht vielleicht aus externer Perspektive die  interne Funktion von Indikatoren. Warum aber Analog-Indikatoren? Weil mentale Präsentate einen Intensitätsparameter besitzen: Rotwahrnehmungen, Schmerzerlebnisse und Gefühle oder Stimmungen können innerhalb eines bestimmten Bereichs die Intensität oder Signalstärke des Präsentandums für den Organismus intern darstellen. An diesem Punkt wird man allerdings unweigerlich mit einem weiteren anti-naturalistischen Einwand konfrontiert.

Die Freunde des metaphysischen Subjekts: Das ist ja alles gut und schön - aber es sagt uns nicht das, was wir doch immer wissen wollten: Ist die subjektive Taxonomie mentaler Zustände abbildbar auf die entstehende neurowissenschaftliche Taxonomie? Was ist denn nun am Ende die Qualität der Röte und die Schmerzhaftigkeit von Schmerzen?

Der Naturalist: Ihren Rotwahrnehmungen und Schmerzerlebnissen liegen bestimmte Datenstrukturen zugrunde, die von komplizierten Mechanismen erzeugt werden (durch einen Vorgang, den wir auf einer höheren Beschreibungsebene als mentale Präsentation analysieren können) und die physikalisch durch bestimmte neuronale Erregungsmuster realisiert werden. Als Datenstrukturen besitzen sie eine abstrakte Eigenschaft: Das Format, in dem sie vorliegen. Möglicherweise ist es genau dieses Format, das wir durch Metarepräsentation erfassen, wenn wir mentale Präsentate introspektiv individuieren. Daß das Format das entscheidende Merkmal sein könnte, sehen Sie schon daran, daß es genau der qualitative Aspekt ist, der bei Darstellung von Präsentaten in anderen Repräsentationsmedien mit anderen Formaten verlorengeht: In einem propositionalen Repräsentat nach dem Muster "Hier - Jetzt - Zahnschmerzen!" geht nämlich genau das Format der als "Zahnschmerz" kategorisierten Datenstruktur verloren. Der Indikator-Aspekt dagegen bleibt bestehen: Aus der "Hier - Jetzt"-Komponente der sprachlichen Äusserung geht immer noch eindeutig hervor, daß in diesem System und gerade jetzt eine bestimmte Datenstruktur aktiv ist. Worauf wir uns also bei Selbstzuschreibungen von Qualia beziehen, sind abstrakte Eigenschaften in uns aktivierter Datenstrukturen. Das philosophische Problem, auf das diese Hypothese zu antworten versucht, besteht darin, daß es eindeutig phänomenale Familien (Klänge, Farben, Gerüche usw.) gibt, die subjektive Erfahrung selbst aber zunächst keinerlei Hinweise darauf enthält, wodurch sie zu Familien werden. Objektive Ähnlichkeitsklassen (etwa von Datenstrukturen mit gleichen abstrakten Eigenschaften) müssen durch direkte Relationen mit solchen Familien von phänomenalen Zuständen verknüpft werden. Derzeit ist es noch zu früh, um genauere Aussagen in dieser Richtung machen zu können. Es besteht aber guter Grund zu der Hoffnung, daß sich zukünftig enge Korrelationen zwischen der wissenschaftlichen Kategorisierung der vielen vom Gehirn angewandten Formate und den während ihrer Aktivierung von Versuchspersonen gegebenen introspektiven Gehaltszuschreibungen herausstellen werden.

Die Freunde des metaphysischen Subjekts: Ihren kindlichen szientistischen Optimismus bei der Kolonisierung unserer inneren Natur in allen Ehren - aber merken sie nicht, wie unplausibel diese Strategie ist? Das Verblüffende an Qualia ist doch gerade ihre Konkretheit! Wie könnte die phänomenale Konkretheit der Röte oder der Schmerzhaftigkeit mit einer abstrakten Eigenschaft irgendwelcher neuronalen Datenstrukturen identisch sein?

Der Naturalist: Das bewußte psychische Erlebnis konkreter Röte oder konkreter Schmerzhaftigkeit entsteht dadurch, daß das Format, - also ein Set abstrakter Eigenschaften des als Datenstruktur betrachteten mentalen Präsentats - noch einmal durch unser zentrales Nervensystem metamodelliert wird. Qualia sind also kein letztlich physikalisches Phänomen, sondern ein repräsentationales: Was wir als "Quale" erleben, sind nicht neuronale Vorgänge selbst, sondern durch eine Metarepräsentationsfunktion abgebildete abstrakte Eigenschaften einer durch diese Vorgänge erzeugten Datenstruktur. Die Darstellung derselben Eigenschaft durch intersubjektive Repräsentationssysteme - zum Beispiel durch lebensweltliche, wissenschaftliche oder philosophische Diskurse - ist etwas ganz Anderes.

Bewußtsein: Subsymbolische Metarepräsentation

Die Freunde des metaphysischen Subjekts: Sie haben natürlich teilweise recht. Wir wissen heute einerseits, daß auch das Auftreten von Bewußtheit eng mit neurobiologischen Ereignissen korreliert ist. Andererseits scheint eine physikalistische Reduktion oder eine funktionale Analyse dieses Phänomens - das müssen Sie zugeben - unmöglich. Denn selbst wenn es uns gelänge, einer Maschine all die funktionalen Eigenschaften zu verleihen, die wir bei einem Menschen als Merkmale von Bewußtheit ansehen, würden wir deshalb noch lange nicht glauben, daß diese Maschine auch bewußt ist. Angenommen, wir bringen einem künstlichen System bei, sich selbst auf eine Weise zu konfigurieren, die es ihm ermöglicht, sich intelligent und zielgerichtet zu verhalten und sich erfolgreich in der Welt zu bewegen - wer von uns würde glauben, daß wir Künstliches Bewußtsein realisiert hätten und nicht bloß Künstliche Intelligenz? Wären wir mit einem natürlichsprachigen System konfrontiert, welches sogar auf eine derart umfangreiche Wissenbasis zugreifen könnte und über ein so reiches implizites Hintergrundwissen bezüglich unserer Lebensform verfügen würde, daß es den Turing-Test bestünde und für beliebige menschliche Kommunikationspartner nicht mehr aufgrund von Defiziten in der Fähigkeit, ein intelligentes Gespräch mit ihnen zu führen, als künstliches System zu entlarven wäre: Hätten wir nicht immer noch starke Zweifel daran, daß in einem solchen künstlichen System das Licht der Bewußtheit scheint? Und selbst wenn Ihre irregeleitete - weil an technischen Metaphern orientierte - Philosophie des Geistes einmal zur Entwicklung technischer Dämonen führt und ein sprachbegabter Roboter der Zukunft tatsächlich durch ein so komplexes und subtiles Netz von Kausalketten und funktionalen Zuständen mit seiner Umwelt verwoben wäre, daß wir bei der Vorhersage und Erklärung seiner Handlungen nicht umhin könnten, ihn als intentionales System zu beschreiben, als ein System, dessen innere Zustände wir als Zustände mit intentionalem Gehalt analysieren müssen, wenn wir seine Verhaltensmuster überhaupt noch verstehen wollen - würden wir deshalb annehmen, daß wir nun auch ein phänomenales System konstruiert haben?

Der Naturalist: Sicher nicht. Wir können vielleicht kognitive Agenten konstruieren, handelnde Systeme, die aktiv Wissen über die Welt aufbauen und für gewisse Zwecke einsetzen. Es mag auch sein, daß solche, wie Sie sagen, "technischen Dämonen" uns recht bald durch die Komplexität ihres behavioralen Profils und durch den repräsentationalen Reichtum ihrer internen Zustände verblüffen werden. Aber solange wir diese internen Zustände durch Turing-Maschinentafeln oder Vektoranalysen erläutern können, solange können wir immer sagen: "All dies ist vollkommen ohne Bewußtsein möglich! Wir haben es mit einem mechanischen System zu tun, alle seine Eigenschaften sind aus den Eigenschaften seiner Teile und ihrer Beziehungen untereinander abzuleiten. Selbst wenn es dem System gelingt, durch sein enormes Wissen, seine Flexibilität und seine beeindruckende Performanz unsere Intuitionen ins Wackeln zu bringen, dürfen wir eines nicht vergessen: Das System wird niemals wirklich verstehen, was der Unterschied zwischen Wachen und Schlafen ist! Unangenehm würde die Situation erst, wenn einer unserer künstlichen kognitiven Agenten (in der ihm eigenen sachlichen Art und Weise) erwidert: "Aber ihr wißt es ja selbst gar nicht!" Wenn ein künstliches System uns in eine Diskurssituation zwingt und rational für seine eigene Theorie des Geistes zu argumentieren beginnt, dann wären wir gezwungen, ihm zu zeigen, daß der Term "Bewußtsein" einen sinnvollen Platz in einer wissenschaftlichen Taxonomie psychischer Zustände einnimmt, die der seinigen überlegen ist. Auch darum sollte man an einer Theorie des Bewußtseins interessiert sein, mit der ein klar benennbarer Erkenntnisfortschritt erzielt werden kann - und sei es nur ein kleiner.

Die Freunde des metaphysischen Subjekts : Der wird Ihnen, was die Subjektivität des Mentalen betrifft, deshalb nicht gelingen, weil die aller Reflexion vorausgehende Selbsttransparenz des Bewußtseins eben genau die uneinholbare Dimension des Subjektiven markiert, an der das wissenschaftliche Erkenntnisideal schließlich zunichte werden muß. In der Diskussion mit einem ihrer zukünftigen technischen Dämonen würden wir uns einfach auf außerwissenschaftliche Erkenntnisquellen berufen und sagen: "Was Bewußtsein ist, ist evident. Alle bewußten Wesen - zu denen Du nicht gehörst - wissen, daß sie bewußt sind und verstehen sofort, was mit diesem Ausdruck gemeint ist."

Der Naturalist: Bestimmt würden an diesem Punkt eine Reihe materialistischer Philosophen die Solidarität aller biologischen Wesen durchbrechen und mit ketzerischem Stolz verkünden, daß auch sie noch nie verstehen konnten, was es eigentlich heißt, daß sie "Bewußtsein" besitzen sollen. Wollte man eine solche unheilige anti-cartesianische Allianz erfolgreich zurückschlagen, so müßte man überzeugend darlegen können, daß das, was wir alle immer schon ganz selbstverständlich als unser Bewußtsein bezeichnen, ein reales Phänomen ist, dem eine präzise Position innerhalb einer naturalistischen Theorie des Geistes zugewiesen werden kann.

Was ist der Kern dieses Philosophenstreits? Generell haben mechanistische Ansätze zu einer Theorie des Geistes das Problem, phänomenale Ganzheiten - wie sie durch subjektive Qualitäten und Bewußtheit (Bewußtheit ist die umfassendste dieser Ganzheiten) dargestellt werden - auf Elemente tieferliegender naturwissenschaftlicher Beschreibungsebenen und deren Relationen zu reduzieren oder anderweitig in Beziehung zueinander zu setzen. (Zeitkodierung) Man kann das Explanandum ("phänomenales Bewußtsein") auf vielen Ebenen der Systembeschreibung versuchweise fixieren, wobei das prinzipielle Problem einer Zuordnung der dann enstehenden Begriffe zur introspektiven Erfahrung und ihrer Interpretation durch die cartesianisch gefärbte Alltagssprache bestehen bleibt. Welche vorläufige Antwort auf die Bewußtseinsfrage könnte man aus der Perspektive einer repräsentationalistischen Theorie des Geistes geben? Zunächst kann man die These aufstellen, daß bewußt genau all jene mentalen Simulate, Repräsentate und Präsentate sind, die durch einen zweiten internen Repräsentationsprozess erfaßt und dadurch zu Inhalten phänomenalen Bewußtseins gemacht werden.


Mentale Meta-Repräsentation: MM-Rep (S,X,Y)

- X repräsentiert Y für S.
- Y ist eine Teilmenge der in S aktiven
mentalen Repräsentate, Simulate oder
Präsentate.
- X ist das jeweilige bewußte Modell des Selbst
und der Welt in und für S.
- M
M-Rep ist antisymmetrisch.
- M
M-Rep immer ein Fall von MRep.


Phänomenales Bewußtsein ist darüberhinaus jedoch zweitens ein epistemisches Phänomen: In ihm wird etwas gewußt. Das "Gewußte" ist jedoch keine propositionale Wahrheit und es liegt - ganz im Gegensatz zum klassischen "Reflexionsmodell" - auch keine Identität von Subjekt und Objekt vor. Denn der epistemische Agent (das "Subjekt metarepräsentationaler Erkenntnis") ist das jeweilige System als Ganzes. Das, was erkannt wird (das "Objekt metarepräsentationaler Erkenntnis"), sind gewisse innere Abbildungsvorgänge, die zum Beispiel im Gehirn eines Menschen ablaufen. Dadurch, daß sie von höherstufigen Abbildungsvorgängen noch einmal erfaßt werden, entsteht eine neue psychologische Eigenschaft: Bewußtheit. Ich werde nun wiederum eine provisorische Hypothese zur Entstehung bewußter Repräsentate in einem informationsverarbeitenden System aufstellen und dann einige kurze Erläuterungen anbieten.


(MRT): Die Inhalte phänomenalen Bewußtseins sind Meta-Repräsentate, die für ein System eine Teilmenge der gegenwärtig in ihm aktivierten mentalen Simulate und Präsentate abbilden. Das, was alle bewußten inneren Zuständen miteinander gemein haben, ist die Tatsache, daß sie durch eine einheitliche und globale Metarepräsentationsfunktion erfaßt werden.


Beim gegenwärtigen Stand unseres empirischen Wissens wären Vermutungen über die neurobiologische Realisierung der entsprechenden Metarepräsentationsfunktion im menschlichen Gehirn verfrüht und hochspekulativ. Man kann aber vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse über massiv parallel arbeitende Systeme und die Art der von ihnen erzeugten internen Repräsentate bereits auf einen Punkt hinweisen, der eine moderne, naturalistische Theorie des Bewußtseins einmal von traditionellen Modellen unterscheiden könnte: Eine repräsentationalistische Theorie des Bewußtseins ist nicht unbedingt auch eine propositionalistische Theorie des Bewußtseins. Wenn nämlich die metarepräsentierende Funktion auf dem subsymbolischem Niveau eines Systems operiert - etwa, indem die Aktivierungszustände einiger innerer Schichten eines neuronalen Netzes durch die Aktivierungsmuster anderer Schichten abgebildet werden - dann wäre die diesen Prozess beschreibende Theorie des Bewußtseins eine mikrokognitive oder mikrofunktionalistische. Eine solche Theorie des Bewußtseins hätte sich an der Feinstruktur eines Netzwerkes zu orientieren, sie würde Bewußtsein als nicht-regelgeleitete Darstellung einer Menge von Subsymbolen durch eine andere Menge von Subsymbolen innerhalb eines Parallelsystems erklären. Da das Gehirn ein massiv parallel arbeitendes selbstorganisierendes System ist, liegen solche Vermutungen nahe. Bewußtsein muß nicht auf deklarativem Meta-Wissen eines Systems über seine eigenen inneren Zustände beruhen. Wenn Bewußtsein überhaupt als eine höherstufige, rekursive Form von biologischer Informationsverarbeitung erklärt werden kann, dann lassen sich vielleicht aus der Theorie konnektionistischer Systeme theoretische Modelle entwickeln, die zeigen, wie Metarepräsentation ohne diskrete interne Symbole oder propositionales inneres Wissen realisiert werden könnte. Die neue psychologische Eigenschaft der "Bewußtheit" würde in solchen Systemen nicht die Einheitlichkeit des internen Darstellungsraums "von oben" stiften. Vielmehr würde diese umgekehrt einfach dadurch entstehen, daß ein komplexes, nicht-lineares physikalisches System sich bei jedem gegebenen Input wieder in seinen energieärmsten Zustand zu relaxieren versucht. Damit gibt es - das ist jenseits aller technischen Details die philosophisch interessante Einsicht - die Möglichkeit eines Mittelwegs zwischen platten Reduktionismen, diffusen Emergenztheorien des Bewußtseins und klassisch-kognitivistischen Erklärungsstrategien. Dieser Mittelweg heißt subsymbolische Meta-Repräsentation.

In Analogie zu den Überlegungen des vorangegangenen Abschnitts kann man nun sagen: Die Homogenität des phänomenalen Bewußtseins ist eine Illusion, die durch einen niedrigen zeitlichen Auflösungsgrad derjenigen Funktion bedingt ist, die mentale Repräsentate zu bewußten macht. Angenommen, es gibt eine metarepräsentierende Funktion, die durch "reflexive" Operationen auf bestimmten mentalen Repräsentaten höherstufige Repräsentate erzeugt, die selbst unbewußt bleiben, aber ihren Repräsentanda die fragliche Qualität verleihen. Dann wäre erstens Bewußtsein aus der Perspektive der Wissenschaft keine instantane Qualität mehr, weil der es erzeugende neurobiologische Prozeß Zeit benötigt. Dieser Umstand macht es für das Gehirn notwendig, seine Informationsverarbeitung zeitlich zu quanteln und gewisse Reize etwa zu antedatieren, um zu einem homogenen, multimodalen Modell des fraglichen Repräsentandums zu gelangen. Zweitens könnte diese Funktion Diskontinuitäten, zeitliche Brüche oder Ambiguitäten ausfiltern, indem sie mehrere Input-Repräsentanda der tieferliegenden Repräsentationsebenen zusammenfaßt zum Output von wesentlich weniger Repräsentaten auf der Ebene des phänomenalen Bewußtseins. Vollständige Homogenität wäre aber nur zu erreichen, wenn die gesamte Information in ein einziges Repräsentat zusammengeführt würde. Der Kerngedanke ist, daß ähnlich wie bei Bildern auf dem Schirm eines Fernsehgerätes - die uns als homogen erscheinen, obwohl sie etwa 70 Mal pro Sekunde neu aufgebaut werden - auf der Ebene der Bewußtseinsinhalte eine Homogenitätsillusion entsteht, weil die diesen höherstufigen Gehalt erzeugende Darstellungsfunktion einfach langsamer ist und somit ein geringeres zeitliches Auflösungsvermögen besitzt.

Der totale Flugsimulator und der kleine rote Pfeil

Welches Bild des menschlichen Geistes ergibt sich aus den eben angestellten Überlegungen? Ich möchte abschliessend eine technische und eine repräsentationale Metapher anbieten, die einen Teil der den vorangegangenen Bemerkungen zugrundeliegenden Gedanken veranschaulichen sollen. Die erste dieser Metaphern ist der Flugsimulator. Ein Flugsimulator ist ein Gerät, an dem zukünftige Piloten ausgebildet werden. Es dient auch dazu, das Verhalten in unvorhergesehenen und kritischen Situationen zu üben, ohne das Risiko eines tatsächlichen Absturzes einzugehen. Die Kandidaten befinden sich in einer Kabine, die auf grossen Teleskopfüssen ruht. Diese Teleskopfüsse werden von einem Rechner angesteuert, der auf diese Weise für den in der Kabine sitzenden Flugschüler alle Bewegungen eines wirklichen Flugzeug nachahmen kann. In der Kabine befindet sich ein realistisch gestaltetes Cockpit mit allen Instrumenten und Steuerungswerkzeugen, die ein echtes Flugzeug auch besitzt. Der Schüler blickt auf den ebenfalls von einem Computer angesteuerten Videobildschirm, der ihm eine visuelle Simulation des Blicks aus dem Cockpit liefert. Diese visuelle Simulation der Aussenwelt wird mit grosser Geschwindigkeit und in Abhängigkeit von den Handlungen des Piloten ständig aktualisiert. Auf diese Weise kann ein Flugschüler den Umgang mit den Bordinstrumenten sowie die Reaktion eines Luftfahrzeugs auf seine Handlungen kennenlernen und gefahrlos die wichtigsten Grundoperationen einüben, deren Beherrschung für einen guten Piloten unerläßlich ist.

Menschliche Gehirne funktionieren auf sehr ähnliche Weise. Aus gespeicherten Informationen und dem ständigen Input, den ihnen die Sinnesorgane liefern, konstruieren sie ein internes Modell der äusseren Wirklichkeit. Dieses Modell ist ein Echtzeit-Modell: Es wird mit so hoher Geschwindigkeit und Effektivität aktualisiert, daß wir es im allgemeinen nicht mehr als ein Modell erleben. Die phänomenale Wirklichkeit ist für uns kein von einem Gehirn erzeugter Simulationsraum, sondern auf sehr direkte und erlebnismäßig unhintergehbare Weise einfach die Welt, in der wir leben. Einen Flugsimulator dagegen erkennen wir auch dann, wenn wir als Flugschüler gerade konzentriert mit ihm arbeiten, immer noch als Flugsimulator - wir glauben niemals, daß wir wirklich fliegen. Das liegt daran, daß das Gehirn uns ein wesentlich besseres Modell der Welt liefert als der Computer, der den Flugsimulator steuert. Die Bilder, die unser visueller Cortex erzeugt, sind wesentlich schneller, zuverlässiger und besitzen eine viel höhere Auflösung sowie einen grösseren Detailreichtum als die Bilder auf dem Monitor des Übungssimulators. Darum erkennen wir die Bilder auf dem Monitor auch jederzeit als Bilder, weil wir einen wesentlich höheren repräsentationalen Standard besitzen, mit dem wir sie vergleichen können. Wenn die Teleskopfüsse die Kabine, in der der Flugschüler seine Übungsstunde absolviert, rütteln oder stossen, um das Durchfliegen von "Luftlöchern" oder die Konsequenzen ungeschickter Steuermanöver zu simulieren, dann werden auch diese Rüttel- und Stoßbewegungen uns nicht wirklich täuschen können. Denn die auf unseren propriozeptiven und kinästhetischen Körperwahrnehmungen beruhenden mentalen Modelle unserer eigenen Körperbewegungen sind viel detailreicher und überzeugender, als die von einem Rechner erzeugten Simulationen von Bewegungen des Flugzeugs es jemals sein könnten.

Unser Gehirn unterscheidet sich aber von einem Flugsimulator noch in vielen anderen Punkten. Es verfügt über wesentlich mehr Modalitäten. Es ist in der Lage, die aus diesen verschiedenen Modalitäten stammende Information bruchlos zu einem einheitlichen Modell der Wirklichkeit zu verschmelzen (eine Aufgabe, die auch im Flugsimulator noch dem Gehirn des Probanden überlassen bleibt). Es arbeitet zudem wesentlich schneller. Die von ihm erzeugten multimodalen Bilder der Wirklichkeit sind zuverlässiger und detailreicher als die künstlichen Bilder, die wir heutzutage kennen - eine Situation die sich recht bald ändern wird. Außerdem sind Gehirne im Gegensatz zu Flugsimulatoren nicht auf einen eng umgrenzten Anwendungsbereich fixiert, sondern offen für eine Unendlichkeit von repräsentationalen Situationen und Simulationsproblemen. Das in unserem Zusammenhang wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen einem menschlichen Gehirn und einem Flugsimulator ist jedoch ein ganz anderes: Menschliche Gehirne simulieren den Piloten gleich mit.

Denn natürlich gibt es keinen Homunkulus im System. Es gibt aber die Notwendigkeit für das System als Ganzes, sich seine eigenen inneren und äusseren Handlungen selbst zu erklären. Es muß nämlich ein repräsentationales Werkzeug besitzen, mit dessen Hilfe es kritische Eigenschaften seiner selbst durch interne Simulation überwachen und sich selbst die Geschichte seiner eigenen Handlungen auch intern als seine Geschichte darstellen kann. Dieses Werkzeug ist das, was ich als das mentale Selbstmodell des Organismus bezeichnet habe. Das Gehirn unterscheidet sich nun von einem Flugsimulator unter anderem dadurch, daß es nicht von einem Piloten benutzt wird, der vorübergehend in es "eingestiegen" ist. Im Gegenteil: Das Gehirn aktiviert den Piloten, und zwar immer dann, wenn es ihn als repräsentationales Werkzeug benötigt, um die Aktivitäten des Gesamtsystems zu überwachen und mental abzubilden. Braucht das System für einen gewissen Zeitraum kein funktional aktives Selbstmodell mehr, so wird es einfach abgeschaltet. Wenn wir uns im Tiefschlaf befinden, besitzen wir keine subjektiven Zustände mehr. Denn mit dem Selbstmodell verschwindet auch das Erlebnissubjekt: Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes.

Menschliche Organismen im Wachzustand gehören zu einer bestimmten Klasse informationsverarbeitender Systeme, nämlich zur Klasse der Selbstmodellgeneratoren. Von den Angehörigen anderer Systemklassen unterscheidet Selbstmodellgeneratoren die Fähigkeit, die intern von ihnen erzeugten Repräsentationsräume durch ein Selbstmodell zu ergänzen. Dadurch werden diese Räume zu zentrierten Repräsentationsräumen: Sie gleichen jetzt einer fixierten inneren Landkarte der Welt, die auf die Interessen und Bedürfnisse eines individuellen Benutzers zugeschnitten ist - ähnlich wie der an der Wand eines U-Bahnhofes fest angebrachte Stadtplan mit einem kleinen roten Pfeil und dem Hinweis "SIE BEFINDEN SICH HIER". Dieser kleine rote Pfeil ist das "Selbstmodell des Stadtplanbenutzers", das die Position und damit auch die Interessen möglicher Benutzer eines solchen externen Repräsentats in diesem noch einmal spezifiziert. Durch den kleinen roten Pfeil und den indexikalischen Hinweissatz "SIE BEFINDEN SICH HIER" verliert der Stadtplan seine Universalität und wird zu einem Orientierungswerkzeug, das nur noch an einem einzigen Ort in der Welt erfolgreich von allen potentiellen Benutzern eingesetzt werden kann.

Die durch menschliche Gehirne erzeugten multimodalen Landkarten der Welt sind dagegen generelle Realitätsmodelle, die sich der jeweiligen Situation des Organismus anpassen und in Echtzeit aktualisiert werden. Da sie zudem interne Modelle der Welt sind, ist der Benutzer, dem sie dienen, in allen Situationen faktisch derselbe. Im Gegensatz zu fest installierten Stadtplänen in U-Bahnhöfen ist nicht die Anwendungssituation fixiert und die Benutzerklasse variabel, sondern das System über alle repräsentationalen Situationen hinweg identisch, während die Problemklasse eine sehr allgemeine ist. Wenn man so will, dann sind Selbstmodelle die kleinen roten Pfeile, die in komplexen mentalen Landkarten der Wirklichkeit die Eigenschaften des mentalen Geographen selbst für ihn noch einmal abbilden. Deshalb verwandeln sie - solange sie funktional aktiv sind - die Realitätsmodelle, in die sie vom System eingebettet werden, in benutzerzentrierte Repräsentate: Nicht nur aus Gründen ihrer physikalischen Internalität, sondern auch durch ihre strukturell-repräsentationale Fixierung auf einen einzigen Anwender, sind auf diese Weise zentrierte Realitätsmodelle nur noch für ein einziges System sinnvolle Instrumente. Abstrakte Organe wie mentale Modelle der Welt und des Selbst sind deshalb auch nicht transplantierbar, denn ihr funktionales Profil - das durch extraorganismische Relationen geprägt wird - kann nicht beliebig in ein anderes System überführt werden. Die Einzigartigkeit jedes phänomenalen Subjekts hat somit ihr Gegenstück in der Einzigartigkeit der funktionalen Eigenschaften des ihm zugrundeliegenden Selbstmodells. Dieses Selbstmodell ist der kleine rote Pfeil, den ein menschliches Gehirn benutzt, um sich in der von ihm aufgebauten inneren Simulation der Welt zu orientieren.

Das Bild vom totalen Flugsimulator und dem kleinen roten Pfeil ist ein allgemeines intuitives Bild, das sich aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt. Es sollte einige Grundgedanken dieser Überlegungen noch einmal kurz illustrieren. Was übrigens die eingangs erwähnten Schimpansen angeht, so erfahren auch sie, in dem Moment, indem sie sich selbst im Spiegel erkennen, eine Ausdehnung ihres Selbstmodells: Das mentale Modell eines anderen Schimpansen, eines visuellen Gegenübers wird nun in das Selbstmodell eingebettet. Und dieser Akt der Selbsterkenntnis verändert offenbar ganz deutlich auch das Selbsterleben der Schimpansen. Denn häufig betrachten sie sich nun mit grossem Interesse und grosser Ausdauer ihr eigenes Hinterteil - einen Aspekt ihrer selbst, der ihnen bis dahin verborgen geblieben war.

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