Thomas Metzinger

Ich-Störungen als pathologische Formen mentaler Selbstmodellierung

 

1. Neuropsychiatrie und angewandte Philosophie des Geistes: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

Was genau ist eigentlich eine Ich-Störung? Ich werde auf den folgenden Seiten dafür argumentieren, daß man die Natur dieses Typs von psychiatrischen Störungsbildern besser verstehen kann, indem man einen Blick über die medizinischen Fachgrenzen hinweg in die analytische Philosophie des Geistes[1] und in die Kognitionswissenschaft[2] wirft. Beiden Disziplinen ist gemeinsam, daß mentale Zustände dort häufig einer funktionalen Analyse unterzogen und als Informationsverarbeitungsereignisse beschrieben werden. Das bedeutet, daß mentale Zustände dabei zunächst mit Blick auf die kausale Rolle untersucht werden, die sie im System spielen. Das System selbst wird als natürlich entstandenes Informationsverarbeitungssystem mit einer langen biosozialen Geschichte analysiert, welches Repräsentationen der Welt und von sich selbst in ihr erzeugt. Psychiatrische Störungsbilder sind unter dieser Perspektive Störungen des Informationsflusses, insbesondere Störungen in der Art und Weise, in der es die Welt und sich selbst für sich selbst repräsentiert. Wenn man an einer logisch konsistenten und für zukünftige empirische Entdeckungen offenen theoretischen Systematisierung solcher Störungsbilder interessiert ist, dann kann es sinnvoll sein, sie mit dem begrifflichen Instrumentarium zu betrachten, das auch die vielen anderen neuen Wissenschaften verwenden, die sich die Erforschung bestimmter Funktionen des menschlichen Geistes zum Ziel gesetzt haben. Was wir brauchen, ist eine neue Form der interdisziplinären Zusammenarbeit, die einerseits die Psychiatrie in Kontakt bringt mit den besten Theorien, die es gegenwärtig über das Entstehen mentaler Zustände gibt, und die auf der anderen Seite die Philosophie des Geistes vor einer blutleeren analytischen Scholastik bewahrt, die sich leicht aus einer rein logischen Analyse psychologischer Konzepte ergeben kann. Im angelsächsischen Bereich zeichnet sich in diesem Zusammenhang seit einiger Zeit bereits die Entwicklung einer „Angewandten Philosophie des Geistes“ ab.

„Angewandte Philosophie des Geistes“ oder „Philosophische Psychopathologie“[3] verhält sich in manchen Hinsichten zur reinen Philosophie des Geistes wie die „angewandte Ethik“ zur „Metaethik“. Philosophische Antworten auf die Frage, ob und auf welche Weise ethische Normen überhaupt begründet werden können, werden auf dem Gebiet der Metaethik entwickelt: Die Metaethik ist sozusagen die Wissenschaftstheorie der Ethik, sie besteht aus Sätzen über andere Sätze (nämlich über normative Sätze), sie ist eine Theorie über andere Theorien[4]. Diesem Vorhaben entspricht in der Philosophie des Geistes die Entwicklung eines fortlaufenden begrifflichen und erkenntnistheoretischen Kommentars zu den jeweils besten psychologischen Theorien der Einzelwissenschaften. Philosophie des Geistes wird auf dieser höchsten Abstraktionsebene zur Metatheorie der wissenschaftlichen Psychologie, zur Metatheorie der Neuro- und Kognitionswissenschaften sowie der Künstliche-Intelligenz-Forschung. Was aber ist dann angewandte Philosophie des Geistes? Betrachten wir wieder die Analogie in der Ethik: Zur angewandten Ethik wird die philosophische Ethik dann, wenn sie sich auf einen ganz bestimmten Anwendungskontext konzentriert. Ein solcher Anwendungskontext entsteht immer aus einer speziellen Klasse von konkreten Handlungen. Solche Klassen bestehen zum Beispiel aus medizinischen Handlungen („angewandte Medizinethik“), aus Handlungen, mit denen absichtlich und direkt in das zentrale Nervensystem eines Menschen eingegriffen wird („angewandte Neuroethik“) oder aus Handlungen, bei denen Menschen durch solche Eingriffe gezielt ihr eigenes bewußtes Erleben oder das anderer Personen verändern wollen („angewandte Bewußtseinsethik“).[5] Die angewandte Philosophie des Geistes entsteht analog dazu dadurch, daß sie sich direkt mit der Analyse einer speziellen Klasse konkreter Bewußtseinszustände befaßt und nicht  nur im Sinne eines „semantischen Aufstiegs“ mit Sätzen über solche Zustände. Der Anwendungskontext entsteht in diesem Fall also durch einen „phänomenologischen Abstieg“, durch die Konzentration auf eine bestimmte Klasse von phänomenalen Zuständen, von Formen des subjektiven Erlebens. Solche Erlebnisklassen können begrifflich bezüglich ihres repräsentationalen Gehalts oder mit Blick auf ihr kausales Profil hin weiter analysiert werden, etwa anhand der mit ihnen korrelierten funktionalen Defizite.  Durch dieses Vorgehen wird dann eine Koevolution verschiedener Disziplinen möglich, von der auch die Philosophie in den vergangenen Jahrzehnten deutlich profitiert hat. George Graham und Lynn Stephens fassen diese Entwicklung wie folgt zusammen:

Philosophy of mind has increasingly turned away from the search for clean counterexample-immune analyses of psychological concepts and toward a wide, integrating, empirically informed sort of theorizing (...). ...
 The model for much current work in philosophy of mind is interactive and cooperative or coevolutionary (...). Traditional philosophical conceptions of mental activities are tested against, and refined in the light of, empirical findings, while tools of the philosopher’s trade are employed in assessing accounts of particular phenomena in the relevant sientific fields.
[6]

Insbesondere die Untersuchung veränderter Bewußtseinszustände und konkreter psychopathologischer Störungsbilder kann am Ende wieder zu einer Vielfalt wertvoller Einsichten darüber führen, was mentale Zustände und psychologische Eigenschaften überhaupt sind und was es in Wirklichkeit bedeutet, wenn wir zum Beispiel sagen, daß jemand eine „subjektive Innenperspektive“ besitzt. In anderen Worten: Angewandte Philosophie des Geistes führt selbst wieder zu Fortschritten auf der Ebene der Metatheorie, weil sie uns fast automatisch zu einer feinkörnigeren begrifflichen Auflösung des empirischen Materials zwingt. Geist und Bewußtsein gehören zu den komplexesten Phänomenbereichen, die wir überhaupt kennen. Wenn man am besseren Verständnis eines komplexen Phänomenbereichs interessiert ist, hat eine Analyse von Grenzfällen und eingeschränkten Situationen sich in der Vergangenheit häufig als heuristisch fruchtbar in bezug auf das Standardphänomen (in unserem Fall das normale Wachbewußtsein) erwiesen. Die Betrachtung von Grenzfällen komplexer Phänomene macht nämlich unbewußte Vorannahmen deutlich, klärt intuitive Fehlschlüsse auf und macht Defizite bestehender Theorien sichtbar. In diesem Sinne kehre ich jetzt zu meiner Ausgangsfrage zurück: Was heißt es eigentlich, von einer „Ich-Störung“ zu sprechen?

 

2. Eine repräsentationale Analyse der Erste-Person-Perspektive

Was wir in alltagspsychologischen Zusammenhängen als „das Ich“ bezeichnen, ist das phänomenale Selbst: Der im subjektiven Erleben gegebene Inhalt des Selbstbewußtseins. Das phänomenale Selbst ist vielleicht die interessanteste Form phänomenalen Gehalts überhaupt - unter anderem dadurch, daß es unserem Bewußtseinsraum zwei äußerst interessante strukturelle Merkmale verleiht: Zentriertheit und Perspektivität. Solange es ein phänomenales Selbst gibt, ist unser Bewußtsein ein zentriertes Bewußtsein und an das gebunden, was in der Philosophie als die „Perspektive der ersten Person“ bezeichnet wird. Davon gleich mehr. Wenn man nun von „Ich-Störungen“ spricht, dann kann dies zunächst nur bedeuten, daß sich eben dieser Inhalt des Selbstbewußtseins - also: eine spezielle Form phänomenalen Gehalts - verändert, z.B. indem er sich ungewöhnlich anreichert, eingeschränkt wird oder dadurch, daß er graduell an Kohärenz verliert. Gleichzeitig verändern sich damit in vielen Fällen auch funktionale Eigenschaften des Systems. Dies äußert sich dann zum Beispiel auf der Verhaltensebene, oder intern dadurch, daß bestimmte introspektive und kognitive Leistungen nicht mehr erbracht werden können, etwa durch den Verlust von „Einsicht“ in eine bestehende Erkrankung.

Es gibt somit eine phänomenale Eigenschaft höherer Ordnung, die sich aus verschiedenen und ständig wechselnden Formen phänomenalen Gehalts aufbaut. Nennen wir sie provisorisch „Ichhaftigkeit“ oder „präreflexive Selbstvertrautheit“. Was geleistet werden muß, ist eine repräsentationale und eine funktionale Analyse dieser Eigenschaft. Man muß fragen: Was sind die funktionalen und repräsentationalen Eigenschaften, die ein informationsverarbeitendes System besitzen muß, um die fragliche phänomenale Eigenschaft zu instantiieren? Was bedeutet es für ein solches System, eine Erste-Person-Perspektive auf die Welt und auf seine eigenen mentalen Zustände einzunehmen? Solange wir keine befriedigende theoretische Antwort auf solche Fragen besitzen, werden wir auch nicht sagen können, was eine Ich-Störung überhaupt ist. Dementsprechend können wir auch nicht sagen, was eigentlich genau das Ziel und die Strategie psychotherapeutischen Handelns sein sollte. Kurz: Benötigt wird ein konsistenter begrifflicher Hintergrund, der flexibel genug für die Integration zukünftiger empirische Erkenntnisse ist und gleichzeitig dem Reichtum und der Vielfalt des phänomenologischen Materials Rechnung trägt. Ich werde deshalb nun zuerst die Grundlinien eines solchen Begriffsrahmens skizzieren. Im nächsten Abschnitt meines Beitrages sollen zwei Fallstudien dazu dienen, einige der Hauptgedanken zu illustrieren. Im letzten Teil werde ich den Gang der Überlegungen abschließen, indem ich Schwierigkeiten des von mir zugrundegelegten Ansatzes diskutiere.

Der erste Schritt besteht darin, eine neue theoretische Entität einzuführen: Das phänomenale Selbstmodell. Es bildet die repräsentationale Instantiierungsbasis der zu erklärenden phänomenalen Eigenschaften. Ein Selbstmodell ist eine epsiodisch aktive repräsentationale Entität, deren Gehalt durch Eigenschaften des Systems selbst gebildet wird. Was wir im Grunde für eine umfassende und systematische Theorie psychiatrischer Störungsbilder brauchen, ist eine Theorie des Selbstmodells von Homo sapiens. Ich selbst gehe davon aus, daß ein solche Theorie in wesentlichen Teilen eine neurokomputationale Theorie sein wird. Das bedeutet, daß das Selbstmodell des Menschen nicht nur eine wahre funktionale und eine wahre repräsentationale Beschreibung besitzt, sondern auch ein wahre neurobiologische Beschreibung - zum Beispiel als komplexes Aktivierungsmuster im menschlichen Gehirn. Das phänomenale Selbstmodell ist aber immer nur derjenige Teil des mentalen Selbstmodells der gegenwärtig in die höchststufige, integrierte Struktur eingebettet ist, in das globale Modell der Welt.[7] Es kann also durchaus unbewußte, aber funktional aktive Teile des Selbstmodells geben. Das phänomenale Selbstmodell ist eine kohärente multimodale Struktur, die auf einem teilweise angeborenen und „fest verdrahteten“ Modell der räumlichen Eigenschaften des Systems beruht.[8] Bei diesem Typ von Analyse wird der selbstbewußte Mensch also als eine ganz bestimmte Art von Informationsverarbeitungssystem betrachtet: Der repräsentationale Gehalt des phänomenalen Selbst ist der Gehalt einer jetzt gerade aktiven Datenstruktur in seinem zentralen Nervensystem.

Man kann parallel zur repräsentationalen Beschreibungsebene auch eine funktionale Analyse des Selbstmodells entwickeln. Ein aktives Selbstmodell ist ein  subpersonaler funktionaler Zustand. Dadurch, daß dieser funktionale Zustand eine konkrete neurobiologische Realisierung besitzt, spielt er eine bestimmte kausale Rolle im System, d.h. in analytischer Hinsicht haben wir es mit einer diskreten Menge von Kausalrelationen zu tun. In kognitionswissenschaftlicher Hinsicht handelt es sich um ein transientes computationales Modul, das vom System episodisch aktiviert wird, um seine Interaktion mit der Umwelt zu regulieren.[9] Der Besitz von immer besseren Selbstmodellen als einer neuen Art von „virtuellen Organen“ ermöglichte - diesen Punkt darf man nicht übersehen - überhaupt erst die Bildung von Gesellschaften. Plastische und immer komplexere Selbstmodelle erlaubten nicht nur eine fortlaufende Optimierung somatomotorischer, perzeptiver und kognitiver Funktionen, sondern später auch soziale Kognition und damit die Entwicklung von kooperativem Verhalten. Mit ihnen entstanden die fundamentalen repräsentationalen Ressourcen für Perspektivenübernahmen, Empathie und Schuldbewußtsein, später auch für metakognitive Leistungen wie die Entwicklung eines Selbstkonzepts und einer theory of mind.[10]   Man kann nun der Tatsache, daß die Entwicklung unseres Selbstmodells eine lange evolutionsbiologische und eine (etwas kürzere) soziale Geschichte besitzt, Rechnung tragen, indem man im nächsten Schritt das einführt, was in der Philosophie des Geistes als eine teleofunktionalistische Zusatzannahme bezeichnet wird.[11] Die Entwicklung und Aktivierung dieses computationalen Moduls spielt eine Rolle für das System: Das funktionale Selbstmodell besitzt eine wahre evolutionsbiologische Beschreibung, d.h. es war eine Waffe, die im Verlauf eines „kognitiven Wettrüstens“ erfunden und immer weiter optimiert wurde. Die funktionale Instantiierungsbasis der phänomenalen Erste-Person-Perspektive ist somit eine spezifische kognitive Leistung: Die Fähigkeit, zentrierte Darstellungsräume zu öffnen. Phänomenale Subjektivität (im Sinne des Entstehens einer subsymbolischen, nicht-begrifflichen Erste-Person-Perspektive) ist also eine Eigenschaft, die genau dann instantiiert wird, wenn das betreffende System ein kohärentes Selbstmodell aktiviert und dieses in sein globales Weltmodell integriert.

Alle repräsentationalen Zustände, die in das gegenwärtig aktive Selbstmodell eingebettet werden, gewinnen die höherstufige Eigenschaft der phänomenalen Meinigkeit hinzu („Nonconceptual Sense of Ownership“).  Wenn dieser Einbettungsprozeß gestört wird oder hypertrophiert, resultieren verschiedene neuropsychologische Syndrome oder veränderte Bewußtseinszustände.

Beispiele:

 

n  Bewußt erlebte Gedanken sind nicht mehr meine Gedanken: Floride Schizophrenie.         

n  Mein Bein ist nicht mehr mein Bein: Unilateraler Hemi-Neglekt.         

n   Ich bin ein Roboter, verwandele mich in eine Marionette, volitionale Akte sind nicht mehr meine volitionalen Akte: Depersonalisierung. Verlust des phänomenalen „Vollzugsbewußtseins“ (Jaspers).

n  Ich bin die ganze Welt, alle Ereignisse in der Welt werden durch meine eigenen Willensakte kontrolliert: Manien.

Subjektiv erlebte „Meinigkeit“ ist also eine Eigenschaft einzelner Formen phänomenalen Gehalts, zum Beispiel der mentalen Repräsentation eines Beins, eines Gedankens oder eines Willensaktes. Diese Eigenschaft ist nicht notwendig mit ihnen verbunden, denn sie ist keine intrinsische, sondern einer relationale Eigenschaft. Sie kann verloren gehen, und zwar genau dann, wenn dem System die Integration bestimmter einzelner Repräsentationen ins Selbstmodell nicht mehr gelingt. Wenn das richtig ist, dann könnte man diese Eigenschaft zumindest prinzipiell operationalisieren, und zwar indem man nach einer empirisch überprüfbaren Metrik für die Kohärenz des Selbstmodells in den fraglichen Bereichen sucht. Der höherstufigen phänomenalen Zieleigenschaft der „Ichhaftigkeit“ oder „präreflexiven Selbstvertrautheit“ dagegen entspricht die Existenz eines einzigen, kohärenten und zeitlich stabilen Selbstrepräsentats, das den Mittelpunkt des repräsentationalen Gesamtzustands bildet. Wenn dieses repräsentationale Modul beschädigt ist, desintegriert oder wenn multiple Strukturen dieses Typs im System alternieren bzw. gleichzeitig aktiv sind, resultieren wiederum verschiedene neuropsychologische Störungsbilder oder veränderte Bewußtseinszustände:

Beispiele:

n  Anosognosien und Anosodiaphorien: Verlust höherstufiger Einsicht in bestehende Defizite, z.B. bei Verleugnung der eigenen Blindheit (Antons Syndrom).    

n  Multiple Personality Disorder: Das System verwendet verschiedene und alternierende Selbstmodelle um mit extrem traumatisierenden und sozial inkonsistenten Situationen umzugehen. Auf diesen Störungstyp gehe ich im nächsten Abschnitt näher ein.

n  „Ich-Störungen“: Eine große Klasse psychiatrischer Störungsbilder, die mit veränderten Formen des Erlebens der eigenen Identität einhergehen. Klassisches Beispiel: Schizophrenien.                                          

Mit dem Vorhandensein eines stabilen Selbstmodells entsteht das, was in der Philosophie des Geistes als die „Perspektivität des Bewußtseins“[12] bezeichnet wird: Die Existenz eines einzigen, kohärenten und zeitlich stabilen Modells der Wirklichkeit, welches repräsentational um oder „auf“ ein einziges, kohärentes und zeitlich stabiles phänomenales Subjekt zentriert ist, d.h. um ein Modell des Systems als erlebend. Dieses strukturelle Merkmal des globalen Darstellungsraums führt episodisch zur Instantiierung einer zeitlich ausgedehnten und nicht-begrifflichen Erste-Person-Perspektive. Wenn diese globale repräsentationale Eigenschaft verloren geht, verändert sich auch die Phänomenologie, und verschiedene neuropsychologische Störungsbilder oder veränderte Bewußtseinszustände treten hervor.

 

Beispiele:

n  Vollständige Depersonalisierung: Verlust der phänomenalen Erste-Person-Perspektive, begleitet von dysphorischen Zuständen und funktionalen Defiziten („Angstvolle Ich-Auflösung“[13]).

n  Mystische Erfahrungen: Selbstlose und nicht-zentrierte Globalzustände, die als nicht-pathologisch und nicht-bedrohlich erlebt bzw. beschrieben werden. („Ozeanische Selbstentgrenzung“; „Der große Blick von nirgendwo“)

Im nächsten Abschnitt werde ich zwei Beispiele von Zustandstypen betrachten, die man im Sinne der eben skizzierten Überlegungen als gestörte Form derjenigen repräsentationalen Vorgänge analysieren kann, die auf der phänomenalen Ebene zu dem führen, was wir alltagspsychologisch häufig als „das Ich“ bezeichnen. Dabei wird sich deutlich zeigen, daß das phänomenale Selbst kein cartesianisches Ding ist, sondern ein natürlicher, innerweltlicher Vorgang: der fortlaufende Prozeß der Selbstmodellierung.

 

3. Ich-Störungen als abweichende Formen phänomenaler Selbstmodellierung: Zwei Fallstudien

 

3.1 Verluste von Leiblichkeit und kognitiver Kohärenz

Die klassischen Beispiele für aus zerfallenden Selbstmodellen resultierende Ich-Störungen sind Schizophrenien. Es scheint allerdings noch keine wissenschaftlich befriedigende und empirisch abgesicherte Typologie der unter diesem Sammelbegriff zusammengefaßten pathologischen Bewußtseinszustände zu geben. Möglicherweise wird eine Computational Neuroscience, eine phänomenologisch informierte Neuroinformatik der Zukunft einmal präzise Erklärungen dafür anbieten, welche Störungen im Informationsfluß und der repräsentationalen Dynamik des menschlichen Gehirns verantwortlich sind für die mit der Schizophrenie meist einhergehenden Depersonalisationserscheinungen und Kohärenzverluste im Bereich des phänomenalen Selbst. Da die Phänomenologie dieser Zustände weithin bekannt ist, möchte ich sie hier nicht näher betrachten. Statt dessen  wende mich nun einigen Fällen zu, die ebenfalls mit Fug und Recht als „Ich-Störungen“ bezeichnet werden können. Sie werden die funktionale Plastizität und die repräsentationale Komplexität des Selbstmodells von Homo sapiens illustrieren. Vor allem jedoch sollen diese Beispiele verdeutlichen, wie man den Begriff einer „Ich-Störung“ mit Hilfe des begrifflichen Instrumentatriums einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation schrittweise immer genauer fassen und semantisch ausdifferenzieren könnte.

Beginnen wir mit dem phylogenetisch ältesten Teil des menschlichen Selbstmodells, dem mentalen Körperbild. Es entsteht durch eine synästhetische Verschmelzung von Schwere-, Bewegungs-, Tast-, Wärme- und Gleichgewichtsempfindungen. Von allen anderen Wahrnehmungsvorgängen unterscheidet sich der propriozeptive Aufbau der Körperrepräsentation zudem in einer erkenntnistheoretisch interessanten Hinsicht: Er besitzt nur ein einziges Objekt.[14] Wir kennen vielfältige Störungen dieses phänomenalen Körpermodells. Solche Störungen kann man zum Beispiel beim Einschlafen erleben oder in der Aufwachphase nach einer Vollnarkose. Es gibt außerdem neurologische Erkrankungen, in deren Folge Patienten Teile ihres Körpers nicht mehr als Teile ihres Körpers erleben - etwa, wenn sie ihr eigenes Gesicht nicht mehr im Spiegel wiedererkennen können, eine Hälfte ihres Körpers nicht mehr waschen und ankleiden oder eine Gesichtshälfte nicht mehr rasieren. Einige dieser Störungen können darin bestehen, daß sie die Aufmerksamkeit (also: einen höherstufigen Vorgang der fokussierten Metarepräsentation) nicht mehr auf Teile des körperlichen Selbstmodells richten können. Innerhalb des dreidimensionalen Modells des eigenen Körpers können also noch einmal Gestaltbildungen und Figur-Grund-Trennungen vorgenommen werden. Marcel Kinsbourne schreibt:

The ability to attend to (i.e., activate) one’s own representations of the parts of one’s body may be an essential precursor of the acquisition of the concept of the self. („self-consciousness“). ... ...
The focus of attention, the figure, is experienced as arising in or emerging from a ground. In the case of the body, the ground is the familiar feeling that one’s body exists as a backdrop to whatever one is thinking, experiencing, or doing, though it’s various parts are not being monitored. This ever present background may be the basis for consctructing the continuity of the experiencing self. ...
The undifferentiated nature of the background to focused somatosensory attention might explain why the patient who neglects a limb nonetheless does not feel incomplete (in his body or himself). The background sensation is not experienced as different from before the injury. The neglect patient’s inability to attend to the implicated limb means that he cannot conceive of attending to it.
[15]

Es gibt jedoch auch komplette Verluste der undifferenzierten somatischen Hintergrundempfindung, auf der die eben genannte Form innerer Aufmerksamkeit überhaupt erst operieren kann.[16] Ein scharf umgrenzter Ausfall der Propriozeption führt zum Ausfall des Körpergefühls, desjenigen Teils unseres phänomenalen Selbstmodells, der uns subjektiv als der sicherste und gewisseste überhaupt erscheint. Oliver Sacks beschreibt den seltenen Fall einer sehr selektiven sensorischen Polyneuropathie, der ausschließlich propriozeptive Nervenfasern betraf.[17]

Aber am Tag der Operation hatte sich Christinas Zustand weiter verschlechtert. Sie konnte nur stehen, wenn sie dabei auf ihre Füße sah. Ihre Hände „machten sich selbständig“, und sie konnte nur etwas festhalten, wenn sie sie im Auge behielt. Wenn sie etwas in die Hand nehmen oder etwas in den Mund stecken wollte, griff sie daneben oder schoß über ihr Ziel hinaus, als sei sie nicht mehr in der Lage, ihre Bewegungen zu steuern und zu koordinieren.

Zudem konnte sie kaum aufrecht sitzen - ihr Körper „gab nach“. Ihr Gesicht war seltsam ausdruckslos und schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und sogar ihre Stimmlage hatte sich verändert.

„Es ist irgend etwas Furchtbares passiert“, stieß sie mit einer geisterhaft dünnen Stimme hervor. „Ich spüre meinen Körper nicht. Ich fühle mich wie verhext - als wäre ich körperlos.“[18]

...

Christina hörte genau zu, mit einer Aufmerksamkeit, die nur die Verzweiflung hervorbringt.

„Ich muß also“, sagte sie langsam, „mein Sehvermögen, meine Augen in all den Situationen einsetzen, in denen ich mich bis jetzt auf meine - wie haben sie das genannt? - Eigenwahrnehmung verlassen konnte. Ich habe schon bemerkt“, fügte sie nachdenklich hinzu, „daß ich meine Arme <verliere>. Ich meine, sie seien hier, aber in Wirklichkeit sind sie dort. Diese <Eigenwahrnehmung> ist also wie das Auge des Körpers - das, womit der Körper sich selbst wahrnimmt -, und wenn sie, wie bei mir, weg ist, dann ist es, als sei der Körper blind. Mein Körper kann sich selbst nicht <sehen>, weil er seine Augen verloren hat, stimmt's? Also muß ich ihn jetzt sehen und diese Augen ersetzen. Hab ich das richtig verstanden?“[19]

Sacks berichtet über den weiteren Verlauf der Erkrankung:

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch ihrer Eigenwahrnehmung und noch etwa einen Monat später war Christina so schlaff und hilflos wie eine Puppe. Sie konnte sich nicht einmal selbst aufsetzen. Aber schon drei Monate später stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß sie sehr gut sitzen konnte - zu gut vielleicht, zu graziös, wie eine Tänzerin, die mitten in einer Bewegung innegehalten hat. Und bald merkte ich, daß dies tatsächlich eine Pose war, die sie, sei es bewußt oder automatisch, einnahm und aufrecht erhielt, eine gezwungene oder schauspielerhafte Positur, die das Fehlen einer echten, natürlichen Haltung ausgleichen sollte. Da die Natur versagt hatte, behalf sie sich mit einem „Kunstgriff“, aber das Gekünstelte ihrer Haltung orientierte sich an der Natur und wurde ihr bald zur „zweiten Natur“.[20]

Mit jeder Woche wurde das normale, unbewußte Feedback der Eigenwahrnehmung immer mehr von einer ebenso unbewußten Rückmeldung durch visuelle Wahrnehmung, einen visuellen Automatismus und zunehmend integriertere und flüssigere Reflexabläufe ersetzt. Fand bei ihr eine grundlegende Entwicklung statt? Erhielt möglicherweise das visuelle Modell des Körpers, das Körperbild des Gehirns - das gewöhnlich recht schwach (und bei von Geburt an Blinden überhaupt nicht) ausgeprägt und normalerweise dem propriozeptiven Körperschema untergeordnet ist - jetzt, da dieses propriozeptive Körperschema verlorengegangen war, infolge von Kompensation und Substitution in zunehmendem, ungewöhnlichem Maße Gewicht?...[21]

Die Grenzen des Selbstmodells sind die Grenzen des phänomenalen Selbst.[22] An dem Beispiel der „körperlosen Frau“ wird zudem deutlich, was es bedeutet, daß das Selbstmodell ein multimodales Modell ist: Es kann um einzelne Modalitäten depriviert werden, aber in manchen Situationen den Verlust von Informationsquellen über eine Verstärkung anderer Kanäle funktional kompensieren. Fällt durch einen Defekt auf der „Hardware-Ebene“ ein bestimmtes sensorisches Modul aus, bleibt der entsprechende phänomenale Verlust jedoch für die Dauer der Störung bestehen. Das Selbstmodell wird um einen bestimmten qualitativen Aspekt ärmer, obwohl die Steuerfunktion in manchen Situationen dadurch rehabilitiert werden kann, daß auf den Informationsfluß aus den verbliebenen Sinnesmodulen verstärkt zugegriffen wird. Die Psychologie des Systems kann sich dabei jedoch tiefgreifend verändern. In dem tragischen Fall, den ich hier als Beispiel anführe, wurde das phänomenale Loch im subjektiven Erlebnisraum zu einem bleibenden Verlust.

...Infolge des noch immer bestehenden Verlustes der Eigenwahrnehmung hat sie das Gefühl, ihr Körper sei tot, nicht wirklich, gehöre nicht zu ihr - sie ist unfähig, eine Verbindung zwischen ihm und sich selbst herzustellen. Es fehlen ihr die Worte, um diesen Zustand zu beschreiben. Sie muß auf Analogien zurückgreifen, die sich auf andere Sinnesorgane beziehen: „Es ist, als sei mein Körper sich selbst gegenüber blind und taub...Er hat kein Gefühl für sich selbst.“...

...“Es ist, als hätte man mir etwas entfernt, etwas aus meinem Zentrum. Das macht man doch mit Fröschen, stimmt's? Man entfernt ihnen das Rückenmark, man höhlt sie aus...Genau das ist es: Ich bin ausgehöhlt, wie ein Frosch...Kommen Sie, meine Herrschaften, treten Sie ein, sehen Sie Chris, das erste ausgehöhlte menschliche Wesen. Sie hat keine Eigenwahrnehmung, kein Gefühl für sich selbst - Chris, die ausgehöhlte Frau, die Frau ohne Körper!“ Sie bricht in ein haltloses, fast hysterisches Lachen aus. Ich beruhige sie, während ich denke: Hat sie vielleicht recht? [23]

Der räumlich codierte Teil unseres Selbstmodells, unseres Erlebniszentrums kann ausgehöhlt werden. In einer solchen Situation sind wir uns nur noch visuell als res extensa gegeben. Auch in Fällen dieser Art kann man durchaus von einer Ich-Störung sprechen, weil die das leibliche Selbst generierende Funktion aufgrund der Blockade interner Inputquellen keinen phänomenalen Gehalt mehr aufbauen kann: Das Gesamtsystem verliert zuerst eine Informationsquelle, dann repräsentationalen Gehalt und schließlich einen Teil seiner funktionalen Eigenschaften. Was aber geschieht, wenn höhere Formen mentaler Repräsentation ausfallen, Formen die intellektuell-kognitive Funktionen in der Ökonomie unseres Innenlebens erfüllen? Diese Form phänomenalem Gehalts ist in vielen Fällen überhaupt nicht mehr räumlich kodiert, d.h. sie wird vom System nur noch als mit zeitlichen Eigenschaften versehen dargestellt.

Amnesien, die als Folge von Verletzungen der Schläfenlappen, chronischem Alkoholmißbrauch, Hirnhautentzündungen, Elektroschocktherapie oder vorübergehendem Sauerstoffmangel auftreten können, berauben die Person um einen mehr oder minder ausgedehnten Teil ihrer Biographie. Ohne auf die verschiedenen Ätiologien und die vielen unterschiedlichen Formen von retrograder Amnesie einzugehen, kann man sagen: Hier handelt es sich um Verluste der subjektiven Geschichte eines Menschen. Das System kann gespeicherte Selbstmodelle nicht mehr aktivieren und in sein aktuelles Selbstmodell einbinden, deshalb kann im Extremfall das im Jetzt gefangene psychologische Subjekt seine Historizität nicht mehr erleben. Die Person ist sich darum im Extremfall innerpsychisch nicht mehr als eine gewordene gegeben. Fallen zusätzlich Teile von Lernfunktionen mit aus, dann fehlt dem System auch die Möglichkeit, nach dem Trauma gewisse Teile des Selbstmodells aus neuen Erlebnissen neu zu konstruieren und zu speichern, das heißt: in Form physischer Operationen und Strukturveränderungen bleibend zu fixieren. In solchen Fällen schweren Gedächtnisverlustes geht dem Organismus ein Großteil seiner Möglichkeiten verloren, sich selbst mental als eine kontinuierliche Entität mit einer transtemporalen Identität zu repräsentieren. Er kann sich mental nicht mehr als eine innere und eine äußere Geschichte durchlaufend modellieren.

Denken besteht im wesentlichen in der Fähigkeit, mentale Modelle propositionaler Repräsentate in der richtigen zeitlichen Reihenfolge zu aktivieren (das heißt: logische Relationen intern auf zeitliche abzubilden) und Begriffe zu bilden (aus einer gegebenen Menge von präsentierten und gespeicherten Reizsituationen mentale Prototypen zu bilden[24]). Im Normalfall werden auch solche Modelle immer schon in das Selbstmodell eingebunden, und daraus resultiert die subjektive Erfahrung des „Ich denke“. Wann immer diese subjektive Erfahrung auftritt - dies ist die aktuelle Formulierung der cartesianischen Einsicht - gibt es ein Selbstmodell und folglich auch irgendein physisches System, das dieses Selbstmodell in sich erzeugt. Die innere Erfahrung scheint uns dabei zu sagen das phänomenale Modell des Selbst sei der Originator und Erzeuger der Gedanken, der phänomenalen Modelle kognitiver Operationen.[25] Das mag sich nun als falsch herausstellen: Das diese Zustände produzierende System ist das Gehirn und nicht das Selbstmodell.

Bei Denkstörungen, die in Psychosen der verschiedensten Form auftreten, wird das phänomenale Ich intellektuell inkonsistent. Das geschieht dadurch, daß eine gewisse Klasse von mentalen Modellen mehr oder weniger chaotisch und unkoordiniert aktiviert und in das Selbstmodell eingebunden wird. Lesen wir kurz das Protokoll einer experimentell ausgelösten Psychose:

„...da ist ein Pfarrer neben mir gestanden, der halb im Ruhestand ist. Sie haben mich unterbrochen. Die Reden von Pulver sind vorbereitet, der Pfarrer tut Medikamente und Musik vorbereiten. Nehmen Sie noch jemanden dran heute, aha, jetzt dachte ich soeben, es sei Vormittag. Ich bin in der Kapelenbrücke gewesen, habe einen großen Hecht gefangen. (draußen hört man etwas.) Aha, das ist der Ophtalmologe. Er ist gekommen, wegen der Waschmaschine, das ist sicher. Fräulein X. ist im Bad am hellen Tag, sie wollte mich aber nicht beleidigen. Die Mutter hat gesagt, der Sohn sei schlechter geworden in M., und der Pulver wollte den P. nicht beleidigen. Aber Klages sagt immer so pseudowissenschaftliche Sachen, und deswegen ist er zur Graphologie gegangen.“[26]

Lockerungen des Assoziationsflusses[27] und formale Denkstörungen, die sich hier so deutlich in den Äußerungen der Versuchsperson widerspiegeln, bestehen in einer Überschwemmung des internen Repäsentationsraumes mit nur noch schwach verknüpften mentalen Modellen. Die Ähnlichkeitsbeziehungen, die notwendig sind, um von der Aktivierung eines repräsentationalen Zustands zur Aktivierung eines anderen überzugehen, sind nur noch schwache Ähnlichkeitsbeziehungen. Genau deshalb sind die resultierenden Sequenzen mentalen Gehalts für den gesunden Beobachter in bezug auf Tempo und Inhalt nur schwer „nachzuvollziehen“, d.h. durch eine eigene Selbstmodellierung zu emulieren. Werden sie, wie häufig in Fällen von Schizophrenie, überhaupt nicht mehr in das Selbstmodell eingebunden, dann entsteht ein erlebtes Realitätsmodell des Typs „Die Welt ist voller fremder Gedanken“ oder „Mir werden fremde Gedanken gesendet“. Graham und Stephens haben für diesen Typ einer pathologischen repräsentationalen Konfiguration den Begriff der „introspektiven Entfremdung“ (introspective alienation) geprägt.[28] Findet doch eine Einbettung der zugrundeliegenden Datenstrukturen statt, dann wird der entsprechende Teil des intellektuellen Selbstmodells inhaltlich inkohärent. Je nachdem wie stark die Störung ist, kann sie von einer noch subjektiv erlebbaren (mental modellierten) und sprachlich kommunizierbaren geistigen Verwirrtheit bis hin zur völligen Desorientiertheit reichen. Ist eine solche Desorientiertheit nicht nur funktional sondern auch phänomenal maximal ausgeprägt, dann kann man sagen, daß solche Personen keine geistigen Subjekte im Sinne selbstbewußter kognitiver Agenten mehr sind.

Die chaotisch aktivierten mentalen Modelle sind in diesem Fall afunktionale mentale Simulate, weil sie keine Funktion für das System mehr erfüllen. Sie stehen in keiner Repräsentationsbeziehung zu internen oder externen Repräsentanda, insofern gilt hier vieles, was wir über Halluzinationen wissen. Man kann vielleicht sagen: Denkstörungen sind semantische Halluzinationen. Natürlich sind die tatsächlichen Fälle pathologischer Selbstsimulation wesentlich komplizierter, zumal die Störungsbilder selten so scharf umrissen sind, wie die von mir ausgewählten Beispiele suggerieren könnten. Zum Beispiel können scheinbar sinnlose Äußerungen von Psychotikern auch mit Konfabulationen durchsetzt sein, das heißt mit den externen Resultaten von verzweifelten Versuchen des Gehirns, alle durch es erzeugten mentalen Modelle (auch die „nicht-intendierten“) doch noch zu einem möglichst konsistenten Modell der Welt und des Selbst in ihr zusammenzufügen. Die Konfabulationen zugrundeliegenden mentalen Modelle sind schlechte Modelle, mit denen sich das System seinen schon als pathologisch erkannten Gesamtzustand erklären will.

 

3.2 Multiple Selbste: Multiple Personality Disorder

Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß phänomenale mentale Modelle von Teilen der Welt virtuelle Organe sind. Sie besitzen nicht nur phänomenalen und intentionalen Gehalt, sondern auch ein funktionales Profil. Dieses funktionale Profil wird durch ihre Rolle in der mentalen Ökonomie des Systems, dessen Organe sie sind, sowie in Interaktion mit einer sozialen Umwelt[29] fixiert. Die mentalen Modelle von Biosystemen wurden - genau wie ihre konkreten Organe - im Verlauf der phylogenetischen Evolution funktional optimiert und an sich verändernde Umgebungen (an die jeweilige „kognitive Nische“) angepaßt. Funktionale Optimierung bedingt jedoch nicht automatisch eine gleichzeitige epistemische Anreicherung. Auch das zentrierte Wachbewußtsein menschlicher Wesen ist Resultat der Entwicklung eines besonderen abstrakten Organs - des Selbstmodells - durch biologische Repräsentationssysteme. Vielleicht ist das mentale Selbstmodell des Menschen sogar das komplizierteste und effektivste biologische Instrument, das in der Geschichte unseres Planeten entstanden ist. Selbstverständlich besitzen auch Selbstmodelle wiederum ein funktionales Profil für die sie benutzenden Organismen relativ zu einer gegebenen Umwelt mit ihren spezifischen Problemstellungen. Gute Selbstmodelle sind zum Beispiel - wie bereits erwähnt - unerläßlich für eine erfolgreiche Operation in sozialen Umwelten und für die Interaktion mit anderen Mitgliedern derselben Spezies.[30]

Nun kann ein Mensch im Laufe seines Lebens - vor allem seines frühen Lebens - mit „inkonsistenten gesellschaftlichen Datenmengen“ konfrontiert werden, also mit zwischenmenschlichen Situationen, die es ihm unmöglich machen, sie durch die Erzeugung eines einzigen inneren Selbstbilds psychisch und funktional zu bewältigen. Die interessante Entdeckung ist jetzt, daß menschliche Gehirne scheinbar, wenn sie in bestimmten frühen Phasen ihrer Entwicklung mit nicht zu bewältigenden, inkompatiblen sozialen Situationen konfrontiert werden, auch mehrere Selbstmodelle „zu verschiedenen Zwecken“ erzeugen können. Manchmal erlangen diese multiplen Selbstmodelle eine weitgehende Autonomie und werden zu permanenten Bestandteilen des Innenlebens der betreffenden Person. In unserem theoretischen Zusammenhang sind diese (mittlerweile gut dokumentierten) Phänomene deshalb von Interesse, weil sie multiple bzw. alternierende phänomenale Perspektiven in ein und demselben Repräsentationssystem mit sich bringen.

Worum es geht, sind Multiple Personality Disorders (MPDs). Hierbei handelt es sich um einen Typ von psychiatrischen Störungsbildern, der sehr häufig auf extreme frühkindliche Traumata zurückzuführen ist (in den allermeisten Fällen ist das sexueller Mißbrauch durch ein Elternteil, überwiegend den Vater). Nach offiziellen diagnostischen Definitionen sind Fälle multipler Persönlichkeit dadurch gekennzeichnet, daß innerhalb eines Individuums zwei oder mehr[31] Persönlichkeiten existieren, die zu unterschiedlichen  Zeiten dominant werden und dann das Verhalten des Individuums bestimmen. Jede dieser Unterpersönlichkeiten besitzt eine komplexe Struktur sowie eigene, unverwechselbare Verhaltensmuster und soziale Beziehungen. Meistens gibt es eine „Gastgeberpersönlichkeit“ (die gewöhnlich amnestisch bezüglich der Episoden ist, in denen andere Persönlichkeiten die Bühne betreten) und eine Reihe von „Alter Egos“, die sich normalerweise mit je eigenen Namen benennen. Keine der Persönlichkeiten scheint über ein volles emotionales Spektrum zu verfügen, häufig ist die Gastgeberpersönlichkeit affektiv undifferenziert, während die Gastpersönlichkeiten ein in verschiedenen Richtungen übertriebenes affektives Profil besitzen - das sie dadurch für bestimmte soziale Situationen „geeignet“ macht. Die verschiedenen Subpersönlichkeiten scheinen ein allgemeines Hintergrundwissen über die Welt miteinander zu teilen, aber eine eigene Lebenserfahrung und ein spezifisches Selbstgefühl während der Perioden aufzubauen, in denen sie die Kontrolle über das Verhalten des Individuums erlangt haben.

Daniel Dennett und Nicholas Humphrey (auf die ich mich, was das oben Gesagte angeht und im folgenden, stütze[32]) schildern eine Patientin namens Mary. Sie ist Anfang dreissig, leidet unter Depressionen, Verwirrtheitszuständen und Erinnerungslücken. Sie war bereits mehrfach in Behandlung, spricht auf medikamentöse Therapien nicht an (weshalb sie auch schon für eine Simulantin gehalten wurde) und ist verschiedentlich als schizophren, unter einer borderline-Psychose leidend oder als manisch-depressiv diagnostiziert worden. Einem Therapeuten schildert sie ihre Biographie wie folgt:

Mary's father died when she was two years old, and her mother almost immediately remarried. Her stepfather, she says, was kind to her, although „he sometimes went too far.“ Through childhood she suffered from sick headaches. She had a poor appetite and she remembers frequently being punished for not finishing her food. Her teenage years were stormy, with dramatic swings in mood. She vaguely recalls being suspended from her high school for a misdemeanor, but her memory for her school years is patchy. In describing them she occasionally resorts - without notice - to the third person („She did this, That happened to her“), or sometimes the first person plural („We [Mary] went to Grandma's“). She is well informed in many areas, is artistically creative, and can play the guitar; but when asked where she learned it, she says she does not know and deflects attention to something else. She agrees that she is „absentminded“ - „but aren't we all?“: for example, she might find there are clothes in her closet that she can't remember buying, or she might find she has sent her niece two birthday cards. She claims to have strong moral values; but other people, she admits, call her a hypocrite and liar. She keeps a diary - „to keep up,“ she says, „with where we're at.“[33]

Nach einigen Monaten der Behandlung entdeckt der Therapeut, daß sich die Handschrift der Einträge in Marys Tagebuch von Eintrag zu Eintrag so stark unterscheidet wie die unterschiedlicher Personen. Er entschließt sich zu einer Hypnosesitzung mit seiner Patientin, in deren Verlauf er denjenigen Teil von Mary, „der sich noch nicht zu erkennen gegeben hat“, auffordert, dies zu tun. Darauf geschieht das folgende:

A sea change occurs in the woman in front of him. Mary, until then a model of decorum, throws him a flirtatious smile. „Hi, Doctor,“ she says, „I'm Sally. Mary's a wimp. She thinks she knows it all, but I can tell you...“

But Sally does not tell him much, at least not yet. In subsequent sessions (conducted now without hypnosis) Sally comes and goes, almost as if she were playing games with Dr. R. She allows him glimpses of what she calls the „happy hours“, and hints at having a separate and exotic history unknown to Mary. But then with a toss of the head she slips away - leaving Mary, apparently no party of the foregoing conversation, to explain where she has been.[34]

Im Laufe der Behandlung treten nun weitere Alter Egos auf: die kokette „Sally“, die aggressive „Hatey“ und die junge und gefügige „Peggy“. Jede dieser Gastpersönlichkeiten besitzt ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Erinnerungen. Die Gastpersönlichkeiten beanspruchen zusätzlich ein weitgehendes Wissen bezüglich der Biographie ihrer „Gastgeberin“ Mary, während diese bestreitet, mehr als ein indirektes Wissen über deren „Erlebnisse“ und Persönlichkeitsgeschichte zu besitzen.

Die weitere Therapie ergibt - auf der Suche nach einer Möglichkeit, die verschiedenen phänomenalen Selbste zu fusionieren - das folgende Bild. Im Alter von vier Jahren wurde Mary von ihrem Stiefvater regelmäßig sexuell mißbraucht, wobei er ihr den Kosenamen „Sandra“ gab und ihr einschärfte, daß „Daddy-love“ das kleine Geheimnis von ihm und Sandra wäre.[35] Als das psychische Leiden und die Situation für das kleine Kind unerträglich wurde und ihre im Entstehen begriffene Persönlichkeit vollends überforderte, versuchte sie sich durch eine Spaltung des phänomenalen Selbst zu retten.

Eventually, when the pain, dirt, and disgrace became too much to bear, Mary simply „left it all behind“: while the man abused her, she dissociated and took off to another world. She left - and left Sandra in her place.[36]

Durch diese erzwungene episodische Amnesie entstand ein Mary-Selbst mit einer stabilen phänomenalen Identität, einer konsistenten inneren Geschichte und funktionierenden sozialen Beziehungen. Dennett und Humphrey spekulieren, daß das im Hintergrund gehaltene Sandra-Selbst sich nun weiter gespalten haben könnte, indem es verschiedene Aspekte der entsetzlichen Serie von traumatischen Erlebnisse nochmals auf Sub-Selbste verteilte, die allerdings Zugang zu den mit Mary geteilten Erinnerungen hatten. Der Vorteil hätte - aus der „Perspektive“ des dissoziierenden Sandra-Selbstes - darin gelegen, daß nun wenigstens Teile des in der traumatischen Situation konstruierten Selbstmodells in manchen „sozial adäquaten“ Situationen in den Vordergrund treten und die Kontrolle über Marys Verhalten übernehmen konnten.

...Thus her experience of liking to please Daddy gave rise to what became the Sally-self. Her experience of the pain and anger gave rise to Hatey. And the experience of playing at being a doll [dieser Ausdruck bezieht sich auf Versuche, sich einfach passiv zu verhalten und sich sozusagen „totzustellen“; Anmerkung TM] gave rise to Peggy.

Now these descendants of the orginal Sandra could, with relative safety, come out in the open. And before long, opportunities arose for them to try their newfound strength in settings other than the original abuse. When Mary lost her temper with her mother, Hatey could chip in to do the screaming. When Mary was kissed by a boy in the playground, Sally could kiss him back. Everyone could do what they were „good at“, and Mary's own life was made that much simpler. This pattern of what might be termed „the division of emotional labor“ or „self-replacement therapy“ proved not only to be viable, but to be rewarding all around.[37]

Natürlich müßte eine wirklich schlüssige phänomenologische Analyse solcher Spaltungszustände wesentlich detaillierter sein und vor allem iatrogene Artefakte ausschließen können. Skepsis gegenüber den Phänomenen und den spezifischen Interessen der Therapeutengemeinschaft sind durchaus angebracht. (Dennett und Humphrey berichten allerdings auch von einer Patientin, deren Skepsis gegenüber der Diagnose ihrer Therapeutin verschwand, als sie feststellen mußte, daß eines ihrer Alter Egos sich bereits bei einem anderen Therapeuten in Behandlung begeben hatte.) Andererseits können an der Existenz vieler solcher Fälle multizentrierten Bewußtseins kaum vernünftige Zweifel geltend gemacht werden, wie auch immer die endgültige wissenschaftliche Beschreibung der jeweiligen Ätiologien lauten mag. Eine befriedigende naturalistische Theorie des Geistes muß darum Erklärungen für das Auftreten multipler Erlebnisperspektiven in pathologischen mentalen Modellen der Welt anbieten können. Der in speziellen Streßsituationen für ein natürliches Repräsentationssystem (das gerade erst begonnen hat, ein stabiles, höherstufiges Selbstrepräsentat zu erzeugen) auftretende Zwang zur „emotionalen Arbeitsteilung“, auf den Dennett und Humphrey in dem obigen Zitat anspielen, könnte ein Schlüssel zum Verständnis solcher phänomenal-funktionalen Dissoziationen sein. Emotionale Selbstmodelle sind nämlich komplexe Datenstrukturen, die für das sie erzeugende System eine möglichst stimmige interne Repräsentation seiner Interessenlage leisten müssen. In anderen Worten: Emotionen sind das spezielle Datenformat, indem Wesen wie wir ihre subjektiven Präferenzen für sich selbst mental darstellen. Wenn in der Phase, in der das phänomenale Selbst eines Kindes sich gerade erst zu konsolidieren beginnt, ein Elternteil unter dem Deckmantel der Zuneigung zum Aggressor wird (der zudem noch eine zweite Identität durch einen Kosenamen anbietet), dann entsteht eine bizarre Interessenlage. Da das System nicht in der Lage ist, sich aus der äußeren Situation zu befreien, kann es unter Umständen gezwungen sein, die interne Modellierung seiner Interessenlage auf mehrere Selbstrepräsentate zu verteilen, die die nicht miteinander zu vereinbarenden Funktionen für das System als Ganzes separat ausüben. Solche Selbstmodelle können sich in einem System stabilisieren und in späteren Stationen seiner Geschichte durch ganz andere, aber strukturell verwandte soziale Situationen wieder aktiviert werden.

Dann entstehen nicht nur Erinnerungslücken und inkompatible Verhaltensmuster, sondern auch psychologische Eigenschaften, die der externe Beobachter - wie im Fall von unter MPD leidenden Patienten - nicht mehr konsistenterweise als Eigenschaften einer Person beschreiben kann. Dies zeigt uns sehr deutlich, daß die psychologischen Eigenschaften, die eine personale Psychologie dem Gesamtsystem als ihrem logischen Subjekt zuschreibt, in genetischer Perspektive durch komplexe Ereignisse der internen Selbstmodellierung auf der subpersonalen Ebene erklärt werden müssen. Gute Ansätze für solche Erklärungsstrategien gibt es bereits. Owen Flanagan hat in diesem Zusammenhang zwischen „multiplexen Selbsten“ und „multiplen Selbsten“ unterschieden. In nicht-pathologischen Situationen haben wir es mit multiplexen Selbsten zu tun. Ein multiplexes Selbst ist ein einzelnes „Zentrum der narrativen Schwerkraft“ (im Sinne von Dennett[38]), das zwar in verschiedenen Kontexten durchaus verschiedene „Ich-Mythen“ erzeugen kann. Dabei bleibt die betreffende Person aber  immer in der Lage, diese wieder zu einem einzigen Modell des Selbst zu integrieren. Wir alle haben ein multiplexes Selbst, weil wir in unterschiedlichen sozialen Kontexten unterschiedliche Teile des funktionalen Profils unseres Selbstmodells realisieren. Für den MPD-Patienten dagegen ist es nicht mehr möglich, eine epistemische Verbindung zwischen verschiedenen „narrativen Gravitationszentren“ und episodischen Segmenten seiner inneren Geschichte herzustellen. Flanagan schreibt:

Multiplex selves in complex environments display different parts of their narrative to different audiences. Different selves - my philosopher self, my base-ball coach self, my religious self, my parental self - are played for different audiences. Different audiences see who we are differently. Different selves surface in different ecological niches. (...) What distinguishes a multiplex self from a multiple self is, first and foremost, the fact that a multiplex self is not amnesic with respect to these selves, they permeate each other in ways the selves of multiples typically do not.[39]

Vielleicht wird die schöne hermeneutische Metapher der „narrativen Schwerkraft“ eines Tages durch präzisere neurobiologische Theorien ersetzt, die uns erklären, was genau die kritischen Randbedingungen oder Ordnungsparameter für die Selbstorganisation kohärenter repräsentationaler Zustände im Gehirn sind. Ich werde solche Überlegungen jedoch hier nicht weiter verfolgen.[40] Ich hoffe, daß durch die beiden von mir angeführten Beispiele etwas klarer geworden ist, wie man den phänomenologischen Begriff der „Ich-Störung“ im Rahmen einer Theorie devianter mentaler Selbstmodellierung inhaltlich weiter differenzieren und mit Gehalt füllen könnte. Der von mir skizzierte theoretische Ansatz sieht sich jedoch zwei Schwierigkeiten gegenüber, denen ich mich nun im letzten Abschnitt meines Beitrags zuwende.

 

4. Die zwei wichtigsten theoretischen Probleme für naturalistische Theorien der Selbstrepräsentation

Ich habe eingangs zwischen einer repräsentationalen und einer funktionalen Analyse der Erste-Person-Perspektive unterschieden. Das zentrale theoretische Problem auf der funktionalen Beschreibungsebene entsteht nun durch folgende Frage:  Auf welche Weise unterscheidet sich das phänomenale Selbstmodell überhaupt von den anderen phänomenalen Modellen, die gegenwärtig aktiv sind? Durch welche funktionale Eigenschaft wird es ausgezeichnet, wodurch genau wird es zum stabilen Zentrum  des phänomenalen Darstellungsraums?

Hier ist meine vorläufige Antwort. Das Selbstmodell ist die einzige repräsentationale Struktur, die im Gehirn durch eine kontinuierliche Quelle intern generierten Inputs verankert ist. Immer dann, wenn es überhaupt zu bewußtem Erleben kommt (= zur Aktivierung eine stabilen, integrierten Modells der Wirklichkeit), existiert auch  diese kontinuierliche Quelle internen, propriozeptiven Inputs. Die Aktivität desjenigen („fest verdrahteten“) Teils der Neuromatrix des räumlichen Modells des eigenen Körpers, der unabhängig von externem Input ist, wird zum funktionalen Mittelpunkt des phänomenalen Darstellungsraums. Marcel Kinsbourne hat in diesem Zusammenhang von einem „background ‘buzz’ of somatosensory input“ gesprochen[41],  ich selbst habe an anderer Stelle den Begriff eines „Selbstpräsentats“ eingeführt[42]. Neuere Forschungsergebnisse aus der Erforschung des Schmerzerlebens in Phantomgliedern deuten zudem auf die Existenz einer genetisch determinierten Neuromatrix hin, deren Aktivitätsmuster Grundlage der starren Teile des Körperschemas und des invarianten Hintergrunds der Körperempfindung sein könnte („Phylomatrix des Körperschemas“[43]).

Das zentrale theoretische Problem auf der repräsentationalen Beschreibungsebene dagegen ergibt sich daraus, daß man mir leicht vorwerfen könnte, ich würde mit der Einführung des Begriffs „Selbstmodell“ einen Etikettenschwindel betreiben. Es scheint keine notwendige Verbindung von den funktionalen und repräsentationalen Basiseigenschaften zu den phänomenalen Zieleigenschaften der „Meinigkeit“, „präreflexiven Selbstvertrautheit“ und „Perspektivität“ zu geben. All das könnte sich durchaus ereignen, ohne daß es zur Entstehung eines echten phänomenalen Selbst oder einer subjektiven Innenperspektive kommt: Man kann sich vorstellen, daß biologische Informationsverarbeitungssysteme durch ein Selbstmodell zentrierte Darstellungsräume entwickeln und benutzen, ohne  daß Selbstbewußtsein entsteht. Ein „Selbstmodell“ ist noch lange kein Selbst, sondern nur eine Repräsentation des Systems, eben bloß ein Systemmodell. Damit aus der funktionalen Eigenschaft der Zentriertheit aber die phänomenale Eigenschaft der Perspektivität werden kann, muß aus dem Modell des Systems ein phänomenales Selbst werden. Die philosophischen Kernfrage lautet deshalb: Wie entsteht in einem bereits funktional zentrierten Repräsentationsraum das, was wir als die phänomenale Erste-Person-Perspektive zu bezeichnen gewohnt sind?

Eine Erste-Person-Perspektive, so lautet meine Antwort, entsteht immer genau dann, wenn das System das von ihm selbst aktivierte Selbstmodell nicht mehr als Modell erkennt.  Wie also kommt man von der funktionalen Eigenschaft der „Zentriertheit“ und der repräsentationalen Eigenschaft der „Selbstmodellierung“ zu der phänomenalen Eigenschaft der „präreflexiven Selbstvertrautheit“? Die Antwort liegt in der semantischen Transparenz bzw. der „selbstreferentiellen Opazität“ der verwendeten Datenstrukturen. Die vom System eingesetzten repräsentationalen Vehikel sind semantisch transparent, d.h. sie stellen die Tatsache, daß sie Modelle sind, nicht mehr auf der Ebene ihres Gehalts dar.[44] Deshalb schaut das System durch seine eigenen repräsentationalen Strukturen „hindurch“, als ob es sich in direktem und unmittelbarem Kontakt mit ihrem Gehalt befände. Die fraglichen Datenstrukturen werden so schnell und zuverlässig aktiviert, daß das System sie nicht mehr als solche erkennen kann, z.B. wegen des mangelnden zeitlichen Auflösungsvermögens metarepäsentationaler Funktionen. Es hat keinen evolutionären Selektionsdruck auf die entsprechenden Teile der funktionale Architektur gegeben: Der naive Realismus ist für biologische Systeme wie uns selbst eine funktional adäquate Hintergrundannahme gewesen. Diesen Gedanken muß man nun im letzten Schritt wieder auf das Selbstmodell anwenden. Wir selbst sind Systeme, die nicht in der Lage sind, ihr eigenes subsymbolisches Selbstmodell als Selbstmodell zu erkennen. Deshalb operieren wir unter den Bedingungen eines „naiv-realistischen Selbstmißverständnisses“: Wir erleben uns selbst als wären wir in direktem und unmittelbarem epistemischen Kontakt mit uns selbst.

Zum Schluß biete ich meinen Lesern noch eine Metapher an, die den eben skizzierten Gedankengang noch einmal illustrieren und verdeutlichen soll. De facto sind wir selbst Systeme, die sich selbst ständig mit dem von ihnen selbst erzeugten subsymbolischen Selbstmodell „verwechseln“. Indem wir dies tun, generieren wir eine stabile und kohärente Ich-Illusion, die wir auf der Ebene des bewußten Erlebens nicht transzendieren können. Und genau das ist es, was es bedeutet eine nicht-begriffliche Erste-Person-Perspektive zu besitzen, einen präreflexiven, phänomenalen Standpunkt, der allen späteren Formen begrifflich vermittelten und reflexiven Selbstbewußtseins zugrundeliegt, allen späteren Formen von sozialer Kognition und Ich-Du-Beziehungen. Der Kern der Subjektivität des Mentalen liegt also in diesem Akt der „Selbstverwechslung“: Ein Mangel an Information, ein Mangel an epistemischer Transparenz führt zur Entstehung eines phänomenalen Selbst. Ich-Störungen entstehen durch pathologische Veränderungen der funktionalen und repräsentationalen Systemeigenschaften, auf denen dieses phänomenale Selbst beruht. Je genauer wir die Zusammenhänge erkennen, durch die diese Eigenschaften untereinander verknüpft sind und je besser wir die Beziehung zwischen den begrifflichen Beschreibungssystemen verstehen, durch die wir diese Eigenschaften überhaupt erst erfassen, desto deutlicher wird auch hervortreten was eigentlich eine nicht-pathologische Situation ist. Und dieses Projekt sollte sowohl für die Neuropsychiatrie wie auch für die Philosophie des Geistes von Interesse sein.

 

Literatur:

 

 

 

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[1] Zur Einführung vgl. Bieri 1993, Lycan 1990, Metzinger 1995c.

[2] Zur Einführung vgl.  Münch 1992, Strube 1996, Posner 1989, Stillings et al. 1995;  bezüglich der Beziehung zwischen Philosophie und Kognitionswissenschaft Goldman 1993, bezüglich der Beziehung der Kognitionswissenschaft zu den Neurowissenschaften Gazzaniga 1995.

[3] Einen kurzen Literaturüberblick geben Graham & Stephens 1994b.

[4] Zur Einführung vgl. Kutschera 1982: 41ff.

[5] Bezüglich der vielen neuen Fragestellungen für eine angewandte Medizinethik durch die stürmische Entwicklung der Neurotechnologie vgl. Metzinger 1996b, c..

[6] Vgl. Graham & Stephens 1994b: 6f.

[7]  Vgl. Yates 1975, Baars 1988.

[8] Vgl. etwa den Begriff eines „Long-term body image“ bei O’Shaughnessy 1995; siehe dazu auch Damasio 1994, Kinsbourne 1995, Metzinger 1993, 1996a.

[9] Vgl. Conant & Ashby 1970.

[10]  Vgl. hierzu Bischof-Köhler 1996, 1989.

[11] Vgl. etwa Dennett 1987, Lycan 1987, Clark 1989.

[12]  Vgl. Nagel 1992, Metzinger 1993.

[13]  Vgl. Dittrich 1985.

[14]  Vgl. hierzu Martin 1995, insbesondere Abschnitt 2 und die vom Autor in Fußnote 17 gegebenen Literaturverweise.

[15]  Vgl. Kinsbourne 1995: 217f.

[16]  Jonathan Cole und Jacques Paillard bieten zwei weitere Fallstudien mit deafferenten Versuchspersonen an, die den Tastsinn und alle peripheren Informationsquellen bezüglich Position und Kinästhetik ihres Körpers verloren haben. Dort finden sich auch weiterführende Literaturhinweise, vgl. dazu Cole & Paillard 1995. Siehe auch Rosenfield 1992.

[17] Vgl. Sacks 1987: 69ff.

[18] Vgl. Sacks 1987: 71f.

[19] Vgl. Sacks 1987: 74f.

[20] Vgl. Sacks 1987: 77.

[21] Vgl. Sacks 1987: 76.

[22] Das Selbstmodell ist also genau diejenige Partition des von einem Repräsentationssystem intern geöffneten Darstellungsraums, der zu seinem phänomenalen Innenraum wird. Das, was wir alltagsphänomenologisch als „Introspektion“ bezeichnen, wird überhaupt er möglich, wenn es ein Selbstmodell gibt. In einem anderen Sinn von „Internalität“ ist aber auch der phänomenale Außenraum Gegenstand von Introspektion, weil es eine plausible Annahme ist, daß auch der phänomenale Gehalt des Weltmodells ausschließlich auf intraorganismische Eigenschaften superveniert.  Thomas Nagel hat in einer frühen Arbeit darauf hingewiesen, daß eine der zentralen philosophischen Fragen auf die inneren Grenzen des Selbst, auf den Horizont des inneren Raumes verweist. Kann uns ein auf der personalen Ebene angesiedelter Begriff des Wissens oder der absichtsvollen Handlung bei dieser kategorialen Demarkation behilflich sein? „It may be (though I doubt it) that the idea of a person, with which these other concepts are bound up, is a dying notion, not likely to survive the advances of scientific psychology and neurophysiology. Perhaps we shall have to fall back on the idea of an organism or an organic system.“ (Nagel 1969: 457)

[23] Vgl. Sacks 1987: 79f.

[24]  Vgl. hierzu Metzinger 1993: 125ff und Metzinger 1995b.

[25] Introspektion ist, wie mittlerweile eine Flut empirischer Befunde zeigt, eine zweifelhafte Methode des Erkenntnisgewinns. Trotzdem behaupte ich, daß die klassisch-cartesianische In­terpretation unserer intellektuellen Aktivität stark theorieinfiziert und keines­wegs auch nur intuitiv zwingend ist: Sorgfältige Introspektion erzeugt nämlich gerade kein phänomenales Modell des Selbst als einem Initiator durchgängig absichts­geleiteter Gedankenketten.

[26] Es handelt sich hier um ein Skopolamin-Experiment, zitiert nach Heimann 1989 (in Pöppel 1989: 34f).

[27] Die Lockerung des Assoziationsflusses kann man als allgemeine Geschwindigkeitserhöhung innerhalb eines „aufgeheizten“ neuronalen Netzes auf dem Weg durch eine Sequenz immer weniger stabiler Zustände beschreiben. Zwischen einem Hopfield-Netz und einem physikalischen System kann man eine Analogie herstellen, die auf einer mathematischen Äquivalenz zwischen dem vom Netzwerk angestrebten Gleichgewichtszustand und dem energieärmsten Zustand in einem thermodynamischen System beruht. Jeder neue Aktivierungszustand eines solchen konnektionistischen Systems stellt einen „energieärmeren“ Gesamtzustand des Systems dar; eine Erhöhung des energetischen Niveaus führt zu instabileren Zuständen. Der Versuch des Systems, sich in einen stabilen Zustand zu relaxieren, ist nichts anderes als sein Versuch, zu einer maximal harmonisierten und kohärenten Interpretation der Summe seiner Gesamtinputs zu gelangen. Die Bedeutung solcher Einsichten aus der konnektionistischen Modellierung kognitiver Leistungen für psychiatrische Störungsbilder des im Text angesprochenen Typs dürfte offensichtlich sein.

[28]  Vgl. dazu Graham & Stephens 1994c, Stephens & Graham 1994.

[29]  Vgl. hierzu Neisser 1993.

[30] Viele Autoren haben diese Funktion und ihrer genetische Bedeutung für das Entstehen subjektiven Bewußtseins betont (vgl. etwa die oben zitierten Texte von Doris Bischof-Köhler). Keith Oatley hat diesen wichtigen Aspekt (in Anlehnung an Mead 1964) als Meadean Consciousness bezeichnet, als die internalisierte symbolische Repreäentation eines Prozesses, der seine Wurzeln in einem extrapersonalen Beziehungsgeflecht besitzt. Dieser Prozeß definiert das Selbst über soziale Rollen und Regeln, weil er externe Kommunikationssituationen in dialogische Situationen auf der inneren Bühne transformiert. Oatley macht dabei ebenfalls explizit Gebrauch von dem auf Kenneth Craik zurückgehenden Begriff des „mentalen Modells“ „It seems likely that Vygotskyan and Meadean abilities have evolved from abilites to construct Craikian models (...). It may be, however, that although the mechanisms have evolved in this way, what we experience as consciousness, the phenomenology of explicitly knowing, and knowing that we know, derives from the socially derived sense of the self as director and as part of the comparison processes of consciousness. If so, the phenomenology would be affected by, and derivative from, this sense.“ (Oatley 1988: 378; vgl dazu auch Oatley 1985)

[31] Statistisch gesehen, legt sich eine durchschnittliche Anzahl von elf Subper­sönlichkeiten nahe. Vgl. Dennett & Humphrey 1989: 70. Owen Flanagan (1994: 147) zitiert ohne Quellenangabe einen Bericht über einen Patienten mit 4500 Persönlichkeiten.

[32] Ein eindrucksvoller autobiografischer Bericht über die Diagnose und Therapie einer MPD-Patientin liegt in deutscher Sprache zum Beispiel unter dem Titel „Ich bin Viele“ vor; vgl. Casey 1992. Patientin und Therapeutin schildern in ihm, wie es ihnen im Laufe eines langen therapeutischen Prozesses gelang, einen „Schwarm“ von 24 Persönlichkeiten zu integrieren. Im Nachwort weist Frances Howland auf die unterschiedlichen funktionalen Profile alternierender Selbstmodelle hin: „Untersuchungen der Gehirn- und Nervenfunktionen bei solchen Patienten haben eindeutige wissenschaftliche Beweise für die Realität von MPD erbracht. Topographische EEGs, IQ-Tests und andere Verfahren zur Messung der kognitiven Performanz, Sehtests sowie Messungen der kardiovaskulären Funktionen ergaben den Untersuchungsberichten zufolge signifikant unterschiedliche Resultate für die alternierenden Persönlichkeiten innerhalb ein und desselben Körpers.“ (Casey 1992: 434f) Eine weitere Fallschilderung unter philosophischen Aspekten mit zusätzlichen Literaturverweisen findet sich bei Wilkes 1988: 109ff.  Vgl. auch neuere Bemerkungen von Dennett in Dennett 1991: 419ff.

[33] Vgl. Dennett & Humphrey 1989: 71.

[34] Vgl. Dennett & Humphrey 1989: 72.

[35] Ich erspare meinen Lesern hier die Details; vgl. Dennett & Humphrey 1989: 73.

[36] Vgl. Dennett & Humphrey 1989: 73.

[37] Vgl. Dennett & Humphrey 1989: 74.

[38]  Siehe etwa Dennett 1989.

[39]  Vgl. Flanagan 1994: 142. Dort finden sich auch weitere Literaturhinweise bezüglich philosophischer Analysen des Phänomens der multiplen Persönlichkeit.

[40]  Eine in die angedeutete Richtung gehende begriffliche Spekulation habe ich in Metzinger 1995a angeboten.

[41]  A.a.O.: 217.

[42]  Vgl. Metzinger 1993: 156ff.

[43]  Vgl. Melzack 1989, zum Begriff einer „Neurosignatur“ 1992: 93; siehe dazu auch Damasio 1994.

[44]   Vgl. Van Gulick 1988a, b; Metzinger 1993, 1995b.