Projekt:

Der sprachkritische Ansatz von Friedrich Kainz
(MOEL_MTA)


von Dr. Gerhard GELBMANN

am Institut für Philosophische Forschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften

unter der Leitung von

Prof. Dr. Katalin NEUMER

(Laufzeit: Februar 2004 bis Juli 2004)

 

1. Zweck und Problemstellung
2. Zielsetzung und erwartete Ergebnisse
3. Forschungsstand und Methoden
4. Zeitplan
5. Bericht


gefördert durch die

Österreichische Forschungsgemeinschaft (OeFG)


 

1. Zweck und Problemstellung


Der Zweck meines Forschungsaufenthaltes in Ungarn ist zweifach:
 

(a) Vorträge an den Universitäten Miskolc, Szeged, Pécs und Debrecen zu halten und Kontakte nach Ungarn aufzubauen, wobei sich diese Vorträge auf mein Projekt, aber auch meine wissenschaftliche Tätigkeit der letzten Jahre beziehen sollen.

(b) Den Sprachkritiker Friedrich Kainz zu beforschen, im Kontext des von Frau Prof. Dr. Katalin Neumer vom Institut für Philosophische Forschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften geleiteten landesweiten ungarischen Forschungsprojektes "Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'. Zur Geschichte der Sprachphilosophie im 17.-20. Jahrhundert",1 an das mich anzuschließen ich von ihr bereits im Sommer 2003 in Bergen, Norwegen, eingeladen wurde.

Friedrich Kainz (1897-1977) war seinerzeitiges Mitglieds der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist aber in diesem Forschungsanliegen großteils ein weißer Fleck. Er ist bereits früh mit sprachpsychologischen Forschungen aufgetreten.2 Bekannt ist er international wohl durch seine sechsbändige "Psychologie der Sprache"3 geworden (sie ist in fünf Hauptbände untergliedert, deren letzter Band zwei Teilbände aufweist). Erst relativ spät wandte er sich mit v. a. zwei Schriften einer spezifischen Sprachkritik von philosophischen Termini und Autoren zu.4
Der Denkweg Kainzens läuft von einer sprachpsychologischen Forschung und damit einer praktischen Seite der Sprachphilosophie ausgehend zu einer philosophiekritisch gewendeten Sprachkritik, die ein linguistisches Wissen nicht allein auf die Begriffsentwicklung der Philosophiegeschichte anzuwenden weiß, sondern systematisch anhand von Fallbeispielen einen einheitlichen Gesichtspunkt seiner Sprachkritik entwickelt. Daß dieses Vorgehen keine Metaphilosophie oder gar eine Abwertung der Philosophie auf psychologischer Grundlage wird, sichert eine genaue methodische Analyse der jeweils kritisierten Terminologie und deren Entwicklung ebenso ab, wie er sich auch gegen reine Psychologismen zu verwahren weiß, die Philosophie in psycholinguistischen Fehlleistungen erstarrt sähe.



 

2. Zielsetzung und erwartete Ergebnisse


Die positiven Resultate dieses Ansatzes herauszuarbeiten besteht v. a. im Nachweis, daß mit der 'Sprachabhängigkeit des Denkens' bei Kainz die spezifische Denkform der Philosophie nicht aufgegeben wird. Kainz zeigt auf,5 daß eine enge Verbindung von Semantik und Ontologie für die jeweils untersuchte Denkungsart einer Philosophie besteht, deren eventueller Mangelhaftigkeit er beizukommen versucht, indem er klarlegt, inwiefern aus sprachpsychologischen Gründen eine Sprachabhängigkeit des Denkens gegeben ist, die zu bestimmten Formulierungen oft radikaler Art verführt, welche Gegebenheiten innersystematisch herstellen, die zweifelhaft sind, weil aus "Mißleitungen des Denkens" entstammend (Kainz 1972: 14).
Ihn leitet dabei ein realistischer Blick, der anhand der analysierten Tatbestände und Philosopheme Prinzipien der Sprachkritik aufzuweisen versucht, die nicht in die plakativen Metaphysik-Vorwürfe und Polemiken verfällt, die ansonsten oft die innerphilosophische Kritik kennzeichnet. Er klassifiziert Typen der Sprachverführung wie Wortrealismus, Synonymik, Homonymik, Metaphorik, Glossomorphie, Leerformeln, Bahnungseffekte, etc. Mag man Kainz hier auch vorwerfen, zu keinem philosophischem System von jener Abgeschlossenheit zu gelangen, die man gerade in den von ihm kritisierten Systemen antrifft, so ist das Resultat ungleich mehr wert, insofern es in der gewonnenen Methodik besteht, welche systeminvariante Anwendbarkeit verspricht.
Die diesbezügliche philosophische Leistung Kainzens ist, daß er der der Sprachkritik eine emanzipative Wendung gibt. Dezidiert leugnet er eine "schicksalshafte [...] Befangenheit unseres Denkens in den Grenzen der Sprache" (Kainz 1972: 26). Kainz will keineswegs das Denken gegen Verführung durch die Sprache endgültig gefeit machen (er ist sich der Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens bewußt), sondern sich gegen Immunisierungstendenzen seines Ausdruckes, gegen Erstarrungen und Inanspruchnahmen, Präskriptionen und Codierungen zu wappnen, die das kreative Element ersticken und in die Verantwortlichkeit des jeweiligen Denkers zu fallen haben.
Der Mangel an Bewußtsein bezüglich der Verführbarkeit des Denkens durch die Sprache kann nicht behoben werden, indem er einfach festgestellt wird. Diese Verführbarkeit selbst bei den großen Denkern erkannt zu haben, ist auch keineswegs eine Abwertung ihrer Leistungen, vielmehr ein Beitrag, der eine praktische Seite der philosophischen Theorie- und Systembildung betrifft, der in meinen Augen wissenschaftsphilosophische Aufmerksamkeit verdient, gerade weil dieser Aspekt auch für andere Wissenschaftszeige und deren sprachkritischen Betrachtung durch eine solche Philosophie fruchtbar gemacht werden könnte. Die Zielsetzung ist dementsprechend diese Leistung im Einzelnen zu rekonstruieren und zu würdigen.



 

3. Forschungsstand und Methoden

Friedrich Kainz ist in Bezug auf seine Sprachverführungstheorie kaum bearbeitet worden, nicht zuletzt, weil er selbst bis vor relativ kurzer Zeit tätig war.6 Er ist zwar als Ästhetiker und Literaturtheoretiker bekannt,7 und die "Mauthner-Gesellschaft" ist ein sehr rühriger Verein der Sprachkritiker, wo er etwas diskutiert wird.8 Doch hinsichtlich seiner spezifischen Sprachkritik an der Philosophie gibt es keine mir auffindbaren Quellen. Dementsprechend wird die Darlegung seiner Gedanken der allem vorausgehende methodische Schritt sein müssen.
Anhand der Ergebnisse dieser Forschungen sollen dann die Prinzipien dieser Form der Sprachkritik rekonstruiert werden, die Weise der vorgenommenen Klassifikationen, die philosophischen Implikationen des Kainzschen Unternehmens. Dies zu erreichen, wird nicht umhin können, einer Hermeneutik des Begriffes der Sprachverführung nachzugehen,9 ihre historischen Grundlagen für Kainz aufzuarbeiten.10 Zugleich sollen die Determinanten der Kainzschen Sprachkritik im Nachgang ihrer Anwendungen bestimmt werden, um den Gültigkeitsanspruch, den er implizit erhebt, zu prüfen: Inwiefern enthalten seine sprachkritischen Analysen nicht bereits Interpretationen der kritisierten Philosophen?
Dies erfordert eine Entwicklung von invarianten Kriterien der Beurteilung sprachkritischer Funktionen in seiner Wiedergabe von Hauptthesen der von ihm betrachteten Philosophen. Läßt dies eine Kritik an einem methodischen Psychologismus bei Kainz zu? Ebenso sind die Kategorien, die er vor allem aus sprachpsychologischem Hintergrund in Anwendung bringt, als philosophische Kategorien zu hinterfragen.


 

4. Zeitplan

Abhängig von meiner Tätigkeit an der Universität Bergen11 würde ich einen Stipendienantritt mit ca. April / Mai 2004 bevorzugen, in der Hoffnung auf die volle sechsmonatige Stipendiendauer. Die ersten Monaten sind dann vor allem der Recherche und Lektüre zu widmen, um die hermeneutische Seite zu erarbeiten. Zugleich würde ich die in sup. (a) genannten Vorträge halten, was Reisen zu Provinzuniversitäten nach sich zieht. Die verbleibende Zeit über wären dann jene Gedankengänge zu verschriftlichen, die ich oben skizzierte, selbstverständlich unter Anstrebung einer Publikation.12 Da ich in Ungarn über Fr. Prof. Neumer sicherlich noch mit weiteren Punkten im Themenkreis der Sprachkritik konfrontiert werde, will ich auch dafür offen sein und eine gewisse Zeitreserve verfügbar haben.
 



 

Fußnoten:

 


1 Das ist ein Projekt des Ungarischen Förderungsfonds der Wissenschaftlichen Forschung (OTKA). Cf. die elektronische Dokumentation des Symposiumsprogrammes "Sprache – Denken – Nation" unter http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/moderne/budpro.htm (last access Sept. 2003; auf Deutsch) und die Institutsseiten von OTKA unter http://www.otka.hu/ (last access Sept. 2003; auf Ungarisch). (back)-



2 Cf. Kainz, Friedrich (1946): Einführung in die Sprachpsychologie. Wien: Sexl. (back)-



3 Cf. Kainz, Friedrich (1941-1956): Psychologie der Sprache. Fünf Bände. Stuttgart: Enke; Kainz, Friedrich (1956): "Linguistisches und Sprachpathologisches zum Problem der sprachlichen Fehlleistungen", Philosophisch-historische Klasse, Gesamtsitzung am 20. April 1956, Sitzungsberichte 230. Band, 5. Abhandlung. Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften & Rohrer. (back)-



4 Cf. Kainz, Friedrich (1969): "Philosophische Etymologie und historische Semantik", Philosophisch-historische Klasse, Sitzung am 5. Februar 1969, Sitzungsberichte 262. Band, 4. Abhandlung: Österreichische Akademie der Wissenschaften & Böhlau; Kainz, Friedrich (1972): Über die Sprachverführung des Denkens. Erfahrung und Denken, Schriften zur Förderung der Beziehungen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften, Band 38. Berlin: Duncker & Humblot. (back)-



5 Unabhängig von z. B. William van Orman Quine. (back)-



6 Neuere Studien zur Sprachkritik, vom rhetorischen, neuphilologischen, germanistischen Standpunkt aus, nehmen kaum Bezug auf ihn, auch wenn sie in sich interessante Arbeiten darstellen. Zu nennen wären da:
Pörksen, Uwe (1994): Wissenschaftssprache und Sprachkritik. Untersuchungen zur Geschichte und Gegenwart. Forum für Fachsprachenforschung 22. Tübingen: Narr; Krebs, Birgit-Nicole (1993): Sprachhandlung und Sprachwirkung. Untersuchungen zur Rhetorik, Sprachkritik und zum Fall Jenninger. Dissertation, Universität Heidelberg; Philologische Studien und Quellen 123. Berlin: Erich Schmidt; Deubzer, Franz (1980): Methoden der Sprachkritik. Münchner Germanistische Beiträge 27. München: Fink.
Alle diese jüngeren Untersuchungen zur Sprachkritik weisen keine explizit philosophische oder sprachpsychologische Anwendung der Sprachkritik auf. Pörksen 1994: 286 erwähnt Kainz immerhin kurz in einer Fußnote, liefert aber ansonsten einen Querschnitt an Betrachtungen über sprachkritische Unternehmungen der Vergangenheit (bei Lichtenberg, Goethe, Nietzsche, Freud u.a.m.); Krebs 1993 hat einen mehr kommunikationstheoretischen und sprechakttheoreitschen Zugang (und sie liefert eine politische Applikation erarbeiteter sprachkritischer Kategorien); Deubzer 1980 bringt eine stilistische Untersuchung (konzentriert auf Karl Kraus).
Eine rühmliche Ausnahme ist: Dapía, Silvia G. (1993): Die Rezeption der Sprachkritik Fritz Mauthners im Werke von Jorge Luis Borges. Dissertation, Universität Köln; Forum Ibero-Americanum 8. Köln: Böhlau. Dies ist eine deutlich von philosophischer Sprachkritik akzentuierte Arbeit  –  allein, Kainz wird nicht erwähnt, und Sprachkritik wird hier von Mauthner her verstanden, d.h. nicht mit jenem sprachpsychologischen Gewicht, daß Kainz in den Begriff legte. (back)-



7 Das fand auch schon früh internationale Aufmerksamkeit, siehe etwa Schueller, Herbert M. (1961): "Friedrich Kainz as Aesthetician", The Journal of Aesthetics and Art Criticism, 20, 1: 25-36; im selben Journal erschienen auch Reviews von ästhetischen Schriften Kainzens durch Karl Aschenbrenner. (back)-



8 Mauthner-Gesellschaft; c/o Werner Petschko, Postfach 1247, D-82373 Penzberg, Deutschland; elektronisch dokumentiert unter http://www.mauthner-gesellschaft.de/mauthner/mauthner.html (last access Sept. 2003; auf Deutsch).
Dort findet man einen on-line Artikel freilich mehr werbepsychologischer Art: Cf. Betz, Werner (2001) "Sprachkritik und Werbesprache", elektronisch dokumentiert unter http://www.mauthner-gesellschaft.de/mauthner/intro/betz1a.html(last access Sept. 2003; auf Deutsch). (back)-



9 Das trifft auch auf Termini wie "glossogon" und andere, von Kainz oft angewandte Wendungen zu. (back)-



10 Kainz 1972: 15 bezieht sich auf sprachkritische Philosophen wie Ludwig Wittgenstein, Alfred J. Ayer, Bertrand Russell, Viktor Kraft, Rudolf Haller, Rudolf Carnap, Fritz Mauthner. Doch er bezieht auch psychologisches und anderes Material mit ein und referiert u. a. auf Ludwig Klages, Erich Rothacker, Karl Bühler. (back)-



11 Ich bin dort Universitätslektor für das Examen Philosophicum. (back)-



12 Diesbezüglich denke ich entweder an die Aufnahme einen Sammelband von Aufsätzen oder an semiotische oder andere fachliche Organe. (back)-
 
 
 

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created by G.G. on February 3rd 2004

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last update by G.G. on July 30th 2004

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