Christian Swertz

Faszination Bildschirmspiel: Das Medium und seine Botschaft

Abstrakt

Hier werden die Ergebnisse einer empirischen Pilotstudie berichtet. Ausgangspunkt ist die These, daß die digitale und elektrische Form der Bildschirmspiele eine Wirkung auf Kinder und Jugendliche hat. Anhand verschiedener Eigenschaftsdimensionen (Mediale Präsentation, Dramaturgie, Operative Tätigkeiten) wurde die Auswirkung auf die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zu Bildschirmspielen mit einem neu entwickelten Fragebogen erhoben.

Befragt wurden 223 Kinder und Jugendliche aus einer Zufallsstichprobe in Bielefeld. Die Ergebnisse zeigen eine deutlich positive Beurteilung der erfragten Eigenschaften von Bildschirmspielen, und zwar vor allem der akustischen und grafischen medialen Präsentation sowie der sensomotorischen Kompetenz. Die Ergebnisse können als ein erster Hinweis auf die Richtigkeit der These angesehen werden.

1 Wonach wir gefragt haben

1.1 Die Form des Bildschirmspiels

"Offensichtlich schwer jugendgefährdende Medien." Das ist die gesetzliche Bezeichnung für Bildschirmspiele mit bedenklichem Inhalt, z.B. solche, die zum Rassenhaß aufstacheln.1 Die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, so offenbar die Annahme, geht von den Inhalten der Medien aus: Gewalt in Spielen führt zur Gewalt im Alltag. Wer in solchen Spielen mordet, tut das auch in der Wirklichkeit.2 Nur: der wissenschaftliche Nachweis solcher Wirkungen ist bisher nicht gelungen.3

So bedenklich die Inhalte der Spiele manchmal sind (und so sinnvoll ein Verbot der Auswüchse): Zur Erklärung der Wirkung von Bildschirmmedien reichen sie offenbar nicht aus. Warum das so ist, hat McLuhan auf den Punkt gebracht:

»Unsere übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, daß es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des technischen Dummkopfes. Denn der 'Inhalt' eines Mediums ist mit dem saftigen Stück Fleisch vergleichbar, das der Einbrecher mit sich führt, um die Aufmerksamkeit des Wachhundes abzulenken. Die Wirkung des Mediums wird gerade deswegen so stark und eindringlich, weil es wieder ein Medium zum 'Inhalt' hat. Der Inhalt des Films ist ein Roman, ein Schauspiel oder eine Oper. Die Wirkung des Films ist ohne Beziehung zu seinem Programminhalt.«4

Seine These ist: Nicht die Inhalte, sondern andere Medien sind die Botschaften von Medien. Die Wirkung geht von der Botschaft des Mediums aus. Wenn aber ein Medium die Botschaft des Mediums ist, und kein Inhalt, dann wird die Form des Mediums wichtiger.

Ein Beispiel: Das Buch, das Sie in der Hand halten, beinhaltet zunächst einmal Schriftsprache. Die Schriftsprache transportiert die gesprochene Sprache, die wiederum die gedachte Sprache übermittelt. Und erst hier ist dann der Inhalt zu finden, um den es mir geht. Das Buch selbst transportiert also keine Inhalte, sondern erst einmal ein anderes Medium. Der Inhalt wird so durch die Verwendung des Mediums Schriftsprache im Medium Buch verdeckt. Die Botschaft des Buches ist ein Medium - die Schriftsprache. Damit gewinnt die Form des transportierten Mediums an Einfluß. Eine ausschließliche Analyse des Inhalts, z.B. rassistischer Darstellungen, übersieht also wichtige Aspekte des Mediums. Es kommt nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern darauf, welches Medium verwendet wird. Die Form ist wesentlich für seine Wirkung, weil ihre Botschaft im Vordergrund steht.

Um beim Beispiel zu bleiben: Die Botschaft des Buches, so wie wir es kennen, ist die Schriftsprache. Die Form der abendländische Schriftsprache ist vor allem durch die Verwendung eines phonetischen Alphabets gekennzeichnet, im Unterschied etwa zu begrifflichen Alphabeten (z.B. im Chinesischen). Mit diesem phonetischen Alphabet können nun sehr verschiedene Inhalte transportiert werden. Die Form ist dabei immer die gleiche: Wörter werden in einzelne Bestandteile, in Buchstaben, zerlegt und die Sprache in eine lineare Struktur gebracht.

Auch bei den Bildschirmspielen spielt die Form eine wichtige Rolle. Wichtige Aspekte ihrer Form sind die Elektrizität und die Digitalisierung.

Elektrizität beschleunigt die Bildschirmmedien enorm. Ein mechanischer Computer könnte die nötigen Berechnungen zwar ausführen. Man müßte nur recht lange warten, bis das Spiel reagiert. Die hohe Geschwindigkeit der Spiele wird erst durch Verwendung der Elektrizität möglich. Durch sie können die Spiele auf Eingaben prompt reagieren.

Digitalisierung treibt die durch unser phonetisches Alphabet begonnene Zerlegung der Sprache auf die Spitze: Selbst die Buchstaben werden noch einmal auseinandergenommen und in Bits zerlegt.5 Durch diese Zerlegung wird es möglich, beliebige Zeichen (akustische, visuelle etc.) darzustellen.

Durch die Kombination der digitalen und elektrischen Aspekte wird die Interaktivität der Bildschirmspiele möglich. Hier macht der Sprachgebrauch schon deutlich, welche Bedeutung die Form des Mediums hat: Die "Interaktivität" wird nicht als Interaktion zwischen Menschen verstanden, sondern als Interaktion mit dem Medium. Das ist ein Effekt der digitalen, elektrischen Form. Interaktivität weisen zwar auch andere Medien auf. Aber wer würde schon von der Interaktion mit dem Telefon (statt: durch das Telefon) sprechen?

Neben der Interaktion führt die digitale und elektrische Form auch zu einer Veränderung von Raum und Zeit. Dinge, die weit entfernt sind, oder die vor einiger Zeit entstanden sind, können auf dem Bildschirm dargestellt werden. Und auch die Reaktionen werden verändert: Handbewegungen können plötzlich nicht mehr nur auf räumlich nahes wirken, sondern auch auf entfernte Dinge, und sogar auf Phantasiewelten. War beim Buchmärchen noch Phantasie nötig, um sich das Fressen des Rotkäpchens durch den Wolf vorzustellen (und das Schicksal auch nicht veränderbar), ist es beim Bildschirmspiel möglich, auch ohne Phantasie das Rotkäpchen zu sein und vom Computer - in Form des Wolfes - gefressen zu werden: Es werden neue Reaktionsformen auf neue Wahrnehmungen erforderlich - die Form der Computerspiele verändert die sensomotorischen Kompetenz.

Auswirkungen dieser Botschaften des Mediums sollten bei denjenigen zu finden sein, die sie empfangen. Dieser Aspekt ist bisher kaum untersucht worden. McLuhans Fleischstück wurde geschluckt und die Botschaft der Form übersehen. Hier setzt unsere Untersuchung an. Unsere Hauptthese lautet: Die Form der Bildschirmspiele wirkt auf die Kinder und Jugendlichen.

1.2 Eigenschaften von Bildschirmspielen

Elektrifizierung und Digitalisierung bestimmen die Form der Bildschirmspiele. Daraus ergeben sich ihre Eigenschaften wie die Multimedialität und die Interaktivität. Neben diesen Eigenschaften, für die der Zusammenhang zur Form skizziert wurde, haben wir weitere herausgearbeitet und zu drei Dimensionen zusammengestellt.6

  1. Mediale Präsentation
    Hier haben wir Text in schriftlicher und gesprochener Form, Ton wie Geräusche, Musik oder Gesang und die grafische Präsentation mit Bilderfolgen, Animation und Video zusammengefaßt.
  2. Dramaturgie des Spiels
    Ein bereits genanntes Element der Dramaturgie des Spiels ist die Interaktivität. Weitere Eigenschaften der dramaturgischen Dimension, die sich aus der Form ergeben, sind die mehr oder weniger große Realitätsnähe und die Möglichkeit, verschiedene Rollen einzunehmen.
  3. Operative Tätigkeit
    Neben den erwähnten sensomotorischen Kompetenzen sind hier die kognitiven, sozialen und emotionalen Tätigkeiten, die durch die Form angeregt werden, einbezogen worden.

Mit diesen aus der Form der Bildschirmspiele abgeleiteten Eigenschaften haben wir einen Katalog gewonnen, der als Grundlage für eine empirische Untersuchung geeigent ist.

1.3 Fragestellung der Untersuchung

Eine mögliche Wirkung der Form von Bildschirmspielen ist die Veränderung von Einstellungen. Wenn Kinder und Jugendliche sich mit solchen Spielen beschäftigen, dann entwickeln sie auch eine Bewertung der Spiele. In Bezug auf die Form ist es dabei in der Interaktion mit den Spielen nicht möglich, daß sich die Spiele mit ihrer starren Struktur an die Einstellungen der Spielerinnen und Spieler anpaßen. Die Spiele setzen die Regeln des Spiels, und die Grammatik ihrer Form kann nicht diskutiert werden.

Umgekehrt ist die Anpassung möglich: Kinder und Jugendliche können ihre Einstellung an den Bildschirmspielen ausrichten. In der Auseinandersetzung mit diesen Spielen ist die Einstellungsänderung also nur in eine Richtung - als Anpassung an die Spiele - möglich. Diese Anpassung ist besonders dann zu erwarten, wenn nur die spielimmanenten Maßstäbe als Beurteilungskriterien zur Verfügung stehen und keine anderen Bewertungen angeboten werden, was z.B. durch Lehrerinnen und Lehrer möglich wäre.

Unsere These zur Wirkung der Form auf die Einstellungen lautet also: Die Form der Bildschirmspiele führt zu einer Anpassung der Einstellung der Kinder und Jugendlichen an die Spiele. Sie bewerten daher die Eigenschaften der Form positiv.

Dabei mußten wir uns wegen des beschränkten Rahmens einer Pilotstudie auf eine Untersuchung der genannten Eigenschaften beschränken. Eine Zeitreihe, eine Einbeziehung von inhaltlichen Aspekten oder von nicht vorhandenen Eigenschaften - wie etwa eine gustatorische oder olfaktorische Präsentation - war nicht möglich.

Wir haben also die Bewertungen der von uns herausgearbeiteten Eigenschaften von Bildschirmspielen durch die Kinder und Jugendlichen untersucht.

2 Wen wir gefragt haben

Dazu haben wir einen Fragebogen mit 33 Fragen entwickelt und im August 1995 223 Kinder und Jugendliche einer anfallenden Stichprobe in Bielefeld befragt.

Das Alter der Befragten lag zwischen 10 und 15 Jahren. 59,3% waren Jungen, 40,7% Mädchen. 10,8% besuchten die Hauptschule, 20,6% die Realschule, 39% ein Gymnasium und 12,1% andere Schulen (Sonderschulen, Grundschulen oder die Laborschule Bielefeld). 85,7% lebten mit beiden Eltern zusammen, 1,8% nur mit ihrem Vater und nur 10,3% mit ihrer Mutter; 25,1% waren Einzelkinder.

95,1% der befragten Kinder und Jugendlichen haben schon einmal ein Bildschirmspiel gespielt. Und viele haben ein eigenes Gerät:

Zugang zu Bildschirmspielen


Gelegenheit zum Spiel

Eigenes Gerät

Computer

80%

40%

Videokonsole

50%

25%

Game-Boy

49%

35%

Die Geschlechtsdifferenzen sind dabei erheblich. Einen eigenen Computer haben z.B. 60% der Jungen und 19% der Mädchen.

72% der Befragten spielen meistens alleine, 53% regelmäßig und 37% 1-2mal in der Woche. 87,4% schätzen die Kompetenz ihren Eltern in Sachen Bildschirmspiele als gering oder nicht vorhanden ein. Die Kinder und Jugendlichen sehen sich selbst als Experten. Und die Eltern versuchen auch nur in gerigen Umfang, Einfluß auf den Spielekonsum zu nehmen. Regeln gibt es selten, und wenn, dann als zeitliche Beschränkungen. Gespielt wird also regelmäßig, oft alleine und ohne Einfluß der Eltern, so daß kaum andere als die spielimmanenten Bewertungskriterien zur Verfügung stehen.

Das sollte die Wirkung der Form des Mediums begünstigen. Wenn diese Wirkung den Kindern und Jugendlichen bewußt ist, können sie damit umgehen und sie auch nach externen Maßstäben bewerten. Wenn die Wirkung aber unbewußt ist, entzieht sie sich dieser Kontrolle. Daß die Jugendlichen die Form des Mediums durch eigene Analyse verstehen und entsprechende Bewertungskriterien entwickeln ist nicht anzunehmen. Die Form des Mediums hat also ungehindert die Möglichkeit, sich voll zu entfalten.

3 Was geantwortet wurde

3.1 Präsentation: Die mediale Dimension

Der erste Aspekt, den wir untersucht haben, ist die mediale Dimension der Spiele: ihre Präsentation. Das meint Text, Grafik, Geräusche, Bilderfolge, Animation etc. Die von uns gestellte Frage lautete: »Ich darf ein paar Dinge nachfragen, wie wichtig sie für Dich sind.« Danach folgte eine Reihe von 21 sogenannten Items, z.B. Grafik, Auflösung, Geräusche, Musik, Tempo, wirklichkeitsgetreue Grafik und Übersichtlichkeit. Für die einzelnen Items gab es jeweils die vier Antwortvorgaben »sehr wichtig, wichtig, unwichtig, völlig unwichtig«.

Zur Auswertung haben wir die Antworten auf diese Items zusammengefaßt, indem wir ausgezählt haben, welche der vier Antwortmöglichkeiten wie oft vorkam. Das Ergebnis:

71,4% der Befragten antworteten mit wichtig oder sehr wichtig. Die große Mehrheit legt also Wert auf die mediale Dimension. Auswertungen der einzelnen Aspekte zeigen dabei, daß die Kinder und Jugendlichen deutliche Unterschiede zwischen den Teilaspekten gemacht haben: Sehr wichtig ist ihnen die Grafik, besonders den 13-15jährigen. Interessanterweise steht dabei keineswegs Realitätsnähe im Vordergrund. Die wird eher abgelehnt, Zustimmung findet eine irreale Grafik. Wichtig sind den Jugendlichen auch Auflösung, Farbe und Übersichtlichkeit. Tempo ist ebenfalls angesagt, aber nicht zu Lasten der Übersichtlichkeit: Viele bewegte Objekte werden eher abgelehnt.

Deutlichen Wert legen die Kinder und Jugendlichen auch auf den Ton, wenn auch etwas weniger als auf die Grafik. Gesang darf aber nicht dabei sein, nur Geräuschkulisse und Musik sind gefragt.

Text und Schrift wollen die meisten der Befragten nicht sehen.

Eine vergleichende Analyse durch Kreuztabellen ergab: Hinsichtlich der Schulformen sind bei allen Aspekten der medialen Dimension keine auffälligen Unterschiede festzustellen. Interessanterweise sind auch zwischen den Gerätetypen kaum Unterschiede vorhanden. Der Ton etwa hat ja bei einem Handgerät und einer am Fernseher angeschlossenen Spielekonsole recht unterschiedliche Qualität. Trotzdem beurteilen Benutzerinnen und Benutzer beider Geräte die Geräusche als wichtig. Das könnte auf den Unterschied zwischen Form und Inhalt zurückzuführen sein: Der Inhalt, also welcher Ton ertönt, ist gleichgültig. Es kommt auf die Form an: sie müssen eben da sein.

Daß vor allem die bewegte Grafik bevorzugt wird, entpricht ebenfalls unserer Vermutung, daß die Form der Bildschirmmedien die Einstellungen beeinflußt. Denn gerade die bewegte Grafik ist ein wichtiger Aspekt der Form des Mediums. Daß die Grafik gegenüber dem Ton eine größere Rolle spielt, entpricht der Annahme, da durch die technische Realisierung die Grafik noch stärker als der Ton in den Vordergrund gestellt wird.

3.2 Dramaturgie

Bei der Dramaturgie haben wir gefragt: »Nun zur Geschichte im Spiel: wie wichtig ist ...«. Items waren z.B. »die ganze Geschichte (Rahmenstory)«, »die einzelnen Szenen (Spots)« und »daß Du die Wahl hast, verschiedene Rollen zu spielen«. Wie bei der medialen Dimension haben wir die Antworten ausgezählt:

69,5% der Befragten ist die dramaturgische Dimension wichtig oder sehr wichtig. Auf die Geschichte legen die befragten Kinder und Jugendlichen dabei genauso Wert wie auf die einzelnen Szenen. Auch die eigene Rolle und die Möglichkeit, verschiedene Rollen zu spielen, ist ihnen wichtig. Abgelehnt wird aber (als einzige Frage dieser Dimension) von 60% eine wirklichkeitsnahe Rolle.

Die Übernahme verschiedener Rollen wird durch die Form des Mediums möglich. Denn erst durch die Digitalisierung können Computer beliebige Zeichen darstellen. Die Figur, die gesteuert wird, läßt sich dadurch austauschen. Spielerinnen und Spieler können damit verschiedene Rollen in Bildschirmspielen übernehmen. Und genau das ist ihnen wichtig, nicht aber eine wirklichkeitsnahe Ausgestaltung der Rolle.

Die Bewertungen der Dramaturgie zeigt in einer Analyse mit Kreuztabellen einen interessanten Zusammenhang mit der medialen Dimension: Der besteht eher mit der Grafik, weniger mit dem Text. Es scheint also so zu sein, daß Hinweise zum Ablauf der Geschichte und zu den Rollen eher von grafischen Elementen als vom Text erwartet werden, und auch das paßt zur Wirkung der Form des Mediums. Denn die Form ist eher geeignet, dynamische Grafiken als statischen Text zu präsentieren.

Schwierig ist die Interpretation der Ablehnung von Realitätsnähe, die auch schon bei der medialen Dimension keine Zustimmung fand. Denn wir wissen nicht, was für die Befragten Wirklichkeit ist. Deutlich ist aber, daß diese Kinder und Jugendlichen zwischen einer Medienwelt der Bildschirmspiele auf der einen und einer Wirklichkeit auf der anderen Seite unterscheiden. Sie trennen beides, und wollen die Wirklichkeit (was immer das ist) in den Spielen lieber nicht wiederfinden.

3.3 Operation: Die Kompetenzen

Die Form der Bildschirmspiele verlangt von Kindern und Jugendlichen verschiedene operative Kompetenzen: sensonsomotorische, kognitive, emotionale und soziale. Unsere Frage war: »Spiele fordern Dich. Was ist Dir wie wichtig?« Die erfragten Items haben wir aus den vier Aspekten der Kompetenz abgeleitet.

3.3.1 Sensomotorische Kompetenz

Die Darstellungen des Spiels werden wahrgenommen. Auf diese Wahrnehmung kann dann mittels Tastatur, Joystick, Maus, o.ä. reagiert werden. Daß Bildschirmspiele diese Kompetenz fordern, ist ein wichtiger Effekt der Form. Denn gerade die sensomotorische Kompetenz, die ja in Verbindung mit der Interaktivität beansprucht wird, zeichnet dieses Medium gegenüber anderen aus. Wenn die Form die Wertmaßstäbe der Kinder und Jugendlichen beeinflußt, sollte diese Kompetenz eine besondere Rolle spielen. Wir haben Kinder und Jugendliche nach der Geschicklichkeit, Schnelligkeit, räumlichen Orientierung und Ausdauer gefragt.

Die Antworten auf die einzelnen Items haben wir wieder aufaddiert. Die Tendenz bei den Antworten auf die Fragen zur sensomotorischen Kompetenz ist deutlich:

81,2% der befragten Kinder und Jugendlichen ist diese Kompetenz wichtig, nur 2,2% ist es völlig unwichtig. Auf diesen Aspekt von Bildschirmspielen legen sie besonders großen Wert. Das entspricht unserer Erwartung: Das Ansprechen der sensomotorischen Kompetenz ist das herausragende Merkmal der Bildschirmspiele. Die Interaktivität hebt es von anderen Medien wie Büchern, Radio, Cassetten, Videos etc. ab. Und genau dieser Aspekt scheint es zu sein, der den befragten Kinder und Jugendlichen am wichtigsten ist, unabhängig von Alter oder Schulform und in allen Ausprägungen, die wir erfragt haben. Unsere Vermutung, daß die Form des Mediums - die durch Digitalisierung und Elektrifizierung mögliche Interaktivität von Bildschirmspielen - die Einstellungen der Kinder und Jugendlichen beeinflußt, ist hier also plausibel.

3.3.2 Kognitive Kompetenz

Hier sind Denkvorgänge angesprochen, die zur Lösung von Aufgaben im Spiel erforderlich sind. Kognitive Kompetenzen werden letztlich von allen Medien gefordert. Bei Bildschirmspielen ist diese Herausforderung zwar deutlich höher als etwa beim Fernsehen, da ja das Wahrgenommene auch in Handlungen umgesetzt werden soll. Im Vergleich zu einem etwas anspruchsvolleren Buch aber wird von Bildschirmspielen eher wenig verlangt. Die kognitiven Kompetenzen sollten also geringer bewertet werden als die sensomotorischen. Wir haben hier nach »Konzentration«, »Lernen« und »Logik« gefragt.

Auch die kognitive Dimension findet deutliche Zustimmung, allerdings nicht so deutlich wie die sensomotorische Dimension. 70,6% war das wichtig oder sehr wichtig. Die Antworten sind über die einzelnen Fragen nicht gleichmäßig verteilt: »Lernen« und »mehreres gleichzeitg« werden knapp abgelehnt.

Dagegen finden Nachdenken, Konzentration etc. deutliche Zustimmung. Auch auf die kognitive Herausforderung wird also Wert gelegt, solange sie nicht mit Lernen verbunden ist. Und das wird von den Spielen auch kaum verlangt. Unsere Vermutung, daß kognitive Kompetenzen, die die Bildschirmspiele verlangen, sich in einer positiven Einstellung zu diesen Kompetenzen äußert, kann also bestehen bleiben.

3.3.3 Emotionale Kompetenz

Erfragt haben wir den Wunsch nach bestimmten emotionalen Reaktionen, die durch Bildschirmspiele ausgelöst werden. Bildschirmspiele erfordern schnelle oder durchdachte Reaktionen. Diese sind am besten in einer gleichermaßen konzentrierten wie entspannten Stimmung zu erreichen. Diese Aspekte sollten also höher bewertet werden als ein starker emotionaler Ausdruck. Erfragt wurde »cool bleiben«, »auf Angriff gehen«, »in Streß geraten«, »Sich-Ärgern können« und »Spaß«.

Bei der emotionalen Kompetenz zeigt sich in der Zusammenfassung eine knappe Zustimmung:

60,6% der Befragten sind solche Kompetenzen wichtig. Ein Blick auf die Items zeigt hier aber deutliche Unterschiede: 98% wollen Spaß haben und 60,1% cool sein. Ärgern dagegen wollen sich nur 44,6% und in Streß geraten 13,5%. Es ist deutlich, daß die gefragten Kinder und Jugendlichen tendenziell eine Stimmung für wichtig halten, die den Anforderungen der Spiele gerecht werden. In anderen Untersuchungen konnte auch schon gezeigt werden, daß die Kinder und Jugenlichen regelrechte Strategien entwickeln, um diese emotionale Kompetenz, die die Form der Spiele verlangt, zu erreichen.7  Diese Einstellung wird auch durch die Form der Bildschirmspiele verursacht.

3.3.4 Soziale Kompetenz

Hier geht es um Tätigkeiten, die eine soziale Komponente aufweisen. Die Form der Bildschirmspiele macht es möglich, im Spiel verschiedene Rollen anzubieten. Sie erforden dann die Kompetenz, diese Rollen zu übernehmen. Damit ist verbunden, sich nach den Anforderungen der Rollen zu richten. Wir haben nach »eine Rolle gut spielen«, »Anforderungen erfüllen«, »Rollen wechseln«, »Regeln einhalten«, »Aufgaben erledigen« und »Alles immer gut machen« gefragt.

Auch der sozialen Kompetenz messen die Kinder und Jugendlichen, die wir gefragt haben, eine hohe Bedeutung bei:

69,9% finden Anforderungen an diese Kompetenz wichtig oder sehr wichtig. Dabei wird Aufgaben erledigen sowie Anforderungen und Rolle erfüllen für wichtig gehalten. Rollenwechsel sind dagegen nicht angesagt. Letzteres entpricht zunächst nicht unserer These und auch nicht den Ergebnissen der Fragen zur dramaturgischen Dimension. Allerdings wurde dort nach der Wahl der Rolle gefragt. Bei der sozialen Kompetenz wurde aber gefragt, wie die Kinder und Jugendlichen es bewerten, daß die Spiele die Übernahme verschiedener Rollen fordern. Das ließe sich so interpretieren, daß die Möglichkeit der Form, verschiedene Rollen einzunehmen, positiv bewertet wird und festgelegte Inhalte abgelehnt werden. Hier ist aber eine genauere Untersuchung erforderlich.

4 Was wir daraus geschlossen haben

Die Ergebnisse unserer Untersuchung müssen vorsichtig beurteilt werden, da wir nur eine anfallende Stichprobe zu Grunde gelegt haben, die Ergebnisse also nicht verallgemeinert werden können; zum anderen Vergleiche, etwa mit den Inhalten der Spiele, nicht durchgeführt werden konnten. In diesen Einschränkungen sind die Ergebnisse aber deutlich:

Die digitale und elektrische Form der Bildschirmspiele beeinflußt die Einstellungen der befrageten Kinder und Jugendlichen zu Bildschirmspielen. Sie messen der Form eine hohe Bedeutung bei. Das wird vor allem in der hohen Bewertung der bewegten Grafiken und der sensomotorischen Kompetenzen deutlich. Denn gerade diese Eigenschaften werden durch die besondere Form der Spiele, durch die Elektrizität und die Digitalisierung, ermöglicht. Aber auch fast alle anderen Eigenschaften, die sich aus dieser Form ergeben, und die wir in den Dimensionen der medialen Präsentation, der Dramaturgie und der Operationen zusammengefaßt haben, werden positiv bewertet.

Die These der Wirkung der Form kann damit in dieser ersten empirischen Annäherung bestätigt werden.

Anmerkungen

1 §6, Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953, Fassung vom 25.2.85,

2 das wird z.B. betont bei: Glogauer, Werner: Die neuen Medien verändern die Kindheit: Nutzung und Auswirkungen des Fernsehens, der Videospiele, Videofilme u.a. bei 6- bis 10jaehrigen Kindern und Jugendlichen. 2. Auflage, Deutscher Studien Verlag: Weinheim 1993

3 Kübler, Hans - Dieter: Das unendliche Ende der Wirkungsforschung. In: Medien praktisch, Nr.3, 1995, S.4-12

4 McLuhan, Herbert Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media. Econ: Düsseldorf u.a. 1992 (Erstausgabe: Understanding Media. McGraw-Hill 1964)

5 Norbert Meder beschreibt Computer deshalb als ein Telos der Buchstabensprache (vgl. Meder, Norbert: Bildung im Zeitalter der neuen Technologien oder der Sprachspieler als Selbstkonzept des postmodernen Menschen. In: Ders.: Der Sprachspieler. Köln: Janus Presse 1987, S.40f.)

6 vgl. dazu: Johannes Fromme, Norbert Meder: Kriterienkatalog der Forschungsstelle P.L.U.S.S. Unveröffentlichtes Manuskript

7 Fritz, Jürgen; Misek - Schneider, Karla: Computerspiele aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen . In: Fritz, Jürgen: Warum Computerspiele faszinieren, Juventa Verlag: München 1995, S.86-125