Christian Swertz

Institut für Informatik im Bildungs- und Sozialwesen

Fakultät für Pädagogik

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Vortragsvorschlag für die Tagung "Praxis der Informationsvermittlung" vom 26.-28.9.2002 in Gotha

Titel: "Didaktische Navigationshilfen. Zum Verhältnis von Didaktik und Informationsvermittlung in der innerbetrieblichen Wissensorganisation."

Kurzfassung: Wie muss Information für optimale Rezeption organisiert sein? In dieser Arbeit wird gezeigt, dass eine sinnvolle Organisation für die Rezipientinnen und Rezipienten durch die Integration von Methoden der Didaktik und der Wissensorganisation erreicht werden kann. Ausgehend von theoretischen Überlegungen werden Umsetzungsmöglichkeiten an einer verfügbaren Software demonstriert.

Der Informationsbedarf von Rezipientinnen und Rezipienten im Wissensvermittlungsprozess ist nicht exakt vorhersehbar. Daher werden Informationsvermittlungsmethoden eingesetzt, die auf nicht vorher geplante Fragen mit Nachweisen aus einem Wissensbestand antworten können. Der Wissensvermittlungsprozess ist ergebnisoffen und wird durch die Rezipientinnen und Rezipienten frei bestimmt. Die Rezipientinnen und Rezipienten müssen dafür die Formulierung ihres Wissensbedarfs und die Strukturierung der Auseinandersetzung mit den gefundenen Dokumenten übernehmen. Sie tragen weitgehend die Verantwortung für einen erfolgreichen Wissensvermittlungsprozess. Im Gegensatz dazu ist der Wissensbedarf von Lernerinnen und Lernern im Lernprozess durch vorher bestimmte Ziele festgelegt. Didaktische Methoden werden eingesetzt, um eine Sachanalyse durchzuführen, Inhalte auszuwählen, Lernziele zu formulieren und Unterricht zu planen. Der Wissensvermittlungsprozess ist durch die Lernziele bestimmt. Die Lernenden müssen ihren Wissensbedarf nicht erst formulieren, sondern erhalten bereits ausgewählte Lerninhalte in einer methodisch aufbereiteten Form.

Der überspitzte Kontrast zwischen Didaktik und Wissensorganisation deutet Ähnlichkeiten bereits an. Tatsächlich fällt es schwer, die Bereiche voneinander abzugrenzen. Abstracts informieren Rezipientinnen und Rezipienten über Dokumente - ähnlich wie Advance Organizer im Lernprozess über die Lernziele informieren. Im selbstorganisierten Lernen müssen Lernende Informationen selbst recherchieren, ebenso wie der Wissensbedarf von Rezipientinnen und Rezipienten in der innerbetrieblichen Praxis oft durch die Arbeitsanforderungen bestimmt ist. Wenn die Ziele des Informationsvermittlungsprozesses im Vorfeld bestimmt werden können, wird die Informationsvermittlung zum Unterricht. Wenn die Ziele des Unterrichts nicht klar bestimmt werden können, wird Unterricht zur Informationsvermittlung. Didaktik und Wissensorganisation weisen in der Praxis Überschneidungen auf.

In beiden Fällen ist die Rekonstruktion von Wissensbeständen durch die Rezipientinnen und Rezipienten erforderlich. Der Rekonstruktionsprozess ist nicht exakt bestimmbar, weil nicht alle Momente des Rekonstruktionsprozesses präzise erfass und in Methoden umgesetzt werden können. Zwar liegen lerntheoretische, psychologische oder neurobiologische Studien vor, die den Rekonstruktionsprozess erhellen. Es gibt aber mindestens ebenso viele Hinweise auf Aspekte des Rekonstruktionsprozesses, die von solchen Untersuchungen nicht erfasst werden. Die Annahme, dass der Rekonstruktionsprozess immer auch irrationale Momente hat, bleibt damit richtig: Der Wissensvermittlungsprozess liegt zwischen dem Umstand, dass Wissen immer schon eine Organisation aufweist und es schlechthin nicht organisiertes Wissen nicht gibt und dem Umstand, dass eine exakte Übertragung von Wissen zwischen Menschen nicht möglich ist. Wenn der Prozess im Einzelfall nicht genau bestimmt werden kann, einige Momente aber präzise erfasst und in Methoden umgesetzt werden können, ist es sinnvoll, Wissensvermittlungssysteme so zu gestalten, dass beides, Fremd- und Selbststeuerung, möglich ist.

Das Verhältnis von Fremd- und Selbststeuerung macht einfühlende Beratung und methodische Unterstützung erforderlich. Die einfühlende Beratung kann nur durch Menschen (Wissensvermittlerinnen und Wissensvermittler bzw. Tutorinnen und Tutoren) erfolgen. Die methodische Unterstützung von Fremd- und Selbststeuerung in Wissensvermittlungsprozessen kann durch die Integration von Informationsvermittlungsverfahren und didaktischen Methoden erfolgen. Mit der didaktischen Wissensorganisation wird eine nach didaktischen und informationswissenschaftlichen Kriterien strukturierte Wissensbasis aufgebaut, die verschiedene Lern- bzw. Retrievalverfahren integriert. Die Praxis wird an zwei betrieblichen Wissensvermittlungsprozessen - der Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Einführung von Organisationshandbüchern - veranschaulicht mit der Plattform "Janus InLearn" demonstriert.