Medienbildung. Skeptische Anmerkungen zum Beitrag der Cultural Studies.

von Christian Swertz

Die Forschungsarbeiten, die als Cultural Studies zusammengefasst werden, sind für die Medienanalyse im deutschsprachigen Raum insbesondere von Andreas Hepp erschlossen worden, der eine umfassende Einführung vorgelegt hat. Hepp betont den interventionistischen Charakter der Cultural Studies: Die Cultural Studies zielen darauf ab, Wissen zu produzieren, das Interventionen ermöglicht. Dieses Ziel weist auf die Nähe zu pädagogischen Fragen hin. Noch deutlicher wird diese Nähe bei Winter: Ihm geht es nicht nur um eine Analyse von Machtstrukturen und die Analyse der Funktion von Medien für die Erzeugung und Stabilisierung gesellschaftlicher Strukturen, sondern darüber hinaus um „Momente der Selbstermächtigung“ (Winter 2001: 13). Diesen Anspruch der Cultural Studies, einen Beitrag zur Selbstermächtigung in interventionistischer Absicht zu leisten, werde ich hier aus pädagogischer Sicht diskutieren.

Um den interventionistischen Anspruch zu realisieren, soll in den Cultural Studies ein Wissen produziert werden, das „Interventionen und Veränderungen ermöglicht, nicht Tagespolitik zu betreiben“ (Hepp 1999: 18). Zu diesem Zweck werden insbesondere mit qualitativen Methoden populäre Medienformate vor dem Hintergrund einer semiotischen Zeichentheorie analysiert. Aus der Zeichentheorie wird auch die Möglichkeit von Selbstermächtigung im Sinne der Entwicklung von Eigensinn abgeleitet. Ansatzpunkt ist der Umstand, dass Texte verschiedene Bedeutungspotenziale aufweisen, d.h. polysem sind. Die Mehrdeutigkeit von Texten, die Heteroglossie, verweist auf einen Freiraum, der für die Entwicklung eines eigensinnigen Medienverständnisses genutzt werden kann. Dabei wird mit einem Subjektbegriff operiert, der das Subjekt einserseits als eingebunden in kulturelle Kontexte beschreibt, zum anderen jedoch als frei darin, diese Kontexte kritisch zu reflektieren und diese Reflexionen wieder handlungsleitend werden zu lassen (Hepp 1999, 32ff.).

Es stellt sich die Frage, was ein Wissen auszeichnet, dass Interventionen auf dem Wege der Selbstermächtigung durch die Nutzung von Freiräumen ermöglicht und wie diese Interventionen wirksam werden können. Ich möchte diese Frage am Beispiel der Arbeit von Brigitte Hipfl (2004) diskutieren. Ihr Anliegen ist es, eine Antwort auf die Frage nach den Fähigkeiten, die junge Menschen in ihrem späteren Leben benötigen, zu erhalten, also eine didaktische Zielbestimmung vorzunehmen. Dabei rückt sie die Medienkompetenz in den Mittelpunkt. Bei der Medienkompetenz geht es nicht nur um die Handhabung von Medien, sondern auch um die Frage, wie etwas in den Medien gesagt wird. Es geht um die Frage, wie in der Medienpädagogik die Art und Weise, wie etwas in den Medien gesagt wird, thematisiert werden kann und „ was jeweils daraus gelernt werden kann“ (Hipfl 2004) . Die Cultural Studies werden dabei als „theoretische Werkzeugkiste“ für Medienpädagoginnen und Medienpädagogen aufgegriffen. Das ist nach Hipfl möglich, weil Medienpädagogik und Cultural Studies die Handlungsfähigkeit des Menschen im Blick haben. Hipfl demonstriert die Leistungsfähigkeit der theoretischen Werkzeugkiste der Cultural Studies an der Analyse der TV-Formate „Big Brother“, „Taxi Orange“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Starmania“ mit Hilfe des Modells des kulturellen Kreislaufs von Hall. Explizite Absicht ist dabei, Anregungen für die medienpädagogische Arbeit zu geben.

Das drängt die Frage auf, inwiefern solche Analysen einen Beitrag zur Selbstermächtigung leisten können. Dazu möchte ich hier Selbstermächtigung als ein Moment von Bildung begreifen. Unter dieser Perspektive stellt sich insbesondere die Frage, wie die Wirksamkeit der theoretischen Erträge der Cultural Studies in einer pädagogischen Praxis gedacht werden kann. Um den interventionistischen Anspruch einer Anregung medienpädagogischer Arbeit durch die Analyse von TV-Formaten plausibel zu machen sehe ich drei Möglichkeiten: Zum einen könnten die Ergebnisse der Medienanalysen zum Unterrichtsinhalt gemacht werden, der dazu geeignet ist, das intendierte Ziel einer kritischen Medienkompetenz zu erreichen. Damit würde jedoch nicht nur die Selbstermächtigung zugunsten einer Fremdermächtigung übergangen, sondern die als Text vorliegende Analyse selbst wieder zum einem Medienprodukt, das kritisch zu hinterfragen wäre. Wenn Forscherinnen und Forscher auf diese Weise die eigenen Produkte analysieren, rückt die eigene Tätigkeit in den Focus der Analyse; eine selbstreflexive Figur, die in den Cultural Studies auch explizit thematisiert wird (Hepp 1999: 19f.). Der kritische Anspruch der selbstermächtigenden Analyse von TV-Formaten durch Lernende wäre damit aber verfehlt, weil statt der TV-Formate das wissenschaftliche Schreiben in den Mittelpunkt rückt.

Eine zweite Möglichkeit wäre es, die Analysen als Beleg dafür zu nehmen, dass mit Hilfe des Kreislauf-Modells von Hall eine kritische Reflexion durchgeführt werden kann. Die Aufgabe der pädagogischen Praxis wäre es dann, das Kreislaufmodell so zu vermitteln, dass die Lernenden dazu in die Lage versetzt werden, selbst eine solche Analyse durchzuführen. Ein solches Vorgehen wurde bereits vor ca. 30 Jahren im Rahmen der Aktionsforschung vorgeschlagen (Wildt/Gehrmann/Bruhn 1972, S.152); ein Konzept, das in der Diskussion um die Cultural Studies bisher nicht rezipiert worden ist, obwohl nicht nur das Programm, sondern auch die theoretischen Wurzeln recht eng bei dem der Cultural Studies liegen. Die Aktionsforschung hat vorgeschlagen, den „Praxisbezug selbst als Aktionsforschung aufzubauen“ (ebd., S. 154). Ein ähnliches Modell scheint bei Hipfl intendiert zu sein: Die Lernenden sollen in die Lage versetzt werden, die eigene Medienpraxis kritisch zu reflektieren und dadurch dazu in die Lage versetzt werden, diese Fähigkeit zur kritischen Reflexion auch zu vermitteln. Hier ist jedoch einzuwenden, dass damit die Methoden und Theorien der Cultural Studies zur Maßgabe „richtiger“ Kritik werden und damit mit einem Machtanspruch auftreten. Nun muss Machtkritik – wie jeder andere Geltungsanspruch auch – die Anerkennung ihres Wahrheitsanspruchs verlangen (Hönigswald 1927). Durch diese Machtausübung werden die Lernenden aber vor eine paradoxe Situation gestellt: Auf der einen Seite soll die Machtausübung in den Medien kritisiert werden, auf der anderen Seite soll der Machtanspruch der Cultural Studies akzeptiert werden. An dieser Stelle fehlt eine Legitimation von Kritik, die sich aus dem analysierten Kontext löst. Eine solche Legitimation ist möglich, weil Wissen zwar immer von den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen geprägt ist, dieser Umstand aber zugleich gewusst werden kann. Die theoretischen Ingredienzen für eine solche Legitimation – Autonomie des gleichzeitig in den kulturellen Kontext eingebundenen Subjekts – sind in den Cultural Studies vorhanden, aber noch nicht befriedigend auf den pädagogischen Anspruch bezogen.

Dieses Problem wird auch bei Winter deutlich, der schreibt: „Eine kritisch Medienpädagogik soll die Zusachauer ermächtigen, die Botschaften, Ideologien und Werte in medialen Texten zu dechiffrieren, um der Manipulation zu entgehen und eigene Identitäten und Widerstandsformen entwickeln zu können.“ (Winter 2004). Wenn diese Forderung zu einem Sollen wird, dann erfolgt damit ein normativer Umschlag, der dem eigenen Anspruch zuwiederläuft. Wie diese Verwicklung aufgelöst werden kann, bleibt offen. Das wird auch bei Hepp deutlich, der vorschlägt, produktionstheoretische und texttheroetische Untersuchungen sowie Forschungen zur Kultur als Lebensweise stärker aufeinander zu beziehen. Dadurch soll in interventionistischer Absicht das Ziel einer auf die Alltagspraxis bezogenen Kritik soziokulturellen Konflikte erreicht werden (Hepp 1999: 270ff.). Dabei bleibt offen, wie der Übergang von einer Kritik zur Intervention, also von der theoretischen Analyse zu einer pädagogischen Praxis gedacht werden kann. Wird diese Frage übergangen, wird implizit unterstellt, dass klar ist, wie denn Selbstermächtigung richtig zu vollziehen ist. Selbstermächtigung als Aufklärung, d.h. als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, kann damit nicht legitimiert werden. Anders gesagt: In den Cultural Studies wird die pädagogische Dimension der selbst gestellten intervenstionistischen Aufgabe unterschätzt.

Es ist zwar klar, dass durch das von den Cultural Studies vorgeschlagene Vorgehen die Forscherinnen und Forscher eine Kritik eigener soziokultureller Konflikte erreichen, die als Selbstaufklärung verstanden werden kann. Ein Transfer in ein Bildungsprogramm oder in didaktische Projekte kann so jedoch nicht erreicht werden. Der Anspruch der Selbstermächtigung kann damit von den Cultural Studies nicht eingelöst werden. Das Programm der Cultural Studies, eine methodologisch fundierte Forschung mit einem interventionistischen Anspruch zu verbinden, ist damit nicht unmöglich; und die aufgeworfene Problematik auch nicht neu. Es scheint daher lohnend zu prüfen, inwiefern pädagogische Ansätze hier fruchtbar gemacht werden können. Dazu ist zunächst eine Umwertung erforderlich: Winter hat in Anlehnung an Kellner vorgeschlagen, die Pädagogik zu einem Bestandteil der Cultural Studies zu machen (Winter 2004); ein Anspruch, der einen interessanten Machtanspruch darstellt, in der Sache jedoch nicht gerechtfertigt wird. Statt dessen möchte ich hier vorschlagen, die von Winter vorgeschlagene komplementäre durch eine symmetrische Kommunikation zu ersetzen und aus pädagogischer Sicht konstruktive Vorschläge zu den aufgeworfenen Problemen zu machen.

Dazu begreife ich den sich selbst ermächtigenden Menschen als sich bildenden Menschen. Der gebildete Mensch ist zunächst ein Mensch, der dazu in der Lage ist, vernünftig zu denken. Der Vernunftbegriff wird in den Cultural Studies nicht entfaltet, bildet aber eine wichtige Folie für die pädagogische Reflexion von Medien. So haben Marotzki, Nohl und Ortlepp (2004) einen Vorschlag zu einer bildungstheoretisch fundierten Internetarbeit vorgelegt, die explizit auf einem Vernunftbegriff basiert. Einen anderen Zugans verwendet Meder (1998), der das Verhältnis von Bildung und Medien analysiert und dabei die Verschiebungen, die in Bezug auf unsere Vorstellungen von Bildung (und damit auch von Vernunft) mit der Computertechnologie einhergehen herausarbeitet. Ich werde hier jedoch zwei andere Ansätze aufgreifen: Zum einen möchte ich einen unvernünftigen Vorschlag zum kritischen Umgang mit Medien machen, und zum anderen die Analysen der skeptisch-transzendentalkritischen Pädagogik nutzen, um die aufgeworfenen Probleme weiterzudenken.

Ekstatischer Medienkonsum

Ich habe vor einigen Jahren in Anlehnung an Baudrillard das ekstatisches Surfen als subversive Strategie vorgeschlagen (Swertz 2000). Die damit verbundene Idee lässt sich am ehesten als Vernunftverzicht bezeichnen: Es geht um einen unhinterfragten, unreflektierten, hemmungs- und grenzenlosen, d.h. ekstatischen und damit gänzlich unvernünftigen Medienkonsum. Ich möchte diese Idee hier in eher provokanter Weise und etwas normativ vorstellen:

Sie wollen Spaß sofort und ohne Ende? Ab in den Fernsehsessel! Konsumieren Sie Medien! Ohne Ende! Lassen sie sich ohne jede Distanz drauf ein und geniessen sie alles, was sie kriegen können. Schauen sie sich alle Soaps an, stellen Sie einen Computer in Reichweite und surfen sie durch alle Internetseiten, die sie finden können (und lassen sie dabei auch die unmoralischen nicht aus). Verzichten Sie auf unnötige Ablenkungen wie „Erwerbsarbeit“ oder „Behördengang“. Schmeißen sie ihren Job - gehen sie einfach nicht mehr hin. Man kann sich schliesslich nicht um jeden Unsinn kümmern. Wozu auch die elende Maloche, wenn jeder Mensch das Anrecht auf einen Fernseher hat. Wenn ihre Kinder dabei nerven und rumquengeln - schmeissen Sie die Blagen doch raus. Sollen sich Sozialpädagogen oder sonstige brave Bürger mit denen rumärgern - sie können dann endlich die Online bestellten DVDs ungestört anschauen. Wenn die Rechnung kommt - ignorieren Sie diesen bürokratischen Quatsch. Erklären sie einfach ihren persönlichen Bankrott; ohne Job haben sie ohnehin nichts zu verlieren – oder wollen Sie sich von gewinnsüchtigen Kapitalisten vorschreiben lassen, was sie zu tun haben? Für die Ernährung empfiehlt sich alles, was sie Online bestellen können. Gesundheitsfragen sollten dabei keine Rolle spielen - oder wollen sie etwa ihrer der gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit zuliebe auf Hamburger und Pizzen verzichten? Sport ist Zeitverschwendung (was Sie da alles verpassen...), und Körperpflege nur dann angesagt, wenn's ihnen selbst stinkt: Wenn sie aufgetakelte Tussis und Möchtegernschwarzeneggers sehen wollen, schauen sie in die Glotze, nicht in den Spiegel. Wenn jemand vom Arbeitsamt rumnervt - sagen sie denen, dass sie sich von Leuten, die nicht mal eine Online-Jobbörse an den Start bringen, schon mal gar nichts vorschreiben lassen. Und wenn Sie jemand wegen eines Online-Intervies anhaut - verweisen sie ihn an den ekligsten Bot, den sie kennen. Versuchen sie bloß nicht, die Gesellschaft irgendwie weiterzuentwickeln. Warum sollen sie auch die Suppe, die andere uns eingebrockt haben, auslöffeln? Und zuletzt: Lesen sie nicht solch abgehobenen Mist wie diesen Text. Nützt eh niemandem außer dem Autor was. Wollen Sie etwa meine Karriere- und Geltungssüchte ausbaden? Papier ist geduldig - und die Mülltonne auch.

Es wird deutlich: Unmäßiger, von keiner Medienkompetenz oder Selbstermächtigung beeinträchtigter Medienkonsum führt nicht zu einer Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen, sondern erweist sich als die herrschenden Strukturen sprengend. Ich möchte diesen Gedanken hier jedoch nicht weiter verfolgen, sondern einen vernünftigen Vorschlag für die Reflexion der aufgeworfenen Probleme aufgreifen

Praktische Skepsis

Das Problem der praktischen Wirksamkeit theoretischer Analysen in politischer Absicht wird in der transzendentalkritisch-skeptischen Pädagogik diskutiert. Die transzendentalkritisch-skeptische Pädagogik, die vor allem von Wolfgang Fischer und Jörg Ruhloff entwickelt worden ist, stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von Politik und Pädagogik zu denken sei, inwiefern also die Pädagogik einen politischen Anspruch (wie den der Cultural Studies) übernehmen könnte. Fischer zeigt, dass Pädagogik und Politik notwendig aufeinander bezogen sind, da „dem menschlichen Da- und Mitsein eine 'primordiale Sozialität' zugrundeliegt, aus der es kein Entkommen gibt“ (Fischer 1993: 199), wobei jedoch politische und pädagogische Vernunft keineswegs ineinanderfallen (Fischer 1993: 200). Das Projekt einer transzendentalkritisch – skeptischen Pädagogik wird damit als auch politisches Projekt verstanden und einer apolitischen Pädagogik eine Absage erteilt. Es stellt sich die Frage, wie denn die Differenz zwischen einer politischen und einer pädagogischen Vernunft für die Pädagogik genutzt werden kann. Zu diesem Zweck wird analysiert, inwiefern die transzendental-kritische Forschungsmethode praktisch gewendet werden kann (analog die praktischen Wendung des qualitativ-kulturkritischen Ansatzes in den Cultural Studies). Im Mittelpunkt der Überlegungen steht dabei die Befürchtung, die konstruktive Wendung der pädagogischen Skepsis könnte zur Folge haben, dass das Konzept in eine doktrinäre Position umschlägt (Fischer 1989), eine Gefahr, die in den Cultural Studies unterschätzt wird. In beiden Fällen stellt sich also die Frage, wie das die eigene Methode – hier die transzendental-skeptische Analyse – praktisch gewendet werden kann.

Jörg Ruhloff untersucht dazu, wie die transzendentalkritisch-skeptischen Analysen auf eine pädagogische Praxis bezogen werden können. Er hält zunächst fest, dass Theorie und Praxis unterschiedlichen Diskursregeln folgen. Während eine skeptische Theorie nur die Erkenntnis im Blick hat und dabei nicht auf ein bestimmtes Ergebnis hin arbeitet, ist Praxis von einer Zweck-Intentionalität bestimmt und geht zielbestimmt vor. Theorie und Praxis werden damit nebeneinander positioniert. Aus tranzendentalkritisch-skeptischer Sicht ist also der Primat der Praxis (Benner 2001) im Verhältnis von pädagogischer Theorie und Praxis abzulehnen. Nun kann ein Lehrer, wie Ruhloff bemerkt, durchaus elenktisch vorgehen, und damit die skeptische Haltung praktisch werden lassen. Schon Sokrates verfolgt im elenktischen Diskurs mit seinen Gesprächspartnern kein Ziel, keinen bestimmten Zweck. Er drängt sie nicht in eine bestimmte Richtung, sondern entfaltet eine bildende Wirkung, indem er Fragen stellt und vorhandene Formierungen in Frage stellt, ohne zu einer wahre Form des Denkens anzuleiten. Damit, so Ruhloff, ist die Möglichkeit (nicht jedoch die Notwendigkeit) einer Begründungsbeziehung zwischen skeptischer Theorie und Praxis gezeigt.

Deutlich ist, dass es sich nicht um einen logischen Zusammenhang handeln kann. Die Praxis lässt sich aus der Theorie schon wegen der unterschiedlichen Diskursregeln nicht deduzieren. Ruhloffs Vorschlag ist nun, die Art dieser Begründungsbeziehung als eine Korrelation zu verstehen, die als Entsprechung bezeichnet wird. „Das Verhältnis ist so gedacht, daß die Theorie ebenso – aber nicht symmetrisch oder spiegelnd – der Praxis 'entspricht' wie diese jener, ohne daß beide identisch werden“ (Ruhloff 1993: 37f.). In Anlehnung an Wittgensteins Tractat wird mit Entsprechung eine Verbundenheit in der Regel, eine innere Ähnlichkeit bezeichnet. Damit werden Theorie und Praxis als in einem gemeinsamen, transzendentalen Begründungsrahmen gedacht, ohne Theorie und Praxis miteinander zu identifizieren. Die Differenz zeigt sich z.B. in Ruhloffs Vorschlag, auch eine skeptische Praxis skeptisch zu analysieren (ebd. 38f.).

Für die hier aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit eines interventionistischen Charakters der Cultural Studies ergibt sich daraus zunächst zweierlei: Erstens kann die kritische Analyse praktisch gewendet werden, z.B. indem, so wie sich das bei Hipfl andeutet, die Forschungslogik für eine entsprechende (!) Unterrichtspraxis umgesetzt wird. Dabei darf das Ziel jedoch nicht sein, damit die „richtige“ Analyse vorzuführen oder die Ergebnisse als finale Wahrheit hinzustellen. Das Ziel bleibt offen; es wird den Lernenden eine Denkmöglichkeit aufgezeigt, d.h. ein Bildungsanlass geschaffen – und ob die Lernenden diese Möglichkeit annehmen oder nicht muss ihnen überlassen bleiben, und auch andere Formen der Analyse müssen offen gehalten und nicht von vornherein abgelehnt werden; d.h. die Cultural Studies müssen die Anwendung der eigenen Macht in der pädagogischen Praxis als Geltungsanspruch realisieren und sich zugleich der Anwendung der Macht enthalten.

Im Sinne eines Ausblicks möchte ich hier anfügen, dass der Raum dieser Entsprechung meines Erachtens bei Hönigswald präzise erfasst worden ist: Für die hier in Frage stehenden Überlegungen sind dabei drei seiner Konzepte relevant: Zunächst denkt Hönigswald pädagogische Praxis als immer auch irrational; die Beziehung von pädagogischer Theorie und Praxis wird nicht als Ursache-Wirkungs- Zusammenhang, sondern als Bedeutungszusammenhang vorgestellt. Damit ist jeder Determinismus von vornherein ausgeschlossen. Sodann wird von Hönigswald die eigene Tätigkeit als Praxis begriffen: Jede Wissenschaft muss auch mit einem pädagogischen Anspruch auftreten, weil sie notwendig auf die Verständigung über ihre Erkenntnisse angewiesen ist. Damit weist jede Wissenschaft aber auch irrationale Momente auf, die Hönigswald im Begriff des Ansatzes und der Methode reflektiert und in die Theorie einholt. Dies geschieht drittens vor dem Hintergrund eines Kulturbegriffs, der so angelegt ist, dass zum einen die Forschungstätigkeit als in der Kultur aufgehoben gedacht ist, dieser Umstand aber wieder erkannt und zum Gegenstand der Forschung gemacht werden kann; eine Denkfigur, die kennzeichnend für Hönigswald Methode der relationalen Dialektik ist. Mit diesem Ansatz wird der Umstand, dass eine Kritik an der Kultur selbst wieder in der Kultur stattfindet und sich insofern nicht aus dem kulturellen Kontext lösen kann, beschreibbar, und die Entsprechung von Theorie und Praxis in einen tranzendentalen Rahmen einbindbar.

Literatur

Benner, Dietrich (2001): Allgemeine Pädagogik. 4. überarb. Aufl., Weinheim und München.

Fischer, Wolfgang (1989): Unterwegs zu einer skeptisch-transzendentalkritischen Pädagogik. St. Augustin.

Fischer, Wolfgang (1993): Einige Bemerkungen über die (Un-)Verträglichkeit von Pädagogik und Politik. In: Fischer, W.; Ruhloff, J.: Skepsis und Widerstreit. Sankt Augustin, S. 191-209.

Hipfl, Brigitte (2004): Medien – Macht – Pädagogik. In: MedienPädagogik (2) 3 (www.medienpaed.com/03-2/hipfl03-2.pdf [15.5.2004]).

Marotzki, W.; Nohl, A.-M.; Ortlepp, R. (2003): Bildungstheoretisch fundierte Internetarbeit am Beispiel der universitären Lehre (www.medienpaed.com/03-1/marotzki/03-1.pdf [15.5.2004]).

Meder, Norbert (1998): Neue Technologie und Erziehung/Bildung. In: Borelli, M.; Ruhloff, J. (Hg.): Deutsche Gegenwartspädagogik Bd. III. Hohengehren, S. 26-40

Swertz, Christian (2000): Pluralität und Ekstase. Anmerkungen zur didaktischen Organisation von Wissen in computerbasierten Lernsystemen. In: Lohmann, I.; Gogolin, I. (Hg.): Die Kultivierung der Medien, S. 97-110.

Wildt, J.; Gehrmann, G.; Buhrn, J. (1972): Aktionsforschung als hochschuldidaktische Forschungsstrategie. In: Haag, F.; Krüger, H.; Schwärzel, W.; Wildt, J. (Hrsg.): Aktionsforschung. München, S. 137-159.

Winter, Rainer (2001): Die Kunst des Eigensinns. Cultural Studies als Kritik der Macht. Weilerswist.

Winter, Rainer (2004): Cultural Studies und kritische Pädagogik. In: MedienPädagogik (2) 3 (www.medienpaed.com/03-2/winter03-2.pdf [15.5.2004]).